Tectum Leseprobe Ernst-Marcus Thomas Traumberuf Moderator

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Ernst-Marcus Thomas

Traumberuf Moderator Hinter den Kulissen der TV-Welt

Tectum


Ernst-Marcus Thomas Traumberuf Moderator. Hinter den Kulissen der TV-Welt Tectum Verlag Marburg, 2015 ISBN 978-3-8288-3532-0 Lektorat: Volker Manz Fotografien Umschlag und Innenteil: © Timo Maczollek Druck und Bindung: Finidr, Český Těšín

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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.


Inhalt Kapitel 1

Zwischen Motivation und Desillusion: Ein Vorwort

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Kapitel 2

»Rühren, rühren, rühren«. Mit Hartnäckigkeit zum Erfolg

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Kapitel 3

Wie kommt die Sendung zum Moderator?

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Kapitel 4

Castings, Showreels, Agenturen

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Kapitel 5

Produkt: TV-Moderator. Strategische Überlegungen

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Kapitel 6

Moderatoren, Mentoren und die Macht des Zufalls

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Kapitel 7

Mit harten Bandagen: Hinter den Kulissen des Fernsehgeschäfts

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Kapitel 8

Wenn die Lichter ausgehen. Von Karriereknicken und Neuanfängen

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Kapitel 9

Event-Moderation

147

Kapitel 10

Möge die Übung gelingen. Ein Wort zum Schluss

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Kapitel 1 Zwischen Motivation und Desillusion: Ein Vorwort Liebe Leser, darf ich gleich mit der Tür ins Haus fallen und euch das »Du« anbieten? Beim Schreiben dieses Buches stelle ich mir als Leser junge Moderatoren vor, die sich im Gestrüpp der TV-Landschaft manchmal verloren fühlen oder noch gar nicht wissen, wie sie den ersten Kontakt zu einem Sender überhaupt herstellen sollen. In meinen Seminaren bin ich mit jungen Nachwuchsmoderatoren immer per »Du«, und irgendwie schreibt es sich mit dem Du auch leichter. In meiner aktiven Zeit als Fernsehmoderator habe ich mir immer ein Buch gewünscht, das mich in Karrierefragen an die Hand nimmt – aber das gab es damals nicht, und ein solches Buch gibt es bis heute nicht. Also habe ich mich entschlossen, es einfach selber zu schreiben. Jetzt liegt also »Traumberuf Moderator« vor euch. Ursprünglich wollte ich ein Fragezeichen in den Titel einbauen, denn so


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traumhaft ist der Moderatorenberuf nicht. Aber das Fragezeichen war dem Verlag zu »grüblerisch«, also haben wir es weggelassen. Und von außen betrachtet scheint es ja tatsächlich keinen Zweifel zu geben: Wer als Moderator vor der Kamera steht, der hat es geschafft, ist prominent, verdient Millionen, und die Villa in Potsdam ist gesichert. Zugegeben, auf einige Moderatoren mag das auch zutreffen. Für die wenigen Stars, die über Jahrzehnte große Fernsehshows moderieren. Aber das sind die Ausnahmen. Für den Großteil der TV-Moderatoren sieht die Realität anders aus. In einer Talkshow, die ich viele Jahre für einen Privatsender in Zürich moderiert habe, habe ich den Schweizer Schauspieler Stefan Gubser (»Tatort«) einmal gefragt, ob Schauspieler ein Traumberuf sei? Er hat sehr nüchtern geantwortet, dass Schauspieler nur für diejenigen ein Traumberuf sei, die sehr gut im Geschäft sind und folglich von ihrer Arbeit gut leben können. Aber das ist die Minderheit. Für die vielen Schauspieler, die auf das nächste Engagement am Stadttheater hoffen, die alle paar Jahre umziehen müssen, weil der nächste Vertrag sie an eine ganz andere Landesbühne führt, die im »Tatort« nicht einmal eine Statistenrolle ergattern und am Ende Taxi fahren, um ihre Miete zahlen zu können – für diese Schauspieler bleibt von dem Traum am Ende nicht viel übrig. So ist es mit der Moderation auch. Wer gefragt ist, auf einer Erfolgswelle reitet, gerade perfekt in die Zeit passt und eine Sendung nach der anderen angeboten bekommt, hat sicher einen sehr schönen und auch traumhaften Beruf. Darf man eine tolle Sendung präsentieren, macht die Arbeit vor der Kamera viel Spaß, extrem viel Spaß sogar. Wenn man aber gerade nicht auf der Wunschliste der Programmdirektoren steht und um jedes


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Engagement kämpfen muss, dann wird der Beruf schnell zum Albtraum. So gesehen hätte ich das Buch auch »Albtraum-Beruf Moderator« nennen können. Mit Ausrufezeichen. Das hätte dann auf jeden Fall nichts Grüblerisches gehabt, wäre aber vielleicht etwas zu weit gegangen. Denn auch wenn ich in diesem Buch viele dunkle Seiten des TV-Geschäfts darstelle, so hatte ich selber doch viele, viele Jahre eine richtig gute Zeit mit sehr schönen Sendungen. Viele Jahre, in denen ich sehr gut im Geschäft war und für verschiedene Sender moderiert habe, was das Zeug hielt. Wenn ich nur an meine Zeit beim Kinderfernsehen zurückdenke, habe ich heute noch ein dickes Grinsen im Gesicht. Die Arbeit dort hat so unfassbar viel Spaß gemacht. Aber auch später, im Erwachsenenprogramm, habe ich mich teilweise sogar geschämt, für meinen Job vor der Kamera auch noch Geld zu bekommen. Und ich glaube, dieser Spaß hat sich in der einen oder anderen Sendung auch auf die Zuschauer übertragen. Wieso habt ihr euch für dieses Buch entschieden? Ich nehme an, ihr möchtet gerne vor die Kamera, wisst aber nicht so richtig, wie ihr das anstellen sollt. Vielleicht steht ihr noch ganz am Anfang, oder ihr habt schon die ersten Schritte gemacht. Vielleicht kommt euch der ganze Fernsehzirkus auch wie eine Geheimloge vor, zu der man von außen keinen Zugang bekommt. So ging es mir auf meinem Weg auch oft. Wie gesagt: Einen Blick hinter die Kulissen in Kombination mit einem Karriereleitfaden – das gab es damals nicht. TV-Moderatoren, die noch aktiv im Geschäft sind, geben ungern Insider-Informationen an den Nachwuchs weiter. Denn der Nachwuchs ist zugleich die junge Konkurrenz. Außerdem


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schwebt über allem die Angst, große Schwierigkeiten mit den Sendern zu bekommen, wenn man fröhlich und unverblümt die unglaublichen Geschichten ausplaudert, die sich hinter den Kulissen abspielen – man möchte ja gerne noch ein paar Jahre weiter moderieren. Meine große Zeit vor der Kamera liegt allerdings hinter mir, und deshalb kann ich ganz entspannt und ohne Angst dieses Buch schreiben. Als Kopf vor der Kamera ist man manchmal ziemlich alleine und auf einsamem Posten. Ich hoffe, ich kann euch an der einen oder anderen Stelle inspirieren und euch Mut machen. An anderer Stelle muss ich euch hingegen eure Illusionen nehmen. Aber auch wenn die Hürden und Hindernisse, von denen ich schreibe, hoch sind und die Geschichten hinter den Kulissen, die ich persönlich erlebt habe, unerfreulich – lasst euch auf keinen Fall ins Bockshorn jagen. Ich schaue mit euch zusammen ganz realistisch auf diese Branche. Wenn ihr diesen Job vor der Kamera trotz aller Unwägbarkeiten unbedingt machen wollt, wenn ihr für die Arbeit brennt und es für euch keine Alternative gibt oder ihr euch partout keine vorstellen wollt, dann solltet ihr diesen Weg gehen. So habe ich es auch gemacht. Es gibt nichts Schlimmeres, als irgendwann im Rentenalter im Ohrensessel zu sitzen und zu denken: »Mensch, hätte ich damals doch …« Wenn ihr aber auch im Marketing, als Grafikdesigner oder als Tierarzt glücklich werden könnt, lasst die Finger von der Moderation. Ich wollte schon mit 16 Moderator werden und konnte mir nichts anderes vorstellen. Also habe ich mich auf meiner alten Reiseschreibmaschine »Monica« von Olympia bei wirklich allen Sendern beworben, die es damals gab. Und von allen eine Absage


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bekommen. Im Laufe der Zeit auch mehrere, wenn ich einen zweiten oder dritten Brief geschrieben habe. Das macht keinen Spaß, kann ich euch sagen. Wenn ein Schreiner einen Bücherschrank verkaufen will, den keiner haben möchte, dann ist das auch bitter. Aber es geht nur um ein Möbelstück. Als Moderator seid ihr immer Schreiner und Bücherschrank zugleich. Die Ablehnung ist jedes Mal sehr persönlich. Nur ein Redakteur sagte nicht gleich ab: Hanno Heidrich aus der Abteilung Hörfunk-Unterhaltung beim Hessischen Rundfunk. Er moderierte damals zusammen mit Elke Heidenreich im Radio die Talent-Show »KannIch Live«, zu der er mich nach Frankfurt einlud. Ich hatte meine erste Zusage, wenn auch nur eine kleine. Und Hanno Heidrich nahm sich alle Zeit, mir auch vor und nach der eigentlichen Sendung zu erklären, wie Radio eigentlich funktioniert. Ich hatte ja keine Ahnung und kannte Radio nur aus dem Radio. Nach der Reise nach Frankfurt schien das Eis gebrochen zu sein. Meine nächste Station: ein Schüler-Praktikum bei »OK Radio« in Hamburg, einem Sender, den es schon lange nicht mehr gibt. Da habe ich zwar nur Bänder zusammengeschnitten (damit wurde damals noch produziert), aber immerhin: Es war ein Anfang. Direkt nach dem Abitur war ich dann drei Monate Praktikant bei »Radio Hamburg«, und dort ließ mich »Morgen«-Moderator John Ment sogar live das Wetter lesen. John Ment macht den Job heute übrigens immer noch. Und nachts durfte ich im Studio üben und auf Kassette (die gab es damals auch noch) eigene Sendungen aufnehmen. Das wurde zwar alles nie gesendet, aber ich hatte das Gefühl, ein Teil der großen, weiten Medienwelt zu sein.


