DOUBLE Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater
Ausgabe 1/2021 ::: Nr. 43 ::: 18. Jahrgang ::: PREIS: 6 €
barrieren|frei Zugänge zum Figurentheater
Theater der Zeit
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INHALTSVERZEICHNIS
E D I T O R I A L THEMA
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Barrieren | Frei – Zugänge zum Figurentheater
Mascha Erbelding Hereinspaziert!? Über Zugänge und Abgrenzungen im Figurentheater 6 André Studt Ein Rückblick auf das, was wir nicht werden konnten Oder: Der Umgang mit Barrieren als Kern von Kulturarbeit 10
Valeska Klug Förderpuzzles und Formulierungsfragen Herausforderungen von Kunstförderung in den freien szenischen Künsten 14 Kathi Loch Umzug als Chance Überlegungen zur neuen Präsentation der Puppentheatersammlung Dresden 16
Auf die Kontinuität kommt es an Live-Audiodeskription und Gebärdensprachdolmetschung am tjg. Dresden
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Living Matters Auszug aus der Audiodeskription von Xenia Taniko zu Eva Meyer-Kellers Inszenierung
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Gut, wenn man einen Schatten hat Ein Gespräch mit Carlos Malmedy, Leiter des Schattentheaters der Levana-Schule Schweich
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ESSAY IN ENGLISH Emma Fisher
Performing the Fractured Puppet Self Employing auto-ethnopuppetry to portray and challenge cultural and personal constructions of the disabled body 28
DISKURS René Reith
Sprechen³ Im double-Diskurs Nr. 9 wird das Sprechen digital besprochen
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Mareike Gaubitz
Ohren gespitzt! Johanna Kunze macht einen Podcast über Puppenspiel und Theaterarbeit
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Putins Puppen auf der Krim Zur ukrainischen metamedialen Voodoo-Kunst
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Florian Feisel
Let’s play: first aid kit for kids Ein (vorläufiger) Erfahrungsbericht über ein theatrales Erste-Hilfe-Paket
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Bodo Birk
„Wir machen Erlangen fit“ Wie und warum das Kulturamt ein Impfzentrum organisiert
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STIPPVISITE Yaraslava Ananka ERSTE HILFE
FESTIVAL Sabine Leucht
Reiseleiter in die eigene Erinnerung? Überlegungen zu Inklusion, Barrieren und Schwellen anhand des Figurentheaterfestivals wunder. 40
Ein sich stets änderndes amorphes Gefüge Tom Mustroph im Gespräch mit Tim Sandweg über Festivalplanung in Corona-Zeiten
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Hören Sie (nicht) auf das Fahrrad! Ariel Dorons interaktive Objektperformance „Do not open!“
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INSZENIERUNG Annika Gloystein
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INHALTSVERZEICHNIS
REZENSION Jessica Hölzl
Immer im Wandel Der Sammelband „Ensemble in Bewegung“ über das Puppentheater Magdeburg
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Schweizer Theaterpreis für Kathrin Bosshard Würdigung einer Genreverfechterin
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SCHWEIZER FENSTER Franziska Burger
Jacqueline Surer Dreisprachiger Austausch Schweizer Figurentheaterszene lanciert nationale Website 48 NACHRUF Hartmut E. Lange
Nicht mehr in Rufweite Zum Tod von Frieder Simon (16.7.1936–20.6.2020)
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E N G L I S H S U M M A R I E S
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NOTIZEN / FESTIVALKALENDER
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I M P R E S S U M
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Titel: Schattentheater der Levana-Schule Schweich & Institut für Theater- und Medienwissenschaft Erlangen, Szene aus der Inszenierung „Leben im OFF“. Foto: Georg Pöhlein
Content double 43/2021 – T H E M E Barriers | Free – Access to figure theatre // Mascha Erbelding Come on in?! On access and barriers in puppet theatre // André Studt A look back at what we could not become Or: Dealing with barriers as the core of cultural work // Valeska Klug Funding puzzles and formulation issues The challenges of funding independent performing arts // Kathi Loch Relocation as an opportunity Reflections on the new presentation of the Dresden Puppet Theatre Collection // Continuity is what counts Live audio description and sign language interpretation at the tjg. Dresden // Living Matters An excerpt from Xenia Taniko's audio description of Eva Meyer-Keller's performance // Good to have a shadow An interview with Carlos Malmedy, director of the shadow theatre at the Levana School in Schweich E SSAY IN E NG LISH Emma Fisher Performing the Fractured Puppet Self Employing auto-ethnopuppetry to portray and challenge cultural and personal constructions of the disabled body D ISCOU RSE René Reith Speaking³ The double discourse no. 9 talks about talking in a digital space // Mareike Gaubitz Prick up your ears! Johanna Kunze makes a podcast on puppetry and theatre work
F L Y I N G V I S I T Yaraslava Ananka Putin’s Puppets in the Crimea On Ukrainian Metamedial Voodoo Art
FIRS T AID
Florian Feisel Let’s play: first aid kit for kids A (preliminary) field report on a theatrical first aid kit // Bodo Birk “We make Erlangen fit“ How and why a Cultural Office organises an immunisation centre F E S T I V AL Sabine Leucht Tour guides in their own recollection? Reflections on inclusion, barriers and thresholds during the puppet theatre festival wunder. // An ever-changing amorphous structure Tom Mustroph in conversation with Tim Sandweg about festival planning in Corona times S T AG I N G Annika Gloystein (Don’t) listen to the bike! Ariel Doron's interactive object performance “Do not open!” R EV I EW Jessica Hölzl Always changing The anthology “Ensemble in Bewegung” about the Magdeburg Puppet Theatre SW ISS W IND OW Franziska Burger The Swiss Theatre Prize for Kathrin Bosshard A tribute to a genre advocate // Jacqueline Surer Trilingual exchange The Swiss puppet theatre scene launches a national website ORBITUARY Hartmut E. Lange No longer within hearing distance On the death of Frieder Simon (16.7.1936–20.6.2020)
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EDITORIAL
BARRIEREN|FREI Zugänge zum Figurentheater Barrieren-frei – gibt es doch gar nicht! Stimmt: Weder sprachlich – im Singular kennen wir den Begriff aus einem inklusiven Kontext – noch inhaltlich – denn was ist wirklich frei von Hindernissen und zugänglich für alle? Die Utopie in unserer Wortneuschöpfung versucht sich die Tatsache zu vergegenwärtigen, dass es so vielfältige Hindernisse gibt wie Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Der erste Schritt zu weniger Barrieren ist, diese als solche zu erkennen. Denn erst die bewusste Wahrnehmung von Hindernissen ermöglicht, sie gezielt abzubauen und produktiv in Zugänge zu verwandeln. Das Heft verortet Barrieren in verschiedenen Kontexten – etwa gesellschaftlich, ästhetisch oder infrastrukturell – und macht deutlich, dass das Figurentheater in besonderer Weise Perspektiven zur Überwindung derartiger Hürden eröffnen kann. Mascha Erbelding zeigt in ihrem Ausflug in die Historie des Puppentheaters auf, wie sich die Selbstverortung und damit die Zugänglichkeit des Genres im Laufe der Zeit gewandelt hat. Dass ein Angebot an kultureller Bildung mitunter andere Wege nehmen kann als gewünscht, und welche Schlüsse sich daraus ziehen lassen, beschreibt André Studt. Aus einer Doppelperspektive stellt Valeska Klug Überlegungen zu einem gelingend(er)en Zugang zu Kunstförderung an, während Kathi Loch anhand des Umzugs der Puppentheatersammlung Dresden beschreibt, welchen Herausforderungen das (abgespielte) Figurentheater im Museum begegnet. Das Gespräch mit den Beteiligten vom benachbarten tjg. Dresden macht deutlich, dass inklusive Angebote wie Gebärdensprachdolmetschung und Live-Audiodeskription mit großer Selbstverständlichkeit im Theater Einzug halten können. Wie Förderschüler*innen selbst Theater produzieren, erzählt Carlos Malmedy als Leiter des Schattentheaters der Levana-Schule Schweich. Direkt im Anschluss an den Thementeil schildert Emma Fisher in ihrem englischsprachigen Essay, wie ihr durch das Puppenspiel die eigene körperliche Behinderung auf besondere Weise bewusst wurde und dass sie seitdem nicht nur ästhetische, sondern auch gesellschaftspolitische Handlungsmacht daraus ableitet. Auch in weiteren Artikeln klingt das Thema dieser Ausgabe immer wieder an: Unsere Autor*innen fragen mit Blick auf den 9. double-Diskurs sowie einen Puppen-Podcast, wie wir eigentlich über Figurentheater sprechen und es damit greif- und sichtbarer machen können. Welchen Herausforderungen Festivalmacher*innen 2020 in Corona-Zeiten begegneten, davon zeugen die Artikel zu den Festivals in München und Berlin. Über die Landesgrenzen hinaus blicken wir zudem auf politisches Puppenspiel in der Ukraine und auf spielerische Filmtutorials aus Israel; im Schweizer Fenster geht es unter anderem um eine Website, die die Schweizer Figurentheaterszene neu vernetzen will. Eine anregende Lektüre wünschen Annika Gloystein und Christina Röfer
BA R R IE R S |F R E E Access to figure theatre Barriers-free – doesn't exist! That's right. Neither linguistically (in the singular we know the term in an inclusive context), nor in terms of content. For in life, what is really free of barriers and accessible to all? The utopia in our neologism tries to visualize the fact that there are as many different barriers as there are people with different needs. The first step to fewer barriers is to recognize them as such. For it is only the conscious perception of obstacles that makes it possible to selectively overcome them and transform them into productive accessible opportunities. This edition pins down barriers in various contexts (for example, social, aesthetic, or infrastructural), and makes clear that puppet theatre can offer perspectives for overcoming such hurdles in its own specific way.
Tiefgarage des Impfzentrums Erlangen / Erlangen-Höchstadt. Foto: Jochen Hunger
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THEMA
HEREINSPAZIERT!? Über Zugänge und Abgrenzungen im Figurentheater Corona-Sommer 2020: In vielen deutschen Städten und Orten entstanden dezentrale Veranstaltungsformate, welche versuchten, die Lücke zu schließen, die sich durch den Wegfall der großen Events auftat. Monatelange Schließungen hatten den Künstler*innen und Kulturinstitutionen deutlich gemacht, wie gering die Politik ihre Relevanz einschätzte. Das dezentrale Konzept vieler Sommerveranstaltungen war nicht nur mit den neuen Hygiene-Regeln in Einklang zu bringen. Es ging auch darum, zu beweisen, dass Kunst für alle Menschen wichtig sei – sie müsse nur für alle zugänglich sein. Kunst für alle, und am besten noch von allen – kein neues Konzept, aber eines, das gut in unsere Zeit passt, die gerade so leidenschaftlich über Ausgrenzung, Privilegien und Normsetzungen diskutiert, zumindest im Kulturbetrieb. Was aber sind denn die Barrieren, innerhalb der Kunstform, auch jenseits der rein baulichen und technischen, die Kunst schwer zugänglich machen? Und wie sieht es im Puppen- und Figurentheater aus? Diesen Fragen geht Mascha Erbelding mit einem Ausflug in die Historie des Puppentheaters nach.
Publik-Spiel Von Ma sc h a E rbe l d in g /// Puppentheaterhistoriker*innen und -theoretiker*innen unterschiedlichster Ausrichtungen verorten die Herkunft des (nicht nur europäischen) Puppentheaters auf den öffentlichen Plätzen, den Jahrmärkten und im Ritual, in den Tempeln und Kirchen – also an Orten mit unmittelbarem Zugang für die Menschen. Und auch das Puppenspiel selbst, dessen Verbindungslinie zum Kinderspiel mit Puppen und Dingen einerseits und zur animistischen Belebung von Gegenständen andererseits als elementar begriffen wird, ist wohl Teil aller menschlichen Kulturen. Deshalb geht es in den meisten frühen Quellen aus dem mitteleuropäischen Raum auch nicht darum, Menschen Zugang zum Puppentheater zu verschaffen, sondern im Gegenteil darum, das Theater zu unterbinden und die Zuschauer*innen davor zu bewahren. Enno Podehl hat in seiner Untersuchung zur Lustigen Figur „Der unzeitgemäße Narr“1 aufgezeigt, wie dezidiert moralische Gründe zur Ablehnung des Puppentheaters Ende des 18. Jahrhunderts von anderen Motiven ergänzt werden: Neben der Unterdrückung der aus Improvisation entstehenden Kritik an den Herrschenden geht es auch um eine anarchische Spielfreude, um einen Zeitvertreib für das „einfache Volk“, der in Zeiten der ökonomischen Neuorganisation mit der beginnenden Industrialisierung viel weniger passend zu sein scheint als ein Theater als „moralische Anstalt“ (Schiller 1784). Während das Schauspiel im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert sesshaft und kontrollierbar wird – kurz gesagt: bürgerlich –, bleibt das Puppentheater, und insbesondere das Handpuppentheater als Publik-Spiel, teilweise noch bis ins 20. Jahrhundert hinein auf den öffentlichen Plätzen – und am Rande der Gesellschaft. Ein Beruf am unteren Ende der gesellschaftlichen Leiter, gerade beim Handpuppenspiel, ein Sammelbecken für „Quereinsteiger*innen“ aus Handwerksberufen, gescheiterte Studenten und auch Veteranen, die ihren Lebensunterhalt mit allerlei Schaustellungen zu verdienen versuchen. Und auch die Wandermarionettentheater, bei denen sich Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts neue Dynastien bildeten, waren als Fahrende Leute nicht überall gern gesehen.2 So bleibt das Puppentheater (abgesehen vom Heimtheater der bürgerlichen Dilettant*innen) zugänglich für Akteur*innen und Publikum vornehmlich aus der unteren Hälfte der Gesellschaft, zu den großen Schauspielhäusern und zur Mitte der Gesellschaft jedoch sind die Barrieren groß. Nur vereinzelt versuchen Akteure, diese Grenzen zu überwinden, etwa Josef Leonhard Schmid, der sich für sein „Münchner Marionettentheater“ (gegr. 1858) Unterstützung beim Grafen Pocci holte.
Volkserziehung oder Künstlertheater? Gerade diese Randständigkeit und die scheinbar so direkte Verbindung zum „Volk“ machte das Puppentheater attraktiv für romantisierende Rückgriffe nicht nur Anfang des 19., sondern auch Anfang des 20. Jahrhunderts. Kulturpessimistische Strömungen innerhalb der neuen Jugendbewegungen stellen die „volkserzieherische“ Kraft, die sie, in Umkehrung vorheriger Urteile über die Lustige Figur, insbesondere beim Handpuppenspiel3 sahen, in den Dienst der Bildung einer neuen Volkskultur – gerade weil es nicht zur etablierten bürgerlichen Kultur gehörte. Die neuen Akteur*innen des Handpuppentheaters setzen auf die „Volkstümlichkeit“ des Puppentheaters, um junge Menschen dem als verderblich angesehenen neuen Medium des Kinos zu entziehen – paradoxerweise zu einem Zeitpunkt, als das Puppentheater an Attraktivität für sein Stammpublikum zu verlieren scheint und die entstehende Massenkultur neue Unterhaltungsformen findet. Mit geradezu missionarischem Eifer ziehen die Spielgruppen, darunter später berühmte
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wie Max Jacobs „Hohnsteiner“, über die Dörfer. Das Puppentheater wird zum Medium der Erziehung und Bildung der Kinder, die ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Theaterpublikum mit eigenen Bedürfnissen „entdeckt“ worden waren, und des „Volkes“: Dass von der Volkserziehung der Weg zur Propaganda nicht weit ist und direkte Linien von den Jugendbewegungen der 1920er Jahre zur Hitlerjugend führen, kann hier jedoch nicht weiter ausgeführt werden. Während rührige Pädagog*innen (und später auch Demagog*innen) das Puppentheater für ihre Zwecke domestizieren, in die bürgerliche Gesellschaft holen, zugleich aber nah am Publikum bleiben, und versuchen „niederschwellige“ Angebote vor allem für Kinder und Jugendliche zu schaffen, grenzen sich andere Puppentheater deutlich von den Jahrmarktswurzeln ab. Durchaus auch unter dem Einfluss der Wiederentdeckung des Puppentheaters durch die Theaterreform der Jahrhundertwende greifen weitere neue Akteur*innen, junge Künstler*innen, insbesondere auch aus dem Bereich der bildenden Kunst, das Puppentheater für sich auf. Mit neuem Repertoire und neuer Ästhetik versuchen sie, ein kunstinteressiertes, gebildetes Publikum zu erreichen. Das „Künstlerische“ führen sie im Namen, zugehörig fühlen sie sich mehr dem Schauspieltheater als den Jahrmarktsspieler*innen, gespielt wird in Ateliers oder sogar, wie etwa im Falle des Marionettentheaters Münchner Künstler, in eigens gebauten festen Häusern. In den Zeitschriften und Vereinigungen wird über die Professionalisierung des Genres gestritten. Die Berufspuppenspieler*innen rücken Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre ihre eigenen Belange in den Vordergrund und stellen auch die Frage nach der künstlerischen Qualität des auf den Puppentheaterbühnen Dargebotenen. Dass sie damit neue Barrieren innerhalb der kleinen Puppentheaterszene schaffen, ist ihnen bewusst, erscheint ihnen aber für die Anerkennung der Ebenbürtigkeit des Puppentheaters zu den etablierten Kunstformen notwendig.4 Die Konzepte eines pädagogischen Puppentheaters und einer künstlerischen Ausdrucksform mit eigener Gesetzmäßigkeit werden nach dem zweiten Weltkrieg konsequent weiterentwickelt. Mit der Professionalisierung der Ausbildung in den 1970er und 1980er Jahren nimmt das Puppentheater eine weitere Hürde in Richtung einer den anderen Theaterkünsten gleichgestellten Kunstform. Der neuen Entwicklung entsprechend gibt es sich in Deutschland die neuen Namen Figurentheater oder Puppenspielkunst, die die Abgrenzung vom Volkstümlichen markieren. Dass man damit für einen Teil seines Publikums neue Barrieren schafft, wird erneut billigend in Kauf genommen. Für politisch engagierte Gruppen, wie etwa das US-amerikanische Bread & Puppet Theater, ist die logische Konsequenz, das Publikum auf der Straße zu suchen, und damit zurück zu den Jahrmarktswurzeln zu gehen.
Ausschnitt aus Jahrmarkts Scenen (oberer Teil). Kupferstich Verlag G. N. Renner & Schuster. Um 1820. Foto: Münchner Stadtmuseum
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THEMA
Als Theater für Kinder, gespielt nicht nur in professionellen Theaterhäusern, sondern auch als Laienspiel in Erziehungseinrichtungen, erreicht das Puppen- und Figurentheater ebenfalls heute noch ein breites Publikum – auch wenn das Puppenspiel bei den Erzieher*innen an Beliebtheit zu verlieren scheint. Anzunehmen ist, dass durch das Fehlen der Begegnung mit dem (Figuren-) Theater eine Hürde zum Theater für zukünftige erwachsene Zuschauer*innen entsteht, die es dann zu überwinden gilt.
Hybride Form Was aber ist mit dem, was auf der Bühne passiert? Welche ästhetischen Barrieren gibt es im Puppen-, im Figuren-, im Objekttheater bzw. im Theater der Dinge? Ohne nun an dieser Stelle definieren zu wollen, was „Figurentheater“ eigentlich ist, gibt es meines Erachtens zwei Merkmale vieler Figurentheater-Aufführungen, die in diesem Kontext diskutiert werden sollten. Zum einen das (Wahrnehmungs-)Spiel mit animierten Objekten. Es erfordert eine besondere Leistung der Zuschauenden, das gespielte Leben des Objekts als wahr anzunehmen, während sie zugleich wissen, dass es sich um unbelebte Gegenstände in den Händen von Puppenspieler*innen handelt.5 Oder kommt dieser scheinbar komplizierte Vorgang der menschlichen Wahrnehmung und einem angeborenen Anthropomorphismus, der sich auch im kindlichen Spiel zeigt, entgegen – unabhängig davon, ob (wie in den meisten traditionellen Formen) verdeckt oder (wie in den meisten zeitgenössischen Aufführungen) offen gespielt wird? Und ermöglicht diese Animation in der Wahrnehmung der Zuschauenden eine sogar tiefere Identifikation? Das ist mit Sicherheit dann der Fall, wenn sich das Figurentheater dem klassischen Theater mit klar umrissenen Figuren und einer Handlung annähert und eine „perfekte“ Illusion möglich wird. Die doppelte Wahrnehmung der Zuschauenden kann aber auch gezielt für Verfremdungseffekte im Brecht‘schen Sinn eingesetzt werden. Je mehr sich das Figurentheater jedoch hin zur bildenden Kunst öffnet, desto mehr sind es gerade die Brüchigkeiten6, die in den Vordergrund treten als Schwellen, die Zuschauer*innen und Spieler*innen gemeinsam überschreiten. Zum anderen bedingt die schon erwähnte Nähe zur bildenden Kunst auch den zweiten in diesem Kontext interessanten Aspekt, die starke visuelle Kraft des Figurentheaters, seine Sinnlichkeit jenseits eines literarischen Theaters. Dieses quasi im Genre angelegte Mehr-Sinne-Prinzip verleiht dem Figurentheater eine größere Zugänglichkeit, ermöglicht ihm, neue Publikumsgruppen anzusprechen – so zuletzt im „Theater für die Allerkleinsten“. Hier und in vielen anderen Inszenierungen kommt das Figurentheater oft ohne Worte aus und wird damit leichter zugänglich nicht nur für Kleinkinder, sondern auch für Menschen aus anderen Kulturen. Die in der Figur liegende Abstraktion macht es zudem leichter, in diesem Medium schwierige Themen wie z. B. Gewalt
Ausschnitt aus Jahrmarkts Scenen (unterer Teil). Kupferstich Verlag G. N. Renner & Schuster. Um 1820. Foto: Münchner Stadtmuseum
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oder Tod darzustellen. Denn die Figur ist einerseits Vermittler, ermöglicht Nähe und erlaubt den Zuschauenden andererseits, vom Thema Abstand zu nehmen. Der bewusst weit gesetzte Begriff Figurentheater – der manchen fast zu weit ist – symbolisiert eine große Offenheit der Formen. Als hybride Form, die Schnittstellen zu anderen Kunstformen sucht, die sich Spielformen aus anderen Kulturen öffnet – oder eher aneignet? – scheint das Figurentheater offener für Veränderungen als andere Theaterformen. Aber ist es deshalb automatisch offen für alle? Gerade im Bereich der Akteur*innen auf und hinter der Bühne, aber auch, was neue Publikumsgruppen angeht, gibt es etwa noch großes Potenzial. Die Voraussetzungen sind gut, es gilt sie zu nutzen. Denn um seine gesellschaftliche Relevanz zu beweisen, muss das Theater mehr Menschen erreichen, darf es nicht das Privileg weniger, sondern muss es das Recht aller sein. 1 Enno Podehl: Der unzeitgemäße Narr. Die lustige Figur im Puppentheater des 18. Jahrhunderts im Spiegel der Zensur – ein phänomenologischer Versuch zu einem Volkstheaterprinzip. In: Olaf Bernstengel, Gerd Taube, Gina Weinkauff (Hg.): „Die Gattung leidet tausend Varietäten…“ Beiträge zur Geschichte der lustigen Figur im Puppenspiel. Frankfurt a. M., 1994 (S. 75–87). Dort finden sich auch weitere Beiträge zum Puppentheater auf Jahrmärkten und Festplätzen, etwa von Lars Rebehn. 2 Insbesondere Sinti- und Roma-Puppenspieler*innen waren Ziel polizeilicher Verfolgung und Diskriminierung. 3 Siehe Benno von Polenz: Spielt Handpuppentheater! Im Auftrage des beim Sächsischen Landesausschusse für Jugendpflege begründeten Unterausschusses für Kino-Ersatz, 1920. 4 Zum „Legitimierungsdiskurs“ im deutschen Puppentheater siehe Gerd Taube: Puppenspiel als kulturhistorisches Phänomen. Tübingen 1995, S. 153–159. 5 Siehe etwa Steve Tillis‘ Konzept der „double-vision“. Steve Tillis: Towards an Aesthetics of the Puppet. Puppetry as Theatrical Art. New York u. a., 1992. 6 Siehe Meike Wagner: Nähte am Puppenkörper. Der mediale Blick und die Körperentwürfe des Theaters. Bielefeld, 2003.
„Man muss den Atem anhalten“ von Là Où beim internationalen figuren.theater.festival Erlangen 2009. Foto: Erich Malter
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EIN RÜCKBLICK AUF DAS, WAS WIR NICHT WERDEN KONNTEN Oder: Der Umgang mit Barrieren als Kern von Kulturarbeit
Das kulturpädagogische Projekt „Alles was ich bin“ wurde im Zeitraum 2013 bis 2015 im Rahmen und in direkter Anbindung an das figuren.theater.festival Erlangen entwickelt. Ideelles Initial war die Überbrückung der Zeit zwischen den Festivals, die in kontinuierlicher Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und eingeladenen Künstler*innen aus dem Genre zum Aufbau eines Ensembles führen sollte; Zielsetzung war die Produktion einer Aufführung im Rahmen des Festivals. André Studt, der an der Konzeption und Durchführung dieses Projekts maßgeblich beteiligt war, versucht sich in seinem Beitrag an der retrospektiven Aufarbeitung dieses im Endeffekt gescheiterten Vorhabens – und nutzt den Begriff der ‚Barriere‘ zur Plausibilisierung dieses Umstands. Von A ndré S t u dt /// Wenn es der Kultur um die Thematisierung von Barrieren geht, dann meist in einem Sinne der Sensibilisierung (Stichwort: Awareness) und in dessen Gefolge oft um deren Überwindung bzw. Bewältigung. Die dabei zur Anwendung kommenden kulturellen Praktiken sind, gebunden an konkrete Menschen und deren spezifische Kontexte, immer ambivalent: Sie verweisen auf das, was ist (bzw. was als Selbstverständnis zugrunde gelegt wird), und das, was sein sollte bzw. könnte (z. B. als ErAlles was ich bin, Workshop mit Neville Tranter, 2013. Foto: Georg Pöhlein
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THEMA
gebnis von Austauschprozessen, Diffusion, In- und/oder Exklusivität etc.). Die damit verbundenen Prozesse sind keine Selbstläufer, sondern komplex und konfliktbehaftet – das hat auch mit (systemisch vorhandenen) Barrieren zu tun. Das mag banal klingen, lohnt aber dennoch einer (hier ob der Kürze nur skizzierten) Betrachtung. Die konzeptionelle Entwicklung eines Projekts zum Aufbau und zur Etablierung eines jungen Figurentheater-Ensembles in Erlangen, welches die Zeit zwischen dem biennal stattfindenden Festival produktiv überbrücken sollte, kann als Gegenreaktion auf die (glücklicherweise nicht umgesetzten) Pläne zu dessen Suspendierung wenige Jahre zuvor verstanden werden. In enger Abstimmung mit den Erlanger Veranstaltern des Festivals habe ich (in Funktion der wissenschaftlichen Begleitung, aus deren Perspektive auch dieser Beitrag verfasst ist) eine Anbahnung in drei Projektphasen ersonnen, in der zunächst Kinder und Jugendliche an das Genre herangeführt werden sollten (2013), um sich dann, unabhängig und freiwillig (d. h. ohne Rahmung durch Schule etc.) zu einem Ensemble zu formen (2014), welches schlussendlich eine eigene Produktion zur Mitwirkung am Festival (2015) erarbeiten würde. Mit Bezug auf das damals frisch ausformulierte Leitbild der Stadt Erlangen zur Förderung und zum nachhaltigen Ausbau der kulturellen Bildung sowie der Perspektivierung als langfristiges, über mehrere Ausgaben des Festivals angelegtes Projekt, sollte dieses verstärkt in die Stadtgesellschaft integriert werden. Als Leitungsteam der Ensemblebildung fungierte ein Trio (die Theaterpädagogin Sonja Hilpert, der Raumbildner Mikel Klein und ich), welches einige Jahre zuvor den Aufbau eines Theaterjugendclubs am Theater Erlangen bewerkstelligt hatte. Wir gingen davon aus, dass das Angebot, welches wir interessierten Kindern und Jugendlichen nun machten und durch die exzellenten Kontakte des Festivalausrichters in die Szene und zu deren Vertreter*innen uns um so unwiderstehlicher schien, auf forsche Gegenliebe stoßen würde. Immerhin hatten wir diese Erfahrung ja bereits gemacht: Der Jugendclub am Theater Erlangen ist heute eine dort nicht wegzudenkende Selbstverständlichkeit. Aber es sollte anders kommen.
Barriere #1 – Wie schafft man Legitimation jenseits der Institution? Nachdem die erste Phase zur Festivalausgabe 20131, – in der 12 Workshops in Schulen, städtischen Horten und Lernstuben stattfanden (so waren an deren Durchführung Christoph Bochdansky, Florian Feisel, Tanya Häringer, Sigrun Kilger, Stefan Kügel, Patrick Lumma, Carlos Malmedy, Julika Mayer, Annette Scheibler, Neville Tranter, Nicola Unger und Ilka Vierkant beteiligt) und deren Ergebnisse konzentriert im Rahmen eines Schüler-Werkstatt-Tages im Festival präsentiert wurden – als Erfolg und Ermutigung für den weiteren Verlauf empfunden und gewertet wurde, kam das Projekt im Folgejahr, als es um den Aufbau des eigentlichen Ensembles gehen sollte2, schnell ins Stocken. Wenn ein Theater einen Aufruf startet, weiß das Gegenüber (vielleicht), was das Theater ist. Es hat einen Ort, eine Adresse, eine (recht große) Immobilie und verfügt über eine Infrastruktur, die darauf aus ist (ggf. sogar inklusive der ambivalenten, weil ziemlich exklusiven Awareness für eigene Zwecke), Interessierten konkret zu begegnen und dementsprechende Angebote zu machen. In unserem Fall verpuffte der vielversprechende Impuls aus der ersten Projektphase (trotz begeisterten Beteiligten, positiver Berichterstattung und vieler symbolträchtiger Fotos); die jungen Menschen waren mehr als ein halbes Jahr später kaum dazu zu bewegen, sich einem bis dahin für sie in Vergessenheit geratenen Anliegen zu widmen. Es macht einen Unterschied, ob ein etablierter Akteur Alles was ich bin, Workshop mit Ilka Vierkant, 2013. Foto: Georg Pöhlein
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des kulturellen Lebens einer Stadt ein Angebot zur Freizeitgestaltung (mit potentiell kulturell-ästhetischem Mehrwert) offeriert oder ob dieses von freischaffenden Künstler*innen, einem Hochschuldozenten und Akteur*innen eines städtischen Amtes artikuliert wird, also einem Personenkreis, der den Kindern und Jugendlichen im bisherigen Verlauf des Projekts relativ unbekannt geblieben war: Der Umstand, dass das Klientel nicht wusste, wer die hingeworfenen Fäden aus den Workshops wieder aufnehmen und das Ensemble letztlich betreuen würde, stellte sich als weitere Hürde heraus.
Barriere #2 – Wie kommt man an Menschen, die zu Mitmacher*innen werden? Der Wechsel von einer kulturpolitisch gewollten und in Logiken von (städtischen) Institutionen eingebetteten Aktion eines einmaligen und konzertierten Impulses im Kontext des Festivaljahres 2013 in eine Verstetigung als außer-schulisches Angebot misslang auch deshalb, weil diejenigen, mit denen die Ensemblebildung im März 2014 begonnen wurde – immerhin kamen ca. 30 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 15 Jahren – aus sehr heterogenen Gründen den Weg zum ersten Treffen fanden: Entweder waren sie von ihren Eltern geschickt worden, da diese das kostenlose Workshop-Angebot als willkommenen Anlass nahmen, ihre Kinder für ein Ferien-Wochenende gut versorgt zu sehen, oder sie kamen freiwillig und neugierig, waren jedoch wegen fehlender Bezugspersonen aus gewohnten Peer-Groups vereinzelt. Hinzu kamen soziale Barrieren zwischen den Teilnehmenden aus unter-
schiedlichen Schularten: Waren in der ersten Projektphase die Gruppen noch unter sich geblieben, fand im ersten Treffen außerhalb der jeweiligen Bildungseinrichtung eine Durchmischung von unterschiedlichen Klientelen (und ihren habituellen Rhetoriken und Verhaltensweisen) statt, der wir dann ziemlich hilflos gegenüberstanden. Zudem hinderte die große Spreizung der Lebensalter unser Anliegen einer Ensemblebildung.3 In jedem Fall stellte sich unsere Hoffnung, über die Anbindung an die Schulen mittelfristig an die Kinder und Jugendlichen zu gelangen und sie dann für ein Figurentheater-Ensemble zu gewinnen, als Fehleinschätzung heraus: Von den mehr als 30 Interessierten zu Beginn blieben im weiteren Verlauf immer mehr weg. Die Konkurrenz zu anderen Freizeitaktivitäten, die unregelmäßige Taktung der Ensemble-Workshops und eine mangelnde inhaltliche Verbindlichkeit erwiesen sich als weitere Hindernisse.
Alles was ich bin, Workshop mit Christoph Bochdansky, 2013. Foto: Georg Pöhlein
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Das Vorhaben, Kinder und Jugendliche als Akteur*innen der Stadtgesellschaft zu Expert*innen des Genres werden zu lassen und das Ergebnis ihrer Aktivitäten auf Augenhöhe mit anderen Gastspielen in das Festival zu programmieren, wurde zwischen den durch die Erwartungen der städtischen Kulturpolitik geweckten Bedürfnissen, endlichen Ressourcen und dem schwindenden Interesse des adressierten Klientels langsam zerrieben. Immerhin gelang eine (abgespeckte) Version weiterer Workshops und eines Schüler-Werkstatt-Tages beim Festival 2015.4 So können sich ambitionierte Ziele ändern…
Barriere #3 – Selbstbezichtigungen und Berührungsängste Mit der permanenten Neujustierung des Projekts ging auch der Blick auf die Notwendigkeit, eigene professionelle Barrieren zu befragen, verloren: Während ich seinerzeit immer fitter darin wurde, das Projekt abstrakt als Präsentation zu pitchen und konzeptionell zu modifizieren, gelang es immer weniger, diejenigen, für die eigentlich die Hauptrolle vorgesehen war, zu erreichen bzw. im Blick zu behalten. Die Barrieren, die sich während der Projektdurchführung auftaten, waren oft nur Anlass für eine pragmatische Überwindung (im Sinne des Kulturmanagements), dabei hätte es weniger Management als konkret soziales (und dann auch ästhetisches) Handeln gebraucht, vor allem, wenn es darum gehen sollte, Menschen, die sich gerade aus dem Stand des Kind- und/oder Jugendlich-Seins verabschieden wollen bzw. pubertär gegen diesen biografischen Aggregatzustand aufbegehren, ein Spiel mit Puppen und/oder Objekten nahezubringen. Im ersten Treffen waren es vorwiegend die schwer pubertierenden Jungs, die sich lautstark gegen dieses vermeintlich kindische Verhalten wehrten und nicht gewonnen werden konnten. Aber auch einigen Künstler*innen war ein Unbehagen beim ersten Betreten der Schule mit ihren Gerüchen, Routinen und Ritualen anzumerken. Das Verhältnis zwischen dem, was sie als Kunst praktizieren und dem, wo diese Praktiken ‚niederschwellig‘ platziert wurden, böte sicher Stoff für weitere Überlegungen zum Thema der Barriere. – www.alleswasichbin.de 1 Über Barrieren, die Bildungseinrichtungen zu außerhalb der eigenen Agenda liegenden Angeboten aufbauen (müssen), könnte man auch einiges schreiben. Bevor wir damals in die Lage versetzt wurden, mit Kindern und Jugendlichen in Probenräumen konkret zu handeln, mussten zunächst viele Round-Tables mit Erwachsenen absolviert werden. Das Ergebnis von 2013 ist unter http://alleswasichbin.de/projektphase-2013/ dokumentiert. 2 http://alleswasichbin.de/wp-content/uploads/2014/02/AWIB_Karte_web.pdf (Einladungskarte zur Fortsetzung des Projekts 2014). 3 Diese Umstände hätten damals (und hier im Text) viel mehr Aufmerksamkeit verdient, waren es doch eher bildungsfern sozialisierte Personen, die zu uns ins Projekt geschickt wurden (und dieses auch durch ihr ablehnendes Verhalten verunmöglicht wurde); im Nachhinein scheinen mir die publizierten PresseFotos aus der ersten Projektphase, die das Narrativ der kulturellen Bildung dekorativ perpetuieren, und unser Scheitern in der darauffolgenden, implodierenden Probenphase als eigentliche Pointe (oder als Hinweis auf die Barrieren bzw. fließenden Grenzen zwischen politischen Absichten und deren symbolischer Kapitalisierung). Den involvierten Kindern jedoch, so steht zu vermuten, ist unser (relatives) Scheitern egal – sie hatten etwas von unserem Vorhaben, so oder so ... 4 Siehe: https://www.figurentheaterfestival.de/archive/2015/index.html@p=236.html
Alles was ich bin, Workshop mit Carlos Malmedy, 2013. Foto: Georg Pöhlein
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FÖRDERPUZZLES UND FORMuLIERUNGSFRAGEN Herausforderungen von Kunstförderung in den freien szenischen Künsten Wie Kunst und Förderung einfacher zusammenfinden können, überlegt Valeska Klug in diesem Beitrag aus der Doppelperspektive der freischaffenden Künstlerin – als Teil des Duos scheinzeitmenschen – sowie der Theaterwissenschaftlerin, deren Forschungsgebiet Diskurse der öffentlichen Förderung freier szenischer Künste sind. Von Va l e sk a K l u g /// Was kann man über die Zugänglichkeit von Theaterförderung schreiben, das nicht bereits von anderen – Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, ihren Interessenvertretungen, Kulturpolitiker*innen oder Förderakteur*innen selbst – gesagt wurde? Über Hindernisse wie Eigenanteile, inkompatible Fristen, das Gießkannen- und das Jährlichkeitsprinzip, die Unübersichtlichkeit des ‚Förderdschungels‘ oder die Komplexität von Verwendungsnachweisen wird bereits seit Anfang der 1990er-Jahre diskutiert. Die jahrzehntelangen Debatten ziehen sich durch Programmhefte und Artikel, Studien und Kulturausschusssitzungen. Für manche der Probleme wurden über die Zeit Lösungsansätze entwickelt und erstritten, andere gilt es weiterhin zu bearbeiten. Während ich in den 1990ern als Kind bereits puzzelte, jedoch das Wort „Förderstrukturen“ noch nicht kannte, habe ich seit einigen Jahren gleich in zweifacher Hinsicht intensiv mit eben diesen zu tun: als Künstlerin, die regelmäßig kommunale, Landes-, Bundes- und Stiftungsmittel beantragt sowie als Theaterwissenschaftlerin, die zu Diskursen der öffentlichen Förderung freier szenischer Künste forscht. Aus dieser Doppelperspektive möchte ich zwei Aspekte des Zugangs zu Kunstförderung beleuchten, die in den einschlägigen Debatten etwas seltener vorkommen als die oben genannten.
W a s n i c h t p a s s t, w i r d ( n i c h t ) p a s s e n d g e m a c h t Wenn sich zu Beginn eines Arbeitsprozesses die Frage der Finanzierung stellt, besteht die Herausforderung vor allem darin, aus der Vielzahl von Fördermöglichkeiten die richtigen Puzzleteile zu einer Gesamtfinanzierung zusammen zu fügen. Erstens sollten Förderungen zum geplanten Vorhaben passen, was weit mehr bedeutet als zwischen Projekt-, Konzeptions-, Kooperationsförderung und vielen weiteren das richtige Förderformat zu finden. Manche haben zeitliche Vorgaben. Andere setzen Kooperationen voraus, die nicht im Sinne eines jeden Vorhabens sind. Wieder andere scheiden aus, da sie themengebunden ausgeschrieben sind und es zwar Spielräume, jedoch auch Grenzen dessen gibt, wie sehr man die eigene Idee unterschiedlichen fremden Vorgaben anpassen kann und möchte. Beult man ein Konzept in jedem Antrag in andere Richtungen aus, bleibt am Ende womöglich nur noch ein Zerrbild zurück, mit dem man zu vielen anderen Ansprüchen als den eigenen gerecht zu werden versucht. Umgekehrt kann eine ausgeschriebene Förderung durchaus auch Impuls für ein Projekt und insofern genau passend sein. In beiden Fällen bleibt eine weitere Aufgabe zu lösen, denn zweitens müssen die Förderungen miteinander kombinierbar sein, können doch nur wenige Vorhaben aus einem einzigen Topf oder mit Förderung von nur einer Verwaltungsebene realisiert werden. Verschiedene Institutionen haben mehr oder weniger unterschiedliche Förderziele, die sich in spezifischen Kriterien, Regularien und Verfahren niederschlagen. Weit vor dem Spiel mit Figuren und Objekten steht also ein Puzzlespiel, bei dem zum Vorhaben passende Förderungen gesucht und daraufhin abgeglichen werden, ob sie inhaltlich, rechtlich, mit Blick auf Fristen, Zeiträume und andere Kriterien miteinander kompatibel sind.
