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Tour de Suisse

Tour de Suisse

habe mich gleich mit der Familie verbunden gefühlt», erinnert sich Dea Gjinovci an ihr erstes Treffen. «Mein Vater flüchtete in den 1970er-Jahren aus dem Kosovo in die Schweiz, da er als studentischer Aktivist für die Unabhängigkeit des Landes demonstriert hatte. Meine Mutter verliess Albanien in jungen Jahren.» Dass sie selbst aus einer Familie mit Migrationsgeschichte kommt und mit den Demiris Albanisch sprechen konnte, machte den Austausch sehr persönlich.

Wünsche in der Vergangenheitsform

Eineinhalb Jahre lang reiste Dea Gjinovci immer wieder ins schwedische Horndal, um die Familie zu besuchen. Daraus entstand der Dokumentarfilm, in dem sanft und einfühlsam ein Alltag spürbar wird, der sich nur schwer beschreiben lässt. Zwischen dem einen Asylantrag und dem nächsten, in einer Hoffnung, die einmal unmittelbar greifbar ist und dann wieder verfliegt. Ein Alltag, der einem luftleeren Raum gleicht, in dem der Atem vor der ungewissen Zukunft stockt. «Ich frage mich, wie Traumata an einem Ort verarbeitet werden können, an dem sie nicht anerkannt werden», sagt Dea Gjinovci. «Wie kann zwischen abgelehnten und ausstehenden Asylanträgen eine Erinnerung ihren Platz finden, die eigene Kultur weitergegeben werden?»

Dass in einem so fragilen Zustand die Hoffnung auf eine mögliche Zukunft immer weiter in die Ferne rückt, wird in den Dialogen deutlich. Die Mutter erzählt, dass Ibadeta Ärztin werden wollte, dass Furkan gerne Fussballer werden würde. Wünsche gab es in der Vergangenheit, als die Töchter noch wach waren, oder sie verschieben sich in den Konjunktiv. Im Präsens werden sie nie formuliert.

Inmitten dieses Alltags vermag Dea Gjinovci auch Momente voller Liebe und Zärtlichkeit festzuhalten. «Furkan, ohne Essen wirst du nicht stark», sagt der Vater und tippt seinem Sohn liebevoll auf den Oberarm. «Lass mich deine Muskeln sehen …» Furkan spannt lachend seinen Bizeps an. In der Welt des Jungen vermengen sich Trauma und Hoffnung. Er geht durch die ruhige Landschaft, die so windstill ist, als ob auch die Zeit stillstehen würde; die dünnen Bäume ragen in den klaren Himmel, als nähmen sie kein Ende. In diese Wälder schreit Furkan hinein, seine Stimme hallt nach, um dann ganz zu verschwinden. Manchmal dringt eine Erinnerung aus dem Kosovo an die Oberfläche. Er erzählt kurz davon, immer aus dem Off, um sogleich wieder zu schweigen. Aus einem alten Ford baut Furkan eine Rakete. «Ich werde auf den Mars fliegen», er springt vom erdigen Hügel herunter – und befindet sich sogleich auf dem fernen Planeten. Die rötliche Erde rinnt zwischen seinen Fingern hindurch.

«Réveil sur Mars», Regie: Dea Gjinovci, Dokumentarfilm, CH/FR 2020, 74 Min. Läuft zurzeit im Kino. Buch David Barrie erzählt in «Unglaubliche Reisen» von den erstaunlichen Navigationsleistungen der Tiere

Wer heute von A nach B kommen will, verlässt sich in der Regel auf technische Geräte. Sei es das Navi im Auto oder die Kartenfunktion des Smartphones. Die wenigsten nutzen zur Orientierung noch Karten auf Papier oder vertrauen ihrem Gefühl oder Gedächtnis. Selbst Wandernde verlassen sich zunehmend auf ihr GPS. Die Fähigkeit der frühen Jäger und Sammler, der ersten Seefahrer oder etwa der australischen Aborigines, sich anhand von Sonne, Sternen oder Landmarken zu orientieren, gerät in Vergessenheit.

Stellt man dann noch den Vergleich mit den Navigationsfähigkeiten der Tiere an, erweisen sich diese als weit überlegen. Wie erstaunlich sie sind, zeigt der Autor David Barrie mit einer Fülle von Beispielen aus der Wunderwelt der Natur. Dabei spannt er den Bogen von den kleinsten Lebewesen, von Bakterien, Plankton und Würmern, über Ameisen, Bienen und Käfer, Schmetterlinge oder Vögel bis zu den grössten Meeressäugern.

So verschieden all diese Tiere sind, so vielfältig sind ihre Möglichkeiten, sich zu orientieren, sei es nun bei der Nahrungssuche oder den Wanderungen zu ihren Geburts-, Brut- und Laichplätzen. Ihre Methoden gehen weit über das übliche Sehen, Hören und Riechen hinaus bzw. heben selbst diese auf ein unerwartetes Level. Oder wer hätte gedacht, dass Mistkäfer das Licht der Milchstrasse nutzen, dass Seehunde nach Leitsternen navigieren oder manche Vögel eventuell sogar Magnetfelder sehen können? Und wer weiss schon, dass Lachse Geruchsbilder ihrer Geburtsflüsse in sich tragen oder dass Nachtpfauenaugen stereoriechen?

Und das ist noch nicht alles. Fledermäuse oder Delphine etwa nutzen ein Echolot, Haie und Aale elektrische Felder, Fische den Druck der Wasserbewegung. Manche Tiere haben einen Sonnen- und Mondkompass inklusive Zeitausgleich. Auch Magnetismus oder Gravitation spielen bei der Tiernavigation eine Rolle. Schon bei den Bakterien finden sich mikroskopisch kleine Magnetpartikel – eine Urform des Navis der Tiere.

Noch vieles bleibt ein Rätsel, selbst in diesem «goldenen Zeitalter» der Tiernavigations-Forschung, der immer mehr Hilfsmittel aus der Neurowissenschaft oder Anatomie bis hin zur Molekularbiologie oder Robotik zur Verfügung stehen. Die Zeit aber, die den Forscher*innen zur Lösung dieser Rätsel bleibt, wird knapp. Denn mit dem fortschreitenden Artensterben verschwinden auch unwiederbringliche Wunder der Natur, die unsere Achtung verdienen.

CHRISTOPHER ZIMMER

ZVG

FOTO:

David Barrie: Unglaubliche Reisen.

Vom inneren Kompass der Tiere. Mare 2020. CHF 39.90

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