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Schenken

«Hände weg von Gäulen!»

Schenken Weihnachtsgeschenke sind als Tradition einerseits fest etabliert, anderseits ein oft umstrittener Brauch. Aber das Schenken hat noch viele andere Facetten.

Eine Verbindung zur Welt schenken

Vor zwei Jahren habe ich das Projekt «Weihnachtsbescherung für die Inhaftierten der beiden Basler Gefängnisse» übernommen. Ins Leben gerufen wurde es 1978, zuvor gab es für die Insass*innen zu Weihnachten vom Gefängnis nur Zigaretten (auch für die, die nicht rauchten) und eine Schokolade. Unterstützt wird das Projekt bis heute von den Johanniter-Frauen in Basel, und der Inhalt der Päckli wurde immer wieder den Vorschriften und Gegebenheiten angepasst. Ich frage bei jedem einzelnen Produkt, ob es erlaubt ist oder nicht. Bei Bleistiften muss man darauf achten, dass kein Metall dran ist, also kein Radiergummi in Metallfassung, kein Spitzer. Keine Kugelschreiber, nichts, was sich zur Waffe umfunktionieren liesse.

Ich organisiere den Inhalt der Päckli, verschicke «Bettelbriefe» an Coop, Migros, die reformierte und katholische Kirche, versuche bei Firmen Gratissachen zu bekommen, organisiere den Packraum, die freiwilligen Helfer*innen, kläre ab, wann die Gefängnisse die Pakete abholen und bespreche alles mit der Ge fängnisseelsorgerin. Ich habe feste Ansprechpartner in den beiden Gefängnissen, mit denen ich in gutem Austausch bin. Sie finden das Projekt eine tolle Sache.

Dieses Jahr wird es einen Weihnachtsbrief der Seelsorgerin im Paket haben, eine Taschenagenda vom Roten Kreuz oder von der Heilsarmee, ein Sudoku-Heft, einen Bleistift, einen Radiergummi, eine Schokolade, Nüsse, Blévita, zwei Fotokarten und eine Seife. Ich sammle das ganze Jahr über Fotokarten, damit die Inhaftierten ihren Familien zu besonderen Anlässen eine Karte schicken können. Viele von ihnen haben sonst keinen Kontakt und keine Verwandten, die sie besuchen.

Geburtstags- und andere Glückwunschkarten haben am Gefängniskiosk handelsübliche Preise, das ist für viele Inhaftierte – offiziell nennt man sie «eingewiesene Personen» – ziemlich teuer. Im Bässlergut gibt es gar keine Karten im Sortiment. Die Inhaftierten haben im Allgemeinen wenig Geld zur Verfügung. Diejenigen im Strafvollzug müssen im Gefängnis zwar arbeiten, aber ein Drittel des Lohns kommt auf ein Sperrkonto, das erst beim Austritt ausbezahlt wird. Das ist als Massnahme für den Resozialisierungsprozess gedacht, damit die Menschen nicht ganz ohne eigenes Geld entlassen werden. Die Löhne sind aber nicht hoch.

Ich versuche nun, mein Netzwerk an beteiligten Institutionen auszubauen. Die Reaktionen sind meistens positiv, in der Gesamtgesellschaft findet man das Projekt eine gute Idee. Für mich geht es um viel mehr als nur darum, Geschenke zu sammeln: nämlich um die Sensibilisierungsarbeit für den Resozialisierungsgedanken. Ich tue das alles, damit die Menschen draussen sich mit dem Rechtssystem und Fragen zu Recht, Unrecht, Strafe und Resozialisierung auseinanderzusetzen beginnen.

Ich bin Gründungsmitglied eines Vereins, der sich für restaurative Justiz einsetzt. Wir machen Aufklärungsarbeit, die Opfer und Täter*innen zum Dialog zusammenführt und durch den Austausch Momente der Erkenntnis, des Lernens und der Verarbeitung auf beiden Seiten anstösst. Ich erlebe oft, dass Täter*innen erst in diesem Austausch erkennen, was sie einer Einzelperson und der Gesamtgesellschaft angetan haben. Und umgekehrt ist es für die Geschädigten einfacher, eine Tat und vielleicht auch ein Trauma zu verarbeiten, wenn greifbar wird, aus welchen Gründen die Täter*innen gehandelt haben.