Der Ton macht die Muse Auf der Suche nach den richtigen Förder-Puzzleteilen für Kunstprojekte begegnet mir mitunter eine weitere Barriere, die unscheinbarer ist als klare Rahmensetzungen mit ihren Kriterien. Sie äußert sich meist in dem Gefühl, mich in manchen Ausschreibungen nicht wiederzufinden. Gründe dafür liegen nicht nur auf der Ebene dessen, was in Dokumenten von fördernden Akteur*innen gesagt wird, sondern auch auf der Ebene dessen, wie es gesagt wird – sind also eine Frage der Formulierung und der Adressierung. In vielen dieser Texte werden Künstler*innen weder direkt angesprochen noch treten sie in den Formulierungen als aktive Subjekte auf. Es sind die künstlerischen Arbeiten, denen Akteursqualitäten zugeschrieben werden und die sich mit spezifischen Themen
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befassen, aktuelle Entwicklungen im Blick haben oder mit Menschen interagieren sollen. Der Eindruck verstärkt sich zusätzlich dadurch, dass die aktive und gestaltende Rolle in den Texten oft von den fördernden Akteur*innen übernommen wird: Sie sind es, die Dinge ‚ermöglichen‘ und ‚entwickeln‘, die Entwicklungen der Szene ‚forcieren‘ und ‚Schwerpunkte setzen‘‚ die ‚Innovation anstoßen‘ und Programme ‚ins Leben rufen‘, an denen sich Künstler*innen ‚beteiligen‘ sollen – die Verben sprechen für sich. Die einzureichenden Projektbeschreibungen sollen zu den in Ausschreibungen gesetzten Kriterien ‚passen‘, zu ihnen ‚Stellung nehmen‘ oder sie gar ‚würdigen‘. Zugespitzt ausgedrückt wirken Künstler*innen in manchen Texten wie Ausführende für die Programme und Ideen der Fördernden. Es ist also nicht nur eine Frage des Inhalts, sondern auch der Formulierung, ob Letztere mit ihren Ausschreibungen zur Beantragung einladen oder eher davon abhalten. Was lässt sich aus diesen Überlegungen für eine barrieren|freiere Förderung ableiten? Förderakteur*innen können Dokumente, auch wenn es administrative Texte sind, so formulieren, dass sie Künstler*innen und deren Arbeitsprozesse wertschätzen und einladend statt abschreckend wirken. Dazu gehört auch, Künstler*innen den aktiv gestaltenden Part zu überlassen und die Rahmen so zu setzen, dass diese darin möglichst frei agieren können – was sich wiederum auf den Aspekt der Passung auswirkt. Denn je weniger Vorgaben es gibt, desto weniger Vorgaben können sich widersprechen. Künstler*innen können versuchen, eher mit den Rahmensetzungen der Förderer spielerisch umzugehen als ihre eigenen Ideen in (zu) viele Richtungen hin umzudenken. Außerhalb von Förderverfahren können sie sich, individuell wie in Verbänden, kulturpolitisch einmischen und so Förderstrukturen mit verändern. Im besten Fall führt all das dazu, dass weniger Zeit in Förderpuzzles und mehr Zeit in künstlerische Arbeit fließt. scheinzeitmenschen, Probenfoto aus der Arbeit an „Choreografie für Nebel und Objekte“ (AT). Foto: Sven Neidig
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UMZUG ALS CHANCE Überlegungen zur neuen Präsentation der Puppentheatersammlung Dresden Ende 2022 wird die Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) ihr neues Domizil in einem ehemaligen Heizkraftwerk in der Dresdner Innenstadt beziehen und voraussichtlich ab Herbst 2023 dort Ausstellungen präsentieren. Dr. Kathi Loch betreut als Projektleiterin alle kreativen, kommunikativen und organisatorischen Prozesse rund um diesen Umzug und fragt, inwiefern der „Neustart“ genutzt werden kann, um vielfältige Barrieren abzubauen. Von K a t h i L o c h /// Die Zukunft verspricht Sichtbarkeit und Zugänglichkeit: In der Südfassade des „Lichtwerks“ im Dresdner Kulturareal „Kraftwerk Mitte“ klafft ein Tor von fast sieben Metern Breite und zehn Metern Höhe, ursprünglich verschlossen durch eine bewegliche Stahlwand. Diese wurde inzwischen herausgefahren und an ihrer Stelle werden bald eine große Glasfront und, auf Straßenniveau, ein Windfang eingebaut. Das Portal am neuen Standort: monumental, transparent, nicht zu übersehen. Das sind also gute Aussichten für eine Sammlung, von der in den letzten Jahren nur Bruchteile der Öffentlichkeit präsentiert werden konnten. Doch ist es mit einer willkommen heißenden Eingangssituation schon getan?
Barrierearmut in Architektur und Ausstellung Es wäre schön, wenn die Puppentheatersammlung im Kraftwerk Mitte ein inklusiver Ort mit möglichst wenigen Barrieren sein könnte. Aber machen wir uns nichts vor: Barrierefreiheit ist eine Utopie und selbst die Schaffung von Barrierearmut wird für uns Planer*innen, Gestalter*innen, Wissenschaftler*innen und Vermittler*innen eine Herausforderung darstellen, der wir uns aber sehr gern partizipativ mit verschiedenen Zielgruppen stellen werden. Diesbezügliche Überlegungen fangen schon bei der Architektur an, denn ganz ohne Stufen kommt auch das neue Gebäude nicht aus. Raumdramaturgie und Gestaltung müssen also berücksichtigen, dass zwar die meisten Menschen die Ausstellungshalle über Treppen erreichen werden, einige aber an anderer Stelle über einen Aufzug. Immerhin werden im Ergebnis alle Besucher*innen Zugang zu allen öffentlichen Bereichen haben. Während wir mit den baulichen Gegebenheiten kreativ werden umgehen müssen, ist unser Spielraum bei der Ausstellungsgestaltung natürlich wesentlich größer. Hier kommt es darauf an, etwaige Barrieren schon früh zu antizipieren und zu eliminieren – um hinterher nicht aufwändig nachrüsten zu müssen. Ebenfalls wichtig: In der Planungsphase nicht nur über Menschen mit Behinderungen reden, sondern auch direkt mit ihnen! Auf einige grundlegende Dinge sollten wir allerdings auch von allein kommen: Texte in der Ausstellung beispielsweise müssen kurz und in verständlicher Sprache geschrieben und in großer, kontrastreicher Schrift gesetzt sein. (Das klingt simpel, ist aber keine Selbstverständlichkeit in deutschen Museen!) So gibt es viele Möglichkeiten, Ausstellungen barrierearm zu gestalten. Manche sind gar nicht aufwändig, manche aber eben doch mit Investitionen verbunden. Ressourcenbedingte Priorisierungen werden sich am Ende nicht vermeiden lassen. Das Motto lautet indes: „Inklusion kann überall anfangen, hört aber nie auf. […] Selbst wenn inklusive Prozesse nie wirklich abgeschlossen sind, lohnt sich jeder kleine Schritt.“1 Alles, was geht, hilft also und kommt zudem oft mehr als nur einer Besucher*innengruppe zugute. Verständliche Texte etwa liest jede*r gern. Viele Maßnahmen für Besucher*innen mit Behinderungen stärken zusätzlich das Bewusstsein dafür, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Zugänge zu den Inhalten einer Ausstellung benötigen. Diversität bekommt damit etwas Selbstverständliches. Das ist zum Beispiel schon jetzt ganz hervorragend im konsequent inklusiven Kinder-Museum des Deutschen Hygiene-Museum Dresden zu beobachten.
Barrierefreie Vermittlung Auch nach Eröffnung unserer Ausstellungen werden wir kontinuierlich daran weiterarbeiten, Inklusion zu verwirklichen. Zum Glück haben wir dafür Kolleg*innen wie Ramona Nietzold an unserer Seite. In der Abteilung „Bildung und Vermittlung“ der Staatlichen Kunstsammlungen ist sie zuständig für die Koordination von Barrierefreiheit und Inklusion und kümmert sich somit auch um barrierefreie Vermittlungsangebote. Sie weiß genau, wie man auch über die in der Ausstellung schon verwirklichten Maßnahmen 1 „Inklusion vor Ort. Der Kommunale Index für Inklusion – ein Praxishandbuch“, Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, Bonn 2011, S. 19–20.
Seite gegenüber: Tor vor dem Umbau in der Südfassade des „Lichtwerks“ im Dresdner Kulturareal „Kraftwerk Mitte“, 2019. Foto: Frank Höhler
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hinaus spannende Formate gestalten kann. Taktile Elemente etwa, wie Materialproben und 3D-Pläne, sind sowohl für blinde und sehbehinderte Menschen als auch für solche mit Demenz wichtig. Wenn es nicht möglich ist, sie fest in der Ausstellung zu installieren, können diese Materialien auch als „Special Tools“ in Führungen zum Einsatz kommen. Oder der Multimedia-Guide der SKD: Er kann mit einer Führung in Gebärdensprache oder einer Audio-Führung, die Exponate beschreibt und Hinweise zur Orientierung im Raum gibt, gefüttert werden.
Die Behinderung der Puppe Architektur, Ausstellungsgestaltung und Vermittlung sind Felder, mit denen sich jedes Museum im Hinblick auf die Inklusion seiner Besucher*innen – unter anderem auch dank der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen – befassen muss. Aber was ist eigentlich mit unseren Exponaten? Zugespitzt formuliert: Während wir unsere Besucher*innen inkludieren, „behindern“ wir unsere Puppen! Als Relikte einer zeitbasierten Kunstform werden sie im Museum ihrer Mobilität und ihrer Stimme beraubt und ihrem natürlichen Lebensraum, der Bühne, entzogen. Zu ihrem Schutz errichten wir Absperrungen oder präsentieren sie in Vitrinen. Das Format Ausstellung und das Sujet Puppentheater zu vereinen, erweist sich also als kniffelige Aufgabe und wirft viele Fragen auf: Wie bringen wir Menschen und Puppen miteinander in Kontakt, ohne dass die historischen Originale Schaden nehmen? Wie werden wir dem besonderen Wesen der Theaterpuppe als Bühnenfigur gerecht? Können wir die Puppen als Subjekte ausstellen und sie ihre eigenen Geschichten erzählen lassen? In der Praxis wird es immer wieder darum gehen, gute Kompromisse zwischen Theatralisierung und Musealisierung zu finden. Und viel öfter noch darum, Barrieren in der Wahrnehmung verschwinden zu lassen: durch Inszenierungen, Medieneinsatz, Ersatzhandlungen etc. Sie sind dann vielleicht noch da, stören aber nicht das Besuchserlebnis.
Ideelle Zugangsbarrieren Wenn vielfältige Zugänge gebaut und die Puppen (wieder) zum Sprechen gebracht sind, wird wohl immer noch etwas bleiben, an dem wir uns werden abarbeiten müssen: ideelle Barrieren wie zum Beispiel die Hochkultur-Barriere („Museum? Das ist doch nur Kinder-Museum des Deutschen Hygiene-Museums, Führung mit gehörlosen Kindern, 2018. Foto: Oliver Killig
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was für schlaue Leute!“), die Genre-Barriere („Puppentheater? Das ist doch nur was für Kinder!“) oder die geografische Barriere („Dresden? Das liegt doch kurz vorm Ural!“). Hier müssen wir uns fragen: Wie erreichen wir, dass überhaupt Besucher*innen zu uns kommen – und dass sie immer wieder kommen? Wie ebnen wir unseren Besucher*innen den Weg in die Welt unserer Exponate? Wie gehen wir mit Erwartungen und Vorurteilen um? Wie werden wir den Interessen und Bedürfnissen unterschiedlicher Zielgruppen gerecht: Erwachsene und Kinder, Dresdner*innen und Tourist*innen, Fachleute und Menschen, die noch gar nichts über Puppentheater wissen? Zu allen diesen Fragen gibt es erste Ideen und Lösungsansätze. Die Dresdner*innen beispielsweise wollen wir motivieren, immer wieder zu kommen, indem wir jedes Jahr eine neue große Ausstellung präsentieren, die thematisch auch jene ansprechen soll, die bislang keinen Bezug zum Puppentheater haben. Und für Kinder soll es nicht nur eine Basis-Ausstellung geben, die ihnen auf Augenhöhe begegnet, sondern auch niedrige Waschbecken und Toiletten in den Sanitärbereichen. Über solche konzeptuellen Entscheidungen hinaus ist der Abbau ideeller Barrieren aber auch mit sehr viel Kommunikation verbunden. Schon jetzt beschäftigen uns intensiv die Themen Netzwerk- und Lobbyarbeit, Sichtbarkeit im Netz (insbesondere über den Instagram-Kanal @puppentheatersammlung_skd), Gesprächsanlässe mit Bürger*innen etc. Am Ende wird natürlich auch nicht jede ideelle Barriere abbaubar sein. Wir werden damit leben müssen, dass es einfach Menschen gibt, die wir nicht erreichen bzw. die sich partout nicht für das, was wir anzubieten haben, interessieren werden. Wir aber werden alles daransetzen, denjenigen, die sich interessieren, ein spannendes und möglichst barrierearmes Besuchserlebnis zu ermöglichen. – https://puppentheatersammlung.skd.museum Aktuelle Sonderausstellung „Geschöpfe schaffen & Welten bauen“ im Jägerhof (Museum für Sächsische Volkskunst), Von Franz Zauleck gestaltete Matrioschka-Puppe in der Vitrine. © SKD, Foto: Hans-Peter Klut
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AUF DIE KONTINUITÄT KOM MT ES AN Live-Audiodeskription und Gebärdensprachdolmetschung am tjg. Dresden Seit dieser Spielzeit hat das tjg. theater junge generation Dresden seine inklusiven Angebote für hör- und sehbehinderte Menschen fest im Spielplan verankert. Im Oktober 2020 konnte die Vorstellung „Das Dschungelbuch“ noch wie geplant mit Live-Audiodeskription im Theater angeboten werden, „Rotkäppchen“ wurde als Stream umgesetzt, auch in Gebärdensprache. Für double sprach Annika Gloystein per Videokonferenz mit dem Dramaturgen Christoph Macha, mit Gebärdensprachdolmetscherin Sindy Christoph und mit Audiodeskripteur Matthias Huber über die Herausforderung, inklusive Angebote für ein junges Publikum anzubieten. dou ble : Wie kommt es zur Auswahl der Produktionen, die mit dem inklusiven Angebot versehen werden? Eignen sich „Rotkäppchen“ und „Das Dschungelbuch“ als bekannte Geschichten besonders? Chris t o p h M a ch a : Für uns als Stadttheater für Kinder, Jugendliche und Familien ist es natürlich wichtig, dass wir versuchen alle Publikumsschichten mit allen Zugangsvoraussetzungen anzusprechen. Matthias und Sindy beraten uns bei den Inszenierungen. „Das Dschungelbuch“ ist ein optisch opulentes Stück und natürlich eine starke Erzählung. Als Klassiker zieht es auch Erwachsene an. Bei „Rotkäppchen“ haben wir uns erstmals an Gebärdensprachdolmetschung für Vierjährige beim Puppentheater gewagt. S indy C h r is t o p h : Ich gehe davon aus, dass die wenigsten gehörlosen Kinder die ganzen Klassiker so kennen wie hörende Kinder. Gehörlose Kinder von gehörlosen Eltern sind sehr gebärdensprachversiert, wohingegen bei gehörlosen Kindern von hörenden Eltern die Gebärdensprache nicht ganz so präsent ist. Da kann es sein, dass weniger Vorwissen vorhanden ist. Mit einem Klassiker ist man oft auf der sicheren Seite. Feedback habe ich auch von vielen gehörlosen Erwachsenen bekommen, die sich den Stream über die Weihnachtszeit angeschaut haben. Was passiert, bis das Publikum in den Genuss eures Einsatzes während der Aufführung kommt? Matth ia s H u b er : Mein Team und ich schauen uns die Generalprobe oder die Premiere an, damit wir mit der letztgültigen Version arbeiten. Dann kriegen wir Material des Theaters: Fassung des Textbuchs, Beschreibung von Kostüm, Bühnenmaterial, Maßen usw. Aus diesen Informationen bauen wir dann zu dritt ein Skript. Dabei arbeiten wir inklusiv. Im Schreibprozess nimmt eine blinde oder sehbeeinträchtigte Person gleich den Text ab. Wenn sie es nicht versteht, müssen wir es anders schreiben. Dann testen wir das Skript vor Ort im Theater, da unser Einsatz immer in den Sprech- oder Geräuschlücken ist. Vor der Aufführung geben wir eine Einführung
Screenshots aus der Aufzeichnung „Rotkäppchen“ mit Gebärdensprachdolmetscherin Sindy Christoph
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mit grundlegenden Informationen zum Stück und eine Bühnenführung. Da können schon viele grundlegende Informationen vermittelt werden, etwa durch Haptik: Was ist das für eine Art Maske und was für eine Puppe? Damit solche Dinge nicht mehr während der Aufführung erklärt werden müssen. Dann geht es auf die Bühne, um die Dimensionen zu erfassen. Beim „Dschungelbuch“ hat sich angeboten, die Schräge nach oben zu laufen. SC : Zu zweit verschaffen wir uns einen ersten Eindruck von der Inszenierung. Wir schauen, wo unsere Stehposition auf der Bühne sein könnte und lesen uns ins Textbuch ein, um uns grob zu orientieren. Dann überlegen wir uns für die einzelnen Akteur*innen Gebärdensprach-Namen. Jedes Mal diejenigen, die gerade sprechen, zu buchstabieren, wäre eine Herausforderung. Wir vereinbaren vorab auch, wer welche Rolle übernimmt, meist eine*r die Hauptrolle und der*die andere die Nebenrollen. Das ist aber sehr abhängig vom Stück. Im besten Fall gehen wir dann noch zu einer zweiten Probe und lassen das Licht ausrichten. Ein wichtiger Teil der Vorarbeit ist, zu überlegen, wo die Zuschauer*innen am besten sitzen, sodass sie uns gut sehen und auch das Bühnengeschehen verfolgen können. Dafür muss ein Kontingent an Karten zurückgehalten werden. Wo sitzt denn das Publikum bei der Live-Audiodeskription? M H : Je weiter vorne, desto besser! Die Wucht, die von einer Bühne kommen kann, ist vorne natürlich am stärksten spürbar. Vorne sind für blinde Personen tatsächlich Lichtstimmungen wahrnehmbar und manchmal gibt es ja auch noch Restsehvermögen. Für die Menschen, die einen Blindenführhund mit in den Saal bringen, benötigt man Plätze an der Seite. Auch hier braucht es ein Kartenkontingent. Ihr seid Teil der Aufführung. Wo verortet ihr euch zwischen Dienstleistung, kreativem Handwerk und künstlerischem Prozess? M H : Wir verstehen unsere Tätigkeit in erster Linie, was die Vermittlung betrifft, als Dienstleistung. Die Art und Weise wie wir das Skript erstellen und im Gleichschritt mit der Inszenierung versuchen, diese rüberzubringen, geht schon wieder in Richtung künstlerischer Arbeit, einer Autorenschaft. Zwischen uns, hinten in einer leeren Tonloge, und der Bühne sitzt das Publikum. So können wir, sinnbildlich von hinten, in ihre Köpfe hinein. SC : Auch ich sehe uns als Dienstleister*innen. Dennoch bedienen wir uns in unserer Übersetzung verschiedener künstlerischer Elemente, die man etwa in einer Kongresssituation gar nicht so leisten würde. Die Gebärdensprache ist nun mal eine expressive und sichtbare Sprache. Wir sind schon rein optisch Teil der künstlerischen Produktion. Wie neutral könnt oder müsst ihr beim Übersetzen sein? Wie lässt sich objektiv beschreiben bzw. gebärden und gleichzeitig Charakter und Stimmung der Aufführung übertragen? M H : Wir dürfen nicht werten. Wir müssen so nüchtern wie möglich das, was wir sehen, beschreiben. Wenn es um eine Abendstimmung geht, dann benutzt man vielleicht noch den Hinweis, dass es blaues Licht ist, blaue Nachtstimmung, um es zu verdeutlichen. Die Frage ist, wie weit geht die Hilfestellung? Dies ist auch immer abhängig vom Alter. Das Bild soll sich in den Köpfen des Publikums zusammensetzen und nicht von uns vorgegeben werden. Trotzdem sollten die Worte im Einklang mit der Inszenierung gewählt werden. Wenn erforderlich, bauen wir auch Spannung auf. SC : Wenn es Geräusche gibt, gesprochen oder gesungen wird, sind wir gefragt. Neben den gesprochenen Worten übersetzen wir auch Stimmlage und Sprachmelodie. Das geht durch Mimik, aber auch durch Geschwindigkeit der Gebärden. Wir übertragen das so,
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dass die sprechende Person durch die Art der Gebärden erkennbar ist. Bei Liedern bedarf es einer besonderen Vorbereitung. Da beim Gesang der Inhalt manchmal undeutlich ist oder die Musik den Gesang leicht übertönt, müssen wir wissen, was gesungen wird. Für uns ist es eine große Herausforderung, dass wir die Darsteller*innen nicht sehen. Wir orientieren uns an ihren Stimmen. Bei „Rotkäppchen“ tragen die Figuren Mutter, Großmutter und Jäger große Pappmasken. Sie verdecken das Gesicht der Spieler*innen und so auch ihr Sprechen. Wie kann das gehörlose Publikum, das stets zwischen Handlung und Gebärdensprachdolmetschung wechselt, zuordnen, wer gerade spricht? SC : Da „Rotkäppchen“ sehr textlastig ist, ist es eine Herausforderung dem Bild und der Dolmetschung zu folgen. Was den Rollenwechsel betrifft, ist es einfach, da meist nur zwei Sprechende zu sehen sind. Ich habe beim Stream meinen Oberkörper entsprechend in Richtung derjenigen Person geneigt, die gerade dran war. Das ist eine normale Strategie, die man innerhalb der Gebärdensprache verwendet, um in Rollen zu schlüpfen. Man kann auch mit dem Blick arbeiten, etwa in dem Fall Mutter und Kind: Das Kind schaut nach oben und die Mutter nach unten. So kann man die einzelnen Rollen recht gut erkennen. C M: Das ist auch einer der Gründe, warum wir „Rotkäppchen“ ausgewählt haben. Es ist in der Struktur für Vierjährige, auch für die gehörlosen, sehr passgenau, weil es eben klare Impulse auf der Bühne gibt. Da ist die Leistung die gleiche, die auch hörende Kinder zu machen haben – sich auf das Experiment einzulassen: Ich sehe nicht, wer spricht, nur die gestische Aktion, wenn sie die Puppenmasken aufhaben.
