Passionsspiele Oberammergau 2022

Page 1

Oberammergau 2022 jährigen Krieg, nach monatelangem Leiden und Sterben an der Pest, gelobten die Ober­ ammergauer, alle zehn Jahre das „Spiel vom Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus“ aufzuführen. Zu Pfingsten 1634 haben sie dieses Versprechen zum ersten Mal erfüllt. Im Jahr 2022 führt die Gemeinde in einer einzigartigen Kontinuität durch die Jahrhunderte zum 42. Mal das Passionsspiel auf. Fast die Hälfte der Oberammergauer Einwohner, mehr als 2 000 Mitwirkende, bringt in einer fünfstündigen Aufführung die Geschichte des Jesus von Nazareth auf die imposante Freilichtbühne des oberbayerischen Passionsspieltheaters. Mit mehr als hundert Vorstellungen und einer halben Million Zuschauern ist es das erfolgreichste Laienspiel weltweit und zählt zum „Immateriellen Kulturerbe“ der UNESCO.

2022 Titel Reinzeichnung.indd 1

Oberammergau 2022

PAS S I O N S S P I E LE

Die Geschichte des Oberammergauer Passionsspiels beginnt 1633. Mitten im Dreißig­

PAS S I O N S S PI E LE

27.04.22 09:26





PAS S ION S SPIELE Oberammergau 2022



PAS S I O N S S PI E LE Oberammergau 2022

Herausgegeben von der Gemeinde Oberammergau


Christian Stückl Spielleiter und Regisseur Stefan Hageneier Bühnen- und Kostümbildner Markus Zwink Musikalischer Leiter und Dirigent Eva Kammerer Dr. Christian Wolf Dirigenten Abdullah Kenan Karaca 2. Spielleiter Birgit Guðjónsdóttir Fotografin


INHALT

8 Vorwort von Christian Stückl 10 Die Passion 142 Blick zurück nach vorn Christian Stückl, Stefan Hageneier und Markus Zwink im Gespräch mit Teresa Grenzmann 156 Chronik 170 Darsteller Orchester, Solisten und Chor




VORWORT

Vor fast vierhundert Jahren befand sich Oberammergau inmitten der Wirren des Dreißigjährigen Krieges; Soldaten marodierten durchs Land, es herrschte Hunger und der „Schwarze Tod“ hielt die Menschen fest in seinen Fängen. 1632 brachte einer alten Legende nach ein Mann namens Kaspar Schisler die Pest ins Dorf und binnen weniger Tage starben daran etwa achtzig erwachsene Einwohner. Die Aufzeichnungen sind lückenhaft und die Kinder hat man erst gar nicht gezählt, so muss die Zahl der Todesfälle vermutlich weit höher gewesen sein. In dieser Not sind die Oberammergauer zusammengekommen und haben das Gelöbnis abgelegt, von nun an alle zehn Jahre das „Spiel vom Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus“ aufzuführen. Angeleitet wurde das Spiel in der damaligen Zeit von der katholischen Kirche, die mit mehreren großen Klöstern – Ettal, Rotten­buch, Steingaden und Polling – das Land fest im Griff hatte. Sie prägte das Denken der Menschen, von denen viele als arme Bauern in Leibeigenschaft lebten und wenig Rechte hatten. Es herrschte Angst; Gott wurde als ein zorniger alter Mann gepredigt, der die Menschen für die von ihnen begangenen Sünden bestraft. Viren und Bakterien waren noch nicht bekannt, daher musste diese grausame Krankheit, die Tausende Kinder, Junge und Alte dahinraffte, als Strafe Gottes gedeutet werden. Die Konzentration auf die Leidensgeschichte Jesu, der „für die Sünden der Menschheit“ gestorben ist, galt vielen als Heilmittel, und so sprossen überall in Bayern Passionsspiele aus dem Boden. Über vierhundert Orte spielten zu dieser Zeit die Leidensgeschichte und – so die Legende – vertrieben die Pest, sodass keiner mehr daran starb. Als im Frühjahr 2020 das Passionsspiel aufgrund der CoronaPandemie abgesagt werden musste, wurde immer wieder auf die alte

8

Oberammergauer Geschichte von der Pest verwiesen. Ich wurde mehrmals gefragt, ob wir nicht darüber nachdächten, ein neues Gelübde abzulegen. Ich musste über diese Frage lachen, denn längst prägt uns, so wir daran glauben, ein völlig anderes Gottesbild. Niemand kann sich heute einen zornigen alten Mann mit einem weißen Bart vorstellen, der auf seinem Thron im Himmel sitzt und sich Krankheiten, Kriege und Hungersnöte als Strafe für die„sündige Menschheit“ ausdenkt, bis wir uns ihm unterwerfen. Heute wissen wir, dass wir selbst für das Leid und die Not in der Welt verantwortlich sind. Nicht Gott denkt sich Kriege aus, wir Menschen tun dies, nicht Gott ist für den Hunger in der Welt verantwortlich, wir selbst sind daran schuld. Unser Blick auf Gott und auf die Welt hat sich grundlegend geändert. Und dennoch halten wir an dieser alten Tradition fest und spielen alle zehn Jahre die Geschichte eines Mannes, der vor mehr als 2000 Jahren durch die Wüste Galiläas gezogen ist, die Städte Kafarnaum und Jerusalem in Aufruhr versetzt hat und im Alter von 33 Jahren ans Kreuz geschlagen wurde. Viele Passionsspiele in anderen Orten sind längst sang- und klanglos verschwunden. Ganz anders bei uns. Hier ist die Tradition lebendig und wird von allen Generationen mit großem Eifer weitergeführt. Manchmal scheint es wie ein Wunder: Ein Dorf verwandelt sich in eine Bühne, Tausende Zuschauer kommen aus vielen Teilen der Welt und schauen staunend auf Hunderte langhaarige und bärtige Laiendarsteller, auf Sänger und Musiker, die alle zusammen mit voller Inbrunst auf der Bühne stehen und das Leben Jesu spielen. Wie kann das gelingen? Wie kann man fast ein ganzes Dorf dazu bringen, gemeinsam eine alte – für manche sogar eine völlig veraltete und angestaubte – Geschichte zu spielen? Es geht, so glaube ich, nur


dann, wenn man diese Geschichte immer wieder hinterfragt. Und es sind nicht wenige Fragen, die man sich stellen muss. Die fast vierhundertjährige Spieltradition hat Regeln hervorgebracht, die heute nicht mehr tragfähig sind. So musste man bis in die 1990er Jahre hinein einer der beiden großen Kirchen – der katholischen oder der protestantischen – angehören, um mitspielen zu dürfen. Doch längst hat sich auch unser Dorf verändert, und es spielen heute auch jene mit, die aus der Kirche ausgetreten sind, oder muslimische Oberammergauerinnen und Oberammergauer. Frauen haben die gleichen Rechte wie Männer, heute eine Selbstverständlichkeit, die vor 1990 alles andere als selbstverständlich war. Und auch in Zukunft werden wir daran arbeiten müssen, Menschen in das Spiel zu integrieren und sie nicht auszugrenzen. Eine weitere wichtige Auseinandersetzung ist die mit der Wirkungsgeschichte der Spiele. In der Kirche entwickelte sich schon im frühchristlichen Europa eine tiefe antijüdische Grundhaltung, deren zentraler und schwerwiegendster Vorwurf lautete, dass die Juden schuld am Tod Jesu Christi wären. Diese Grundhaltung fand sich auch in den Passionsspielen. Dabei wurde völlig außer Acht gelassen, dass es der Römer Pilatus war, der ihn töten ließ, und dass all jene, an die wir im Christentum glauben – Jesus, Maria, Magdalena, Petrus und Johannes –, gläubige Juden waren und zu keiner Zeit an die Gründung einer Kirche dachten. Das Passionsspiel erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der – wie uns das Lukasevangelium berichtet – schon als Kind eine große Leidenschaft für die Thora, die Heilige Schrift der Juden, hegte und heftig über deren Auslegung mit den Schriftgelehrten disputierte. Längst weiß man, dass Jesus ein starker Streiter für seinen Gott – den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs – war, und dennoch hat man ihn

und seinen Namen dazu missbraucht, Juden auszugrenzen, zu verfolgen, einzusperren und zu töten. Antisemitismus, das ist uns in Oberammergau sehr wichtig, darf keinen Platz im Spiel, aber auch nicht im Leben der Spieler haben. Nicht weniger wichtig ist die Frage nach Jesus selbst, nach seinen Jüngern und all jenen Figuren, die das Schauspiel bevölkern. Was war er für ein Mensch, was hat ihn und jene, die ihn begleitet haben, umgetrieben? Früh verlässt er sein Elternhaus, seine Mutter und seine Geschwister, aus der Synagoge von Nazareth wird er hinausgeworfen, da seine Auslegung der Thora auf Widerstand stößt. Bis heute ist sein Satz geläufig, wonach ein Prophet nirgends weniger als in seinem Vaterland und in seinem Hause gilt. Vermutlich treibt er sich in den folgenden Jahren in den Städten Tiberias und Kafarnaum umher und kümmert sich um Menschen, die im sozialen Abseits stehen, um Prostituierte, Witwen und deren Kinder. Erst im Alter von etwa dreißig Jahren erfährt Jesus in der Wüste seine religiöse Erweckung. Die Menschen laufen ihm nach, sie verlassen am See Genezareth ihren Beruf, ihre Familie, um mit ihm zu gehen. Die Reichen waren ihm ein Dorn im Auge. Er wollte bedingungslos Frieden und predigte seinen Anhängern die Feindesliebe. „Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin!“ Diesen Satz können wir nicht ertragen, wir glauben nicht, dass diese Haltung funktioniert. Nicht im eigenen Leben und schon gar nicht in der Welt. Wohin dies führt, sehen wir in der Ukraine, in Syrien, im Jemen oder in Afghanistan und an vielen anderen Orten der Welt. Christian Stückl

Seite 6/7: Chor und Spieler erinnern an das Gelübde von 1633

9






Die Vertreibung aus dem Paradies Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf ihn als Mann und Frau. Er nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte. Er gebot dem Menschen und sprach: Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen. Und die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde und sprach: Gott weiß, an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. Und sie nahmen von der Frucht und aßen davon. Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren. Und Gott rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich. Und Gott sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen? Und Gott der HERR sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nur nicht ausstrecke seine Hand und nehme auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war. Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens. 1. Mose 1, 27; 1. Mose 2,15 ff.; 1. Mose 3,1 ff.

14


JESU EINZUG IN JERUSALEM

Es kam das Pessachfest der Juden und Jesus zog hinauf nach

Sie breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von

Jerusalem. Als sie nun in die Nähe der Stadt kamen, nach Bet-

den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Das Volk aber, das

fage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus und sprach

ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna

zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und sogleich

dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des

werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr;

Herrn! Hosianna in der Höhe! Und als er in Jerusalem einzog,

bindet sie los und führt sie zu mir! Die Jünger gingen hin und

erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist der? Das Volk

taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin

aber sprach: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa.

und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich

Und er hob seine Augen auf und sprach: Selig seid ihr Armen;

darauf. Das geschah aber, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist

denn das Reich Gottes ist euer. Selig seid ihr, die ihr jetzt hun-

durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9): „Sagt der

gert; denn ihr sollt satt werden. Selig seid ihr, die ihr jetzt weint;

Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und

denn ihr werdet lachen. Anderen aber rief er zu: Weh euch

reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines

Reichen; denn ihr habt euren Trost schon empfangen. Wehe

Lasttiers.“

euch, die ihr ihr jetzt satt seid; denn ihr werdet hungern. Wehe

Und es folgte ihm eine große Menge aus Galiläa, aus den Zehn Städten, aus Jerusalem, aus Judäa und von jenseits des Jordans.

euch, die ihr jetzt lacht; denn ihr werdet trauern und weinen. Matthäus 21,1 ff.; Matthäus 4,25; Lukas 6,20 ff.

15










Die Erniedrigung der Israeliten Dies sind die Namen der Söhne Israels, die mit Jakob nach Ägypten kamen; ein jeder kam mit seinem Hause: Ruben, Simeon, Levi, Juda, Issachar, Sebulon, Benjamin, Dan, Naftali, Gad, Asser. Und alle zusammen, die von Jakob abstammen, waren siebzig an der Zahl. Die Israeliten aber waren fruchtbar, sie mehrten sich und wurden überaus stark, sodass von ihnen das Land voll ward. Da kam ein neuer König auf in Ägypten, der wusste nichts von Josef und sprach zu seinem Volk: Siehe, das Volk der Israeliten ist mehr und stärker als wir. Wohlan, wir wollen sie mit List niederhalten, dass sie nicht noch mehr werden. Denn wenn ein Krieg ausbräche, könnten sie sich auch zu unseren Feinden schlagen und gegen uns kämpfen und aus dem Land hinaufziehen. Und man setzte Fronvögte über sie, die sie mit schweren Diensten bedrücken sollten. Und sie bauten dem Pharao die Städte Pitom und Ramses als Vorratsstädte. Aber je mehr sie das Volk bedrückten, desto stärker mehrte es sich und breitete sich aus. Da zwangen die Ägypter die Israeliten mit Gewalt zum Dienst und machten ihnen ihr Leben sauer mit schwerer Arbeit in Ton und Ziegeln und mit mancherlei Frondienst auf dem Felde, mit all ihrer Arbeit, die sie ihnen mit Gewalt auferlegten. Da gebot der Pharao seinem ganzen Volk und sprach: Alle Söhne, die geboren werden, werft in den Nil. 2. Mose 1 ff.

24


JESUS IN BETANIEN

Und er ließ sie stehen und ging zur Stadt hinaus nach Betanien

euch den Gerichten überantworten und werden euch geißeln in

und blieb dort über Nacht.

ihren Synagogen. Es wird aber ein Bruder den andern zum Tod

Und er sprach zu seinen Jüngern: Ihr habt gehört, dass ge-

überantworten und der Vater das Kind, und die Kinder werden

sagt ist: „Du sollst deinen Nächsten lieben“ (3. Mose 19,18) und

sich empören gegen ihre Eltern und werden sie zu Tode brin-

deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und

gen. Und ihr werdet gehasst werden von jedermann um meines

bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures

Namens willen. Wer aber bis an das Ende beharrt, der wird selig.

Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse

Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen

und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn

Nikodemus, ein Oberster der Juden. Der kam zu Jesus und sprach

wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben?

zu ihm: Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott

Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu eu-

gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es

ren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht

sei denn Gott mit ihm.

dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie

Als nun Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzi-

euer himmlischer Vater vollkommen ist. Und Jesus sandte die

gen, trat zu ihm eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit kost-

Zwölf aus und gebot ihnen: Geht hin zu den verlorenen Schafen

barem Salböl und goss es auf sein Haupt, als er zu Tisch saß. Da

aus dem Hause Israel. Geht und sprecht: Das Himmelreich ist

das die Jünger sahen, wurden sie unwillig und sprachen: Wozu

nahe. Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige

diese Vergeudung? Es hätte teuer verkauft und das Geld den

rein, treibt Dämonen aus. Umsonst habt ihr’s empfangen, um- Armen gegeben werden können. Als Jesus das merkte, sprach er sonst gebt es auch. Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe.

zu ihnen: Was bekümmert ihr die Frau? Sie hat ein gutes Werk an mir getan.

Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die

Matthäus 21,17; Matthäus 5,43 ff.; Matthäus 10,5 ff.; Matthäus 26,6 ff.;

Tauben. Hütet euch aber vor den Menschen; denn sie werden

Johannes 3,1 ff.

25








Das goldene Kalb Im dritten Monat nach dem Auszug der Israeliten aus Ägyptenland, an diesem Tag kamen sie in die Wüste Sinai. Und Mose stieg hinauf zu Gott. Als aber das Volk sah, dass Mose ausblieb und nicht wieder von dem Berge herabkam, sammelte es sich gegen Aaron und sprach zu ihm: Auf, mache uns Götter, die vor uns hergehen! Denn wir wissen nicht, was diesem Mann Mose widerfahren ist, der uns aus Ägyptenland geführt hat. Aaron sprach zu ihnen: Reißt ab die goldenen Ohrringe an den Ohren eurer Frauen, eurer Söhne und eurer Töchter und bringt sie zu mir. Da riss alles Volk sich die goldenen Ohrringe von den Ohren und brachte sie zu Aaron. Und er nahm sie von ihren Händen und formte das Gold und machte ein gegossenes Kalb. Und sie sprachen: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenland geführt haben! Und sie standen früh am Morgen auf und opferten Brandopfer und brachten dazu Dankopfer dar. Danach setzte sich das Volk, um zu essen und zu trinken, und sie standen auf, um ihre Lust zu treiben. Als Mose aber nahe zum Lager kam und das Kalb und das Tanzen sah, entbrannte sein Zorn, und er warf die Tafeln aus der Hand und zerbrach sie unten am Berge und nahm das Kalb, das sie gemacht hatten, und verbrannte es im Feuer. 2. Mose 19,1 ff.; 2. Mose 32,1 ff.

32


DIE TEMPELREINIGUNG

Und sie kamen nach Jerusalem. Und Jesus ging in den Tempel

hinein und die hineinwollen, lasst ihr nicht hineingehen. Weh

und fing an, hinauszutreiben die Verkäufer und Käufer im Tem-

euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr Land

pel; und die Tische der Geldwechsler und die Stände der Tau-

und Meer durchzieht, damit ihr einen Proselyten gewinnt; und

benhändler stieß er um und ließ nicht zu, dass jemand etwas

wenn er’s geworden ist, macht ihr aus ihm ein Kind der Hölle,

durch den Tempel trüge. Und er lehrte und sprach zu ihnen:

doppelt so schlimm wie ihr. Weh euch, Schriftgelehrte und

Steht nicht geschrieben (Jesaja 56,7): „Mein Haus wird ein Bet-

Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr den Zehnten gebt von Minze, Dill

haus heißen für alle Völker“? Ihr aber habt eine Räuberhöhle

und Kümmel und lasst das Wichtigste im Gesetz beiseite, näm-

daraus gemacht.

lich das Recht, die Barmherzigkeit und den Glauben!