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Schließlich habe ich nach dem Zivildienst mit 20 ein Zeitungs-Volontariat bei der »Augsburger Allgemeinen« ergattert. Eine gute Grundlage, für die ich heute immer noch dankbar bin. In einem Großteil der Absagen von den Sendern stand damals ja auch drin, ich solle doch erst einmal eine journalistische Ausbildung machen. Ich habe zwar überhaupt nicht verstanden, wozu das gut sein soll. Ich wollte doch als Moderator ganz groß rauskommen, wieso dann bitte eine journalistische Ausbildung? Heute bin ich froh, dass ich erst einmal bei der Zeitung landen konnte. Danach habe ich in München Theaterwissenschaft, Psychologie und Völkerkunde studiert und mir das Studium als Sprecher von lokalen Radiowerbespots im Augsburger Lokalfunk finanziert. Mit einem der Studio-Besitzer habe ich einen Deal gemacht: Ich spreche dir drei Spots umsonst und du produzierst mit mir eine Demo-CD fürs Radio. Ohne jegliche Moderationserfahrung habe ich eine Mini-Sendung mit dem Titel »Radio Larifari« gebastelt und mich damit bei hr3 in Frankfurt beworben. Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, lautete die Betreffzeile: »Bitte entdecken Sie mich!« Ob es an dieser eindringlichen Aufforderung lag, weiß ich nicht – jedenfalls bekam ich einen Brief und wurde zum Casting nach Frankfurt eingeladen. Plötzlich saß ich in einem riesengroßen Radiostudio, fand mich in einem Raum, in dem nichts stand außer einem Holztisch in der Mitte, der mit einem alten Teppich überzogen war – aus Schallschutzgründen. Und aus dem Tisch ragte ein einsames Spiralmikrofon heraus. Hinter der Scheibe: ein Techniker und der legendäre hr3-Chef Jörg Bombach, der mich nach dem Casting doch tatsächlich für die Abendsendung engagierte. Wohlgemerkt: ohne Radioerfahrung. Nach der Auf-


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nahme bin ich dann zu Hanno Heidrich, der immer noch in der Hörfunk-Unterhaltung arbeitete und mein erster Mentor wurde. Über die Bedeutung von Mentoren in den Medien erzähle ich euch später noch ausführlich. Ich war 23, und plötzlich war ich Moderator. Der Hessische Rundfunk bezahlte damals keine Unterkunft, also gab ich in der »Frankfurter Rundschau« eine Annonce auf: »hr3-Moderator sucht Zimmer«. Und so landete ich in der Nähe des Funkhauses am Dornbusch bei einer Dame, die ihr Bügelzimmer an mich vermietete. Klappbett hinein und fertig war mein Frankfurter »Stadtpalais«. Später zog ich dann aus dem Bügelzimmer direkt in die Bertramstraße, in der auch der Sender war, zu einem älteren Ehepaar und hatte hier sogar eine eigene kleine Wohnung mit separatem Eingang. Für 20 D-Mark die Nacht. Als ich hr3 nach vielen Jahren verließ, gab ich die Unterkunft an einen Kollegen weiter, der auch nicht in Frankfurt wohnte und dankbar für die neue günstige Bleibe war. Der Kollege erbte dann auch das Eincheckritual, das für mich viele Jahre zur Routine geworden war: Sonntagabend ging’s bei dem alten Ehepaar erst mal aufs 70er-Jahre-Sofa ins Wohnzimmer zu einem aufgeregten, bellenden Rauhaardackel. Man plauderte übers Leben, trank gemeinsam ein Gläschen Eierlikör, übergab die Miete, und dann war die Wohnung für die Sendewoche bezugsfertig und ich konnte am Montagmorgen in der Redaktion meinen Dienst antreten. Ich habe für hr3 viele Jahre lang zunächst die Abendsendung und später den Nachmittag moderiert. Nicht unter meinem vollen Namen (den kann ich mir ja selber kaum merken), sondern unter meinem Kürzel EMT. Auf das Thema Künstlernamen


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komme ich später auch noch zurück. Und auch dazu, wie es dann vom Radio weiter zum Fernsehen ging. Vielleicht noch eine Warnung vorweg: Dieses Buch ist sehr persönlich und in hohem Maße subjektiv. Zwar weiß ich aus Gesprächen mit Kollegen, dass es vielen anderen Moderatoren ähnlich ergangen ist wie mir. Und trotzdem berichte ich hier ausschließlich von meinen Erfahrungen. Wenn Agenten, Programmdirektoren und Redaktionsleiter, mit denen ich über die Jahre zu tun hatte, die Geschichten aus ihrer Sicht erzählen würden, dann klängen sie wahrscheinlich ganz anders. Ich nenne an vielen Stellen auch keine Namen: weder von Sendern noch von Verantwortlichen. Niemand hat etwas davon, wenn Redakteurin Klarissa von Klötenbeck vom Sender XYZ mit vollem Namen genannt wird. Die kennt außer ein paar Insidern sowieso niemand. Aber die Geschichten habe ich alle so erlebt, wie ich sie hier aufschreibe. Auf der anderen Seite habe ich im Laufe der Jahre selber auch Fehler gemacht. Jede Menge sogar. Ich habe mich deshalb entschlossen, am Ende von einigen Kapiteln meine Fehler zusammenzufassen und euch Hinweise zu geben, was ihr aus diesen Fehlern für eure Karriere lernen könnt. Viel Spaß beim Lesen und vor allem: Viel Erfolg bei eurem Weg vor die Kamera! Euer EMT


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Kapitel 4 Castings, Showreels, Agenturen Moderationsagenturen Endete das vorangehende Kapitel mit einem Zitat zum Thema Agenten, möchte ich auch dieses hier gleich mit dem nächsten Zitat beginnen. Ein befreundeter Schauspieler hat mir einmal folgende Erkenntnis mit auf den Weg gegeben: »Deinen Agenten musst du dir mindestens so gut aussuchen wie deinen Lebenspartner«. Es dürfte deutlich geworden sein, was ein guter Agent für euch bewirken kann. Aber einen guten Agenten müsst ihr erst einmal finden. Und selbst wenn ein Moderationskollege auf einen tollen Agenten verweisen kann, heißt das noch lange nicht, dass dieser Agent auch für euch die perfekte Besetzung ist. Um in dem Lebenspartnerbild zu bleiben: Nicht jeder passt zu jedem. Der Agent vertritt euch gegenüber Sendern, Produktionsfirmen und Event-Auftraggebern. Die Art und Weise, wie er auftritt, wie er an die Sache herangeht, muss euch entsprechen. Die Chemie


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muss stimmen. Der Agent muss hart genug sein, eure Interessen zu vertreten und auch ein gutes Honorar auszuhandeln, er darf aber auch nicht zu arrogant rüberkommen. Sonst hat in den Sendern niemand Lust, mit ihm zu verhandeln – und damit seid ihr aus dem Spiel. Aber für euch als Neulinge beginnt es schon damit, überhaupt eine Agentur zu finden, die euch unter Vertrag nimmt. Für Barbara Schöneberger ist es kein Problem, sofort eine Agentur zu finden. Da ist eher die Frage, welche Agentur sie nicht unter Vertrag nehmen würde. Denn Barbara Schöneberger ist ein großer Name, eine Marke, die jeder Agent gerne im Portfolio hätte. Ihr habt noch keinen Namen und müsst eine Agentur erst einmal davon überzeugen, dass ihr Potenzial habt. Am Ende geht es für den Agenten nur um eine Frage: Kann ich mit diesem Kopf auf absehbare Zeit Geld verdienen oder nicht? Bei bekannten Moderatoren ist diese Frage schon beantwortet; beim Nachwuchs wird erst die Zukunft zeigen, ob alle Seiten Geld verdienen können. Wie findet ihr also einen passenden Agenten? Überlegt euch, welchen Moderator ihr persönlich richtig gut findet, und schaut nach, bei welcher Agentur er oder sie unter Vertrag ist. Im Falle von Barbara Schöneberger ist das die Agentur »Pool Position« in Köln. Das ist auch gleich die bekannteste und renommierteste Agentur. Wenn ihr auf deren Website geht, seht ihr sehr viele Gesichter und darunter auch viele prominente Namen. Die vielen Gesichter deuten darauf hin, dass ihr es hier nicht mit einem Einzelagenten zu tun habt, sondern mit einem großen Büro mit mehreren »Bookern«. Vorteil: Bei so vielen Moderatoren, die bei unterschiedlichen Sendern arbeiten, bekommt


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die Agentur auch Wind von sehr vielen Castings, die gerade in den Sendern stattfinden. Manchmal werden auch »Paket-Deals« gemacht, das heißt: Starmoderator A wird angefragt und die Agentur versucht, dem Sender auch Nachwuchsmoderator B mit zu verkaufen. Ein klassisches Beispiel: Für eine Show wird der Hauptmoderator gesucht und mit Starmoderator A besetzt; in der gleichen Show gibt es aber auch noch die Position des Reporters, für die Nachwuchsmoderator B gut passen könnte. Der Nachteil von großen Agenturen mit sehr vielen Moderatoren ist, dass die Betreuung unter Umständen weniger individuell ist und ihr am Ende in dem Riesenportfolio sogar untergeht. Zudem könnt ihr euch gerade als Newcomer euren Booker nicht aussuchen. Der wird euch zugewiesen. Wenn ihr Glück habt, dann hat der Mitarbeiter viel Erfahrung und ist gut vernetzt. Wenn ihr Pech habt, landet ihr beim Praktikanten und werdet zur Karteileiche. Eine Kollegin erzählte mir von ihrer Erfahrung mit einer großen Agentur. Über Jahre hatte sie eine Bookerin, mit der es richtig gut lief und die ihr viele Aufträge besorgte. Bis diese Bookerin die Agentur verließ, um sich selbstständig zu machen. Der Nachfolger war leider weniger umtriebig, was am Ende zum Bruch mit der betreffenden Agentur geführt hat. Erst vor Kurzem habe ich noch mit einem Kollegen von RTL telefoniert, der sich nach drei Jahren gerade von seiner Agentur getrennt hatte. Anzahl der Aufträge in diesen drei Jahren: null. Er erzählte mir, dass sein Booker in dieser Zeit ständig gewechselt habe. Davon, dass der Moderator jüngst wieder einmal einen neuen Betreuer hatte, erfuhr er erst, als der neue Mann sich per E-Mail bei ihm vorstellte: »Allein in dieser kurzen Mail an mich waren drei Rechtschreibfehler.« Es ist die große Frage, ob man


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von so einem Agenten gegenüber Sendern und Produktionsfirmen gerne vertreten werden möchte. Mit einer großen Agentur zusammenzuarbeiten, kann also schnell zur Lotterie werden. Ihr zieht ein Los und wisst nicht, ob es ein Hauptgewinn wird oder der Praktikant mit zehn Rechtschreibfehlern. Wenn ihr euch für eine kleinere Agentur oder für einen Einzelagenten entscheidet, dann wisst ihr von vorneherein, wer euch vertritt. Allerdings sind kleinere Agenturen zum Teil nicht so gut vernetzt und hören von vielen Castings vielleicht gar nicht (für die ihr dann auch nicht vorgeschlagen werden könnt). Sowohl für kleine als auch für große Agenturen gilt: Traut euch, bewerbt euch! Ähnlich wie bei den Sendern werdet ihr vielleicht erst einmal einige Absagen bekommen, bevor es irgendwo klappt. Aber das gehört dazu. Ihr könnt das Risiko für eine Absage minimieren, indem ihr euch vorab gut über die Agentur informiert, etwa darüber, auf welchen Bereich sie sich spezialisiert hat. Die Kölner Agentur HPR, bei der unter anderem Bastian Pastewka oder Ralf Schmitz unter Vertrag stehen, ist beispielsweise auf das Thema Comedy spezialisiert. Wenn ihr Nachrichten-Anchor werden wollt, seid ihr dort nicht an der richtigen Adresse. Ihr solltet euch darüber klar werden, welchem Moderatorentyp ihr entsprecht, und darauf achten, ob dieser Typus im Portfolio schon vertreten ist. Wenn die Agentur bereits zwei blonde Moderatoren der Marke »Schwiegermutters Liebling« hat mit einem Charme, der direkt unter die Schürze geht, und ihr genau diesem Typ entsprecht, dann sind die Chancen gering. Denn die Agenturen versuchen zu vermeiden, dass sich die Moderatoren innerhalb der Agentur gegenseitig Konkurrenz machen.


