Tectum leseprobe Nuechter Missbrauch

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Norbert N端chter

Sexuellen Missbrauch verstehen, behandeln und verhindern

Tectum Sachbuch


Norbert Nüchter Sexuellen Missbrauch verstehen, behandeln und verhindern Ein Ratgeber für Betroffene und die therapeutische Praxis Redaktion: Wiebke Lange, geb. Nüchter © Tectum Verlag Marburg, 2013 ISBN: 978-3-8288-3145-2 Umschlagabbildung: © shutterstock.com, luxorphoto Bildnachweis S. 8: Illustration »Abconterfeytung und Erklerung des Clevischen Ritters S. Jörgens«, 1614 – http://commons.wikimedia.org/ wiki/File:Ausschnitt_23_675171Y.jpg?uselang=de Druck und Bindung: Schaltungsdienst Lange, Berlin Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten Besuchen Sie uns im Internet www.tectum-verlag.de

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.


Inhalt Lys Kroehnert: Planstelle Drachentöter

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1. Einleitung

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2. Die Macht des sexuellen Missbrauchs

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2.1 Zuneigung und Liebe, Angst und Ablehnung

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2.2 Die Rolle des Vaters als Täter

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2.3 Die Rolle der Mutter als Mittäterin

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2.4 Die Ohnmacht und Hilflosigkeit des Opfers

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3. Wie Kinder Missbrauch erleben

35

3.1 Nadine

35

3.2 Der Mehrfachfall

45

3.3 Janine und Jacqueline

51

3.4 Die Folgen werden oft erst im Erwachsenenalter bewusst – Nina

66

3.5 Selina

72

3.6 Britta

81

4. Das Opfer, die Erinnerungen, das Erlebte

83

4.1 Die psychischen Folgen des sexuellen Missbrauchs

83

4.2 Auswirkungen auf Beziehungen, Partnerschaften und Sexualität

90

4.3 Den eigenen Körper wiederfinden

94

5. Therapien 5.1 Techniken der Behandlung

97 97

5.2 Somatoforme Auswirkungen von Missbrauch

120

5.3 Therapieerfahrungen

127


6. Therapiekonzept nach Dr. phil. Norbert P. Nüchter 6.1 Wissenschaftlicher Hintergrund

129 130

6.2 Therapiebeginn

131

6.3 Explorationsphase

134

6.4 Therapie: Analytische Sexualtherapie

140

6.5 Aufbruch

142

6.6 Exkurs

145

6.7 Vorbereitung der Konfrontation

148

6.8 Konfrontation

149

6.9 Nacharbeit

154

7. Appelle

157

7.1 Kinder

157

7.2 Angehörige

158

7.3 Menschen aus dem Umfeld

159

7.4 Täter und Täterinnen

160

7.5 Unsere Gesellschaft

161

8. Forderungen an die Gesellschaft

163

Literatur

167


In Erinnerung an meinen Vater, der dieses Buch leider nicht mehr selbst veröffentlichen konnte. Du warst mir immer eine große Stütze. Ich vermisse dich. In Liebe deine Tochter Wiebke.


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1. Einleitung Warum jetzt dieses Buch? Sexueller Missbrauch ist in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabuthema. Da, wo er stattfindet, bleibt er oft im Verborgenen.

Hintergrund

Täter bedrohen ihre Opfer: emotional, mit Gewalt, Verlust, Liebesentzug oder unerträglichen Szenarien. Die Angehörigen, Mütter, Großeltern, Väter, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher schauen weg. Einerseits, weil es sie dann nicht betrifft und andererseits, weil man keinen Ärger haben will und man ja auch gar keine Beweise hat. In vielen Fällen kommt es nicht einmal zu einer Anzeige. Erschwerend kommt hinzu, dass die Schuld nicht beim Täter, sondern beim Opfer gesucht wird, was sich schon deshalb anbietet, weil die meisten Opfer sich selbst schuldig fühlen. Oft wird von Verführung durch das Opfer gesprochen, der sich der Täter nicht entziehen konnte. Die notwendigen Aussagen bei der Polizei und vor Gericht schrecken viele Opfer schon im Vorfeld ab, denn es ist von Scham und Schuld besetzt, über die oft erniedrigenden Erlebnisse zu sprechen. Selbst in vertrauensvollen Therapiesituationen fällt es schwer, Erlebtes wiederzugeben. Die Ereignisse und Gefühle, die mit Missbrauchssituationen einhergehen, zwingen die Opfer in vielen Fällen dazu, das Geschehene zu verdrängen. Dazu kommt es, wenn das Erlebnis so schmerzhaft ist, dass es für das Opfer völlig unerträglich ist. Es muss durch die Verdrängung »ungeschehen« gemacht werden, weil das Opfer glaubt, sonst »verrückt« zu werden. Die Belastungen der Opfer, die sich für eine juristische Verfolgung der an ihnen vollzogen Straftaten entscheiden, sind enorm: Zunächst werden sie – im Gegensatz zum therapeutischen Setting – dazu gezwungen, möglichst viele Details, Daten und Orte zu erinnern. Die Therapie trachtet stattdessen danach, das Erleben der Situation hervorzubringen. Weil die strafrechtliche Verfolgung dem Täter die Tat nachweisen muss, wird das Opfer unter enormen Druck gesetzt und