Bühnenbegehung vor der Aufführung von „Das Dschungelbuch“. Foto: Matthias Huber
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Gibt es Spezifika beim Figuren- und Puppentheater im Vergleich zu anderen Genres? Welche Herausforderungen gibt es im Verhältnis von Spieler*in zur Figur? M H : Bei uns ist es tatsächlich so, dass die Puppe nochmal eine Ebene öffnet und eine Art Making-of-Effekt ermöglicht. Wenn eine Person auf der Bühne ist, die eine Puppe führt, dann müssen wir erwähnen, dass sie da ist, auch wenn sie schwarz angezogen ist. Die Szene im „Dschungelbuch“, in der Mogli in der Schlangengrube abgelegt wird, ist fast charakteristisch. Da haben wir uns entschieden, dass wir erst einmal in der Handlung bleiben: Der Affe legt Mogli ab. Dann machen wir einen Cut, weil sich in der Schräge der Bühne ein kreisrunder Deckel öffnet. Dieses Geräusch hört man, also müssen wir beschreiben, dass der Puppenspieler aus dieser Luke auftaucht, bis zur Hüfte zu sehen ist und mit seinen Händen Kopf und Arm der Puppe greift. Danach gehen wir bewusst wieder in die Handlung, benennen nochmal zur Verdeutlichung den Ort „in der Schlangengrube“ und mit „Mogli erwacht“ sind wir wieder auf der Spielebene. Die Art der Puppen haben wir vorher in der Bühnenbegehung geklärt. Die Kinder wissen schon, was für einen großen Kopf und riesigen Körper die Schlange Kaa hat. S C : Für mich gibt es keine Unterschiede in unserer Arbeit. Seit der UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2008 ist Inklusion als Menschenrecht definiert, das gilt auch für den Kulturbereich. Artikel 30 verlangt barrierefreie Teilhabe von Menschen mit Behinderung am kulturellen Leben. Trotzdem werden Audiodeskription und Gebärdensprachdolmetschung noch nicht an allen Bühnen praktiziert, geschweige denn kontinuierlich angeboten. Was müsste dafür geschehen bzw. was würdet ihr euch wünschen? M H : Dass die Leute die Angst verlieren mit inklusiven Angeboten anzufangen. Das tjg. hat auch erstmal mit Gebärdensprachdolmetschen begonnen und dann kam Audiodeskription dazu. Das Wollen des Theaters ist grundlegend. Es ist wichtig, Expert*innen ans Haus zu holen; Audiodeskripteur*innen in der Nähe findet man z. B. über den Hörfilm e.V.! S C : Ich würde mir wünschen, dass mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt würden. Von den Fördermittelgebern sollte auch mit beachtet werden, dass nicht nur die Dienstleistung bezahlt wird. Bei uns in Sachsen gibt es eine Servicestelle für Inklusion im Kulturbereich. Dort leisten sie eine großartige Arbeit, gehen in Kultureinrichtungen, wie z. B. in die Theater, und machen Lust auf dieses Thema. CM: Von der Landesdirektion in Sachsen werden wir gut gefördert. Sie bewilligt die Anträge zu 100 Prozent und unterstützt auch sehr unbürokratisch, sodass wir Audiodeskription und Gebärdensprachdolmetschung einmal pro Monat im Spielplan haben. Wir hoffen, dass das auch in der nächsten Spielzeit weitergeht, weil solche Angebote aus dem Etat eines Theaters schwer zu stemmen sind. Sie werden immer als Zusatzleistung beschrieben – und finanziell sind sie das, aber inhaltlich natürlich nicht. Uns liegt diese Arbeit extrem am Herzen. Wünschenswert ist, dass es einfach zur Normalität wird. Kontinuität muss der Schlüssel sein, also machen wir weiter. – www.tjg-dresden.de / www.matthiashuber.net / www.ihre-scouts.de tjg. Dresden, Das Dschungelbuch. Foto: Marco Prill
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living matters Auszug aus der Audiodeskription von Xenia Taniko zu Eva Meyer-Kellers Inszenierung Laut der UN-Behindertenrechtskonvention von 2008 ist die barrierefreie Teilhabe im öffentlichen und kulturellen Leben ein universelles Menschenrecht. Audiodeskription ist eine Barrierefreiheitspraxis, die Performance, Tanz und Theater für Blinde1 und Sehbehinderte Zuschauer*innen zugänglich macht. Die Performerin und Choreografin Xenia Taniko ist regelmäßig in Audiodeskriptionen in Berlin und deutschlandweit zu hören. Sie arbeitet dafür im Dialog mit Expert*innen wie der Sehbehinderten Künstlerin Sophia Neises und dem Blinden Autor und Fotografen Gerald Pirner. Ihre Herangehensweise unterscheidet sich dabei etwas von der im vorangegangenen Interview beschriebenen. Im Vorfeld einer Aufführung finden ebenfalls Bühnenbegehung und Tastführung statt, die bereits einen räumlichen und haptischen Eindruck des Settings vermitteln. Zusätzlich verdeutlichen Performer*innen durch Selbstbeschreibungen ihre individuelle Körperlichkeit und Identität in eigenen Worten. Ihre Praxis als Audiobeschreiberin begreift Xenia Taniko über die Serviceleistung zur Barrierefreiheit hinaus auch als künstlerische Arbeit. Ihre Audiodeskriptionen spricht sie meist live und ohne detailliertes Skript, wodurch ihr eigenes Wahrnehmen und Erkennen immer wieder Eingang in die sprachlichen Übersetzungen des Bühnengeschehens findet und sich die Beschreibungen jeden Abend aufs Neue in unterschiedlichen Nuancen verschieben. Auszüge aus ihrer Live-Audiodeskription vom 23. Februar 2020 zu dem Stück „Living Matters“ von Eva Meyer-Keller sind hier verschriftlicht. Sie vermitteln einen Eindruck davon, wie durch Sprache Bilder im Kopf entstehen können und wie das Bühnengeschehen einer Objekttheater-Produktion, in der mehrere visuelle Erzählstränge parallel laufen, auch einem Sehbehinderten und Blinden Publikum zugänglich gemacht werden kann.
Etwa in der Mitte der Aufführung […] Die Projektion ändert sich wieder und es erscheinen zwei sehr unscharfe gelbe Flecken auf einem weißen Hintergrund. Eva schaut sich die Projektion an, während sie die Kamera auf diese leuchtende Oberfläche richtet, wo Annegret jetzt … irgendetwas drüber gelegt hat.
Das Bild wird scharf und die gelben Flecken beginnen sich langsam miteinander zu vereinen, zu verschmelzen. Es scheint, dass Annegret irgendeine Flüssigkeit in die Petrischale gegeben hat und dieser riesengroße Fleck, der die ganze Leinwand füllt, und wo so Fasern drin sind … Ich glaube, es ist ein Stück Kaki, also von der Frucht Kaki, das Annegret jetzt mit irgendeiner Flüssigkeit auflöst. Es sieht aus wie ein Embryo … Das Ganze breitet sich jetzt aus, wird immer heller, vermischt sich mit dem Weiß der Oberfläche und bewegt sich ganz mysteriös. Sodass es morpht, in eine andere Form.
In einem Teil vom Bild sehe ich jetzt auch einen Finger von Annegret oder von Eva, der zittert. Und das, was vorher ein gelbes Stück Kaki war, hat sich jetzt komplett desintegriert, es sind nur noch Fasern, die rumschwimmen, und sich ganz langsam … auch wieder wie so ein Lebewesen mit Fühlern durch das Bild bewegen.
Das Bild hat sich verändert mit einem Blick auf Annegrets Experiment, die jetzt beginnt eine Brombeere mit ihren starken Händen und Fingern zu sezieren und mit einer Pinzette jede einzelne dieser Minibeeren in der Brombeere rauszuziehen und dann in einer Reihe auf einem dunkelgrünen Papiertuch auszubreiten.
Das sieht ziemlich dreckig aus und der Saft saugt sich in … das Papiertuch.
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Sie hat jetzt zwei Reihen ausgelegt von diesen Teilen der Brombeere. Ihre Finger sind mittlerweile ganz blau gefärbt, also die Finger der linken Hand, in der sie die Brombeere hält.
Tamara bewegt jetzt die Kamera langsam von dem Tuch nach oben und filmt den Körper von Annegret – hinten auf der Projektion zu sehen. Annegret hält in ihrer Hand eine Petrischale und greift sich mit dem Mittelfinger ins Auge.
Ihre Stirn glitzert und Tamara zoomt heran. Annegret nimmt jetzt ihre Kontaktlinse aus dem Auge und legt sie in die Petrischale. Sie runzelt die Stirn. Sie wischt sich die Hand ab, schaut zur Projektion.
Auf der Projektion ist jetzt eine Nahaufnahme von dem grünen Papierhandtuch zu sehen, auf dem diese schwarzen, blauen, violetten Flecken der sezierten Brombeere in dreieinhalb Reihen zu sehen sind und dadurch, dass sich die Fokussierung der Kamera aber ändert, verändert sich die Farbe von weiß im Hintergrund zu grün. Es ist ein bisschen so … es sieht einfach überhaupt nicht aus wie Brombeere, sondern es sind so kleine, runde, mittlerweile sehr große Tropfen. Und dadurch, dass sich das Licht verändert, scheinen sich diese Tropfen zu bewegen, die sich auch schon in das Papiertuch reingesogen haben.
Die Leinwand zeigt die Bühne von oben und Tamara liegt auf dem Boden, hält den Besen mit der Fegefläche in Richtung ihres Kopfes, fegt den Boden, legt den Besen jetzt hinter den linken Scheinwerfer und schiebt über ihrem Kopf, auf dem Rücken liegend, einen grauen Plastikkarton vor sich her.
Auf der Projektionsfläche erscheint eine Nahaufnahme einer anderen Brombeere, einer ganzen Brombeere, die so groß ist wie die ganze Projektionsfläche. Annegret hält sie unter die Kamera, die von Eva gehalten wird, und es scheint so, als würde sich die Brombeere zu uns bewegen, wie so ein riesiger Planet, und auszubreiten. Und es tritt so roter Saft aus der Brombeere, Annegret drückt die Brombeere gegen diese Oberfläche der Kamera – das heißt die Brombeere breitet sich über den ganzen Bildschirm aus, eine rote Flüssigkeit. Es sieht aus wie Feuerglut, die sich langsam auseinander bewegt. Teile davon bewegen sich durcheinander, schieben sich aneinander vorbei. Teile davon sind sehr schwarz, orange, rot, dazwischen sind Luftblasen und die Bewegung ist faszinierend, weil sie völlig unproportional und groß erscheint.
Hinten gehen jetzt die zwei Scheinwerfer an und Tamara richtet den Besen auf, mit dem Besenstiel senkrecht zum Boden, und schlägt den Besenstiel gegen den Boden. Eine Staubwolke erscheint zwischen den zwei Scheinwerfern, von dem Dreck, den sie im Besen gesammelt hat.
Sie klopft mit einem Handfeger auf die Besenoberfläche und der Staub sammelt sich zwischen den beiden Scheinwerfern sichtbar. Und jetzt, auf ihren Knien hebt sie über ihren Kopf den Kosmetikspiegel mit der Spiegelfläche nach oben senkrecht zum Boden und fängt den Staub auf. Sie legt sich zurück auf den Boden und hält den Kosmetikspiegel hoch, während sie in Richtung Annegret rutscht und Agata greift ihn und reicht ihn Annegret. Sie stellt ihn jetzt zwischen sich und Eva.
Niemand auf der Bühne spricht, die Stimme kommt aus einem Voice-Over. Die Projektionsfläche zeigt jetzt Staub und eine Kameralinse, die den Spiegel und durch den Staub hindurch filmt. Und dadurch, dass sie jetzt die Kamera scharf stellen auf den Staub, sieht es aus wie ein Sternenhimmel, schwarzer Hintergrund, weiße Partikel, wie die Milchstraße. […]
1 Um zu kennzeichnen, dass es sich bei den verwendeten Begriffen um eine Selbstbezeichnung von Menschen mit Behinderung handelt, werden die Wörter „Sehbehindert“ und „Blind“ hier und im Folgenden großgeschrieben.
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Gut, wenn man einen schatten hat Ein Gespräch mit Carlos Malmedy, Leiter des Schattentheaters der Levana-Schule Schweich 1992 gründete der Pädagoge an der Levana-Schule Schweich, einer Förderschule mit dem Schwerpunkt auf ganzheitlicher Entwicklung, das Schattentheater. Das Ensemble kann auf zahlreiche Gastspiele und Auszeichnungen seiner Arbeit blicken. Für double tauschte sich Annika Gloystein mit Carlos Malmedy per E-Mail unter anderem darüber aus, dass man angestrahlt werden muss, um sichtbar werden zu können. double: Schattentheater an einer Förderschule, wie waren die Reaktionen auf deine Initiative? C arlos Ma l m ed y : In den ersten Jahren haben wir Schattenfigurenspiele mit Stabpuppen im Rahmen der Schulfeste oder Tage der offenen Tür im Klassenraum aufgeführt. Zwischen 1995 und 2007 waren wir neun Mal beim Pusteblume Festival der Sonderpädagogischen Fakultät der Uni Köln zu Gast. Mit „Geschichten ohne Worte“ wurden wir 2007 zum Schultheater der Länder nach Wolfsburg als Vertreter des Landes Rheinland-Pfalz eingeladen. Das Motto „Mobil.e.Dinge“ passte zu unserem Stück wie die Faust aufs Auge. Unser Objekt-Schattentheaterstück wurde sehr gelobt. Allerdings gab es auch die Äußerung, wir würden die Schüler*innen hinter der Leinwand verstecken und unseren Jugendlichen die Fähigkeit aberkennen, vor Publikum aufzutreten. „Geschichten ohne Worte“ bekam den Ritterschlag mit der Einladung zum 9. Internationalen Schattentheater Festival Schwäbisch Gmünd. Das Stück haben wir auch 2009 beim figuren.theater.festival in Erlangen gezeigt, wo wir seitdem regelmäßig zu Gast waren. Solche Auftritte sind Highlights für die Schüler*innen, ein Gesehen-Werden außerhalb ihres Alltags, ein Schritt zu mehr Präsenz in der Gesellschaft. Ihr habt über die Jahre zahlreiche Kooperationen mit kulturellen Institutionen in der Region Trier aufgebaut. Wie sehen eure Recherchephasen aus und wie erarbeitet ihr eure Produktionen? Auf der Suche nach neuen Ideen und Spielorten habe ich in der Regel die Institutionen (Rheinisches Landesmuseum, Europäische Kunstakademie, Kulturzentrum TUFA und Bistum) in Trier aufgesucht und dort dafür geworben, meinen Schüler*innen das Lernen vor Ort zu ermöglichen. Das Landesmuseum bot sich bereits oft als Aufführungsort an. Was nach mehrmaligem Besuch einer Ausstellung von den Schüler*innen für wichtig angesehen wurde, haben wir im Unterricht konkretisiert, Hintergründe recherchiert und es dann in Schattentheaterszenen umgesetzt. Dabei entstanden natürlich sehr eigenwillige aber auch sehr authentische Szenen. Andere Inszenierungen sind als Cross-over entstanden, bei denen es uns gelungen ist, Bildende Kunst, Musik, Literatur und Theater miteinander zu verschmelzen. In Kooperation mit verschiedenen Künstler*innen haben wir Inszenierungen und Projekte erarbeitet, die im Bundeswettbewerb „Kinder zum Olymp!“ mehrfach prämiert wurden. Durch Workshops in diversen außerschulischen Institutionen konnten meine Schüler*innen und ich viele Kompetenzen wie Metallarbeiten, Drucktechniken etc. erwerben, die wiederum in die Theaterarbeit eingeflossen sind.
WECHSELSEITIG GEPRÄGTES LERNEN In der zusammen mit dem Institut für Theater- und Medienwissenschaft der FAU Erlangen-Nürnberg entstandenen Produktion „Leben im OFF“, aus der auch das gleichnamige Bilder-Lese-Buch hervorgegangen ist, thematisiert ihr Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Lebenswelt von Menschen mit und ohne Behinderung. Wie war das Aufeinandertreffen der Lebenswirklichkeiten auf und jenseits der Bühne? Unsere gemeinsamen Projekte – „…was guckst du?!!“ und „Leben im OFF“ – sind durch eine unkomplizierte Zusammenarbeit zwischen der Schattentheatergruppe und dem Institut geprägt gewesen. Für meine Schüler*innen haben sich neue, ungeahnte Möglichkeiten des Lernens eröffnet, die sie normalerweise in ihrem Leben nicht erschließen würden. Die Projekte sind ganz klar Meilensteine für ihre Integration und Teilhabe am öffentlichen Leben. Die Schüler*innen haben ihr Selbstbewusstsein gestärkt, Transferfähigkeit und Diskussionsfreude entwickelt. In beeindruckender Weise konnten sie zeigen, was Menschen mit einer sogenannten „geistigen Behinderung“ zu leisten vermögen. Nachhaltig prägten diese Erlebnisse und Erfahrungen das alltägliche Unterrichts- und Sozialverhalten. Im Miteinander bei der Entwicklung, beim Proben und beim Aufführen haben sie sich an Dinge herangetraut, die sie vorher nicht wahrgenommen haben. Das Zusammentreffen und gemeinsame Lernen mit Studierenden hat gezeigt, wie verschiedene
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„Welten“ – die eine hoch intellektuell und die andere höchst emotional – voneinander lernen und profitieren können. Die Studierenden, eher analytisch bei der Sache, waren durchweg fasziniert, von der intuitiven Herangehensweise der Levana-Schüler*innen und ihrer Expertise in Sachen Schattentheater. Die Kooperation mit André Studt und seinen Studierenden wirkt nachhaltig, viele Schüler*innen und Studierende pflegen bis heute noch den Kontakt.
