Newsletter Portfolio_3/2019 - Stiftung Text Akademie

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und der Fachstelle für Schreiben und Publizieren an der HWZ.

EDITORIAL

Zukunftswerkstatt Berlin Juli 2019 – ein Rückblick Liebe Leserinnen und Leser Sie ist schon zur Tradition geworden: die «Zukunftswerkstatt Berlin». Zweimal im Jahr reisen wir mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern unserer aktuellen Lehrgänge in die europäische Kreativhauptstadt Berlin, um uns über Publishing- und Digitaltrends auf den neuesten Stand zu bringen.Anlässlich unseres letzten Aufenhalts vom 5. bis 6. Juli lauteten die Themen «Data-Driven Content», «Corporate Wording» und «Chatbot Producing». Data-Driven Content Immer mehr Unternehmen vertrauen bei der Contentplanung auf Nutzerdaten. Konkret suchen sie über sogenanntes 'Social Listening' nach erfolgsversprechenden Themen, um ihre Zielgruppen gezielt anzusprechen. Die junge Agentur CRTN Marketing (www.crtn.io) hat sich auf datengestütztes Marketing spezialisiert – und unsere Gruppe in Berlin in Tools und Methoden eingeführt (PS: wir stellen hierzu gerne eine Liste zur Verfügung).

Corporate Wording Beinahe klassisch mutet demgegenüber das zweite Berliner Thema an: Corporate Wording. Petra van Laak (www.petravanlaak.de) hat sich darauf spezialisiert, Unternehmen sprachlich zu begleiten. In Berlin hat sie einige ihrer Werkzeuge und aktuelle Fallbeispiele vorgestellt.

Chatbot Producing Chatbots stehen 2019 im Mittelpunkt des Interesses. Folgerichtig haben wir dieses Thema in Berlin aufgenommen. Dominik Rosenkranz von Rasa (www.rasa.com) führte in die Typologie von Chatbots ein. Zudem erläuterte er die Vorteile, welche das von seinem Unternehmen entwickelte Open Source-System bei der Programmierung von Dialogsystemen besitzt. Lust auf eine Reise nach Berlin? – Wir informieren Sie gerne über unsere nächste Zukunftswerkstatt.

Bild: Data-Driven Marketing setzt auf eine Vielzahl von Datenquellen auf dem Web.

Herzliche Grüsse Ivo Hajnal und Franco Item

AUGUST 2019

Newsletter der Text Akademie


CORPOR ATE WRITING/PROFESSIONAL WRITING WORKSHOP

Unser Alltag dreht sich immer schneller – und unsere Aufmerksamkeitsspanne sinkt Unser Alltag scheint sich durch die rasante Entwicklung von Technik und Kommunikation massiv beschleunigt zu haben. Eine wissenschaftliche Untersuchung bestätigt den subjektiven Eindruck durch eine unkonventionelle Methode: Sie stützt sich auf sozialen Content wie Tweets oder Kommentare. Wie intensiv wir uns bestimmten Themen oder Medieninhalten zuwenden, ist der Massstab für die sogenannte 'kollektive Aufmerksamkeit'. Diese Aufmerksamkeit liess sich bislang nur ungenügend messen. Doch nun hat ein internationales Forscherteam eine einleuchtende Messmethode entwickelt.1 Hashtags belegen kollektive Aufmerksamkeit So haben die Forscher die Entwicklung auf Twitter beobachtet: konkret die Entwicklung eines Hashtags über einen gewissen Zeitraum. Die Analyse der 50 weltweit beliebtesten Hashtags in einem Textcorpus von 43 Milliarden Tweets ergibt Erstaunliches: 2013 hielt sich ein populärer Hashtag durchschnittlich noch während 17,5 Stunden in den Top 50 der beliebtesten Hashtags. 2016 war diese Zeitspanne bereits auf 11,9 Stunden gesunken (s. Bild 1) – was ein klarer Hinweis auf die Beschleunigung unseres gesellschaftlichen Lebens ist. Mehr noch: Gemäss den Autoren erreichen Hashtags in immer kürzerer Zeit ihren Gipfel an Aufmerksamkeit, um danach umso rasanter wieder in der Publikumsgunst abzustürzen.

Dass Content immer kurzlebiger ist bzw. immer we­ niger nachhaltig wirkt, lässt sich übrigens nicht nur anhand von Tweets, sondern beispielsweise ebenso anhand von Kommentaren zu Reddit-Beiträgen beobachten. Der Nährboden für Data-driven Content Aus der Untersuchung geht eine zweite Erkenntnis hervor: Je kürzer die Lebensdauer populärer Hashtags ausfällt, desto häufiger werden neue Themen lanciert. Die Anzahl populärer Tweets wächst somit stetig (s. Bild 2).