Verkehrte Welt


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oft sehr beschämenden und verletzenden Prozeduren unterzogen. Die Aussage des Opfers ist meistens der einzige Beweis, vor allem wenn nur mangelhafte oder keine Tatspuren vorhanden sind, was der Regelfall ist. Sollte das Opfer psychisch oder geistig krank sein, ist es notwendig, dass ein Glaubwürdigkeitsgutachten von einem Sachverständigen die Beweise absichert (Giernalczyk in Fliß und Igney, 2008, S. 347). Die Strafen für die Täter fallen am Ende meist sehr milde aus. Sie kommen oft mit einer Geldstrafe davon. Mehr Aufmerksamkeit für das Thema

Zeichen dafür, dass die Bedeutung von Missbrauch und Misshandlung im Laufe des 20. Jahrhunderts weiter ins gesellschaftliche Bewusstsein gelangt sind, lassen sich in folgenden Veränderungen finden: 1976 in dem Inkrafttreten des Opferentschädigungsgesetzes (OEG), in den Gesetzesänderungen, die Vergewaltigung in der Ehe als Straftat anerkennen (1996), in dem Recht von Kindern auf gewaltfreie Erziehung (2000), im Gewaltschutzgesetz von 2002 und im Inzestverbot im engeren Sinne (§173 StGB). Damit sind drei Vorstellungen in das Strafgesetzbuch eingegangen, die Schutz vor der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung gewährleisten sollen: Missbrauch von Abhängigen, von Kindern und sexueller Missbrauch unter Anwendung von Gewalt (Hirsch, 1999, S. 7 f.). Doch all diese Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus, betrachtet man Statistiken, die sich mit sexuellem Missbrauch beschäftigen: Die meisten Täter treffen nicht, wie es die Nachrichten darstellen, zufällig auf ihre Opfer, vielmehr stammen sie meist aus dem familiären Umfeld oder dem engen Bekanntenkreis. Sexuelle Gewalt findet häufig im Zusammenhang mit Alkoholismus statt und durch Männer, die schnell aggressives Verhalten zeigen.

Tätergruppen

Die folgende Grafik zeigt, dass mit 34 % die Väter die häufigsten Täter sind. Die anderen Tätergruppen liegen zwar relativ weit dahinter zurück, stellen aber trotzdem eine nicht zu vernachlässigende, erhebliche Bedrohung für die Opfer dar.


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Grafik 1: Täter aus dem nahen Umfeld

Quelle: Völker, 2002, S. 41

Grafik 2: Dauer des sexuellen Missbrauchs

Quelle: Völker, 2002, S. 42

Auch die Dauer des sexuellen Missbrauchs erstaunt: So ist davon auszugehen, dass Kindesmissbrauch überwiegend in einem Zeitfenster von 3 Jahren stattfindet. Berücksichtigt man die gravierenden Entwicklungen, die Kinder und Jugendliche in einem Zeitraum von drei

Dauer


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Jahren durchmachen, erhält man eine Vorstellung von der Einwirkung, die Missbrauchserfahrungen auf die weitere Entwicklung haben. Am häufigsten sind Kinder innerhalb der Pubertät, also im Alter von 11 bis 16 Jahren (52 %), betroffen. Kinder vor dem Beginn der Pubertät, also 10- bis 14-Jährige, sind zu 32 % betroffen, bis 10 Jahre zu 16 % bezogen auf alle Missbrauchsfälle. (Quelle: Völker, 2002, S. 43) Der Schaden, der durch sexuellen Missbrauch verursacht wird, ist so vielschichtig und umfassend, dass man ihn oft kaum in Worte fassen kann. In der Literatur wird u. a. von sexueller Nötigung, Seelenmord und der Zerstörung der menschlichen Würde des Kindes gesprochen. Haines (2001) vertritt die Meinung, dass die Täter versuchten, ihr/ ihm (dem Opfer) etwas zu nehmen, was sie selbst längst verloren hätten. (Wenn sie es denn je gehabt hatten). Haines meint damit, dass die Täter im verächtlichen Umgang mit den Opfern Gefühle in diesen hervorrufen wollen, die sie selbst sehr gut kennen. Das emotionale Gegenstück kann als positives Gefühl (Liebe) erkannt werden, was der Täter dem Opfer nehmen will. Keine Frage sozialer Schichten

Die sexuelle Gewalt des Missbrauchs findet unabhängig von Verdienst oder gesellschaftlicher Stellung in den Familien statt. Besonders schwerwiegend ist der sexuelle Missbrauch in Form von Inzest. Hier spielt die Trennungsangst aller Familienmitglieder eine bedeutende Rolle für die Beziehungsdynamik. Es existiert eine klare Unterscheidung zwischen außen und innen (Familie). Außenkontakte werden nicht zugelassen, beziehungsweise strikt verboten oder kontrolliert. Das 18. Lebensjahr stellt in diesem Zusammenhang eine magische Grenze dar, weil die Kinder aufgrund einer Ausbildung oder Partnerschaft eventuell das Haus verlassen. Bei Trennung der Familie kommt es häufig zu Todesfällen oder Selbstmord in der Familie (z. B. des Vaters).


