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Tour de Suisse
Pörtner in Seon
Surprise-Standort: Bahnhof Einwohner*innen: 5365 Sozialhilfequote in Prozent: 3,8 Anteil ausländische Bevölkerung in Prozent: 25,6 Anzahl Vereine: 45
Der Weg nach Seon führt zwischen Wiesen und Feldern hindurch, das alte, verwitterte Zementschild heisst einen willkommen. Der Bahnhof ist nicht viel mehr als eine Verkehrsinsel.
Die Ladenstrasse befindet sich im Unterdorf, neben dem Coiffeur ist die Papeterie eingemietet, am Eingang befestigt ist das Anschlagbrett des Vogel- und Naturschutzvereins mit dem Jahresprogramm. In der Wohnung darüber wohnen Leute, die dem Eishockeyclub Davos zugetan sind, wie die Fahne am Balkon zeigt. Nicht gerade die naheliegendste Verbindung, weder geografisch noch meteorologisch, denn es ist Sommer und heiss. Was sich wahrscheinlich auch auf den Absatz der im Restaurant unten angepriesenen Pouletflügeli auswirkt, trotz der als legendär bezeichneten, aber wenig fantasievoll benannten Pouletsauce. Das Innendekorationsgeschäft bietet neben Vorhängen und einer Polsterei auch einen speziellen Bequemsattel für Motorräder an, eine schnittige Rennmaschine ziert das Schaufenster. Ein erfolgversprechendes Produkt angesichts der zahllosen älteren, über- gewichtigen Motorradfahrer (in dieser Konstellation fast ausschliesslich Männer), die zu dieser Jahreszeit über die Bergstrassen knattern, unbeeindruckt vom steigenden Benzinpreis.
Zwischen Metzgerei und Drogerie hängt eine dieser Holztafeln, die von der Geburt einer Tochter künden. Das Kind ist inzwischen bald zwei Jahre alt, als Symboltier wurde die Schildkröte gewählt. Einem anderen Kind, einem Buben, ist eine Micky-Maus gewidmet und ein riesiger violetter BMW in Frontansicht. Eine Minnie-Maus trägt den Namen eines Kindes, das inzwischen eingeschult wurde. Ein Bänklein steht einsam auf einem Kiesplatz, dahinter ein junger Baum, der seinen schmalen Schatten in die falsche Richtung wirft. Auf der Wiese stehen eine verrostete Druckpresse und ein Turm, von dem einst ganz viele Drähte abgingen, die Halterungen sind noch da, die Drähte verschwunden, trotzdem herrschen noch Hochspannung und Lebensgefahr.
Im Sternenkeller darf man rauchen, der MS Möbeloutlet hingegen steht leer, dafür gibt es ein kleines Brockenhaus, das Betriebsferien hat. In Seon können nicht nur Briefe und Pakete auf dem Postweg versandt werden, der Postweg lässt sich auch begehen und führt zum «flow life center», wo Yoga und Reiki praktiziert werden.
Die etwas verlassen wirkende Bäckerei bietet türkische Spezialitäten an, aber auch Butterzöpfe, die müssen allerdings vorbestellt werden.
Zur Saison passt das Schaufenster des grossen Sportgeschäfts, in dem Standup-Paddles stehen, nicht weit von hier befindet sich der Hallwilersee, an dem sich vermutlich ein Teil der Dorfbevölkerung befindet, um der Hitze zu entfliehen. Ausserdem bietet das Geschäft Wanderausrüstung an und wie es aussieht, eine grosse Auswahl an knielangen sogenannten Freizeithosen in allen Farben sowie natürlich Laufschuhe, denn bald findet der Staufberglauf statt. Wer sich dabei verletzt oder überanstrengt, kann sich gleich nebenan in der Physiotherapie kurieren lassen.
STEPHAN PÖRTNER
Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist.