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Neue Diener*innen
Serie: Die Unsichtbaren Wer sind die Menschen, an welche die Schweizer Mittelschicht immer mehr Arbeiten delegiert? Und wieso tut sie das? Eine Artikelreihe über neo-feudale Strukturen und ihre Hintergründe.
Unsere Dienerschaft
TEXT KLAUS PETRUS FOTO DANIEL SUTTER
Zwar sind sie vorbei, die Zeiten von Butlern und Kammerzofen. Und doch tauchen sie in anderer Gestalt wieder auf: als Kinderfrauen, Reinigungskräfte, Pizzakuriere, Altenpflegerinnen, Hausgärtner, Dogwalker oder im Beautybereich. Aber auch als Erntehelfer, Kantinenpersonal, Müllmänner, als Bettenschieber im Spital oder als Billigarbeiterinnen im Onlinehandel. In Zeiten von Corona bekamen manche dieser oft verkannten Arbeiten plötzlich Aufmerksamkeit und den Menschen dahinter wurde applaudiert. In aller Regel aber bleiben sie unsichtbar, viele dieser Jobs werden von Frauen mit migrantischem Hintergrund ausgeführt, sie arbeiten unter prekären Bedingungen, stehen sozial am Rande unserer Gesellschaft.
So unterschiedlich die Arbeiten sind, eines scheint ihnen gemeinsam: Es sind Tätigkeiten, die manche Leute nicht selber verrichten wollen, weil sie vielleicht zu bequem sind oder weil sie ihre Zeit in anderes investieren möchten oder vielleicht auch müssen – in ihren «eigentlichen» Job etwa, in die Familie oder den Freundeskreis, in Weiterbildung oder Hobbys. Meist ist damit eine Wertigkeit verbunden: Um uns den vermeintlich wichtigen Dingen zu widmen, lassen wir die angeblich unwichtigen andere erledigen. Das gilt nicht bloss auf individueller, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene: Gerade Tätigkeiten, die mit der Beseitigung von Schmutz zu tun haben– der Ausdruck «Drecksarbeit» zeugt noch davon –, sind für uns oft mit einem sozialen Makel behaftet, und wir schieben sie von uns.
Wir widmen diesem Phänomen der Auslagerung und des Abschiebens von Arbeit diese mehrteilige Serie mit dem Titel «Die Unsichtbaren». Den Auftakt macht der folgende Beitrag über die Reinigungsarbeit in Unternehmen und in privaten Haushalten – ein Sektor, der auch in der Schweiz seit Jahren massiv boomt.
Dabei geht es uns nicht so sehr darum, die Menschen, die derlei Arbeiten verrichten, «sichtbar» zu machen, wie das etwa in den Sozialwissenschaften oft versucht wird. Der Anspruch nämlich, Unsichtbare sichtbar zu machen– oder ihnen, wie es auch gerne heisst, eine «Stimme zu geben» und «auf Augenhöhe zu begegnen» –, ist in vielen Fällen sowohl vermessen wie auch unangemessen. Denn nicht selten werden damit die gesellschaftlichen sowie politischen Verhältnisse ausgeblendet, die soziale Ungleichheit begünstigen. Wenn, um beim Beispiel zu bleiben, eine «Putzfrau» sichtbar machen einzig bedeutet, dass wir ihr fortan mehr Anerkennung «schenken», so ändert dies noch nichts daran, dass sie eine Arbeit verrichtet, die in den meisten Fällen schlecht bezahlt sowie sozial ungenügend abgesichert ist. Genauso wird damit die Tatsache ignoriert, dass es in unserer Gesellschaft offenbar ein Verlangen nach asymmetrischen Beziehungen gibt, die durch Arbeit definiert sind – hier der Unternehmer, dort die Reinigungskraft – und die eine Spaltung der Gesellschaft in soziale Klassen zusätzlich fördern.
In unserer Serie werden wir demnach nicht bloss fragen, wer diese Menschen sind, welche die ausgelagerten Arbeiten verrichten, und was dies für sie bedeutet, sondern auch: Was heisst es für unsere Gesellschaft, wenn die Mittelschicht immer mehr Tätigkeiten delegiert, und wieso tut sie das? Offenbar spielen hier nicht allein individuelle Motive wie etwa Bequemlichkeit eine Rolle, sondern auch gesamtgesellschaftliche Prozesse. So wird als Grund für die Auslagerung von Tätigkeiten oft Überlastung oder Stress auf der Arbeit oder in der Familie genannt. Dies wiederum hat auch damit zu tun, dass sich die traditionellen Arbeitsmodelle verändern – flexiblere Arbeitszeiten, erhöhte Präsenz –, dass Frauen vermehrt ausser Haus arbeiten oder dass sich die familiären Bande zwischen den Generationen lockern, Grosseltern zum Beispiel die Betreuung der Kinder nicht mehr übernehmen und stattdessen vermehrt Nannys angestellt werden. Erfüllt die neue Dienerschaft hier am Ende infolge knapper oder zu teurer Betreuungsangebote eine kompensatorische Aufgabe, die womöglich der Staat zu übernehmen hätte? Bereits dieses Beispiel zeigt, wie komplex aber auch brisant das Thema der ausgelagerten Arbeiten ist.