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Inzest wird von Weinberg in drei Gruppen eingeteilt: • Promiskuitive Familien Multipler Inzest in der Familie, in der Regel mit Gewalt und Misshandlung. Wichtig: Der Vater unterhält auch außerhalb der Familie sexuelle Aktivitäten. • Endogamische Familien Inzest wird oft als überraschend von der Umwelt empfunden, in sich geschlossene Familie, keine physische Gewalt außer bei Eifersuchtsanfällen des Vaters, Familie sozial unauffällig. • Pädophile Familien Inzest beginnt vor der Pubertät der Kinder. (Hirsch, 1999, S. 78, mit Bezug auf Weinberg, 1955) Strafrechtliche Bestimmungen verfolgen das Ziel, Kinder und Abhängige vor sexueller Misshandlung zu schützen und die allgemeingültigen Moralvorstellungen zu bewahren, wobei dieses Ziel bei weitem noch lange nicht erfüllt ist und der letzte Aspekt aufgrund seiner religiösen Begründung darüber hinaus fragwürdig ist (Hirsch, 1999, S. 7). Frauen, die als Kinder oder Jugendliche Gewalt erlebt haben, erleben auch später doppelt so häufig Gewalt, als Frauen, die diese Erfahrungen nicht gemacht haben. Sie entwickeln sich zu Perfektionisten oder leben im Chaos. In der Kindheit werden sie als Musterschüler oder Problemkinder wahrgenommen. Roseanne Arnold sagte in der Talkshow Oprah: Wenn jemand Sie fragt: »Sind Sie als Kind sexuell missbraucht worden?« gibt es nur zwei mögliche Antworten: Die eine lautet »Ja« und die andere »Ich weiß es nicht«. Sie können nicht mit »Nein« antworten (Loftus und Ketcham, 1995, S. 231).


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Gesellschaftliche und individuelle Verantwortung

Solange solche Aussagen in unserer Gesellschaft einen Wahrheitsgehalt besitzen, sind die Gesellschaft, der Staat und vor allem Familienmitglieder, Bekannte und Freunde – also wir alle – gefordert, unseren Mitmenschen und vor allem unseren Kindern mehr Beachtung zu schenken, um Hilfe leisten zu können, wenn sie gebraucht wird. Dieses Buch soll einen Einblick in die Folgen sexuellen Missbrauchs geben und die Scheu, sich mit so einem »unangenehmen« Thema zu beschäftigen, mindern. Es ist dringend notwendig, dass sich unsere Gesellschaft mehr mit dem Thema »Sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen« auseinandersetzt, stellen doch diese Kinder und Jugendlichen unsere sprichwörtlich gewordene Zukunft dar. Sie gehen zukünftig Partnerschaften ein, gründen Familien und erziehen und umsorgen ihre Kinder. An erster Stelle wendet sich dieses Buch an die vielen Opfer, die ermutigt werden sollen, nicht aufzugeben, wenn die Vertrauensperson (z. B. die Mutter) ihnen nicht glaubt. Es wendet sich an die Vertrauenspersonen, also die Mütter, Väter, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Verwandten oder Freundinnen und Freunde, die es ermuntern soll, sich einzumischen. Es wendet sich an die Therapeutinnen und Therapeuten, die sich trauen sollen, sich mit MissbrauchsPatienten/-innen auseinanderzusetzen, diese zu begleiten und ihnen Mut zu machen, die Gefühle zuzulassen, die mit dem Missbrauch verbunden sind, um die Gefühle freizulegen, die ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen, auch nach den tiefen Verletzungen, die Missbrauchserfahrungen mit sich bringen. Nicht zuletzt wendet sich dieses Buch aber auch an die Täterinnen und Täter, für die es nie zu spät ist, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen oder zumindest mit dem Missbrauch aufzuhören. Sich zu entschuldigen und aufrichtig die Verantwortung gegenüber ihren Opfern zu übernehmen. Es lohnt sich für beide, die Täter und die Opfer.


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2. Die Macht des sexuellen Missbrauchs Die Macht des sexuellen Missbrauchs besteht in der Ohnmacht der Opfer: Der Missbrauch beruht nur selten auf körperlicher Gewalt.

Ohnmacht der Opfer

Die Gewalt findet in der Regel auf einer anderen Ebene statt – beispielsweise im Rahmen von Bestrafungen, die in ihrer Unverhältnismäßigkeit eklatant sind. Diese Form des Umgangs soll dem Opfer zeigen, wie wertlos und unfähig, wie dumm und lebensunfähig es ist. Die Verunsicherung soll dazu führen, dass das Opfer sich am Ende selbst nicht glaubt, was es genau weiß. Der Missbrauch selbst aber findet scheinbar freiwillig, also mit scheinbarer Einwilligung des Opfers, statt. Die eigentliche Macht des Täters liegt oft in der Vorführung von Verlust, den das Opfer erleiden wird, wenn es nicht »gefällig« ist. Manchmal ist der Täter auch der einzige »Vertraute« des Opfers. 2.1 Zuneigung und Liebe, Angst und Ablehnung Kinder orientieren sich immer an den Eltern. Diese legen fest, welche Verhaltensweisen gut oder schlecht sind. Dieser Zustand ändert sich erst in der Pubertät. Eltern sind Vertrauenspersonen, die Schutz und Geborgenheit bieten, die trösten, wenn man traurig ist, und die sich um das Wohlergehen des Kindes sorgen. So sollte es für alle Kinder sein. Kinder, die sexuell missbraucht werden, finden all diese Verhaltensweisen bei ihren Eltern nicht. Zuneigung und Liebe finden oft nur in den sexuellen Handlungen statt. Der Elterntäter, die Elterntäterin ist oftmals die einzige Vertrauensperson für das Kind, weil der andere Elternteil bereits als Vertrauensperson versagt hat. Das Kind hat das Gefühl, allein zu sein, was für jedes Kind eine erhebliche Bedrohung darstellt. Diese Stellung nutzen Täter und Täterinnen aus; sie wissen,

Bedeutung der Eltern


dass ihre Opfer emotional von ihnen abhängig sind. Es findet ein Wechselspiel statt, das die Täter hervorragend beherrschen. Sie spielen mit der Angst des Kindes vor Einsamkeit, der Verlustangst, die einzig vertraute Person zu verlieren: »Wenn du nicht mit mir schläfst, hab ich dich nicht mehr lieb! Ich hab dich lieb, wenn du tust, was ich will!« Der Täter/die Täterin drückt es in der Regel nicht ganz so direkt aus, sondern formulieren es geschickter. Kleine Kinder nehmen z. B. ihre Puppe als »lebendig« wahr, was oft in Form von Drohungen genutzt wird: »Wenn du nicht tust, was ich sage, tue ich deiner Puppe etwas!« Ambivalenz und Angst

Der sexuelle Missbrauch bringt das Kind in eine schwierige Situation. Zum einen will es geliebt werden, auf der anderen Seite sind die sexuellen Übergriffe kaum zu ertragen, und das Kind versteht nicht, warum ihm seine Vertrauensperson so etwas antut. Dominierend ist dann die Angst, diese Person zu verlieren und allein zu sein. Alleinsein ist für uns Menschen ein furchtbarer Gedanke, der selbst bei vielen Erwachsenen schwere Angstzustände hervorruft. Die meisten Opfer schalten während des Missbrauchs ab: sie dissoziieren. Dabei spalten sie das körperliche Erleben vom psychischen Erleben ab, um Überleben zu können. Die Realität des Missbrauchs wäre in der Einheit von Körper und Psyche nicht zu ertragen. Hass können die meisten Opfer für die Täter nicht empfinden, dies gilt besonders, wenn der Vater der Täter ist. So sagt Christina, ein Opfer, das von seinem Vater und dessen Bekannten missbraucht wurde: Von meinem Vater war ich enttäuscht. Ich wünschte mir ja eigentlich nur, dass er mich lieb hat. Und zudem hatte ich das Gefühl, ich müsste ihn beschützen. Den Bekannten habe ich gehasst für das, was er mir angetan hat (Völker, 2002, S. 16). Auch Kinder, die außerhalb der Familie missbraucht werden, tragen bleibende Schäden davon, allerdings kann ihnen die Geborgenheit der Familie wenigstens erhalten bleiben (Striebel, 2004, S. 15).


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2.2 Die Rolle des Vaters als Täter Der intelligente Trugschluss, dem du ebenso wie die meisten anderen Überlebenden als Kind wahrscheinlich angehangen hast, war der zu denken, du hättest irgendwie Kontrolle über deine Sicherheit. Du hattest keine. Kinder werden manipuliert, genötigt, bedroht und zu sexuellen Handlungen gezwungen, manchmal unter dem Deckmantel der Liebe (Haines, 2001, S. 27). Warum zwingt ein Täter ein Kind zu sexuellen Handlungen? In der Literatur wird bezüglich des Inzests ein gestörtes Verhältnis zur Ehefrau als ein Grund angegeben. Anlass scheint ihr Rückzug aus der Beziehung zu sein. Gründe dafür können ihr Tod, ihr Beruf, Schwangerschaft oder Geburt sein. Häufig ist eine gemeinsame Sexualität zwischen den (Ehe-)Partnern nicht mehr möglich, was zu einer erhöhten Bedürftigkeit des Partners führt. Die Täter sind oftmals selbst sexuellem Missbrauch zum Opfer gefallen und wiederholen diesen dann an ihren Kindern.

Gestörtes Beziehungsleben

Bei den Tätern handelt es sich in der Regel um passive und emotional abhängige Ehemänner, die die Anerkennung einer aktiven und dominanten Frau begehren. In so einer Konstellation ist der Mann nicht in der Lage, die Ansprüche der Frau zu erfüllen, was dazu führt, dass sich die Frau frustriert zurückzieht. Die mangelnde Autorität in der Partnerschaft kann der Mann dem Kind gegenüber ausleben, weil es keine emotionale Gefahr für ihn repräsentiert. Er allein bestimmt die Sexualität, ihren Verlauf, den Zeitpunkt und hat kaum einen Widerstand zu erwarten.

Abhängigkeit

Der Vater bestimmt, was gut oder schlecht an der Tochter ist. Er spricht abfällig über bestimmte Eigenschaften, vor allem bezüglich der weiblichen Körperteile. Diese Beurteilungen sind häufig wechselhaft und führen nicht selten zu einer Selbstbild-Erniedrigung des Kindes.


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Die Täter sind nicht in der Lage, ihre Bedürfnisse von denen des Kindes zu unterscheiden. Sie vertreten die Meinung, dass Männer gegenüber Frauen eine Vormachtstellung haben. Sexual- und Beziehungsprobleme

