Meine lieben Schwestern
Wieso es wichtig ist, die Stimme gegen Rassismus zu erheben. Seite 8
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Editorial
In Worte fassen
Zwei Schwarze Frauen reden ĂŒber Rassis mus. Es geht um Begegnungen, um Blicke, Bemerkungen. Um Alltag. Die Frauen verwenden dabei Worte wie «White Fragility» oder «Otherness». Das hört sich nach Theorie an, Critical Whiteness Studies etwa können an der Uni gelehrt werden. Manchmal habe ich den Verdacht, dass es dieser akademische Zugang ist, von dem sich einige in Diskussionen ĂŒber Rassismus ĂŒberfordert fĂŒhlen.
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Das GesprÀch in diesem Heft zeigt, dass die theoretisch geprÀgten Begriffe helfen, persönlich Erlebtes in historische, kulturelle und soziologische ZusammenhÀnge einzuordnen. Worte zu haben ist wichtig, um die eigene Position und die der Mitmenschen in dieser Welt zu verste hen, ab Seite 8.
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Mit Àhnlicher Absicht haben wir in den letzten Monaten ein PhÀnomen benannt, das unsere Gesellschaft zunehmend prÀgt: die Auslagerung von Arbeiten mit gerin
gem Sozialprestige. Wir haben diese ArbeitskrÀfte in unserer Serie, die in die sem Heft zum Abschluss kommt, «die Unsichtbaren» genannt. Sie arbeiten da, wo niemand hinschaut, unter meist schlechten Bedingungen, ab Seite 18.
In Worte fassen. Das machen auch Manifeste und Resolutionen. Feantsa, der Dachverband europÀischer Organisationen, die mit Obdachlosen arbeiten, hat eine «Allgemeine ErklÀrung der Obdachlosenrechte» herausgegeben. Eine Absichts erklÀrung, der sich alle StÀdte in Europa anschliessen können, ab Seite 14. Um was es immer wieder geht: die Gleichbe handlung von Menschen mit und ohne Wohnung. Etwas in Worte zu fassen, sich zu etwas zu bekennen, ist ein wichtiger Schritt.
4 Aufgelesen 5 Vor Gericht Festung Europa in Dietikon 6 VerkĂ€ufer*innenkolumne Hoher Anspruch: Kolumne ins GlĂŒck 7 Die Sozialzahl Von der Hilflosenzur BetreuungsentschĂ€digung
8 Rassismus «Welche Menschen zĂ€hlst du zur Norm?» 13 Der Tod durch tausend kleine Schnitte 14 Obdachlosigkeit Wohnraum als SchlĂŒsselfaktor 16 Allgemeine ErklĂ€rung der Obdachlosenrechte
18 Die Unsichtbaren Erfahrungen eines Erntehelfers 22 Die Unsichtbaren â eine Analyse 24 Kultur Interview mit Stephan Pörtner
26 Veranstaltungen 27 Tour de Suisse Pörtner am Dreispitz in Basel 28 SurPlus Positive Firmen 29 Wir alle sind Surprise Impressum Surprise abonnieren
30 Surprise-PortrĂ€t «Im Moment fĂŒhlt es sich hier gut an»
Auf g elesen News aus den 100 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 LÀndern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.
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Unrueh
Wir sind viele
In Lateinamerika gibt es Strassenzeitungen seit ĂŒber zwanzig Jahren. Die Projekte in Brasilien, Argentinien, Mexiko und Kolumbien sowie in Uruguay und Peru leisten alle ihren Beitrag bei der UnterstĂŒtzung von Menschen, die von Obdachlosigkeit, Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen sind. Hier berichten sie in ihren eigenen Worten ĂŒber ihre Arbeit und die GrĂŒnde fĂŒr ihre Existenz.
1âââââOcas, SĂŁo Paulo, Brasilien
Das Magazin wird ausschliesslich von Freiwilligen produziert (Redaktion, Journalismus, Fotografie, Layout und Design), die sich virtuell zu Redak tionskonferenzen treffen. Berichtet wird vor allem ĂŒber kulturelle Veran staltungen sowie ĂŒber soziale und politische Themen wie LGBTQI+, Ob dachlosenrechte und Rassismus.
2âââRevista Traços, BrasĂlia, Brasilien
Traços gibt es seit sieben Jahren. Das Magazin ist als Kulturzeitschrift be kannt. Durch den Verkauf von Traços finden die VerkĂ€ufer*innen einen Weg aus der extremen Armut heraus und sie schaffen es, selbst fĂŒr grundle gende Ausgaben wie Wohnung, Nah rung und Gesundheit aufzukommen.
3âââAurora da Rua, Salvador, Brasilien
Mehr als 350 Obdachlose haben be reits auf verschiedene Weise von Aurora da Rua profitiert, nicht nur finanziell. Es geht auch um Selbst wertgefĂŒhl, Arbeitstraining, Autono mie, Selbstvertrauen sowie medizi nische und psychologische Gutachten. Das Projekt hĂ€lt sich an einen Verhal tenskodex, der von den ersten VerkĂ€ufer*innen ausgearbeitet wurde, jedes Jahr von ihnen selbst aktualisiert wird und in der Zeitschrift zusammen mit einem PortrĂ€t in jeder Ausgabe veröffentlicht wird.
4âââMi Valedor, Mexico-City, Mexiko
... erscheint alle vierzehn Tage und bietet Obdachlosen, Migrant*innen, Àlteren Erwachsenen und Menschen mit Behinderungen eine Chance zur sozialen und beruflichen Wieder eingliederung.
5âââHecho en Bs. As., Buenos Aires, Argentinien
Die Zeitschrift ist fĂŒhrend, was Um weltthemen betrifft. Weitere Themen schwerpunkte sind die lokale Wirt schaft, Menschenrechte und Kultur. Das Magazin bietet Menschen die Möglichkeit, ein Einkommen zu erzielen, ist aber auch ein Lernumfeld und stellt einen Rahmen fĂŒr soziale Beziehungen zur VerfĂŒgung.
Vor Gericht
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Festung Europa in Dietikon
Der Fall ist Routine: Ein abgewiesener Asyl suchender, der gestohlen hat. Einer der Tausenden von Menschen aus dem globa len SĂŒden, deren Reise aus der Perspektivlosigkeit in einer ebenso ausweglosen Si tuation endet. Der Fall wird im abgekĂŒrzten Verfahren erledigt. Das heisst, die Anklage schrift ist zugleich Urteilsvorschlag. Sie be steht vorwiegend aus Listen von gestohle nen GegenstĂ€nden. Der Richter prĂŒft die Personalien des Beschuldigten: Er ist 23, in diesem FrĂŒhjahr von Deutschland in die Schweiz eingereist, eigentlich um seinen Bruder zu besuchen. Seit 167 Tagen sitzt er im vorzeitigen Strafvollzug. «In zehn Tagen werde ich sechs Monate in U Haft gewesen sein», sagt der junge Mann. Er sei jetzt ein anderer Mensch geworden. Insbesondere habe er mit den Medikamenten aufgehört, von denen er abhĂ€ngig war. Schön, sagt der Richter.
Es geht um fĂŒnf AnklagevorwĂŒrfe: zwei EinschleichdiebstĂ€hle, Diebstahl eines Rucksacks aus einem unverschlossenen Auto und Diebstahl einer Gleitsichtbrille. UnĂŒblich ist der letzte Anklagepunkt: Der Beschuldigte hat ein iPhone 7 gefunden, das jemand auf einer Parkbank liegenge lassen hat â und den Fund nicht der Polizei gemeldet. Gut zu wissen: Wer etwas findet, das den Wert von 10 Franken ĂŒbersteigt, ist zur Meldung verpflichtet.
FĂŒr die DiebstĂ€hle stehen 13 Monate bedingt im Raum, fĂŒr das Unterlassen der Anzeige des Fundes eine Busse von 300 Franken. Zudem, erklĂ€rt ihm der Richter,
soll ein Landesverweis von fĂŒnf Jahren aus gesprochen werden und die Ausschreibung im Schengener Informationssystem. Der Beschuldigte nickt, sei er einverstanden.
«Aber haben Sie wirklich verstanden?», hakt der Richter nach. Das bedeute, dass es ihm nicht möglich sein wird, in den Schen genraum einzureisen. Wo er denn gedenke hinzugehen? Nach Italien, antwortet der Migrant.
Darauf der GerichtsprĂ€sident: «Wenn Sie ausgeschrieben werden und nirgends einen Aufenthaltstitel haben, werden Sie Europa verlassen mĂŒssen. Wohin gehen Sie?» Zusammen kommen sie darauf, dass der junge Mann als Automechaniker gear beitet hat, in Bosnien. Ob er nicht dort wie der anheuern könnte, fragt der Richter. Denn: Bosnien ist nicht im Schengenraum.
Das Schlusswort des jungen Mannes ist eine Entschuldigung, «von tiefstem Her zen», wie er sagt. Er habe Gewissensbisse.
Das Gericht erhebt den Vorschlag der Staatsanwaltschaft zum Urteil. Es gesteht dem Verurteilten zu, dass er ĂŒber knappe finanzielle Mittel verfĂŒgt. Er sei «ein Eng passtĂ€ter», kein Profi. Sondern einer, der ertappt wurde, weil er eine EnergydrinkDose am Tatort vergessen hatte. Anderer seits habe er regelmĂ€ssig gestohlen, die Deliktsumme belaufe sich auf immerhin 12 000 Franken. Und: «Sie sind in ein Haus eingedrungen. Was hĂ€tten Sie getan, wenn jemand da gewesen wĂ€re?» Auch den Vor wurf «Nichtanzeigen eines Fundes» lĂ€sst das Gericht gelten.
WÀhrend die Dolmetscherin die Worte des Richters wiedergibt, wischt sich der Mann verstohlen eine TrÀne aus dem Auge. Was wohl in ihm vorgeht?
YVONNE KUNZ ist Gerichtsreporterin in ZĂŒrich.
VerkÀufer*innenkolumne
Hoher Anspruch: Kolumne ins GlĂŒck
V: Hallo Lieblingskundin!
K: Hallo LieblingsverkÀufer!
V: Wie kann man Ihnen eine Freude bereiten?
K: Mit einem guten Surprise-Artikel!
V: Trifft sich gut! Ich schreibe Kolumnen! Was ist ein guter Artikel?
K: Einer, der dem Ohr schmeichelt und obendrauf nĂŒtzt.
V: NĂŒtzt?
K: Ja, einer, der vom Sinn erzÀhlt in dieser sinnentfremdeten Zeit.
V: Naja, ich willâs versuchen. Sie sind etwas Ă€lter als ich, Lieblings kundin. Sie habenâs weit mehr im Griff. Ich kann da nur auf einen Knopf drĂŒcken bei Ihnen.
K: Ich bin gespannt.
V: Meine Kolumne mĂŒsste handeln von der Ewigkeit des Lebens. Und davon, dass alle zu etwas ganz Individuellem werden: Ganz eigene Leidenschaften, FĂ€higkeiten entwickeln. Wichtig find ich, dass wir bis zum letzten Atemzug daran meisseln. Wie die Schriftstelle rin Erika Burkart und auch mein Vater, die sich beide mit letzter Kraft vom Bett zum Stuhl kĂ€mpften, um spĂ€te Worte abzufassen.
K: Klingt wie eine Berufung â genĂŒgt das fĂŒrs höchste GlĂŒck?
V: Wahrscheinlich nicht. Die Liebe istâs, die alles trĂ€gt. Ich denke zunĂ€chst an die Liebe zum Du, die aus Zwei Eins
machen kann. Und an die Liebe als letztem Band zum Leben â die der Liebe als ziehendes Band ins Jenseits entspricht.
NICOLAS GABRIEL, 58, verkauft Surprise an der Uraniastrasse, zmitts im ZĂŒrcher Chueche. Seinem Schatz (nicht zu ver wechseln mit der Lieblingskundin) verdankt er wichtige Impulse fĂŒr den Text.
Die Texte fĂŒr diese Kolumne werden in Workshops unter der Leitung von Surprise und Stephan Pörtner erarbeitet. Die Illustration zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern â Design & Kunst, Studienrichtung Illustration.
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Von der Hilflosenzur BetreuungsentschÀdigung
Die HilflosenentschĂ€digung (HE) ist eine wenig bekannte Sozialversicherung, die jene erhalten, die bei alltĂ€glichen Lebensverrichtungen regelmĂ€ssig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter oder auf persönliche Ăberwachung angewiesen sind. Die massgeblichen alltĂ€glichen Lebensverrichtungen betreffen sechs Bereiche: Ankleiden und Auskleiden; Aufstehen, Absitzen und Abliegen; Essen; Körperpflege; Verrichten der Notdurft; Fortbewegung. Dazu kommt bei der Invalidenversicherung (IV) die lebenspraktische Begleitung, die eine Verwahrlosung verhindern und den Ăbertritt in eine Klinik oder in ein Heim vermeiden soll. HilflosenentschĂ€digungen kennen die Invali den und die Unfallversicherung (UV) sowie die AHV. Unter schieden wird zwischen schwerer, mittelschwerer und leichter Hilflosigkeit. Erstaunlicherweise differieren die Geldleistungen je nachdem, ob diese im Rahmen der IV, UV oder der AHV ge sprochen werden, obwohl auf dieselben rechtlichen Grundlagen Bezug genommen wird. Ăltere Menschen erhalten deutlich weniger Geld als beeintrĂ€chtigte oder verunfallte Menschen.
Die HE weist einige Besonderheiten auf. Sie stellt eine Geld leistung dar, die sich ausschliesslich am Grad der Hilflosigkeit bemisst und weder Einkommen noch Vermögen berĂŒcksich tigt. Diese Geldleistung ist an keine Zweckbestimmung gebun den. Die gesprochenen Mittel können frei verwendet werden, also auch zu einer bescheidenen Abgeltung von UnterstĂŒt zungsleistungen, die Angehörige erbringen. Sie können aber auch gespart werden. Bevor jemand eine HE bekommt, gilt
eine Karenzfrist von einem Jahr, in der dauerhaft eine gesund heitliche EinschrĂ€nkung und Hilflosigkeit beobachtet werden muss. Zentral ist die AbklĂ€rung der Hilflosigkeit durch Fachpersonen. Der Ermessensspielraum, insbesondere bei Ă€lteren Personen, ist gross. Die rechtlichen HĂŒrden fĂŒr den Bezug von HE sind sehr hoch. Gerade bei Ă€lteren oder schwer erkrank ten Menschen kommt es immer wieder vor, dass die Mittel zu spĂ€t fliessen.
Die Frage steht darum im Raum, ob die HE nicht zu einer Ent schĂ€digung fĂŒr Betreuungsleistungen umgestaltet werden sollte. DafĂŒr mĂŒssten die Voraussetzungen fĂŒr den Bezug der Geldleistungen erleichtert und zudem auf psychosoziale As pekte ausgeweitet werden. Die materielle UnterstĂŒtzung sollte fĂŒr alle gleich hoch sein und den tatsĂ€chlich notwendigen Aufwendungen angepasst werden. Schliesslich wĂ€re auch die Karenzfrist zu kĂŒrzen (mit der Annahme der «AHV 21» wurde diese fĂŒr Ă€ltere Menschen auf ein halbes Jahr reduziert). Auch heikle Fragen wie die BerĂŒcksichtigung von Einkommen und Vermögen und eine Zweckbestimmung stehen im Raum. Hier könnten Mittel freigespielt werden fĂŒr jene, die auf Betreuung angewiesen sind, sich diese aber nicht leisten kön nen. Das sind nicht nur armutsbetroffene Menschen, son dern auch viele, die zur unteren Mittelschicht gezĂ€hlt werden.