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Wenn ihr das Interesse einer Agentur geweckt habt, dann kommt es meist zu einem persönlichen Kennenlernen, und hier heißt es für euch, die Antennen auf Empfang zu stellen. Welches Bauchgefühl habt ihr? Stimmt die Chemie? Welche Atmosphäre herrscht im Büro? Welchen Eindruck machen die Mitarbeiter? Wenn es in der Magengegend grummelt, rate ich euch dringend von einer Zusammenarbeit ab. Auch wenn ihr unbedingt Karriere machen wollt und die Agentur prominente Namen unter Vertrag hat, deren Glanz euch magisch anzieht. Die Chemie zwischen euch und der Agentin oder dem Agenten muss stimmen. Sonst geht’s in die Hose. Ich hatte selber den Fall, dass ich mich bei einem Einzelagenten in München beworben hatte, so eine Art Grandseigneur unter den Agenten, der zu der Zeit einige prominente Namen im Portfolio hatte. Beim persönlichen Treffen hat mein Bauch ganz klar Nein gesagt, während mein Kopf sich schon ausgemalt hat, wie dieser Agent mich in die Champions League der TV-Moderatoren katapultieren würde. Ich unterschrieb also einen Zweijahresvertrag. Mit dem Ergebnis, dass der Agent mich gar nirgends unterbrachte: Es gab keine Vorstellungsgespräche, keine Castings, keine Pilotproduktionen. In dieser Zeit war ich immerhin gut bei verschiedenen ARD-Sendern in den Dritten Programmen im Geschäft. Von dort wurden mir – ohne Zutun des Agenten – neue Sendungen angeboten, die ich laut Vertrag über ihn abwickeln musste. Im Klartext heißt das: 20 Prozent meines Honorars gingen an den Agenten, obwohl er die Sendungen gar nicht an Land gezogen hatte. Zur Ehrenrettung muss ich sagen, dass er stets eine gute Gage aushandelte. Um Vertragsverhandlungen müsst ihr euch wie gesagt nicht kümmern, das macht dann die Agentur für euch. Irgendwann sind der Agent und ich uns gegenseitig so auf die Nerven gegangen, dass wir


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die Zusammenarbeit vorzeitig beendet haben. In vielen Fällen beharren Agenturen aber auch darauf, dass der Vertrag eingehalten wird, und ihr müsst die ganzen bitteren zwei Jahre mit einem Agenten durchstehen, mit dem ihr eigentlich nicht könnt. Mir wurde im Laufe meines Moderatorenlebens immer klarer, was mein Freund, der Schauspieler, mit dem Bild von den Lebenspartnern meinte. Und da wären wir auch bei der Krux, wenn es um die Zusammenarbeit mit Agenturen geht. In aller Regel bindet ihr euch exklusiv an eine Agentur. Das heißt, solange der Vertrag läuft, dürft ihr euch keine andere Agentur suchen. Und wenn ihr euch selber um neue Sendungen kümmert, bekommt euer Agent immer einen gewissen Prozentsatz von eurem Honorar. Dieser Satz liegt zwischen 15 und 25 Prozent. Will heißen: Auch wenn ihr selber die ganze Arbeit der Akquise macht oder die Sender von sich aus auf euch zukommen, müsst ihr immer zahlen. Das klingt nicht besonders fair, aber so läuft es. Das Problem ist, dass ihr vorher nicht wissen könnt, wie die Zusammenarbeit laufen wird. Wenn’s prima läuft und eine Agentur gut für euch arbeitet, dann profitieren beide Seiten davon und die Provision ist gut angelegtes Geld. Im schlechtesten Falle zahlt ihr, ohne dass ihr eine Gegenleistung bekommt. So ein Exklusivvertrag läuft meistens zwei Jahre oder länger. Die Agenturen argumentieren, dass sie diese Zeit brauchen, um euch aufzubauen und bei den Sendern ins Gespräch zu bringen. Manche Agenturen lassen sich auch auf eine »nicht exklusive« Zusammenarbeit ein. In diesem Fall zahlt ihr nur dann eine Provision, wenn die Agentur auch etwas vermittelt. Wunderbar, werdet ihr sagen, dann suche ich mir einen »nicht exklusiven Agenten« und alles ist gut. Leider


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nicht, denn die meisten Agenturen arbeiten ausschließlich exklusiv, und selbst wenn ihr nicht exklusiv an Bord geholt werdet, werden stets die exklusiven Klienten zuerst verkauft – was aus Sicht der Agentur nur folgerichtig ist. Als nicht exklusiv gebundene Klienten müsst ihr euch dagegen hinten anstellen und kommt erst dann ins Spiel, wenn die exklusiven Moderatoren schon angeboten, von den Sendern aber abgelehnt wurden. Mit dem Ergebnis, dass ihr zwar kein Geld verliert, aber im Zweifel auch keine Aufträge gewinnt. Ihr seht schon, die Sache mit den Agenturen ist vertrackt. Und es geht noch weiter: Einige Agenturen berechnen – gerade bei Nachwuchsmoderatoren – sogenannte »Büropauschalen« und begründen das mit der Aufbauarbeit und den Anfangsinvestitionen. Denn zu Beginn verdient eine Agentur mit euch natürlich noch kein Geld, sondern erst dann, wenn ihr eure erste Sendung moderiert. Die Büropauschale soll die Kosten für Personal, Büro, Telefon etc. abdecken und liegt zwischen 100,– und 500,– EUR im Monat. Dieses Geld müsst ihr erst einmal aufbringen, obwohl ihr ja gerade als Einsteiger noch gar kein oder nur wenig Geld mit der Moderation verdient. Das Worst-Case-Szenario könnte dann sein, dass ihr zwei Jahre lang das Geld für die Büropauschale überweisen müsst, die Agentur euch in dieser Zeit aber nicht für ein Projekt vermitteln kann (denn das kann keine Agentur garantieren). In dieser Zeit knüpft ihr aber vielleicht selber Kontakt zu einem Sender, der euch engagiert, und von diesem Engagement müsst ihr dann noch die Provision an eure Agentur zahlen, mit der ihr exklusiv verbandelt seid. So schlimm muss es natürlich nicht kommen, aber es kann so kommen – und das wäre kein Ausnahmefall. Ich kenne einen


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Moderationskollegen vom ZDF, den ich regelmäßig auf Reisen treffe: am Bahnhof, auf dem Flughafen, im Zugrestaurant. Und jedes Mal, wenn ich ihn bei diesen Begegnungen nach seiner aktuellen Agentur frage, hat er sich gerade getrennt, will sich demnächst trennen oder steht mit seiner Agentur vor Gericht. Um sein Glück dann mit der nächsten Agentur zu versuchen. Auf der anderen Seite gibt es auch Moderatoren, die über viele Jahre sehr gut mit Agenturen zusammenarbeiten und ihnen lange die Treue halten. Ich habe trotzdem den Eindruck, dass das etwas von einer Tombola hat. Man zieht ein Los und weiß nicht, ob man gewinnt oder verliert. Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich sagen, dass ich über all die Jahre mit verschiedenen Agenturen sowohl exklusiv als auch nicht exklusiv zusammengearbeitet habe, aber nicht eine einzige Sendung ist jemals über eine Agentur vermittelt worden. Events dagegen schon. Das ist noch mal ein separater Bereich, auf den ich später eingehe. Ich will aber nicht verschweigen, dass ich selber auch schwierig und überaus ungeduldig sein kann. Ich erwarte dann von der Agentur innerhalb einer bestimmten Zeit auch eine Leistung, und wenn nichts kommt, werde ich unbekömmlich. Möglicherweise habe ich aus dieser Ungeduld heraus an der einen oder anderen Stelle eine Agenturzusammenarbeit auch zu früh beendet, bevor sich ein Erfolg einstellen konnte. Ihr seht, diese Geschichten haben immer mehrere Seiten. Nach so vielen schlechten Nachrichten hier noch eine gute: Grundsätzlich ist alles verhandelbar. Aus zwei Jahren Exklusivität kann auch ein Jahr werden, aus einer Büropauschale von 300,– EUR könnt ihr auch 150,- EUR machen, und aus 20 Pro-


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zent Provision werden vielleicht 15 Prozent. Die Agentur versucht natürlich, das bestmögliche Ergebnis für sich zu erzielen, und das solltet ihr auch probieren. Je mehr Erfahrung ihr habt, je bekannter euer Name ist, desto besser ist eure Verhandlungsposition. Aber auch als Anfänger solltet ihr nicht einfach alles akzeptieren, was euch angeboten wird. Verträge solltet ihr immer als Verhandlungsgrundlage sehen und nicht als Endprodukt, das in Stein gemeißelt ist. Die Agentur wird euch immer einen Vertrag vorlegen, bei dem ihr quasi alle Rechte an der Garderobe abgebt. Diesen Vertrag gilt es dann bestmöglich in eurem Sinne anzupassen. Nur keine falsche Bescheidenheit: Auch wenn ihr nicht alle Punkte durchbekommt, so doch den einen oder anderen. Es geht mehr, als ihr denkt! Wenn ihr euch bei einer Agentur oder bei Sendern und Produktionsfirmen vorstellen wollt, dann braucht ihr einige »Zutaten« für eure Bewerbung: 1. Natürlich eine Vita mit dem, was ihr bisher gemacht habt. 2. Ein Foto – und zwar in keinem Fall aus dem Passbildautomaten. Auch keine Selfies oder Urlaubsfotos bitte! Engagiert einen Fotografen, der ein gutes Porträt von euch macht, und das in einem größeren Format von etwa 10 x 15 cm. 3. Und vor allem die zentrale »Zutat«, um die ihr nicht herumkommt und die eine Bewerbung als Moderator von allen anderen Bewerbungen unterscheidet: das Showreel.