Im alltäglichen Leben sind die Täter meist unauffällig und angepasst, haben jedoch in ihrem Sexualleben erhebliche Probleme. Sie sind oft nicht in der Lage, eine erwachsene sexuelle Beziehung aufrechtzuerhalten. Sie können sexuelle Grenzen anderer schlecht akzeptieren und einhalten. Pädophile Täter sind oftmals davon überzeugt, den Kindern nichts anzutun. Sie kaufen den Kindern Geschenke, gewinnen ihr Vertrauen bis hin zu den sexuellen Handlungen. Sie sind überzeugt, dass sie mit dem Kind eine Beziehung eingehen und bezeichnen sich als nett, freundlich und fürsorglich. Schließlich verzichten sie, zumindest in der Regel, auf die Anwendung von Gewalt. Sie ergreifen gezielt Berufe, in denen sie mit Kindern Kontakt haben und ein gutes Verhältnis zu den Eltern aufbauen können. Sie wählen oft ein stilles und isoliertes Kind, weil sich das Vertrauen dieser Kinder in der Regel schneller und leichter gewinnen lässt. Ein eventuell bereits vorbelastetes Kind mindert die Komplikationen, da es schon eingeschüchtert ist und nicht reden wird. Handelt es sich um das eigene Kind, sind die Voraussetzungen bereits vom Täter selbst geschaffen. Der Missbrauch durch Väter an ihren Söhnen fällt meistens erst auf, wenn die Söhne aggressives Verhalten zeigen. Vor allem die Angst, homosexuell zu sein, beschäftigt diese Jugendlichen. Die Homosexualität stellt in diesem Kontext ein großes Problem dar (Hirsch, 1999, S. 158). Oftmals ist der Vater seit der Pubertät homosexuell, lebt diese Seite aber nicht aus. Im pubertären Alter des eigenen Sohnes kommt es häufig zu gemeinsamem Masturbieren. Wenn der Sohn beginnt, sich abzugrenzen, wird das vom Vater in der Regel akzeptiert, dieser fällt dann jedoch häufig in Depressionen und Schuldgefühle (Hirsch, 1999, S. 170 f.).


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In der Literatur wie auch hier wird primär auf das Verhalten des männlichen Täters eingegangen, da die meisten Sexualstraftäter Männer sind (rund 90 %). Doch auch Frauen vergehen sich an Kindern. Immerhin 10 % der Fälle von sexuellem Missbrauch werden von Frauen verübt. In den meisten Fällen sind die Frauen allerdings nicht Haupttäterinnen, sondern so genannte »stille Mittäterinnen«. Sie dulden oder beteiligen sich am Missbrauch.

Täterinnen

Wenn Mütter sich an ihren Söhnen vergehen, sind häufig Ausreden, wie z. B. Schutz vor Homosexualität, als Präventionswahn bei den Müttern festzustellen (Hirsch, 1999, S. 159). 2.3 Die Rolle der Mutter als Mittäterin Mütter, die als Mittäterinnen in Erscheinung treten, werden in der Literatur als hart, nachlässig in der äußeren Erscheinung, infantil und extrem abhängig, kalt und distanziert, fordernd und dominierend beschrieben. Sie weisen den Mann auf sexueller Ebene zurück, weshalb sie als frigide bezeichnet werden. Häufig ist es allerdings so, dass die Frau froh ist, wenn der Mann keine sexuellen Ansprüche an sie stellt und sie in Ruhe lässt. Sexuelle Zurückweisung kann, wie bereits oben erläutert, zu sexuellem Missbrauch des Kindes durch den Vater führen. In den meisten Fällen ignoriert, übersieht oder verleugnet die Mutter den Inzest. Tatsächlich weiß sie, was vorgeht. Wenn die Mutter vom Inzest weiß und nicht eingreift, fühlt sich das Kind mit der Situation allein gelassen. Das Gefühl des Verlassenseins findet Bestätigung. Beim Inzest können bestehende Beziehungen zu den Eltern vom Kind nicht mehr isoliert betrachtet werden. Wird die Mutter selbst zur Täterin, erhebt sich ein noch größeres gesellschaftliches Tabu: Derartige Übergriffe werden verharmlost und

Charakterzüge


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als Einführung in das Mannesalter oder als harmloses Spielen bei Mädchen apostrophiert. Die Schäden, die daraus entstehen, sind für Jungen wie Mädchen gleichermaßen gravierend und beeinflussen das spätere erwachsene Leben in sehr ähnlicher Weise. Während die Dynamik des Vater-Tochter-Inzests vom Dreieck VaterMutter-Tochter bestimmt wird, handelt es sich beim Mutter-SohnInzest eher um eine dyadische Beziehung (Hirsch, 1999, S. 162). Das Gleiche gilt für den Mutter-Tochter-Missbrauch. Die missbrauchende Mutter ist in der Regel extrem abhängig und unfähig, ihr Leben allein zu gestalten. Durch ihr Verhalten wird der Sohn/die Tochter ebenfalls extrem abhängig und empfindet sich als einzigartigen und richtigen Sexualpartner seiner Mutter. Das kann soweit führen, dass der Sohn keinen anderen Sexualpartner seiner Mutter toleriert, sich sogar gekränkt fühlt. Die Angst, allein zu sein, welche sowohl Mutter wie Sohn betrifft, ist so groß, dass keiner ohne den anderen leben kann. Beim Mutter-Sohn-Inzest spielt immer auch die ödipale Bindung der beiden zueinander eine entscheidende Rolle. Bei Inzestverbrechen kommt es selten zu einer Anzeige. Ist dies dennoch der Fall, werden die durch die Mutter initiierten Aussagen des Kindes später oft widerrufen, da die Mütter sich erst nach der Aussage des Kindes über die Konsequenzen klar werden. Sie möchten ihre eigenen Interessen wahren und sind an denen des Kindes nicht wirklich interessiert (Kraheck-Brägelmann, 1993, S. 34). Hat die Mutter eines Kindes, das durch ihren Ehemann missbraucht wurde, selbst Missbrauchserfahrungen gemacht, neigt sie dazu, diese in die Aussage des Kindes unbewusst mit einzubringen, wodurch die Aussage verfälscht wird. Dieses Verhalten kann sich im späteren Verlauf, vor Gericht, negativ auswirken. In der Regel reagieren die Mütter bei Ansprechen des Missbrauchs nicht besorgt, sondern eher verletzt und empört. Die Frage »Warum tut mein Kind mir das an?« stellt hier keine Seltenheit dar. Die Mutter denkt nur an das ihr angetane Unrecht. Aus Angst, Schuldgefühl oder Rivalität der Tochter gegenüber