PROF. DR. CARLO KNĂPFEL ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule fĂŒr Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.
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Unfallversicherung (UV)
Invalidenversicherung (IV)
Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV)
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«Schweizer*innen sind nicht offen rassistisch, aber Taten sprechen lauter als Stimmen.» Clementina Nneka Magli (rechts) und Khayrah.
«Welche Menschen zÀhlst du zur Norm? Und welche nicht?»
Rassismus Zwei Frauen. Die eine arbeitet als Reinigungskraft, die andere an der UniversitĂ€t. Ein GesprĂ€ch ĂŒber Rassismus in der Schweiz.
TRANSKRIPTION LEA STUBER FOTOS MINA MONSEFAls das GesprĂ€ch zu Ende ist, tauschen sie als Erstes ihre Tele fonnummern aus. Clementina Nneka Magli und Khayrah, die eigentlich anders heisst und anonym bleiben möchte, kannten sich nicht, reden aber seit der BegrĂŒssung vor eineinhalb Stun den auf Englisch miteinander, als seien sie alte Freundinnen. «My sister!» Wenn die eine lacht, stimmt die andere ein. Sie pflich ten einander bei â «yes, yes, yes», «exactly» â und manchmal sprechen beide gleichzeitig, nicht weil sie der anderen das Wort abschneiden wollen, vielmehr weil sie genau wissen, wovon die andere spricht.
In der Schweiz darf keine Person «wegen ihrer Rasse» dis kriminiert werden. Das steht in der Bundesverfassung (Artikel 8), es steht auch im Strafgesetzbuch (Artikel 261 bis). Trotz der expli ziten ErwĂ€hnung von «Rasse» im Gesetz ist diese Kategorie im gesellschaftlichen und öffentlichen Leben der Schweiz «weitge hend abwesend». Das schreiben die Herausgeber*innen von «Un/ Doing Race», einem neuen Sammelband ĂŒber Rassismus und Rassifizierung in der Schweiz. Ăber Rassismus in den Strukturen und im Alltag wird noch immer vor allem eines: geschwiegen. Erst seit der «Black Lives Matter»-Bewegung ertönen in der Schweiz mehr und mehr Stimmen, die von Rassismus erzĂ€hlen.
Was haben diese zu erzĂ€hlen? Was erfahren wir, wenn wir Clementina Nneka Magli und Khayrah zuhören? Spielt es fĂŒr die Erfahrungen etwa eine Rolle, in welchem Bereich der Gesellschaft man sich bewegt? Ich, die weisse Journalistin, höre fĂŒr einmal einfach zu und versuche auszuhalten, dass ich damit konfrontiert werde, Teil einer rassistischen Gesellschaft zu sein. Auf dem Tisch liegen einzig KĂ€rtchen mit Stichworten von verschiedenen Le
bensbereichen. UrsprĂŒnglich war geplant, dass auch die in Sim babwe geborene Historikerin und Dichterin Ruramisai Charum bira Teil des GesprĂ€chs wird. Da sie aber in der Zwischenzeit, nach knapp sechs Jahren in der Schweiz, nach Kanada gezogen ist, hat sie sich in einem Brief an Clementina Nneka Magli und Khayrah gewandt (siehe Seite 23).
Clementina: Als ich neu in der Schweiz lebte, machte ich hier den FĂŒhrerschein. Da fragte mich mein Fahrlehrer: Deinen nigerianischen FĂŒhrerschein, hast du den gekauft? Was fĂŒr eine Frage! Er gab mir das GefĂŒhl, dass ich aus dem Busch kĂ€me. Du sollst, sagte er, nicht wie in Nigeria fahren, du musst wie eine Schweizerin fahren. Und bei meiner Arbeit kann ich das Haus noch so gut putzen âeinmal etwa fragte eine Kundin bei der Agentur nach ei ner anderen Reinigungskraft. Ich fand heraus, dass neu eine Frau aus Spanien oder Venezuela bei ihr reinigt. FĂŒr mich war klar: Das ist wegen meiner Hautfarbe. Schwei zer*innen sind nicht offen rassistisch, aber Taten sprechen lauter als Stimmen.
Khayrah: An der ETH ist den Leuten schon bewusst, wie skandalös es wĂ€re, wenn etwas als rassistisch angesehen wĂŒrde. Aber natĂŒrlich habe ich auch viele verrĂŒckte Dinge erlebt. So oft haben Menschen das GefĂŒhl, besser Bescheid zu wissen, nur weil ich eine andere Hautfarbe habe. Ein mal war ich mit meiner Tochter im Schwimmbad. Dort ging ich nicht in die Familien-, sondern in die Frauenum kleide mit den Einzelkabinen â ich mag es nicht, nackte
MĂ€nner zu sehen. Als mein Baby weinte, kam eine Ă€ltere Frau in meine Umkleidekabine und sagte, dass die Fami lienumkleide weiter vorne sei. Ich war nicht die einzige Frau mit Kind, aber die einzige, die sie ansprach. Die Frau sah, dass ich Schwarz bin. Und dachte wohl: Die spricht sicher kein Deutsch, ist Analphabetin, vielleicht Migrantin. Sie kann bestimmt keine Schilder lesen. Und als wĂ€re es nicht schon genug, mich zurechtzuweisen, ist sie auch noch in meine PrivatsphĂ€re, in die Umkleidekabine ein gedrungen. Ein anderes Beispiel: Wenn ich als Akademi kerin an einer Konferenz teilnehme, kommt es ziemlich hĂ€ufig vor, dass einige weisse Menschen auf mich herab schauen. Sagen wir, zum Beispiel, eine weisse Person, die erst vergangenes Jahr ihren Doktortitel gemacht hat. Dass ich mehr Jahre professionelle und akademische Erfahrung habe, zĂ€hlt nicht. Sie mĂŒssen es nicht sagen, aber es drĂŒckt durch, was sie denken: Ich bin dieser Person ĂŒberlegen, denn sie ist Schwarz. Auch manchmal, wenn ich unter richte, sehe ich die Ăberraschung und das Erstaunen der Student*innen, wenn sie bemerken, dass ich eine Schwarze, weibliche Muslimin bin. Weil ich von der Norm abweiche.
Clementina: Ja, nur weil du «anders» aussiehst. Khayrah: Und wie oft ich im Zug angehalten wurde! Vor wenigen Wochen, als ich in Genf war, kontrollierte eine SBB-Mitarbeiterin mein Billett. Dann fragte sie mich noch nach meiner Aufenthaltsbewilligung. Selbst wenn ich eine illegale Migrantin wÀre, ist es nicht die Aufgabe der SBB-Mitarbeiterin, mich zu kontrollieren, sondern die der SicherheitskrÀfte. Werden etwa Deutsche oder Italie ner*innen im Zug nach ihrer Aufenthaltsbewilligung ge fragt? Nein. Es geht also um die Hautfarbe, nicht wirklich darum, woher man kommt. Das ist rassistisch.
Clementina: Einmal bin ich nach Deutschland gefahren, um EinkĂ€ufe zu erledigen. Ich wollte meine Ausfuhr scheine abstempeln lassen, und da sollte ich die Identi tĂ€tskarte oder den FĂŒhrerschein zeigen. Weil ich mich von meinem Ex-Mann hatte scheiden lassen, drohte mir da mals die Ausschaffung. Der Fall war aber noch vor Gericht hĂ€ngig, ich hatte zwei Jahre Zeit, um eine neue Aufent haltsbewilligung zu bekommen. Sowieso: Mein FĂŒhrer schein war gĂŒltig. Aber sie haben mich verhaftet! Ich weiss nicht, warum sie mir nicht zuhören wollten. Wenn sie es im System ĂŒberprĂŒft hĂ€tten, hĂ€tten sie gemerkt, dass ich nicht illegal in der Schweiz bin, dass ich nicht kriminell bin. Danach kam mein zukĂŒnftiger Mann â damals war er noch mein Verlobter, ein Schweizer â und ich wurde freigelassen.
Khayrah: Es ist ein VerdrĂ€ngen, ein Sich-nicht-konfron tieren-Wollen. Wenn wir in Vorlesungen und Seminaren ĂŒber Rassismus sprechen, sage ich den Student*innen, dass diese GesprĂ€che sehr unangenehm werden können. Dann fragen Schwarze Student*innen: Warum mĂŒssen wir mit weissen Menschen so vorsichtig umgehen? Warum mĂŒssen wir uns entschuldigen? Es bereitet mich auch niemand darauf vor, dass ich auf der Strasse angeschaut werde und mir so stĂ€ndig bewusst gemacht wird, dass ich anders bin. Dass ich Afrikanerin bin. Ausserhalb Europas ist mir gar nicht bewusst, dass ich Schwarz bin. Es ist die
Khayrah, hast GlĂŒck, mit deinem Beruf an der Uni passiert dir das nicht.»
CLEMENTINA NNEKA MAGLI, 52, lebt seit 2015 in Regensdorf und arbeitet als Reinigungskraft fĂŒr die Kooperative AutonomĂa. Zuvor lebte sie 35 Jahre in Nigeria und je fĂŒnf Jahre in London und Dublin. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.
hiesige White Fragility, die einen denken lĂ€sst: Wir mĂŒs sen diplomatisch sein, wenn wir mit Weissen ĂŒber Rassis mus sprechen. Aber wenn wir es umdrehen, merken wir, dass das keinen Sinn ergibt. Niemand ist diplomatisch, wenn sie oder er fragt: Woher kommst du? Niemand ist diplomatisch, wenn sie im Schwimmbad an deine Um kleidekabine klopft. Viele weisse Menschen sagen dann: Aber ich wollte nicht rassistisch sein. Das war nicht meine Absicht. Oder: So etwas wĂŒrde ich nie tun. Nur weil du es nicht so gemeint hast, heisst nicht, dass es nicht rassis tisch war. Ob jemand beabsichtigt rassistisch zu sein oder nicht, ist nicht die Frage. Wie du dich damit fĂŒhlst, was passierte â darum geht es. Und wenn dir eine Schwarze Person sagt, dass etwas rassistisch ist, verurteilt sie dich nicht als Mensch insgesamt. Sie sagt nicht, dass du ein schlechter Mensch bist. Sie weist dich auf eine Handlung von dir hin, die sie fĂŒr unangebracht hĂ€lt.
Clementina: Einmal holte mich ein Schweizer von der Arbeit ab, er wollte mich nach Hause fahren â ich dachte, wir wĂ€ren Freund*innen. Wir unterhielten uns, irgend wann fragte er mich: Woher kommst du? Als er Nigeria hörte, hielt er das Auto an. Er forderte mich auf, aus dem Auto zu steigen. Er dachte, ich kĂ€me aus Brasilien. Ein nigerianischer Mann, erzĂ€hlte er, habe seine Ex-Frau ge tötet. Aber bin ich diese Person â ein nigerianischer Mann? Nein! Manche Menschen benehmen sich nicht, wenn sie eine Schwarze Person sehen. Ich weiss nicht, wie man am besten reagieren wĂŒrde. Bei Rassismus sind wir alle auf uns allein gestellt. Du, Khayrah, hast GlĂŒck, mit deinem Beruf an der Uni passiert dir das nicht. Khayrah: Doch. Es geht nicht darum, was wir tun oder wer wir sind. Nicht darum, wo in der Gesellschaft wir ste hen, wie lange wir schon hier sind oder wie gut wir Schweizerdeutsch sprechen. Rassismus wird uns alle tref fen. Als ich mein Baby bekam, habe ich es im Spital auf dem Arm gewiegt (hĂ€lt mit ihren HĂ€nden ein imaginĂ€res Baby an der Schulter und bewegt ihren Oberkörper sanft).
«Du,
Eine Ă€ltere Pflegerin sagte mir: Wissen Sie, das macht man nicht mit Neugeborenen. In Ihrer Kultur denkt man vielleicht, dass das in Ordnung sei, aber das ist es nicht. Mein Mann, ein Schweizer, wurde so wĂŒtend (lacht). Mir ist es nicht einmal aufgefallen â ich hatte gerade ein Kind geboren und war noch völlig woanders. Wer ist sie, dass sie sagt, die Kultur einer anderen Person sei schlecht? Nur weil Schweizer*innen es nicht tun, heisst das nicht, dass es schlecht ist. Ein weiterer Punkt: Meine Tochter sieht sehr weiss aus. Alle sagen stĂ€ndig, wie sĂŒss sie sei.
Es geht nicht darum,
Glossar
Critical Race Theory geht von der Annahme aus, dass Rassismus tief in den Strukturen und im System moderner Gesellschaften verwurzelt ist. Systemischer Rassismus muss daher auf institutioneller, kontextueller und individueller Ebene untersucht werden.
Race bezeichnet, anders als der deutsche Begriff «Rasse», nicht biologische Differenzen zwischen Menschen, sondern Prozesse sozialer Zuschreibung sowie die dynamische Herstellung von MachtverhÀltnissen.
KHAYRAH (NAME GEĂNDERT), 33, lebt seit 2018 in ZĂŒrich und arbeitet an der ETH ZĂŒrich als Senior Lecturer. Sie lebte 28 Jahre in einem afrikanischen Land und ein Jahr in Deutschland. Sie ist verheiratet, hat eine Tochter und möchte lieber anonym bleiben.
Clementina: Das liegt an der Hautfarbe. Khayrah: Ja! Ich glaube nicht, dass es um ihr Gesicht geht. Der Punkt ist: Sie sieht anders aus, als man es erwartet, wenn man mich sieht. Sollte ich jemals gefragt werden, ob ich wirklich ihre Mutter bin, dann werde ich durchdre hen. Das Othering passiert in den Köpfen. Von welcher Norm gehst du aus? Welche Menschen zÀhlst du dazu? Und welche nicht?
Clementina: Ja, es geht um die Haltung, die jemand hat. In London ging ich einmal einkaufen. Ein weisser Junge, vier oder fĂŒnf Jahre alt, fragte: Mami, Mami, ist das ein schwarzer Affe? Er meinte mich. Ich konnte es nicht glau ben! Und wenn er erwachsen ist, wie wird er die Welt dann sehen?
Khayrah: In der Schule wird den Kindern beigebracht, dass Christoph Kolumbus Amerika entdeckt hat. Ăber die Menschen, denen Kolumbus dort begegnete, sprechen sie nicht. Den Kindern wird immer noch beigebracht, dass der Kolonialismus den Schwarzen Menschen, den Afrika ner*innen gute SpitĂ€ler gebracht hat. Und dass deswegen die Kinder- und MĂŒttersterblichkeit abgenommen hat. Ihnen wird nicht beigebracht, wie viele Schwarze Men schen durch die Sklaverei und den Kolonialismus starben. Selbst in akademischen Kreisen versuchen weisse Men schen den Kolonialismus, die Wurzel des Rassismus, zu
Critical Whiteness Studies gehen von der Annahme aus, dass weisse Menschen von sozialen, ökonomischen und kulturellen Privilegien profitieren, die rassifizier ten Menschen vorenthalten bleiben. Weisssein stellt demnach eine dominante Weltsicht dar, die als universell gilt und auch fĂŒr rassifizierte Menschen be stimmend ist.
