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«Nice to have » war gestern
Venture Capital – Inflation, wirtschaftliche und geopolitische Unwägbarkeiten, zunehmende Verunsicherung: Investoren agieren deutlich zurückhaltender als auch schon. Wir fragten namhafte Marktakteure, was die veränderten Rahmenbedingungen für die PropTech-Start-ups bedeuten.
Von Lars Sommerer – Fotos: zVg; Philipp Schuster
Seit rund sechs Monaten wird darüber gesprochen, dass aufgrund verschiedener makroökonomischer Entwicklungen die Laune von PropTechInvestoren getrübt ist. Wie beurteilt Ihr den Risikoappetit und -hunger von PropTech-Investoren?
Levent Künzi: Die Investitionstätigkeit im PropTech-Sektor hat sich in den letzten drei Quartalen aufgrund der Unsicherheit über die Märkte und Zinssätze verlangsamt – ein Trend, der sich im ersten Quartal dieses Jahres verstärkt hat aufgrund des makroökonomischen Umfelds, des allgemeinen Rückgangs der Investitionen in Wachstumstitel und der Auswirkungen steigender Zinssätze auf den immobilienbezogenen Endmarkt. Die Bewertungen auf dem Kapitalmarkt sind stark eingebrochen; viele Start-ups wurden trotz ihres vergleichsweise geringen Umsatzes überhöht bewertet. Eine Diskrepanz, die zu einem zurückhaltenden Umgang mit potenziellen Investitionen führt. Es ist zu erwarten, dass es bei einigen PropTech-Start-ups zu Konsolidierungen kommen wird – weil sie zwar gute Ideen haben, aber nicht genügend Einnahmen erzielen und daher stark von Investoren abhängig sind. Investoren erwarten mehr als zuvor, dass Start-ups frühzeitig profitabel werden. Derzeit muss man sich darauf konzentrieren, die Geschäftsmodelle an einen sich ständig verändernden Markt anzupassen, BurnRates zu kontrollieren und eine nachhaltige Wirtschaftlichkeit nachzuweisen.
Uwe Forgber: Risikokapital ist weiterhin vorhanden, jedoch sind die Investoren inzwischen selektiver und investieren nicht mehr blindlings. Jedes Investment in den PropTech-Bereich durchläuft mehrere Prüfungsprozesse, und derzeit wird ganz genau hingeschaut, was trägt, und was nicht.
Sander van de Rijdt: Aktuell zeigt sich eine ambivalente Situation. Einerseits sind Investoren vorsichtiger, schauen genauer hin und agieren abwartender als zuvor, andererseits ist nach wie vor sehr viel Feuerpulver in den Fonds – verfügbare Liquidität, die inflationsgetrieben eigentlich sehr zeitnah investiert werden muss. Start-ups im frühen Stadium, die gute KPIs, sprich Schlüsselkennzahlen, vorweisen können, bekommen Risikokapital auch zu attraktiven Konditionen. In einem späteren Stadium hängt viel davon ab, zu welchen Bedingungen vorhergehende Finanzierungsrunden abgeschlossen wurden und ob die Unternehmen ihren neuen Bewertungsfaktoren bereits gerecht wurden. Ich glaube dennoch, dass es im PropTech-Sektor weiterhin richtungsweisende Finanzierungsrunden geben wird. Die Immobilienwirtschaft steht im derzeitigen wirtschaftlichen Klima vor grossen Herausforderungen – hohe Energie- und Personalkosten oder ESG-Anforderungen, um nur einige davon zu nennen. Der Bedarf an Innovation ist nach wie vor gegeben und dessen sind sich auch die Investoren bewusst.
Was ist der Hauptgrund dafür, dass die Unternehmensbewertungen von PropTechs so rapide abgenommen haben?
Levent Künzi: Zum einen haben sicherlich die Marktwirtschaft und das schwierige Umfeld, das, wie eingangs erläutert, zu sinkenden Unternehmensbewertungen beigetragen. Aufgrund der «neuen» Marktsituation haben einige PropTechUnternehmen Schwierigkeiten, ihr Geschäftsmodell zu skalieren oder signifikante Gewinne respektive Umsätze zu erzielen, was sich direkt auf die Bewertungen auswirkt. Die aktuelle Herausforderung betrifft allerdings nicht nur die PropTechs, sondern die gesamte Start-up-Szene. Wir befinden uns derzeit in einer herausfordern- den Phase, sowohl in diesem Jahr als auch im nächsten. Es ist an der Zeit, die Denkweise von reinem Wachstum hin zu nachhaltiger Profitabilität zu ändern. PropTechs müssen Lösungen entwickeln, die skalierbar sind, einen echten Nutzen bieten und Umsatz generieren. Unternehmen, die diese Anforderungen nicht erfüllen können, sind nicht überlebensfähig.
Uwe Forgber: Ganz klar: Die steil nach oben gehende Zinskurve hat erst im angelsächsischen Raum und jetzt auch in Kontinentaleuropa Druck auf die Investments mit Immobilienbezug gebracht. Da PropTechs aber keine direkte Investition in Beton und Bauprojekte sind, sondern als Lösungen aus der digitalen Welt helfen, die gebaute Welt effizienter und transparenter zu gestalten, sehe ich hier nicht so schwarz wie vielleicht andere Marktteilnehmer. PropTech ist gekommen, um zu bleiben.