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glaubt die Mutter der Tochter nicht (Hirsch, 1999, S. 138, mit Bezug auf Fürniss, 1993). Im Alter stellen gerade diese Mütter hohe Ansprüche an ihre Töchter. Aggressive Mütter suchen sich im Alter die am wenigsten geliebten Töchter (Inzestopfer), um Forderungen zu stellen (Pflege etc.). Um ihre Belange durchzusetzen, bauen sie auf die Schuldgefühle des Kindes. 2.4 Die Ohnmacht und Hilflosigkeit des Opfers Die Kinder versuchen, das Geschehene zu verdrängen und sind krampfhaft damit beschäftigt, dass die Umwelt von den Vorkommnissen nichts mitbekommt. Dies spiegelt sich im Verhalten des Kindes wider. Es zieht sich zurück, wird ruhig und schüchtern, soweit es diese Merkmale nicht schon vorher aufweist.

Sozialer Rückzug

Christina beschreibt ihren Zustand folgendermaßen: Ich musste mich zusammenreißen, Haltung bewahren, nach außen zeigen, dass ich ganz normal bin, dass ich eine ganz normale Kindheit habe. Ich habe kaum mehr gesprochen, bin ein Stück weit autistisch geworden. Ich hatte keine Freunde und war extrem schüchtern. Ich habe mit Tieren kommuniziert und bin in meine eigene Welt gegangen. Und gerade auch während des Missbrauchs, wenn es unerträglich war, bin ich auf meine »Wiese«. Mein Körper war erstarrt wie eine Mumie (Völker, 2002, S. 16). Das Kind schafft sich also seine eigene kleine Welt, in die es fliehen kann und in der es Geborgenheit findet (Dissoziation), auch während des Missbrauchs. Sex bietet für Opfer sexuellen Missbrauchs oft die einzige Möglichkeit, eine Art von Liebe, Geborgenheit, Trost und Zuwendung zu erhalten. Diesen Tatbestand nutzt der Täter, die Täterin für sich aus. Sie verdre-

Sex gegen »Liebe«


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hen Ja und Nein in den Aussagen des Kindes. Wenn das Kind etwas Bestimmtes benötigt oder braucht, muss es dafür eine Gegenleistung (Sex) erbringen. Täter und Täterinnen sind häufig Meister in derartigen Psychospielen. Die drei Taktiken des Täters/der Täterin: • Beschwichtigung (Spiele machen Spaß, machen alle mit ihren Kindern), • Bestechung (Geschenke, Versprechungen, Komplott gegen das andere Elternteil), • Bedrohung. (Geier, 1999, S. 39) Schuldgefühle

Das Kind meint, etwas muss schlecht an ihm sein, wenn ihm so etwas passiert. Es versteht die Handlung des Vaters/der Mutter nicht. Manche Kinder strengen sich an, um Spaß an den Handlungen zu finden, so wie es der missbrauchende Elternteil sagt. Sie denken, es stimmt etwas mit ihnen nicht, wenn sie es verabscheuen (Geier, 1999, S. 39). Verhaltensänderungen, die missbrauchte Kinder zeigen (Ängste, Aufsässigkeit, Angst vor der Dunkelheit etc.) sind ein Hinweis auf ein traumatisches Erlebnis, können aber auch ganz normale Veränderungen sein, die verschiedene Entwicklungsphasen widerspiegeln (Striebel, 2004, S. 19). Manche missbrauchten Kinder werden häufig krank. In dieser Zeit finden meist weniger Übergriffe statt, und das Kind wird umsorgt (Striebel, 2004, S. 19), es sei denn, es handelt sich um eine Form des »Münchhausen-Syndroms«.

Das Münchhausen Syndrom: Men­ schen, die von dieser psychischen Krankheit betroffen sind, erfinden Symptome oder verletzten sich selbst, um beispielsweise medizinische Zuwendung zu erfahren.


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Das Leben des Opfers ist geprägt von Vermeidungsverhalten, Angst und Panik, auch wenn in verschiedenen Situationen keine akute Gefahr besteht. Viele Opfer leiden unter Aggressionen und unkontrollierten Wutausbrüchen. Sie bewegen sich in einem Angriffs-/Rückzugsverhalten, das sie nicht kontrollieren können. Depressionen und ausgelassenes Verhalten wechseln sich ab, wobei das Opfer oft unecht (überdreht) wirkt. Opfer übertreten häufig die Grenzen anderer Menschen. Sie konnten kein Gefühl für Nähe und Distanz entwickeln, weil ihre Grenzen vom missbrauchenden Elternteil auch nicht respektiert wurden. Viele dieser Symptome sind Versuche, auf die innere Not und Verzweiflung aufmerksam zu machen.