Othering stammt vom englischen «other» oder «otherness» (dt. «anders» oder «andersartig»). Der Begriff beschreibt die Abgrenzung einer Gruppe («wir») von einer anderen («die Anderen»), wobei die nicht eigene Gruppe als von der Norm abweichend begriffen wird.
Postcolonial Studies machen auf die historische Dimension von Race und Rassismus aufmerksam und zeigen ZusammenhÀnge zwischen gegenwÀrtigen Formen des Rassismus und der Geschichte von Kolonialismus, transatlantischem Sklavenhandel oder Rassenforschung auf.
Schwarz ist eine poli tische Selbstbezeichnung, hervorgegangen aus den KĂ€mpfen fĂŒr Selbstbestim mung der US amerikani schen BĂŒrger*innenrechtsbewegung und von Menschen afrikanischer Herkunft. Er bezieht sich nicht auf eine Hautfarbe, sondern auf eine gemein same Position in der Gesellschaft und damit auf gemeinsame Erfahrungen, und wird bewusst gross geschrieben.
Weiss beschreibt (wie Schwarz) nicht eine Haut farbe, sondern ist ein politischer Begriff, der den Zugang zu Macht benennt. Um dies zu markieren, wird weiss kursiv gesetzt. Eines der Privilegien des Weissseins besteht darin, sich nicht mit Rassismus auseinandersetzen zu mĂŒssen.
White Fragility (dt. weisse Zerbrechlichkeit) meint Abwehrhaltungen von weissen Menschen, wenn sie mit Rassismus konfrontiert werden. Das sind etwa GefĂŒhle wie Wut, Angst oder Schuld oder Verhal tensweisen wie Rechtferti gungsreflexe, Schweigen oder Davonlaufen.
«Doch.
was wir tun oder wer wir sind. Rassismus wird uns alle treffen.»
rechtfertigen. Um sich selber nicht schlecht fĂŒhlen zu mĂŒssen, sagen manche: Wir bedauern zwar die Ăbel, die der Kolonialismus verursacht hat. Aber wir hoffen, dass die guten Dinge, die weisse Menschen eingefĂŒhrt haben âetwa ElektrizitĂ€t oder Technologie â, alles âŠ
Clementina: ⊠abdecken. Oder einander die Waage halten. Khayrah: Genau! Was vergleichen wir hier miteinander? Die Menschen, denen man das angetan hat, leiden noch heute. Wenn weisse Menschen nicht erkennen, dass wir ein strukturelles Problem haben, wird es nicht gelöst werden. Wir brauchen politische Entscheidungen und einen institutionalisierten Prozess, um strukturellen Rassismus zu ĂŒberwinden. Und es sollten nicht nur die Weissen sein, die darĂŒber reden, wie die Lösungen aus sehen könnten. Wenn weisse Menschen interessiert an einer Lösung sind, sollten sie nicht auf ihre eigenen Ge fĂŒhle und Absichten hören. Man muss den Menschen zuhören, die Rassismus erleben.
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Clementina: So ist es. Zwei Jahre habe ich am Flughafen ZĂŒrich als Reinigungskraft gearbeitet. Als ich neu war, zeigte mir jemand, wo ich mein Auto nachts gratis parken kann â alle können dort gratis parken. ZufĂ€lligerweise parkte ich auf dem Platz, den ein Mann als seinen per sönlichen betrachtete, sein Freund wurde wĂŒtend auf mich. Wir sind, fanden sie, schon seit zwanzig Jahren am Flughafen. Und wann ist sie gekommen? Wer ist sie ĂŒber
haupt? Wie kann sie ihr Auto hier parken? Da parkt eine Schwarze Frau auf unserem Parkplatz, und das ist ein Problem. Sie hofften, dass unser Chef mich entlassen wĂŒrde. Doch er entliess mich nicht. Ich bin seit siebzehn Jahren in Europa, und ich werde hier bleiben. Ob sie es gut finden oder nicht. Ich akzeptiere es nicht, rassistisch behandelt zu werden. Ich verstecke mich nicht, ich erhebe meine Stimme. Denn auch wir sind Schweizerinnen. Wenn der Mann vom Parkplatz mich nicht mag, ist das in Ord nung. Aber ich mag mich, weisst du?
Un/Doing Race, Rassifizierung in der Schweiz. Jovita dos Santos Pinto, Pamela Ohene Nyako, MĂ©lanie PĂ©trĂ©mont, Anne Lavanchy, Barbara LĂŒthi, Patricia Purtschert, Damir Skenderovic (Heraus geber*innen), 2022, Seismo Verlag. Open Access: kostenloser pdf Download auf seismoverlag.ch
Bei der Arbeit und beim Einkaufen, bei Behörden, im Zug, beim Sport oder im Spital: Rassismus begegnet Khayrah und Clementina Nneka Magli ĂŒberall.
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Der Tod durch tausend kleine Schnitte
Meine lieben Schwestern,
ich danke Euch fĂŒr Euer bewegendes GesprĂ€ch. Ich schliesse mich Eurer Hoffnung an, dass mehr Menschen hier und ĂŒber all ihre Stimme gegen Rassismus erheben werden. Wie die queer-feministische Dichterin Audre Lorde uns auf brillante Weise ermutigt hat: Sprecht laut, denn «Euer Schweigen wird Euch nicht schĂŒtzen». Ich werde mich auf zwei Themen konzentrieren, die in Eurem GesprĂ€ch auftauchen, weil sie mit dem zu tun haben, was ich den Tod durch tausend kleine Schnitte nenne, den die meisten People of Color jeden Tag erleiden. Erstens geht es um die Hautfarbe, die von den Rassist*innen als unumstösslicher Beweis fĂŒr Verschiedenheit angefĂŒhrt wird. Zweitens die ToxizitĂ€t der weissen Unschuld und des höflichen Rassismus in der Schweiz und anderswo, wo die meisten Weissen jede Diskussion ĂŒber ihr rassistisches Verhalten als das Werk von Undankbaren ansehen.
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Als eine Erinnerung aus meiner Lebens- und Reisezeit in der Schweiz und in Westeuropa ist mir geblieben, wie sehr sich die Menschen mit ihrer Vorstellung von sich selbst als Weisse identifizieren. Es war ziemlich komisch, traurig und auch Ă€rgerlich, weil sie dieses Weisssein wie eine tödliche Waffe gegen den Rest von uns einsetzten. Ich sage komisch, weil der Anblick des Schwarzen Körpers fĂŒr kleinliche und grossspurige Rassist*innen ein Zeichen dafĂŒr ist, dass hier jemand kommt, der ihre Zeit nicht verdient hat. Als ich neu hier war, wollte ich jemanden zu einem gemeinsamen Mittagessen abholen. Es ist nicht einfach, sich an einem neuen Ort zu orientieren, und so fragte ich ohne Zögern nach dem Weg. Die Frau am Infor mationsschalter drehte sich zu mir um, als hĂ€tte ich dort nichts zu suchen. Ich nannte meinen Namen und sagte ihr, dass ich wegen So-und-so da sei. WĂ€hrend sie mich von oben bis unten musterte, öffnete jemand die TĂŒr und begrĂŒsste mich ĂŒber schwĂ€nglich: «Dr. Charumbira, das war eine wunderbare PrĂ€sentation Ihrer Forschung vor ein paar Wochen!» Schlagartig Ă€nderte sich das Verhalten der Frau am Schalter. FĂŒr sie war ich erst jetzt jemand, ich hatte einen Status sowie einen Titel und war kein Schwarzer Körper mehr in einem Raum, in dem Schwarze Körper normalerweise nicht willkommen waren. Sie tat mir leid, wie viele andere, die sich genauso verhielten. Ich weigere mich, dieses Spiel mitzuspielen, mit dem der Rassismus den Rest von uns vereinnahmen will. NatĂŒrlich ist dies eine rassistische Falle, denn Titel wie Dr. oder Prof. haben uns nie viel bedeutet, weil das Bildungssystem die DomĂ€ne der (weissen) Kolonisator*innen war. Im sĂŒdlichen Afrika, wo ich geboren wurde, wurden unsere VĂ€ter «hey Boy» und unsere MĂŒtter «you Girl» genannt â als ob es eine Beleidigung wĂ€re, Afrikaner*in zu sein oder eine andere Hautfarbe oder ethnische Zugehörigkeit als die europĂ€ische zu haben. Und als unsere Eltern sich wehrten und ihr karges Einkommen dafĂŒr einsetz ten, uns Kinder zur Schule und UniversitĂ€t zu schicken, damit wir dieselben Titel erwerben konnten, Ă€nderten die Nachkommen der Kolonisator*innen das Spiel. Plötzlich spielten Titel und Anrede keine Rolle mehr, wir waren alle gleich. Das
funktionierte gut, denn nun konnten sie sich auf ihr Weisssein als Zeichen der Ăberlegenheit berufen. FĂŒr die meisten von uns hatten diese akademischen Titel ohnehin nie viel gezĂ€hlt, denn wir wussten von unserer eigenen Bedeutung. Schliesslich lebten wir in diesen leuchtenden Schwarzen und Braunen Körpern, welche von der weissen Vorherrschaft als Plattform fĂŒr Selbstvertrauen und SelbstbestĂ€tigung genutzt wurden. Wir hatten auch gesehen, was mit denjenigen unter uns geschah, die sich die weisse Vorherrschaft zu eigen machten und glaubten, ein akademischer Titel könne sie vor den kleinen und grossen Traumata des Schwarzseins in einer auf das Weisssein zugeschnittenen Welt schĂŒtzen.
Ich möchte auch ĂŒber die ToxizitĂ€t der weissen Unschuld nachdenken, eine bösartige Form des Rassismus, die die Luft, die wir atmen, vergiftet und uns dazu bringt, unser Selbstver stĂ€ndnis infrage zu stellen, gleich wo wir auf diesem Planeten leben. Weisse Menschen fragen oft, warum Migrant*innen nicht in ihren LĂ€ndern bleiben. Dabei hat das ausbeuterische «weisse kapitalistische Patriarchat» doch dieses System von Besitzenden und Nichtbesitzenden geschaffen â um einen Ausspruch der unnachahmlichen verstorbenen bell hooks zu zitieren. So ist die Schweiz berĂŒhmt fĂŒr ihre Schokoladen- und Kaffeeexporte. Aber wir fragen uns nicht, wie das globale kapitalistische System das Leben, den Lebensunterhalt und die natĂŒrliche Umwelt derjenigen ausbeutet, die gezwungen sind, ihre WĂ€lder, FlĂŒsse, WĂŒsten und Ozeane zu zerstören. Es sind diese LĂ€nder, aus denen die Migrant*innen kommen, LĂ€nder, in denen despotische Regierungen die Ausbeutung ihrer eigenen Seelen und der Ressourcen ihres Landes fĂŒr Gewinne zulassen, die schliesslich auf Schweizer oder OffshoreKonten landen. So deprimierend dies alles erscheinen mag, ich wĂ€re nachlĂ€ssig, wenn ich die Arbeit nicht erwĂ€hnen wĂŒrde, die geleistet wird, um das Tabu des alltĂ€glichen und strukturel len Rassismus in der Schweiz zu brechen. Unter ihnen sind Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Praktiker*innen, von denen einige an der Konferenz «Race and Racism: Putting Switzerland on the Map» waren, die diesen Sommer von der Graduate School of Gender Studies der UniversitĂ€t Bern und dem Departement fĂŒr Geschichte der UniversitĂ€t Freiburg veranstaltet wurde. Ausserdem gibt es in der Schweiz Bla*Sh, ein von Schwarzen Frauen und Schwarzen Queer-Personen gegrĂŒndetes Netzwerk. Ich hoffe, Ihr findet in ihnen eine gute Begleitung auf dem Weg zur wahren Befreiung.
In Verbundenheit.
RURAMISAI CHARUMBIRA, Historikerin und Dichterin, lebt und arbeitet seit Kurzem nicht mehr in der Schweiz, sondern in Kanada. Der Text wurde bersetzt aus dem Englischen. ruramisaicharumbira.com/blog
«VerfĂŒgbarkeit von Wohnraum ist ein SchlĂŒsselfaktor»
Obdachlosigkeit Feantsa-Direktor Freek Spinnewijn appelliert an Politiker*innen, ĂŒber ihre Amtsperioden hinauszudenken. FĂŒr die Abschaffung von Obdachlosigkeit brauche es Durchhaltevermögen.
INTERVIEW SARA WINTER SAYILIRFreek Spinnewijn, warum braucht es eine Allgemeine ErklÀrung der Rechte der Obdachlosen?
Freek Spinnewijn: Wir wollten als zentrale Idee dahinter zeigen, dass die Kriminali sierung von Strassenobdachlosen nicht funktioniert. Sie ist teuer, ineffizient und löst das Problem nicht. Und wir wollten eine Debatte anstossen â in der Politik, aber auch innerhalb und zwischen sozialen Institutionen. Erstmals hat eine Organisa tion in Los Angeles vor mehr als zehn Jah ren eine solche ErklĂ€rung verfasst.
Hat die ErklÀrung eine Debatte ausgelöst?
Mancherorts ja, auch unter unseren Mit gliedern. Ich wĂŒrde es als ersten kleinen Erfolg der ErklĂ€rung bezeichnen, dass die Bestrafung und Kriminalisierung von Strassenobdachlosigkeit von unseren Mit gliedern als Problem erkannt wurde. Und einige StĂ€dte â knapp fĂŒnfzig â haben sich dem Aufruf angeschlossen.
Sie schreiben im Zusatzmaterial zur ErklÀrung, dass die Kriminalisierung und Bestrafung von Strassenobdachlosigkeit in Europa wieder zunehme. Wie kommt es, dass das Europaparlament gleichzeitig vom Ziel der Abschaffung der Obdachlosigkeit bis 2030 spricht?
Es existieren eine Menge WidersprĂŒche und Unstimmigkeiten im politischen Um gang mit Obdachlosigkeit. In den meisten LĂ€ndern gibt es ein grosses Interesse an Housing First, gleichzeitig werden die Not schlafstellen ausgebaut â wĂ€hrend auch noch Verfolgung und Kriminalisierung zu nehmen. Das hat auch damit zu tun, dass die Politik in diesem Bereich auf verschie denen Ebenen agiert: Die Kriminalisierung findet oft auf lokaler Ebene statt, wĂ€hrend Housing-First-AnsĂ€tze eher auf regionaler und nationaler Ebene erarbeitet werden. Zudem passiert die Kriminalisierung von
Strassenobdachlosigkeit hÀufig aus einem grundlegenden MissverstÀndnis von Ob dachlosigkeit heraus.
Und das wĂ€re? Kriminalisierung geht oft davon aus, dass Obdachlose auf der Strasse leben wollen, dass sie stören wollen und die Menschen nerven wollen. Das ist ganz offensichtlich falsch. Denn Obdachlosigkeit wird durch strukturelle Faktoren bedingt und braucht demzufolge strukturelle LösungsansĂ€tze âwobei die VerfĂŒgbarkeit von Wohnraum ein SchlĂŒsselfaktor ist. Lokale Politiker*in nen und Behörden durchschauen das nicht immer bis ins Detail.