Sander van de Rijdt: Treiber für die Bewertungen ist immer der Public Market, und wenn es hier einen Abschwung gibt, dann schlägt sich das verzögert auch im Private Market nieder. Allerdings muss man sich vor Augen halten, dass 2021 und Teile von 2022 einen enormen Ausreisser darstellen. Bewertungsfaktoren dieser Grössenordnung werden wir lange nicht mehr sehen; wir sind eigentlich wieder zur Normalität zurückgekehrt. Aber mit guten unternehmerischen Kennzahlen kann man sich nach wie vor Vorteile verschaffen – wie gesagt, es ist eigentlich genug Geld im Markt.
Der Swiss PropTech Report 2021 hat folgende Erfolgsfaktoren definiert: Kundennutzen, Team und Skalierbarkeit. Haben sich diese aufgrund der ändernden Investorenverhalten gross verändert?
Levent Künzi: Die Erfolgsfaktoren für PropTechs haben sich durch das sich ändernde Investorenverhalten nicht wesentlich verändert. Kundennutzen, Team und Skalierbarkeit waren und bleiben wichtige Erfolgsfaktoren und sind für Investoren nach wie vor von zentraler Bedeutung. Der Fokus auf kundenorientierte Lösungen und eine Arbeitsweise, die Vereinfachung und Effizienz bietet, bleibt essenziell. PropTechs müssen weiterhin innovative Lösungen entwickeln, die den Bedürfnissen der Kunden gerecht werden und einen klaren Mehrwert bieten. In unsicheren Zeiten zeigt sich aber, dass manche Investoren zum Beispiel einen stärkeren Fokus auf ein erfahrenes Team legen, schon um sicherzustellen, dass das Unternehmen solide wächst und sich an Marktveränderungen anpassen kann.
Uwe Forgber: Der Nutzen für die Kunden steht weiterhin an vorderster Stelle. Ohne einen direkten Einfluss und Gewinn für das tägliche Geschäft in der Immobilienbranche sind digitale Lösungen per se erst einmal nicht überlebensfähig. «Nice to have» war gestern. Heute gilt es für PropTechs, «Must-haves» zu bieten.
Sander van de Rijdt: Ich denke nicht, dass sich die genannten Erfolgsfaktoren verändert haben. Wahrscheinlich haben Kundennutzen, Team und Skalierbarkeit sogar an Gewicht gewonnen. Der Nutzen einer Plattform oder Software muss für Kunden, will man sie von einer Investition überzeugen, gerade in einer wirtschaftlich herausfordernden Situation von der ersten Sekunde an klar ersichtlich sein. Dazu zähle ich auch die Nutzerfreundlichkeit – Lösungen müssen intuitiv zu erlernen und einfach zu bedienen sein, denn tagelange Einschulungen sind zu teuer. PropTechs, deren Produkt skalierbar ist und eine Lösung für mehr als ein Problem bietet, haben höhere Chancen auf Erfolg. Das sehen wir auch bei PlanRadar. Wir haben als Software für Mängelmanagement in Österreich gestartet und werden mittlerweile im gesamten Immobilienlebenszyklus weltweit auf allen Kontinenten eingesetzt. Und ohne ein starkes Team mit gutem Zusammenhalt können Unternehmen meiner Meinung nach ohnehin nicht funktionieren. Darauf hat auch verändertes Investorenverhalten keinen Einfluss.
Wie beurteilt Ihr das Verhältnis zwischen bestehenden und neuen Investoren, basierend auf dem Investitionspotenzial?
Levent Künzi: Eine allgemeine Beurteilung des Verhältnisses zwischen bestehenden und neuen Investoren auf der Grundlage des Investitionspotenzials ist komplex und hängt von zahlreichen Faktoren ab. Jedes Start-up durchläuft verschiedene Stadien. Bei Properti befinden wir uns derzeit auf dem Weg vom Start-up zum Scale-up. Wir konnten bereits solide Erfolge erzielen, die uns auf die nächste Stufe heben. Insgesamt ist das Verhältnis zwischen bestehenden und neuen Investoren ein dynamischer Prozess, der von Marktsituation, Unternehmensentwicklung sowie den jeweiligen Investitionsphasen und den Anforderungen der Investoren abhängt. Wichtig ist, dass man die Investoren stets abholt, ihre Erwartungen und Interessen kennt und entsprechend agiert.
Uwe Forgber: Unsere Gründer und Seed-Investoren sind der Kern unserer Unternehmung. Sie sind heute, auch gut fünf Jahre nach dem Start von Realcube, immer noch alle sehr aktiv dabei und bringen sich ein. Das ist ein sehr wertvolles Asset, vor allem auch im Austausch mit dem Markt und dem Aufbau eines Partner-Ökosystems, von dem die ganze Branche profitiert.