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Das Showreel Das Showreel ist ein Zusammenschnitt verschiedener Szenen, die euch als Moderator in Aktion zeigen. Das Showreel oder Demoband ist eure Visitenkarte, mit der ihr den Programmmachern zeigt, wer ihr seid und was ihr könnt. Ihr braucht es grundsätzlich bei jeder Bewerbung. Gottschalk, Jauch und Schöneberger brauchen kein Showreel, aber die müssen sich – im Gegensatz zu euch – auch nicht mehr um Sendungen bewerben. Ansonsten gilt: ohne Showreel keine Einladung zum Casting, ohne Casting keine Sendung. Das Showreel ist zwischen drei und maximal fünf Minuten lang. Die Entscheider in den Sendern haben keine Zeit und auch keine Lust, sich endlose Zusammenschnitte von euch anzuschauen. Mein aktuelles Showreel ist 5:36 Minuten lang. Und dabei habe ich selber auch schon die erste Regel gebrochen, die ich euch hier mit auf den Weg geben möchte. Denn ich habe ein Problem, das ihr vielleicht auch haben werdet: Auf welche Ausschnitte kann man verzichten? Irgendwie ist alles gut, und man will doch so viel wie möglich von sich zeigen. Rudi Carrell hat immer gesagt: »Beim Fernsehen ist nicht das wichtig, was gezeigt wird, sondern vor allem das, was im Papierkorb landet«. Ich habe das mit dem Papierkorb nicht so gut hinbekommen. Aber vielleicht macht ihr es besser. Wenn ihr euer Band zusammenschneidet, dann achtet darauf, dass ihr möglichst schnell in einer Großaufnahme zu sehen seid. Die Programmmacher wollen euch erst einmal angucken. Wie seht ihr in der Kamera aus? Wie wirkt ihr? Wie kommt


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ihr rüber? Also am Anfang keine Aufnahmen, die euch in einer Super-Totalen zeigen oder irgendwo als kleine Figur hinten auf einem Kornfeld – auch wenn die Einstellung noch so schön und pittoresk aussieht. Oft sehe ich Demobänder, die mit einem langen Zusammenschnitt beginnen, in dem man den Moderator in verschiedenen Situationen sieht, meistens mit Musik unterlegt. Ich rate euch von solchen Zusammenschnitten ab! Ihr verliert wertvolle Zeit, und es wird nicht klar, wer ihr seid. Man hört eure Stimme in diesem Fall auch nicht, und die Stimme ist ein wichtiges Instrument, um euch als »Typ« zu etablieren. Besser ist es da, ihr startet mit einer Begrüßung in Großaufnahme. Grundsätzlich gilt: Die einzelnen Sequenzen sollten nicht zu kurz sein. Die Macher wollen sehen, dass ihr als Moderator auch mehrere zusammenhängende Sätze sprechen könnt. Ein clipartiges »Hallo«. Nächste Szene. »Servus«. Nächste Szene. »Willkommen« sagt nichts aus. Wie wollt ihr mit diesen Clips euren persönlichen Stil zeigen? Da sind wir auch schon bei einem weiteren wichtigen Punkt: Zeigt auf dem Band etwas von euch. Seid nicht »teflon«, sondern bleibt mit eurer Persönlichkeit und euren Eigenarten haften. Teflon-Moderatoren gibt es wie Sand am Meer. Macht das Showreel so, wie nur ihr es machen könnt. Welche Szenen ihr einbaut, hängt davon ab, für welche Art von Sendung ihr euch bewerben wollt: Kinderfernsehen, Talksendung, Kochshow. Macht euer Band so passgenau wie möglich. Und dann gilt es, euch in möglichst vielen unterschiedlichen Situationen zu zeigen: Anmod in die Kamera, Interviewsequenz, Moderation vor Ort und in Bewegung im Studio. Mit anderen Worten: Zeig dein Bestes in 3:30!


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Auch Fernsehprofis, die seit vielen Jahren im Hintergrund in der Redaktion arbeiten, wissen oft nicht, wie ein gutes Moderationsband aufgebaut sein muss. In einem Seminar hat mir eine erfahrene TV-Redakteurin ihren Zusammenschnitt vorgespielt. Man sah sie in verschiedenen Situationen durchs Bild gehen; dazu hörte man eine Stimme aus dem Off, die zum Teil nicht einmal ihre eigene war. Es handelte sich um Reportagen und Beiträge, die sie im Laufe der Jahre produziert hatte, die aber gar nichts über ihre Qualitäten als Moderatorin aussagten. Nur in einer Sequenz sah man sie frontal in die Kamera moderieren – und dieser Ausschnitt dauerte gerade mal fünf Sekunden. Mit anderen Worten, dieses Showreel war als Moderationsband komplett unbrauchbar. Hätte sie sich damit als Beitragsautorin bewerben wollen, dann hätte die Sache vielleicht anders ausgesehen – aber so? Es ist natürlich toll, wenn ihr schon Sendungen moderiert habt. Diese Szenen könnt ihr dann wunderbar einbauen. Wenn ihr von einem Sender zum Casting eingeladen werdet, fragt nach dem Casting, ob ihr die Aufnahmen für euer Band haben könnt. Im Video dann bitte aber auch per Einblendung kennzeichnen, dass es sich um ein Casting handelt. Und wenn ihr noch kein professionelles Material habt, dann könnt ihr selber etwas aufnehmen. Die Videokameras sind heute so gut, dass das kein Problem ist. Selbst ein Demo mit dem Smartphone wäre denkbar. Es geht weniger um die technische Brillanz, sondern eher darum, was ihr von euch zeigt. Seid kreativ, lasst euch was einfallen, wirkt als Typen vor der Kamera.


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Früher musste man sich dann auch noch einen Cutter suchen, der mit einem das Showreel aus dem Rohmaterial geschnitten hat. Ich hatte in den Sendern einige supernette Cutter, die das mit mir nach Dienstschluss gemacht haben. Das ist heute nicht mehr nötig. Mit dem »Windows Moviemaker« geht das genauso gut, inklusive Blenden. Ich habe mein jüngstes Showreel mit »iMovie« auf dem Mac selber geschnitten. Da kann man sich ohne Probleme einarbeiten. Im Internet gibt es auch jede Menge Video-Tutorials. Ich bin technisch extrem unbegabt, und wenn ich das schaffe, schafft ihr es auch. In grauer Vorzeit hat man das Showreel dann per Post als VHS-Cassette an die Sender geschickt, später waren es DVDs. Heute geht das alles online. Video bei YouTube oder Vimeo hochladen und dem Redaktionsleiter, den ihr beglücken wollt, gleich einen Link mit in die Mail kopieren. Noch einmal zusammengefasst – Darauf kommt es beim Showreel an: P P P P P

Länge: drei bis fünf Minuten gleich am Anfang eine Großaufnahme keine Zusammenschnitte auf Musik die einzelnen Sequenzen nicht zu kurz passgenau für die Sendung, für die ihr euch bewerben wollt P keine »Teflon«-Moderationen, sondern mit eigenem Aroma P verschiedene Moderationsformen P Originalität vor technischer Perfektion


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Noch ein Extra-Tipp, um an Showreel-Material zu kommen: Es ist das alte Spiel: Ohne Moderationserfahrung werdet ihr nicht engagiert, und ohne Engagement könnt ihr keine Erfahrungen sammeln. Ohne Job kein Girokonto und ohne Girokonto kein Job – im Grunde gilt hier das gleiche Prinzip. Es ist zum In-die-Tischkante-beißen. Irgendwie muss man doch anfangen! Warum nicht auf einem Kreuzfahrtschiff wie der AIDA? Dort werden regelmäßig Moderatoren für das Bordprogramm gesucht, und es gibt das tägliche Bord-Magazin »AIDA TV live«, das abends in die Kabinen übertragen wird. Ich kann mir vorstellen, dass andere Anbieter wie TUI »Mein Schiff« etc. ähnlich arbeiten. Bei der AIDA weiß ich es ganz sicher, weil ich seit vielen Jahren immer wieder als sogenannter Edutainer mit an Bord bin. Das ist ein Kunstwort aus Education und Entertainment, also Bildung mit Unterhaltungsfaktor. An Land heißt das, was ich da mache, einfach Seminarleiter. Auf dem Schiff gibt es ein voll ausgestattetes Seminar-Center mit Flipchart, Beamer und allem, was man für ein Seminar so braucht. Ich biete dort etwa Seminare zum Thema Körpersprache und Stimme an. Und daher kenne ich auch »AIDA TV live«, wo die Edutainer abends ihr Seminarprogramm vorstellen. Zudem haben mich im Laufe der Jahre einige Bordmoderatoren um ein Feedback zu ihren Sendungen gebeten. Da gab es dann auf hoher See gleich noch ein kleines Moderationstraining. »AIDA TV live« läuft jeden Tag eine Stunde live (sagt der Name ja schon) und ist wie ein professionelles Magazin aufgebaut, mit Beiträgen, Interviewgästen und Gewinnspielen, bei denen die Passagiere von ihrer Kabine aus per Telefon mitmachen können.


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Also alles, was das Moderatorenherz höher schlagen lässt, und vor allem, womit ihr Moderationserfahrung und Material für euer Showreel sammeln könnt. Dazu kommen die Anmoderationen der Bühnenshows, die auch mitgeschnitten werden. Nun kommt allerdings der kleine Haken: Ihr fahrt nicht als Moderatoren mit, moderiert abends eine Stunde lang ein bisschen im BordTV und macht ansonsten auf dem Sonnendeck einen schlanken Fuß. Das Fernsehen ist nur ein kleiner Teil eurer Aufgaben. In aller Regel ist der Clubteam-Leiter der Moderator von »AIDA TV«, und der ist für alles zuständig, was die Club-Animationen an Bord betrifft. Im Klartext heißt das: Morgens macht ihr um neun die ersten Spiele auf dem Pooldeck und nachts um zwei ist euer Einsatz in der Borddisco immer noch gefragt. Schnell ein paar Stunden in die Koje und am nächsten Tag geht’s wieder von vorne los. Und das sieben Tage die Woche, in einer Mini-Kabine auf dem Crew-Deck. Reden wir nicht lange drum herum: Das ist knüppelharte Arbeit. Ein solcher Vertrag läuft zwischen drei und sechs Monaten. Auf der anderen Seite könnt ihr aber auch jede Menge Spaß haben, die Welt sehen und nebenbei fleißig moderieren üben. Bewerben müsst ihr euch im Fall der AIDA bei »AIDA Entertainment« in Hamburg. Die Büros sind in einer Seitenstraße von der Reeperbahn. Da kommt doch gleich das richtige Seefahrer-Feeling auf.

Castings Ich werde oft gefragt, wie ein typisches Casting abläuft. Die Antwort ist, es gibt kein typisches Castings. Die Castings sind so unterschiedlich wie die Menschen, die sie organisieren. Die


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Art des Castings hängt zudem davon ab, um welche Sendung es geht. Nur eines haben alle Castings gemeinsam: Sie sind sehr unangenehm. Ihr seid in einer Prüfungs- und Stresssituation, in der ihr von den Sendungsmachern beurteilt werdet. Ich habe Castings erlebt, in denen sich die Organisatoren des Castings nicht mal vorgestellt haben. Stattdessen habe ich aus dem Off nur die Stimme des Regisseurs gehört, der Anweisungen gegeben und am Ende nicht mal Tschüss gesagt hat. Da fühlt man sich dann wie eine Schweinehälfte am Haken, die durch die Kulisse gefahren wird, damit jeder mal drübergucken kann. Andere Castings waren sehr viel netter, manchmal sogar familiär. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es am Ende immer um einen Job geht, den nur einer bekommen kann. Meist trifft man vor Ort die anderen Moderatoren, also die Konkurrenten, die den Job auch gerne hätten. Da wird dann kritisch geschaut: Was haben die anderen an? Wie kommen sie rüber? Wie sind die vorbereitet? Ich finde, das hat etwas von einer Zahnarztpraxis, in der die Patienten nach und nach aus dem Wartezimmer zum Bohren gerufen werden. Auch hier gibt es Ausnahmen. Vor Jahren hatte ich ein Casting für SAT.1, damals noch in Berlin. Das Casting war sehr allgemein gehalten, bei SAT.1 wollte man sehen, welche Genres die Moderatoren bedienen können. Aufgenommen wurde alles im Studio der »Niels Ruf Show«, die damals auf SAT.1 Comedy lief. Moderiert werden sollten Magazinbeiträge, eine Spielshow, eine Talksituation, mit Prompter, ohne Prompter. Also so ziemlich alles, was in einem Moderatorenleben so vorkommen kann. Auch in diesem Fall hat man in Berlin alle Konkurrenten kennengelernt. Die Atmosphäre war aber so nett, dass das kein Problem war.


