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«Functional Training», was ist das genau?
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Die ganze Welt redet über «Functional Training», aber was bedeutet es eigentlich genau? Florian Schmid, Sportphysiotherapeut und Abteilungsleiter Hirslanden Training Aarau, klärt auf.
Ist es funktionell (siehe Glossar rechts), wenn ein Weitspringer in der offenen Kette sein Sprungbein trainiert? Oder wenn ein Ringturner Bizeps-Curls zur Kräftigung der Oberarme macht? Reicht eine Übung zum Training eines Muskels aus, um funktionell im Alltag oder im Sport bestehen zu können? Wohl kaum. Die MuskelSehnen-Einheit leistet mehr – vor allem bei mehrgelenkigen Muskeln –, als nur eine Bewegung in eine Richtung auszuführen. Die Bewegungsabläufe der Muskeln sind nicht linear, sondern dreidimensional und komplex. Dieser Tatsache sollte beim funktionellen Training Rechnung getragen werden.
Alle Funktionen berücksichtigen
Es macht keinen Sinn, zur Bizeps-Kräftigung mit Kurzhanteln nur eine geradlinige Bewegung, also zum Beispiel das Beugen des Ellbogens, zu trainieren. Der Bizeps ist als mehrgelenkiger Muskel nicht nur für die Beugung des Ellbogens zuständig, sondern dreht auch den Unterarm nach aussen, so dass die Handfläche nach oben gedreht wird. Im Schultergelenk kommen weitere Aufgaben, wie den Arm nach vorne oben zu führen sowie an den Brustkorb heranziehen (kurzer Bizepskopf) oder vom Körper abspreizen (langer Bizepskopf), hinzu. Bei einem funktionellen Training sollten daher alle Bewegungsaufgaben eines Muskels oder einer Muskelgruppe berücksichtigt werden.
Kombinierte Übungen
Optimalerweise kombiniert man Bewegungen, indem man zum Beispiel bei einem Bizeps-Curl den Unterarm nach aussen dreht (sogenannte eingedrehte Bizeps-Curls). Als weiterführende Bewegung wird die Hantel anschliessend über den Kopf gestemmt. Der Ellbogen wird dann zwar wieder gestreckt, aber als mehrgelenkiger Muskel wird nun der Anteil des langen Bizepskopfes aktiv. Übungen dieser Art mit Hanteln gehören zur Kategorie der offenen Kette.
LUNGES MIT KNIEHEBEN
(siehe Abbildungen oben)
Diese funktionelle Grundübung eignet sich zur Kräftigung des Sprungbeins für den Absprung beim Weitsprung, Hochsprung und weiteren Absprungvarianten in verschiedenen Ballsportarten.
1 Ausgangsposition: Im Ausfallschritt stehen, wobei das vordere und das hintere Knie in einem 90-Grad-Winkel positioniert sind. 2 Bewegungsablauf: Das vordere Bein strecken und das hintere Knie schnell nach vorne oben, bis auf Bauchhöhe hinaufziehen. Den Einbeinstand kurz halten. Langsam und kontrolliert wieder zurück in die Ausgangsposition. Variante: Die Bewegung schwungvoll bis zum Zehenstand ausführen. Endposition: gleich Ausgangsposition. Haltungskontrolle: Den Oberkörper aufrecht halten und den Rumpf gut stabilisieren. Die Beine im Ausfallschritt nicht mehr als 90 Grad beugen.
Fotos: Michael Klauser
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Bei einem «Functional Training» sollten Übungen in offener und in geschlossener Kette gezielt eingebaut werden. Ein Beispiel zur geschlossenen Kette sind Klimmzüge für den Bizeps oder Squats zur Kräftigung der Oberschenkelmuskeln. Es ist also sinnvoll, die Muskeln, je nach Aufgaben und Funktion im Sport und Alltag, auch im Training in offenen oder/und geschlossenen Ketten zu beüben.
Alltagstauglich
Arbeit oder Kraft wird im Muskel nicht nur bei einer miometrischen Kraftproduktion, sondern auch beim isometrischen Halten sowie beim pliometrischen Abbremsen eines Gewichts erzeugt. Beim Hinuntersteigen einer Treppe erzeugt der Quadrizeps pliometrische Kraft in Form von bremsender Arbeit, um zu verhindern, dass man im Knie einknickt und die Treppe hinunterfällt. Die Kraftentwicklung wird zusätzlich durch die Rekrutierung und Frequenzierung der motorischen Einheiten sowie die strukturellen und metabolischen Eigenschaften der Muskelfasern beeinflusst.
Fazit
Ein Training wird also dann funktionell, wenn der geforderte Muskel in all seinen Bewegungsaufgaben trainiert wird. Muskeln, die in ihrer Länge der MuskelSehnen-Einheit über mehrere Gelenke hinweg verlaufen, haben mehrere Bewegungsaufgaben. Während eines «Functional Training» trainiert man demzufolge einen Muskel mit diversen, funktionell unterschiedlichen Übungen (z. B. Liegestütze, Ruderzüge, Klimmzüge usw.). Dabei sollen offene und geschlossene Ketten miteinbezogen als auch verkürzende, isometrische und bremsende Aktivitäten des Muskels gefordert werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Trainingseffekte beim Ausüben der jeweiligen Sportart oder auch bei Alltagsaktivitäten wirksam werden, ist durch diese Trainingsform erheblich grösser.
Text: Florian Schmid
Kurs «Functional Training in der Turnhalle»
Empfohlene Literatur:
«MuskelRevolution», Marco Toigo
GLOSSAR
Funktionell Zweckmässig
Bizeps-Curl
Bizeps ist der zweiköpfige Oberarmmuskel. Bizeps-Curl bedeutet, mit Gewichten diesen Muskel über das Beugen des Ellbogens zu kräftigen.
Offene Kette
Training mit frei beweglichen Gewichten
Geschlossene Kette
In einer geschlossenen Kette ist demzufolge das Gewicht oder der Widerstand fix und der eigene Körper wird bewegt.
Mehrgelenkiger Muskel
Die Muskel-Sehnen-Einheit läuft über mehr als ein Gelenk hinweg.
Squats
Kniebeugen
Miometrische Kraftproduktion
Mio- bedeutet kürzer, metrisch beschreibt die Länge, also Verkürzungsbewegung.
Isometrische Kraftproduktion
Iso- bedeutet gleich, von aussen ist keine Bewegung sichtbar.
Pliometrische Kraftproduktion
Plio- bedeutet länger.
Quadrizeps
Vorderer, vierköpfiger Oberschenkelmuskel
Rekrutierung
Viele motorische Einheiten werden gleichzeitig angesprochen (motorische Einheit = kleinste Funktionseinheit im Muskel, die ein Motoneuron und seine zugehörigen Muskelfasern umfasst).
Frequenzierung
Zeitliche Folge von Aktionspotenzialen (Nervenimpuls) einer motorischen Einheit. Die Frequenzierung steigt grundsätzlich mit zunehmender Kraft.
Metabolisch
Stoffwechsel im Muskel