Da redete Jesus zu dem Volk und zu seinen Jüngern und

Und es trat zu ihm einer der Schriftgelehrten, der ihnen

sprach: Auf dem Stuhl des Mose sitzen die Schriftgelehrten und

zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Als er sah, dass er

die Pharisäer. Alles nun, was sie euch sagen, das tut und haltet;

ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchs-

aber nach ihren Werken sollt ihr nicht handeln; denn sie sagen’s

te Gebot von allen? Jesus antwortete: Das höchste Gebot ist das:

zwar, tun’s aber nicht. Sie binden schwere und unerträgliche „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du Bürden und legen sie den Menschen auf die Schultern; aber sie

sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von

selbst wollen keinen Finger dafür rühren. Alle ihre Werke aber

ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft“

tun sie, damit sie von den Leuten gesehen werden. Sie machen

(5. Mose 6,4–5). Das andre ist dies: „Du sollst deinen Nächsten

ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Kleidern groß.

lieben wie dich selbst“ (3. Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot

Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr

größer als diese.

das Himmelreich zuschließt vor den Menschen! Ihr geht nicht

Markus 11,15 ff.; Matthäus 23,1 ff.; Markus 12,28 ff.

33










Israels Durchzug durch das Rote Meer Als es dem König von Ägypten angesagt wurde, dass das Volk geflohen war, wurde sein Herz verwandelt. Und er spannte seinen Wagen an und nahm sein Volk mit sich und nahm sechshundert auserlesene Wagen und was sonst an Wagen in Ägypten war mit Kämpfern auf jedem Wagen. Und die Ägypter jagten ihnen nach, alle Rosse und Wagen des Pharao und seine Reiter und das ganze Heer des Pharao, und holten sie ein, als sie am Meer lagerten. Und die Israeliten fürchteten sich sehr und schrien zu dem HERRN. Und der HERR sprach zu Mose: Sage den Israeliten, dass sie weiterziehen. Du aber hebe deinen Stab auf und recke deine Hand über das Meer und teile es mitten durch, dass die Israeliten hineingehen, mitten durch das Meer auf dem Trockenen. Siehe, ich will das Herz der Ägypter verstocken, dass sie hinter ihnen herziehen, und will meine Herrlichkeit erweisen an dem Pharao und aller seiner Macht, an seinen Wagen und Reitern. Als nun Mose seine Hand über das Meer reckte, ließ es der HERR zurückweichen durch einen starken Ostwind die ganze Nacht und machte das Meer trocken, und die Wasser teilten sich. Und die Israeliten gingen hinein mitten ins Meer auf dem Trockenen, und das Wasser war ihnen eine Mauer zur Rechten und zur Linken. Und die Ägypter folgten und zogen hinein ihnen nach, alle Rosse des Pharao, seine Wagen und Reiter, mitten ins Meer. Da reckte Mose seine Hand aus über das Meer, und das Meer kam gegen Morgen wieder in sein Bett, und die Ägypter flohen ihm entgegen. So stürzte der HERR sie mitten ins Meer. 2. Mose 14, 5 ff.

42


DIE PRIESTER UND SCHRIF TGELEHRTEN

Etliche nun, die seine Worte hörten, sprachen: Dieser ist wahr-

Einige aber von ihnen gingen hin zu den Pharisäern und sag-

haftig der Prophet. Andere sprachen: Er ist der Messias. So

ten ihnen, was Jesus getan hatte. Da versammelten die Hohen-

entstand seinetwegen Zwietracht im Volk. Einige wollten ihn

priester und die Pharisäer den Hohen Rat und sprachen: Was

ergreifen; aber niemand legte Hand an ihn. Da kamen die

tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen. Lassen wir ihn gewäh-

Knechte zu den Hohenpriestern und Pharisäern; und die fragten

ren, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die

sie: Warum habt ihr ihn nicht gebracht? Die Knechte antwor-

Römer und nehmen uns Tempel und Volk. Einer aber von ihnen,

teten: Noch nie hat ein Mensch so gesprochen. Da antworteten

Kaiphas, der in diesem Jahr Hoherpriester war, sprach zu ihnen:

ihnen die Pharisäer: Seid ihr auch verführt worden? Glaubt denn

Ihr wisst nichts; ihr bedenkt auch nicht: Es ist besser für euch,

einer von den Oberen oder von den Pharisäern an ihn? Nur das

ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe.

Volk tut’s, das nichts vom Gesetz weiß. Spricht zu ihnen Niko-

Da suchten sie Jesus und redeten miteinander, als sie im

demus, der vormals zu ihm gekommen war und der einer von

Tempel standen: Was meint ihr? Er wird doch nicht zum Fest

ihnen war: Richtet denn unser Gesetz einen Menschen, ehe man

kommen? Die Hohenpriester und Pharisäer aber hatten geboten,

ihn angehört und erkannt hat, was er tut? Sie antworteten und

wenn jemand wüsste, wo er wäre, sollte er’s anzeigen, damit sie

sprachen zu ihm: Bist du auch aus Galiläa? Forsche und sieh: Aus

ihn ergreifen könnten.

Galiläa steht kein Prophet auf.

Johannes 7,40 ff.; Johannes 11,46 ff.

43






Moses Berufung Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Wüste hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Da sprach er: Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie aus diesem Lande hinaufführe in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt. Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Drangsal gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst. Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten? Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott dienen auf diesem Berge. 2. Mose 3,1 ff.

48


DAS ABENDMAHL UND DIE GEFANGENNAHME JESU Am ersten Tag der Ungesäuerten Brote taten die Jünger, wie ih-

Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod;

nen Jesus befohlen hatte, und bereiteten das Passalamm. Und

bleibt hier und wachet mit mir! Und er ging ein wenig weiter,

am Abend setzte er sich zu Tisch mit den Zwölfen. Als sie aber

fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater,

aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach’s und gab’s den Jün-

ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht,

gern und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib. Und er nahm

wie ich will, sondern wie du willst! Und er kam zu seinen Jüngern

den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle

und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Konntet ihr denn

daraus. Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie

nicht eine Stunde mit mir wachen? Wachet und betet, dass ihr

hinaus an den Ölberg.

nicht in Anfechtung fallt! Der Geist ist willig; aber das Fleisch

Da sprach Jesus zu ihnen: In dieser Nacht werdet ihr euch alle

ist schwach. Siehe, die Stunde ist da, dass der Menschensohn in

ärgern an mir. Petrus aber antwortete und sprach zu ihm: Wenn

die Hände der Sünder überantwortet wird. Steht auf, lasst uns

sich auch alle an dir ärgern, so will ich doch mich niemals ärgern.

gehen! Siehe, er ist da, der mich verrät.

Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: In dieser Nacht, ehe

Und als er noch redete, siehe, da kam Judas, einer von den

der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Petrus sprach

Zwölfen, und mit ihm eine große Schar mit Schwertern und mit

zu ihm: Und wenn ich mit dir sterben müsste, werde ich dich

Stangen, von den Hohenpriestern und Ältesten des Volkes. Zu

nicht verleugnen. Das Gleiche sagten auch alle Jünger.

der Stunde sprach Jesus zu der Schar: Ihr seid ausgezogen wie

Da kam Jesus mit ihnen zu einem Garten, der hieß Gethse-

gegen einen Räuber mit Schwertern und mit Stangen, mich ge-

mane, und sprach zu den Jüngern: Setzt euch hierher, solange

fangen zu nehmen? Habe ich doch täglich im Tempel gesessen

ich dorthin gehe und bete. Und er nahm mit sich Petrus und die

und gelehrt, und ihr habt mich nicht ergriffen.

zwei Söhne des Zebedäus und fing an zu trauern und zu zagen.

Matthäus 26,17 ff.

49
















Der Prophet Daniel in der Löwengrube Und es gefiel Darius, über das ganze Königreich Statthalter zu setzen. Über sie setzte er drei Fürsten, von denen einer Daniel war. Daniel aber übertraf alle Fürsten und Statthalter, denn es war ein überragender Geist in ihm. Darum dachte der König daran, ihn über das ganze Königreich zu setzen. Da trachteten die Fürsten und Statthalter danach, an Daniel etwas zu finden, das gegen das Königreich gerichtet wäre. Da sprachen die Männer: Wir werden keinen Grund zur Anklage gegen Daniel finden, es sei denn wegen seiner Treue zum Gesetz seines Gottes. Da kamen die Fürsten und Statthalter eilends vor den König gelaufen und sprachen zu ihm: Der König Darius lebe ewig! Es haben die Fürsten des Königreichs gedacht, es sollte ein königlicher Befehl gegeben und ein strenges Gebot erlassen werden, dass jeder, der in dreißig Tagen etwas bitten wird von irgendeinem Gott oder Menschen außer von dir, dem König, allein, zu den Löwen in die Grube geworfen werden soll. So ließ der König Darius das Schreiben und das Gebot aufsetzen. Als nun Daniel erfuhr, dass ein solches Gebot ergangen war, ging er hinein in sein Haus. Er fiel dreimal am Tag auf seine Knie, betete, lobte und dankte seinem Gott, wie er es auch vorher zu tun pflegte. Da kamen jene Männer eilends gelaufen und fanden Daniel, wie er betete und flehte vor seinem Gott. Da traten sie vor den König und redeten mit ihm über das königliche Gebot. Da befahl der König, Daniel herzubringen. Und sie warfen ihn zu den Löwen in die Grube. Daniel 6,2 ff.

64


JESUS VOR DEM HOHEN RAT

Die Schar aber und ihr Oberst nahmen Jesus und banden ihn und

Dann führten sie ihn zu dem Hohenpriester Kaiphas, wo die

führten ihn zuerst zu Hannas; der war der Schwiegervater des

Schriftgelehrten und die Ältesten sich versammelt hatten. Zwei

Kaiphas, der in jenem Jahr Hoherpriester war. Der Hohepriester

Zeugen traten herzu und sprachen: Er hat gesagt: Ich kann den

befragte nun Jesus über seine Jünger und über seine Lehre. Jesus

Tempel Gottes abbrechen und in drei Tagen aufbauen. Und der

antwortete ihm: Ich habe frei und offen vor aller Welt geredet.

Hohepriester stand auf und sprach zu ihm: Antwortest du nichts

Ich habe allezeit gelehrt in der Synagoge und im Tempel, wo alle

auf das, was diese gegen dich bezeugen? Aber Jesus schwieg

Juden zusammenkommen, und habe nichts im Verborgenen

still. Und der Hohepriester sprach zu ihm: Ich beschwöre dich

geredet. Was fragst du mich? Frage die, die gehört haben, was

bei dem lebendigen Gott, dass du uns sagst, ob du der Messias

ich zu ihnen geredet habe. Siehe, sie wissen, was ich gesagt habe.

bist, der Sohn Gottes. Jesus sprach zu ihm: Du sagst es. Da zerriss

Als er so redete, schlug einer von den Dienern, der dabeistand,

der Hohepriester seine Kleider und sprach: Er hat Gott geläs-

Jesus ins Gesicht und sprach: Sollst du dem Hohenpriester so ant-

tert! Was bedürfen wir weiterer Zeugen? Siehe, jetzt habt ihr die

worten? Jesus antwortete ihm: Habe ich übel geredet, so beweise,

Gotteslästerung gehört.

dass es übel ist; habe ich aber recht geredet, was schlägst du mich?

Johannes 18,12; Johannes 18,19 ff.; Matthäus 26,57 ff.

65










Verspottung des Hiob Es war ein Mann im Lande Uz, der hieß Hiob. Der war fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und mied das Böse. Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den HERRN traten, kam auch der Satan mit ihnen. Der HERR sprach zum Satan: Hast du achtgehabt auf meinen Knecht Hiob? Denn es ist seinesgleichen nicht auf Erden, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse. Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Meinst du, dass Hiob Gott umsonst fürchtet? Hast du doch ihn, sein Haus und alles, was er hat, ringsumher bewahrt. Du hast das Werk seiner Hände gesegnet, und sein Besitz hat sich ausgebreitet im Lande. Aber strecke deine Hand aus und taste alles an, was er hat: Was gilt’s, er wird dir ins Angesicht fluchen! Der HERR sprach zum Satan: Siehe, alles, was er hat, sei in deiner Hand; nur an ihn selbst lege deine Hand nicht. Da ging der Satan hinaus von dem HERRN. Eines Tages kam ein Bote zu Hiob und sprach: Die Rinder pflügten und die Eselinnen gingen neben ihnen auf der Weide, da fielen die aus Saba ein und nahmen sie weg und erschlugen die Knechte, und ich allein bin entronnen. Als der noch redete, kam einer und sprach: Die Chaldäer fielen über die Kamele her und nahmen sie weg und erschlugen die Knechte, und ich allein bin entronnen, dass ich dir’s ansagte. Als der noch redete, kam einer und sprach: Deine Söhne und Töchter aßen und tranken im Hause ihres Bruders, des Erstgeborenen, und siehe, da kam ein großer Wind von der Wüste her und stieß an die vier Ecken des Hauses; da fiel es auf die jungen Leute, dass sie starben, und ich allein bin entronnen, dass ich dir’s ansagte. Da stand Hiob auf und zerriss sein Kleid und schor sein Haupt und fiel auf die Erde und neigte sich tief und sprach: Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen; der Name des HERRN sei gelobt! – In diesem allen sündigte Hiob nicht und tat nichts Törichtes wider Gott. Hiob 1,1; Hiob 1,6 ff.

74


DIE VERLEUGNUNG DES PETRUS

Da spien die Knechte Jesus ins Angesicht und schlugen ihn mit

er leugnete abermals und schwor dazu: Ich kenne den Men-

Fäusten. Einige aber schlugen ihn ins Angesicht und sprachen:

schen nicht. Und nach einer kleinen Weile traten hinzu, die

Weissage uns, wer ist’s, der dich schlug?

da standen, und sprachen zu Petrus: Wahrhaftig, du bist auch

Petrus aber folgte ihm nach von ferne bis zum Palast des

einer von denen, denn deine Sprache verrät dich. Da fing er

Hohenpriesters und ging hinein und setzte sich zu den Knech-

an, sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne den Men-

ten. Und es trat eine Magd zu ihm und sprach: Und du warst

schen nicht. Und alsbald krähte der Hahn. Da dachte Petrus

auch mit dem Jesus aus Galiläa. Er leugnete aber vor ihnen allen

an das Wort, das Jesus gesagt hatte: Ehe der Hahn kräht, wirst

und sprach: Ich weiß nicht, was du sagst. Als er aber hinausging

du mich dreimal verleugnen. Und er ging hinaus und weinte

in die Torhalle, sah ihn eine andere und sprach zu denen, die

bitterlich.

da waren: Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth. Und

Matthäus 26,58 ff.

75








Kain und Abel Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mithilfe des HERRN. Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann. Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? Ist’s nicht so: Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. 1. Mose 4,1 ff.

82


DAS ENDE DES JUDAS

Als Judas sah, dass er zum Tode verurteilt war, reute es ihn,

Da sieh du zu! Und er warf die Silberlinge in den Tempel, ging

und er brachte die dreißig Silberlinge den Hohenpriestern und

davon und erhängte sich.

Ältesten zurück und sprach: Ich habe gesündigt, unschuldiges

Matthäus 27,3 ff.

Blut habe ich verraten. Sie aber sprachen: Was geht uns das an?

83






Mose vor dem Pharao Der HERR sprach zu Mose: Siehe, ich setze dich zum Gott für den Pharao, und Aaron, dein Bruder, soll dein Prophet sein. Du sollst alles reden, was ich dir gebieten werde; aber Aaron, dein Bruder, soll es vor dem Pharao reden, damit er die Israeliten aus seinem Lande ziehen lasse. Aber ich will das Herz des Pharao verhärten und viele Zeichen und Wunder tun in Ägyptenland. Und der Pharao wird nicht auf euch hören. Dann werde ich meine Hand auf Ägypten legen und durch große Gerichte meine Heerscharen, mein Volk, die Israeliten, aus Ägyptenland führen. Und die Ägypter sollen innewerden, dass ich der HERR bin, wenn ich meine Hand über Ägypten ausstrecken und die Israeliten aus ihrer Mitte wegführen werde. Mose und Aaron taten, wie ihnen der HERR geboten hatte. Aber das Herz des Pharao wurde verstockt, und er hörte nicht auf sie, wie der HERR gesagt hatte. 2. Mose 7,1 ff.

88


JESUS VOR PILATUS UND HERODES

Jesus aber wurde vor den Statthalter gebracht; und als er von

diesem Tag wurden Herodes und Pilatus Freunde; denn vorher

den Hohenpriestern und Ältesten verklagt wurde, antwortete er

waren sie einander feind.

nichts. Da sprach Pilatus zu ihm: Hörst du nicht, was sie alles

Und der Statthalter fragte ihn und sprach: Bist du der König

gegen dich vorbringen? Und er antwortete ihm nicht auf ein ein-

der Juden? Jesus aber sprach: Du sagst es. Da nahm Pilatus Jesus

ziges Wort, sodass sich der Statthalter sehr verwunderte.

und ließ ihn geißeln. Die Soldaten des Statthalters nahmen Jesus

Und als Pilatus vernahm, dass er unter die Herrschaft des

mit sich in das Prätorium und versammelten um ihn die ganze

Herodes gehörte, sandte er ihn zu Herodes, der in diesen Tagen

Kohorte und zogen ihn aus und legten ihm einen Purpurman-

auch in Jerusalem war. Als aber Herodes Jesus sah, freute er sich

tel an und flochten eine Dornenkrone und setzten sie auf sein

sehr; denn er hätte ihn längst gerne gesehen; denn er hatte von

Haupt und gaben ihm ein Rohr in seine rechte Hand und beug-

ihm gehört und hoffte, er würde ein Zeichen von ihm sehen. Und

ten die Knie vor ihm und verspotteten ihn und sprachen: Gegrü-

er fragte ihn mancherlei. Er antwortete ihm aber nichts. Herodes

ßet seist du, der Juden König!, und spien ihn an und nahmen das

mit seinen Soldaten verachtete und verspottete ihn, legte ihm

Rohr und schlugen damit auf sein Haupt.

ein weißes Gewand an und sandte ihn zurück zu Pilatus. An

Matthäus 27,11 ff.; Lukas 23,7 ff.; Johannes 19,1; Matthäus 27,27 ff.