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Mit einem Moderator habe ich mich sogar so gut verstanden, dass wir nach dem Casting zusammen Mittagessen gegangen sind. Er heißt Amiaz und arbeitet mittlerweile für VOX und ZDF Neo. Weder Amiaz noch ich sind damals von SAT.1 engagiert worden. Ehrlich gesagt hat niemand aus dem Kreis der Casting-Kandidaten danach einen Job bei SAT.1 bekommen. Ich denke, man wollte einfach mal sehen, welche Gesichter so auf dem Markt sind. »Kijken kijken niet kopen« sagt man dazu in den Niederlanden, wo ich lebe: »Gucken, gucken, nicht kaufen.« Daran seht ihr schon, dass eine Absage nach einem Casting nicht das Ende der Karriere bedeutet. Im Gegenteil: Man muss erst einmal ein paar Castings machen, um Erfahrungen zu sammeln, bis es dann irgendwann klappt. Es schadet jedenfalls nie, seine Nase zu zeigen. Oft schauen auch andere Redaktionen aus dem gleichen Sender in die Casting-Bänder, wenn man dort auf der Suche nach einem Gesicht ist. So landet man plötzlich in Sendung Y, obwohl man für Sendung X gecastet wurde. Ich habe das mehrfach erlebt, unter anderem beim Hessischen Rundfunk, wo ich mich damals für die Nachmittagssendung »Hessenstudio Live« vorgestellt habe und nach dem Casting für zu jung befunden wurde. Nach einem Gespräch mit dem damaligen Chef des HessenFernsehens hieß es, man wolle mich im Auge behalten. Und tatsächlich, wenig später wurde ich wieder zu einem weiteren Casting eingeladen. Diesmal für das Reisemagazin »nix wie raus«. Während das »Hessenstudio«-Casting in einem Studio stattfand – die Sendung heißt ja nicht umsonst so – mit typischen Magazinelementen, hatte man das Casting fürs Reisemagazin an einen besonderen Ort verlegt. Ein Vor-Ort-Casting auf Hawaii wäre natürlich nicht bezahlbar gewesen, aber die Redaktion ver-


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suchte, die spätere On-Location-Situation nachzuahmen und entschied sich für den Botanischen Garten in Frankfurt. Dort gab es dann verschiedene Moderationspositionen, an denen Beiträge anmoderiert und Interviews geführt werden sollten. Eine Studiosendung unterscheidet sich komplett von einer Produktion vor Ort und ein guter Studiomoderator ist nicht automatisch ein guter On-Location-Moderator und umgekehrt. Hier seht ihr auch, wie unterschiedlich Castings sein können. Für »nix wie raus« habe ich den Zuschlag bekommen und war dann zwei Jahre lang für den hr auf Reisen. Ein echter Glücksfall. Damals gab es noch einige Reisesendungen, die aber allesamt von Frauen moderiert wurden. Grund: Die Marktforschung hatte ergeben, dass die Zuschauer lieber eine Moderatorin in solchen Formaten sehen wollen, im luftigen Strandkleid. Schwein gehabt also, dass ich als Mann da reingerutscht bin und auch ohne wehendes Sommerkleid moderieren durfte. Später wurden die Reisemagazine auf allen Sendern nach und nach eingestellt, auch so bekannte Sendungen wie »Wolkenlos« oder »Voxtours«. Die Produktion solcher Sendungen kostet natürlich einiges; man muss ein ganzes Team auf Reisen schicken und hat neben den Honoraren auch die Kosten für Flüge, Hotel etc. Zugleich gingen die Quoten für Reisemagazine zurück. Eine Wiederbelebung ist auch heute kein Thema. Der jüngste Versuch von Kabel 1, eine Sendung in den Metropolen dieser Welt zu etablieren, wurde nach nur zwei Folgen mangels Zuschauern eingestellt. Ich hatte das Glück, von Hawaii über Südkorea bis zu den Seychellen noch ein paar richtig tolle Ziele dienstlich bereisen zu dürfen. Eine Folge führte auch nach Amsterdam, wo ich mich vor Ort in die Stadt verliebt habe. Noch während der Dreharbeiten rief


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ich meinen damaligen Vermieter in Augsburg an und teilte ihm mit, dass ich meine Wohnung kündige, um nach Amsterdam zu ziehen. Und genauso ist es dann auch gekommen. Ohne das »Hessenstudio«-Casting wäre man nicht auf mich als Moderator für »nix wie raus« gekommen – und ich wäre wahrscheinlich nie in Amsterdam gelandet. Beim ZDF ist es ähnlich gelaufen. Ich hatte last minute eine Einladung zu einem Casting für eine neue Sudoku-Show bekommen, die im Mittagsprogramm laufen sollte. Zuvor hatte ich über ein Jahr lang versucht, die Unterhaltungsredaktion mit Briefen und Mails auf mich aufmerksam zu machen. Ihr wisst ja: »Rühren, rühren, rühren.« Und wie ich an der Casting-Einladung sah, hatte das dann offensichtlich auch geklappt. Allerdings hat man mich wohl eher als Außenseiter mit dazu genommen. Wie beim Pferderennen: »Donnerwolke« im 7. Rennen, auf den niemand auch nur einen Euro setzen würde. Aber egal, Einladung ist Einladung. Zugleich handelte es sich um das ungewöhnlichste Casting, an dem ich jemals teilgenommen habe. Normalerweise sind die Casting-Listen ellenlang; oft wird auch über zwei Tage gecastet, um sich möglichst viele Kandidaten ansehen zu können. In diesem Fall gab es nur zwei Kandidaten: Thomas Koschwitz und Christian Clerici. Und Außenseiter Donnerwolke. Das ZDF buchte einen Flug von Amsterdam nach München, wo das Casting im Fernsehstudio München in Unterföhring stattfinden sollte. Am Flughafen wartete bereits der Fahrer, um mich ins Studio zu chauffieren. Und das war auch das einzige Casting meiner Karriere, für das ich eine Gage bekommen habe. Casting de luxe sozusagen. Vor dem eigentlichen


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Casting gab es eine Probe, was für Castings auch ungewöhnlich ist. Das Casting ist ja die Probe; die Kandidaten werden er-probt. Auf jeden Fall habe ich bei dieser Probe so ziemlich jede Moderation versemmelt. Schon die Spielmechanik war so kompliziert, dass ich sie auch in der Vorbereitung nicht verstanden habe. Wenn nicht mal der Moderator seine eigene Show versteht, ist das gelinde gesagt nicht optimal. Dazu kamen komplizierte Kamerawechsel und Kandidaten, mit denen ich nicht so richtig zurechtkam. Schlimmer kann eine Probe eigentlich nicht laufen. Nach dieser Horrorprobe nahm mich die stellvertretende Unterhaltungschefin zur Seite und verpasste mir einen Generaleinlauf. Anders kann man das nicht sagen. Nach dem Motto: »Sie treten hier neben zwei großen Namen an. Sie haben nun wirklich nichts zu verlieren. Reißen Sie sich gefälligst zusammen.« Ich musste drei Mal schlucken, habe dann versucht, mich zu sammeln – und bin ins eigentliche Casting gegangen. Und das lief dann erstaunlich gut. Plötzlich konnte ich ganz einfach erklären, wie das Spiel funktioniert, mit den Kandidaten lief alles sahnig und die richtige Kamera habe ich auch jedes Mal gefunden. Und ein paar Gags sind mir obendrauf auch noch geglückt. Nach dem Auftritt kam wieder die stellvertretende Unterhaltungschefin zu mir: »Na also, geht doch.« Das war dann wohl als Lob zu verstehen. Völlig fertig nach diesem intensiven Casting brachte mich der Fahrer in mein Hotel, wo ich immer noch nicht wusste, was ich von diesem Tag halten sollte. Im weiteren Verlauf gab das ZDF die Casting-Bänder der drei Kandidaten in die Marktforschung (was mit Castings und Pilotproduktionen übrigens oft passiert). Das Ergebnis: Meine Performance fanden die Zuschauer gut, aber


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Koschwitz und Clerici hatten die bekannteren Namen. Christian Clerici hat den Job dann bekommen. Die Sudoku-Show wurde nach wenigen Folgen im Mittagsprogramm eingestellt, was aus meiner Sicht überhaupt nicht am Moderator lag, sondern eher daran, dass die Spielmechanik wirklich viel zu kompliziert war. Meine ZDF-Karriere hatte ich damit zu den Akten gelegt – bis dann ein Moderator für den »ZDF Fernsehgarten« gesucht wurde und man sich in der Unterhaltungsabteilung an das Sudoku-Casting erinnerte und mich – als einen der wenigen Männer – zum »Fernsehgarten«-Casting nach Mainz einlud. Ihr seht, ähnlich wie in Frankfurt ging es auch hier über Umwege ans Ziel. Dieses Casting lief dann von Anfang an um einiges geschmeidiger als der Sudoku-Auftritt in München. Das Casting war aufgebaut wie eine Miniaturausgabe der eigentlichen Sendung: Es gab die Kochecke mit Armin Roßmeier, ein paar Aktionen, ein Interview in einem fahrenden Golfmobil und einige Location-Wechsel unter Zeitdruck (wie in der echten Live-Sendung). Und auch dieses Casting ging dann in die Marktforschung. Die Auswertung mit allen positiven und negativen Anmerkungen zu meiner Person habe ich vor der ersten Sendung auch bekommen, um mich besser auf die Moderation vorbereiten zu können. Grundsätzlich ist bei einem Casting alles möglich. Die Bandbreite reicht von einem Text, den ihr vorab bekommt und dann vor der Kamera moderiert (sogar mit mehreren Versuchen, wenn der erste nicht so gut war), bis zu einer Sendung voller Pannen und Unwägbarkeiten, mit denen ihr dann »live« umgehen müsst. Bei besagtem »Fernsehgarten«-Casting hatte ich im Golfmobil einen dauerplaudernden Interviewgast, der permanent versuchte, mich


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totzureden. Die Redaktion wollte sehen, ob es den Kandidaten gelingt, wieder die Oberhand zu gewinnen. Denn als Moderator sollte man in der eigenen Sendung immer den Hut aufhaben. Beliebt ist bei Interviews auch das Gegenteil: Der Gesprächspartner ist so wortkarg, dass man ihm alles aus der Nase ziehen muss. Gerne eingebaut werden auch Tonpannen, bei denen das Mikrofon ausfällt, oder es gibt Schwierigkeiten mit dem Teleprompter, der auf einmal schwarz wird oder einen anderen Text zeigt als den, auf den man sich vorbereitet hat. Hier sind meine Casting-Tipps: P Versucht im Vorfeld so viele Informationen wie möglich zu sammeln: Was wird genau erwartet? Welche Aufgaben wird es geben? Wie lange dauert das Casting? Wie viel Zeit habt ihr vor Ort für die Vorbereitung? Was kann man schon zu Hause vorbereiten? P Gibt es im Studio eine Maske? In diesem Fall müsst ihr euch um nichts kümmern. Ansonsten rate ich dazu, etwas Makeup und Puder dabeizuhaben und euch selber zu schminken. Eine Stirn, die wie eine Speckschwarte glänzt, irritiert bei der späteren Sichtung des Castings. P Seid auf das Schlimmste vorbereitet und freut euch, wenn es nicht eintritt. Bereitet euch darauf vor, dass die Interviewgäste (gespielt) schwierig sind, dass Beiträge nicht eingespielt werden und ihr Zeit überbrücken müsst, dass der Teleprompter ausfällt usw.