Vermeidungsverhalten

Aber nicht nur das Verhalten der Umwelt gegenüber verändert sich drastisch, auch das Gefühl zum eigenen Körper wird gestört. Die Selbstbild-Erniedrigung, die bereits erwähnt wurde, ist nur eine der Folgen. Häufig kann der eigene Körper nicht mehr gefühlt werden. Körperteile oder -stellen fühlen sich taub an, und auch sexuelle Erregung kann nicht mehr empfunden werden. Fliß und Igney beschreiben den Körper als eine Maschine, die erst beachtet wird, wenn sie nicht mehr funktioniert (Fliß und Igney, 2008, S. 286).

Folgen für das Selbstund Körpererleben

Das Wechselspiel aus Angst, Bedrohung, Aggressionen, Liebe, Verzweiflung und Zuneigung ist für das Opfer im Alltag nicht leicht zu verarbeiten. Auch wenn der Missbrauch bereits Jahre zurückliegt, bestimmen die Erfahrungen und Gefühle das Verhalten. So kann eine Situation, die an den Missbrauch erinnert, einen bestimmten Gedanken auslösen, dieser wiederum löst Gefühle aus, wodurch das Handeln bestimmt wird. Ein Automatismus, sozusagen ein nicht steuerbarer Prozess, wird in Gang gesetzt. Das Opfer hat keine Kontrolle mehr über sein Verhalten. Frühere Ohnmachts- und Gewalterfahrungen können dabei sogar durch neue verstärkt werden. Dadurch kann das Angst-Flucht-System aktiviert oder außer Kraft gesetzt werden. Das bedeutet, dass der Missbrauchte/ die Missbrauchte in einer neuen Missbrauchserfahrung alte Gefühle wiedererlebt. Das Opfer hat nun zwei Möglichkeiten zu reagieren. Ent-


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weder es setzt sich zur Wehr (Flucht) oder verhält sich passiv (Denken und Fühlen werden außer Kraft gesetzt) und lässt den erneuten Missbrauch über sich ergehen. Wie die Abbildung unten veranschaulicht, stehen Fühlen, Denken und Verhalten in einer ständigen Beziehung und Austauschverhältnis zueinander. Sie bilden ein integriertes Funktionssystem, in dem keiner der Aspekte vom anderen unabhängig ist. Abbildung 1: Das integrierte Funktionssystem von Fühlen, Denken und Verhalten

Fühlen

Denken

Verhalten Quelle: Völker, 2002, S. 28

Kinder agieren häufig den erlebten sexuellen Missbrauch an anderen Kindern oder Haustieren aus. Dieses Verhalten löst wiederum Schuldgefühle und Scham aus (Haines, 2001, S. 34). Die Schuldgefühle im Allgemeinen werden meist erst ausgelöst, wenn der Missbrauch öffentlich wird, da der Familienzusammenhalt dann gefährdet ist. Dies spielt vor allem in den bereits erwähnten InzestFamilien eine große Rolle. Entwicklungsprobleme

Des Weiteren bestehen speziell bei Inzest-Opfern besondere Probleme in der weiteren Entwicklung. Inzest-Opfer laufen häufig von zu Hause weg und werden in der Regel von »netten Männern« aufgenommen. Sie meinen, in diesen Beziehungen Geborgenheit und Sicherheit, vielleicht auch Liebe zu bekommen und begeben sich aus diesem Grund in eine neue Abhängigkeit. Später sind sie dann nicht in der Lage, sich gegen aufgezwungene Prostitution oder Ähnliches zu wehren.


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Die Großeltern bieten häufig einen Ersatz für die eigenen Eltern, vor allem was emotionale Mängel betrifft. Der Inzest mit einem Großelternteil kann dem Vater-Tochter-Inzest sehr ähnlich sein (Schuldgefühle des Opfers bezüglich der Initiative, Rivalität mit z. B. der Großmutter etc.). Den Großvater-Enkelin-Inzest betreffend, herrscht häufig ein sehr enges Verhältnis der Mutter zu ihren Eltern (den Großeltern). Der Vater (Schwiegersohn) wirkt häufig schwach und lebt in vielen Fällen von der Familie räumlich getrennt. Die Mutter nimmt in einer solchen Konstellation häufig die Rolle eines Geschwisterteils gegenüber ihrem Kind ein. Somit werden die Großeltern zu Eltern, womit sich auch die ödipale Konstellation mit ihnen abspielt. Es handelt sich hierbei also um einen transgenerationalen Ödipuskomplex, der eine Generation überspringt. Der Ödipus-Komplex: Ödipus war ein Held der griechischen Mythologie, der wegen der Prophezeiung, er werde seinen Vater töten und seine Mutter heiraten, als Kind ausgesetzt und bei Fremden aufgezogen wurde. Auf der Suche nach seinen leiblichen Eltern erschlägt er seinen Vater und gewinnt dadurch, dass er das Rätsel der Sphinx (eines Ungeheuers) löst, die Hand seiner Mutter. Sigmund Freud hat in den Begründungen, welche die griechische Sage für den vollzogenen Inzest (den Geschlechtsverkehr mit engen Blutsverwandten) findet, Rationalisierungen einer Ur-Phantasie gesehen, die in der Kindheit jedes Menschen eine wichtige Rolle spielt. Die Blendung des Ödipus nach Aufdeckung des Inzests vergleicht er mit der Kastration, welche in der kindlichen Phantasie die Strafe für den Inzest ausmacht. In der Psychoanalyse galt der Ödipuskomplex als »Kernkomplex der Neurose«, was wohl auch zutrifft, wenn man ihn als Kurzformel für die Gesamtheit der Gefühlsbeziehungen eines Kindes zu den Mitgliedern der Kernfamilie auffasst. Aus dem Ödipuskomplex stammen viele der Verdrängungen, welche nach der Neurosen-Lehre der Psychoanalyse für spätere neurotische Symptome (vor allem der Hysterie) verantwortlich sind. Quelle: http://www.psychology48.com/deu/d/oedipuskomplex/oedipuskomplex.htm

