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Der Tod durch tausend

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Der Tod durch tausend kleine Schnitte

Meine lieben Schwestern,

ich danke Euch für Euer bewegendes Gespräch. Ich schliesse mich Eurer Hoffnung an, dass mehr Menschen hier und überall ihre Stimme gegen Rassismus erheben werden. Wie die queer-feministische Dichterin Audre Lorde uns auf brillante Weise ermutigt hat: Sprecht laut, denn «Euer Schweigen wird Euch nicht schützen». Ich werde mich auf zwei Themen konzentrieren, die in Eurem Gespräch auftauchen, weil sie mit dem zu tun haben, was ich den Tod durch tausend kleine Schnitte nenne, den die meisten People of Color jeden Tag erleiden. Erstens geht es um die Hautfarbe, die von den Rassist*innen als unumstösslicher Beweis für Verschiedenheit angeführt wird. Zweitens die Toxizität der weissen Unschuld und des höflichen Rassismus in der Schweiz und anderswo, wo die meisten Weissen jede Diskussion über ihr rassistisches Verhalten als das Werk von Undankbaren ansehen.

Als eine Erinnerung aus meiner Lebens- und Reisezeit in der Schweiz und in Westeuropa ist mir geblieben, wie sehr sich die Menschen mit ihrer Vorstellung von sich selbst als Weisse identifizieren. Es war ziemlich komisch, traurig und auch ärgerlich, weil sie dieses Weisssein wie eine tödliche Waffe gegen den Rest von uns einsetzten. Ich sage komisch, weil der Anblick des Schwarzen Körpers für kleinliche und grossspurige Rassist*innen ein Zeichen dafür ist, dass hier jemand kommt, der ihre Zeit nicht verdient hat. Als ich neu hier war, wollte ich jemanden zu einem gemeinsamen Mittagessen abholen. Es ist nicht einfach, sich an einem neuen Ort zu orientieren, und so fragte ich ohne Zögern nach dem Weg. Die Frau am Informationsschalter drehte sich zu mir um, als hätte ich dort nichts zu suchen. Ich nannte meinen Namen und sagte ihr, dass ich wegen So-und-so da sei. Während sie mich von oben bis unten musterte, öffnete jemand die Tür und begrüsste mich überschwänglich: «Dr. Charumbira, das war eine wunderbare Präsentation Ihrer Forschung vor ein paar Wochen!» Schlagartig änderte sich das Verhalten der Frau am Schalter. Für sie war ich erst jetzt jemand, ich hatte einen Status sowie einen Titel und war kein Schwarzer Körper mehr in einem Raum, in dem Schwarze Körper normalerweise nicht willkommen waren. Sie tat mir leid, wie viele andere, die sich genauso verhielten. Ich weigere mich, dieses Spiel mitzuspielen, mit dem der Rassismus den Rest von uns vereinnahmen will. Natürlich ist dies eine rassistische Falle, denn Titel wie Dr. oder Prof. haben uns nie viel bedeutet, weil das Bildungssystem die Domäne der (weissen) Kolonisator*innen war. Im südlichen Afrika, wo ich geboren wurde, wurden unsere Väter «hey Boy» und unsere Mütter «you Girl» genannt – als ob es eine Beleidigung wäre, Afrikaner*in zu sein oder eine andere Hautfarbe oder ethnische Zugehörigkeit als die europäische zu haben. Und als unsere Eltern sich wehrten und ihr karges Einkommen dafür einsetzten, uns Kinder zur Schule und Universität zu schicken, damit wir dieselben Titel erwerben konnten, änderten die Nachkommen der Kolonisator*innen das Spiel. Plötzlich spielten Titel und Anrede keine Rolle mehr, wir waren alle gleich. Das funktionierte gut, denn nun konnten sie sich auf ihr Weisssein als Zeichen der Überlegenheit berufen. Für die meisten von uns hatten diese akademischen Titel ohnehin nie viel gezählt, denn wir wussten von unserer eigenen Bedeutung. Schliesslich lebten wir in diesen leuchtenden Schwarzen und Braunen Körpern, welche von der weissen Vorherrschaft als Plattform für Selbstvertrauen und Selbstbestätigung genutzt wurden. Wir hatten auch gesehen, was mit denjenigen unter uns geschah, die sich die weisse Vorherrschaft zu eigen machten und glaubten, ein akademischer Titel könne sie vor den kleinen und grossen Traumata des Schwarzseins in einer auf das Weisssein zugeschnittenen Welt schützen.

Ich möchte auch über die Toxizität der weissen Unschuld nachdenken, eine bösartige Form des Rassismus, die die Luft, die wir atmen, vergiftet und uns dazu bringt, unser Selbstverständnis infrage zu stellen, gleich wo wir auf diesem Planeten leben. Weisse Menschen fragen oft, warum Migrant*innen nicht in ihren Ländern bleiben. Dabei hat das ausbeuterische «weisse kapitalistische Patriarchat» doch dieses System von Besitzenden und Nichtbesitzenden geschaffen – um einen Ausspruch der unnachahmlichen verstorbenen bell hooks zu zitieren. So ist die Schweiz berühmt für ihre Schokoladen- und Kaffeeexporte. Aber wir fragen uns nicht, wie das globale kapitalistische System das Leben, den Lebensunterhalt und die natürliche Umwelt derjenigen ausbeutet, die gezwungen sind, ihre Wälder, Flüsse, Wüsten und Ozeane zu zerstören. Es sind diese Länder, aus denen die Migrant*innen kommen, Länder, in denen despotische Regierungen die Ausbeutung ihrer eigenen Seelen und der Ressourcen ihres Landes für Gewinne zulassen, die schliesslich auf Schweizer oder OffshoreKonten landen. So deprimierend dies alles erscheinen mag, ich wäre nachlässig, wenn ich die Arbeit nicht erwähnen würde, die geleistet wird, um das Tabu des alltäglichen und strukturellen Rassismus in der Schweiz zu brechen. Unter ihnen sind Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Praktiker*innen, von denen einige an der Konferenz «Race and Racism: Putting Switzerland on the Map» waren, die diesen Sommer von der Graduate School of Gender Studies der Universität Bern und dem Departement für Geschichte der Universität Freiburg veranstaltet wurde. Ausserdem gibt es in der Schweiz Bla*Sh, ein von Schwarzen Frauen und Schwarzen Queer-Personen gegründetes Netzwerk. Ich hoffe, Ihr findet in ihnen eine gute Begleitung auf dem Weg zur wahren Befreiung.

In Verbundenheit.

ZVG

FOTO: RURAMISAI CHARUMBIRA, Historikerin und Dichterin, lebt und arbeitet seit Kurzem nicht mehr in der Schweiz, sondern in Kanada. Der Text wurde bersetzt aus dem Englischen. ruramisaicharumbira.com/blog

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