89














Josef deutet Pharaos Traum Da sandte der Pharao hin und ließ Josef rufen, und sie ließen ihn eilends aus dem Gefängnis. Da sprach der Pharao zu ihm: Ich habe einen Traum gehabt und es ist niemand, der ihn deuten kann. Ich habe aber von dir sagen hören, wenn du einen Traum hörst, so kannst du ihn deuten. Josef antwortete dem Pharao und sprach: Das steht nicht bei mir; Gott wird jedoch dem Pharao Gutes verkünden. Der Pharao sprach zu Josef: Mir träumte, und siehe, ich stand am Ufer des Nils, und aus dem Wasser stiegen sieben schöne, fette Kühe; die weideten im Grase. Und siehe, nach diesen stiegen sieben dürre, sehr hässliche und magere Kühe heraus. Ich hab in ganz Ägyptenland nicht so hässliche gesehen. Und die mageren und hässlichen Kühe fraßen die sieben ersten, fetten Kühe auf. Dann sah ich in meinem Traum sieben Ähren auf einem Halm wachsen, voll und dick. Und siehe, sieben dürre Ähren gingen auf, dünn und vom Ostwind versengt. Und die sieben dünnen Ähren verschlangen die sieben dicken Ähren. Josef antwortete dem Pharao: Beide Träume des Pharao bedeuten das Gleiche. Gott verkündet dem Pharao, was er vorhat. Siehe, sieben reiche Jahre werden kommen in ganz Ägyptenland. Und nach ihnen werden sieben Jahre des Hungers kommen, sodass man vergessen wird alle Fülle in Ägyptenland. Und der Hunger wird das Land verzehren, dass man nichts wissen wird von der Fülle im Lande vor der Hungersnot, die danach kommt; denn sie wird sehr schwer sein. Die Rede gefiel dem Pharao und allen seinen Knechten gut. Und der Pharao sprach zu seinen Knechten: Wie könnten wir einen Mann wie diesen finden, in dem der Geist Gottes ist? Und der Pharao sprach zu Josef: Weil dir Gott dies alles kundgetan hat, ist keiner so verständig und weise wie du. Du sollst über mein Haus sein, und deinem Wort soll all mein Volk gehorsam sein; allein um den königlichen Thron will ich höher sein als du. 1. Mose 41,14 ff.

102


JESU VERURTEILUNG

Zum Fest aber hatte der Statthalter die Gewohnheit, dem Volk

Barabbas oder Jesus, von dem gesagt wird, er sei der Messias? Wen

einen Gefangenen loszugeben, welchen sie wollten. Sie hatten

von den beiden soll ich euch losgeben? Sie sprachen: Barabbas!

aber zu der Zeit einen berüchtigten Gefangenen, der hieß

Da gab er ihnen Barabbas los, aber Jesus ließ er geißeln und über-

Jesus Barabbas. Und als sie versammelt waren, sprach Pilatus

antwortete ihn, dass er gekreuzigt werde.

zu ihnen: Welchen wollt ihr? Wen soll ich euch losgeben, Jesus

Matthäus 27,15 ff.

103










Das Opfer Abrahams Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte. Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne. Und Abraham sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander. Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander. Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel her und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. 1. Mose 22, 1 ff.

112


DER KREUZWEG

Und als sie ihn verspottet hatten, zogen sie ihm den Mantel aus

mich, sondern weint über euch selbst und über eure Kinder.

und zogen ihm seine Kleider an und führten ihn ab, um ihn zu

Denn siehe, es wird die Zeit kommen, in der man sagen wird:

kreuzigen. Und als sie hinausgingen, fanden sie einen Menschen

Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren

aus Kyrene mit Namen Simon; den zwangen sie, dass er ihm sein

haben, und die Brüste, die nicht genährt haben! Dann werden

Kreuz trug.

sie anfangen zu sagen zu den Bergen: Fallt über uns!, und zu den

Es folgte ihm aber eine große Volksmenge und viele Frauen,

Hügeln: Bedeckt uns! Denn wenn man das tut am grünen Holz,

die klagten und beweinten ihn. Jesus aber wandte sich um zu

was wird am dürren werden?

ihnen und sprach: Ihr Töchter von Jerusalem, weint nicht über

Matthäus 27,31 f.; Lukas 23,27 ff.

113












Mose richtet die eherne Schlange auf Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege und redete wider Gott und wider Mose: Warum habt ihr uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise. Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben. 4. Mose 21,4 ff.

124


JESU KREUZIGUNG UND TOD

Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt:

Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein

Schädelstätte, gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle ver-

Gott, warum hast du mich verlassen? Einige aber, die da standen,

mischt; und da er’s schmeckte, wollte er nicht trinken. Als sie

als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. Und sogleich

ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und war-

lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit

fen das Los darum. Und oben über sein Haupt setzten sie eine

Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. Die

Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden

andern aber sprachen: Halt, lasst uns sehen, ob Elia komme und

König. Da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur

ihm helfe! Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.

Rechten und einer zur Linken. Die aber vorübergingen, läster-

Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke

ten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Der du den

von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte, und die Felsen

Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber,

zerrissen, und die Gräber taten sich auf und viele Leiber der

wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! Desglei-

entschlafenen Heiligen standen auf und gingen aus den Gräbern

chen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten

nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und

und Ältesten und sprachen: Andern hat er geholfen und kann

erschienen vielen. Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus

sich selber nicht helfen. Er ist der König von Israel, er steige nun

bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschra­

herab vom Kreuz. Dann wollen wir an ihn glauben. Er hat Gott

ken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn

vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn

gewesen! Und es waren viele Frauen da, die von ferne zusahen;

er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. Desgleichen schmähten ihn

die waren Jesus aus Galiläa nachgefolgt und hatten ihm gedient;

auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren.

unter ihnen war Maria Magdalena und Maria, die Mutter des

Von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und um die neunte Stunde schrie

Jakobus und Josef, und die Mutter der Söhne des Zebedäus. Matthäus 27,33 ff.

125


















BLICK ZURÜCK NACH VORN

Eine Lebensaufgabe Zwischen Tradition und Veränderung schlagen sie eine Brücke ins Heute: ein Gespräch mit dem Spielleiter Christian Stückl, dem Bühnen- und Kostümbildner Stefan Hageneier sowie dem Musikalischen Leiter und Dirigenten Markus Zwink, moderiert von Teresa Grenzmann.

Stefan Hageneier, Markus Zwink und Christian Stückl

142

Ist es Last oder Segen, die gleiche Geschichte im Abstand von zehn Jahren immer wieder erneut zu inszenieren, zu orchestrieren und auszustatten? CHRISTIAN STÜCKL (CS) : Ich finde das total spannend. Dadurch hat man die Möglichkeit, noch einmal ganz neu auf die Geschichte zu schauen. Das Lesen der Bibel spiegelt sich ja immer an der jetzigen Zeit. Man fängt neu zu schreiben an und fragt sich, was ist jetzt das Wichtige, auf was richtest du jetzt die Konzentration. Mit dieser Geschichte wird man nie fertig. MARKUS ZWINK (MZ) : Sie interessiert einen, wenn man etwas verändern kann. Mich interessiert das Inhaltliche und auch, wie wir dafür sorgen können, dass man diese große Bühne in fünfeinhalb oder sechs Stunden immer wieder belebt. STEFAN HAGENEIER (SH) : Es ist wie eine Fortsetzungsgeschichte. Man erfindet sie ja nicht komplett neu. Es ist unfassbar, was in einer Dekade in der Welt passiert. Aber natürlich spielt auch mit hinein, dass man selbst älter wird und andere Bilder darin sieht. Die Passion begleitet Sie bereits seit Ihrer Kindheit, in leitender Position seit über dreißig Jahren. Inwiefern hat sich Ihre Haltung zum Spiel von Jahrzehnt zu Jahrzehnt verändert? CS : In den Jahren zwischen 1970 und 1984 gab es ständig Auseinandersetzungen um die Passionsspiele. An den Stammtischen im Dorf wurde über den Vorwurf des Antisemitismus, eine Textreform, die Beteiligung jüngerer Oberammergauer und vor allem auch über die Gleichberechtigung der Frauen heftig diskutiert. Irgendwann kam dieses Gefühl: Ich will das machen! Mir wurde klar: Wenn da jetzt nicht etwas passiert, dann wird das kaputtgehen. Ich habe mich zusammen mit Markus Zwink zur Wahl gestellt, und wir wurden vom Gemeinderat für 1990 mit der Spielleitung betraut. Nur verändern konnten wir in unserem ersten Spieljahr fast nichts. MZ : 1990 hatte ich sieben Takte verändert, ein InstrumentalZwischenspiel, und das war für mich schon mit Skrupeln behaftet. Wir haben gewusst, im Jahr 2000 müssen wir viel offensiver damit umgehen. CS : 1996 sind wir für das Spiel 2000 durch die Bevölkerung gewählt worden. Wir drei – Stefan Hageneier kam dazu – waren daher mutiger und haben gesagt, wenn wir’s machen, machen wir eine wirkliche Reform.


Behutsame Modernisierung

Blick auf Oberammergau

SH : Die Präsentation der Bühnenbildentwürfe war dann schon ein

Wagnis. Wobei ich mit jugendlicher Leichtigkeit und Naivität darangegangen bin. Ich habe mich vor allem auf die ästhetische Erneuerung konzentriert. Mein Ansatz war sicher nicht revolutionär. Dennoch war es für alle eine Überraschung, dass das Konzept so positiv aufgenommen wurde. CS : Die Spielerwahl 2000 fand nicht mehr in geheimer Wahl, sondern per Akklamation statt. Trotzdem mussten wir noch jede Veränderung durch den Gemeinderat boxen. Für 2010 haben wir dann gesagt, dass wir ihm kein Mitspracherecht beim Bühnenbild mehr geben und auch die Musiker und die Schauspieler frei wählen wollen. Der Gemeinderat bekam lediglich ein Vetorecht. Außerdem haben wir das Nachtspiel durchgesetzt, wodurch wir nun zu einer späteren Uhrzeit mit der Aufführung beginnen und die Kreuzigungsszene dadurch bei Dunkelheit stattfindet. Das ist ja die Aufgabe: das Passionsspiel weiterzubringen, woanders hinzubringen.

Aschermittwoch 2019 werden die Mitwirkenden aufgerufen, sich Haare und Bärte wachsen zu lassen

Tradition oder Veränderung – inwiefern stellt sich Ihnen diese Frage jedes Mal? SH : Ich habe öfter aus dem Profitheaterbereich die Frage gehört: „Und? Macht ihr’s jetzt mal wirklich modern?!“ Dann müssen wir unsere Herangehensweise eher verteidigen und erklären, warum das in Oberammergau einfach ganz anders ist. Für mich hat sich bisher nicht die Frage gestellt, ob man Jesus besser in heutiger Kleidung zeigt, damit es vielleicht vordergründig zeitgenössischer wirkt. Die Auseinandersetzung mit der Bilderwelt der christlichen Kunstgeschichte reizt mich immer noch mehr als eine oberflächliche Übertragung. 2022 zeige ich Bilder, die nach der Wiederholung von Geschichte fragen, die Geschichte ins Jetzt holen. Dafür braucht es aber keine konkreten aktuellen Bezüge – dass die biblische Geschichte weiterhin in ihrer Zeit stattfindet, macht sie ja gerade in vielerlei Hinsicht lesbar. CS : Es ist schon bemerkenswert: 1750 entwirft der Benediktinerpater Ferdinand Rosner eine neue Passionsspielstruktur, und keiner der nachfolgenden Autoren und Regisseure hat diese Struktur je wieder verlassen. Es gibt eine unausgesprochene Verabredung, dass man mit den Kostümen und dem Bühnenbild in irgendeiner Weise historisierend verfährt. Dass man Jesus in den Texten nicht ganz neu erfindet, sondern sich am Material der Evangelien orientiert. Trotzdem hat sich natürlich viel getan. Wir fühlen uns schon frei, gehen aber in der Grundstruktur mit der Tradition um, die über die Jahrzehnte entwickelt worden ist.

Jesus-Darsteller Frederik Mayet im Interview

143


Hebräische Spannungsmomente in der Musik Stellt die musikalische Weiterentwicklung dahingehend eine besondere Herausforderung dar? MZ : Ja, bei der Musik ist Veränderung schwieriger. Vieles ist textgebunden, und bei neuen Nummern muss man in die Lyrik gehen. Bereits 2010 haben wir die Szene eingeführt, in der das Volk das „Sch’ma Israel“ singt. Die Farbe der hebräischen Sprache bringt eine ganz neue StimRegisseur Christian Stückl mung ins Spiel. Unsere Intention war es, Jesus auch in seiner jüdischen Umgebung zu verorten und den Leuten klarzumachen, er war nicht der SH : Ein gewisser Respekt, der auch aus der enormen Erwartungs- erste Christ, sondern einfach Kind seiner Zeit, seines Landes und Umhaltung resultiert, ist da. Und hinterfragt man zum Beispiel die Le- felds. 2022 fällt auch die Begleitmusik zum Kreuzweg aus dem üblichen benden Bilder, ob so etwas noch zeitgemäß ist, kommt man schnell Kontext: Aus Psalm 22 – „Eli, Eli, lama asabtani“ („Mein Gott, mein darauf, dass sie die Zuschauer nach wie vor ergreifen und wichtig für Gott, warum hast du mich verlassen“) – habe ich ein paar essenzielle die Wirkung des Passionsspiels sind. Diese Tableaux vivants kamen Sätze exzerpiert. – Eine Revolution wär’s natürlich, zu sagen, man lässt im 18. Jahrhundert in Mode und wurden bald auch im Passionsspiel das „Heil Dir“ weg oder das „Halleluja“. Aber sagen Sie einem Deuteingeführt. Die Oberammergauer waren also sehr am Puls der Zeit. schen mal, er soll an Weihnachten nicht „Stille Nacht, heilige Nacht“ Nach Johann Georg Langs Version des Passionsspiels zu Beginn des singen, das geht dann einfach auch nicht! 20. Jahrhunderts gab es dann lange keine neuen Impulse mehr. Der Verzicht auf den Prologsprecher, der zweihundert Jahre lang zwischen den Spielszenen und den Lebenden Bildern auftrat, ist eine wichtige Neuerung 2022. Wie kam es zu dieser Entscheidung? Veränderung oder Tradition? – CS : Die Musik war für die Oberammergauer und das Publikum Veränderung aus Tradition! immer schon sehr wichtig. Die Lebenden Bilder und die Musik sind ein Auch die Veränderung des eigenen Anspruchs und Blickwinkels Teil unserer Entwicklung. Ganz am Anfang kämpfte ja noch die Hölle spielt also eine Rolle? gegen den Himmel. Luzifer hielt in der ersten Szene eine Spottrede auf CS : Natürlich spiegelt sich auch die eigene Veränderung im Spiel. Wir können ja nicht stehen bleiben. Wir sind ja von Berufs wegen gefordert, uns immer wieder neu zu hinterfragen, uns immer wieder auseinanderzusetzen mit dem Ganzen. SH : Die siebzig Jahre, in denen man die gleiche Aufführung immer nur wiederholt hat, haben dem Passionsspiel nicht gutgetan. Oberammergau als Wiege für schlechtes Sandalentheater? Das hat sich gewandelt: Ich lese oder höre heute oft vom Passionsspiel als Qualitätsbegriff für eine bestimmte Art, aufs Theater zu schauen. Genau da dranzubleiben ist wichtig. CS : Das „Wir wollen etwas bewahren“ und das „Wir wollen etwas verändern“ stehen eigentlich schon seit Beginn der Tradition gegeneinander. Spannenderweise ist diese Reibung im Dorf letztlich total wichtig und gehört dazu. Der Musikalische Leiter Markus Zwink

144


Musikalische Probe unter Pandemiebedingungen

Christian Stückl und Stefan Hageneier stellen ein Lebendes Bild

das Publikum. Mit den Lebenden Bildern verschwand ab 1750, 1780 Moderne Andacht – die Hölle immer mehr, auch aus den Texten. Durch diese Gliederung Freiraum für den Zuschauer in zwölf Blöcke bewahren wir eine alte Form, die es fast nirgendwo anders mehr gibt. Die Musik ist da ein fester Bestandteil. Der Prolog Welche Funktion haben denn die alttestamentarischen Lebenden aber, der diese Musik mit einem Text unterbricht, tat etwas, das nicht Bilder? Zu welchem Zweck wurden und werden sie inszenatorisch mehr in die Zeit passt: Er drängte dem Publikum Theologie auf, deutete den Szenen vom Leiden und Sterben Christi vorangestellt? die Szenen aus einer nachösterlichen Sicht und wies ständig darauf hin, CS : In der ursprünglichen Struktur des Spiels waren die Lebenden dass wir durch Jesu Tod am Kreuz erlöst seien. Er ließ keinen Spiel- Bilder symbolische Gegenbilder zur Geschichte Jesu. Sie gaben den raum zur eigenen Interpretation und – noch schlimmer – er gab dem inhaltlichen Hinweis, dass etwas Gewesenes abgelöst wird: das JudenPublikum eine Art Moralpredigt mit auf den Weg. tum durch das Christentum. Heute suchen wir das Verbindende. Für uns ist die Triebfeder, zu zeigen: Das Wirken Gottes ist immer schon in der Welt. Denn mit diesen hebräischen Bildern ist Jesus ja groß geworden, sie sind sein Testament, aus dem heraus er agiert. Somit steht Jesus in der Tradition der jüdischen Propheten; er wollte die Thora, die Gebote Moses’, nicht ablösen, sondern erfüllen. Und plötzlich finden die Geschichten, die für uns eigentlich sehr weit auseinanderliegen, das Alte und das Neue Testament, einen direkten Bezug zueinander. MZ : Auch musikalisch geht es bei den Lebenden Bildern um eine weitere Ebene neben dem Passionsgeschehen, um Zusatzbeleuchtungen auf das Thema, um eine intellektuelle, aber auch emotionale Auseinandersetzung, die im besten Fall erweiternd wirkt. Das funktioniert ähnlich wie beispielsweise in der Bach-Passion, wenn der Zuhörer während eines Chorals einen Moment hat, in dem er innehalten, reflektieren, ja sogar sich selbst miteinbeziehen kann, wenn er will. SH : Künstlerisch gesehen wirken die Lebenden Bilder als Andachtsbilder. Es sind konkrete Situationen, die jedoch erst durch die Darstellung als Tableaux vivants, eingefroren in einem entscheidenden Augenblick, weit über das Konkrete hinausreichen. Einerseits bedeuten sie damit eine Zäsur, andererseits setzen sie die Spielszenen in einen historischen Zusammenhang. Man nimmt Zitate auf und sucht zugleich nach Schnittmengen zum Heute, ohne das Geschehen dabei plakativ zu vereinfachen. Und die Geschichte Jesu schwingt bei alldem mit, die Ahnung davon, dass seine zunehmend grausame Passion Sinn macht. Markus Zwink probt mit Kindern 145


Stellprobe zu dem Lebenden Bild „Die Verspottung des Hiob“

Stellprobe zu dem Lebenden Bild „Die Erniedrigung der Israeliten“

Die Lebenden Bilder als innere Bilder Jesu

Zweihundert Mitwirkende in alter Oberammergauer Tracht

Was bedeutet das für die konkrete Darstellung? SH : 2022 sind inhaltliche Aspekte stärker: Mein Ansatz ist es einerseits, eine große Menge von Menschen in verschiedenen Varianten der Unterdrückung und des Hoffens zu zeigen – die Israeliten des Alten Testaments gehen durch alle Lebenden Bilder als Geflüchtete. Das Grundmotiv ist dabei immer die Behausung: Sie verwandelt sich, zum Paradies etwa oder, bei Daniel, zum Kerker. Darin: das Volk, in einer Zwischenwelt, zwischen hier und da, zu Hause und vertrieben, behütet und verfolgt. Durch dieses zentrale Motiv der Fluchtsituation wirkt die Geschichte wieder total gegenwärtig. Andererseits, durch die Augen Jesu gesehen, sind die Lebenden Bilder seine inneren Bilder: Am Ölberg, in der größten Not, setzt Jesus sich mit sich selbst und seiner Religion auseinander. In diesem Moment geben ihm die Bilder und Geschichten seiner Bibel, der Thora, Mut und Hoffnung. Diese Analogie zur Spielhandlung ist zwar nur behauptet, nicht belegt, verleiht dem Passionsspiel jedoch noch eine zusätzliche Sinnhaftigkeit.