Gibt es weitere SchlĂŒsselfaktoren? NatĂŒrlich gibt es auch eine Verbindung mit dem Thema Migration. In Europa kann man beobachten, dass die im Freien ĂŒber nachtende Bevölkerung zunehmend Migrant*innen sind: Menschen aus der EU, Fahrende, abgelehnte Asylbewerber*innen. FĂŒr Sans-Papiers wĂ€re der einzige Weg, sie
in die Gesellschaft zu integrieren, ihnen einen Aufenthaltstitel zu geben. Solange sie kein Aufenthaltsrecht haben, mĂŒssen sie in NotunterkĂŒnften oder auf der Strasse leben. In Skandinavien kann man sehen, dass die Kriminalisierung von Obdachlo sigkeit klar auf Migrant*innen abzielt.
Vermutlich befassen sich hĂ€ufig verschie dene Ministerien oder Behörden mit Obdachlosigkeit oder mit Migration. Richtig. Es gibt schon ein Bewusstsein da fĂŒr, dass Migration auch im Bereich Ob dachlosigkeit ein Faktor ist, aber der Poli tikbereich Obdachlosigkeit wird noch nicht als feste Grösse im Bereich Migration an gesehen. Auch nicht auf europĂ€ischer Ebene.
Wie gross ist der Faktor Migration im Bereich Obdachlosigkeit?
ZĂ€hlt man die Menschen in den Notschlaf stellen und die Strassenobdachlosen zu sammen, kommt man in den meisten eu
«Das Problem in Schweiz wÀre lösbar»
ropĂ€ischen LĂ€ndern auf eine Verteilung von etwa 50 Prozent OrtsansĂ€ssige und 50 Pro zent Migrant*innen. Das ist seit etwa 2015/16 der Fall. Vorher war diese Vertei lung nur in SĂŒdeuropa gegeben. Der Ein fluss der Migration auf die Obdachlosigkeit hat sich ĂŒberall erhöht. Nur Osteuropa ist eine Ausnahme, dort stellt Obdachlosigkeit immer noch fast kein Problem dar.
Hat Ihr Dachverband der Organisationen fĂŒr Obdachlose denn Ideen, wie damit umzugehen ist?
In Bezug auf Lösungen versuchen wir in erster Linie darauf hinzuwirken, dass die Mitgliedsstaaten das EU-Recht einhalten. Zum Beispiel gibt es in meinem Heimat land Belgien Hunderte Asylsuchende, die keinen Zugang zu NotunterkĂŒnften haben. Das ist gegen das Gesetz. Also fĂŒhren wir Prozesse gegen Belgien und die Nieder lande, um diese Situation zu Ă€ndern. Auch Sans-Papiers sollten regulĂ€ren Zugang zu NotunterkĂŒnften haben. Von den langfris tigen Debatten aber halten wir uns fern, weil es auch innerhalb von Feantsa keinen Konsens beispielsweise zum Thema Regu larisierung gibt.
Viele Betroffene sind ja auch EU-Binnen migrant*innen, zum Beispiel Fahrende. Das ist nochmal eine andere Frage: Hier mĂŒsste die EU Verantwortung ĂŒberneh men, FreizĂŒgigkeit ist ein EU-Recht. Doch die EU verschliesst die Augen davor, dass es Tausende, ja Zehntausende EU-BĂŒr
in der lösbar»
ger*innen gibt, die als Obdachlose in einem anderen EU-Land leben. Dabei könnte EURecht allen BĂŒrger*innen den Zugang zu NotunterkĂŒnften zusichern. Ich verstehe nicht, warum dies nicht beschlossen wird.
Zwischen der EU-Gesetzgebung auf supranationalem Level und den kommu nalen Hilfsangeboten ist eine riesige Distanz: Ein Beschluss auf EU-Ebene braucht wahrscheinlich ewig, bis er auf die lokale Ebene heruntergebrochen wird. Auf lokaler Ebene ist das Problem meist, dass die Umsetzung der Gesetze oft viel komplizierter ist, als von den Gesetzge ber*innen beabsichtigt. Wir mĂŒssen mit den lokalen Behörden VerstĂ€ndnis haben. Ausserdem ist der Faktor Zeit absolut es senziell. Um Obdachlosigkeit signifikant zu reduzieren, braucht es Durchhaltever mögen. Die Politiker*innen mĂŒssen ĂŒber ihre Amtszeiten hinausdenken. In Finn land brauchte es zwanzig Jahre konsisten ter Wohnraumpolitik, um dorthin zu kom men, wo sie jetzt sind. Das sind in den meisten LĂ€ndern im Schnitt fĂŒnf Politik mandate!
Manche StĂ€dte in der Schweiz haben entschieden, die Notschlafstellen auch fĂŒr Sans-Papiers zu öffnen. Jedoch ergibt sich daraus keine Perspektive fĂŒr eine Ver besserung der Lebenslage der Betroffenen. Das ist ĂŒberall so. Es ist keine Lösung des Problems, aber man verhindert das Schlimmste. Die einzige Lösung wĂ€re, die sen Menschen einen legalen Aufenthalt zu ermöglichen oder aber sie auf nachhaltige Art und Weise zurĂŒckzuschicken â sofern das ĂŒberhaupt möglich ist. Ausserdem kostet es viel Geld, abgelehnte Asylbewer ber*innen oder EU-Migrant*innen ĂŒber Jahre auf der untersten Stufe im Hilfssys tem zu halten, weil man die Anzahl der PlĂ€tze kontinuierlich erhöhen muss.
Finnland mit seinem Housing-FirstAnsatz wird oft als erfolgreiches Modell fĂŒr die Abschaffung von Obdachlosigkeit prĂ€sentiert. Ist das eine LĂŒge? Schliess-lich haben Sans-Papiers und EU-Migrant*innen in der Regel keinen Zugang zu Housing First. Bevor Sie es als LĂŒge bezeichnen, mĂŒsste man vielleicht erst einmal zurĂŒckfragen: Wer hat denn die LĂŒge verbreitet? Es ist definitiv nicht die Finnland. Ich habe noch keine finnische Person sagen hören, sie hĂ€tten die Obdachlosigkeit abgeschafft.
Das ist interessant!
Finnland hat gerade erst eine neue Strate gie verabschiedet, in der das Ende der Ob dachlosigkeit auf 2027 angepeilt wird. Sie stecken viel Geld und Ressourcen hinein und die neue Wohnungsministerin enga giert sich immens. Sie konnten die Not schlafstellen-PlĂ€tze auf ein absolutes Mi nimum reduzieren. Das ist beeindruckend. Aber es ist wahr: In LĂ€ndern wie Finnland und DĂ€nemark gehören die Themenberei che Immigration und Obdachlosigkeit zu verschiedenen Systemen. Sans-Papiers und Migrant*innen tauchen nicht im Sys tem der BekĂ€mpfung der Obdachlosigkeit auf. Den oder die Politiker*in, die*der mir sagt, lass uns Housing First fĂŒr Sans-Pa piers machen, muss ich erst noch treffen. In Finnland oder DĂ€nemark wird diese Frage gar nicht gestellt.
FĂŒr wen ist dann Housing First? Housing First will die Lage von Langzeit obdachlosen mit komplexen BedĂŒrfnissen verbessern. Nicht alle Obdachlosen haben komplexe BedĂŒrfnisse â manche brauchen einfach nur Wohnraum. Wir mĂŒssen nuan ciert ĂŒber Housing First reden, sonst ste cken wir zu viele falsche Erwartungen hi nein und machen das Konzept kaputt.
Die Schweiz ist nicht Teil der EU, liegt aber mittendrin. Könnten Schweizer StĂ€dte wie Basel, Bern, ZĂŒrich oder Genf die allgemeine ErklĂ€rung der Obdachlosenrechte ebenfalls ratifizieren? NatĂŒrlich. Es ist ein sehr praxisorientiertes Dokument; vieles davon ist einfach umzu setzen. Es ist nicht schwer, auf die Vertrei bung obdachloser Menschen aus öffentli chen Parks zu verzichten. Das Problem ist in der Schweiz nicht so gross, dass es nicht lösbar wĂ€re.
FREEK SPINNEWIJN aus Belgien ist seit 2001 Leiter von Feantsa (FĂ©dĂ©ration EuropĂ©enne des Associations Nationales Travaillant avec les Sans-Abri). Der 1989 gegrĂŒndete Dachverband vereint als europĂ€isches Netzwerk ĂŒber 120 Organisa tionen aus 30 LĂ€ndern, die mit Obdach losen arbeiten. feantsa.org
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Die Allgemeine ErklÀrung der Obdachlosenrechte
Seit 2017 können StÀdte die ErklÀrung ratifi zieren, die Feantsa und andere Menschenrechts organisationen erarbeitet haben.
Vielerorts in Europa werden die Massnahmen gegen Ob dachlose und sichtbare Armut im öffentlichen Raum ver schĂ€rft: sei es mittels architektonischer Umbauten, die das Schlafen im öffentlichen Raum verunmöglichen, oder mittels hĂ€rterem Vorgehen gegen Bettler*innen. Gleich zeitig hat sich das EU-Parlament vorgenommen, bis 2030 die Obdachlosigkeit abzuschaffen. Unbeabsichtigte Gleichzeitigkeit oder zwei Seiten derselben Medaille? Geht es bei der AbsichtserklĂ€rung des EU-Parlaments denn auch um die Rechte derer, die mitten unter uns in bitterer Armut leben mĂŒssen? Um die EntscheidungstrĂ€ger*innen daran zu erinnern, dass auch und gerade fĂŒr Obdachlose dieselben Menschenrechte gelten wie fĂŒr alle anderen BĂŒrger*innen, hat Feantsa â der Dachverband der euro pĂ€ischen Organisationen, die mit Obdachlosen arbeiten âin Zusammenarbeit mit anderen Menschenrechtsorgani sationen eine «ErklĂ€rung der Menschenrechte fĂŒr Obdachlose» erarbeitet. Sie basiert auf bereits existieren den Menschenrechten und soll als Aufruf verstanden wer den, den besonders SchutzbedĂŒrftigen mehr Aufmerk samkeit zu widmen. WIN
Artikel 2 Das Recht auf Zugang zu NotunterkĂŒnftenangemessenen Kann eine Wohnlösung nicht sofort zur VerfĂŒgung gestellt werden, mĂŒssen Obdachlose Zugang zu einer angemessenen Notunterkunft haben. Die Stadtregierung verpflichtet sich, mit den zustĂ€n digen Behörden zusammenzuarbeiten, um sicher- zustellen, dass genĂŒgend NotunterkĂŒnfte fĂŒr ausnahmslos alle zur VerfĂŒgung stehen. Niemand soll gezwungen sein, auf der Strasse zu schlafen.
Artikel 3
Das Recht, den öffentlichen Raum zu nutzen und sich darin frei zu bewegen Obdachlose Menschen sollten ohne EinschrĂ€nkun gen das gleiche Recht wie alle anderen haben, den öffentlichen Raum zu nutzen und sich darin frei zu bewegen. Dazu gehört unter anderem der Aufenthalt auf Gehwegen, in öffentlichen Parks, in öffentlichen Verkehrsmitteln und in öffentlichen GebĂ€uden. Es gelten die gleichen Bedingungen wie fĂŒr alle anderen Bewohner*innen des Stadtgebiets. Auch fĂŒr das Ausruhen im öffentlichen Raum sollen die gleichen Regeln fĂŒr alle gelten â ohne zusĂ€tz liche EinschrĂ€nkungen fĂŒr Obdachlose.
Artikel 1
Das Recht, die Obdachlosigkeit hinter sich zu lassen Das wichtigste Recht einer obdachlosen Person ist es, die Obdachlosigkeit hinter sich lassen zu können. Die Projekte, die angemessene Wohnlösun gen bereitstellen, mĂŒssen ausnahmslos allen Obdachlosen zugĂ€nglich sein. In Zusammenarbeit mit anderen Behörden setzt sich die Stadtregierung dafĂŒr ein, dass genĂŒgend Wohnungen zur VerfĂŒgung stehen, um den Bedarf zu decken.
Das Recht auf Gleichbehandlung Die Stadtregierung verpflichtet sich, dafĂŒr zu sorgen, dass ihre eigenen Mitarbeiter*innen und Dienste das Recht auf Gleichbehandlung fĂŒr alle einhalten, ohne diskriminierende EinschrĂ€nkungen gegenĂŒber jenen, die keine Wohnung haben.
Artikel 4
Das Recht auf eine Postadresse Obdachlosen werden hĂ€ufig alle möglichen Rechte auf dem Arbeitsmarkt und bei der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen verweigert, weil sie keine Postanschrift angeben können. Die Stadtre gierung verpflichtet sich, den Menschen, die obdachlos sind und diese Hilfe benötigen, eine Post adresse zur VerfĂŒgung zu stellen.
Artikel 5
Artikel 6
Das Recht auf Zugang zu grundlegenden sanitÀren Einrichtungen
Wenn die Stadtregierung nicht in der Lage ist, geeignete Dienstleistungen innerhalb einer Unterkunft bereitzustellen, verpflichtet sie sich, in jedem Fall das Recht auf Zugang zu grundlegenden sanitĂ€ren Einrichtungen zu gewĂ€hrleisten: fliessendes Wasser (Trinkbrunnen), Duschen und Toiletten, die ein Mass an Hygiene ermöglichen, wie es fĂŒr die Wahrung der MenschenwĂŒrde unabdingbar ist.
Artikel 7
Das Recht auf Notdienste Das Recht auf die Inanspruchnahme von Notdiens ten â Sozialdienste, Gesundheitsdienste, Polizei und Feuerwehr â zu den gleichen Bedingungen wie fĂŒr alle anderen Bewohner*innen der Stadt, ohne Diskriminierung aufgrund der Wohnsituation oder des Aussehens eines Menschen.
Artikel 8
Das Recht zu wÀhlen
Das Recht zu wÀhlen, in das WÀhlerverzeichnis eingetragen zu werden und bei Wahlen die not wendigen Dokumente zum Nachweis der IdentitÀt zu erhalten, ohne wegen der Wohnsituation diskriminiert zu werden.
9
Das Recht auf Datenschutz
Die Daten von Obdachlosen sollen von öffentlichen und anderen Diensten nur mit deren Zustimmung und nur in Zusammenhang mit sie betreffenden Dienstleistungen und Lösungen weitergegeben werden dĂŒrfen. Obdachlose haben das gleiche Recht wie andere BĂŒrger*innen auf Kontrolle ĂŒber ihre persönlichen Daten, insbesondere ĂŒber ihre Gesundheitsdaten, ihr Strafregister (falls sie eines haben), ihre Wohnsituation, ihr Privatleben und ihre Familiengeschichte.