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P Nehmt das Casting nicht zu ernst. Das macht euch nur angespannt, und was die Macher sehen wollen, ist Leichtigkeit P Lasst euch nicht von den anderen Casting-Kandidaten verrückt machen. Irgendwer hat auf dem Flur immer irgendein Gerücht über irgendetwas gehört. Oder andere Moderatoren machen sich wichtig und ihr fühlt euch auf einmal ganz klein. Lasst euch nicht nervös machen. Konzentriert euch auf euren Job vor der Kamera. Alles andere ist egal. P Wartet nach dem Casting nicht minütlich auf einen Anruf des Senders. In vielen Fällen kommt dieser Anruf nie, und keine Nachricht ist gleichzusetzen mit einer Absage. Vermeidet auch, die Redaktion eurerseits mit Nachrichten und Nachfragen zu bombardieren. Wenn man euch will, dann hört ihr auch etwas. Ich bin dazu übergangen, das Casting direkt nach den Aufnahmen zu vergessen und mich anderen Dingen zuzuwenden. Hier noch drei Extra-Tipps, die mir besonders wichtig erscheinen: Eine persönliche Vorstellung ist Teil von 95 Prozent aller Castings. Zum Teil findet das angekündigt statt, zum Teil auch spontan, wenn ihr schon im Studio steht. Nach dem Motto: »Bevor wir loslegen, stell dich doch gerade selber schnell vor.« Es empfiehlt sich also, bei jedem Casting immer eine vorbereitete Vorstellung im Gepäck zu haben. Lasst es mich bildhaft ausdrücken: Diese Vorstellung habt ihr dann wie einen geladenen Colt im Halfter. Wenn danach gefragt wird, müsst ihr den Colt nur noch ziehen


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und abdrücken. Wenn ihr dagegen erst nach eurer Waffe suchen müsst und anfangt zu stottern: »Ehm, ja, wie stelle ich mich am besten vor ...«, ist das kein guter Start ins Casting. Zumal die Vorstellung der eigenen Person meistens der Anfang des Castings ist, bevor es dann richtig losgeht. Wenn ihr hier also schon gut punktet, geht ihr mit einem ganz anderen Schwung an die restlichen Aufgaben. Eine gute Vorstellung ist keine Aneinanderreihung von Lebenslaufdaten: Dann habe ich 2010 diese Ausbildung gemacht und im Jahr 2013 jene Sendung moderiert ... Eine gute Vorstellung besteht aus Storytelling. Erzählt eine Geschichte über euch. Wer seid ihr? Was macht euch aus? Zahlen, Daten, Fakten sind sofort wieder vergessen; eine gute Geschichte bleibt. Seid persönlich, macht euch für die Castingcrew anfassbar. Und wenn ihr wisst, was ihr erzählen wollt, dann lernt bitte keinen festen Text auswendig. Das hört man. Ein paar Stichworte reichen. Es geht um euch und eure Person. Habt einen roten Faden im Kopf, wisst, was ihr ungefähr erzählen wollt, und dann sprecht frei. Die Stimme kann euch in Aufregungssituationen wie einem Casting einen Streich spielen. Wenn wir sehr nervös sind, werden wir a) zu schnell und sprechen b) zu hoch. Und gerade die Kombination aus beidem nimmt euch Präsenz und Standing. Gerade dann, wenn’s um die Wurst geht, heißt es: Stimme runter! Und ruhig bleiben. Nehmt euch alle Zeit der Welt und badet förmlich in eurer eigenen Stimme. Wenn ihr denkt: schnell, schnell, schnell, dann habt ihr das Casting auch schnell hinter euch, dann macht ihr genau das Falsche. Vielmehr gilt: Das ist euer Moment – nehmt euch Zeit, genießt ihn.


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Die Kleidung ist bei Castings auch nicht zu unterschätzen. Überlegt euch, welche Art von Sendung ihr für welche Zielgruppe moderiert. Für den NDR war ich als Gastmoderator für die Sendung »DAS!« engagiert. Das ist die Sendung mit dem roten Sofa. Genau genommen war das auch kein klassisches Casting, sondern mehr ein Ausprobieren in der Live-Sendung. Ich durfte in Hamburg also gleich mehrere Folgen moderieren – wie gesagt als Gastmoderator. Bei »DAS!« gibt es keine Kostümabteilung, die euch berät, welche Kleidung ihr am besten anzieht. Also entschied ich mich für Jeans und ein himbeerrotes Flatterhemd. Heute würde ich in der Sendung Hemd und Anzug tragen. Oder Jeans, Hemd und Sakko. Die Zuschauer der Dritten Programme sind um die sechzig, und da kommt etwas konservativere Kleidung einfach besser an. Bei den Entscheidungsträgern übrigens auch. Himbeerrote Flatterhemden sind da weniger gefragt. Zumal der Moderator im Studio auf einem kirschroten Sofa sitzt. Hätte ich mir auch selber denken können, dass das nicht zusammenpasst. Ich bin ja durchaus ein Spezialist in Sachen Geschmacksverirrungen bei Castings und werde euch gleich noch erzählen, wie ich beim MTV-Casting in einem braunen, opamäßigen Cordanzug aufgetaucht bin. Das Flatterhemd war dann auch Thema im Feedback-Gespräch mit dem Redaktionsleiter. In der zweiten Runde als Gastmoderator war ich daher passender gekleidet, allerdings unterlief mir live ein Moderationsfehler: Ich hatte mich entschieden, die Sendung frei zu beginnen, also ohne Teleprompter. Ich bin kein großer Prompter-Fan und moderiere, wenn es geht, immer frei. Nach der freien Moderation kam aber der Nachrichtenüberblick, den man besser nicht frei, sondern vom Prompter machen sollte. Das


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sind »hard facts«, bei denen es zum Teil auf jede Formulierung ankommt. Die Arbeit mit dem Prompter funktioniert so, dass man mit dem Kollegen, der den Prompter bedient, einen Testlauf macht, um die Geschwindigkeit einzustellen. In diesem Fall hatte ich darum gebeten, nach der freien Begrüßung den Prompter einzuschalten, damit ich den Nachrichtenblock ablesen könne. Und das ist dann in der Live-Sendung nicht passiert. Die Folge war, dass ich stotternd in meinen Unterlagen nach dem richtigen Text suchen musste. Und das bei einer Meldung über einen Todesfall – also ein Worst-Case-Szenario! Es hat übrigens keinen Sinn, später auf die Panne mit dem Prompter zu verweisen. Das interessiert weder die Zuschauer noch die Redaktion. In diesem Moment hat man als Moderator versagt – und ich war für weitere Gast- oder Festmoderationen bei »DAS!« aus dem Spiel. Gott sei Dank gelingt es auch manchmal, aus einer schwierigen Situation eine gute Nummer zu machen: Beim »Studio 1« – das war das frühere Vorabendprogramm im Ersten, in dem Ansager die Serien des Tages präsentiert haben – wurde der Teleprompter per Fußpedal vom Moderator selbst bedient. Man hatte also die Geschwindigkeit selber in der Hand oder besser: unterm Fuß. Die besondere Herausforderung war das sekundengenaue Moderieren, weil die Werbeblöcke sekundengenau gefahren werden mussten. Ich war als Moderator beim WDR im Kölner Studio, wo die Ansagen live produziert wurden. Kurz bevor ich on air ging, hörte ich aus der Redaktion, dass die nächste Moderation 20 Sekunden kürzer sein müsse. Die Dauer des Werbeblocks hatte sich kurzfristig geändert. Meine Moderation lag aber auf 45 Sekunden haargenau berechnet fertig auf dem Prompter. Ich habe dann mit dem Prompter angefangen, nach Bauchgefühl ir-


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gendwann mit dem Fuß »Vollgas« gegeben, den Prompter also vorgespult, währenddessen frei weiter moderiert und den letzten Satz wieder vom Prompter gelesen und landete genau bei 25 Sekunden. Über dem Prompter lief eine rücklaufende Digitaluhr, auf der ich die verbleibende Zeit im Auge hatte. Schwein gehabt. Zum Schluss habe ich noch ein paar Beispiele von Castings, an denen ich teilgenommen habe – damit ihr einen Eindruck bekommt, wie unterschiedlich so etwas ablaufen kann: Casting für das SAT.1-Frühstücksfernehen Das Casting fürs SAT.1-Frühstücksfernsehen in Berlin hatte es wirklich in sich. In der Originaldekoration wurde unter Live-Bedingungen eine Mini-Sendung nachgespielt. Da es sich um eine Doppelmoderation handelt, war eine der Moderatorinnen meine Casting-Partnerin. Wichtig war dem Sender, dass die Zeitvorgaben sekundengenau eingehalten werden. Bei Magazinsendungen ist das im wahren Leben auch der Fall. Die Verantwortlichen wollen sehen, ob die Kandidaten das Timing im Griff haben. Zu moderieren waren mehrere Magazinbeiträge, eine Talk-Situation zu einem Service-Thema und ein Call-in zu einem Gewinnspiel. Das komplette Casting sollte vom Prompter moderiert werden, wie es in der echten Sendung auch passiert. Dazu konnte man vorher in der Redaktion seine Texte schreiben, die dann auf den Prompter gelegt wurden. Und nun die böse Falle: Teile des Textes wurden auf dem Prompter einfach ausgetauscht – gegen Passagen, die bei dem Thema überhaupt keinen Sinn ergaben. Das hat man aber erst bei der Aufzeichnung, also im Moment des Moderierens gesehen. Die Kunst bestand darin, den Unsinn so-