Bild 2: Die Grafik zeigt die Anzahl an Tweets, die im angegebenen Zeitraum jeweils populäre Hashtags (d.h. Top-50-Hashtags) enthalten. Die Anzahl solcher Tweets verdoppelt sich zwischen 2013 und 2016. (Quelle: 1)

Immer raschere Erneuerungszyklen bei immer kürzerer Aufmerksamkeit – diese Entwicklung erklärt, warum dem Data-driven Content die Zukunft gehört. Denn wer mit dem hohen Tempo mitgehen will, muss zwangsläufig automatisierte Tools zur Themenfindung nutzen. Eine Entschleunigung ist nicht absehbar … Bild 1: Das Ausmass der kollektiven Aufmerksamkeit (die 'Spitze' der Kurve) bleibt gleich. Doch der Zeitraum, innerhalb dessen ein Hashtag an Popularität gewinnt bzw. wieder verliert, wird zwischen 2013 und 2016 immer geringer. Die Kurve spitzt sich dadurch stetig zu. (Quelle: 1)

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Quelle: 1 Philipp Lorenz-Spreen et al. ,«Accelerating dynamics of collective attention.» Nature communications 10.1 (2019): 1759.


CONTENT MARKETING/INFLUENCER MARKETING

Content-Arten im Vergleich: Am Besten werbefrei – oder wenigstens «ehrlich» … Unternehmen nutzen gegenwärtig drei Arten von Content: Owned Content, Sponsored Content und User-Generated Content. Welche der drei Arten geniesst bei den Nutzern die höchste Glaubwürdigkeit? «Content is king»: Diese Phrase ist zwar abgegegriffen, bewahrheitet sich aber im Zeitalter des Content Marketing wie nie zuvor. Umso verständlicher, dass Unternehmen gleich auf unterschiedliche Content-Arten setzen: konkret auf Owned Content, Sponsored Content – auch als Native Advertising bezeichnet – und User-Generated Content. Die folgende Tabelle versucht, die drei Content-Arten voneinander abzugrenzen: Art

Owned Content

Sponsored Content

User-Generated Content

Kanal

unternehmenseigen

unternehmens- unternehmensfremd fremd

Urheber

Unternehmen fremde Redaktion

dritte Person/ Nutzer

Inszenierung

journalistisch journalistischwerberisch

authentisch

Hingegen unterscheiden sich Owned Content und User-Generated Content nur unmerklich: Beide gelten als glaubwürdig und stärken das Image der Marke. Bekenntnis zu Ehrlichkeit wirkt Diese Erkenntnis muss unter anderem Influencer als jüngste Spielart von Sponsored Content besorgen. Wie eine weitere Studie aus Südkorea belegt2, lassen sich die negativen Auswirkungen von Sponsored Content allerdings verblüffend einfach mildern: nämlich durch den Verweis, die Empfehlung sei «ehrlich» gemeint und gebe die Überzeugung des Verfassers wieder.

Tabelle: Die drei Arten von Corporate Content.

Eine Frage der Glaubwürdigkeit Was die Effektivität der einzelnen Content-Arten betrifft, liegt die folgende Annahme nahe: Nutzer stufen User-Generated und Owned Content deutlich glaubwürdiger ein als (selbstverständlich gekennzeichneten) Sponsored Content. Diese Annahme ist nun zum ersten Mal experimentell bewiesen worden.

Bild 2: Skeptische Konsumenten (rote Linie) lassen sich durch den Hinweis positiv stimmen, die Empfehlung entspreche der «ehrlichen» Meinung des Verfassers. (Quelle: 2)

Zweiseitige Argumentation reduziert Skepsis Die südkoreanische Studie bestätigt darüber hinaus eine rhetorische Grundregel: Ist das Publikum dem Vortragenden ablehnend gesinnt, hilft die zweiseitige Argumentation. Tatsächlich glauben skeptische Konsumenten einem gesponserten Beitrag eher, wenn dieser zweiseitig argumentiert – also neben Stärken auch Schwächen des Produkts erläutert. Im neuen Content-Zeitalter bleiben somit alte Weisheiten gültig …

Bild 1: Bitte teilen? – Sponsored Content ist wenig glaubwürdig.

Wie eine aktuelle Vergleichsstudie zeigt 1, schneidet Sponsored Content hinsichtlich Glaubwürdigkeit und positiver Wirkung auf die Marke deutlich schlechter ab als andere Content-Arten.