8
Artikel 10
DasRechtaufPrivatsphÀre
Artikel 11
Das Recht, im Rahmen des Gesetzes so zu handeln, dass ein Ăberleben auf der Strasse möglich ist Auch wenn die Stadtregierung eine Stadt anstrebt, in der spezifisches Handeln wie Betteln oder das Durchsuchen von AbfĂ€llen nicht mehr not wendig ist, muss gleichzeitig anerkannt werden, dass Menschen, die keine andere Möglichkeit haben, UnterstĂŒtzung bei anderen Menschen suchen, betteln und AbfĂ€lle durchsuchen. Solche Ăberlebenspraktiken sollen nicht kriminalisiert, verboten oder willkĂŒrlich auf bestimmte Gebiete beschrĂ€nkt werden.
von UnterkĂŒnften, einschliesslich Gemeinschafts- unterkĂŒnften und informellen UnterkĂŒnften, in denen Obdachlose leben, so weit wie möglich respektiert und geschĂŒtzt werden. Die Stadtregierung setzt sich dafĂŒr ein, dass dieses Recht in allen NotunterkĂŒnften gewahrt wird. 6 7 11
Seit ihrer EinfĂŒhrung 2017 wurde die «ErklĂ€rung der Menschenrechte fĂŒr Obdachlose» von folgenden StĂ€dten ratifiziert: Barcelona, MĂłstoles und Santiago de Com postela in Spanien, Maribor, Slovenj Gradec, Kranj und Murska Sobota in Slowenien, GdaĆsk in Polen, Villeurbanne in Frankreich, Brighton und Hove in Grossbritannien und Thessaloniki in Griechenland. Auch Schweizer StĂ€dte können sich der ErklĂ€rung anschliessen, bisher ist die Schweiz bei Feantsa nicht vertreten. housingrightswatch.org/billofrights feantsa.org
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Serie: Die Unsichtbarenâ Wer sind die Menschen, an welche die Schweizer Mittelschicht immer mehr Arbeiten dele giert? Und wieso tut sie das?
Eine Artikelreihe ĂŒber neo-feudale Strukturen und ihre HintergrĂŒnde.
Kamils letzte Kartoffel
Seit vielen Jahren kommt der Pole Kamil W. in die Schweiz, um Obst und GemĂŒse zu ernten. Er arbeitet viel, verdient wenig. Und sagt sich: Lieber das als nichts.
TEXT KLAUS PETRUS FOTO DANIEL SUTTERAuf den Werbeplakaten der Grossverteiler sieht man ihn nicht. Dort pflĂŒcken Schweizer Landwirte Tomaten, die BĂ€uerinnen schneiden Salate, alle schauen zufrieden, die Sonne lacht. Auch im 1500-Seelen-Dorf im Berner Seeland hat man ihn kaum ge sehen in all den Jahren â dreizehn, um genau zu sein. So lange reist Kamil W.* aus Polen zweimal im Jahr in die Schweiz und hilft Bauer Michael H.* bei der Obst- und GemĂŒseernte.
Dabei hatte er mit Ăpfeln und Kartoffeln nicht viel am Hut. Fast zwanzig Jahre arbeitete Kamil W. als Mechaniker, er war in den 1980ern Teil von SolidarnoĆÄ, einer selbstverwalteten Ge werkschaft, die aus der Streikbewegung hervorging und dann unter dem spĂ€teren StaatsprĂ€sidenten Lech Wa sa massgeblich an der Revolution 1989 beteiligt war. AnfĂ€nglich euphorisch, ge hörte Kamil W. spĂ€ter zu denen, die den Preis zahlen mussten fĂŒr die marktwirtschaftlichen Reformen, auf die sich sein Land einliess: Nach der Privatisierung des Unternehmens, fĂŒr das er so viele Jahre gearbeitet hatte, verlor er mit Ende dreissig â er war jetzt Vater von drei Kindern â Knall auf Fall seinen Job. Zwei Jahre war er arbeitslos, dann fuhr er als Fernfahrer quer durch Europa. «Damals musste sich meine Familie daran gewöhnen, dass ich immer wieder fort bin, manchmal Wochen, oft Monate.»
Dann, das war 2009, erfuhr Kamil W. per Zufall ĂŒber ein In serat, dass in der Schweiz dringend Erntehelfer*innen benötigt wĂŒrden. Er reiste hin, arbeitete eine Saison lang bei Bauer Mi chael H. auf den Feldern, der Chef passte ihm, die Arbeit auch, und er kam wieder und wieder.
In der Regel ist Kamil W. im FrĂŒhjahr fĂŒr zwei Monate im Seeland und dann wieder ab September fĂŒr weitere drei Monate. Die Arbeit sei eintönig, die Tage ebenso, sagt der Erntehelfer: «Morgens um halb sechs Uhr ist Tagwacht, um sechs werden wir â ein Dutzend MĂ€nner, die meisten Polen â von einem klei nen Bus abgeholt. Dann fahren wir auf die Felder, beginnen mit der Arbeit, sortieren zum Beispiel Kartoffeln. Um neun gibt es eine kurze Pause, dann wieder Kartoffeln. Mittagessen ist pĂŒnkt lich um zwölf, ohne Ausnahme. Gegessen wird vor Ort, nur bei schlechtem Wetter gehtâs zurĂŒck auf den Bauernhof. Meist sind
wir nach einer halben Stunde wieder bei den Kartoffeln. Norma lerweise arbeiten wir bis halb sechs, oft aber auch lĂ€nger.» Je nach Wochentag â Bauer Michael H. bringt immer dienstags und sams tags sein GemĂŒse und Obst auf den Dorfmarkt â kann es sein, dass Kamil W. zehn Stunden arbeitet. Im Schnitt kommt er auf 50 bis 55 Stunden die Woche.
3300 Franken kriegen Erntehelfer*innen dafĂŒr im Monat, das ist so etwas wie der Richtlohn in einer Branche, die vergleichs weise unreguliert ist. TatsĂ€chlich unterliegt die Schweizer Land wirtschaft bis heute nicht dem Arbeitsgesetz; mithin gibt es auch keinen Gesamtarbeitsvertrag. Was die Arbeitszeiten angeht, un terscheiden sich die NormalarbeitsvertrĂ€ge von Kanton zu Kan ton. So betrĂ€gt die Maximalarbeitszeit im Kanton Genf 45 Stun den die Woche, im Kanton Glarus dagegen 66 Stunden. Von den 3300 Franken werden fast 1000 fĂŒr Kost und Logis abgezogen, dazu kommen Telefonrechnungen und Reisekosten â im Fall von Kamil W. betragen sie aufs Jahr gesehen bis 700 Franken, wĂ€h rend Corona kamen 400 fĂŒr PCR-Tests dazu. Rechnet man die Ausgaben auf einen durchschnittlichen Monatslohn um, so ver dient Kamil W. noch 2200 Franken, macht auf 55 Arbeitsstunden pro Woche einen Stundenlohn von 10 bis 12 Franken.
Hohe Marge
«Könnte mehr sein, ja. Aber ich will nicht klagen», sagt Kamil W. dazu.
Und Bauer Michael H. meint: «Klar wĂŒrde ich Kamil gerne mehr bezahlen. Aber eben.»
Wenn Michael H. ausholt und ĂŒber die VerĂ€nderungen in der Schweizer Landwirtschaft wĂ€hrend der letzten Jahrzehnte refe riert, so ist der «Bauer aus Leidenschaft», wie er sich selbst titu liert, nicht zimperlich. Von «sklavenĂ€hnlichen Arbeitsbedingun gen» redet er â «auch ich rackere 50 Stunden die Woche, habe kaum mal Ferien» â und von «KnĂŒppelvertrĂ€gen», welche die Grossverteiler ihnen aufzwingen und die sie langsam, aber sicher ausbluten liessen. «FrĂŒher bekam der Landwirt von einem Fran ken 60 oder 70 Rappen, heute sind es noch 30; den Rest nehmen
die Detaillisten. Und nun sagen Sie mir: Wie soll ich mit 30 Rap pen auch noch meine Erntehelfer bezahlen können?»
Eine ernĂŒchternde Antwort darauf gibt eine Studie aus Ăs terreich: Von 80 Cent, die ein Bund Radieschen im Supermarkt kostet, gehen 50 Cent an den Grossverteiler â was eine deutlich geringere Marge ist als in der Schweiz â und von den 30 Cent fĂŒr den Landwirt bleiben am Ende noch 3 Cent fĂŒr den Erntehelfer.
Dass Kamil W. im Vergleich zum Durchschnittslohn in der Schweiz â er liegt bei 6600 Franken â so viel arbeiten muss fĂŒr so wenig Geld, ist ihm klar. Auch weiss er um BemĂŒhungen, die Arbeitsbedingungen der Erntehelfer*innen zu verbessern. Im Oktober 2021 ĂŒbergab das Netzwerk «Widerstand am Tellerrand» in Bern und ZĂŒrich eine Petition an die jeweiligen Kantonsregie rungen. Die zentrale Forderung: eine Festlegung der Arbeitszeit fĂŒr Erntehelfer*innen auf 45 Stunden die Woche sowie die Ein fĂŒhrung eines ĂŒber die Kantone hinweg verbindlichen Monats lohns von 4000 Franken.
NatĂŒrlich hĂ€tte Kamil W. nichts dagegen, weniger zu arbeiten und mehr zu verdienen. Doch er hat auch Vorbehalte. «Bisher ist diese Arbeit fĂŒr Einheimische schon wegen des Lohnes unattrak tiv. Was aber, wenn sie dabei mehr verdienen?» Hinter der Frage steht die BefĂŒrchtung, dass Erntehelfer*innen aus Ost- oder SĂŒ deuropa den KĂŒrzeren ziehen und ihre Jobs verlieren wĂŒrden. «Dann lieber das als nichts», sagt Kamil W. und zuckt mit den Schultern.
Wie sehr Michael H. â sein Jahreseinkommen liegt ĂŒbrigens bei 80 000 Franken â von Leuten wie Kamil W. abhĂ€ngig ist, wurde ihm bewusst, als im FrĂŒhjahr 2020 die Corona-Pandemie ein setzte und Erntehelfer*innen namentlich aus Osteuropa, Spanien und Portugal rar wurden. «Ich hatte stattdessen Schweizer*innen angeheuert, Student*innen, Lehrlinge, Arbeitslose, aber vergiss es! Die Arbeit ist hart, und der Lohn fĂŒr hiesige VerhĂ€ltnisse ja wirklich lausig. Kein Wunder, waren sie nach ein paar Tagen alle wieder fort. Und ich in der Patsche.»
Hinterm Bauernhof
Als die Grenzen innerhalb der europĂ€ischen LĂ€nder geschlossen wurden, fehlten also plötzlich genau jene, die in der Landwirt schaft ansonsten gar nicht erst wahrgenommen werden: die rund 30 000 auslĂ€ndischen Erntehelfer*innen allein in der Schweiz âin Italien sollen es 370 000 sein, in Frankreich 200 000 und in Spanien bis 150 000.
Seit Jahren leben Kamil W. und die anderen Erntehelfer hin ter dem prachtvollen Bauernhof von Michael H. in eigens fĂŒr sie hergerichteten Behausungen, die von der Strasse her nicht zu sehen sind. FrĂŒher handelte es sich dabei um eine Art Schopf; heute stehen dort vier Container mit Klappbetten, einem Schrank und einem kleinen Tisch, Toilette und Dusche sind separat â ganz so, wie man es von Asylzentren fĂŒr GeflĂŒchtete kennt.
«Das hat mich nicht wenig gekostet, aber es lohnt sich: Gute Unterkunft verspricht gute Leistung, nicht wahr?», sagt Bauer Michael H. und nickt sich selber zu. FĂŒr ihn sind seine Erntehel fer ein unverzichtbares Kapital, genauso wie es seine Traktoren und all die anderen GerĂ€tschaften sind.
Im Container hinterm Bauernhaus verbringt Kamil W. seine Abende. Die Erntehelfer essen miteinander Znacht, sie trinken ein Bier oder zwei, dann verziehen sie sich in die Container, lö schen frĂŒh das Licht. «Nach solchen Tagen bist du geschafft, da bleibt nicht viel Zeit und Energie fĂŒr anderes.» Mit «anderes»
meint Kamil. W.: ein Kartenspiel, ein GesprĂ€ch ĂŒber Gott und die Welt oder ein wenig Tratsch, ein Spaziergang ins Dorf, ein Nacht essen in der Wirtschaft. Er ist mit seinen 62 Jahren der Ălteste unter den Erntehelfern, was ihm zu schaffen macht. «Die Jungen hĂ€ngen die ganze Zeit am Handy oder haben ihre Kopfhörer an und hören Musik.»
Dass sich Kamil W. ĂŒber die Jahre isoliert hat, entfremdet von seiner Familie und den Freund*innen, ist ihm erst spĂ€t aufgefal len. «Bin ich in der Schweiz, gibt es nichts anderes als RĂŒben, Tomaten, Peperoni, Kohl, Salate oder Kartoffeln. Bin ich zuhause, fĂŒhl ich mich ausgepumpt. Dann bin ich am liebsten fĂŒr mich. Oder ich nehme kleinere Jobs an, fahre Lastwagen, auch da bin ich meist alleine.» Die Kinder seien inzwischen erwachsen, seine zurĂŒckgezogene Art wĂŒrde ihnen gar nicht auffallen. Anders sei ner Frau. Schon manches Mal sei die Ehe auf der Kippe gewesen, sie wollte ihn verlassen. Kamil W. kann ihr das nicht verĂŒbeln. «Ich habe sie zu oft allein gelassen, mit den Kindern, dem Haus halt, mit allem. Aber hatte ich denn eine Wahl?»
Das soll sich jetzt Ă€ndern. Es ist Oktober und bald Schluss mit der Ernte, und zwar endgĂŒltig. «Ich bin ĂŒber sechzig, meine Ge lenke knirschen, die Arbeit wird nicht leichter. Das waren meine letzten Kartoffeln. Jetzt sind meine Söhne dran.» Der eine arbei tet, wie einst Kamil W., als Fernfahrer, der andere hat eine gut bezahlte Stelle bei einem polnischen Unternehmen. Die beiden wĂŒrden ihm und seiner Frau gewiss unter die Arme greifen, soll ten die Rente und das bisschen Ersparte nicht reichen. Vielleicht wird er auch noch den einen oder anderen Auftrag als Fahrer annehmen. «Und ansonsten lege ich endlich die Beine hoch», sagt Kamil W., und in seinem runden Gesicht liegt ein zufriede nes Grinsen.
* Namen geÀndert
Die Unsichtbaren â eine Serie in acht Teilen
â Teil 1/Heft 522: Reinigungspersonal
â Teil 2/Heft 524: Care-Arbeiter*innen
â Teil 3/Heft 526: KlĂ€rwerkfachleute
â Teil 4/Heft 528: Nannys
â Teil 5/Heft 531: Lagerlogistiker*innen
â Teil 6/Heft 535: Gig-Worker
â Teil 7/Heft 537: Serviceangestellte
â Teil 8/Heft 538: Erntehelfer*innen
Wir lagern immer hĂ€ufiger unliebsame oder wenig angesehene Arbeiten an andere aus: Putzen, Ernte, Care-Arbeit, MĂŒllabfuhr. Wir möchten wissen, wer diese Arbeiten verrichtet und unter welchen Bedingungen. Und was dies fĂŒr Folgen hat.
Viel bĂŒcken fĂŒr wenig Lohn
Wir geben immer weniger Geld aus fĂŒr Nahrungsmittel. Die Grossverteiler erzielen dennoch ihre Gewinne. Unter Druck geraten landwirtschaftliche Betriebe und ihre Erntehelfer*innen.
familienexterne ArbeitskrÀfte arbeiteten 2018 auf Schweizer Höfen, davon 11 982 auslÀndische MÀnner und 5667 auslÀndische Frauen. Vermutet werden zusÀtzlich 6000 Sans-Papiers.
Der Graubereich 2020 erzielte der Schweizer Detailhandel einen Rekordumsatz mit Lebensmitteln. Die fehlende Transparenz der fĂŒhrenden GrosshĂ€ndler bezĂŒglich vermuteter Höchstbruttomargen macht jegliche Vergleiche schwierig. Ein Verdacht auf Missbrauch der enormen Marktmacht bleibt weiter bestehen.