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fort zu erkennen, sich vom Prompter zu lösen und frei weiterzumoderieren. Das ist schon ziemlich gemein. Aber im Krieg und beim Casting ist eben alles erlaubt. Diese Herausforderung hatte ich sogar ganz gut gemeistert. Aber ich war während des gesamten Castings etwas »drüber« und habe es nicht geschafft, den richtigen Ton zu finden. Meine Gags gingen alle daneben. Ich habe das Casting später nicht gesehen, aber ich kann mir vorstellen, dass ich nicht besonders sympathisch rübergekommen bin. Es war einfach nicht mein Tag. Untergang auf ganzer Linie. Eine Redakteurin hat mich nach dem Casting noch zur Tür gebracht, und ich habe versucht, irgendeine Einschätzung von ihr zu bekommen. Ihre Antwort: Sie habe das Casting leider nicht gesehen. Heute bin ich mir ziemlich sicher, dass das eine kleine Notlüge war. Klingt irgendwie besser, als dem Kandidaten sagen zu müssen, welch gruselige Performance er gerade abgeliefert hat. VJ-Casting für MTV in Berlin In die Verlegenheit, ein Casting für MTV zu machen, werdet ihr wahrscheinlich nicht mehr kommen. Die große Zeit des Musikfernsehens ist schon eine ganze Weile vorbei, aber früher konnte das schon so eine Art Kickstarter für Moderatorenkarrieren sein. Sowohl Viva als auch MTV haben regelmäßig Castings veranstaltet, um neue, junge Talente zu erspähen. Und so fand ich mich in einem völlig überfüllten Aufenthaltsraum eines Berliner Fernsehstudios wieder. Gecastet wurde über mehrere Tage; – wenn schon, dann gleich richtig. Ich habe zweieinhalb Stunden auf meinen Einsatz gewartet. Aber für so eine große


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Chance, sich bei MTV vorstellen zu dürfen, wartet man natürlich gerne. Der Aufenthaltsraum war voll mit jungen, hippen Menschen; unter ihnen auch Nora Tschirner, die damals schon einen Job bei MTV hatte. Keine Ahnung, wieso sie sich noch mal ins Casting-Getümmel gestürzt hat. Der Vergleich mit dem voll besetzten Wartezimmer einer Zahnarztpraxis, den ich weiter oben schon gezogen habe, hat bei diesem Casting noch mal eine ganz neue Dimension bekommen. Nach zweieinhalb Stunden wurde ich also in den Behandlungsraum gerufen. Das Casting selber war nicht so wild: eine persönliche Vorstellung und ein paar Clips anmoderieren, das war’s. Ich hatte wenige Tage zuvor ein paar »Horror-Zähne« als Scherzartikel gekauft. Richtig tolle Teile, die mit einem Abdruck ans Gebiss angepasst wurden. Wie beim Zahnarzt. Wie passend! Die Dinger sahen auf jeden Fall täuschend echt aus, und ich dachte mir, hier gilt es, um jeden Preis aufzufallen. Also rein mit den Zähnen. So bin ich dann vor die Kamera getreten, was die Castingcrew nicht so lustig fand (ich heute übrigens auch nicht mehr). Noch gewagter war allerdings meine Entscheidung, in einem braunen Cordanzug (Modell: Den hat Opa damals schon gerne getragen) ins Casting zu gehen. Der Casting-Regisseur fragte mich, wie ich denn darauf komme, in diesem Aufzug beim MTV-Casting aufzukreuzen? Keine Ahnung, was mich damals geritten hat. Das ist ja so, als wollte man den Wiener Opernball im Feinripp-Unterhemd moderieren. Ich denke, die Wahrheit ist: Ich war weder damals noch bin ich heute sonderlich lässig oder hip. Das Casting hätte ich mir auch sparen können. Aber dann hätte ich euch hier nicht von dieser Episode berichten können. Ihr ahnt es schon: Von MTV gab es nie eine Antwort, auch keine Absage. Aber bei ge-


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schätzten 400 Casting-Teilnehmern über mehrere Tage wäre das wohl auch zu viel Aufwand gewesen. »Galileo«-Casting für Pro7 Das Casting für »Galileo« in Unterföhring bei München gehört zu den netten Erfahrungen meines Moderatorenlebens. Auch hier war es wieder eine Miniaturausgabe der Sendung. Magazinbeiträge sollten anmoderiert und ein Experiment erklärt werden. Dazu ein paar Gänge durchs Studio und der eine oder andere Kamerawechsel. Der Regisseur erklärte vorab alles in Ruhe, und während des Castings gab es dann keine eingebauten Pannen oder nicht angekündigte Tests. Wichtig war der Redaktion, dass der Moderator einer Wissenssendung komplizierte Sachverhalte einfach erklären kann und beim Experiment in der Lage ist, die wichtigen Dinge vor der Kamera zu zeigen und gleichzeitig zu sprechen. Das klingt logisch, ist in der Praxis aber manchmal nicht so einfach. Daniel Aminati hat den Job damals bekommen. Später ist er dann zu »taff« gewechselt. Tatsächlich verkörpert er viel eher den Pro7-Moderatorentyp als ein blonder Kandidat. Von Stefan Raab und Steven Gätjen einmal abgesehen, gibt es bei Pro7 keine blonden Moderatoren. Ähnlich angenehm lief übrigens das Casting für die ZDF-Kindernachrichten »logo«. Ein paar Magazinmoderationen vom Prompter, die allesamt in Ruhe vorbereitet werden konnten. Keine Pannen, nette Atmosphäre. Das Casting fand im Ausbildungsstudio beim ZDF in Mainz statt. Als Trainer leite ich in diesem Studio heute regelmäßig Moderationsseminare. Das war schon ein komisches Gefühl, als ich das erste Mal wieder in den


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Räumen stand, in denen ich damals als Casting-Kandidat mein Glück versucht hatte. Ganz zum Schluss noch eine Anekdote zum Thema Bauchgefühl: Eine Produktionsfirma hatte zu einem Casting nach Köln geladen. Für einen Privatsender war eine Comedy-Sendung in Planung, die ein bisschen in die Richtung der »SAT.1 Wochenshow« gehen sollte. Nun bin ich überhaupt kein Comedian. Aber in dem Format war die Rolle des Anchors zu besetzen, also quasi die Funktion des Ingolf Lück in der Wochenshow, der die schrägen Nachrichten des Tages vorliest. Ich blickte bei diesem Casting in lauter versteinerte Minen der Macher. Keine Regung, von einem Lachen ganz zu schweigen. Das ist nicht die Reaktion, die man sich als Kandidat wünscht, vor allem dann nicht, wenn es um eine Comedy-Show geht. Ziemlich frustriert fuhr ich nach dem Auftritt nach Hause und rief die Agentin an, die das Casting vermittelt hatte. Wir hakten den Auftritt also beide ab, doch ein paar Tage später war die Agentin wieder in der Leitung: »Na, du bist mir ja einer. Ich habe gerade mit der Produktionsfirma gesprochen, und die waren ganz begeistert von dir.« Da wusste ich gar nicht, was ich sagen sollte. Ich musste da irgendetwas verpasst haben – oder es lag eine Namensverwechslung vor. Tja, so kann man sich irren. Die Sendung ist dann am Ende nicht produziert worden, weder mit mir noch mit einem anderen Kollegen als Nachrichten-Anchor.


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Pilotproduktionen Manchmal gibt es nach dem Casting noch einen Zwischenschritt, bevor ihr tatsächlich mit einer Sendung auf den Schirm kommt: den Piloten. Das sind Testsendungen, die die Sender meistens bei Produktionsfirmen in Auftrag geben, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie eine Sendung insgesamt wirkt. Viel öfter noch als Castings werden fast alle Pilotproduktionen auch in die Marktforschung gegeben. Programmdirektoren und Unterhaltungschefs versuchen, sich so vor ihren Entscheidungen abzusichern. Die Erfahrung zeigt, dass das nur bedingt möglich ist. Regelmäßig fallen Formate, die in der Marktforschung sehr gut angekommen sind, dann, wenn sie tatsächlich gesendet werden, gnadenlos durch. Und umgekehrt können Sendungen, die in der Marktforschung verheerende Ergebnisse hatten, ein Riesenerfolg werden (wenn sich denn jemand traut, das Format trotz des Marktforschungsflops umzusetzen). Ihr als Moderatoren seid Teil dieses Testprozesses. Ihr ahnt nicht, wie viele Piloten produziert werden, die am Ende nie auf den Schirm kommen. Ich selber habe im Laufe der Jahre fünf Piloten für einen großen Privatsender moderiert, und am Ende ist entweder die ganze Sendung nicht gekommen oder man hat sich für einen anderen Moderator entschieden. Ich hätte in dieser Zeit ein ganz neues Berufsbild etablieren können: den Pilot-Moderator. Darf ich mich vorstellen: Ernst-Marcus Thomas. Pilot-Moderator. Jobbeschreibung: eine Testsendung nach der anderen moderieren, aber im Gegensatz zu Piloten in der Fliegerei nie richtig abheben. Das ist auf die Dauer ziemlich frustrierend, bringt mich aber auch gleich zu einem wichtigen Punkt: Lasst


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euch Pilotproduktionen immer bezahlen! Castings werden in der Regel – abgesehen von den Reisekosten – nicht bezahlt. Bei Piloten ist das anders: Hier gibt es für die Moderation durchaus ein Budget. Nur versuchen Sender und Produktionsfirmen oft, euch den Piloten als Chance eures Lebens zu verkaufen – als Chance, mit der Sendung am Ende ganz groß durchzustarten. Und euer Investment soll dann sein, dass ihr auf das Moderationshonorar verzichtet. Wie ihr schon bemerkt haben werdet, sind die Chancen in der Praxis jedoch eher begrenzt. Dafür habt ihr bei Pilotproduktionen die gleiche, wenn nicht sogar mehr Arbeit wie für eine richtige Sendung. Denn alle Beteiligten sind natürlich daran interessiert, eine Topqualität abzuliefern. Und auch ihr als Moderatoren steht unter hohem Performance-Druck. Ich war in allen fünf Fällen, in denen am Ende die Absage kam, sehr froh, dass ich ein Honorar ausgehandelt hatte und meine Arbeit mehr oder weniger gut bezahlt wurde. Sonst seid ihr am Ende doppelt gekniffen. Dazu kommt, dass Sender regelmäßig Doppel-Piloten in Auftrag geben. Das heißt, von einer Sendung werden zwei Piloten mit zwei Moderatoren gemacht. Das erhöht den Druck zusätzlich. Meistens ist der zweite Kollege am Tag der Produktion auch anwesend, was noch unangenehmer ist, als bei Castings auf seine Konkurrenten zu treffen. In aller Regel werden Piloten wie echte Sendungen produziert: Die Produktionsfirma stellt eine provisorische Redaktion auf und es wird mit einer professionellen Studio-Dekoration gedreht. Meine erste Erfahrung mit einer Pilotproduktion habe ich mit Mitte zwanzig gemacht. Ich moderierte die Sendung »Philipps