Im neu hinzugekommenen Gelübdebild sieht man zu Beginn des Spiels zweihundert Mitwirkende aus Chor und Volk in alter Oberammergauer Tracht. MZ : Ja, die historischen Oberammergauer, die nach der Ouvertüre auftauchen, dokumentieren die Wurzeln, den Anfang der Passionsspiele. SH : Die Frage nach der Funktion des Passionsspielchors entzündet sich ja immer am Kostüm. Früher wurden die Chorsänger „Schutzgeister“ genannt und trugen eher liturgische Gewänder. Aus der Sichtung von alten Fotos entstand schon für 2020 die Idee, es könnten doch auch Bürger Oberammergaus aus der Entstehungszeit des Spiels sein. MZ : Musikalisch ist der Beginn wie eine riesige Fermate. Der erste Chor heißt „Herr, du bist fern! Wir sind verloren“ – und aus dieser Not der Pest heraus ist in Oberammergau das Passionsspiel entstanden.

Bühnen- und Kostümbildner Stefan Hageneier

146

Muss man als Zuschauer religiös sein, um etwas aus dem Spiel für sich mitzunehmen? CS : Religiös – was bedeutet das eigentlich? Man muss auf keinen Fall einer Kirche angehören, nein. Eigentlich muss man als Zuschauer gar nichts mitbringen, man kann einfach kommen. Aber wenn ich als Spielleiter den Glauben und die Überzeugung nicht hätt’, dass hinter dieser Geschichte, hinter diesem Jesus eine gewisse Kraft steckt, dann könnte ich’s nicht erzählen. Dann bräuchte ich’s nicht erzählen. SH : Ich muss zugeben, dass erst die Auseinandersetzung mit der christlichen Bilderwelt als Bühnenbildner der Passionsspiele bei mir das Interesse für Jesu Geschichte geweckt hat. Trotzdem ist eine säkulare Sicht wichtig – um überhaupt versuchen zu können, so spielerisch damit umzugehen. CS : Das Schönste ist, wenn man spürt, dass jemand seine Vorurteile überdenkt und in der Auseinandersetzung mit dem Passionsspiel doch etwas entdeckt, was er interessant findet, was ihn berührt.


Geschichte authentisch erzählen Ist das Ihre Motivation, den Passionsspielstoff wieder und wieder zu hinterfragen? SH : Ich finde richtig, dass wir die Geschichte möglichst eindringlich erzählen – und nicht so viel Energie darauf verwenden, sie offensichtlich ins Heute zu übertragen. Aus der Geschichte an sich muss ja die Botschaft kommen. Das finde ich das Theatralische daran. CS : Für mich ist die Auseinandersetzung mit den Spielern wichtig. Es macht mir Spaß, sie an die Geschichte heranzuführen, weiterzuführen. Ich hab als Jugendlicher miterlebt, wie die katholische Kirche im Vorfeld des Passionsspiels Theologen und Priester nach Oberammergau geschickt hat, um Nachhilfeunterricht in religiösen Dingen zu geben. Die Spieler saßen dann bei uns im Wirtshaus droben mit einem Bier und haben sich irgendeinen Vortrag angehört. Das wollte ich nicht. Stattdessen unternehmen Sie mit Hauptdarstellern und Solisten noch vor Beginn der Proben eine zehntägige Reise nach Israel … CS : Wir haben diese Reise nach Israel 2019 schon zum vierten Mal unternommen. Damit alle Hauptdarsteller gemeinsam diskutieren und sich kennenlernen können. Damit wir uns zwingen, neu auf das Spiel zu schauen, zu fragen: Was hat das mit uns zu tun? Wenn bei den Spielern ankommt, wie relevant die Sätze immer noch sind, wie stark sie sind, dann besteht die Chance, dass genau das auch aufs Publikum überspringt.

Fotografin Birgit Guðjónsdóttir (links) mit 2. Spielleiter Abdullah Kenan Karaca (3. von rechts)

Christian Stückl bei den Bildbandaufnahmen

Authentizität ist in Oberammergau ein wichtiges Stichwort geworden – angefangen bei den Kostümen. SH : Ja. Für die letzten beiden Passionsspiele habe ich antike Stoffe gesucht, die einen authentischen Charakter vermitteln – und die gab es nur in Indien. Im März 2019 war ich dort, um die Stoffe im traditionellen Blockprint-Verfahren herstellen zu lassen. Für Jesus und seine Gefährten hat mir ein Teppich- und Stoffhändler, der in Istanbul lebt, 2 000 Quadratmeter alter Kelims aus Anatolien beschafft. Vom Kostümbild her gibt es jetzt eine urbane Welt auf der einen Seite und auf der anderen eine Figur auf einem Esel, die ländlicher und ärmer ist: Jesus, der mit seinem Gefolge eine bestimmte Gesellschaftsschicht aufmischt. Welche Idee steht hinter dem aktuellen Bühnenbild von 2022? SH : Das Bühnenhaus von 1930 ist ja in seiner Sachlichkeit und Schlichtheit nichts Halbes und nichts Ganzes, eigentlich inhaltslos. In den vergangenen zehn Jahren habe ich es immer wieder zugebaut und mir die Freiheit genommen, etwas ganz anderes daraus zu machen. Für 2020/22 hat es sich als wahnsinniger Schritt zurück angefühlt, mit diesem Gemäuer leben zu müssen, obwohl ich das überhaupt nicht mehr als richtig empfinde. Deswegen war die Überlegung, ihm eine neue Bestimmung zu verpassen, eine ganz klare Setzung. Nun habe 147


Jesus. Wie ist er sozialisiert, aus damaliger und aus moderner Sicht? Ist Jesus in Ihren Augen ein Solitär, ein Nerd, ein Einzelgänger? CS : Ich glaube, dass Jesus ein extrem sozialer Mensch war. Eine Vorverurteilung aufgrund von Herkunft oder Arbeit kannte er nicht und wehrte sich dagegen. Er hatte auch eine gute „Mannschaft“ um sich herum, die wirklich daran glaubte, dass er der Messias ist, der das Volk aus dem Elend führen kann. Die erste Probe zum Passionsspiel am 6. Januar 2022 MZ : Aber ich empfinde bis fast zum Schluss eine gewisse Distanz ich die Passionsbühne zu einer weitläufigen Tempelanlage umgebaut, zwischen Jesus und allen anderen. Immer wieder kommt es vor, dass in welcher der Hohe Rat und die Römer herrschen. Dorthinein kommt das, was er sagt, nicht verstanden wird, nicht richtig akzeptiert wird, einer, der ist ganz anders – ein Antiheld. Er stellt ganz klar eine Pro- uminterpretiert wird, dass nachgefragt wird, teilweise ja auch vervokation dar – schon durch sein Erscheinen mit einer Gruppe armer ständlicherweise. Mir kommt er dadurch etwas isoliert vor. Menschen, die wirklich nicht ins Bild passt. Dass es allein deshalb Ärger CS: Mit zunehmender Berufung, zunehmendem Engagement seigeben wird, muss ihm in dieser Situation klar sein. nerseits entsteht eine sehr schwierige Idee: Wenn man die Welt wirkCS : Dass sich Jesus beim Einzug in Jerusalem auf einen Esel setzt lich verändern will, dann muss man den eigenen Tod in Kauf nehmen. und sich zum König Israels macht, ist Aufruhr gegen Rom. Diese AnMZ : Das ist die entscheidende Phase – und genau da hat man nicht maßung wird der Grund für seine Kreuzigung sein, die Buchstaben das Gefühl, seine Botschaft käme eins zu eins bei seinen Anhängern an. INRI auf dem Kreuz sagen es: „Jesus von Nazareth, König der Juden“. SH : Wenn man sich vorstellt, Jesus würde so in einer heutigen Gesellschaft predigen – da wäre doch maximales Unverständnis, man würde ihn als „Spinner“ bezeichnen! Ich glaube nicht, dass dies damals so viel anders war. Ich glaube, dass ihm dadurch, dass er in seiner ÜberEin unbequemer junger Mann zeugung sehr weit ging, nur wenige blieben, die ihm tatsächlich folgten Stärker denn je beschäftigt Sie im diesjährigen „Spiel vom Leiden, und ihm die Notwendigkeit, den Weg tatsächlich zu Ende gehen zu Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus“ der Mensch müssen, glaubten.

Das Pestspiel 2019

148

Probe „Vertreibung der Händler“

„Petrus“ Martin Güntner entrollt die Thora


Identifikation oder Irritation – Messias oder Antiheld? Wo hört das Menschenmögliche auf – und damit auch die Möglichkeit, Jesus auf der Bühne als Menschen zu begreifen? CS : Wir sehen ihn immer als Sohn Gottes, doch das ist eine schwierige Betrachtungsweise. Jesus ist sehr mutig – da macht er auch vor den Priestern nicht halt. Einen solchen Mut müsste man heute erst einmal aufbringen. Er ist da ziemlich heftig. Er diskutiert über Gesetze, die einfach nur deswegen gemacht werden, um gemacht zu werden. Jesus fordert zur Rebellion auf. Er weiß, das ist nicht gern gesehen, und er weiß, er kann dafür umgebracht werden in jener Zeit. Aber wäre er „Gott“, er hätte nicht Blut und Wasser geschwitzt in den Nächten davor, als er wusste, es gibt kein Zurück mehr. Er hätte nicht eine solche Angst gehabt. Welche Rolle spielt Gott in beiden biblischen Teilen? Den Provo­ kateur? CS : Gott will keine Opfer! Er sagt: Ich will euer Herz, euren Verstand. Hiob steht da als einer, der in seiner Not verzweifelt, sich am Ende aber doch nicht von seinem Weg zu Gott abbringen lässt. Und mit genau dieser Konsequenz geht auch Jesus ans Kreuz. Es geht um menschliche Situationen, in die wir geraten, und die Frage, wie wir mit ihnen umgehen. Indem es das Schreckliche zeigt, ist das Alte Testament manchmal viel näher am Menschen als das Neue Testament. Der Mensch selbst ist an Sodom und Gomorra schuld – so wie er jetzt selbst am Klimawandel schuld ist.

Kreuzigungsprobe

Rochus Rückel trägt das Kreuz

Das letzte Foto vor der Absage der Passionsspiele 2020

Herodesdienerin mit Kamel

149


das heißt ‚Sch’ma Israel‘: „Ich bin der Herr, euer Gott, und wer mich liebt, braucht keine anderen Gesetze. Der braucht kein ‚Du sollst nicht töten‘, denn wer mich liebt, der wird nicht töten.“

Anprobe der Römerkostüme

SH : Damit beschreibt schon das Alte Testament einen Zivili­

sationsprozess. Der Zusammenhang wirkt aber natürlich enorm archaisch. CS : Oft ist das Alte Testament auch einfach ein Geschichtsbuch. Die Israeliten waren Sklaven und sind deswegen vierzig Jahre durch die Wüste gelaufen, weil sie nirgends aufgenommen wurden, einen Halt gefunden haben. Erst einmal brauchten sie eine Gesetzgebung. Dass Gott sie ihnen gegeben hat, ist natürlich bombastisch beschrieben – letztlich war es aber Moses, der zehn Hauptgesetze aufgeschrieben und gesagt hat, wenn ihr die befolgt, dann kann eigentlich fast nichts mehr passieren. Und weil sie dann nach vierzig Jahren stark genug waren, „die Mauern Jerichos mit ihren Trompeten zu stürzen“, haben sie das Land eingenommen – nicht, weil der liebe Gott gesagt hätte: „Hier, bitte!“ Könnte man Jesu Geschichte also auch ohne Gott erzählen? CS : Ganz klar nein. Weil Gott eine Bedeutung im Leben Jesu hat, an der er alles ausrichtet. Gott ist so groß, so zentral im Leben Jesu – ihn von ihm abzutrennen ist nicht möglich. Für ihn gibt es nur ein Gesetz,

Erstellung der Kostüme

150

Anfertigung der Säulen im Tempel

Und das Volk wiederum braucht Jesus, um genau das vorgelebt zu bekommen? CS : Wir haben keinen Gott, der in unser Leben hineinwirkt – davon geht Jesus aus. Nur der Mensch kann sichtbar machen, was Gott will. „Ich bin deine Hände, deine Füße, deine Stimme …“ Vielleicht kann man sagen: Jesus war insofern göttlich, als er genau das bis zur letzten Konsequenz gelebt hat. Dadurch wurde Gott in ihm vollkommen sichtbar. Identifikation oder Irritation – Messias oder Antiheld? Was ist Ihnen bei dieser Inszenierung wichtiger? CS : Eine klare Identifikationsfigur ist Jesus nicht. Er wirft Fragen auf und soll irritieren. Vieles entsteht erst auf der Probe, wenn du merkst, was für eine Spannung im Raum ist. Wichtig sind für mich die „Randnotizen“: Wenn es etwa heißt, Jesus sei ein Freund der Zöllner und der Huren, er gehe zu den Armen, zu den Prostituierten, wenn er am Teich von Siloah die Leute wäscht. Geht es wirklich um die religiösen Gesetze, die Jesus angeblich gebrochen hat? Oder geht es nicht vielmehr um das Ärgernis, dass er sich mit Menschen abgegeben hat, die anscheinend nicht in unsere Gesellschaft passen und deswegen dort keinen Platz haben? Und inwieweit hat sich das bis heute verändert? – Nicht besonders.

Arbeiten an einer Löwenplastik


Ein menschlicherer Jesus? Was bedeutet das eigentlich? Birgt die Figur Jesus für Sie immer noch, trotz der intensiven Beschäftigung, Rätsel? CS : Du denkst immer: ein menschlicherer Jesus? – Ja. – Aber was bedeutet das eigentlich? Wie derb konnte Jesus werden, wie viel Humor hatte Jesus, wie stur war er? Es ist total verrückt, wie einem die Figur dann doch Rätsel aufgibt, wenn man sich die Frage stellt, wie würde Jesus heute reagieren: in einer Zeit, in der die Kluft zwischen Arm und Reich größer wird, in der Flüchtlinge durch die Welt irren und ausgegrenzt werden, in der „die Liebe unter den Menschen kalt wird“. Der wichtigste Aspekt ist für mich, dass Jesus an die Ränder der Gesellschaft geht und sich um die kümmert, die ausgegrenzt werden. Vielleicht hat dieser Jesus, den wir im Passionsspiel versuchen zu greifen, auch wahnsinnig viel mit uns selbst zu tun. Deswegen ist es wichtig, dass alles, was Jesus sagt, im Hier und Jetzt verankert ist.

Die Lebensgeschichte spielen, nicht die Leidensgeschichte Wer ist denn Jesus 2022 für Sie? CS : Das Schwierige an Jesus ist die Art und Weise der Darstellung: Wenn er zu energisch wird, kommt er fast wie ein Glaubenskrieger rüber. Wenn er gar keinen Humor zeigt, wirkt er arrogant. Wie weit also kann man so eine Figur auf der Bühne aufreißen, dass man den Eindruck hat, man kann total mit ihr gehen … In den Proben hatte ich

Produktion der Engelflügel

Transport der Bühnenplastiken

das Gefühl, bei mir wird Jesus im Augenblick auch ein Verzweifelter an der Gesellschaft. Und plötzlich will man gar keinen Humor, er soll gar keine Witze mehr erzählen – denn die Witze sind ihm vergangen. Fließt auch immer die aktuelle weltpolitische Situation mit in Ihre Gedanken ein? CS : Wir haben aus der Tradition heraus die Leidensgeschichte Jesu gespielt. Aber eigentlich müssen wir erst einmal die Lebensgeschichte Jesu spielen. Man nimmt das alles so hin, man hat das Ende immer schon im Kopf, man weiß, er stirbt am Kreuz. Aber warum? So versucht man mit jedem Passionsspiel auch politischer zu werden. MZ : Theater ist ja möglicherweise immer ein Stück weit politisch – unser Spiel ist es ganz sicher. CS : In unserer heutigen Gesellschaft muss Jesus viel klarer reden und auf die Welt Bezug nehmen. „Warum versteht ihr meine Worte nicht? Warum verändert ihr euch nicht?“ Das sind fast flehende Sätze, sie spiegeln Jesu Wut auf die Welt. Seine Mission ist eine gescheiterte Mission, wenn wir nach 2 000 Jahren Christentum seine Botschaften immer noch nicht umgesetzt haben.