Für unsere Geschenkaktion zeichnen und malen jedes Jahr Schulklassen (die freiwillig mitmachen) Weihnachtskarten. Es ergeben sich dadurch oft gute Gespräche mit den Lehrpersonen. Vereinzelt kommt auf meine Anfrage schon auch die Frage: «Wie kann man nur Geschenke an Gefängnisinsass*innen machen wollen?!» Oder ein Einwand, es sei nicht angemessen, Kinder dafür zeichnen zu lassen. Ich antworte dann jeweils, dass ich früher auch anders darüber gedacht habe. Durch die Opfer- Täter-Dialoge habe ich aber erkannt, wie wichtig es ist, an der Resozialisierung zu arbeiten. Ziel des Dialogs ist, dass Opfer

LONGINUS CHIDI ONWEAGBA, 50, verkauft Surprise seit sechs Jahren in Baselland und übt sich gern in seinem Hobby, dem Boxen.

Fragen stellen können und Täter*innen dadurch ihre Taten reflektieren. Und Empathie für ihre ehemalige Opfer entwickeln. Diese Arbeit löst etwas aus – im Gegensatz dazu, dass man Menschen einfach wegsperrt. Irgendwann kommen die meisten Täter*innen raus, und die Resozialisierung ist auch wichtig, um weitere Taten zu verhindern. Viele Lehrpersonen nehmen den Moment wahr, um mit den Kindern über Kategorien wie Recht, Unrecht und Strafe zu reden. Die Karten werden an die Pakete gehängt, daran haben viele Inhaftierte wirklich Freude.

Weil man im Gefängnis oft allein ist, habe ich begonnen, Sudoku-Hefte mit Bleistift und Radiergummi zu schenken. Die sind sehr willkommen und gut geeignet, weil sie nicht sprachgebunden sind. Ich beobachte den Gefängnisalltag, um darauf reagieren zu können. Ich bin in Kontakt mit vielen Inhaftierten, die ich aus dem Opfer-Täter-Dialog des Vereins kenne. Ich mache auch Einzelgespräche im Gefängnis und per Telefon und bin im Briefaustausch. Ich spüre aus den Gesprächen heraus, was ihnen fehlt, und versuche die Bedürfnisse zu erkennen.

Der Austausch mit Inhaftierten bringt mir auch persönlich viel. Da ich selbst mal Opfer von schweren Straftaten war, habe ich mich jahrelang nur mit der Opferseite auseinandergesetzt. Dank der Vereinsarbeit sehe ich nun auch die andere Seite. Mit dem Projekt möchte ich den Menschen im Gefängnis vermitteln, dass es draussen Leute gibt, die an sie denken. Dass sie nicht weg vom Fenster sind. Ich möchte Weihnachtsstimmung ins Gefängnis bringen und eine Verbindung zum Leben draussen schaffen.

DANICA GRAF, 46, ist seit 2018 Surprise-Stadtführerin in Basel. Auf ihrer Tour thematisiert sie unter anderem Frauenarmut und häusliche Gewalt.

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Ein Spiel von Durotissimo

Beziehung, nicht Gegenleistung

Weihnachten steht vor der Tür. Für mich ist es eine Zeit, um nachzudenken. Eine stille, ruhige Zeit. Die Bäume und Blumen sind karg und im Winterschlaf. So wie viele Tiere.

Weihnachtsgeschenke empfinde ich als Heuchelei. Weihnachtslieder sind für mich abgeänderte Schunkellieder. Innere Zufriedenheit ist das grösste Geschenk. Kinder werden das ganze Jahr verwöhnt und verhätschelt, aber es sind ja nicht sie selbst, die schuld daran sind. Es sind die Erwachsenen, die mit einem tollen Geschenk gutmachen wollen, dass sonst etwas fehlt. Gefühle und Beziehung an Materiellem festzumachen, führt zu nichts Gutem. Sondern zu Unzufriedenheit. Zu Selbstbezogenheit und Beziehungslosigkeit.