Großeltern als Täter


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Eine andere Form entsteht, wenn der Großvater seine narzisstischen Bedürfnisse beispielsweise durch Rente, weniger Kontakte zur Außenwelt, nicht mehr bestätigt bekommt. In diesem Fall kommt die Enkelin ins Spiel, die ihn nach wie vor als stark wahrnimmt und ihn bewundert. Die Enkelin benötigt die Zuneigung des Großvaters, um ihren narzisstischen Mangel auszugleichen (Hirsch, 1999, S. 155). Kurz vor Jokastes Selbstmord, als Ödipus sie als seine Mutter bereits erkannt haben müsste (das ist das schlechte Mutterobjekt), beschwört er in grandioser Verleugnung seine Herkunft: »Doch ich, der ich mich für den Sohn Fortunas halte, werde nicht entehrt – sie ist die Mutter, von der ich komme…« (Shengold, 1963, S. 733). Je »böser« die realen Eltern sind, desto mehr braucht das verführte und misshandelte Kind ein idealisiertes Elternbild (»Fortuna«), um sein Gleichgewicht zu erhalten, wie wir es bisher schon so oft gesehen haben (Hirsch, 1999, S. 166). Inzest durch den Großvater ist entweder verschobener Inzest von der Tochter (nicht durchgeführt) auf die Enkeltochter (durchgeführt) oder sogar über mehrere Generationen hinweg. Er wird meist durch die Mütter der Kinder angezeigt, die bereits selbst vom Vater missbraucht wurden. Oder die Mütter agieren als sogenannte »Silent Partner«. Kommt der Inzest ans Licht, wird dieser häufig totgeschwiegen, um z. B. die Oma zu schützen (Hirsch, 1999, S. 154). Der Großvater ist nicht senil oder anderweitig psychisch beeinträchtigt, sondern kann vollständig für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Inzest unter Kindern

Inzest unter Geschwistern, Cousins oder Cousinen kann laut De Jong von harmlosen Entdeckungsintentionen unterschieden werden. Strafbar werden diese sexuellen Kontakte, wenn die Altersdifferenz mehr als 5 Jahre zwischen den Beteiligten beträgt, Gewalt angewendet wird, Penetrationsversuche unternommen werden oder verifizierte Verletzungen auftreten (Hirsch, 1999, S. 175, mit Bezug auf De Jong, 1989).


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Diese Kontakte sind jedoch auch nicht harmlos, wenn sie als harmlose Entdeckungsintention eingestuft werden können. Es können Schuldgefühle und Scham entstehen. Laut Völker stehen Angst, ängstliches Verhalten und Bedrohung in enger Beziehung zueinander. Dabei stehen Angst und ängstliches Verhalten in engem Verhältnis zum Gefühl Wut, während ein Empfinden von Bedrohung eng verbunden mit autoaggressivem und wehrlosem Verhalten ist. Wut und Bedrohung interagieren dagegen nicht eng miteinander, was sich eventuell darauf zurückführen lässt, dass das Kind mit Überleben beschäftigt ist und Wut noch nicht (oder nicht gegen den Täter/die Täterin) empfinden kann (Völker, 2002, S. 116). Die Angst, Wut zu empfinden, spielt in den meisten analytischen Sexualtherapien eine große Rolle. Sie stellt den Schlüssel zur Befreiung der Patienten und Patientinnen von ihrem Trauma dar. Der eigentliche Vorgang baut sich so auf, dass Wut während der Missbrauchsphase zur Ablehnung, Bestrafung oder zur Zerstörung der Familie und zur Verstärkung der Schuld des Opfers führen würde, sich also von selbst verbietet. Später würde Wut die eigene Schuld hervorbringen, die eigene Scham bewusst machen und den Täter/die Täterin verraten oder die Mitwisserschaft bloßstellen. Außerdem wächst die Befürchtung, dass die eigene Wut, soweit sie diffus empfunden werden kann, nicht beherrschbar erscheint: Wenn ich meiner Wut freien Lauf lassen würde, wüsste ich nicht, was passiert! Dieser Satz repräsentiert die ohnmächtige Wut der Opfer.

Wut als Schlüssel


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Abbildung 2: Das Familienrisikomodell

Quelle: Ratzke K., Cierpka M. In: Egle et al., S. 113


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Die folgenden Beispiele sollen das Verhalten von Opfern und Tätern/ Täterinnen darstellen und der Leserschaft näherbringen. Das Verhalten von Opfern erscheint einem Außenstehenden oft nicht nachvollziehbar und nicht logisch. Die geschilderten Analysen sollen helfen, die aussichtslose Situation der Opfer besser verstehen und nachvollziehen zu können. Das menschliche Verhalten ist stark abhängig von Erziehung, Gefühlen, Selbstbewusstsein und Ängsten. Daher können Verhaltensweisen nicht immer logisch betrachtet werden. Der Täter breitet sich im Opfer durch die Grenzüberschreitung aus, wodurch das Opfer Gefahr läuft, zu dem zu werden, der sie verletzt hat (Völker, 2002, S. 197).


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