Susanne Eski fertigt die Kostüme an

Anpassung eines Kostüms

151


Das Passionstheater während der Probenphase

Ein intensives Erlebnis für das Publikum Bereits 1900 hat Thomas Cook den Oberammergauer Tourismus Was ist Ihnen in Hinblick auf das Verständnis der biblischen Figuren angekurbelt. Heute sind unter den rund 500 000 Besuchern Men- heute wichtig? schen aus aller Welt, mit und ohne Religion als Lebensmittelpunkt … CS : Man versucht eine Auseinandersetzung mit der Gestalt Jesus CS : Theater ist nie zum Selbstzweck gemacht worden, das Publikum herbeizuführen, das Publikum dazu zu bringen, Jesus neu zu entdewar immer wichtig. Noch vor hundert Jahren war das Passionsspiel cken. Aber nicht nur ihn, sondern auch die Figuren in seinem Umfeld: Propagandamittel der Kirche. Selbst der Künstler, der die erste Bühne Judas ist nicht länger der „geldgierige Verräter“, sondern steht Jesus auf unserem Friedhof gebaut hat, war ein junger Pfarrer. Von den bewundernd gegenüber und will ihn dazu bringen, sich zum „König Frankfurter Passionsspielen im 14. Jahrhundert weiß man, dass das von Israel“ aufzuwerfen. Die Priester und auch das Volk sind nicht Publikum gegen Juden aufgehetzt wurde und dass es nach den Auf- „einstimmig“ für die Verurteilung Jesu: Sie sind geteilt in seine Befürführungen meist Pogrome gegeben hat. In Oberammergau war das worter und Widersacher. Pilatus wird – das ist geschichtlich gesichert – Passionsspiel 1934 ein Propagandaspiel. Es gab aber auch Zeiten, in zum Tyrannen, der Jesus hinrichten lässt. Das Passionsspiel ist also denen eher das Volksschauspiel im Vordergrund stand und die Leute auch dazu da, die Geschichte und im Glauben verfestigte Irrlehren hingegangen sind, um „das wahre Theater“ zu erleben. aufzureißen.

Färben der Dornbuschzweige

152

Bildbandaufnahmen 2020

Birgit Guðjónsdóttir


Zwischen Weltereignis und Laientheater Ist es schwierig, unter 5 000 Dorfbewohnern über 2000 Mitwirkende zu finden? CS : Nein, die Oberammergauer wollen spielen. Es ist aber schwierig, alles zu organisieren, denn zum Spiel müssen wir Leute aus ihren normalen Berufen heraus ins Passionstheater locken. Einen Rumpfbetrieb haben wir immer – das Leitungsteam sind ja nicht nur wir drei. Wir sind in bestimmten Bereichen sicher die Ideengeber, aber der Pressesprecher Frederik Mayet, der Technische Leiter Carsten Lück, die Leiterin der Schneiderei Susanne Eski, die Assistenten, die weiteren zwei Dirigenten … Wenn wir das alles selbst machen müssten: Halleluja! SH : Es ist schwierig, dass aus dem Stand verschiedenste Gewerke geschaffen und verzahnt werden müssen. Eigentlich bräuchte es den erprobten Hochleistungsbetrieb eines großen Opernhauses. Inzwischen haben wir aber so tolle Werkstätten, wie sie sich jedes Theater wünschen würde. Alles ist sehr professionell. Nach zwölf Jahren stehen Sie nun kurz vor der verscho­benen Premiere. Gibt es für Sie einen besonderen Moment im Passionsspiel 2022? CS : Da ist keine bestimmte Szene. Ich freue mich über die Leute und die gemeinsame Auseinandersetzung. Mein „Lieblingsmoment“ ist die Begegnung mit all denen, mit denen ich das Passionsspiel mache! MZ : Das ist es bei mir auch: jeder Moment, in dem ich bei dem, was wir machen, spüre, dass etwas zurückkommt und sich die Beteiligten über das Miteinander freuen.

Bürgermeister Andreas Rödl und Christian Stückl beim „Haar- und Barterlass“

Darstellerbekanntgabe am 20. Oktober 2018 vor dem Passionstheater

SH : Der beste Moment entstand für mich 2010, als bei der allerletzten Aufführung zum Schlussbild das ganze Dorf auf die Bühne kam. Denn das macht das Passionsspiel ja aus: etwas, das nur in der Gemeinschaft entstehen kann. Es ist natürlich nicht möglich, aber eigentlich müsste man das Schlussbild immer so machen. Und alle müssten mit aller Kraft singen.

Das Passionsspiel hält die Oberammergauer zusammen Würden Sie die Arbeit an der Passion als eine Lebensaufgabe beschreiben? CS : Ich glaub, letztlich ist es für uns schon auch eine Art Lebensaufgabe geworden, ja, es gehört irgendwie zu uns dazu. Auch wenn jeder von uns einen ganz anderen Ansatzpunkt im Blick hat. So ein Passionsspiel kann ja nur funktionieren, wenn jemand eine starke Bildsprache hat, die Musik viel Kraft besitzt und das Ganze ein gutes Zusammenspiel mit dem Text eingeht – nur dann erreichst du die Menschen wirklich, nur daraus entsteht Theater, alle Sinne müssen angesprochen werden. Im Barock wurden sogar Gerüche miteinbezogen – das war der Versuch, den Menschen ganzheitlich zu erfassen. SH : Diese zehn Jahre sind eine seltsame Zeitspanne. Aber das Passionsspiel gibt es seit bald vierhundert Jahren. Es ist eine große Erzählung mit großen Themen, die Jahrhunderte überstanden hat. Insofern wird es in jedem Fall weitergehen. CS : Vielleicht kann man sich auch da auf die Tradition verlassen: Das Passionsspiel hält die Oberammergauer zusammen. Es gab starke Phasen, es gab schwächere Phasen, trotzdem ist es weitergegangen. Aber was die Zukunft bringt, da halt ich mich an meinen alten Spruch: Über was lacht Gott – über Planung! 153



CHRONIK


Theater auf dem Friedhof – die Anfänge des Spiels (1633–1750)

Die Geschichte des Oberammergauer Passionstheaters beginnt 1633, inmitten des Dreißigjährigen Krieges. Mit Eintritt des Schwedenkönigs Gustav Adolf haben sich die Gefechte im März 1632 nach Süddeutschland verlagert, die bayerische Armee kämpft nun im eigenen Land. Augsburg, Landsberg, München sind besetzt, bevor die schwedischen Soldaten im Juni ins Gebirge vordringen. In seiner „Geschichte des Dorfes Oberammergau“ wird Pfarrer Joseph Alois Daisenberger 1850 beschreiben, wie diese „plünderten, brandschatzten,

Kopfweh“ rafft seine Be­­wohner dahin – die Pest vollführt ihr wü­tendes Werk. „In der Pfarrei Kohlgrub sind die Leut dermassen ausgestorben, daß nur 2 Paar Ehevolk anzutreffen gewesen“, so Daisenberger. Oberammergau jedoch ist „durch fleißiges Wachehalten“ verschont geblieben – bis Kaspar Schisler zum herbstlichen Kirchweihfest am 28. September nach Hause kommt. Die Sehnsucht des Eschenloher Tagelöhners, Frau und Kinder wiederzusehen, bringt in den folgenden 13 Monaten 84 Menschen in Schislers Heimatdorf den „Schwarzen Tod“. So will es die Legende. Ein Mann namens Kaspar Schisler allerdings ist in den Oberammergauer Sterbebüchern gar nicht aufgeführt. Wer auch immer der tragische Schicksalsbringer für die Gemeinde gewesen ist – im Oktober 1633

„Das Pestgelübde“, Zeichnung von Hans Schwaighofer

sächlich: Seitdem sei „kein einziger Mensch mehr gestorben, obwohl noch etliche die Pestzeichen an sich hatten“. Es gilt als unwahrscheinlich, dass 1634 und 1635, als die Pest erneut in Bayern ausbrach, nicht auch ein Oberammergauer Todesopfer zu beklagen gewesen wäre – Belege dafür gibt es jedoch nicht. Das erste Spiel findet am Pfingstfest 1634 auf dem Oberammergauer Fried-

Einband und Buchseiten des ältesten erhaltenen Textes des Passionsspiels von 1662

viele Häuser und Ortschaften niederbrannten und die Bewohner unmenschlich quälten, auch viele mit grausamer Mordlust tödteten“. Noch eine weitere Lebensgefahr be­droht 1632 große Teile des Landes: Das „wilde

Jesus 1850 Tobias Flunger

156

1870 Josef Mayr

fassen ihre Vorgesetzten den Entschluss, von nun an alle zehn Jahre das „Spiel vom Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus“ aufzuführen. Das fromme Gelübde soll sie vor weiteren Pesttoten bewahren. Und tat-

1890 Josef Mayr

hof neben der Pfarrkirche statt. Über den Gräbern der Pesttoten agieren 60 bis 70 Darsteller. Das Dorf begründet damit keine neue Tradition: Für die Zeit vor 1650 sind im bayerisch-österreichischen Raum etwa 40 Passionsspielorte

1900 Anton Lang

1922 Anton Lang

belegt; danach wird sich diese Zahl bis 1800 auf über 250 Spielorte mehr als versechsfachen. Auch der 4 902 Verse umfassende Spieltext – verfasst vermutlich von einem Ettaler Mönch – ist, wie 1880 entdeckt werden wird, kein originärer, sondern hauptsächlich zwei älteren Spielen entnommen, die schon in früheren Zeiten miteinander kombiniert wurden. Dabei handelt es sich um ein mittelalterliches Passionsspiel aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, dessen Handschrift im Augsburger Benediktinerkloster St. Ulrich und Afra gefunden wurde, sowie um die 1566 verbreitete Tragödie „Von dem Leyden vnd Sterben / auch die aufferstehung vnsers Herren Jesu Christi“ des protestantischen Augs­ burger Meistersingers Sebastian Wild. Vermutlich schöpfte der Verfasser zudem aus einer dritten, heute unbekannten Quelle. Über die nun folgende Zeit bis 1662, die auch die Passionsspiele von 1644 und 1654 umfasst, ist wenig bekannt. Daisenberger nimmt an, dass sich das Volk nach Krieg und Krankheit verstärkt der Religion zuwandte. Zwei Jahre vor dem vierten Passionsspieljahr 1664 entsteht durch den Schulmeister Georg Kaiser eine Abschrift des Oberammergauer Passionsurtextes. Der Hinweis „Ist widerumben Renoviert“ deutet auf frühere Bearbeitungen hin. 1674 erweitert der Oberammergauer Kaplan Michael Eyrl den Text um Passagen aus dem „Weilheimer Passionsspiel“, verfasst im Jahr 1600 vom Stadtpfarrer Johannes Älbl. Eyrl ist der erste namentlich genannte Leiter der Passionsspiele. Nach dem Wechsel zu den Zehnerjahren findet das 6. Spiel bereits 1680 statt.

1934 Alois Lang

1960 Anton Preisinger


Nicht nur der Stellenwert des Publikums verändert sich mit Ausgang des 17. und Beginn des 18. Jahrhunderts. Während Oberammergau 3 300 Gulden in einen neuen Pfarrhof und ein Schulhaus investiert, zeugen erste Gemeinderechnungen auch von „Ausgab von wegen dem Passions-Spiel“. Im Jahr 1700 lässt sich die Gemeinde die Leitung, Bühne, Darstellung, musikalische Begleitung und Ausstattung der Aufführung 60 Gulden kosten. So listet Daisenberger in seiner Chronik auf: „12 fl. 30 kr. dem Bernhard Steinle, daß er die Pas-

Verbot und Anpassung zur Zeit der Aufklärung (1750–1811)

verehrt; 12 kr. für Pulver.“ Die Kostüme der Darsteller wurden von Kloster Rottenbuch entlehnt. Bereits unter dem Priester Thomas Ainhaus, der 1710 Leitung und Rechnungsbücher übernimmt und bis zu seinem Tod im Juli 1723 fortführen wird, gibt es weitere Textänderungen. Zu einer umfassenden Revision kommt es jedoch erst im 10. Spieljahr: Die Gemeinde beauftragt Pater Karl Bader (1662–1731), der seit 1713 an der Etta­ler Ritterakademie Poesie und Rhetorik lehrt. Erhaltene Teile seines neuen Passionsspieltextes von 1720

Etwa zur selben Zeit, zu der im 90 Kilo­ meter entfernten München der Grundstein für den opulenten Rokoko-­Bau des Cuvilliéstheaters gelegt wird, um das bei einem Brand zerstörte Theater der Residenz zu ersetzen, erleben auf dem Friedhof von Oberammergau knapp 11 000 Zuschauer ein fulminant baPater Ferdinand Rosner rockes Spektakel. Es wird zum neuen Mit dem Frühmessbenefiziat Max Idealmaß bayerischer Passionsspiele Anton Erlböck übernimmt auch im werden und zahlreiche Nachahmer fin11. Spieljahr ein Oberammergauer Pries- den. Der Preis für solchen Ruhm sind ter das Amt des Passionsspielleiters. Er 88 Gulden. wird es bis zu seinem Tod im August 1770 47 Jahre lang innehaben. Erneut hat eine Bearbeitung des Textes stattgefunden – und keine unerhebliche: Der Rottenbucher Augustiner Anselm Manhart (1680–1752) konfrontiert Jesus mit fünf Gegnern in Gestalt von Satan sowie der allegorischen Figuren Neid, Geiz, Tod und Sünde. Die Gemeindekasse zählt auch 1730 ein Defizit von 84 Gulden. Wiederum ein Rottenbucher Augustiner, Clemens Prasser (1703–1770), ist es, der für die Aufführungen von 1740 – vermutlich sind es zwei – den Text revi­ diert. Doch erst die vollkommene Neuerfindung des Passionsspiels 1750 wird Kloster Ettal auf einem Stich von Matthäus Merian, 1665 Oberammergau als Theatergemeinde Text des Prologs von 1662 den Durchbruch bringen: Der Ettaler sionstragödie gemustert und geführt. dokumentieren eine barocke Kulissen­ Benediktinerpater Ferdinand Rosner – Rosners neuer, 8 457 Verse umfassender 19 fl. den Malern Sebastian Würmseer und bühne. Doch zum unternehmerischen Verfasser von Reden, Gedichten und Text stellt Jesus ins Zentrum eines draMartin Faistenmantel für Malen und Erfolg reicht es auch diesmal nicht: (Schul-)Theaterstücken – schreibt dem matischen Kampfes zwischen Gott und Farben; 10 fl. den Komödianten nach Nach den Spielen vermeldet Oberam- Dorf für das 13. Spieljahr seinen ersten den Mächten der Hölle. Wie in den voraltem Brauch zu einem Trunk bezahlt; mergau einen Verlust von 73 Gulden eigenen Passionsspieltext: die „Passio angegangenen beiden Spieljahren sind 2 fl. den Herren Trompetern von Ettal und 37 Kreuzern. Nova“, sprachgewaltig und effektvoll. die Allegorien Neid, Geiz, Tod und

1970 Helmut Fischer

1980 Gregor Breitsamter

1984 Max Jablonka

1990 Martin Norz

2000 Anton Burkhart

2010 Andreas Richter

2010 Frederik Mayet

157


Fiktives Aquarell der Bühne von 1780

Sünde sowie Luzifer Teil der Handlung. Neu und bemerkenswert ist auch, dass Rosner bereits die barocke Mode der Tableaux vivants aufgreift: Siebenmal unterbrechen die musikalisch untermalten Lebenden Bilder, welche statisch Szenen aus dem Alten Testament nachstellen, die Passionsgeschichte. Über eine noch großzügigere Ausstat­ tung scheint das 14. Passionsspieljahr 1760 verfügt zu haben, denn nun fehlen der Gemeindekasse den Rechnungs­ büchern nach etwa 156 Gulden. Zu den beiden Aufführungen kommen 14000 Besucher. Eine dramatische Zäsur bringt der 31. März 1770: Im Zuge der sich anbahnenden Säkularisation lässt der bayerische Kurfürst Maximilian III. Joseph alle Passionsspiele verbieten. „Das größ­te Geheimnis unserer heiligen

Johannes 1870 Johann Zwink

158

1880 Johann Zwink

Religion“, so seine Begründung, gehöre „nun einmal nicht auf die Schaubühne“. Oberammergauer Deputierte ersuchen in München noch um eine Ausnahmegenehmigung. Doch ohne Erfolg: Am 22. Mai ist auch das Schicksal ihres Passionsspiels negativ besiegelt. Obendrein haben die Einwohner die bis dahin getätigten Ausgaben von 274 Gulden zu tragen. Dass das Jahr 1780 ihr 15. Passionsspieljahr wird, verdanken die Oberammergauer dem Ettaler Benediktinerpater Magnus Knipfelberger (1747– 1825). Sein Stück „Das Alte und Neue Testament“ ist der Versuch einer Anpassung. Er „reinigt“ Ferdinand Rosners Vorlage „von allen anstoßlichen Ungebührlichkeiten“, reduziert etwa die Auftritte der Hölle zu musikalischen Zwischenszenen und mildert allzu realistische

1890 Peter Rendl

Darstellungen wie die Verzweiflung des Judas. Der Plan geht auf: Vom neuen Kurfürsten Karl Theodor erhält die Gemeinde ein alleiniges Privileg zur Aufführung von Passionsspielen. Dieses wird für 1790 erneuert. Im 16. Spieljahr wird außerdem zum ersten Mal in einer Zeitung auf die Passionsspiele hingewiesen; für die fünf Vorstellungen mit etwa 11 000 Besuchern vergibt man erstmals Eintrittskarten. Der Aufwand wird belohnt: mit einem Gewinn von 600 Gulden. Es ist Krieg, als Oberammergau das Vorrecht erhält, im Jahr 1800 die Passion als „Geschichte des Leidens und Sterbens Jesu Christ“ aufzuführen. Am 26. Juni findet eine bewachte Sondervorstellung für die kaiserlich österreichischen Soldaten im Ort statt. Sie hören gereimte Verse, sehen die Allegorien Hoffart, Neid und Geiz sowie Luzifer auf dem Höllenwagen. 16 Tage später, am Morgen des 12. Juli 1800, rücken

Kurfürst Maximilian III. Joseph von Bayern

die feindlichen Franzosen in Oberammergau ein. „Überall war Feuersgefahr, Schrecken, Furcht und Flucht“, schildert Chronist Daisenberger. „Bald loderte der Pfarrhof in hellen Flammen.“

1922 Melchior Breitsamter

1934 Willy Bierling

Minister Maximilian Graf von Montgelas

Ein Vorgeschmack auf die Niederlage von Bayern und Österreich zum Ende des Zweiten Koalitionskriegs am 3. Dezember. Nach fünf Aufführungen werden die Vorstellungen eingestellt. 3 000 Zuschauer nur zählt dieses 17. Spieljahr – ein Defizit von 205 Gulden in der Gemeindekasse, das vier weitere Aufführungen im folgenden Jahr 1801 ausgleichen sollen. Dann, am 11. September 1801, erklärt die Münchner Regierung das Privileg Oberammergaus für erloschen. Die Säkularisation schreitet voran. Eine Kommission, eingesetzt am 25. Januar 1802 durch Kurfürst Maximilian IV. Joseph, erhält den Auftrag, Klöster und Orden allmählich aussterben zu lassen. Kirchliches Brauchtum und generell Darstellungen von Glaubensinhalten werden untersagt. Der Minister Maxi­ milian Graf von Montgelas verbietet die Passionsspiele von 1810. Wieder entsendet die Gemeinde eine Deputation nach München. Vom Oberkirchenrat abgewiesen, wenden sich die Oberammergauer über den Geistl. Rat Anton Sambuga mit einer Bittschrift an den König. Die Spielgenehmigung für das Jahr 1811 ist nur durch ein weiteres Zugeständnis möglich: die nochmalige grundsätzliche Überarbeitung des Passionsspieltextes.