Ich höre Menschen in der Adventszeit sagen: «Ich muss noch ein Geschenk für meine Nichte kaufen.» Was soll ich mit «müssen»? Ich will. Ich darf. Wenn man etwas muss, dann lässt man es lieber bleiben.

Mein Vater sagte immer zu mir: «Sei zufrieden mit dem, was du jetzt gerade hast. Nicht mit dem, was du nie bekommst.» Einmal fragte ich meine Mutter, ob sie bestimmte Pralinés mag, weil ich ihr welche schenken wollte. Sie sagte: «Ja, aber du musst mir keine mitbringen. Sonst muss ich dir auch etwas kaufen.» Ein gekauftes Geschenk zieht schnell den Gedanken von Leistung und Gegenleistung mit sich. Viele kaufen auch einfach etwas möglichst Teures, um gut dazustehen. Schenken sollte aber Beziehung sein. Das grösste Geschenk für meine Mutter ist, wenn ich sie besuche und sie spürt, dass sie ein wichtiger Mensch ist für mich. Eine Umarmung ist ein Geschenk.

Ich habe nicht grundsätzlich etwas gegen das Schenken. Es kann auch bedeuten, dass man sich in die Lage des Gegenübers versetzt. Dass man spürt, was jemand gerne hätte. Schenken verlangt Einfühlungsvermögen und Aufmerksamkeit. Wenn ich mit meiner Freundin an einem Schaufenster vorbeigehe und sehe, dass sie Freude an einer bestimmten Handtasche hätte, dann kann es gut sein, dass ich mich darum bemühe, sie zu kaufen. Ich nehme meine Freundin wahr, ich höre zu und weiss, dass ihr diese Tasche etwas bedeuten würde.

Für mich ist das grösste Geschenk, dass ich so sein darf, wie ich bin. Kein Hochmut. Bin meistens tiefer gefallen, als ich wollte. Ende Sense. Gib mir äs Velo, dä gib i dir ä Volvo.

HANS RHYNER, 66, ist Surprise-Stadtführer in Zürich zum Thema Sucht, schreibt Kolumnen für das Strassenmagazin und verkauft es in Zug und Schaffhausen.

Wer schenkt wem was?

Was an Weihnachten wieder aktuell ist: Was sollte man schenken – und wem? Viele Leute haben ja, was sie brauchen, und wenn ein Gegenstand im Haushalt fehlt, wissen es nur die wenigsten auch der nahestehendsten Menschen. Ich habe keine Idee, wem ich was schenken soll.

Bringt Schenken Freude? Ja und nein. Oder: Zu geben ist schöner als zu nehmen, vor allem dann, wenn man sehen kann, dass die Gabe Freude gebracht hat.

Eine Familie aus Tschechien, die nicht viel Geld hat, gab mir sehr viel, als ich bei ihnen war, so grosszügig sind Schweizer kaum. Weiter kommt mir eine Musikband in den Sinn, die mir viel gab und von mir zu wenig dafür bekam.

Ich will nicht nur nehmen und auf Kosten anderer leben, so etwas tun Milliardäre. Jedes Mal, wenn ich die Steuererklärung ausfülle, dann sehe ich, wie viel Geld ich an wohltätige Organisationen gespendet habe.

Ich schenke gern, wenn ich damit etwas Gutes bewirken kann. Und ich bekomme gern etwas geschenkt, wenn es von Herzen kommt. Und zu Herzen geht.

MICHAEL HOFER, 41, verkauft Surprise in Zürich Oerlikon und Luzern und schreibt Kolumnen für das Strassenmagazin.

Die Tante, die ich hatte

Schenken macht Freude. Oder gar glücklich. Wir haben es vernommen. Und es ist wahr. Wir wissen es aus eigener Erfahrung. Wir.