KOMPETENZEN ÜBER DIE SCHULE HINAUS Mehr als 160 Schüler*innen mit Behinderung haben bis heute mit dem Schattentheater ihr Können gezeigt. Was nehmen sie in ihr nachschulisches Leben aus der Theaterarbeit mit? Einige ehemalige Akteur*innen verfolgen in inklusiven Theatergruppen ihre Leidenschaft, z. B. im Tanztheater Beweggrund Trier, betreiben Dance Ability oder spielen Theater im com.guck Theater Trier. Einige andere sind aber auch in Arbeitsfeldern beruflich unterwegs, in denen sie ihre Kompetenzen einbringen, z. B. in Seniorenheimen, Krankenhäusern oder in der DJH. Viele ehemalige Akteur*innen treffe ich in den Lebenshilfe-Werkstätten. Unisono heißt es dann: „Es war eine geile Zeit!“ Du gehst im Sommer in Pension. Was wird aus dem Schattentheater und wie gibst du dein Wissen weiter? In der TUFA werde ich Kinder- und Jugendgruppen die Kunst des Schattentheaters nahebringen. Außerdem liegen mir mehrere Anfragen von Instituten und Verbänden für Fortbildungen, Seminare und Vorträge vor. Das Schattentheater wird nicht in dieser Form an der Levana-Schule fortgeführt. Gemeinsam mit der Schulleiterin haben wir jedoch vereinbart, eine Schultheatergruppe zu bilden. Zur nächsten Landes-Sonderausstellung 2022 gibt es eine Anfrage des Landesmuseums zur Teilnahme am Ausstellungsprogramm. Mit der neuen Theatergruppe der Levana-Schule und meiner TUFA-Jugendgruppe würde ich dann dort sehr gerne eine Site-Specific Performance aufführen. – www.schattentheaterlevana.wordpress.com Schattentheater der Levana-Schule Schweich & Institut für Theater- und Medienwissenschaft Erlangen, Leben im OFF. Foto: Georg Pöhlein
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Performing the fractu red puppet self Employing auto-ethnopuppetry to portray and challenge cultural and personal constructions of the disabled body
The play “Pupa" was the apotheosis of my PhD research. The stories collected, the many wonderful books I read, the development of an exo-skeleton; these were all steps in this research, culminating in a play which wove participants’ and my narrative together with fairy tales such as Pinocchio. The below text is an extract from my 2018 PhD thesis.1 Part of this text was altered so it could be read apart from the thesis. B y Em m a Fi sh e r /// Myself and my supervisor Michael Finneran set out on this academic peregrination in 2014, and we were soon joined by a team of formidable conspirators. Initially by research participants who were a group of artists with disabilities that aided me in probing what it means to be disabled and also made up part of the team that created “Pupa".2 Through our frank interviews, I learned a lot about how disabled people view themselves, but also how they feel they are being perceived. I also learned a great deal about how I personally viewed myself and how I had let my perspective of how I was viewed affect my pride in my bodily difference.
Coming out as disabled The realisation that I had not ‘come out’ as disabled happened through a culmination of events. First, attending Ann Blake's performance of her own play “Overnight Minority Report“3 and seeing an honest portrayal of what it was to struggle with a new identity and to ‘come out’ as gay in your 30s. I had never considered myself disabled and I didn’t realise I was hiding part of myself. Blake talks about being out with her partner, her partner reached for her hand and she pulled hers away, worried what others who did not know of her sexuality would think. On hearing her talk of her hidden hand equalling her hidden identity a lightbulb went off; I too had been hiding my hand and the identity it held. A few days later, I came across a section on Ellen Samuels' paper about coming out as gay linked with coming out as disabled.
Coming out … for disabled people is a process of redefinition of one’s personal identity through rejecting the tyranny of the ‘normate’, positive recognition of impairment and embracing disability as a valid social identity.4
My coming out as disabled was an acceptance of that identity; this is an acceptance that happened for me over the course of this research and is mirrored in my play. However, the moment where I really understood how I viewed my disability was when I waited in anticipation of meeting the research participants to conduct my first group workshop session in Mary Immaculate College in 2015. I began to make a prototype puppet of myself out of paper and tape, as I was going to ask each of the participants to do the same. As I looked at what I made, I realised, I had just unconsciously made an intangible feeling in a physically real puppet. This puppet visually embodied how I saw myself. By making this puppet, I had broken the boundaries of the body and I had allowed the puppet to give physical embodiment to my thoughts and feelings. The puppet in two parts that was before me, was a body without an arm and an arm without a body; one puppeteering the other. I created an exo-skeleton with the help of open-source hand prosthetics designer and puppet maker Ivan Owen. My abled right arm operated a pulley which physically manipulated the exo-skeleton, and this exo-skeleton subsequently operated my disabled left arm which then helped operate a puppet. I wore the exo-skeleton throughout “Pupa“, however it was concealed with a robe until scene eleven where it is revealed that I was puppeteering my arm with its aid. The hiding of the device and my disability was very important, as I wanted the reveal at the end to be that this was my story, if it had been on view there would have been no ‘coming out’.
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E S S AY I N E N G L I S H
A main question driving this research was if my right hand is the puppeteer, and my left hand the puppet – are they two entities or one? By originally viewing them as two – the manipulator and the manipulated – I had subscribed to an idea that I had hoped to rupture. This idea was of the derogatory conceptualisation of the weak puppet subjugated by the powerful puppeteer. In contrast, I view the puppeteer and puppet as one, rather than being comprised of two entities; one entity making real the thoughts and feelings of the other.
Generating change In “Pupa“, by stating the participants’ and my own perspectives, I asked society to reveal their own perspective. We presented ourselves and asked the audience to view us and tell us what they thought. While I will never know the answer, I did ask the question, and questions are the first step in generating change. We put our stories and bodies out there and took pride in our difference. We are the dancer who can’t hear, the dancer who can’t walk, the song writer who could sing before he could talk, the composer who can fly, but at times finds it hard to walk, the performer with brain damage who sees twice what you see. We are the puppeteers who can’t move a hand. We are all of this, but we are much more than this. We are the unexpected, we do the unexpected, and we create art which is unexpected.
Character-Conor: Come this way, roll up roll up, for here we are other, supernatural. We are the fallen or the about to fall, the middle, the people in-between. The pupa before we emerge, we are the changed, the broken pieces. We are hiding in our bodies or in full sight, punched in the mouth from the inside.
This piece of script is a direct homage to the Ringmaster at a freak show, to the sales pitch made to bring in the crowd, and also to Shakespeare’s epilogues, where the character directly addresses the crowd to sum up the play. In the world of fairy tales and freak shows, where historically we are the fallen and twisted, we can reclaim the stereotypes of the past and rewrite our own stories. Eine deutsche Übersetzung des Textes ist einsehbar unter www.doubletheatermagazin.de 1 I have adapted auto-ethnography by combining it with puppetry to coin new methodology ‘auto-ethnopuppetry’. - Fisher, E. “Performing the Fractured Puppet Self: Employing Auto-Ethnopuppetry to Portray and Challenge Cultural and Personal Constructions of the Disabled Body." PhD Thesis, Mary Immaculate College, University of Limerick, 2018. pp. 220– 223 (some supporting sections were pulled from p. 1, p. 40, p. 42, p. 94, p. 112, p. 113). 2 Fisher, E. (2017) Pupa [theatre performance], Belltable, Limerick, 23 March 2017. 3 Blake, A. (2015) Overnight Minority Report [theatre performance], Belltable, 19 May 2015. 4 Swain and Cameron cited by Samuels, p. 237. Samuels, E.J. (2003) “My Body, My Closet: Invisible Disability and the Limits of Coming- Out Discourse", GLQ: A Journal of Lesbian and Gay Studies, 9(1), pp. 233–255.
Rehearsals shot for „Pupa“: Emma Fisher wearing exo-skeleton. Photo: © Thomas Baker
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SPRECHEN 3 Im double-Diskurs Nr. 9 wird das Sprechen digital besprochen Von Re né Re i t h /// „Wir freuen uns darauf, mit Ihnen das ‚Sprechen³‘ zu wagen“, lädt die Moderatorin Mareike Gaubitz, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Forums für Figurentheater und Puppenspielkunst in Bochum, das Publikum des doubleDiskurs Nr. 9 ein. Anstatt im Rahmen des FIDENA Festivals zusammen auf einem Podium oder in einem Gesprächskreis zu sitzen, reihen sich die Diskutant*innen und das Publikum – Kästchen an Kästchen – Ende Oktober 2020 in der Zoomkonferenz mit dem Titel „Übers Sprechen sprechen“ aneinander. Die Veranstaltung, zu der die Redaktion des Magazins inzwischen regelmäßig einlädt und die diesmal in Zusammenarbeit mit dem FIDENA Forschungszentrum entstanden ist, fand coronabedingt ihre digitale Form. Sprechen: Am Anfang stehen drei selbstaufgenommene Videos, in denen ein Trailer der Performance „Soñando el carnaval de los animales“ der Kompanie Etcétera beschrieben wird. Die Figurenspielerin Anne-Kathrin Klatt, die Projektleiterin der Puppentheatersammlung Dresden Dr. Kathi Loch und der künstlerische Leiter der Schaubude Berlin und double-Redaktionsmitglied Tim Sandweg formulieren ihre jeweiligen Seherfahrungen in drei Minuten aus dem Homeoffice. Sprechen²: Nach den drei einzelnen Statements wird ein weiterer Mitschnitt einer vorangegangenen Videokonferenz eingeblendet, in dem nun die drei Diskutant*innen mit Gaubitz zusammen die unterschiedlichen Herangehensweisen des Beschreibens aus ihren (eigenen) Videos reflektieren. Es wird deutlich, wie die Arbeitsfelder, in denen die Diskutant*innen wirken, ihr Sprechen beeinflusst haben. So legt beispielsweise Klatt, die auch tanzpädagogisch arbeitet, einen Fokus auf die Beschreibung von körperlichen Vorgängen der Figurenführung. Sandweg und Loch suchen in ihrer Beschreibung mehr nach einer Struktur, einer Art Dramaturgie, die der gesamten Performance zu Grunde liegen könnte. In allen drei Videos tauchen neben den Beschreibungen auch Vergleiche, Vermutungen und Kritik auf, die der Trailer auslöste oder die durch das Nicht-Sichtbare zwischen den zusammengeschnittenen Szenen evoziert wurden. Sprechen³: Zum letzten Teil der Zoomkonferenz ist schließlich auch das Publikum eingeladen, Teil des Gesprächs zu werden. Anknüpfend an charmante Anekdoten aus Gesprächssituationen wie dem Interview oder dem Nachgespräch nach einer Aufführung, werden inspirierende Fragen gestellt, die das Gespräch – leider nur phasenweise – vorantreiben und eher als eine facettenreiche Sammlung am Ende der Zoomkonferenz stehen: Gibt es Codewörter für die Besprechung des Figurentheaters? Welche Unterschiede bestehen im Sprechen unterschiedlicher Generationen? Ist das Sprechen „zu vorsichtig“ geworden? Der double-Diskurs Nr. 9 wartete mit einer exponentiellen Selbstreflexion auf. Auf der einen Seite wurde das eigene Sprechen und das der anderen sukzessive reflektiert. Auf der anderen Seite bildete die intermediale Konstellation von sich aufeinander beziehenden Videos in einer Videokonferenz die zentrale Form des Gesprächs im digitalen Raum. Die Komplexität von Sprechen über das Figurentheater wurde ausdifferenziert und selbst performativ hervorgebracht – worin auch deutlich wurde, dass Sprechen nicht immer Redefluss bedeutet: Gerade im Zögern, Stottern und Schweigen entstanden in dieser Zoomkonferenz die Momente des Nachdenkens und Sacken-Lassens, die neue Impulse für das Weiter-Sprechen erzeugten. Eine Aufzeichnung der Zoomkonferenz ist einsehbar auf www.double-theatermagazin.de/diskurs Screenshot vom double-Diskurs Nr. 9
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ohren gespitzt! Johanna Kunze macht einen Podcast über Puppenspiel und Theaterarbeit Von M a re i ke G a ub it z /// Johanna Kunze geht es mit ihrem Interview-Podcast „Bis in die Puppen!“, bei dem sie von José-Luis Amsler technisch unterstützt wird, um das Aufräumen mit überkommenen Klischees. Allen, die sich intensiv mit Puppenspielkunst auseinandersetzen, ist das immense Potenzial der Kunstform längst klar. Dennoch halten sich Vorurteile hartnäckig und das kann gerade während des Studiums, in dem Kunze als angehende Puppenspielerin an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch gerade steckt, sehr irritierend sein. Der Podcast soll deutlich machen, dass es sich durchaus um eine ernst zu nehmende Theaterform handelt – eine, die grausam, schamlos, politisch und vielseitig sein kann. Denn, so wird gleich in der ersten Folge klar: Puppenspiel ist nicht immer nett! Welche Wege und Motivationen führen zum Puppenspiel? Was lernt man im Studium und was kommt danach? Als Hörer*in entdeckt man die Perspektive der Studierenden im Gespräch mit Expert*innen aus ihrem Umfeld. So jagt Jörg Lehmann in der ersten Folge quer durch die Puppenspielgeschichte, von den vermuteten Anfängen des Spiels mit den Dingen bis hin zur zeitgenössischen Puppenspielkunst. Die erste Folge vermittelt Grundlagen: zur Geschichte, zu den Begrifflichkeiten und zu dem, was die Form ausmacht und was sie explizit vom Schauspiel unterscheidet. Im Interview der zweiten Folge ist die Dozentin für Sprecherziehung Jessica Leuchte zu Gast. Das Gespräch dreht sich um die Ausbildung, um das Finden der richtigen Stimme und um das, was körperlich und darstellerisch über das Sprechen hinausgeht. Danach wird es politisch, denn in der dritten Folge spricht Kunze mit der LOVEFUCKERS-Gründerin Ivana Sajevic über das Frausein in der Branche, über Quoten und Studien, gesellschaftspolitische Themen und über die Gründung der Initiative Pro Quote Bühne. In der vierten Ausgabe unterhält sich Johanna Kunze mit Lara Kaiser, ihrer Kommilitonin aus der Regie, über das Studium. Mit dem Blick auf die Zukunft der Regie sprechen die beiden über ihre Wünsche hinsichtlich offenerer Arbeitsweisen, über Entscheidungsmacht, darüber, sich selbst in der Arbeit wiederzufinden, und über mehr Möglichkeiten der Zusammenarbeit der Studiengänge. Regina Menzel, seit über 20 Jahren Dozentin für Puppenführungstechnik an der HfS, spricht in der fünften Folge über das spielerische Handwerk und dessen Vermittlung. Unserer schnelllebigen Zeit setzt Menzel Geduld und Langsamkeit als wichtige Parameter der Ausbildung entgegen und betont das nötige Reflektieren der eigenen Position und des eigenen Handelns im künstlerischen Werden. Für sie liegt der Kern der Puppenführung und des Zuschauens darin, „ganz im Jetzt zu sein“. So, sagt sie, entstehe die Magie. Der Podcast birgt seinen eigenen Zauber (Achtung: Suchtfaktor!). Durch den jeweils klar strukturierten Aufbau der einzelnen, zwischen 30 und 60 Minuten langen Folgen und der sehr sympathischen Moderation von Johanna Kunze ist er eine große Bereicherung, trägt das Format doch die verschiedenen Themen und Perspektiven der vielseitigen Kunstform in den eigenen Alltag hinein. In der nächsten Folge wird Kunze zusammen mit ihrem Kommilitonen Sean Grimm über das Thema Berufseinstieg als Puppenspieler*in sprechen – ich freue mich drauf! – https://bis-in-die-puppen.podigee.io Johanna Kunze, Bis in die Puppen! Bild: José-Luis Amsler
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PUTINS PUPPEN AUF DER KRIM Zur ukrainischen metamedialen Voodoo-Kunst Dr. Yaraslava Ananka ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Slawistik und Hungarologie der Humboldt-Universität zu Berlin. In ihrem Beitrag, der zunächst auf Englisch erschienen ist und den sie für double überarbeitet und ins Deutsche übersetzt hat, analysiert sie die subversive Kraft politischer Medienkunst am Beispiel einer Videoarbeit des ukrainischen Künstlers Antin Mucharskyj. Anhand verschiedener Puppen und Objekte zeichnet sie dabei Wege des Widerstands nach: vom Vandalismus zum Voodoo. Von Ya ra sl a va Ana n k a /// Während in Russland heute diverse Praktiken rekonstruktivistischer Aneignung an der Tagesordnung sind, ist die Entfremdung das vorherrschende Merkmal ukrainischer Identitätsdiskurse. Auf der politischen Ebene wird die sogenannte Dekommunisierung durchgeführt, Städte und Straßen werden umbenannt, sowjetische Heraldik und Symbolik entfernt. Diese sanktionierenden Maßnahmen schlagen oft in spontane ikonoklastische Aktionen um, wie zum Beispiel bei den Demontagen von Lenin-Denkmälern vor rund fünf Jahren. Doch was ist mit den verinnerlichten Idiomen und Ikonen, die nicht unmittelbar zerstört werden können? Wie vernichtet man all die tief verwurzelten Mnemotopoi und Memes, die über populäre Lieder, Filme, Radio- und Fernsehsendungen in der postsowjetischen Identität verankert und dazu noch mit persönlichen Kindheitserinnerungen verbunden sind – vor allem dann, wenn die russischen Medien sie gezielt wiederbeleben? Während sich die ukrainische Politik nur unzureichend damit auseinandersetzt, wird es zur Aufgabe der Kunst, die entsprechenden mnemonischen Kanäle und Codes medienkritisch – und das heißt auch selbstkritisch – aufzuarbeiten.