Sander van de Rijdt: Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen bestehenden und neuen Investoren ist meiner Meinung nach wichtig. Die einen kennen das Unternehmen bereits und können durch neue Kapitalzusagen Vertrauen in den Erfolg signalisieren, während die Diversifizierung des Captables nicht nur neues Kapital, sondern auch neue Perspektiven und eine Erweiterung des Netzwerks mit sich bringt, was das Wachstum des Unternehmens weiter ankurbeln kann.
Durchbeissen oder nachgeben: Sollten PropTechs, die auf Kapitalsuche sind, jetzt grössere Anteile verschreiben, oder sollten sie zuwarten mit der Investorensuche?
Levent Künzi: Meine persönliche Meinung für PropTechs ist, in Zeiten der Kapitalsuche standhaft zu bleiben, sich durchzubeissen und nicht nachzugeben. Eine klare Haltung sowie fokussierte Führung sind entscheidend, ebenso wie eine kritische Bewertung der benötigten Positionen und Skalierungsmöglichkeiten. PropTechs sollten ihre Stärken nutzen und sich darauf konzentrieren, was sie am besten können – anstatt in zu viele verschiedene Bereiche zu diversifizieren. Gleichzeitig sollten smarte, alternative Investitionsmöglichkeiten wie Brückenfinanzierungen, Darlehen oder Extended Rounds geprüft werden. Es mag aktuell vielleicht nicht der perfekte Zeitpunkt für die Investorensuche sein, aber wenn das Produkt stimmig ist und vielversprechende Aussichten in Bezug auf Profitabilität und Mehrwert für die Kunden bestehen, sollten PropTechs weiterhin in der Lage sein, Investitionen zu gewinnen.
Uwe Forgber: Die Entscheidung ist von mehreren und unterschiedlichen Faktoren abhängig. Zum einen beispielsweise davon, wie viel Eigen- respektive Fremdkapital vorhanden ist, und welche Summen und Investments braucht es, um den Weg zum Break-even und darüber hinaus zu schaffen. Zum anderen spielt eine Rolle, wie viel Unabhängigkeit die Gründer haben wollen und was sie sich leisten wollen, sprich: Welche Budgets werden für Produktentwicklung und User Experience UX sowie für den Bereich Marketing und Kommunikation gebraucht? Das sind entscheidende Fragen, die man sich vor der Investoren suche stellen muss und die es zu beantworten gilt.
Sander van de Rijdt: Ob durchbeissen oder nachgeben, kann man nicht pauschal beantworten; das muss immer im Einzelfall bewertet werden. Es hängt von der jeweiligen finanziellen Situation, der Durchschlagskraft, den strategischen Zielen, dem Markt- sowie dem Wachstumspotenzial des jeweiligen PropTechs ab. Und natürlich auch von der Konkurrenzsituation und davon, ob man das Zeitfenster für eine günstige Gelegenheit sofort nutzen sollte oder taktieren kann.
Eine abschliessende Frage zum Thema Nachhaltigkeit: Welche Rolle spielt die Nachhaltigkeit bei der Suche nach Venture Capital und wie wird sie gewichtet?
Levent Künzi: Nachhaltigkeit spielt bei der Suche nach Risikokapital eine zunehmend wichtigere Rolle, da Investoren verstärkt auf nachhaltige Geschäftspraktiken achten und diese als Wettbewerbsvorteil ansehen. Die Gewichtung der Nachhaltigkeit hängt jedoch von den Zielen und Werten des Investors ab, weshalb Unternehmen ihre Ziele entsprechend ausrichten müssen. Start-ups, die sich als sozial und ökologisch verantwortlich präsentieren, haben bessere Chancen, Investoren zu gewinnen und ihre Finanzierungsmöglichkeiten zu erweitern. Bei Nachhaltigkeit geht es darum, gemeinsam etwas zu bewirken und mit gutem Beispiel voranzugehen.
Uwe Forgber: Mit den Buzz-Buchstaben E, S und G ist das Thema Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft heutzutage immer mitzudenken. Einen klaren Vorteil haben jetzt Technologieunternehmen, die diesen Bedarf mit ihren Tools, Lösungen und Plattformen im Markt erkannt haben und ihn direkt bedienen und befriedigen können.
Sander van de Rijdt: Obwohl Nachhaltigkeit bisher vielleicht eine eher untergeordnete Rolle bei der Suche nach Venture Capital gespielt hat, gehe ich davon aus, dass sich das in Zukunft ändern wird. Die gesetzlichen Anforderungen werden immer strenger und es muss sich einiges verändern, um die Nachhaltigkeitsziele der EU oder einzelner Länder auch nur annähernd zu erreichen.
Investoren werden daher vermehrt in nachhaltige Unternehmen investieren, stärker auf den Impact der Produkte achten und umfangreiche Nachhaltigkeitsberichte verlangen. Expertinnen und Experten sind sich einig, dass die Digitalisierung der Schlüssel zu einer nachhaltigeren Zukunft der Bau- und Immobilienbranche ist. Daher sehe ich für den PropTech-Sektor in diesem Zusammenhang keine Nachteile. ∙