Quellen: 1 Johannes Müller/Fabian Christandl, «Content is king – But who is the king of kings? …» Computers in Human Behavior 96 (2019), 46–55. 2: Yoori Hwang/Se-Hoon Jeong, «“This is a sponsored blog post, but all opinions are my own” …» Computers in Human Behavior 62 (2016), 528-535.


DIGITAL CONTENT: CHATBOT-TRENDS

talktotransformer: Antworten Siri&Co die Fake News-Maschine? frauenfeindlich? talktotransformer.com ist in der Lage, unfertige Sätze zu vervollständigen. Die Ergebnisse sind überraschend authentisch. Aus der Vielzahl an Sprachanwendungen, die auf Künstliche Intelligenz setzen, sticht gegenwärtig GPT-2 hervor. Das System ist eine Entwicklung der von Elon Musk finanzierten Forschungsorganisation OpenAI. Es ist in der Lage, begonnene Sätze zu einer Geschichte, einem Gedicht oder einer Meldung weiterzuspinnen. Einen beeindruckenden Einblick liefert die Webseite www.talktotransformer.com .1 Beängstigende Fähigkeiten? Der Algorithmus von GPT-2 liefert so überzeugende Resultate, dass inzwischen erste Bedenken auftauchen. Denn allzu rasch liesse sich ein solches System missbrauchen, um Fake News am Fliessband zu verfassen. So ist die Maschine beispielsweise in der Lage, den Satzanfang «the Swiss government decided …» zu einer glaubwürdigen Meldung über Schweizer Währungspolitik zu ergänzen (s. Bild).

Digitale Assistenten wie Siri oder Alexa stützen Geschlechterklischees. Dies besagt ein Bericht der UNESCO. Sprachassistenten geben sich gerne höflich. Als «Schlampe» angesprochen reagiert Apples Siri so mit «Ich mag diese willkürlichen Kategorien nicht» – beziehungsweise antwortete bis zum Frühjahr sogar mit «I'd blush if I could» («ich würde erröten, wenn ich könnte»). Diskriminerendes, da unterwürfiges Verhalten? Offenkundig verraten diese Antworten eine klare Rollenvorstellung – zumal Sprachassistenten meist weiblich sind. Die IT-Firmen wie Amazon und Apple verweisen zwar gerne auf Studien, wonach weib­ liche Stimmen männlichen vorgezogen würden. Ein Bericht der UNESCO beleuchtet diese Praxis jetzt aber kritisch und stellt sie in Frage: Denn die Vorstellung einer 'dienenden' Assistentin statt eines 'starken' Assistenten entspricht einem klaren Geschlechterstereotytp.1

Bild: Die Scherze ('Easter Eggs') der Sprachassistenten bestätigen eher Klischees über Frauen als über Männer. (Quelle: 1)

Zwar geben aktuelle Tests vorläufige Entwarnung: Denn die künstlich erzeugten Texte sind inhaltlich meist noch inkohärent.2 Doch wird das Potential solcher Sprachanwendungen in den nächsten Jahren zweifellos sprunghaft wachsen. Ein Gegenmittel ist bereits in Sicht: Der Algorithmus GLTR soll in der Lage sein, maschinell erzeugte Texte zu erkennen.3 Eine Demonstration findet sich unter www.gltr.io/dist/index.html . Der durch den Algorithmus verfasste Text oben geht bei GLTR allerdings als 'natürlich' durch … Quelle: 1 https://www.theverge.com/tldr/2019/5/13/18617449/ai-textgenerator-openai-gpt-2-small-model-talktotransformer. 2 https://futurism.com/openai-dangerous-text-generator. 3 https://futurism.com/detects-text-written-bot.

Eine weitere Kritik: Die Scherzantworten, auf welche die Sprachassistenten programmiert sind, wirken tendenziell unterwürfig. So lenkt der Bericht der UNESCO den Blick auf ein ganz neues Thema: die Gleichbehandlung von Frauen in Chatbots. Quelle: 1 Mark West et al., I'd blush if I could. Closing Gender Divides in Digital Skills Through Education. Bericht UNESCO/EQUALS 2019.

Impressum Stiftung Schweizerische Text Akademie Technopark Zürich Technoparkstrasse 1 8005 Zürich www.textakademie.ch

Fachstelle Schreiben & Publizieren Hochschule für Wirtschaft in Zürich HWZ

ISSN 2297-5764

Bild: talktotransformer.com ergänzt glaubhaft einen begonnenen Satz zu einer fiktiven Meldung.


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