Metamediale Märchen aus dem Zombie-Kasten Für eine solche metamediale Kunst steht Antin Mucharskyj, Schriftsteller, Schauspieler, Dokumentarfilmemacher und Sänger. Als einer der umstrittensten Partisanen im Dschungel sowjetischer Symbole und Ikonen führt Mucharskyj mehrere Projekte gleichzeitig durch, die wohl bekanntesten unter dem Pseudonym Orest Ljutyj (wörtlich: Orest der Grimmige). Er bezeichnet sich selbst als singenden Professor für Anthropologie, der sich mit dem „homo sovieticus“ beschäftigt. Beispielhaft für Mucharskyj's Suche nach neuen Verfremdungsformaten steht ein im Folgenden zu analysierendes Video: „Katja-vatnica“.1 Der Titel des Clips enthält neben dem Namen Katja die Bezeichnung „vatnica“, die weibliche Form des russischen Wortes „vatnik“, mit dem radikale russische Patriot*innen, die sich nach der UdSSR sehnen und die russische „Repatriierung“ der Krim euphorisch begrüßen, pejorativ bezeichnet werden. Von Anfang an deklariert und demonstriert der Clip seine multi- und metamediale Ausrichtung. Unter Beifall öffnet sich die Bühne eines Puppentheaters (Abb. 1). Dort ist zwischen den Puppen und Spielzeugen Orest Ljutyj in einem traditionell bestickten Hemd zu sehen. Die ersten Bildeinstellungen beziehen sich auf den Vorspann der sowjetischen Kinderfernsehsendung „Zu Besuch im Märchen“ und generell auf die seit den 1960er Jahren verbreiteten Expositionen sowjetischer Märchenfilme, in denen eine alte Frau, ebenfalls in einem traditionellen Kostüm, die bemalten Flügelfenster öffnet und ihre Erzählung beginnt. Die subversive Ironie dieses intertextuellen Verweises auf das unterhaltend-erzieherische sowjetische Genre-Medium wird im weiteren Verlauf des Clips konsequent und kontinuierlich intensiviert. Die in die Inszenierung involvierten Spielzeuge sind in zwei Gruppen geteilt. Auf der linken Seite im Bild befindet sich ein dunkler Trupp von Soldaten in Uniformen und mit Munition aus den Zeiten des Bürgerkriegs und des Zweiten Weltkriegs, unter denen der Zoom der Kamera eine schnurrbärtige Stalin-Puppe sowie eine dicke, nackte, kahlköpfige Babypuppe – Katja, die Titelheldin – ausmacht. Auf der rechten Seite sind ein Panda, ein Koala und ein kleiner Eisbär als Filzfiguren mit der krimtatarischen Flagge zu sehen sowie die Stoffpuppe einer Ukrainerin in Nationaltracht. Die Spielzeuge sind nicht nur räumlich in verschiedenen Ecken der Bühne verteilt, sondern auch nach einem stofflichen und gleichsam symbolischen Prinzip angeordnet: Links gruppieren sich „harte“ Spielzeuge aus Plastik und Metall, rechts die „weichen“ aus Textilien und Wolle. Die Geschmeidigkeit des Materials deutet auf die Friedfertigkeit und Wehrlosigkeit der rechten Flanke hin, in deren Gegensatz die militarisierte, angreifende linke Flanke steht. Im Clip werden Märchen erzählt – vor allem davon, wie die Propaganda-Märchen erzählt werden. Der erste Teil des Videos ist als eine Art „Vorspann“ zu verstehen: eine besondere Art von kurzem, gereimtem oder rhythmisiertem Witz, der gewöhnlich
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nur bedingt mit dem darauffolgenden Märchen zusammenhängt und die Zuschauer*innen in erster Linie auf den speziellen Duktus des Genres einstimmen soll. Zunächst stellt Orest Ljutyj ihnen aber Fragen in Form didaktischer Rätsel, auf die er als erfahrener Kinderpädagoge und Anthropologieprofessor antworten kann (bzw. können sollte). Zentral ist dabei die Frage, woher die Sowjet-Nostalgiker*innen kommen, angelehnt an die Kinderfrage „Woher kommen die Babys?“. Der Clip paraphrasiert diese und verweigert zugleich die idiomatischen Antworten darauf: Sie seien von einem Storch mitgebracht worden oder sie wüchsen in den Kohlköpfen heran. Indirekt kristallisiert sich hier jedoch ein anderer Kern der Frage heraus, dem dann das Video nachgeht: Wer sind die – im wörtlichen Sinne – Erzeuger*innen der Sowjet-Nostalgiker*innen, und warum gibt es so viele von ihnen? Bei der Beantwortung dieser Fragen werden Worte wie „Gebissene“, „Infizierte“, „Zombies“ und ähnliche dehumanisierende und dämonisierende Ausdrücke verwendet, die nach 2014 für die Bezeichnung der Rezipient*innen und Reproduzent*innen der antiukrainischen Hetze seitens russischer Massenmedien besonders geläufig wurden. Im modernen umgangssprachlichen Russisch ist der Neologismus „Zombie-Kiste“ (zombojašcik), der zu Beginn von Putins Ära die Runde machte, inzwischen ein ˇ gewöhnliches Synonym für den Fernseher geworden. Das Video kreiert ein Bild von Konsument*innen und Verkünder*innen propagandistischer Formeln als ein Kollektiv von besessenen Untoten. Screenshot aus „Katja-vatnica“ von Orest Ljutyj
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Meme-Hacking und Adbusting Die Frage, woher die Russland-Anhänger*innen stammen, ist eine rhetorische; sie wird allerdings nicht verbal, sondern durch den Musiktrack beantwortet, der den Vorspann begleitet: Es ist die Melodie des beliebten Liedes „Moskauer Nächte“ aus den 1950er Jahren, das zum Soundtrack der schon erwähnten Sendung „Zu Besuch im Märchen“ stilisiert wird. Die Vermehrung des „homo sovieticus“ wird somit unmissverständlich geografisch und politisch in Moskau, und historisch und kulturell in der sowjetischen Vergangenheit verortet. Außerdem wird der Kanal der Verbreitung selbst aufgedeckt: Die Melodie der „Moskauer Nächte“ war nämlich das Funkrufzeichen des wichtigsten sowjetischen Radiosenders „Leuchtturm“ (Majak) und erklang zu Beginn jeder Stunde vor den Nachrichten. Die Leuchtturm-Melodie erweckt also Assoziationen und lässt instinktiv eine Nachrichtensendung Screenshot aus „Katja-vatnica“ von Orest Ljutyj
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erwarten. Die Nachrichten, die dann im Clip folgen, sind angeblich ökopolitischen Inhalts: Pandas, Koalas und Eisbären sterben aus. Diese Tiere wurden jedoch nicht zufällig gewählt, denn alle drei aussterbenden Bärenarten stellen eine wehrlose, verwundbare Gegenposition zu dem brutalen, räuberisch-grinsenden russischen Braunbären dar. Neben Fernsehen und Radio thematisiert das Video auch andere Träger idiomatischer Botschaften, wie etwa Plakate, die im Clip als dekorative Hintergrundkulisse für die Puppenaufführung dienen (Abb. 2). Die meisten von ihnen enthalten offizielle russische Slogans der Krimkampagne, die auf den triumphalen Billboards zu sehen waren bzw. immer noch sind, mit denen seit 2014 die Straßen in Russland und auf der Krim geschmückt werden. Im Video werden diese pathetisch-patriotischen Losungen und Devisen mittels „meme-hacking“ und „adbusting“ verfremdet. Diese Methoden des visuellen Aktivismus und Vandalismus dekodieren Propagandaplakate durch das Hinzufügen neuer Aufschriften oder Zeichnungen, in unserem Fall zotiger Schimpfwörter und derber Karikaturen. Das besondere „Sakrileg“ dieser Kommunikationsguerilla besteht in diesem Clip darin, dass die Plakate angeblich von Kindern gezeichnet wurden. Doch auch hier bleiben die Autor*innen des Videos den Vorbildern treu und erzählen keine Märchen: So gab es 2014 (und danach) in Russland und auf der Krim zahlreiche lokale und föderale Wettbewerbe und Ausstellungen patriotischer Kinderzeichnungen anlässlich der Krimannexion. Dabei korrespondiert die obszöne Slogan-Sprache auf den „Kinderzeichnungen“ mit der Rede der Hauptfigur Katja in der Streitszene mit der Amme, einer die Ukraine verkörpernden Stoffpuppe. Ähnlich, wie auf den Kinderzeichnungen die Rückkehr der Krim gefeiert wird und zugleich die in der russischen Propaganda idiomatisch gewordenen bösen ukrainischen Faschisten beschimpft werden, kombiniert Katja in ihrer Hass-Rede diverse Klischees der Sowjetnostalgie mit ausgiebigen Fluch-Eskapaden. Gleichzeitig stellt Katjas Gezanke mit der ukrainischen Opponentin eine erkennbare Anspielung auf politische Talkshows im russischen Fernsehen dar, die seit 2014 vorwiegend dem Thema Ukraine gewidmet werden. Szenisch und rhetorisch basieren diese Sendungen auf kommunikativer Sabotage: Ins Studio wird gewöhnlich ein*e pro-ukrainische*r Expert*in eingeladen, um dann im Laufe der Sendung jeden Redebeitrag dieser Person von den Moderator*innen, anderen Gästen und dem Publikum unterbrechen und übertönen zu lassen. Beleidigungen und sogar Handgreiflichkeiten sind inzwischen zu unabdingbaren und vom Publikum gierig erwarteten Programmpunkten solcher Fernsehdiskussionen geworden, und der Clip erinnert seine ukrainischen Rezipient*innen daran auf eine schonungslose Art und Weise, die keineswegs grotesk ist. Die Themen solcher Shows sowie anderer russischer Nachrichtensendungen werden im Video nicht nur parodiert, sondern auch wörtlich zitiert: So gibt es beispielsweise Gerüchte über die angebliche Massentötung von Gimpeln in der Ukraine, weil sie die Färbung der russischen Flagge hätten, gefälschte Meldungen über einen von ukrainischen Soldaten gekreuzigten Jungen oder die Zusicherungen des offiziellen russischen Putin-treuen Fernsehens, dass Russland fähig sei, die USA jederzeit in radioaktive Asche zu verwandeln – ganz zu schweigen von den anderen, im russischen Medienraum geläufigen, explizit homophoben und xenophoben Antiamerikanismen.
Vom Vandalismus zum Voodoo Das wichtigste Zitat und zugleich Idiom des ganzen Diskurses ist dabei die Zauberformel und Devise „Die Krim ist unser“, auf Russisch: „Krym naš“. Ein winziger Satz und damit eine sehr ökonomische und poetisch-ideologisch umso wirksamere Phrase: zwei Silben, zwei Lexeme, von denen das eine, „Krym“, ein Ausdruck privater Nostalgie und zugleich kollektiver revisionistischer Revanche ist, das andere hingegen, „naš“ (unser), ein kollektivierendes Possessivpronomen von imperativer Zustimmung. „Krym naš“ – diese performative Parole, das Passwort, das Motto, das Mantra – kann ebenso wenig wie die anderen Bilder einfach aus dem Kopf des „homo sovieticus“ verschwinden. Katja, die Krim-Puppe Putins, ist besessen von sprachlichen und bildlichen Diskurs-Dämonen, die der Clip durch metamediale Exorzismen auszutreiben versucht. Vergeblich: Der tanzende und maskierte Sänger mit einem Hundeschädel auf der Brust beißt schließlich mit exzessiver Wut den Kopf der Puppe ab. Orest Ljutyjs videoanthropologische Untersuchung des „homo sovieticus“ ist zu Ende: Die ukrainische Kunst – und es ist eine Kriegskunst, denn der Krieg gegen Russland in der Ostukraine geht weiter – bekennt sich zu ihrer Verzweiflung. Davon zeugt nicht zuletzt der Übergang vom ikonoklastischen Vandalismus zum Voodoo.
1 Das Video „Katja-vatnica“ ist hier einsehbar: https://www.youtube.com/watch?v=-Yn3L-6ZJbI
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ERSTE HILFE
LETʼS PLAY: FIRST AID KIT FOR KIDS Ein (vorläufiger) Erfahrungsbericht über ein theatrales Erste-Hilfe-Paket „Let‘s play!“, schreit die Hand der Puppenspielerin Gony Paz. Mit auf Heftpflastern aufgeklebten Augen schaut sie in die Kamera und spuckt eine Klopapierrolle aus. So startet ein 5-minütiger Film mit unzähligen Papprollen und Händen – aus denen man offenbar fast alles machen kann, von Kronen über Armbanduhren und Hasengesichtern bis hin zu Schreihälsen. Florian Feisel war in das israelisch-deutsche Projekt „Band-Aid“ (amerik. für Heftpflaster) involviert. Er berichtet über die Spielfreude beim Erschaffen einer Welt aus dem Nichts, aber auch über den wenig spaßigen Hintergrund dieses theatralen Hilfsprojekts. Von F l o ri a n F e i se l /// Im Jahr 2018 brachte das in Jerusalem ansässige Train Theater in Kooperation mit dem dortigen GoetheInstitut Puppenspieler*innen aus Israel und Deutschland – Antje Töpfer, Florian Feisel, Gony Paz, Shay Persil und Sarah Chaudon – mit zwei Filmschaffenden – Yair Moss und Yoav Cohen – vor Ort zusammen. In einer dreitägigen Hau-Ruck-Aktion wurden zwei Filme produziert, mit Klopapierrollen und Heftpflastern. Ein Jahr später kam das Team erneut in Jerusalem zusammen, um drei weitere Filme aufzunehmen, die sich jeweils einem von drei Materialien widmen: Spülschwämmen, Plastikflaschen und Papier – al-
lesamt Dinge, die einfach zu finden oder zu beschaffen sind und die nichts oder wenig kosten. So verspielt und anarchisch diese fünf Filme daherkommen, so ernst ist der Anlass ihrer Produktion: Eltern und Einrichtungen, die sich nicht kümmern – oder kümmern können – und Kinder, die darunter leiden.
Digitale Handarbeit aus der Not heraus Bereits 2017 hatte Wolf Iro, damaliger Leiter des Goethe-Instituts in Israel, zusammen mit seiner Kollegin Yael Goldman die oben beschriebene Initiative aufgrund von alarmierenden Zuständen in privaten Betreuungseinrichtungen in Tel Aviv gestartet. Bis dato existierte dort, trotz großen Bedarfs, keine staatlich organisierte Kinderbetreuung für unter Vierjährige. Dieser Mangel betraf auch geflüchtete Familien, die aus dem Sudan über die ägyptische Grenze nach Israel gekommen waren und dort ohne rechtlichen Status leben. Da die Eltern meist schlecht bezahlten Arbeiten, oft auf dem Schwarzmarkt, nachgehen, müssen die Kinder zum Teil von 7 bis 20 Uhr versorgt werden. Dies geschieht in privatwirtschaftlichen Einrichtungen, genannt „Babysitter“. Es sind zweckentfremdete Wohnungen, in denen sich oft nur zwei Erwachsene um bis zu 50 Kinder kümmern, vom Kleinkind bis zum Sechsjährigen. Nachdem die katastrophalen Bedingungen in den „Babysittern“ – z. B., dass es dort auch Vier- bis Fünfjährige gab, die noch nicht sprechen konnten – an die Öffentlichkeit kamen, hat sich die Situation dort deutlich gebessert und inzwischen lassen einige dieser Einrichtungen den Besuch von ehrenamtlichen Helfer*innen zu. Diese Volontär*innen kommen aus den unterschiedlichsten Berufen und sind hochmotiviert, sich mit den Kindern zu beschäftigen. Oft fehlen ihnen jedoch Mittel und Methoden dafür. Das führte unser Team zu der Idee, filmische Anregungen zu produzieren, die den Betreuer*innen helfen können, die Kinder spielerisch zu erreichen. Train Theater Jerusalem, Screenshots aus dem Film „Cardboard roll“ des Projekts „Band-Aid“
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ERSTE HILFE
Immaterielle Barrieren Als die ersten Filme „im Kasten“ waren, schien es, als wäre die Arbeit geschafft – ähnlich wie nach einem Live-Auftritt klopften wir uns auf die Schultern. Jedoch hatte es bisher noch keine Zuschauer*innen gegeben. Mit einer gewissen Naivität waren wir davon ausgegangen, dass wir mit diesen Filmen digitale Tools produziert hatten, die andere Menschen fast automatisch zu Multiplikator*innen machen würden – sollten sie doch dazu inspirieren, selbst als Puppenspieler*in aktiv zu werden. Leider ist dieser Plan bislang noch nicht aufgegangen. Die Filme zu produzieren war erst der Anfang der Arbeit. Der künstlerische Leiter des Train Theaters, Shahar Marom, brachte es auf den Punkt: „Mittlerweile sind alle der digitalen Angebote überdrüssig. Es nützt nichts, mehr Information bereitzustellen – es geht darum, Aufmerksamkeit für diese Informationen zu schaffen.“ Die Kurzfilme von „Band-Aid“ sollen wahrgenommen und vor allem genutzt werden, sollen dazu inspirieren, selbst Material in die Hand zu nehmen, ins Spiel zu kommen. Was muss getan werden, damit die Ideen hinter den Filmen den Weg von den Bildschirmen ins „echte“ Leben finden?
Drei Ansätze von digital zu analog Das Train Theater gibt die Filme an interessierte Volontär*innen und Erzieher*innen weiter, wenn diese sich dafür auf ihrer Website anmelden – denn so kann die Arbeit begleitet und auch ausgewertet werden. Diese virtuelle Barriere des Einschreibens (subscribe) bewirkt zwar eine gewisse Verbindlichkeit, hält aber vermutlich gerade dadurch auch potenzielle Nutzer*innen ab. So wurden auf diesem Wege bisher nicht sehr viele Menschen erreicht. Auf einem anderen Weg hätte es das Train Theater vor rund einem Jahr fast geschafft, das Projekt mit einem Schlag bekannter zu machen: Die Kunst- und Theaterabteilung des israelischen Ministeriums für Erziehung hatte zugesagt, im Juni 2020 „Band-Aid“ ganz offiziell allen Kindergärten des Landes zugänglich zu machen. Doch dann kam das Corona-Virus …
Ein weiterer Ansatz die Filme anzuwenden, erfolgt in einem online-live Format. Shay Persil, eine der beteiligten Puppenspielerinnen, spielt per Videokonferenz mit den Drei- bis Sechsjährigen und deren Eltern – unsere Filme sind dazu ein Türöffner. Dabei regen die vorproduzierten Aufzeichnungen zu Spielvorgängen an, die interaktiv und live stattfinden – das Prinzip des Agierens vor der Kamera bleibt also erhalten.
„Kreative Superspreader“ gesucht Beim Projektstart bekamen wir als Team einen Einblick in die katastrophale Situation der „Babysitter“ – so sehr sie mich persönlich schockierte, so fern schien sie mir aber auch von meinem eigenen Lebensumfeld zu sein. Ein Jahr Pandemie hat mein Bewusstsein dafür verändert: In jeder Nachbarschaft können Kinder einsam sein. Keine neue Erkenntnis, aber sie führt zu einer dringlichen Frage: Auf welchen Wegen können wir Kinder in ihrer Isolation erreichen? Können unsere Filme dabei hilfreich sein? Und wenn ja, auf welchen Plattformen sollten sie präsentiert werden, wie können sie aktiv verbreitet werden? Denn die Aufgabe, dieses Angebot bekannter zu machen, scheint dringender denn je. Um alle fünf Filme einfacher zugänglich zu machen, sind sie zunächst auf meiner Homepage abrufbar – langfristig suchen wir aber auch hierzulande eine institutionelle Anbindung und jemanden, der sich aktiv um die Verbreitung der Filme kümmert (Ideen und Anregungen dazu sind herzlich willkommen). Es wäre zu hoffen, dass der nächste Run auf Klopapier der Beschaffung von Bastelmaterial dient. – www.traintheater.co.il/en/project/bandaid / www.florianfeisel.de/band-aid
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ERSTE HILFE
„Wir machen erlangen fit“ Wie und warum das Kulturamt ein Impfzentrum organisiert Bodo Birk, Leiter der Abteilung Festivals und Programme im Kulturamt der Stadt Erlangen und des internationalen figuren.theater. festivals Erlangen, beschäftigt sich aktuell zusätzlich zu den kulturellen Planungen mit dem Management des Erlanger Impfzentrums und gibt im Folgenden einen Einblick in diese Arbeit.
Von B o d o Bi rk /// Termine planen, technische Anforderungen prüfen, Material anmieten, Abläufe koordinieren, Personal gewinnen, Pressearbeit, Kommunikation … Das könnte ein ganz normaler Jahresbeginn sein im Kulturamt der Stadt Erlangen. Der Beginn eines Jahres mit einem internationalen figuren.theater.festival. Aber was ist schon normal, seitdem das Corona-Virus aufgetaucht ist und die Welt verändert hat? Am Freitag, den 13. November, erreichte das Kulturamt ein folgenreicher Anruf des Erlanger Oberbürgermeisters. Die Stadt Erlangen würde ein Impfzentrum für die 250.000 Einwohner*innen der Stadt und des Landkreises Erlangen-Höchstadt aufbauen und betreiben müssen. In vier Wochen, so die Vorgabe der Staatsregierung, müsse das Zentrum startbereit sein. Und wer sei für diese Aufgabe besser geeignet als das in Sachen Großveranstaltungen erfahrene Festivalteam? Schnell haben wir im Kulturamt verstanden: Es handelte sich um keine Anfrage. Impfzentrum Erlangen / Erlangen-Höchstadt. Foto: Jochen Hunger
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ERSTE HILFE
Zur Verteidigung der Stadtspitze sei betont, dass der Oberbürgermeister bis heute bei jeder Gelegenheit deutlich macht, dass er nicht etwa deshalb so entschieden hat, weil er glaubt, dass Kulturämter in Pandemie-Zeiten nichts zu tun hätten. Florian Janik weiß sehr wohl, dass seine Kulturverwaltung die wichtige Aufgabe hat, Künstler*innen Perspektiven zu bieten und die Jahresplanungen ständig den Inzidenzzahlen anzupassen, um startklar zu sein, sobald wieder etwas möglich ist. Nein, er war und ist tatsächlich der Auffassung, dass wir die Aufgabe am besten bewältigen können. Wir verstehen das inzwischen. Eine „Spielstätte“ musste gefunden werden, die den Anforderungen entspricht. In unserem Fall ist es ein rund 2.000 Quadratmeter großes ehemaliges Sportkaufhaus in der Innenstadt. Es musste vollkommen entkernt werden, Wände wurden herausgerissen und neu eingefügt, Beleuchtung, Heizung, Lüftung und Sicherheitstechnik installiert, eine Gesundheitseinrichtung nach aktuellen Hygienestandards geschaffen. Nur der Werbespruch des ehemaligen Sporthauses an der Decke des Treppenhauses ist geblieben: „Wir machen Erlangen fit“.
Die Dramaturgie des Impfens Die Abläufe des Impfprozesses wurden an das Gebäude angepasst, Kapazitäten berechnet und Sicherheitskonzepte entwickelt. Wenn man Erfahrung damit hat, wie eine Ausstellung aufzubauen ist, hilft das dabei, einen intuitiven Ablauf zu planen. Dem Impfzentrum Erlangen sieht man an, dass sich Designer*innen und Architekt*innen um das „Bühnenbild“ gekümmert haben, die Terminvergabe eines Impfzentrums hat überraschend viele Gemeinsamkeiten mit dem Veranstaltungs-Ticketing, vor Ort kümmern sich die Kolleg*innen des Erlanger Kulturzentrums E-Werk freundlich und hilfsbereit um das „Publikum“. Und als sich im Januar dann zum ersten Mal die Türen des Impfzentrums öffneten, fühlte es sich an wie bei einer Premiere. Üblicherweise wartet man nach der Premiere gespannt auf die ersten Kritiken. Wer hätte gedacht, dass man einmal morgens die Zeitung aufschlägt und hofft, keinen Artikel über die eigenen Aktivitäten darin zu finden. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für ein Impfzentrum zu machen, ist eine vollkommen neue Erfahrung. Es gleicht dem Kampf gegen die Hydra: Jede Frage, die man zu beantworten versucht, jede investigative Enthüllung, die man mühsam entkräften konnte, löst neue kommunikative Flächenbrände aus. Jede einzelne Impfdosis wird argwöhnisch beobachtet, und üblicherweise freundliche Lokalredaktionen entwickeln ungeahnten Ehrgeiz in der Kreation reißerischer Überschriften. Wie beneidenswert, dass normalerweise eine schlechte Kritik das Schlimmste ist, was uns passieren kann.