1960 Werner Bierling

1990 Robert Heiland


Romantik – die Suche nach dem Ursprünglichen (1811–1871)

Das neue Spiel stammt aus der Hand des Ettaler Benediktinerpaters Othmar Weis (1769 – 1843), der seit der Auflösung des Klosters 1803 in Oberau als Lehrer arbeitet. Weis setzt den Fokus aufs realistisch Irdische, orientiert sich stärker an den Evangelien und streicht viele mythologische und legendenhafte Elemente. Auch die Allegorien finden

Komponist Rochus Dedler

in seinem Prosatext keinen Platz mehr. Stattdessen streut er Bibelworte ein und stellt aktuelle Bezüge her: moralische Betrachtungen, die den Chorauftritten vorangestellt sind. An den Lebenden Bildern jedoch hält er fest. Zur Begleitung komponiert der Oberammergauer Lehrer Rochus Dedler (1779– 1822), der bis 1802 im Kloster Rottenbuch als Organist und Kantor wirkte, eine bis 1820 konti-

Petrus 1870 Jakob Hett

1900 Thomas Rendl

nuierlich erweiterte Passionsspielmusik, die noch heute im Theater zu hören ist. Die Gesangspassagen arrangiert er als Rezitativ, Arie und Chor. Dass die 20. Passionsspiele bereits vier Jahre später stattfinden, liegt im Ende der Napoleonischen Kriege begründet. Zum Dank werden 1815 in elf Aufführungen Sonderspiele veranstaltet. Mit dem „Einzug in Jerusalem“ schaffen Weis und Dedler eine zusätzliche wirkungsvolle Massenszene. Zudem bewirkt die überarbeitete Fassung eine psychologische Vertiefung, etwa in den Monologen des Judas. Zum ersten Mal ist in den Berichten von einem ausländischen Gast die Rede: Eugène-Rose de Beauharnais (Eugen Herzog von Leuchtenberg), Adoptivsohn von Napoleon I., kommt zusammen mit seiner Frau Prinzessin Auguste Amalia Ludovika von Bayern. Auch ein scharfer Kritiker der Spiele erscheint: Graf Montgelas „fand sich durch die Darstellung sehr wohlbefriedigt“, wie Ludwig Clarus 1860 in „Das Passionsspiel Zu Ober Ammergau“ erinnert. „Nachdem dieser Herr das Passionsspiel approbiert hatte, war von einer Beseitigung desselben nicht mehr die Rede.“ Das nun folgende 21. Spieljahr 1820 markiert einen Einschnitt in der Ge­­­schichte der Oberammergauer Passion. Denn obwohl das vom pensionierten Wachtmeister G. Luipold geleitete Spiel zum letzten Mal auf dem Friedhof neben der Pfarrkirche aufgeführt wird, ist der Eindruck ein völlig anderer. Der Priester Nicolaus Unhoch (1762–1832) hat hierfür einen derart kunstfertigen Bühnenneubau entworfen, dass der königlich bayerische Baurat Anton Baumgartner sich zu einem Vergleich mit Andrea Palladios Teatro Olimpico in Vicenza

1922 Andreas Lang

Passionsspielbühne von Nicolaus Unhoch von 1815

hinreißen lässt. Zu seinem Bühnenerlebnis am 25. Juli schreibt er im Baierischen National-Blatt: „Sie steht auf fest eingerammten, und durch Zimmer-

sondern ebenfalls auf Hirnholz und Balkenköpfe befestigt. – Wer die berühmte Bühne des Palladio in Vinzenza gesehen hat, wird in der Oberammergauer Bühne einige Aehnlichkeit finden, denn sie stellt einen Platz mit Pallästen, Altanen und zwei geräumigen Gassen vor, in welchen sich das zur Vorstellung gehörige Volk ganz frey bewegen kann.“ Damit entspricht die klassizistische, mit Rokoko-Elementen verzierte Bü­hne von 1820 bereits der späteren Struktur mit ihren Gassen, den Häusern von Pilatus und dem Hohepriester sowie der Mittelbühne für die Lebenden Bilder. Detailliert geht der Baurat auf die psychologische Verkörperung einiger Hauptrollen ein. Der Darsteller des Christus etwa „suchte seines Meisters Seelenruhe, Ernst und Bescheidenheit nachzuahmen“, und Judas sei in Oberammergau„keine Karikatur, und kein ganz verworfner Mensch“. Aus einer Gemeinderechnung geht her„Heil Dir“ in der Originalpartitur von 1815 vor, dass acht Perücken gekauft und hergerichtet wurden. Mit dem Haar- und mannskunst wohl unter sich verbunde- Barterlass nimmt man es zu Beginn des nen Bäumen, und die Sitze des Schau- 19. Jahrhunderts offenbar noch nicht platzes sind nicht etwa auf Brettern, sehr ernst.

1934 Hubert Mayr

1950 Hugo Rutz

1960 Hans Maier sen.

1990 Vitus Zwink

159


Ansicht der Passionsbühne aus dem Jahr 1860

Die Inserate, die in der Münchner politischen Zeitung und in Augsburger Zeitungen geschaltet wurden, haben ihre Wirkung nicht verfehlt: Im Vergleich zu 1815 kommen im 21. Passionsspieljahr doppelt so viele Zuschauer, also 19 000 Gäste, zu den zehn Aufführungen. Die Anreise von München dauert damals zwei Tage. Die „versammelte Masse, fast

Sulpiz Boisserée, Kunsthistoriker

von 4 000 Menschen“, so Baumgartner, „blieb des ungünstigen Wetters ohngeachtet, 8 Stunden so ruhig und aufmerksam, daß nicht die mindeste Stöhrung vorgefallen ist“. Im Missverhältnis zum Erfolg bei Publikum und Presse steht die Enttäuschung des Architekten: Nicolaus Unhoch, mit dem Bühnenneubau von Oktober 1819 bis Pfingsten 1820 beschäftigt, wird für seine Arbeit schlecht bezahlt. In sein Tagebuch notiert er: „Es haben mehrere Theaterkenner von München und Augsburg das Theater sehr gelobt, obschon

160

nämlich veröffentlicht noch 1830 das bewundernde Urteil des Kunsthistorikers Sulpiz Boisserée in der Privatzeitschrift Chaos: „Nicht nur wurde alles mit Ernst und Anstand ausgeführt […], sondern der Plan der ganzen Darstellung war auf eine so eigenthümliche Weise, mit so viel Verstand und Kunstsinn angeordnet, daß man seine Bewunderung nicht versagen konnte, und sich vielfach belehrt und aufgeregt fühlte.“ Weitere namhafte Rezensenten, etwa Guido Görres und Martin Deutinger, 1850 Amalie Lang und Mitglied des Hohen Rates schließen sich ab 1840 mit romantisiedie Ammergauer nicht sehr damit zu- renden Urteilen an. Der englische Kauf- gewählten Männern und der Gemeindefrieden waren“. mann Joseph Brooks Yates verfasst den verwaltung. Manche der 464 MitwirDennoch übernimmt Unhoch auch ersten Bericht in englischer Sprache. Da kenden – Darsteller, Sänger und Musiden Bühnenentwurf für die folgenden sich die Spiele von Mittenwald und Kohl- ker – erhalten im Vorfeld zur Passion Spiele 1830. Vielleicht reizt ihn der neue grub aufgelöst haben, hat die Gemeinde Unterricht. Die Bühne wird nach altem Spielort am nordwestlichen Dorfrand deren Kostüme gekauft und errichtet Vorbild neu gebaut, ein Teil der Kosauf der „Passions-Wiese“. Ob dieser einen festen Bühnenfundus. tüme restauriert. Die älteste erhaltene Wechsel auf ein Verbot von König Lud- Unter den 35 000 Besuchern in diesem Fotografie von den Passionsspielen entwig I. oder des hiesigen Pfarrers Alois 23. Spieljahr sind auch Kronprinz Maxi- steht nach dem Münchner SteinheilPlutz zurückgeht, ist nicht belegt. Chronist Daisenberger spricht von einer regen Vorberichterstattung, „weithin durch das ganze Deutschland ver­breitete sich der Ruhm des Ammergauer-Passionsspieles, als der einen Reliquie des alten Mysterienspieles“. Doch obschon nun 5 000 Besucher im neuen eingezäunten Zuschauerraum Platz finden, kommen nur etwa 13 000 zu den elf Friedrich August II. König Maria Anna von Bayern Aufführungen, an denen 300 Personen Kronprinz Maximilian von Sachsen von Bayern mitwirken. Dass dies das vorerst letzte Jahr mit Publikumssorgen gewesen sein wird, ist milian von Bayern, Friedrich August II. Verfahren: Sie zeigt den Jesus-Darsteller indirekt auch dem 81-jährigen Johann König von Sachsen und dessen Ehefrau Tobias Flunger in einem weißen, togaWolfgang von Goethe zu verdanken. Der Karoline Ferdinande von Österreich. ähnlichen Gewand. Münchner Lohnkutscher fahren ihre Vom 20. Mai bis 15. September werden Gäste von München mit Übernachtung zwölf Vorstellungen und zwei Zusatzin Murnau nach Oberammergau. Ab- spiele gegeben sowie am 30. September fahrt ist um 6 Uhr morgens, Ankunft eine weitere Aufführung für Königin im Passionstheater am übernächsten Marie von Bayern. Daisenberger beTag pünktlich zum Spielbeginn um 8 Uhr. richtet von Besuchern aus Berlin, HanFür das 24. Passionsspieljahr 1850 über- nover, Erfurt, Dresden, Prag, Bozen, nimmt Joseph Alois Daisenberger, seit Zürich und Genf – insgesamt kommen 1845 Pfarrer von Oberammergau, die 45 000 Zuschauer. Auch Königin Sophie Spielleitung. Seine Textarbeit beschränkt von Bayern ist in diesem Jahr unter den er „darauf, manche veralteten oder zu Gästen – und eine zwölfjährige Adlige derben oder zu weichlichen Ausdrücke namens Elisabeth Herzogin in Bayern, abzuändern, und manche zu weitläufig die spätere österreichische Kaiserin„Sisi“. ausgesponnene Rede abzukürzen“. Die Aus den Gewinnen des Passionsspiels Organisation der Spiele obliegt nun stiftet die Gemeinde 6 500 Gulden für Joseph Alois Daisenberger erstmals einem „Passionsausschuss“ aus gemeinnützige Zwecke, 10 000 Gulden


Tourismus um 1900 – die ersten Pauschalreisen (1871–1920)

Kupferstich vom Passionstheater von 1860

werden an die Mitwirkenden ausbezahlt. Nach seinem Besuch 1850 fragt der bekannte Theatermann Eduard Devrient,

König Ludwig II. von Bayern

der gerade an seiner „Geschichte der deutschen Schauspielkunst“ schreibt, was die Kunst vom Oberammergauer Laienspiel – das für ihn Festspiel, Volks-

Nachdem 1870 erster Besuch von der Insel gekommen ist – neben Bankier Leopold de Rothschild gab sich auch Kronprinz Albert Edward, der spätere König von England, die Ehre –, besucht am 25. September 1871 König Ludwig II. die Passionsspiele in einer Separat-Vorstellung. Im damals noch unüberdachten Zuschauerraum, in dem sich sonst bis zu 10 000 Besucher drängen, sitzen außer ihm nur vier Begleiter. Zwei Tage danach empfängt er die Darsteller des Christus und der Apostel auf Schloss drama und Gottesdienst vereint – ler- Linderhof. Der König überreicht jedem nen könne. Neben deutschsprachigen einen silbernen Löffel – nur „Judas“ erscheinen französische wie englische Georg Lechner erhält einen Blechlöffel. Zeitungsberichte. Doch auch antijudaistische Deutungen des Spiels werden laut. Die gründliche Überarbeitung des Passionsspieltextes, die Daisenberger im Vorfeld der Spiele von 1860 anfertigt, geht vor allem auf den Wunsch der Regierung zurück. Er bevorzugt das Johannes-Evangelium und betont das Allgemeingültige. Politik weicht Psychologie, gleichzeitig gewährt er Idealisierung, Bildreichtum und Volkstümlichkeit (Legenden, Kreuzweg) wieder mehr Raum. Zu den 21 Aufführungen kommen 100 000 Besucher. Zehn Jahre später schreibt Daisenberger eine Passion in Blankversen – doch Ansicht der Passionsbühne von 1870 diesen Entwurf lehnt die Gemeinde ab. Am 17. Juli 1870 verkündet der Prolog auf Der „Kini“ ist so begeistert, dass er der Bühne den Krieg gegen Frankreich; der Gemeinde die „Kreuzigungsgruppe“ das 26. Spiel kann erst 1871 fortgesetzt schenkt. Die Marmorskulptur auf dem werden. Osterbichl ist damals mit 116 Tonnen

Maria 1870 Franziska Flunger 1880 Anastasia Krach

1890 Rosa Lang

1900 Anna Flunger

1922 Marta Veit

Die Kreuzigungsgruppe

das größte Steindenkmal der Welt. Zum ersten Mal entwickelt sich eine Art Starkult um einen Christus-Darsteller: Josef Mayr. Der Weilheimer Fotograf J. Steigenberger hält nicht nur die Hauptdarsteller, sondern auch die Bühne und die

Lebenden Bilder mit seiner Kamera fest. Theater oder Gottesdienst? Der Dresdner Literaturhistoriker Adolf Stern antwortet damals im Dresdner Journal: „Es ist

1930 Anni Rutz

1984 Ursula Burkhart

161


Eng­länder würden selbst Tickets für den Jüngsten Tag lösen. „‚Christus‘ Mair hat 50–60 000 ‚Freunde‘, die ihn besuchen. Seine Schnitzereien sind wie Reliquien; die Engländerinnen wollen sie in Rom vom Papst segnen lassen.“ Auch auf Seiten der Besucher weckt der gewaltige Andrang auf den kleinen Ort nicht nur feierliche Gefühle. Der britische Forscher Richard Burton rät in

Abendmahl 1870

völlige Thorheit, zu sagen, das Passionsspiel der Ammergauer sei Gottesdienst, aber keine theatralische Vorstellung! […] In Wahrheit ist und bleibt das große geistliche Spiel eine dramatische Darstellung voll des höchsten Ernstes, der tiefs-

Bühne 1880

und England (Isabel Burton) besuchen die Passionsspiele. Eine Bahnstrecke führt nun bis Murnau und verkürzt die Anreise von München. Der Pauschaltou- Zuschauertribüne 1880 rismus fällt im Ammertal auf fruchtbaren Boden. seinem Reisebericht „A Glance at the ‚Passion Play‘“ von 1881, sich „so gut als möglich“ vom Passionsspiel erbauen zu lassen, den Ort dann aber „raschen Schrittes“ wieder zu verlassen, um nicht „im grübelnden Sinn den Wahnsinn zu erwecken“. Der schwäbische Komponist Cyrill Kistler kritisiert die unpassend gelöste „Jahrmarktsstimmung“ im Publikum. In seiner Schrift Gartenfest am Passionstheater um 1890 „Das Passionsspiel zu Oberammergau“ lobt er die Darstellung, bemängelt aber An „eine Invasion von Frankfurt bis Komposition und Umsetzung: „Je tiefer Murnau“ erinnert sich der österreichi- der Zuschauer in seinem Innersten ersche Autor Ferdinand Groß in einem fasst wird, je lustiger und banaler wird der Oberammergauer Passionsbriefe. die Musik, und der Hörer wird verletzt

ten Weihe, der reinsten und innersten Erhebung. Das sind Prädicate, die allen ernsten Kunstwerken im höchsten Sinne zukommen, und das schließt ein Streben nach künstlerischer Vollendung ein und nirgends aus!“ Das Passionsspiel zieht nun geistliche wie weltliche Prominenz an, Literaten wie Kunstschaffende. Unter den 100 000 Gästen von 1880 befinden sich Königin Viktoria von Schweden, Sergei Alexan­ drowitsch Romanow, Sohn von Zar Alexander II., und der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm. Am 22. August verliebt sich der Organist des Kaisers, der Wiener Komponist Anton Bruckner, in eine 17-jährige Darstellerin. Sie ist eine von knapp 700 Mitwirkenden. Im selben Jahr reist Thomas Cook nach Oberammergau und kurbelt den internationalen Touristenstrom an. Reisejournalisten aus Amerika (John L. Stod­dard) Das Lebende Bild „Vertreibung aus dem Paradies“ 1890