177 Einwohner*innen
kommen 2021 in der Schweiz auf einen Landwirtschaftsbetrieb. 47,2 Kilo Kartoffeln wurden 2020 pro Kopf konsumiert. Die Anzahl der grossen Betriebe von ĂŒber 50 Hektar hat sich seit 1985 verfĂŒnffacht.
ein*e BĂ€uer*in an einem Kilo Speisekartoffeln. CHF 2.73 verlangt 2021 der Grosshandel im
Die Unsichtbaren: eine Gesellschaftsanalyse
Es gibt einen Wandel hin zu neo-feudalen Strukturen. Sichtbar ist er in der Arbeitswelt. WĂ€hrend eine berufliche TĂ€tigkeit in der Regel gesellschaftlich anerkannt ist und als wertvoll gilt, haben «unsichtbare» Arbeiten kein Sozialprestige und werden schlecht vergĂŒtet.
TEXT KLAUS PETRUS FOTO DANIEL SUTTEREin oder zwei Klicks, ein Telefonat, ein Formular auf einer Online-Börse, und schon haben wir die Pizza im Haus, ein Buch, eine Reinigungskraft, eine Nanny, einen Hun desitter oder eine Rundumbetreuung fĂŒr unsere erkrank ten Eltern â und können so Arbeiten abgeben, fĂŒr die wir keine Zeit haben oder die wir nicht selber verrichten möchten.
TatsĂ€chlich lagern wir, als Einzelne und als Gesell schaft, immer mehr TĂ€tigkeiten an andere aus. Dieses PhĂ€nomen geht hĂ€ufig damit einher, dass jene, welche diese ausgelagerten Arbeiten ausfĂŒhren, unsichtbar blei ben â sei es, weil sie Schwarzarbeit verrichten, weil sie in Privathaushalten oder zu Randzeiten arbeiten.
Diese unterschiedlichen Facetten waren fĂŒr uns An lass, im Rahmen der achtteiligen Serie «Die Unsichtba ren» drei Fragen nachzugehen: Wieso schieben wir immer mehr Arbeiten ab; wer sind die Leute, welche diese aus gelagerten Arbeiten verrichten; und was macht das mit unserer Gesellschaft? Bedeutet das: Sind wir auf dem Weg zu einer neuen Dienerschaft? Folgende Einsichten haben sich aus unseren Recherchen ergeben.
Zeit ist Geld
Wer Arbeiten auslagert, die sie oder er selber verrichten könnte â Putzen zum Beispiel, Einkaufen oder sich um jemanden KĂŒmmern â, tut dies meist, um Zeit zu sparen. Es ist dies Zeit, welche die betreffende Person anderwei tig einsetzen kann: um sich zu erholen, um ihr Privatleben zu pflegen, um ihren Hobbys nachzugehen oder schlicht, um (noch mehr) zu arbeiten. Letzteres ist, das belegen Studien, sehr hĂ€ufig der Fall. DafĂŒr gibt es verschiedene GrĂŒnde, sie reichen von Prestige bis Ăberforderung. Ein anderer besteht darin, dass wir es zunehmend mit For men der «entgrenzten Arbeit» zu tun haben: Immer mehr Menschen arbeiten von zuhause aus oder haben flexible Arbeitszeiten. Was aber nicht bedeutet, dass sie dadurch mehr Zeit zur VerfĂŒgung hĂ€tten, im Gegenteil.
Offenbar fĂŒhrt diese FlexibilitĂ€t dazu, dass sie sich allzeit bereithalten mĂŒssen, quasi in einer Art Pikettdienst stehen (wie Gig-Worker; Surprise 535). Entsprechend ver wischen sich Arbeits- und Lebenswelten bzw. sie mĂŒssen neu ausbalanciert werden (dafĂŒr gibt es das Modewort «Work-Life-Balance»). Der «flexible Mensch» wird so pa radoxerweise zu einem, der infolge seiner permanenten VerfĂŒgbarkeit immerzu eingespannt ist, kaum Ressourcen
hat und stĂ€ndig in Zeitnot ist. Âč Möglichst alle Arbeiten zu delegieren, was ihm Zeit verschafft, wird unter solchen Bedingungen gewissermassen zur Notwendigkeit.
Ungleiche Wertigkeit
Und doch bleibt ein GefĂ€lle, und das hat auch strukturelle GrĂŒnde: In den allermeisten FĂ€llen werden Arbeiten aus gelagert, von denen man glaubt, sie seien weniger wert als jene Arbeiten, mit denen man sein eigentliches Geld verdient. Ob dies tatsĂ€chlich durchwegs der Fall ist â etwa wirtschaftlich gesehen â, ist fragwĂŒrdig. So oder so wi derspiegelt sich die ungleiche Wertigkeit der Arbeit auch
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in ihrer Entlöhnung: Ausgelagerte, zumal unsichtbare Jobs sind in aller Regel ungleich schlechter bezahlt als jene Ar beiten, um derentwillen sie ausgelagert werden. WĂ€re es andersherum, hĂ€tten vermutlich nur Superreiche und Ade lige ĂŒberhaupt die Möglichkeit, Arbeiten zu delegieren.
PrekÀre Arbeitsbedingungen
Zwar ist es nicht so, dass ausgelagerte sowie unsichtbare Arbeiten grundsĂ€tzlich unter prekĂ€ren Bedingungen ver richtet werden â unser PortrĂ€t eines Angestellten in einer KlĂ€ranlage ist dafĂŒr ein Gegenbeispiel (siehe Surprise 526). Dennoch gilt fĂŒr die meisten FĂ€lle, dass derlei Ar beiten nur deswegen so leicht und gĂŒnstig zu haben sind, weil sie prekĂ€r sind. Damit verbunden sind zwei Punkte, die abermals strukturelle Probleme betreffen: Erstens werden ausgelagerte Arbeiten auch deshalb so breit in Anspruch genommen, weil es nicht genĂŒgend Alternativen gibt; das heisst, es fehlen Angebote, die nicht nur fair ausgestaltet, sondern fĂŒr eine Mehrheit auch be zahlbar sind. An einem Beispiel gezeigt: Solange Alters heime bis 10 000 Franken pro Monat kosten, ist eine 24-Stunden-Care-Betreuung aus Osteuropa fĂŒr 3200 Franken oder weniger fĂŒr viele eine echte, weil ĂŒberhaupt erst erschwingliche Alternative. Was wĂ€re zu tun? Die So ziologin Nicole Mayer-Ahuja sagte dazu im Interview: «Der Staat mĂŒsste hier mehr Angebote zur VerfĂŒgung stellen â Pflegeheime, KitaplĂ€tze etc. â oder bestehende besser unterstĂŒtzen» (Surprise 524).
Zweitens werden viele der ausgelagerten, prekĂ€ren Arbeiten in der Schweiz von Migrant*innen verrichtet; davon sind rund zwei Drittel Frauen (Surprise 522 und 537). Es handelt sich hierbei demnach um TĂ€tigkeiten, die aufgrund von geringem Lohn und niedrigem Ansehen fĂŒr Schweizer*innen kaum von Interesse sind â bisher jeden falls. So dringend das politische BemĂŒhen sein mag, die Bedingungen fĂŒr ausgelagerte Arbeiten zu regulieren ânicht immer sind solche KĂ€mpfe auch im Sinne derer, welche diese Arbeiten ausfĂŒhren mĂŒssen. Auch hierzu ein Beispiel: Im PortrĂ€t ĂŒber einen Erntehelfer aus Polen Ă€u ssert dieser die BefĂŒrchtung, dass die Feldarbeit auch fĂŒr Schweizer*innen an AttraktivitĂ€t gewinnen könnte, sobald sie angemessen entlöhnt wird â was aus seiner Sicht da rauf hinauslĂ€uft, dass seine eigenen Chancen auf den Job sinken (siehe Seite 8).
Soziale IdentitÀt und Vereinsamung
Wer unsichtbare Arbeit verrichtet, versteckt sich â oder wird versteckt. Auch dafĂŒr gibt viele GrĂŒnde. Personen zum Beispiel, die schwarz angestellt sind, haben selbst verstĂ€ndlich kein Interesse, ĂŒber den engen Kreis von Vertrauten hinaus ihre Arbeit zu thematisieren, was be deutet: als Arbeitende kommen sie im Grunde gar nicht vor. Das betrifft nicht bloss die Schwarzarbeit, sondern auch TĂ€tigkeiten, die typischerweise zu Randzeiten ge macht werden (Reinigungsarbeiten; Surprise 522), oder quasi hinter verschlossenen TĂŒren (KĂŒchendienst in Kan tinen; Surprise 537), im Privathaushalt (Care-Arbeit, Kin derbetreuung; Surprise 524 und 528) oder weit weg von den Zentren gesellschaftlichen Treibens (Erntehilfe; Seite
8). Unter diesen UmstĂ€nden reden viele, die ausgelagerte, unsichtbare Arbeiten verrichten, von Vereinsamung, was kaum erstaunt: Wer einer Arbeit nachgeht, die in der öf fentlichen SphĂ€re verrichtet wird und gesellschaftlich anerkannt ist, erhĂ€lt dadurch unzweifelhaft eine soziale Existenz und IdentitĂ€t. Die betreffende Person ist einge gliedert in ein Netz von Beziehungen, wo sie sich (weit ĂŒber die Arbeit hinaus) austauschen kann. NatĂŒrlich ist die Arbeitswelt dafĂŒr nicht der einzige Ort. Doch sie ist unzweifelhaft eine jener Welten, die prĂ€gend sind fĂŒr un sere soziale Eingliederung. FĂ€llt sie weg, muss sie kom pensiert werdenâ oder es besteht die Gefahr, dass Un sichtbarkeit zu sozialer Isolation fĂŒhrt.
Geld ĂŒber alles Sieht man einmal elitĂ€ren Kreisen ab, so wurden viele der heute aus gelagerten Arbeiten frĂŒher selbst verrichtet â die meisten ĂŒbrigens ohne Lohn. Man denke an Haus halts- und Betreuungsarbeiten oder an die Selbstversorgung. Niemand will das Rad der Zeit zurĂŒckdrehen, zumal viele dieser Arbeiten von Frauen verrichtet werden mussten. Sie wurden dadurch in soziale Rol len gedrĂ€ngt («die Hausfrau», «die FĂŒrsorgende»), die sie nachhaltig diskriminiert haben â und bis heute diskriminieren. Dennoch stellt sich die Frage, ob es der richtige Weg ist, alle Formen der Auslagerung wie derum zu «verökonomisieren». ÂČ Offensichtlich ist dies bei der FĂŒrsorge: Wird sie rein öko nomisch definiert und als kapitalistische Dienstleistung organisiert, unterliegt sie gleichermassen dem neolibe ralen Diktat von Angebot und Nachfrage, von EffektivitĂ€t, Nutzen und Zeitersparnis. Damit wird die Sorge-Verant wortung aus dem Sozialen herausgenommen und ins Privatwirtschaftliche geschoben â dies ist die These der Soziologin Sarah Schilliger (Surprise 524). FĂŒr sie lĂ€uft die Monetarisierung von TĂ€tigkeiten, die heute ausgela gert werden, am Ende wiederum auf deren Abwertung hinaus. Stattdessen schlĂ€gt sie vor, Arbeits- und Lebens welten neu zu denken â und zwar so, dass wir genĂŒgend Zeit haben fĂŒr die Aufgaben, die mit unserem Lebensstil einhergehen, und dass wir «ohne Angst vor Erschöpfung, Armut und Renteneinbussen» fĂŒr uns selbst und andere sorgen können.
Der «flexible Mensch» ist immer verfĂŒgbar und stĂ€ndig in Zeitnot.
1 Eine eindringliche Studie ĂŒber den flexiblen Menschen liefert Richard Sennett, «Der flexible Mensch» (Berlin 1998).
2 Der Ausdruck stammt von AndrĂ© Gorz; er hat mit seiner «Kritik der ökonomischen Vernunft» (1988) ein wegweisen des Buch ĂŒber die Auflösung der Trennung von Leben und Arbeit verfasst.
«Pech und GlĂŒck hĂ€ngen auch vom Umfeld ab»
Kultur Der ZĂŒrcher Schriftsteller Stephan Pörtner hat mit «Heimatlos oder Das abenteuerliche Leben des Jakob Furrer von der Halde bei Wald» einen historischen Roman geschrieben, der prĂ€gende soziale Themen aus dem 19. Jahrhundert anschneidet. Gradlinig im Ton und mit viel GespĂŒr fĂŒr die Schicksalshaftigkeit des Lebens.
INTERVIEW DIANA FREI«Heimatlos» erzĂ€hlt vom Schweizer Bauern Jakob Furrer, der nach Amerika auswandert. Sein Schicksal scheint unausweichlich. Wie bewusst haben Sie diese Wirkung zu erzielen versucht? Weil ich das Ende als Erstes hatte, war die Geschichte in Hinblick darauf unausweichlich. Theoretisch könnte aber jedes der schick salhaften Ereignisse auch in eine andere Richtung gehen, aller dings entstĂŒnde dann eine andere Geschichte. Das ist etwas, das mich interessiert: wie oft ein kleiner Moment, eine kleine Begeg nung grossen Einfluss haben kann. Man spielt ja als Autor auch Schicksal, indem man einer Figur ein paar bedeutende Momente mehr ins Leben baut, als im durchschnittlichen Leben passieren.
Bei alldem ist das Buch dicht an grossen Themen: Es geht um das MachtgefĂ€lle zwischen gesellschaftlichen Schichten, um die Rolle der Frau, um Schweizer und amerikanische Geschichte und um Auswanderung. Was war Ihnen das Wichtigste? Ich reiste 2008 durch die USA und war da an der GedenkstĂ€tte von Little Big Horn. Ich erfuhr, dass 44 Prozent von jenen, die mitkĂ€mpften und umkamen, keine amerikanischen BĂŒrger wa ren. Ich habe «Switzerland» eingegeben, und tatsĂ€chlich waren es sieben oder acht Schweizer MĂ€nner, die gestorben sind, und etwa fĂŒnfzehn, die mitkĂ€mpften. Ich fragte mich: Wie kommt man nur dazu? Anfangs ahnte ich nicht, wie viele Themen ich damit anschneiden wĂŒrde. Ich wusste, dass die Industrialisierung und die damalige Armut in der Schweiz eine Rolle spielen wĂŒr den. Die Geschichte der First Nations in den USA hat mich auch interessiert. Allerdings sind die ErzĂ€hlungen aus jener Zeit sehr oft von einem kolonialistischen Blick geprĂ€gt. Oder man findet Romantisierungen. Man muss aufpassen, dass man das nicht ĂŒbernimmt. In der Schweiz stiess ich auf Einzelschicksale â es waren ja oft gescheiterte Existenzen, die es zuhause nicht ge schafft haben. Einer von ihnen wurde bei mir zum Protagonisten Jakob. Ein junger Mann, der als Bauer ĂŒberleben, irgendwann eine Familie ernĂ€hren will â eigentlich eine relativ simple Sache. Die sich aber als Ă€usserst schwierig erweist.