Katastrophenschutz ist kein Ponyhof Die Liebe zum Publikum ist das, was uns in der Kulturarbeit antreibt. Auf die Wünsche und Bedürfnisse jede*r einzelne*n Besucher*in einzugehen, jede Nachfrage individuell zu beantworten, den letzten einigermaßen vertretbaren Treppenplatz zu ermöglichen, den Besuch unserer Veranstaltungen zu einem angenehmen Erlebnis zu machen. Ich glaube, deshalb organisieren wir in Erlangen auch ein sehr menschliches Impfzentrum. Auch wenn die Besucher*innen im Fachjargon „Impflinge“ sind. Aber, „Pandemie-Bekämpfung“, so unser Oberbürgermeister, „ist kein Ponyhof“. Wir müssen auch lernen, dass wir uns vor lauter Freundlichkeit nicht verzetteln dürfen. Dass es im Katastrophenfall darum geht, möglichst vielen Menschen möglichst effizient zu helfen, und dass Einzelschicksale manchmal in den Hintergrund treten müssen. Als das Kulturamt in das Gesundheitswesen eingestiegen ist, betonte Erlangens Kulturreferentin Anke Steinert-Neuwirth, dass die Kultur in diesem Jahr aber nicht darunter leiden dürfte. Ein frommer Wunsch, wie sich im Nachhinein herausgestellt hat. Mobile Teams in Alten- und Behinderten-Einrichtungen, Änderungen in der Impfpriorisierung, neue Vakzine und aktuell die Aufgabe, drei weitere Impfzentrums-Außenstellen im Landkreis zu errichten. Von Routine keine Spur. Inzwischen arbeiten über 200 Menschen im und rund um das Impfzentrum, ein 500 Quadratmeter großes „Festivalbüro“ ist entstanden und wenn die Telefonhotline dort überlastet ist, springen schon einmal die im Kulturamt verbliebenen Kolleg*innen ein, nehmen Registrierungen vor und beantworten Fragen. Dennoch bereiten wir weiterhin das internationale figuren.theater.festival 2021 vor, das als Spezialausgabe vor allem in Form von Veranstaltungen im öffentlichen Raum, mit Sonderformaten und digitalen Projekten vom 7. bis 16. Mai stattfinden soll. Meine Mitarbeiter*innen müssen noch mehr Verantwortung für die Programmplanung und die Organisationsstrukturen übernehmen, als sie es sonst schon tun. Und ich mache gerade einen Intensivkurs darin, Verantwortung abzugeben und den Kompetenzen meiner Kolleg*innen noch mehr zu vertrauen. Zwei große Aufgaben sind zu bewältigen: Künstler*innen Auftritts- und Verdienstmöglichkeiten und vor allem Perspektiven zu bieten, und die Pandemie zu bekämpfen. Wir finden beides gleichermaßen wichtig und sind dankbar, unseren Beitrag leisten zu dürfen.
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REISELEITER IN DIE EIGENE ERINNERUNG ? Überlegungen zu Inklusion, Barrieren und Schwellen anhand des Figurentheaterfestivals wunder. Unter dem neuen Namen „wunder.“ fand vom 17.10. bis 1.11.2020 das Internationale Figurentheaterfestival in München statt. So kurz vor dem abermaligen pandemiebedingten Lockdown der Kulturszene mussten die Macherinnen einige organisatorische Hürden nehmen – und befragten mit ihrem Programm auch inhaltlich verschiedene Dynamiken von Nähe, Distanz und Zugänglichkeit. Von S a b i ne L e u c h t /// Demenz? Nein! Was in Marthas Denken und Fühlen anders ist, nannte ihr Mann ihre „poetische Verfassung“. Doch nun ist er tot und Martha braucht Hilfe. Die Uraufführung von „Martha“, die im Oktober 2020 beim Internationalen Figurentheaterfestival in München zu sehen war, basiert auf Martina Bergmanns autobiografischem Roman „Mein Leben mit Martha“. Ihre Themen: wahlfamiliäre Sorge, Selbstfindung und -verlust, Angst vor dem Alter und deren Zerstreuung. Regisseur Philipp Jescheck hat Statements von zwölf Münchner Senior*innen aufgezeichnet, deren Lebensbilanzen die im Stück geschilderte Situation nur akustisch rahmen. Dort lebt die alte Dame mit der Buchhändlerin Martina zusammen. Man hilft einander, oft quer zu den Erwartungen, und trotzt den Anfeindungen von außen. Drei Schauspieler*innen und eine Puppe erzählen diese Geschichte zwischen Stapeln von Büchern. Die Puppe – gebaut von Peter Lutz, geführt von Julia Giesbert – ist Martha: Eine zerbrechliche Schönheit mit der altersfleckigen Haut einer Achtzigjährigen und dem würdevollen Blick einer Königin. Ihr schlanker Körper steckt in einem ärmellosen roten Kleid, und um den Kopf hat sie locker ein dekoratives Tuch geschlungen. Ich denke an meine Oma, die noch im hohen Alter auf ihr Aussehen achtete, und an andere alte Damen, die wie Martha mit 50 Jahren eine Doktorarbeit bei Niklas Luhmann geschrieben haben könnten. Die Besetzung der Titelrolle mit einer Puppe lässt diese Assoziationen zu. Das unbewegliche Gesicht behält sein Geheimnis für sich, während die Wahrnehmung aus dem Schwung eines Wangenknochens oder einer mädchenhaften Geste ihre individuellen Erkenntnisse zieht. Wenn wir über Barrieren und Schwellen reden, muss auch diese hinein: Die Schwelle, die die eigene Fantasie im Theater zu überschreiten hat und die Puppen dieser Art senken können. Und auch wenn der Abend keine wirklich runde Sache geworden ist und vor allem das Schauspiel oft so überdeutlich wirkt, dass man sich fragt, ob es sich wirklich an Erwachsene richtet, lassen sich anhand dieser Produktion die Schwellenfragen durchdeklinieren: Die Kulturbühne Spagat, die mitten in einer soziokulturell durchmischten Nordschwabinger Neubausiedlung liegt, ist barrierefrei zugänglich. Ihr Träger ist der Verein Horizont, der sich um wohnungslose Mütter kümmert, daher sind auch die Preise moderat. Senior*innen wirkten mit, aber in einem ästhetisch wie formal klar abgesteckten Rahmen. Der Abend beschreibt eine soziale Utopie des Füreinander-Daseins, ohne die Schwierigkeiten auszublenden.
Fruchtbare Barrieren Der neue Name, den sich die Münchner Figurentheater-Biennale gegeben hat, passt bestens zu diesem Mit- und Ineinander von Freud und Leid: „wunder.“ wird ausgesprochen wie „wunder Punkt“, lässt aber das „Wunder“ mitklingen. Um das Festival im Oktober mit 30 Produktionen aus Tschechien, Frankreich, Israel, Deutschland und der Schweiz durchführen zu können, mussten Festivalleiterin Mascha Erbelding und ihre Mitstreiterinnen vom Verein Kultur und Spielraum und der Schauburg ein mittelgroßes (Um)Planungs-Wunder vollbringen. Dabei gelang es einigen der alternativ eingeladenen oder coronakompatibel gemachten ProEnsemble Materialtheater, Im Notfall nicht die Scheibe einschlagen! Foto: Daniela Wolf
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duktionen sogar, die Barrieren, die die Pandemie mit sich bringt, inhaltlich wie ästhetisch fruchtbar werden zu lassen. So steckte etwa das Stuttgarter Ensemble Materialtheater in „Im Notfall nicht die Scheibe einschlagen!“ vier Akteur*innen einzeln in rollende Glaskästen, wo sie mit Trippelschritten, Klopapier und melancholischem Witz den westlichen Individualismus ad absurdum führten. Andere „Corona-Produktionen“ wiederum senkten ganz praktisch die Zugangs-Schwelle. So konnten Kinder und Erwachsene per Zoom den 250. Geburtstag einer Schildkröte feiern (United Puppets: „Weil heute mein Geburtstag ist“) oder bei der 16 Meter großen schwarzen Kasparine „Punch Agathe“ von Gütesiegel Kultur* auf unterschiedlichen öffentlichen Plätzen einfach so vorbeikommen. Und die beiden Festivalhighlights waren aufgrund des Umzugs in den Innenhof des Münchner Stadtmuseums barrierefrei zu sehen: Matija Solces Wahnsinns-Solo „Happy Bones“ vom tschechischen Teatro Matita, in dem ein knuddeliger Panda die Hand in seinem Hintern loswerden will und damit den Tod wählt – oder die Einladung des Théâtre de l'Entrouvert zu einer Reise in die Geisterwelt: „Traversées“ ist ein traumschönes Stationendrama, in dem Élise Vigneron mit einer ganzen Reihe von künstlichen Körpern fusioniert und hantiert. Man kann in die Entschlüsselung des Abends unheimlich viel Wissen hineinpacken über Bildende Kunst oder Patrick Kermanns Überlegungen zu Zwischenwelten, die die Gruppe inspiriert haben – aber man kann auch einfach in die betörende Schönheit der Bilder eintauchen, ohne jedes Vorwissen und damit über Klassen- und Generationengrenzen hinweg.
Unmittelbare Reaktionen Die Erfahrung, dass insbesondere Demenzkranke oft unmittelbar auf Puppen reagieren, stand am Ausgangspunkt der Installation „Die Resi und der Kasperl“ der Münchner Gruppe What you see is what you get. Mit sieben Bewohner*innen eines Seniorenzentrums haben die Theatermacher*innen die Figurentheatersammlung des Münchner Stadtmuseums besucht und anschließend drei Typen von Hör- und Schau-Stationen gebaut, die ebendort noch länger zu besichtigen und zu belauschen sind: Kurze Videointerviews, animierte Szenen, in denen Figuren der Ausstellung mit den Konterfeis der Senior*innen und ihre Alltagserfahrungen mit bekannten Geschichten verschmelzen, und binaurale Audioaufnahmen. Letztere sind für mich am spannendsten, weil man im Kopfhörer die Stimmen der Damen hat (und sehr selten auch die des einzigen, stillen Herrn) und die ganze Dynamik zwischen ihren mürrischen und sonnigen Gemütern, zwischen naiver Neugier, spontanen Eingebungen und beflissener Bescheidwisserei – und vor der eigenen Nase die Vitrine mit den Puppen, in denen sie „den Araber“ erkennen, einen Pfleger und ziemlich viele Teufel. Witziges, Trauriges und Staunenswertes tut sich da auf und es wird klar, dass Puppen als Reiseleiter in die eigene Erinnerung fungieren können. Einfach, indem sie da sind. – www.wunderpunktfestival.de Kulturbühne Spagat, Sneak Peak zu „Martha“. Foto: Theater
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EIN SICH STETS ÄNDERNDES AMORPHES GEFÜGE Tom Mustroph im Gespräch mit Tim Sandweg über Festivalplanung in Corona-Zeiten Kurz vor Eröffnung des internationalen Festivals Theater der Dinge entschied sich die Politik aufgrund der steigenden Corona-Fallzahlen für die abermalige Schließung aller Kultureinrichtungen. Für double sprach Tom Mustroph mit dem künstlerischen Leiter Tim Sandweg über Strategien der Festivalplanung in Pandemiezeiten, die in diesem Fall eine Durchführung trotz „Lockdown light“ ermöglichten. Tom Mustroph: Kuratieren verlief im abgelaufenen Jahr anders, möglicherweise sogar leichter. Festivalkurator*innen hatten keinen Reisestress und mussten sich noch nicht einmal viele Gedanken über den Raum machen, weil abzusehen war, dass das eigene Publikum die jeweilige Produktion genauso digital rezipieren würde. Bot die Pandemie zumindest in dieser Hinsicht Vorteile? Tim Sandweg: Nein, Kuratieren fiel mir tatsächlich schwerer. Ich habe mich natürlich zu digitalen Showcases angemeldet. Aber das hatte ja mehr den Charakter von Mediatheken, durch die man sich durchklickt. Ich hoffe nicht, dass sich das als neue Form des Kuratierens durchsetzt. Wie werden Sie dann Theater der Dinge 2021 organisieren? Wir haben das Konzept dafür komplett neu gedacht und die Frage, wie organisiert man unter Pandemiebedingungen ein Festival, unmittelbar darin einfließen lassen. Zum einen gehen wir von weniger klassischen Theatervorstellungen aus und unterstützen eher Projekte, die gerade am Entstehen sind, die auch schnell an neue Bedingungen angepasst werden können und nicht auf einen klassischen Theaterraum angewiesen sind, sondern vielleicht an einem systemrelevanten Ort wie einem Supermarkt, im Freien oder in einer Kirche stattfinden können. Eine andere Richtung sind Filmformate, die im Idealfall in einem Kino gezeigt werden können oder, wenn es einen erneuten Lockdown gibt, dezentral gestreamt stattfinden. Was sind Ihre Erfahrungen von Theater der Dinge 2020. Welche Formate haben gut funktioniert? Sehr gut haben die Streams funktioniert, die in Videokonferenzen eingebunden waren mit einer Begrüßung am Anfang Duda Paiva Company, JOE 5. Foto: Kim Kooiman
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und einer Diskussion am Ende. Das hat eine Gemeinschaft geschaffen. Weil viele sich über mehrere Veranstaltungen hinweg wiederbegegnet sind, kam richtige Festivalatmosphäre auf. Entscheidend für das Funktionieren von Online-Streams scheint mir der Umgang mit Raum und die Ansprachehaltung durch die Kamera an das Publikum. Gemerkt hat man auch, dass es sich bei diesen Onlineformaten um eine neue Kunstform handelt, die zwar Verbindungen zum Theater hat, letztlich aber etwas anderes ist und vor allem eine andere Rezeptionshaltung mit sich bringt. Live gestreamt wurde von unterschiedlichen Orten aus, mal von der Schaubude, mal aus den Heimspielstätten der Künstler*innen, in einigen Fällen wurde auch vorproduziertes Material benutzt. Was hat sich da als produktiv herausgestellt? Wir hatten sehr unterschiedliche Spielorte. Bei der Telefonperformance „Wir müssen reden“ von Anna Kpok wurde man dort angerufen, wo man sich gerade aufhielt. Beim Augmented-Reality-Walk „Nur für einen Tag“ von Fabian Raith wurde man draußen über das Areal rings um die Greifswalder Straße geführt. Der Livestream „1/0/1 robots“ von manufaktor fand bei uns in der Schaubude statt, „Komplex“ von der Kompanie 1/10 wurde vom Fitz aus gestreamt und „Dingwesen“ von H.A.U.S. von Wien aus. Bei zwei weiteren Vorstellungen wurde mit vorproduzierten Videos gearbeitet. „A.L.I.C.E. Lost in Cyberland“ von Meinhardt & Krauss war ein Mitschnitt, „Joe 5“ der Duda Paiva Company ein neu produziertes Video, das sehr stark auf die Kamera hin inszeniert wurde. Wir haben aber auch gemerkt, wie wichtig in diesen Momenten, in denen man nicht ins Theater hineinkann, die Ausstellungen in unserem Schaufenster sind. Immer wieder bleiben Leute stehen und schauen. Wieviele unterschiedliche Festivaleditionen mussten Sie im vergangenen Jahr angesichts der sich stets ändernden Pandemieeinschränkungen entwickeln? Es waren keine unterschiedlichen Editionen, es war eher ein Prozess, ein sich stets änderndes amorphes Gefüge. Zermürbend war vor allem, dass sich die Bedingungen fortwährend änderten. Vor dem ersten Lockdown im März hatten wir zwei Drittel des Programms fertig. An Reisen für das letzte Drittel war dann aber gar nicht mehr zu denken. Es herrschte zunächst große Orientierungslosigkeit und erst im Mai haben wir überlegt, was wir machen. Wir haben entschieden, an den Künstler*innen, die wir schon eingeladen hatten, festzuhalten. Für das noch fehlende Drittel suchten wir aber Produktionen aus Deutschland, die auch mit Abstand funktionieren, und haben Kontakt zum Studiengang Spiel und Objekt der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch aufgenommen. Daraus ist zum Beispiel der AugmentedReality-Walk entstanden. Im Sommer sah es zwischenzeitlich gut aus, man konnte hoffen, vor Publikum zu spielen. Als die ersten Reisebeschränkungen kamen, haben wir mit den internationalen Gästen einen Plan B entwickelt, falls sie nicht reisen könnten. Als sich der erneute Lockdown abzeichnete, haben wir mit den Gruppen aus Deutschland versucht, Alternativen zu entwickelt. Als der Lockdown schließlich kam, entspannte uns das eher, weil wir nun wussten, mit welchen konkreten Parametern wir zu arbeiten hatten. Wie hat sich das digitale Programm auf das Publikum ausgewirkt? Wen haben Sie verloren, wen möglicherweise über die Digitalschiene hinzugewonnen? Ich denke, das hat sich die Waage gehalten. Wir hatten ungefähr die Hälfte des Programms im Vergleich zum Vorjahr und hatten digital auch die Hälfte an Besucher*innen. Das waren definitiv mehr, als unter Einhaltung der Abstandsregeln in den Spielstätten möglich gewesen wäre. Verloren haben wir das Publikum aus dem unmittelbaren Umfeld. Wir merken aber, dass sie wiederkommen, dass jetzt Familien aus dem Kiez in den Streams aus dem regulären Spielplan dabei sind. Hinzugekommen ist internationales Publikum. Ich gehe davon aus, dass wir Formen des Streamings auch in Zukunft beibehalten werden, für internationale Zuschauer*innen, aber auch für in Berlin lebende Personen, die vielleicht aus Gesundheitsgründen oder wegen Kinderbetreuung nicht ins Theater kommen können. Mit Einschränkungen durch die Pandemie werden wir wahrscheinlich noch länger leben müssen. Das dürfte eine Regionalisierung auch in der Kunst mit sich bringen. Aus ökologischen Überlegungen heraus sind weniger Reisekilometer von Kurator*innen und Künstler*innen sicher positiv zu werten. Allerdings birgt das auch die Gefahr von regionaler und nationaler Blasenbildung. Wie sehen Sie das? Sicherlich müssen wir, und nicht nur angesichts der Pandemie, überlegen, wie wir nachhaltiger produzieren. Und da muss man auch hinterfragen, ob für Deutschlandpremieren tausende Flugkilometer vertretbar sind. Gleichzeitig leben Festivals von ihrer Internationalität und dem Versammeln unterschiedlicher Perspektiven vor Ort. Ich denke, man muss in diese Richtung gehen: Weniger Exklusivität, dafür längere Aufenthalte, Workshops, Residenzen und Kooperationen mit anderen Festivals. Eine massive Regionalisierung kann aus meiner Sicht nicht der richtige Weg sein. – www.schaubude.berlin
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INSZENIERUNG