162

und beleidigt, die dramatische Wirkung vernichtet.“ Erstmals hat das Orchester im Graben Platz genommen. Trotz des Publikumsansturms von 1880: Die Umsetzung des geplanten Bühnenneubaus für 1890 sowie die Investition von 12 – 14 000 Mark für neue Gewänder, gefertigt am Münchner Hoftheater, stehen auf dem Spiel. Denn der Ort ist hoch verschuldet; die Suche nach einem Kreditgeber endet schließlich in der strikten Trennung von Gemeinde- und Passionskasse. Als weitere Neuerung er­hält der katholische Pfarrer Platz und Stimme im Passionsspiel­komitee. Die Pläne des international renommierten Münchner Theatertechnikers

Carl Lautenschläger

Carl Lautenschläger sind ambitioniert: Die Bühne erhält eine NeorenaissanceFassade, die seitlichen Häuser stehen nun separat, die Logen sowie etwa 1 500 Zu‌­­s chauerplätze werden überdacht. Selbst­­­­­verständlich modernisiert Lautenschläger auch die Technik: Für die Neuinszenierung mit ihrer naturalistisch-historisierenden Ausstattung beleuchtet er die Mittelbühne und macht spektakuläre Effekte wie eine rasche Verwandlung oder Engelsflüge möglich. Die Spiele sind nun weltbekannt. Unter den 124 000 Zuschauern der 40 Vorstellungen: Thomas Joseph Carr, Erzbischof von Melbourne, Königin Isabella II. aus Spanien, aus Malaysia der Sultan von Johor, außerdem der Maler Franz von Lenbach. In Vorbereitung auf die Jahrhundertwende-Passion nimmt die Gemeinde einen Kredit über 140 000 Mark auf,


Darin beschreibt er den Gleichklang aus Spiel und Leben der Oberammergauer – das Dorf erscheine wie ein Stück Judäa inmitten der Bayerischen Alpen. Aber er kritisiert auch den Antisemitismus im Spiel und betont, eine Geschichte zu predigen, lehren und aufzuführen, die zu falschem Hass verleitende Leidenschaften und Vorurteile erzeuge, sei unchristlich und schade dem Frieden und dem guten Willen. Mit dem „Nogglhaus“ in der Schnitzlergasse erhalten die Oberammergauer am 31. Juli 1901 ein „Übungstheater“ mit 500 Plätzen. Am 29. November beschließt der Gemeinderat die Einführung eines Spielrechts für 1910. Da die Einwohnerschaft stetig wächst, kommen nur diejenigen Oberammergauer Bau des Zuschauerraums 1899 infrage, „welche seit dem Jahr 1900 in der Gemeinde seßhaft sind und sich in den um eine Zuschauerhalle mit 4 200 Sitz- Die Souvenir-Produktion beginnt. Das neun Zwischenjahren bei den gemeindplätzen zu bauen: eine Eisengerüst- beliebteste Ansichts- und Autogramm- lichen Theateraufführungen verwenden konstruktion mit sechs Bögen, auf der karten-Motiv wird der 25-jährige Töpfer ließen“. ein hölzernes Satteldach ruht. Vielleicht Anton Lang. Spielt der Christus-Dar- Im 30. Jahr, kurz vor dem Ersten Weltist genau diese imposante Theaterbasi- steller 1900 noch vor 174 000 Zuschau- krieg, erreicht das Passionsspiel eine lika der Grund, warum Gustave Eiffel im 29. Passionsspieljahr aus Paris anreist. Und in denselben Monaten, in denen LZ 1 über dem Bodensee die ersten Flugversuche unternimmt, verfolgt Ferdinand Graf Zeppelin in Oberammergau ein anderes Spektakel. Während der Vorstellungen von 1900 finden sich im Opferstock der Kirche MünPassionstheater mit Blick auf Laber 1900 zen aus Ägypten, Indien, Hongkong, Bühne und Zuschauerraum 1900 Dollars aus den USA, Mexiko, Brasilien, Bolivien und Peru. Der Ölmagnat John ern, werden es 1910 bereits 223 548 und einzigartige Massenwirksamkeit. Adlige, Davidson Rockefeller ist aus New York 1922 rund 311 000 Besucher sein – ein Bischöfe, Politiker und Künstler komgekommen. Das Dorf ist überfordert, Drittel wird aus dem Ausland kommen. men 1910 ins Ammergauer Land – so aber vorbereitet: Ein „Wohnungsbüro“ Im Anschluss an seinen Besuch veröf- Achille Kardinal Ratti, der spätere Papst wurde eingerichtet; im „Arrangement“ fentlicht Rabbi Joseph Krauskopf in den Pius XI., und Gustav V., König von wurden Eintrittskarten mit Unterkunft USA den Aufsatz „A Rabbi’s Impressi- Schweden, der britische Premierminisangeboten. ons of the Oberammergau Passion Play“. ter David Lloyd George und der ameri-

Kaiphas 1850

1870 Johann Lang

1890 Johann Lang

1930 Hugo Rutz

1960 Benedikt Stückl

Jesu Abschied von Maria 1900

kanische Präsident William H. Taft, der Komponist Richard Strauß, der Maler Olaf Gulbransson und der Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal. Max Reinhardt verarbeitet den starken Eindruck, den die Passionsspiele auf ihr Publikum ausüben, in seinem Konzept für die Salzburger Festspiele. Lion Feuchtwanger indes zeigt sich in einem Aufsatz für Die Schaubühne en­t­­­­setzt. Er bezeichnet den Passionsspieltext als „Wechselbalg, gezeugt vom Sprach­geist des Evangeliums und eines Landgeistlichen, der statt des gewohnten Dialekts ein krampfhaftes Schriftdeutsch anstrebt“. Den Jesus von Oberammergau beschreibt er als „einen höchst uninteressanten Menschen, der sich um Belangloses erregt, unverständliches, unbedeutendes Zeug treibt und sich gehabt wie ein lamentierender Oberlehrer“. Der Erste Weltkrieg überschattet auch das Oberammergauer Spiel: Viele Darsteller und Musiker sind schwer verwundet oder gefallen. 1918 wird die Passion für 1920 abgesagt.

1990 Walter Fischer

2000 Stephan Burkhart

163


Passionstheater im Dritten Reich (1921–1970)

Am 21. März 1921 stimmen die Oberammergauer für ein Passionsspiel im Jahr 1922. Spielleiter wird der 33-jährige Bildhauer Georg Johann Lang. Besucher des 31. Spieljahrs sind Nuntius Pacelli, später Papst Pius XII., und Herbert Hoover, später Präsident der Vereinigten Staaten. Außerdem der Schriftsteller Joachim Ringelnatz und der Komponist Giacomo Puccini, der sich – auf der Suche nach neuen musikalisch-theatralen Impulsen – in seinen letzten Lebensjahren oft in Deutschland aufhält.

Das Lebende Bild „Die Himmelfahrt“ 1930

vermehrt neue Spiele nach dem Vorbild Oberammergaus entstanden; seit Ende des Ersten Weltkriegs feiert das Passionsspiel eine regelrechte Renaissance. Trotz der finanziellen Verlockung lehnt der Ort etliche Filmangebote aus dem In- und Ausland ab. Ein vollständiger Mitschnitt der Oberammergauer Passion wird erst 2010 archiviert werden. Im August 1933 wird die Gemeinde ihrerseits an Luis Trenker herantreten, der jedoch

Spielleiter Georg Johann Lang und sein Bruder Bürgermeister Raimund Lang

Doch der unerwartete Publikumsandrang schlägt nicht zu Buche: Die Einnahmen von 19 752 916 Mark schluckt die Inflation. Die Versorgung der Passionsspielbesucher verschlingt Unsummen; es kommt zu Boykottaufrufen und Anschlagsdrohungen. Trotz der Kritik hält die Gemeinde an ihrem Gelübde fest. Wichtiges Argument gegen ein Aussetzen der Spiele ist die Konkurrenz: Seit der Jahrhundertwende sind in Europa

Gäste 1930: Automobilpionier Henry Ford

164

Abendmahl 1922

absagt. Allerdings geht es dabei nicht um die Verfilmung des Passionsspiels, sondern um dessen Vorgeschichte „Die Pestnot Anno 1633“ von Leo Weismantel, die damals anlässlich des 300-jährigen

Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore

Gäste 1934: Schauspielerin Marion Davies

Adolf Hitler

ein Lehrstück. Er erklärt Pilatus zum Prototyp des „rassisch und intelligenzmäßig“ überlegenen Römers, der„wie ein Fels inmitten des jüdischen Geschmeißes und Gewimmels wirke“. Auch am 13. August 1934 wird sich Hitler im Passionstheater befinden, zusammen mit etlichen Nationalsozialisten, mitten unter den Zuschauern der Sonderspiele zum 300-jährigen Jubiläum. Von den Nationalsozialisten Oberammergaus und dem neuen Regime vereinnahmt, steht auf den Plakaten des nur rund 3 000 Einwohner starken Dorfes: „Deutschland ruft Euch!“ Fahrkarten- und Eintrittspreise werden halbiert. Im ProtoJubiläums gerade erst im Kleinen Theater koll des Passionsspielkomitees, nun bis uraufgeführt worden ist. 1998 von Mar- auf den Pfarrer Bogenrieder bestehend tin F. Wall und seit 2009 von Christian aus Mitgliedern der NSDAP, ist am Stückl sorgfältig überarbeitet, wird „Die Pest. Das Spiel vom Oberammergauer Passionsgelöbnis“ bis heute dem Passionsspiel im Vorjahr vorangestellt. Für das 32. Spieljahr 1930 schwebt Georg Johann Lang nicht nur eine grundlegende Neuinszenierung mit wirkungsvollen Massenszenen vor, auch die Bühne wird neu gebaut: schmucklos monumental. Die Entwürfe hierfür liefern er und sein Bruder, Regierungsbaumeister Raimund Lang. Des Weiteren wird die Zuschauer­ halle um einen Eisenbogen erweitert, wodurch sie nun 5 280 Gästen Platz bietet. Unter den 380 000 Besuchern der 81 Vorstellungen befinden sich neben Henry Ford auch der indische Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore Plakatentwurf zum Jubiläumsspiel 1934 und der Physiker Max Planck. Am 21. Juli sitzt Adolf Hitler im Publikum, mit 19. Dezember 1933 die Überlegung festgeihm seine Nichte Geli Raubal und Joseph halten, wie man das Spiel „sauber halten“ Goebbels. Dieser sieht im Oberammer- und „gegen Überfremdung“ schützen gauer Spiel den„Ursprung des deutschen könne. Doch ähnlich wie die bevorsteVolkstums“ und für Hitler ist es geradezu henden Olympischen Winter­spiele in

„Amerikaner in Stammestracht“

Kardinal Michael von Faulhaber

Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir


Familie Mayr 1934

Familie Heinzeller 1950

Garmisch-Partenkirchen 1936 soll das internationale Ereignis Rassentoleranz vortäuschen. Hitler erklärt die Spiele für „reichswichtig“. Raimund Lang, der sich den Nationalsozialisten angeschlossen hat und zum neuen Bürgermeister Oberammergaus erkoren wurde, macht mit dem bayerischen Wirtschaftsminister

Kofferträger 1950

Hermann Esser einen Gleichgesinnten zum Schirmherrn. Der verkündet nun, „das neue Deutschland“ sei „ein Land des Aufschwungs, des Friedens und der Ordnung “. Diesen Eindruck widerlegt auch die ausländische Berichterstattung nicht. International bedeutet das Jubiläumsspiel erneut ein Ereignis für ein beispiellos breites Publikum: Nicht nur König

Bekanntmachung zum Haarerlass 1959

Prajadhipok, Rama VII. von Siam, ist anwesend, nicht nur Medien-Tycoon William R. Hearst – auch Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre sind unter den 410 000 Zuschauern. Später wird

Familie Hochenleitner 1960

Familie Müller 1960

Familie Lang 1960

Familie Stückl 1970

Familie Schuster 1980

die Philosophin in ihrer Autobiografie „In den besten Jahren“ vom Sog der Aufführung, von der Wahrheit im Spiel und der großen Überzeugungskraft seiner Darsteller schwärmen: „Wir hatten nicht viel für folkloristische Darbietungen übrig, aber die Passion war wirklich großes Theater.“ Im Vorfeld zum Spiel von 1940 entscheidet Bürgermeister Raimund Lang, Vorschläge für Spieler und Musiker würden

die Besucherzahl überraschend einen „Wir haben ein reines Gewissen. Wir neuen Höhepunkt. Es werden 54 weitere müssen ein Gelübde erfüllen, und unser Vorstellungen angesetzt, der Kredit kann Stück enthält nichts Anstoßerregendes.“ sofort abbezahlt werden. Für die ameri- Das sehen jüdische Intellektuelle, etwa kanischen und englischen Besatzer sind der Komponist Leonard Bernstein oder für jede Aufführung 820 zu bezahlende Karten bereitgelegt worden. Nur noch wenige namhafte Politiker sind unter den Gästen: Bundespräsident Theodor Heuss, Bundeskanzler Konrad Adenauer und US-Präsident Dwight D. Eisenhower. Der Erzbischof von München und Freising Michael Kardinal von Faulhaber ist ebenfalls zugegen. Er wird später gegen den Wunsch nach einer Postkarte 1960 raschen Wiederholung der Spiele im folgenden Jahr und damit für die Tradition der Dramatiker Arthur Miller, anders: entscheiden. In einer Petition wenden sie sich gegen Der Oberammergauer Komponist Eu- das in ihren Augen durch die stereotype gen Papst bearbeitet die Passionsspiel- und negative Darstellung von Juden musik von Rochus Dedler. Die Insze- antisemitische Spiel. Erst am 15. Aunierung aber bleibt vor und nach dem gust 1949 genehmigt die amerikanische Abendmahl 1960 Krieg die gleiche. Das American Jewish Militärregierung die Durchführung der von nun an in der Partei diskutiert. Doch Commitee (AJC) hat 1949 eine Liste mit 34. Passion. der Zweite Weltkrieg durchkreuzt diese Änderungswünschen vorgelegt, doch Die Kritik bricht auch in den folgenPläne: Zum zweiten Mal in ihrer Ge- Spielleiter Georg Johann Lang erklärt: den Jahren nicht ab. Der Pestspiel-Autor schichte finden die Passionsspiele nicht statt. Wegen der hohen Zahl an Geflüchteten und Evakuierten ist die Einwohnerzahl im Dorf nach dem Krieg um mehr als zwei Drittel gestiegen. Zu den 60 genehmigten„Verkaufshäusels“ baut die Gemeinde 15 weitere selbst und verpachtet sie an die neuen Mitbürger. 700 000 DM investiert die Bundesbahn für den Umbau des Bahnhofs und für den Gleisausbau. Statt sechs fahren nun 40 Omnibusse von Garmisch nach Oberammergau. Für das 34. Spieljahr gewährt die Bayerische Staatsregierung der Gemeinde einen Kredit über eine Million DM. 33 Aufführungen sind für 1950 vorgesehen, doch mit rund 480 000 erreicht Das Lebende Bild „Adam arbeitet im Schweiße seines Angesichts“ 1970

165


Aufbruch ins Heute – eine neue Generation (1977–2022)

700 Oberammergauer wirken an den acht Aufführungen von 1977 mit: Die „Rosner-Probe“ ist das Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung, mit der die Gemeinde Hans Schwaighofer (Inszenierung, Ausstattung), Alois Fink (Text) und Wolfgang Fortner (Musik) betraut hat. Die neue Antwort auf die Debatten wird von Publikum und Kritik sehr positiv aufgenommen. Doch auch für 1980 ist die Gemeinde noch nicht Das Lebende Bild „Die Vertreibung aus dem Paradies“ 1970 bereit, sich vom alten Spiel zu lösen; die Leo Weismantel meldet sich 1960 in Bildhauer Hans Schwaighofer, dem de- Mehrheit der Bürger stimmt gegen den der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu signierten Spielleiter. Orff soll auch die Rosner-Text. Wort: „Der Oberammergauer Text ist Musik komponieren. ein Schriftwerk von äußerster Primiti- 1966 ist es so weit: Schwaighofer stellt vität; er gehört zur Devotionalien-Lite- dem Gemeinderat den Rosner-Text soratur und steht als ‚Dichtung‘ außerhalb wie seine Inszenierungs- und Bühnendes Diskutierbaren.“ In der ZEIT vom bildentwürfe vor. Doch der entscheidet 27. Mai befindet Johannes Jacobi: „Ober- sich für eine Bearbeitung des Weis/Daiammergau kann das Weltinteresse, das senberger-Dramas. Schwaighofer tritt es alle zehn Jahre genießt, […] künftig- zurück; neuer Spielleiter für 1970 wird hin nur durch eine neue Spielfassung der Hotelier Anton Preisinger, der Jesus legitimieren.“ Für 1960 sucht Lang nach der Passionsspiele von 1950 und 1960. einem neuen Autor. Im Endeffekt aber Julius August Kardinal Döpfner, Erzbiwird auch im 35. Spieljahr die Inszenie- schof von München und Freising, und rung von 1930 – mit kleinen Änderun- der New Yorker Rabbiner Marc H. Tanen- Hans Schwaighofer probt mit „Judas“ Peter Stückl gen durch den Ettaler Abt Johannes M. baum fordern zum Umdenken auf. Der Höck – vor einer halben Million Men- Kardinal entzieht den Spielen den kirch- Für das 37. Spieljahr übernimmt der Bildschen wiederholt. lichen Auftrag, die „Missio canonica“. hauer Hans Maier die Leitung der PasNach den Aufführungen wird ein „Bera- Obschon jüdische Organisationen in sion. Aufgrund der Vorschläge für eine tendes Gremium zur Frage einer Textän- den USA das Spiel boykottieren und positivere Darstellung des Judentums, derung des Oberammergauer Passions- etwa 5 000 Karten zurückgegeben wer- welche die amerikanischen Theologen spiels“ einberufen. Der Rückgriff auf den, verzeichnet Oberammergau im Swidler und Sloyan 1978 im Auftrag Pater Ferdinand Rosners „Passio Nova“ 36. Jahr erneut einen Besucherrekord der Anti-Defamation League vorgelegt von 1750 wird beschlossen. Dieser Vor- von über 530 000 Zuschauern bei 102 haben, sind kleine Textkorrekturen vorschlag stammt von Carl Orff und dem Aufführungen. genommen und die Bühnenbilder über-