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Tierstunde« im Kinderprogramm, und ein Autor, der für die Sendung arbeitete, war gleichzeitig für eine Produktionsfirma im Einsatz, die zu der Zeit gerade an einem Format für einen Privatsender bastelte. Eine Nachbarschaftsstreit-Show, in der die verfeindeten Parteien in einer Art Arena aufeinandertreffen. Der Autor, der mich von der Arbeit im Kinderprogramm her kannte, warf meinen Hut als Moderator für diese Show in den Ring, und schwupps, hatte ich den ersten Auftrag für einen Piloten in der Tasche. Muss ich erwähnen, dass es sich um einen Doppel-Piloten handelte? Und darf ich hinzufügen, dass das Format niemals auf Sendung gegangen ist? Aber egal: Für mich als jungen Moderator war das eine tolle Erfahrung. Ich hatte bis dahin nur im Kinderprogramm und im Radio moderiert, und plötzlich stand ich in Köln in einem riesigen Studio mit jeder Menge Kameras. In einer Arena, in der sich die Nachbarn (die Laienschauspieler waren) wenig später fast an die Gurgel gehen sollten. Das wusste ich zu dem Zeitpunkt aber noch nicht. Die Laienschauspieler hatten sich mit ihrer Rolle etwas zu sehr identifiziert und waren dann während der Aufzeichnung förmlich aufeinander losgegangen. Und ich, der Junge von »Philipps Tierstunde«, als Moderator mittendrin. Das war also die große, weite Welt des Privatfernsehens. Für meinen ersten Show-Einsatz lief die Pilotaufzeichnung erstaunlich gut. Vor Ort waren auch zwei Redakteure des Senders, der den Piloten in Auftrag gegeben hatte. Und die beiden hielten es für eine gute Idee, einen gemeinsamen Termin beim Unterhaltungschef zu machen. Da saß der Junge vom Kinderprogramm also plötzlich zum ersten Mal in seinem Leben beim Unterhaltungschef eines großen Senders. Ich erinnere mich an ein sehr nettes Gespräch. Alle


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Beteiligten brachten ihre Begeisterung über die Pilot-Moderation zum Ausdruck, und der Unterhaltungschef beschloss das Gespräch mit den Worten: »Wir arbeiten hier mit Hochdruck daran, für Sie eine passende Sendung zu finden.« Zustimmendes Nicken der beiden Redakteure. Mit stolz geschwellter Brust verließ ich das Büro und dachte, ich sei der neue Peter Frankenfeld, bereit, das deutsche Privatfernsehen zu erobern. Es ging dann erst mal zurück ins Kinderprogramm, aber ich erwartete eigentlich täglich, was sage ich: stündlich den Anruf des Privatsenders, dass es losgehen könne. Aber es ging gar nichts los. Stattdessen gab es zu Weihnachten eine Karte der beiden Redakteure mit den besten Wünschen. Man hoffe, dass man im neuen Jahr für ein schönes Projekt zusammenkomme. Die erste von vielen Weihnachtskarten, die mich im Laufe der folgenden Jahre erreichen sollten. Ich finde das auch heute noch eine sehr nette und stilvolle Geste, und ich bin sicher, dass die beiden das auch genauso meinten, wie sie es schrieben. Nur kam es nie zu einer wirklichen Zusammenarbeit, sondern stattdessen zu vier weiteren Piloten für den Sender. In einem Fall bin ich sogar für einige Tage nach Paris geflogen. Dort stand bereits die Deko für ein internationales Format, das als Pilot getestet werden sollte und das in Frankreich schon erfolgreich lief. Die technische Mannschaft kam aus Frankreich, die Redaktion und die Kandidaten waren aus Deutschland. Ich hatte einen Knopf im Ohr, über den der französische Regisseur auf Französisch und Englisch und parallel die Redaktion auf Deutsch mit mir kommunizierten. Natürlich alles während der Aufnahmen und gerne auch zeitgleich, während ich verzweifelt versuchte, ein paar gerade Sätze in die Kamera zu moderieren.


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Die Produktion hat zwar sehr viel Spaß gemacht (wann hat man schon mal die Chance, in Paris zu moderieren), war aber durch die Umstände auch extrem anstrengend. Ich erinnere mich noch gerne an die Ansagen des Regisseurs: »Alors, bien sur, I’m afrrrraid we have to rrrrepeat the sequenzeee«. Natürlich handelte es sich wieder um einen Doppel-Piloten. Vor Ort in Paris war also noch ein zweiter Moderator, der seine Show vor mir produzierte, während mein Nervositätslevel ins Unermessliche stieg und ich hinter der Bühne kopflos auf- und abtigerte. Ein sehr netter Kollege, dem es sicher auch nicht angenehm war, dass nach ihm noch ein zweiter Hansel die Sendung moderierte. Aus Sicht des Senders ist dieses Vorgehen verständlich: Wenn schon der ganze Aufwand betrieben wird – und so ein Pilot kostet Sender und Produktion wirklich eine Stange Geld –, dann kann man sich auch gleich anschauen, wie die Sendung wirkt, wenn sie von zwei unterschiedlichen Moderationstypen gemacht wird. Für die Moderatoren bleibt’s trotzdem unangenehm. Die Belohnung war, mit dem gesamten Team, inklusive der französischen Mannschaft, die sehr, sehr lustig war, auf die Produktion anzustoßen. In diesem Moment vergisst man dann den ganzen Stress. Das Ende vom Lied war, dass der Sender die Show mit einem Gesicht aus dem eigenen Haus besetzte, also einem dritten Moderator, der keinen der beiden Piloten moderiert hatte, sich den ganzen Stress also nicht antun musste und natürlich auch nicht in der Marktforschung getestet wurde. Leider ist so etwas kein Einzelfall. Deswegen kann ich es gar nicht oft genug sagen: Lasst euch Piloten immer bezahlen.


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An einen weiteren Piloten erinnere ich mich gerne zurück, weil CreaTV, die Produktionsfirma von Hans Meiser, das Format gemacht hat. Ich habe in diesem Fall darum gebeten, dass Hans Meiser meinen Vertrag persönlich unterschreibt, was er auch tat. Den Vertrag habe ich immer noch als Souvenir. Es ging hier um einen Daily Talk. Man wollte testen, ob das Genre am Nachmittag vielleicht wiederbelebt werden könne, wenn man die Sendung etwas aufbürstet, indem man sie zum Beispiel mit Einspielfilmen anreichert. Wie die anderen beiden Piloten war auch dieser sehr aufwendig produziert: Es wurde eigens eine Dekoration gebaut und ein Vorspann produziert, und auch die Zuspielfilme waren richtig gut gemacht – alles so, als würde der Pilot wirklich auf Sendung gehen. Tatsächlich schaffte auch er es nur in die Marktforschung, aber nie on air. Und auch in diesem Fall hatte ich es wieder mit einem Doppel-Piloten zu tun. Als zweiter Kollege sollte ein junger Radiomoderator ohne Fernseherfahrung getestet werden. An sich finde ich es super, dass auch Radioleute die Chance bekommen, sich im Fernsehen auszuprobieren. Und ob ihr’s glaubt oder nicht: Man gewöhnt sich auch irgendwann an diese Konkurrenzsituation. Fassen wir es zwischendurch kurz zusammen: Unter den drei Piloten waren eine Nachbarschaftssendung, eine Gameshow und ein Daily Talk. Und es ging dann weiter mit einem Immobilienformat, für das fünf Tage lang gedreht wurde. Für einen Piloten, der nicht gesendet werden soll, schon ziemlich aufwendig.


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Office-Piloten Zu alledem habe ich dann noch einen sogenannten »Office-Piloten« gemacht. Ich wusste bis dato noch nicht einmal, was ein »Office-Pilot« überhaupt sein soll. Und das war auch der einzige Pilot dieser Art, der mir jemals begegnet ist. Gemeint war eine Probeaufnahme, die im Büro der Produktionsfirma stattfand. Hintergrund: Das Unternehmen wollte nicht so viel Geld für einen echten Piloten in die Hand nehmen. Oft müssen Produktionsfirmen Piloten komplett aus eigener Tasche zahlen, bekommen also von den Sendern keinen Cent dafür. Und wenn der Pilot dann nicht zu einem Format wird, das auch auf Sendung geht, ist die Kohle futsch. Insofern war das ein abgespecktes Casting für eine Gameshow. Aber »Office-Pilot« klingt natürlich sehr viel schicker als Sparstrumpf-Casting. Das sind schon sehr unterschiedliche Genres, die ich da bedient habe. Im nächsten Kapitel »Produkt: TV-Moderator« werde ich euch erzählen, dass es sich überhaupt nicht empfiehlt, sich derartig breit aufzustellen.

Vertragsverhandlungen Vor dem Piloten wird euch entweder vom Sender oder von der Produktionsfirma ein Vertrag vorgelegt, den ihr mit Argusaugen prüfen solltet. Unterschätzt diesen Vertrag bitte nicht, etwa nach dem Motto: Ist ja nur für den Piloten. Tatsächlich werden in diesem Vertrag schon die Weichen für eine eventuelle Staffelproduktion gestellt. Die Gegenseite versucht hier bereits, die Gage


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für die richtige Sendung (nicht nur für den Piloten) festzulegen und Produktionszeiten zu blocken. Das kann so weit gehen, dass ihr nicht für andere Sender arbeiten dürft, euch Zeiten freihalten müsst, obwohl gar nicht klar ist, ob der Pilot jemals auf Sendung geht. Dazu kommt, dass ihr euch vertraglich verpflichtet, auf jeden Fall für die Moderation zur Verfügung zu stehen – auch dann, wenn ihr nach der Pilotproduktion denkt, dass das Format eigentlich gar nicht zu euch passt. Wenn die Sendung also kommt und ihr beim Pilotvertrag nicht aufpasst, kann es sein, dass ihr euch die Gage und die Rahmenbedingungen für viele Folgen schon versaut habt. Holt euch für Vertragsangelegenheiten auf jeden Fall fachmännische Hilfe. Wenn ihr eine Agentur habt, ist euer Agent der richtige Ansprechpartner. Ihr könnt aber auch einen erfahrenen Medienanwalt einschalten, oder ihr sprecht eine Agentur an, ob sie euch nur für diesen einen Fall vertreten möchte und den Vertrag verhandelt, sei es gegen eine Provision von der Gage oder gegen eine Pauschale, die ihr zuvor verhandelt. So etwas ist durchaus üblich. Im Vertrag solltet ihr unbedingt darauf achten, dass die ausgehandelte Gage für die spätere Sendung für euch okay ist, oder ihr legt fest, dass die Gage im Falle einer Staffel gesondert verhandelt wird. Im Vertrag sollte zudem geregelt sein, was passiert, wenn der Pilot oder die spätere Produktion vorzeitig beendet wird oder man sich plötzlich für einen anderen Moderator entscheidet – Stichwort Ausfallhonorar. Sonst steht ihr im schlimmsten Fall am Ende mit leeren Händen da. Ich habe mir in den Pilotverträgen außerdem jeweils zusichern lassen, dass der Pilot nicht ausgestrahlt wird. Denn ich habe zu der Zeit für die ARD gear-


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beitet, und wenn man da als Moderator plรถtzlich bei der privaten Konkurrenz auftaucht, ist man schnell seinen Job los. Ihr seht schon, Pilotproduktionen sind nicht ganz ohne. Aber wenn ihr als Moderator professionell euer Geld verdienen wollt, kommt ihr meist nicht um sie herum.




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