Nicht so hingegen die Tante, die ich hatte. Sie war in dieser Sache vollkommen unwissend. Es dauerte allerdings ein paar Jährchen, bis wir ihr auf die Schliche gekommen sind. Der Anlass zu ersten Spekulationen ergab sich eher zufällig. Es war an einem Sommertag anno dazumal. Meine Mutter weilte für einen Tag bei der Tante, die ich hatte, um nach dem Rechten zu sehen, da dort die ganze Familie mit einer Sommer-Grippe im Bette lag. Am Abend erzählte uns meine Mutter, die Tante, die ich hatte, habe in einem Schrank, fein säuberlich in Weihnachtspapier verpackt, schon viele Weihnachtsgeschenke parat. Und das mit-ten im Sommer! Weiter meinte meine Mutter, sie habe ganz sicher das Geschenk erkannt, welches sie der Tante, die ich hatte, auf letzte Weihnachten geschenkt habe. Grösse und Form, Papier, den weihnächtlichen Zierrat auf dem Päckli, halt das ganze Aussehen sei unverkennbar, sie könne sich genau daran erinnern, sie sei sich da ganz sicher, sie könne sich da nicht irren. Wir zweifelten keinen Augenblick an der Wahrnehmungsfähigkeit und an der Kompetenz des Gedächtnisses meiner Mutter und stellten die skurrilsten Mutmassungen zu ihrer Entdeckung an. Denn zugegeben, etwas sonderbar war die Tante, die ich hatte, ja schon.

An Weihnachten desselbigen Jahres geschah das Malheur. Wie üblich gab es an Heiligabend ein Rollschinkli und Kartoffelsalat zum Abendessen, zum Dessert eine Eistorte. Danach schellte lieblich das Glöcklein, das Zeichen für uns Kinder, dass wir in die gute Stube durften. Der Christbaum festlich geschmückt, die Kerzen brannten froh, unter dem Baum die Geschenke, die allerdings noch eine geraume Weile warten mussten. Weihnachtslieder wurden gesungen, Flötenspiel meiner Schwester, Vorlesung der biblischen Weihnachtsgeschichte mit Maria und Joseph und dem Jesuskind im Stall, dann die drei Weisen aus dem Mor-genland mit ihren mitgebrachten Geschenken. Irgendwann waren dann unsere Geschenke an der Reihe. Und jetzt kommt das Malheur. Schenkt doch die Tante, die ich hatte, meiner Mutter genau denselbigen Knirps-Regenschirm, den meine Mutter der Tante, die ich hatte, auf vorige Weihnachten geschenkt hat. Die Empörung meiner Mutter war gross. Die nächsten Tage liefen die Telefondrähte heiss. Das stimmt so wortwörtlich, denn damals waren auf hohen Masten über das ganze Land noch Telefondrähte gespannt. Dabei stellte sich heraus: Eine andere Tante, die ich hatte, hat von der Tante, die ich hatte, auf Weihnachten das-selbige Seifenset geschenkt bekommen, das die andere Tante, die ich hatte, der Tante, die ich hatte, auf vorletzte Weihnachten geschenkt hat. Die Seife war dann auch schon etwas brüchig.

Im Weiteren stellte sich heraus, dass die Tante, die ich hatte, seit Jahren alle Geschenke, die sie bekam, ohne sie auszupacken aufbewahrte, um sie dann bei Notwendigkeit weiterzuverschenken. Die Tante, die ich hatte, war nicht nur etwas sonderbar, sie war eben auch knausrig. Heja, warum Geld für Geschenke ausgeben. Es geht auch so. Das ging auch gut so, solange die Tante, die ich hatte, diesbezüglich fein säuberlich Buch führte. Aus Nachlässigkeit verlor die Tante, die ich hatte, dann aber die Kontrolle über ihre umfangreiche Geschenksammlung. So kam es zu diesen ersten Verwechslungen. Es sollten nicht die einzigen bleiben.