Das Lebende Bild „Die eherne Schlange“ 1990

166

Das Lebende Bild „Die Braut“ 2000

arbeitet worden. Augenzeuge ist auch Kardinal Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., der dem Spiel im Vorfeld kirchlichen Segen zukommen ließ. Erstmals werden die 18 Hauptrollen mit zwei gleichberechtigten Darstellern besetzt; einige Protagonisten der Rosner-Probe verweigern ihre Mitwirkung. Der Besucherrückgang auf 460 000 lässt sich auch auf die Reduzierung der Plätze auf 4 700 zurückführen. Rund 480 000 Zuschauer zählt die Gemeinde vier Jahre später zur 350-JahrFeier, unter ihnen etwa die Ministerpräsidenten von Bayern und Baden-Württemberg Franz Josef Strauß und Lothar Späth. Mitwirkende Frauen dürfen inzwischen an der Wahl des Passionsspielkomitees teilnehmen. Doch bis auf wenige Änderungen am Text und einige Umgestaltungen des Bühnenbilds hat es auch im 38. Spieljahr 1984 keine grundlegende Reform gegeben. Auf Anraten des Münchner Erzbischofs Friedrich Kardinal Wetter beruft der neue Gemeinderat noch im selben Jahr eine Textkommission unter der Leitung des Theologen Rudolf Pesch ein, die sich vor allem mit den Vorschlägen seiner amerikanischen Kollegen Swidler und Sloyan auseinandersetzen soll. Im Sommer 1986 wird in einer äußerst knappen Wahl der erst 27-jährige Bildhauer Christian Stückl zum Spielleiter gewählt. 2. Spielleiter wird der Gymnasiallehrer Otto Huber. Ihre erste Amtshandlung ist es, Peschs Textfassung nochmals zu überarbeiten. Trotz Kontroversen im Gremium werden viele Anti­judaismen gestrichen. Dem neuen Text liegt noch immer das Daisenberger’sche Original zugrunde, jedoch sind nun neue exegetische, theologische und historische Erkenntnisse in die

Das Lebende Bild „Tanz um das Goldene Kalb“ 2010


Zu den 98 Aufführungen im 39. Spieljahr 1990 kommen 480 000 Besucher, unter ihnen Bundespräsident Richard von Weizsäcker und der bayerische Ministerpräsident Max Streibl. Ein Bürgerbegehren fordert am 14. Mai 1996 die Wiederwahl Christian Stückls zum Spielleiter. Mit 55,2 Prozent entChristian Stückl und „Jesus“ Frederik Mayet scheiden sich die Oberammergauer am Bearbeitung eingeflossen. Parallel dazu 29. September für Stückl und erklärten überarbeitet und erweitert der neue damit ihr Einverständnis zur größten musikalische Leiter Markus Zwink die Passionsspielreform seit 1860. Otto Huber übernimmt erneut die Position des Komposition von Rochus Dedler. Zur Spielerwahl im April 1989 setzt 2. Spielleiters und Dramaturgen. Mit Gottesdienst zur Erneuerung des Gelübdes 2018 Stückl durch, dass ein Drittel seiner Ludwig Mödl wird ihnen ein theologiHauptdarsteller unter 30 Jahre alt ist. scher Berater zur Seite gestellt. amerikanische Künstler Robert Wilson Mit dem 19-jährigen Carsten Lück spielt und der Schriftsteller Feridun Zaimoglu. außerdem erstmals ein „Evangelischer“ Auch für das 41. Spieljahr 2010 bearbeitet eine Hauptrolle. Bisher waren verheiraChristian Stückl den Passionstext grundtete Frauen und Frauen über 35 Jahren legend und Otto Huber schreibt neue von einer Mitwirkung beim Passionsspiel Texte zu den Lebenden Bildern, um eine ausgeschlossen. Am 22. Februar 1990 jeBrücke ins Heute zu schlagen. Erstmals doch erstreiten drei Oberammergauereicht das Spiel bis in die Abendstunden rinnen vor Gericht das gleichberechtigte hinein; die Kreuzigungsszene findet soSpielrecht; mehr als 250 Darstellerinnen mit bei Dunkelheit statt. werden nachträglich in die Inszenierung Israelreise der Darsteller 2019 Der Mensch Jesus Christus soll gezeigt integriert. Die erste verheiratete Frau werden, der streitbare junge Jude. Die in der Geschichte der Passionsspiele Die neue Textfassung für das Jahr 2000 Musik nimmt nun auch in den Spielabläuübernimmt die Rolle der Maria. Aus soll Jesus größere Individualität ver- fen eine immer größere Rolle ein. Durch Protest gegen diese Neuerungen treten leihen. Als starker Kämpfer für seinen Chorpassagen in hebräischer Sprache Glauben steht er im Zentrum eines in- wie das „Sch’ma Israel“ bei der Tempel­ nerjüdischen Konfliktes: Fürsprecher vertreibung schafft Markus Zwink ein wie Widersacher finden sich sowohl kraftvolles Spannungsmoment, durch innerhalb des Hohen Rats als auch im bestimmte Akkordzusammensetzuneinfachen Volk und im Kreis seiner Ge- gen ertönen orientalische Klänge. Auch treuen. da­durch wird Jesus in seiner jüdischen Neben der nochmaligen Bearbeitung Umgebung verortet. Mit Poesie, Farbe der Harmonien von 1811/15 komponiert und Symbolik entwirft Stefan Hageneier Markus Zwink Musik für die neuen leuchtend bunte, moderne AndachtsbilLebenden Bilder, die jene ersetzen, wel- der in einer kraftvollen Ästhetik. Neu ist che wegen ihres antijüdischen Inhalts auch die fahrbare Bühnenüberdachung aus dem Spiel genommen wurden. Der nach den Entwürfen der Architekten 27-jährige Stefan Hageneier entwirft Jabornegg und Palffy. die erste neue Bühne nach Jahrzehnten. Bundeskanzlerin Angela Merkel, BunDie Kreuzigung 2000 28 Szenenbilder und fast 2 000 Kostüme despräsident Christian Wulff, Reinhard entstehen für die 1 600 Erwachsenen und Kardinal Marx, Erzbischof von Mün18 Haupt- und Nebendarsteller zurück. 550 Kinder, die an den 110 Aufführungen chen und Freising, und der New Yorker Angeregt durch Friedrich Kardinal Wetter der 40. Passionsspiele mitwirken. Zum Erzbischof Timothy Michael Kardinal und Christian Stückl beginnen Hauptdar- ersten Mal nehmen auch muslimische Dolan sind unter den 515 000 Gästen der steller, Gesangssolisten und Spielleitung Oberammergauer teil. Unter den rund Passion 2010, an deren 109 Aufführungen eine neue Tradition: Zusammen mit den 520 000 begeisterten Besuchern befin- 2 400 Oberammergauer mitwirken. Ortsgeistlichen und geführt durch einen den sich auch Bundespräsident Roman 2015 überträgt der Gemeinderat die LeiJesuiten unternehmen sie zur Vorberei- Herzog, Bundestagspräsident Wolfgang tung des Passionsspiels 2020 erneut dem tung auf die Passionsspiele eine zehntä- Thierse und der bayerische Ministerprä- Team um Christian Stückl, Stefan Hagegige Reise nach Israel. sident Edmund Stoiber, außerdem der neier und Markus Zwink. Zum 2. Spiel-

leiter wird der junge Oberammergauer Abdullah Kenan Karaca gewählt. Zwei Monate vor der Premiere, am 14. März 2020, muss der Probenbetrieb aufgrund der Corona-Pandemie eingestellt werden. Fünf Tage später werden die 42. Passionsspiele offiziell um zwei Jahre verschoben. Eine merkwürdige Koinzidenz, ist doch 1920, also genau einhundert Jahre zuvor, schon einmal ein Spiel abgesagt und zwei Jahre später nachgeholt worden. Und dass ebenfalls eine Pandemie – die Pest – es war, die vor fast 400 Jahren die allererste Oberammergauer Passionsgeschichte schrieb, vergisst dieser Tage niemand. 425 000 bereits verkaufte Karten werden umgebucht oder storniert. Doch bereits am 5. Oktober 2020 startet der Vorverkauf erneut. Mit Beginn des Jahres 2022 werden auch die Bühnenproben wieder aufgenommen. Die Frage, wie das Passionsspiel noch stärker mit gegenwärtigen Themen umgehen kann, steht deutlicher denn je im Fokus. „Und umgekehrt“, so Christian Stückl: „Alle Probleme, die wir heute haben, kommen auch schon in der Passionsgeschichte vor.“ Teresa Grenzmann

Das Passionsspielhaus 2022

167




DARS TELLER J E S US

Frederik Mayet

Rochus Rückel

Martin Güntner

Martin Schuster

Cengiz Görür

Andrea Hecht

Maximilian Stöger

N IKO DEMUS

170

Anton Preisinger

Abdullah Kenan Karaca

Peter Stückl

Eva-Maria Reiser

Barbara Schuster

Sophie Schuster

JOSEF VO N ARIMATH Ä A

Walter Fischer

Walter Rutz

Hubert Schmid

Christian Bierling

PIL AT US

S IM ON VON BE T HA N IE N

Matthias Müller

Christoph Stöger

MAG DALENA

AN NAS

KAIPHAS

Jonas Konsek

Benedikt Geisenhof

M AR IA

J U DA S

Andreas Richter

JO H ANNE S

PE T RUS

Anton Preisinger

Carsten Lück


HAUP T MA NN

Markus Köpf

HE ROD E S

Ferdinand Meiler

Simon Marschalek

ARCH EL AUS

Simon Fischer

Benedikt Fischer

E Z EC HIE L

Tobias Eich

ENG EL

David Bender

NATH ANAEL

Julius Iven

Kilian Clauß

Sebastian Dörfler

JOSAPH AT

Dima Schneider

Florian Maderspacher

Thomas Müller

V E RON I K A

Michael Hollatz

Ursula Mayr

171


M USI K ALISCHE LEI T UNG

Markus Zwink

Eva Kammerer

Oberammergaus Passionsspiele sind untrennbar mit ihrer Musik verbunden. Bereits im 18. Jahrhundert taucht immer wieder der Begriff „Chor“ in den Textbüchern auf, meist im Zusammenhang mit Texten, die die Lebenden Bilder erklären sollen. Aber auch die bis 1800 etablier­ ten Szenen mit allegorischen Figuren und allen möglichen Geistern der Hölle wurden von einem „Chor“ vorgeführt, doch sind hierfür weder Noten noch Komponistennamen erhalten. Erst mit den Kompositionen des Oberammergauer Lehrers Rochus Dedler (1779–1822) bekommen wir eine Vorstellung vom musikalischen Teil und dessen Umfang bei den Passionsaufführungen. Acht Sängerinnen und Sänger standen einem zeitgenössischen Bericht zufolge auf dem Bühnen­gerüst am Friedhof und stellten mit ihren Gesängen in ihrer Funk­tion als „Schutzgeister“ oder „Genien“ mehr als 25 Leben­de Bilder vor. Begleitet wurden sie dabei von einem Orchester, beste­ hend aus einigen wenigen Instrumentalisten aus Oberammergau und

172

Dr. Christian Wolf

Umge­bung: eine Handvoll Streicher, ergänzt um eine Flöte, zwei Klari­netten, Hörner, Trompeten und Pauken. So spartanisch besetzt, präsentierte man die Passions­musik einem Auditorium von damals schon 4 000 Besuchern. In der aktuellen Passionsspielsaison wirken 125 Choristen und etwa ebenso viele Instrumentalisten im Orchester mit. Davon sitzen bei jeder der 110 Aufführungen 57 Musiker im Orchestergraben; im Chor singen 64 Personen pro Spieltag – die Solisten mit eingerechnet. Um all dies zu ermöglichen, wird vonseiten der Gemeinde Oberammergau eine breitgefächerte Ausbildung gepflegt. Gesangliche und instrumentale Talente werden individuell gefördert; in unterschiedlichsten Instrumentalgruppen und altersgerecht eingeteilten Chören können Kinder und Jugendliche ihre Fähigkeiten austesten und erweitern, bis sie dann schließlich die Passionsspiele als Mitglied des Orchesters oder Chors erleben dürfen.


ORCHE S TER

173


SOLIS TEN S OPR A N

Dominika Breidenbach

Maria Buchwieser

Katharina Osterhammer

Franziska Zwink

Maria Zwink

Antonie Schauer

Gabriele Weinfurter-Zwink

A LT

Caroline Fischer-Zwink

Monika Gallist

Veronika Pfaffenzeller

T E NOR

Michael Etzel

Korbinian Heinzeller

Moritz Kugler

Michael Pfaffenzeller

BAS S

Heino Buchwieser

174

Anton Sonntag

Josef Zwink


CHOR

175


Danksagung Wir, das Leitungsteam der Passionsspiele 2022, möchten uns ganz herzlich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken, durch deren Arbeit dieses Buch erst möglich wurde: bei unseren Assistenten Kilian Clauß (Regie), Elena Scheicher und Lorenz Stöger (Bühne und Kostüme). Für die Herstellung der Bühnenbilder seien stellvertretend für die Werkstätten folgende Namen genannt: unser Technischer Leiter Carsten Lück und die Mitarbeiter der Werkstätten, Florian Bartl (Werkstattleiter), Tobias Haseidl (Leitender Bildhauer), Christian Huber (Bühnenmaler) und Sarah Hesse (Requisite). Für die über 2000 Kostüme geht unser besonderer Dank stellvertretend für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schneiderei an Susanne Eski (Leitung Schneiderei), Anna Schories (Produktionsleitung), Christiane Gassler und Rosi Pongratz sowie an Kathrin Zindl und Lena Bader (Maske). Vielen Dank auch an Valentin Rott, Ferdinand Dörfler, Sebastian Schulte, Benjamin Mayr, Viktoria Bischl und Thilo Feldmeier.

Impressum Dieses Buch erscheint zu den 42. Oberammergauer Passionsspielen 14. Mai – 2. Oktober 2022 Inszenierung: Christian Stückl Bühnenbild und Kostüme: Stefan Hageneier Musikalische Leitung und Komposition: Markus Zwink Dirigenten: Eva Kammerer, Dr. Christian Wolf 2. Spielleiter: Abdullah Kenan Karaca Licht: Günther E. Weiß, Martin Feichtner Bildband Fotografie: Birgit Guðjónsdóttir Lichtdesign: Niels Maier, Matthias Feldmeier Fotoassistenz: Johannes Neumann Lithografie: Marc Teipel Bildbearbeitung: Holger Herschel Gestaltung: Kerstin Bigalke Lektorat: Nicole Gronemeyer Herstellungsleitung: Paul Tischler Druck und Bindung: aprinta druck GmbH Bildnachweis Alle Fotografien in diesem Buch stammen von Birgit Guðjónsdóttir, mit Ausnahme von Arno Declair: S. 148 (u.l.) Gabriela Neeb: S. 170–172, 174 (14 Abb.) Sebastian Schulte: S. 140– 142, 143 (o., u.r.), 144, 145 (o.l., u.), 146 (o.), 147 (u.), 148 (o., u.M., u.r.), 149 (u.), 151 (u.r.), 152 (o., u.M., u.r.), 153 (u.), 167 (u.r.), 174 (2 Abb.) Andreas Stückl S. 143 (u.l.), 145 (o.), 146 (u.), 149 (o.), 150 (u.l., u.M.), 151 (u.l.), 152 (u.l.), 153 (o.), 168 f., 174 (1 Abb.) Die historischen Bilder in der Chronik stammen aus dem Gemeindearchiv Oberammergau.

Die zitierten Bibelpassagen folgen der Lutherbibel in der revidierten Fassung von 2017. Printed in Germany ISBN 978-3-95749-275-3 (Buchhandelsausgabe) ISBN 978-3-95749-438-2 (Ausgabe der Passionsspiele Oberammergau) PEFC-zertifiziert Dieses Produkt stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern PEFC/04-32-0928

www.pefc.de

Herausgegeben von der Gemeinde Oberammergau Ohne die ausdrückliche Genehmigung der Gemeinde Oberammergau ist es nicht gestattet, den offiziellen Bildband „Passionsspiele Oberammergau 2022“ oder Teile daraus auf irgendeine Weise zu vervielfältigen oder für irgendwelche Medien, Veröffentlichungen, Veranstaltungen gleich welcher Art zu verwenden.

© 2022 by Gemeinde Oberammergau

Verlag Theater der Zeit Verlagsleiter Harald Müller Winsstraße 72 | 10405 Berlin | Germany www.theaterderzeit.de





Oberammergau 2022 jährigen Krieg, nach monatelangem Leiden und Sterben an der Pest, gelobten die Ober­ ammergauer, alle zehn Jahre das „Spiel vom Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus“ aufzuführen. Zu Pfingsten 1634 haben sie dieses Versprechen zum ersten Mal erfüllt. Im Jahr 2022 führt die Gemeinde in einer einzigartigen Kontinuität durch die Jahrhunderte zum 42. Mal das Passionsspiel auf. Fast die Hälfte der Oberammergauer Einwohner, mehr als 2 000 Mitwirkende, bringt in einer fünfstündigen Aufführung die Geschichte des Jesus von Nazareth auf die imposante Freilichtbühne des oberbayerischen Passionsspieltheaters. Mit mehr als hundert Vorstellungen und einer halben Million Zuschauern ist es das erfolgreichste Laienspiel weltweit und zählt zum „Immateriellen Kulturerbe“ der UNESCO.

2022 Titel Reinzeichnung.indd 1

Oberammergau 2022

PAS S I O N S S P I E LE

Die Geschichte des Oberammergauer Passionsspiels beginnt 1633. Mitten im Dreißig­

PAS S I O N S S PI E LE

27.04.22 09:26


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.