Sie brechen die Bauernidylle sehr deutlich. Es gab damals zwar noch die kleinen Arbeiterbauern, aber eben auch die Grossbauern, die sich die Allmenden einverleibten, um Futtermittel anzubauen. Sie verdienten gutes Geld mit dem Ex port von KĂ€se, in gewisser Weise war das schon der Anfang der Globalisierung. Die reichen Bauern und die Industriellen auf dem Land schufen die Strukturen, die ihnen zum Vorteil gereichten,
Autor von Aussenseitern
Stephan Pörtner ist Schriftsteller und Ăbersetzer in ZĂŒrich, bekannt ist er fĂŒr seine sechs Krimis mit Köbi Robert, dem Detektiv wider Willen. Der letzte Band, «Pöschwies», wurde mit einem Werkbeitrag ausge zeichnet. Er gewann den ZĂŒrcher Krimipreis. «Heimat los» erhielt von der Literaturkommission des Kantons ZĂŒrich einen Anerkennungsbeitrag. FĂŒr die «Tour de Suisse» besucht Pörtner Surprise-Verkaufsorte.
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alle anderen hatten nicht viel zu sagen. Selbst wenn man einen eigenen Hof hatte. Das ging schon Richtung Schuldknechtschaft. Arme Bauern mussten ihre Arbeitskraft verpfÀnden. Die Bedin gungen waren haarstrÀubend, weil es mehr Menschen als Arbeit gab. Die Legende von der guten alten Zeit, als die Schweizer noch Bauern waren, ist ein Mythos.
Es gab die bĂ€uerliche Welt auf der einen, die Industrialisierung auf der anderen Seite. Genau. Die Industrialisierung wurde eigentlich nur möglich, weil es in der Schweiz eine Bevölkerungsexplosion gegeben hatte. Und die gab es, weil man Kartoffeln anzupflanzen begann. Mit Kartoffeln konnte man doppelt so viele Kalorien pro Quadrat meter herstellen wie mit Getreide. Die Kartoffeln kamen vom amerikanischen Kontinent zu uns. Das sah ich als Ironie des Schicksals. HĂ€tten diese Kartoffeln aus Amerika nicht ihren Weg nach Europa gefunden, hĂ€tte es hier keine Ăberbevölkerung ge geben. Dann hĂ€tte diese Auswanderungswelle gar nicht stattge funden. Der industriellen Revolution ging eigentlich eine Agrar reform voraus. Diese ZusammenhĂ€nge fand ich spannend.
Der ZĂŒrcher Stadtteil Aussersihl ist immer wieder Schauplatz Ihrer Geschichten. Interessiert er Sie wegen seiner bewegten Geschichte als Arbeiterquartier?
Ich habe da ĂŒber zwanzig Jahre gelebt, von 1987 bis 2008. Wir wohnten zu dritt als WG in einer Dreizimmerwohnung, die Ende des 19. Jahrhunderts gebaut wurde, mit Holzheizung. Ich wusste, dass auf dem gleichen Raum frĂŒher achtköpfige Familien haus ten, die vielleicht noch einen Zimmerherrn in der KĂŒche hatten. Die Langstrasse gab es schon, als Aussersihl noch gar nicht zur Stadt gehörte. Jakob im Buch ist in den Jahren gegen 1870 da. Ich kannte die Strassen und ihre Geschichte. Als ich da wohnte, gab es noch die alten ArbeiterhĂ€user, Handwerksbetriebe, kleine WerkstĂ€tten in Hinterhöfen. Unter anderem lebten dort allein stehende MĂ€nner, die Saisonniers, in ihren Einzimmer-Apart ments, und entsprechend gab es die Spunten, das Milieu, gĂŒns tige Verpflegung. Die MĂ€nner, die am gleichen Ort arbeiteten, redeten oft die gleiche Sprache, blieben als Gruppe unter sich. Es ist interessant zu sehen, was im historischen Vergleich mit Jakobs Zeit geblieben ist und sich nur in der AusprĂ€gung verĂ€ndert hat. Inzwischen wurden die Arbeiterfamilien allerdings weiter stadtauswĂ€rts gedrĂ€ngt.
Sowohl Aussersihl als auch Amerika und die Schiffsreise âdie SchauplĂ€tze sind von Gefahren geprĂ€gt: Diebstahl, BetrĂŒge reien, Mord. RealitĂ€t oder Fiktion?
Es geht um individuelle Notlagen, und die sind nun einmal oft ein wesentlicher Grund fĂŒr das Abrutschen in die KriminalitĂ€t. Im Buch geht es mir auch um Beziehungen und wie sie sich auf das Leben auswirken. Wen man kennt gibt vor, wo eine TĂŒr auf geht. Vieles an Pech und GlĂŒck hĂ€ngt auch vom Umfeld ab, das man hat. Diejenigen, die sich ausserhalb des bĂŒrgerlichen Sys tems befinden, kommen da auch nicht so einfach hinein. Diese Dynamiken haben mich interessiert. Eine kriminelle Handlung zu begehen, drĂ€ngt sich einem je nach Lebenslage einfach eher auf, auch ohne dass die Person eine stĂ€rkere kriminelle Energie besitzt als andere. Es kommt auch auf die Position und die Mög lichkeiten im Leben an. Das ist eine soziale RealitĂ€t, und sie be steht heute noch.
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Die WiderstÀnde, auf die die Figuren stossen, sind oft den geltenden Normen geschuldet. Geht es grundsÀtzlich um die Frage, ob man sich darin zurechtfinden kann oder ob man daran scheitert?
Ja, letzten Endes schon. Normen Ă€ndern sich aber mit der Zeit und sind irgendwo auch willkĂŒrlich. Deswegen kann man vieles an vergangenen Zeiten besser zeigen: Die Normen von frĂŒher kommen einem oft ziemlich absurd vor. Man sieht auch die Un gerechtigkeiten, die sie mit sich bringen, mit dem zeitlichen Ab stand besser. Normen spĂŒrst du auch erst dann richtig, wenn du ihnen nicht entsprichst, wenn du sie nicht erfĂŒllen kannst. Wenn dich die Normen einschrĂ€nken in dem, was du bist und tust. Es geht um die Frage, ob sie dir Grenzen setzen. Wenn du einen Schweizer Pass hast, merkst du praktisch nicht, dass es Grenzen gibt. Wenn du keinen Pass hast, merkst du es sehr wohl. Wer kommt wie weit womit? Und fĂŒr wen gelten welche Normen? FĂŒr manche Gruppen von Menschen gelten mehr, strengere und an dere Normen als fĂŒr andere.
Veranstaltungen
St.âGallen
«Alexander Hahn. Memory of Light â Light of Memory», Ausstellung, bis April 2023, Di bis So, 10 bis 17 Uhr, Mi bis 20 Uhr, Kunstmuseum St. Gallen, Museumstrasse 32. kunstmuseumsg.ch
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Alexander Hahn, 1954 in Rapperswil geboren, ist ComputerkĂŒnstler und einer der profiliertesten Video-Pioniere der Schweiz â bereits seit 1981 (!) ist er in den elektronischen und digitalen MedienkĂŒnsten zuhause (in den USA ebenso wie in Europa). Hahn verschmilzt Ereignisse aus seinem persönlichen Leben, aus Geschichte, Kunst und Wissenschaft zu Werken der Videokunst, die Bildwelten sind irgendwo in den inneren Welten der Psyche, in der Erinnerung und im Traum angesiedelt. Nebst Bildern prĂ€gen Animation, Virtual Reality, Installation und das Schreiben ĂŒber die neuen Medien Hahns Kunst. Zwei begleitende KunstgesprĂ€che behandeln denn auch Game Design und Fragen des Kuratierens von digitaler Kunst. Am Mi, 14. Dezember ist der KĂŒnstler selbst anwesend. DIF
ZĂŒrich «Bijou oder BausĂŒnde? Ăber unseren Umgang mit Baukultur», Ausstellung, bis Anfang 2024, Mi, Fr, Sa 14 bis 17 Uhr, Do und So 12 bis 17 Uhr, Villa Patumbah, Zollikerstrasse 128. heimatschutzzentrum.ch
immer wichtiger. Denn um eine «hohe Baukultur» zu erreichen, wie es die «ErklĂ€rung von Davos» der europĂ€ischen Kulturminis ter*innen aus dem Jahr 2018 for dert, braucht es die Beteiligung der Zivilgesellschaft und eine infor mierte und mĂŒndige Ăffentlich keit. In der Villa Patumbah, einem Baudenkmal, das lange Zeit Gegen stand von Diskussionen ĂŒber den Erhalt war, kann man sich mit sei ner gebauten Umwelt und ver schiedenen Haltungen dazu aus einandersetzen. Mit vielfĂ€ltigem Rahmenprogramm und Diskussi onen mit Architekturhistoriker*in nen, Projektentwickler*innen und auch Investor*innen. DIF
die nĂ€chste Folge rieb sich an «Ădi pus Tyrann» am Schauspielhaus ZĂŒrich, und der dritte Teil beschĂ€f tigt sich nun mit heutigen «Sehern»: mit Science-Fiction-Autor*innen. Edwin Ramirez, Performan ce-KĂŒnstler und Stand-up-Come dian aus ZĂŒrich, stellt die ErzĂ€hlwelt der Autorin Octavia E. Butler vor, als Ausgangspunkt eines GesprĂ€chs ĂŒber Dystopie, Protopia und die Lust am Erschaffen von literarischen Schreckenswelten. «ErzĂ€hlwelten» ist ein locker erscheinender Podcast des Maison du Futur, in dem Betei ligte rund um Regisseur Samuel Schwarz Themen analysieren und diskutieren sowie auch mal neue, eigene Adaptionen besprechen. Maison du Futur versteht sich als nationales Innovationszentrum fĂŒr die KĂŒnste, in dem neue Formen des audiovisuellen und performa tiven ErzĂ€hlens in Kombination mit modernen Technologien wie Arti ficial Intelligence (AI), Augmented Reality (AR) und Big Data entwi ckelt werden. DIF ZĂŒrich «Ich bin wĂŒ ĂŒ ĂŒ ĂŒ ĂŒ ĂŒ ĂŒ ĂŒ tend» âSophie Taeuber-Arp / Mai-Thu Perret, Ausstellung, bis So, 30. April, Cabaret Voltaire, Spiegelgasse 1. cabaretvoltaire.ch
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Mit den kĂŒrzlich editierten Briefen Sophie Taeuber-Arps kann erstmals ihre eigene Sicht auf die Dinge re konstruiert werden. Da wĂ€re etwa der Satz «Ich bin wĂŒ ĂŒ ĂŒ ĂŒ ĂŒ ĂŒ ĂŒ ĂŒ tend», der zum Ausstellungstitel geworden ist: Er ist einem Brief Taeuber-Arps an Hans Arp aus Arosa vom 4. Mai 1919 entnommen, in dem sie sich ĂŒber einige ihrer Meinung nach effekthascherischen
mĂ€nnlichen Dadaisten als «radikale KĂŒnstler» echauffierte. Der Brief steht stellvertretend fĂŒr die Ableh nung von Hierarchien und der Enge, die selbst kĂŒnstlerischen Me thoden zuweilen innewohnt. Im Gewölbekeller des Cabaret Voltaire treten nun auch andere ausge wĂ€hlte Briefe Taeuber-Arps, Arbei ten sowie Zeugnisse ihrer TĂ€tigkeit als Lehrerin fĂŒr textilen Entwurf in der Kunstgewerbeschule ZĂŒrich in Dialog mit Werken der Genfer KĂŒnstlerin Mai-Thu Perret (geboren 1976 in Genf). Dada und speziell
Sophie Taeuber-Arp stellen eine wichtige Inspirationsquelle fĂŒr Per ret dar. In ihrem multidisziplinĂ€rem Schaffen verbinden sich feministi sche Anliegen, literarische Referen zen und Fragen zu Kunsthandwerk mit den Avantgardebewegungen des 20. Jahrhunderts. DIF
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Wir sind fĂŒr Sie da.
grundsÀtzlich ganzheitlich
Baukultur ist Verhandlungssache: Was wird abgerissen und muss oder kann Neuem weichen? Wer entscheidet ĂŒber QualitĂ€t und SchutzwĂŒrdigkeit? Der Diskurs ĂŒber die Baukultur wird von Fach personen dominiert â die Sicht der Bevölkerung, ihre Mitwirkung und ihr Engagement werden jedoch
Podcast «ErzÀhlwelten», Maison du Futur; Episoden «Oedipus», zu finden und hören auf Spotify
Drei Episoden «Oedipus»: die erste war angeregt von der Inszenierung «König Teiresias» am Theater Basel,
Pörtner am Dreispitz in Basel
Surprise-Standort: Dreispitz
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Einwohner*innen: 201 967
Sozialhilfequote in Prozent: 5,9
Anteil auslÀndische Bevölkerung in Prozent: 36,9
Grosser Plan: am Dreispitz Nord sollen 800 Wohnungen und 4000 VeloeinstellplÀtze gebaut werden
Das Wichtigste an einem Einkaufszentrum sind die ParkplĂ€tze. Hier gibt es zwischen den beiden HauptgebĂ€uden eine Menge davon, und falls sie nicht rei chen, fĂŒhrt eine Rampe hinauf aufs Dach. Wer zu viel einkauft, kann auch gleich einen AnhĂ€nger erwerben, um die Ware heimzukarren. Rechts befindet sich das Hobby und Gartencenter, links das traditionelle Einkaufsparadies.
Ein riesiges Plakat am Eingang wirbt fĂŒr ein Kaffeesystem, das weniger Abfall verursacht, weil es kompostierbar ist. Das ist eine begrĂŒssenswerte Entwicklung, wenn auch Kaffee an und fĂŒr sich schon immer kompostierbar war. Aber eben nicht das System, und System reimt sich auf bequem. Der Bequemlichkeit ist auch der Aufstieg dieser Systeme zu verdanken, welche die dank Kaffeevollautomaten an
sich schon denkbar bequeme Kaffeezu bereitung noch weiter vereinfacht haben. Allerdings haben solche Systeme ihren Preis, die praktischen Portionen sind teuer, ihre Herstellung und Verpackung ver schlingen Unmengen an Energie und Material, zurĂŒck bleibt ein Haufen Abfall. Bis jetzt, zumindest, denn letzteres Problem wurde gelöst, was beweist, dass alles in die richtige Richtung geht.
Die Menschen hier gehen entweder schnell Richtung Parkplatz oder gemĂ€ch lich Richtung LĂ€den. Ein Handwerker tĂ€tigt seine Kundenanrufe vor dem Ein gang. Ein Ă€lteres Ehepaar sitzt auf einer der nicht allzu einladend wirkenden BetonbĂ€nke, die den FussgĂ€ngerbereich vom Parkplatz trennen. Die EinkaufswĂ€gen werden herummanövriert, ein Teil ist Handarbeit, fĂŒr den Abtransport gibt
es ein rotblinkendes GefĂ€hrt, eine Art Roboter, der schiebt von hinten und ani miert nicht ganz junge, nicht ganz nĂŒchterne Menschen, so zu tun, als wollten sie aufspringen.
Verlassen stehen ein blauer, mit Klebband zusammengehaltener Koffer und die Tasche eines Möbelhauses neben den Bistrotischen. An einem Flughafen wĂŒrde dies fĂŒr Aufsehen und zum Einsatz eines Bombenroboters fĂŒhren, hier scheint sich niemand Sorgen zu machen, nicht einmal der Einkaufswagen schieb Roboter. Eher misstrauisch beĂ€u gen sich hingegen die Personen, die auf dem Platz vor dem Einkaufszentrum auf jemanden oder etwas warten.