Obwohl die Tante, die ich hatte, entlarvt wurde, liess sie sich in ihrem Tun nicht beirren. So hat die Tante, die ich hatte, mir, dem halbwüchsigen Jungen, der ich damals war, an Weihnachten danach aus ihrem erklecklichen Fundus an gesammelten Geschenken per Versehen ein Negligé geschenkt. Das war dann selbst der Tante, die ich hatte, peinlich.

Wie viel Freude Schenken auch gerade dem/der Schenkenden machen kann, hat die Tante, die ich hatte, nie erfahren. Sie weiss nicht, was sie verpasst hat.

Ein Sprichwort besagt: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Damit hat die Tante, die ich hatte, aber so weit nichts zu tun. Was wäre gewesen, wenn die Tante, die ich hatte, damals der anderen Tante, die ich hatte, oder meiner Mutter oder mir aus purem Versehen einen Gaul zu Weihnachten geschenkt hätte? Dazu ist es nie gekommen. Aber mal angenommen, wenn. Was hätte zum Beispiel ich mit dem Gaul machen sollen? Meine Mutter hätte einen schönen Aufstand gemacht. Die Telefondrähte wären geschmolzen. Ehrlich gesagt und ganz nüchtern gesehen; das wäre eine schöne Schnapsidee gewesen, Versehen hin oder her. Ein Negligé ist leicht weiterzuverschenken. Hingegen ein Gaul! Wer von uns kann schon so ganz auf die Schnelle einen Gaul gebrauchen. Mit dem Gaul alleine ist es ja nicht getan. Wo soll er leben, dieser Gaul? Wir hatten kein Zimmer frei. Und wenn auch, da muss ein Stall her. Und Auslauf. Und eine Weide. Und Futter. Und ein Stallbursche. Es ist also gar nicht so einfach, je-

mandem einen Gaul zu schenken. Denn so ein Gaul braucht allerhand Equipment. Und sei der Wille noch so gross und die Motive noch so lauter: Wenn jemand jemandem einen Gaul schenken will, muss das schon gut überlegt sein, zum Wohlbefinden des Gauls und zum Wohlbefinden der frischgebackenen Gaulbesitzer. Aber wie gesagt; es muss ja nicht gleich ein Gaul sein. Ein handlicheres Geschenk tut’s auch. Wie sagt ein anderes Sprichwort doch so schön: Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Hingegen ein geschenkter Gaul kann eine Freundschaft schon ruinieren. Also Hände weg von Gäulen! Gäule sind als Geschenk tabu. Es gibt Geeigneteres.

Vor etlichen Jahren befand sich in der Vorweihnachtszeit ein Geschenke-Prospekt der besonderen Art in meiner Post. Die Tante, die ich hatte, hat damit rein gar nichts zu tun. Aber der Titel des Prospektes weckte mein Interesse. «Die moderne Hausfrau» stand da auf Glanzpapier in grossen, gelben, schattierten Lettern, flankiert von Christbaum, Kerzen und Lametta. Als Junggeselle, der den Haushalt autonom, also ganz ohne Dienstboten besorgte, war es mein Bestreben, mich in die Geheimnisse der modernen Hausfrau einweihen zu lassen. Ausserdem war ich auf der Suche nach Geschenkideen für Weihnachten. Sie verstehen. So stöberte ich neugierig in besagtem Prospekt, den ich bis heute aufbewahrt habe. Ein wahrhaftiges Kuriositätenkabinett. Ein Sammelsurium von Kitsch, Ramsch und Klimbim. Aber köstlich amüsant.