Der Besitzer des blauen Koffers kehrt zurĂŒck, es ist ein Ă€lterer Mann, der einen grossen Rucksack trĂ€gt. Wahrscheinlich hat er sein ganzes Hab und Gut dabei, auf dem Rucksack ist auch eine Schlafmatte befestigt.
Erstaunlich viele Menschen hinken, gehen gebĂŒckt oder gar an KrĂŒcken. Als habe vor Kurzem eine Unfallwelle die Gegend heimgesucht. Es mag aber auch daran liegen, dass Menschen, die nicht gut zu Fuss sind, lieber mit dem Auto einkaufen und darum hier vermehrt anzutreffen sind. Bei guter Gesundheit ist hingegen der Mann, der eine dicke Zigarre raucht, als befinde er sich auf der Terrasse eines Jachtclubs, nicht am Aussentisch eines Grossverteiler Take aways. Auch Familien mit Kindern finden sich ein, wo bei es fĂŒr die Eltern gar nicht einfach ist, die in alle Richtung strebenden Kleinen zusammenzuhalten und sicher zum Familienwagen zu bringen. Eine Frau hievt eine schwere Sacoche aus dem Einkaufs wagen und befestigt sie an ihrem Velo. Nicht alle sind mit dem Auto angereist.
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STEPHAN PĂRTNER
Der ZĂŒrcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht
Surprise-Verkaufsorte und erzÀhlt, wie es dort so ist.
Die 25 positiven Firmen
Unsere Vision ist eine solidarische und vielfĂ€ltige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Ăbernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung.
Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstĂŒtzen Sie Menschen in prekĂ€ren Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die EigenstĂ€ndigkeit.
Die Spielregeln: 25 Firmen oder Institutionen werden in jeder Ausgabe des Surprise Strassenmagazins sowie auf unserer Webseite aufgelistet. Kommt ein neuer Spender hinzu, fÀllt jenes Unternehmen heraus, das am lÀngsten dabei ist.
Maya-Recordings, Oberstammheim
Arbeitssicherheit Zehnder, ZĂŒrich
Femisanum - natĂŒrliche IntimpïŹege, Zuzwil Scherrer & Partner GmbH, Basel Breite-Apotheke, Basel Sublevaris GmbH, Brigitte Sacchi, Birsfelden Kaiser Software GmbH, Bern Cornelia Metz, Sozialarbeiterin, Chur Fachschule LIKA, Stilli b. Brugg
Liberty Specialty Markets, ZĂŒrich Schwungkraft GmbH, Feusisberg Coop Genossenschaft, Basel AnyWeb AG, ZĂŒrich
GemeinnĂŒtzige Frauen Aarau Dipl. Steuerexperte Peter von Burg, ZĂŒrich Itsmytime.ch, Stefan KĂŒenzi, Berlingen Beat Vogel â Fundraising-Datenbanken, ZĂŒrich Stadt Illnau-Effretikon
GemeinnĂŒtziger Frauenverein Nidau hervorragend.ch | Grusskartenshop debe bijouxtextiles Bern Hausarztpraxis Tannenhof, Tann-RĂŒti Sterepi, Trubschachen
TopPharm Apotheke Paradeplatz Ref. Kirche, Ittigen
Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden?
Mit einer Spende ab 500 Franken sind Sie dabei. Spendenkonto:
IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3
Surprise, 4051 Basel
Zahlungszweck: Positive Firma und Ihr gewĂŒnschter Namenseintrag Sie erhalten von uns eine BestĂ€tigung.
Kontakt: Caroline Walpen Team Marketing, Fundraising & Kommunikation T +41 61 564 90 53 I marketing@surprise.ngo
GEMEINSAM SCHAFFEN WIR CHANCEN
Nicht alle haben die gleichen Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Aus diesem Grund bietet Surprise individuell ausgestaltete Teilzeitstellen in Basel, Bern und ZĂŒrich an â sogenannte ChancenarbeitsplĂ€tze.
Aktuell beschÀftigt Surprise acht Menschen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt in einem Chancenarbeitsplatz. Dabei entwickeln sie ihre persönlichen und sozialen Ressourcen weiter und erproben neue berufliche FÀhigkeiten. Von unseren Sozialarbeiter*innen werden sie stets eng beglei tet. So erarbeiteten sich die Chancen arbeitsplatz-Mitarbeiter*innen neue Perspektiven und eine stabile Lebens grundlage.
Eine von ihnen ist Marzeyeh Jafari «2019 bin ich als FlĂŒchtling in der Schweiz angekommen â und wusste zunĂ€chst nicht wohin. Ich hatte nichts und kannte niemanden. Im Asylzent rum in Basel hörte ich zum ersten Mal von Surprise. Als ich erfuhr, dass Sur prise eine neue Chancenarbeits platz-Mitarbeiterin sucht, bewarb ich mich sofort. Heute arbeite ich Teilzeit in der Heftausgabe â jetzt kann ich mir in der Schweiz eine neue berufliche Zukunft aufbauen.»
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Schaffen Sie echte Chancen und unterstĂŒtzen Sie das unabhĂ€ngige Förderprogramm «Chancenarbeitsplatz» mit einer Spende. Mit einer Spende von 5000 Franken stellen Sie die Sozial- und Fachbegleitung einer Person fĂŒr ein Jahr lang sicher.
UnterstĂŒtzungsmöglichkeiten:
1 Jahr CHF 5000.â
Âœ Jahr CHF 2500.âÂŒ Jahr CHF 1250.â
1 Monat CHF 420.âOder mit einem Betrag Ihrer Wahl.
Spendenkonto:
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IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3
Vermerk: Chance Oder Einzahlungsschein bestellen: +41 61 564 90 90 info@surprise.ngo oder surprise.ngo/spenden
Herzlichen Dank fĂŒrIhrenwichtigen Beitrag!
«Viel Arbeit»
Tolle Frau, die ihre schwie rige Lebensgeschichte distanziert erzÀhlt. Es hat bestimmt viel Arbeit bedeutet, um an diesen Punkt zu kommen. Meinen Respekt!
I. LEU, Riehen, an Danica Graf, StadtfĂŒhrerin Basel
#536: Wir brauchen Grenz g Ă€n g er*innen «Ăberrissen»
#Stadtrund g an g ZH «So dankbar, an der WÀrme schlafen zu können»
Vielen Dank fĂŒr die Offenheit, uns aus dem eigenen Leben zu erzĂ€hlen. Ich bin tief beeindruckt. Sandra hat uns das Hudelwetter fast vergessen lassen mit ihren ErzĂ€hlungen. Ich stieg am Abend in mein Bett und war so dankbar, an der WĂ€rme schlafen zu können. Ich hĂ€tte mich sehr gefreut, einen Blick ins Stauffacherhaus oder in den Sunneboge zu werfen. Ich bin mir bewusst, dass dies aufgrund der Coronasituation leider nicht möglich war.
D. BACHER, HĂŒnenberg See, an Sandra BrĂŒhlmann, StadtfĂŒhrerin ZĂŒrich
#Stadtrund g an g ZH «Beeindruckt»
Wenn nicht stetig Steuergelder im Sand vergraben und verschleudert wĂŒrden, könnten einige Steuern und GebĂŒhren gestrichen werden. Dann brĂ€uchte es auch keine allgemeine EinfĂŒhrung der Quellensteuer. Auch die stark ĂŒberrissenen GehĂ€lter und Gagen sollten rigoros gestrichen werden. Dann sĂ€he die finanzielle Lage ausgeglichener aus.
A. MARTINI, Hunzenschwil
Imp ressum
Herausgeber Surprise, MĂŒnzgasse 16 CH 4051 Basel
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Anzeigenverkauf
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Redaktion
Verantwortlich fĂŒr diese Ausgabe: Diana Frei (dif)
Klaus Petrus (kp), Sara Winter Sayilir (win) Reporterin: Lea Stuber (lea) Tâ+41 61 564 90 70 Fâ+41 61 564 90 99 redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch
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Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Simon Berginz, Monika Bettschen, Christina Baeriswyl, Dina HungerbĂŒhler, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Isabel Mosimann, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Priska Wenger, Christopher Zimmer
Mitarbeitende dieser Ausgabe
Marina BrĂ€m, Ruramisai Charumbira, Nicolas Gabriel, Ruben Hollinger, Mina Monsef, Daniel Sutter, Leah van der Ploeg Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Redaktion. FĂŒr unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.
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Dani hat das grossartig gemacht. Selbst in ZĂŒrich aufgewachsen mit Ă€hnlichem Jahrgang, war das sehr eindrĂŒcklich, eine Reise in die Vergangenheit aus einer Perspektive, der viel mehr Beachtung geschenkt werden soll. Ich bin sehr beeindruckt von Dani, wie reflektiert er sein Leben wiedergibt. Was fĂŒr ein Beitrag zu unserer Gesellschaft, unbezahlbar!
ANONYM, an StadtfĂŒhrer Daniel Stutz, ZĂŒrich
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«Im Moment fĂŒhlt es sich hier gut an»
«Ich bin in Kanada aufgewachsen, lebe aber schon viele Jahre in Europa. Mein Vater war Schweizer, ein Bauern sohn aus dem Luzerner Hinterland, der sehr gerne reiste und sich schliesslich im Westen von Kanada niederliess. Meine Mutter, eine Mapuche aus Chile, die von einer spanischstĂ€mmigen Familie adoptiert worden war, lernte er auf einer Reise durch Chile kennen. Ăber die Schweizer Bevölkerung hatte sie schon viel Gutes ge hört, und aus Kanada stammte ihr damaliger Lieblings sĂ€nger Paul Anka â das konnte nur gutgehen, hatte sie sich gedacht, und zog zu meinem Vater nach Kanada.
Leider ging es nicht so lange gut. Die Familie brach aus einander, als mein Bruder und ich Teenager waren. Ich ging bald meinen eigenen Weg, zuerst in Kanada, wo ich unter anderem auf Baustellen jobbte, in einer SĂ€gerei mithalf und als VerkĂ€ufer in einem Elektronik geschĂ€ft arbeitete. SpĂ€ter reiste ich sĂŒdwĂ€rts und lebte lĂ€ngere Zeit an einem Ort. Doch irgendwann lief einiges schief, meine Beziehung ging in die BrĂŒche â ich will mich gar nicht mehr an alles erinnern. Jedenfalls stand ich am Ende ohne Geld da. Ich schob dann an einem Flughafen fĂŒr ein paar Cents so lange GepĂ€ckwagen, bis das Geld fĂŒr einen Flug zusammen war. Ich entschied, irgendwohin nach Europa zu ziehen, weit weg von dort, wo ich war, und kaufte ein One-way-Ticket nach New castle. In England angekommen, in Shorts, T-Shirt und ohne Geld, wollten mich die Behörden gleich wie der ins nĂ€chste Flugzeug nach Kanada setzen. Ein mittelloser Kanadier war nicht erwĂŒnscht. Schon er staunlich, gehört Kanada doch zum Commonwealth. Gerettet hat mich schliesslich mein Schweizer Pass; einen Schweizer ohne Geld liessen sie einreisen.
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In dieser Zeit war ich in halb Europa unterwegs, bin mal kĂŒrzer, mal lĂ€nger an einem Ort geblieben und habe meinen Lebensunterhalt immer wieder mit dem Ver kauf von Strassenmagazinen verdient, unter anderem in England und Schottland, in Hamburg, in Hannover und seit neun Jahren immer wieder mal in der Schweiz.
Im Moment verkaufe ich Surprise in Solothurn, wo ich auch wohne. Der Auslöser, weshalb ich in die Schweiz kam, war Covid-19. Ich war davor recht lange in England und hatte keinen festen Wohnsitz. In Winchester schlief ich ein Jahr lang meistens in einem Lift im FlughafenParking, in Brighton oft auf einem Baum. Auf BĂ€umen ĂŒbernachten hat auch schöne Seiten. Denn jeder Baum, jede Umgebung ist anders, und man ist frei, im mer draussen an der frischen Luft. Ausserdem finde ich es interessant, was man von oben alles beobachten
kann. In der ersten Pandemiephase, wÀhrend des Lock downs, habe ich die beste Zeit seit Langem erlebt. Das Wetter war immer schön, der Himmel blau und frei von Flugzeugen, es war alles so ruhig.
Doch dann war ich eines Tages unachtsam, fiel vom Baum und musste mit einem verletzten RĂŒcken und einem gebrochenen Fussgelenk ins Spital. Bei der Entlassung fragten sie mich, wohin ich jetzt gehe, ich dĂŒrfe nicht mehr draussen leben. In England mussten in jener Zeit wegen âčStay at homeâș alle zwingend eine Unterkunft haben. Die Lösung, fĂŒr mich und fĂŒr viele andere Menschen ohne Wohnung auch, war schliesslich Wohnen im Hotel.
Im Februar 2021 hatte ich genug von England, dem Brexit-Theater und Corona-Regeln, deshalb machte ich mich auf den Weg in die Schweiz, wo ich mich wieder bei Surprise anmeldete. Wie lange ich noch bleibe, weiss ich nicht. Im Moment fĂŒhlt es sich hier gut an. Wenn ich Geld fĂŒr ein Ticket hĂ€tte, wĂŒrde ich auch gerne wieder einmal meine Familie in Kanada besuchen. Lange hatten wir kein gutes VerhĂ€ltnis und kaum Kon takt, doch in letzter Zeit telefonieren wir wieder regel mĂ€ssig. Das tut gut.»
von ISABEL MOSIMANNSURPRISE WIRKT
Lebensfreude ZugehörigkeitsgefĂŒhl Entwicklungsmöglichkeiten UnterstĂŒtzung Expertenrolle
Helfen tut gut.
Zeit, zuzuhören. Zeit, abzuwarten. Zeit fĂŒr RĂŒckschlĂ€ge. Zeit, zu helfen. All das gibt es in der Sozialberatung und -begleitung, die Surprise an seinen drei Standorten in Basel, Bern und ZĂŒrich anbietet. Die VerkĂ€ufer*innen des Strassenmagazins sowie die StadtfĂŒhrer*innen, die Spieler*innen des Strassenfussballs und die Chormitglieder erhalten hier nicht nur ihre Hefte, gratis Kaffee oder Internetzugang, sondern wenden sich mit ihren Sorgen und Fragen an die Surprise-Mitarbeiter*innen.
Ob bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, bei Schulden, beim Umgang mit Behörden und administrativer Korrespondenz, bei familiĂ€ren Krisen oder Suchtproblemen â fĂŒr rund 450 armutsbetroffene Menschen ist diese umfassende und niederschwellige Begleitung eine unentbehrliche StĂŒtze im Alltag.
Surprise hilft individuell und niederschwellig. Spenden Sie heute.
Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 surprise.ngo/spenden
RECHNUNGSADRESSE
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JA, ich möchte sinnvoll schenken und bestelle:
GUTSCHEIN FĂR 1 SOZIALEN STADTRUNDGANG
SURPRISE-MĂTZE
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SURPRISE-RUCKSACK CHF 99.â (exkl. Versandkosten)
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Modell Ortlieb-Velocity, 24 l, wasserfest. Hergestellt in Deutschland. ErhÀltlich in ultramarin, silber und rot (schwarz ist momentan ausverkauft).
Farbe: rot ultramarin silber