Gerne nehme ich besagten Geschenke-Prospekt hervor, blättere darin, stöbere, rapportiere dann, und lasse Sie so an meinem Amüsement teilhaben. Also, aufgepasst: Als Erstes lese ich vom

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LES INROCKS

AB 9. DEZEMBER IM KINO Winter-Lichterbaum aus Metall, der die Herzen der künftigen Besitzer mit drei Teelichtern in orangefarbenen Glasschälchen erleuchtet. Aber damit nicht genug, denn dessen Blättchen und Beeren aus Kunststoff beginnen im Lichterglanz wunderschön zu funkeln. Empfohlen wird, besonders den Feierabend im Glanz des Winter-Lichterbaums zu geniessen. Na also! Das ist doch schon mal was ganz Verlockendes, zumal das Ding ganz günstig zu haben ist. Schon auf Seite zwei wird mir Glückspilz ein «dekoratives Duftkännchen», dessen Potpourri an Düften die Sinne belebt, als zusätzliches Geschenk versprochen, wenn ich bestelle.

Als Nächstes stolpere ich über Dekosteine und lese interessiert deren Begleittext, der da lautet: «Mit Fantasie bringen Sie die Steine ins Rollen! Sicher die meiste Zeit im Leben ist man damit beschäftigt, Steine aus dem Weg zu räumen. Doch wer kreativ ist, dreht den Spiess mit den Dekosteinen jetzt einmal um.» Wohl kann ich der Logik dieser Erläuterung nicht ganz folgen, aber was soll’s! Sie kosten ja fast nichts.

Völlig überrumpelt werde ich von der Existenz der «Räucher-Pilze», die, wie ich lese, zur seltenen Gattung der Räuchermännchen gehören, die man heute, so steht es da geschrieben, leider nur noch in wenigen Gegenden findet. Das ist eigentlich höchst erstaunlich, denn wenn aus dem Schornstein im Hut des Räucher-Pilzes duftende Rauchwölkchen aufsteigen, zieht behagliche Gemütlichkeit in die Wohnung, deren glücklicher Mieter ich bin. Dann wird mir in kuriosen Worten die Puppe Xenia angeboten. Man stellt mir die Frage: «Bleibt in Ihrem Leben nur wenig Platz für Ihre persönlichen Sehnsüchte? In diesem Fall wünschen wir Ihnen, dass dieser Platz wenigstens gross genug für die Puppe Xenia ist!» Dann folgt der sicher gut gemeinte Ratschlag: «Warten Sie nicht, bis andere Ihre Wünsche erraten. Hören Sie auf Ihre innere Stimme und freuen Sie sich auf die Puppe Xenia». Na so was.

Anschliessend lerne ich den Traumfänger kennen, der, oh Wunder, die schlechten Träume über dem Bette abfängt. Der Riesenschuhlöffel gestattet mir mit seinen genau achtundfünfzig Zentimetern Länge, dass ich bei dessen Gebrauch meinen geplagten Rücken nicht mehr krümmen muss. Die unsichtbare, aber wirkungsvolle Schondecke schützt mein Tischtuch vor Flecken jeder Art. Und schliesslich wird mir eine Schachtel mit achtzehn Stühlen à fünf Zentimetern Höhe angeboten, die ich dann zu einem Turm stapeln soll. Keine Ahnung.

Obendrein erfahre ich, dass ich mir mit dem Armband-Fix ganz alleine, ohne jede fremde Hilfe, ein Armband ganz alleine anziehen kann. Super!

Haben Sie sich gut amüsiert? Also zumindest für meine Tante, die ich hatte, genauer formuliert: für ihre Geschenkesammlung, die sie hatte, wären da ein paar schöne Stücke dabei. Das Gegenteil von Schenken ist Stehlen. Aber das tun wir nicht. Wir bleiben beim Schenken. Weil Schenken Freude macht.

URS HABEGGER, 65, verkauft Surprise in der Bahnhofunterführung von Rapperswil, schreibt Kolumnen für das Strassenmagazin und gibt weitere seiner Texte in eigenen Büchlein heraus.

JOSIANE GRANER verkauft seit 2010 Surprise in Basel, sie lebt abgeschieden und macht gerne ausge- dehnte Spaziergänge mit ihrem Hund.

KARIN PACOZZI, 55, verkauft Surprise in Zug und schreibt Kolumnen fürs Strassenmagazin. Künstlerisch- handwerkliche Tätigkeiten schaffen ihr eine innere Struktur – gerade Strickmuster.

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