hören sie (nicht ) auf das fahrrad! Ariel Dorons interaktive Objektperformance „Do not open!“ Von A nni k a G l oyst ein /// Was machen Sie, wenn Sie von einem personenlosen Lastenfahrrad angesprochen werden? Ach so, ist noch nicht vorgekommen!? Falls Ihnen aber danach ist und Sie wissen wollen, was es geladen hat, haben Sie nochmal Gelegenheit im Mai beim internationalen figuren.theater.festival in Erlangen mit dem Gefährt „ins Gespräch zu kommen“. Wenn Sie ihm unvoreingenommen gegenübertreten wollen, sei Ihnen an dieser Stelle vom weiteren Lesen abgeraten. Falls Sie (vorher) lieber wissen wollen, wie andere so mit dem Zweirad zurechtkamen: Es sprach im August 2020 in Erlangen und im Oktober in München Festivalgäste und Passant*innen an – ein Projekt im Rahmen des 40. Erlanger Poetenfests in Koproduktion mit wunder. Internationales Figurentheaterfestival München. Die Kontaktaufnahme beginnt freundlich einladend, geheimnisvoll flüsternd über dringlich flehend bis beschwörend, man möge den Front-Ladebereich des Lastenrads öffnen. Findet die Stimme nicht die gewünschte Beachtung, geht sie über zu einem genervten oder gelangweilten Ton, klingt hilfsbedürftig, unterstreicht das Anliegen mit Klopfgeräuschen aus dem Inneren oder einem langen verzweifelten Schreien. Manch eine*r bleibt stehen, ob der unerwarteten Ansprache, unschlüssig, wie damit umzugehen sei. Doch ein Näherkommen kann jäh unterbrochen werden („Halt! Stop!“ / „Hör auf, lass mich in Ruhe“ / „Nicht öffnen!“). Wendet sich die Person wieder ab, wird klagend interveniert („Komm zurück!“ / „Verlass mich nicht!“). Nicht alle lassen sich zurückgewinnen. Wer den Öffnungsforderungen nachkommen möchte, wird zunächst über die Hygieneregeln informiert („Bitte desinfizieren Sie sich die Hände.“) und beim Lösen der Plane instruiert („Nicht von da, das tut weh!“ / „Von vorne!“). Wer nun so weit gekommen ist, wird belohnt: im Inneren liegen Bücher. Auf dem Buchdeckel ist eingeprägt: Nicht öffnen! Zögert jemand eines der hochwertigen Hardcover zu nehmen, so wird freundlich versichert: „Das ist ein Geschenk! Bitte, nimm das Buch mit.“ Das Fahrrad bedankt sich fürs Öffnen und möchte so hinterlassen werden, wie es vorgefunden wurde („Bitte zumachen! Danke!“). Es verabschiedet sich von seinem Gegenüber, bereit für die nächste Interaktion. Dabei verläuft jede anders: je nach Zugänglichkeit der Vorübergehenden, ihrer Interaktionsfreude, ihrer Neugier. Dies alles ist abhängig davon, was sie aus den Bluetooth-Lautsprechern am Rad zu hören bekommen. Die Audiodateien und damit auch das Geschehen steuert Ariel Doron, der sich in Sichtweite befindet, über sein Mobiltelefon. Als Handybenutzer fällt er nicht weiter auf. Es hängt viel an der Einschätzung des Künstlers, das Spiel von Anlocken, Abstoßen und Zurückholen ausreizen zu können. Einige werden nie erfahren, was ihnen entgangen ist. Apropos Buch – was beim individuellen Lesen passiert, entzieht sich der Öffentlichkeit. Nur so viel zum Inhalt: Es ist eventuell von einem Virus befallen und die einzelnen Seiten streiten untereinander. Sie wenden sich direkt an die*den Lesende*n: bitten um Mithilfe die Seiten zu entfernen, die angeblich infiziert sind. Kommt es zur Zerstörung? Schlummert die Gefahr bereits im Buch oder geht sie von den Lesenden aus? Hinten im Buch befindet sich eine E-Mail-Adresse unter der Ariel Doron erreicht werden kann zur „Gedankenmitteilung“, was man mit dem Buch und was die Aktion mit einem gemacht hat. – www.arieldoron.de Ariel Doron, Do not open! Foto: Erich Malter © Erlanger Poetenfest, 2020
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immer im wandel Der Sammelband „Ensemble in Bewegung“ über das Puppentheater Magdeburg Von Je ssi c a H ö lz l /// Ein Prolog eröffnet den Band programmatisch, wenn Puppe und Spielerin in Textfragmenten aus Astrid Griesbachs „Doktor Faustus reorganisiert“ (2012) zentrale Fragen der Animation im Knittelvers verhandeln. Leitmotivisch in der Geschichte des Hauses mal geliebt, mal geächtet, mischt sich dann auch noch eine Kasperfigur ein, um Gretchen zu retten. Wohin die Reise geht, klingt in Agnès Limbos’ poetischem Ausblick an, der die Verwobenheit von Spieler*in, Figur und Betrachter*in als Ausgangssituation zeitgenössischen dingtheatralen Spiels beschreibt. Zwischen diesen Konstellationen skizziert der Sammelband mit großer Sachkenntnis und spürbarer Liebe zum Gegenstand den historischen und künstlerischen Werdegang des Puppentheaters Magdeburg von seiner Gründung im Jahr 1958 bis heute. Die Wiedervereinigung von DDR und BRD wird als tiefgreifender Einschnitt für personelle, ökonomische und künstlerische Ausrichtung des Hauses formal aufgegriffen und gliedert den Band in drei „Umbauten“. Unterschiedliche Formate erzeugen eine vielperspektivische Sicht auf die Geschichte(n), in deren Erzählung sich Stimmen aus organisatorischem Bereich, Gewerken und künstlerischen Positionen abwechseln. Damiet van Dalsum und Frank Bernhardt, ehemalige und aktuelle künstlerische Leitung, kommen zu Wort, aber auch Spieler*innen und Regieführende berichten von Chancen und Schwierigkeiten, die die Arbeit an einem städtischen, festen Puppentheaterensemble – ein „ostdeutsches Kulturphänomen“ (Meyer) – mit sich bringt. Im Zentrum steht dabei die künstlerische Entwicklung, wobei die Fähigkeit des Magdeburger Theaters zu Veränderung und Wandel immer wieder als entscheidende Eigenschaft herausgestellt wird, der das Haus – 2019 mit dem Theaterpreis des Bundes prämiert – seine heutige Lebendigkeit und Qualität verdankt. Festivals wie UNIMA 2000 als wichtige programmatische Zäsur und dem „Horizont-Erweiterer“ Blickwechsel (Tom Mustroph) wird ein eigenes Kapitel gewidmet. Verwoben mit formaler, inhaltlicher und ästhetischer Entwicklung des Repertoires zeigt sich der Spagat zwischen lokaler Verwurzelung und Internationalisierung, wobei Stadtgesellschaft und Kulturpolitik das Haus in diesem Prozess als unentbehrliche Partner unterstützen. Welch zentrale Rolle dabei die vielfältige Einbindung des Theaters vor Ort spielt, zeigen Einblicke in die Magdeburger Jugendkunstschule, die theaterpädagogische Arbeit und die 2012 eröffnete FigurenSpielSammlung. Zwischen Broschüre, Magazin und Ausstellungskatalog verdankt der Band seine spielerische Leichtigkeit nicht zuletzt der schlichten Ästhetik und dem großzügigen Satz des Layouts (Robert Voss). Eine Vielzahl großformatiger Abbildungen erlaubt die Rückbindung und Visualisierung der vorgestellten künstlerischen Arbeiten. Anschaulich wird daran zudem die große ästhetische Vielfalt, die sich am „Fluchtpunkt Puppe“ (Meyer) entspinnt, verzichtet das Haus doch – ein weiteres spannendes und eindrucksvolles Charakteristikum des Magdeburger Puppentheaters – seit 2000 auf eine feste Besetzung der Position Puppenbau/ Bühne und beschäftigt stattdessen wechselnde Gäste. Überwiegt im ersten Teil ein forschender Duktus, lockert sich der Ton im letzten Drittel des Bandes auf. Dem Theater über lange Zeit verbundene Akteur*innen aus Künstlerischem Betriebsbüro, Technik und Ausstattung plaudern aus dem Nähkästchen und nehmen mich als Leserin mit in eine turbulente Theaterwelt, in der es leidenschaftlich drunter und drüber und dabei immer um die Sache geht. Das macht Spaß – und große Lust auf Figurentheater, in Magdeburg oder woanders, sobald das wieder möglich ist. Ensemble in Bewegung Wie sich das Puppentheater Magdeburg stetig neu erfindet Herausgegeben von Anke Meyer und Silvia Brendenal Theater der Zeit 2021, 168 Seiten ISBN 978-3-95749-298-2 www.theaterderzeit.de
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SCHWEIZER FENSTER
schweizer theaterpreis für kathrin bosshard Würdigung einer Genreverfechterin Die Appenzeller (AR) Puppenspielerin Kathrin Bosshard hat im vergangenen Jahr den Schweizer Theaterpreis für ihr Schaffen erhalten. Ausgezeichnet wurde sie vor allem für die hohe künstlerische Qualität, die gesellschaftliche Relevanz der Stücke und die Originalität ihres Schaffens. Von F ra nz i sk a Bu rg e r /// Als Inspiration für ihre Berufswahl nennt Kathrin Bosshard häufig ihre Mutter: Sie selbst war auch Puppenspielerin und hat ihrer Tochter die Faszination für diese Theaterform nähergebracht. 2020, genau 20 Jahre nachdem Kathrin Bosshard diesen Beruf ergriffen hat, wurde sie vom Bundesamt für Kultur mit dem Schweizer Theaterpreis ausgezeichnet. Dieser wird seit 2014 jährlich an fünf bis sechs Theaterschaffende verliehen, die die Theaterarbeit in der Schweiz prägen. Der Preis stellt vor allem eine nationale Anerkennung des Werkes dar und ist mit CHF 40'000 hoch dotiert. Nach Margrit Gysin (Theaterpreis 2015) ist sie die zweite Figurenspielerin, die in der Geschichte des Preises ausgezeichnet wird.
Kathrin Bosshard. Foto: Christine Rimle
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SCHWEIZER FENSTER
Vom Studium zur Studiengangsleiterin Den Schritt, selbst professionelle Spielerin zu werden, hat Kathrin Bosshard erst nach dem Lehrerseminar gewagt: Bei der Erarbeitung einer Abschlussarbeit mit Puppen hat ein Kollege sie darauf aufmerksam gemacht, dass man Puppenspiel auch studieren könne, in Stuttgart oder Berlin beispielsweise. Die Bewerbungsprüfung für die Ausbildung an der Abteilung für Zeitgenössische Puppenspielkunst an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch schaffte Bosshard gleich im ersten Anlauf und liess sich in Berlin von 1996 bis 2000 ausbilden. Auf die Frage, ob sie auch ohne das Studium Puppenspielerin geworden wäre, zögert Bosshard: „Das ist etwas, das ich mich selbst häufig frage. Vermutlich hätte ich das Puppenspiel trotzdem praktiziert, halt auf andere Weise. Doch ich stelle hohe Ansprüche an meine eigene Kunst und die Ausbildung ist für die künstlerische Professionalität schon wichtig, denn an der Hochschule lernte ich nicht nur das Handwerk, sondern vor allem auch ein Bewusstsein für die künstlerische Arbeit, dafür, wie man an Themen herangeht oder welche Bedeutung Dramaturgie hat.“ Vollgestopft mit neuem Wissen und voller Tatendrang kehrte Bosshard nach dem Studium zurück in die Schweiz, wo sie gleich das Theater Fleisch + Pappe gründete und bald in ein neues Projekt eingespannt wurde: Die damalige Schweizerische Vereinigung für Puppenspiel versuchte in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Theater Zürich (heute Zürcher Hochschule der Künste ZHdK) einen Nachdiplomkurs Figurenspiel zu initiieren und suchte noch eine Leitung dafür. So übernahm Bosshard von 2001 bis 2004 gemeinsam mit Christa Hoff die Leitung des kurzlebigen – aber angesichts der vielen immer noch aktiven professionell arbeitenden Abgänger*innen durchaus erfolgreichen – Pilotprojekts Nachdiplomkurs Figurenspiel. Nach drei Jahren gab die Puppenspielerin die Leitung ab, da sie sich fortan auf die eigene künstlerische Arbeit konzentrieren wollte. Aufgrund eines Leitungswechsels an der Spitze der ZHdK wurde das Kursangebot kurz darauf eingestellt.
Theaterarbeit In ihren eigenen Produktionen beschäftigt sie sich gerne mit aktuellen gesellschaftsrelevanten Fragen. Im Zentrum stehen die von ihr selbst hergestellten Figuren, oftmals anthropomorphe Tiere, die menschliche Eigenschaften karikieren, sich aber vor allem durch ihre liebevolle Gestaltung und Skurrilität auszeichnen. Die Stoffe erarbeitet sie sich unterschiedlich; manchmal beginnt sie mit der Recherche oder ersten Versuchen mit Puppen, schreibt Stück für Stück die Texte und probiert weiter mit den Puppen aus. Der eigene künstlerische Anspruch ist dabei hoch, weshalb sie in der Regel auch eine weitere Person für die Regie hinzuzieht. Anfangs erarbeitete sie mit Theater Fleisch + Pappe vor allem Stücke für Kinder. Doch für diese Arbeiten erhielt sie nur wenig Wertschätzung – und niedrige Gagen. Um sich zu exponieren entschied sie sich dazu, an die Schweizer Künstlerbörse zu gehen und erarbeitete dafür zusammen mit Peter Zeindler (Text) und Andrea Schulthess (Regie) das Stück „Schwein, Weib und Gesang“. Mit dieser unvergleichlichen und preisgekrönten Produktion über den Eber Karl-Heinz, der die Liebe sucht, hat sie ihren Platz in der Schweizer Kleinkunstszene gefunden. „Die Kleinstkunst hat so viele unterschiedliche Akteure, Veranstalter und Häuser. Hier fühle ich mich wohl, es gibt hier keine Lagerhaltung, denn alle machen Kunst, egal ob Puppe, Musik oder Schauspiel.“ So wird sie heute vor allem als Grenzgängerin wahrgenommen, die sich nicht nur innerhalb der Figurentheaterszene bewegt: Bosshard gehört zum Ensemble des satirischen Jahresrückblicks „Bundesordner“, der jährlich im Casinotheater Winterthur gezeigt wird, für den sie Texte schreibt und bei dem sie auch mit ihren Puppen auftritt.
Engagement für das Figurentheater Auf die Frage, worin die Motivation für ihr Engagement liege, antwortet Bosshard in einem Interview mit Kaa Linder: „Ich möchte für die Professionalisierung des Puppentheaters in der Schweiz eine Lanze brechen!“ Auch sie habe vom Wissen der anderen Spielerinnen und Spieler gelernt, die sich vieles zuvor learning by doing erarbeitet haben. Dies war auch ein Grund, weshalb sie sich dem Ensemble des Bundesordner anschloss, als sich die Chance bot. „Erst zögerte ich: Satire kann ich doch nicht! “ Doch bald stellte sich die Erkenntnis ein, dass sie es nicht nur für sich selber, sondern auch für das Puppentheater machen müsse. Genau für ihr Engagement und ihren Mut, Grenzen zu überschreiten, wird sie auch mit dem Theaterpreis ausgezeichnet, wie die Laudatio des Jurymitglieds Barbara Anderhub nahelegt: „Die Jury zeichnet mit Kathrin Bosshard eine vielseitige Künstlerin aus – auch in der Hoffnung, sie möge durch ihre Professionalität und Hartnäckigkeit der Puppenspielkunst in der Schweiz zu weiterer Akzeptanz verhelfen.“ So ist der Preis nicht nur ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber Bosshards Arbeit, sondern selbst ein weiteres Mittel, um die Aufmerksamkeit gegenüber dieser Theatersparte zu erhöhen. Was bedeutet so ein nationaler Preis der Trägerin? „Ich habe mich natürlich riesig gefreut! Er ist vor allem eine Bestätigung dafür, dass man gesehen wird und das eigene Schaffen eine Resonanz findet. Und natürlich schmeichelt so ein Preis auch der Eitelkeit“, schmunzelt sie. – www.schweizerkulturpreise.ch / www.fleischundpappe.ch
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SCHWEIZER FENSTER
dreisprachiger austausch Schweizer Figurentheaterszene lanciert nationale Website Nach dem Ende des Berufsverbands Unima Suisse will sich die Schweizer Figurentheaterszene wieder mehr vernetzen. Den Anfang machen soll die dreisprachige Website www.figurentheaterszene.ch Von J a c q u e l i ne S u r e r /// Wie schafft man es, Figurentheater sichtbarer machen? Wer vermittelt die Anliegen der Figurenspieler*innen nach aussen? Womit fördert man den Austausch innerhalb der Szene? Solche Fragen beschäftigen die Schweizer Figurentheaterszene schon lange. Seit dem Ende des Berufsverbands Unima Suisse sind sie nun aber wieder dringlicher geworden. Die Vereinigung wurde im Juni 2019 aufgelöst, nachdem es nicht gelungen war, einen neuen Vorstand zu formieren. Das unaufhaltbare Ende der Unima Suisse begann 2017, als das Bundesamt für Kultur die jährlichen Beiträge an den Verband aus Spargründen einstellte. Mit dem Aus der Vereinigung war auch das Schicksal der Schweizer Figurentheaterzeitschrift „figura“ besiegelt. Diese erschien zweimal jährlich und war 1959 gegründet worden.
Wie weiter mit der Schweizer Szene? Dass die Figurentheaterszene ihren Zusammenhalt nicht komplett aufgeben wollte, war insbesondere unter den jüngeren Mitgliedern schnell klar. Komplizierter war die Frage nach dem „Wie“. Eine Herausforderung der Schweizer Szene war schon immer ihre Heterogenität: Neben Profis und Laien waren in der Unima Suisse auch Figuenspieltherapeut*innen vertreten. Dazu kamen sprachliche Hürden, da die Mitglieder aus allen Landesteilen – der deutschen, französischen und italienisch sprechenden Schweiz – stammten Den Anstoss für einen Neuanfang gaben schliesslich die Figurenspielerinnen Kathrin Leuenberger, Doris Weiller und Kathrin Irion. Sie gründeten einen Verein mit dem Ziel, eine Website für die Schweizer Figurentheaterszene aufzubauen. Um die Lancierung zu finanzieren, erhielten sie einen Teil des Vermögens, das nach der Auflösung der Unima Suisse übrig geblieben war.
Mehr als eine reine Informationsplattform Vor einigen Monaten wurde die dreisprachige Website „figurentheaterszene.ch“ aufgeschaltet. Neben Porträts von Künstler*innen, gibt es auf der Seite einen nationalen Figurentheater-Spielplan, Einträge zu Themen wie „Ausbildung“, „Museen“ und „Figurenspieltherapie“, sowie ein „Schwarzes Brett“ für Anliegen aller Art. Die Website soll aber nicht nur als reine Informationsplattform dienen. „Wir hoffen, dass die Szene sich über diese Seite wieder stärker untereinander austauscht“, sagt Doris Weiller. So wären unter anderem regelmässige Treffen mit den Vereinsmitgliedern geplant gewesen, sowie Workshops in Kooperation mit festen Figurentheater-Häusern. Diesen Vorhaben hat die Corona-Pandemie ein vorläufiges Ende gesetzt. Das vorerst wichtigste Ziel der Initiantinnen ist nun aber ohnehin, die Website bekannter zu machen und die Mitglieder zur Mitarbeit zu bewegen. Dabei helfen soll ein regelmässiger Newsletter mit Informationen aus der Szene. Ganz einfach wird das Unterfangen möglicherweise nicht werden. Viele Figurenspieler*innen sind in der Schweiz als Einzelgänger*innen unterwegs und haben kaum Zeit, sich um mehr als ihre eigene Arbeit zu kümmern. Doris Weiller will trotzdem dranbleiben: „Gemeinsam könnten wir für das Schweizer Figurentheater viel mehr erreichen.“ – www.figurentheaterszene.ch Screenshot der Startseite
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NACHRUF
nicht m ehr in rufweite Zum Tod von Frieder Simon (16.7.1936–20.6.2020) Vo n H a rt mu t E. L a n g e /// 1974 bin ich ihm zum ersten Mal begegnet. Drehbuchautor Kurt Belicke gab in seiner riesigen Berliner Altbauwohnung ein Fest, Höhepunkt des Abends war ein Puppenspiel: „Faust“. Eine Kostümbildnerin hatte mich mitgenommen, sie war mit dem Gastgeber befreundet, kannte viele aus der illustren Runde. Und so saß ich, der 24-jährige Student, zwischen Peter Hacks, Manfred Krug, Wolfgang Kohlhaase und anderen Bekannten aus der DDR-Kulturszene. Als dann der rote Samtvorhang aufging, klappte mir die Kinnlade runter. Aufgewachsen mit naturalistischen TV-Figuren wie Flax und Krümel und Hohnsteiner Puppen in Lausitzer Kulturhäusern, hatte ich das, was da auf der kleinen Bühne präsentiert wurde, noch nie gesehen. Die Gestaltung der Figuren erinnerte mich an das Bauhaus-Logo. „Kein Wunder“, meinte Frieder, „ich bin ein Bauhausenkel, einige meiner Lehrer an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein waren Bauhausschüler.“ Später lernte ich auch den Menschen hinter der Spielleiste kennen, bei den Dreharbeiten zu meinem Diplomfilm an der HFF in Babelsberg. Benannt nach seinem Kaspertheater, war „Larifari“ ein Porträt des Puppenspielers Frieder Simon (Regie: Gabriele Schwartzkopff). Ab da blieben wir in Rufweite, wie Frieder immer scherzte, wurden Freunde. Schon seit frühester Kindheit hatte Frieder mit Kaspertheater zu tun. Von seinem Vater, einem gefragten Puppenspieler, lernte er das Handwerk und die Kunst des Improvisierens. Angeregt durch sein Design-Studium entwarf Frieder schließlich eigene Puppen. Durch klare Linien und Formen schuf er Figuren mit Psychogramm, echte Charakterköpfe entstanden. Die wunderschönen Kostüme gestaltete Ehefrau Barbara Simon, die ebenfalls an der Burg studiert hatte. Mit diesem Ensemble gelang es Frieder, die alte Tradition des Kaspertheaters in völlig neuer und moderner Form fortzuführen, auf hohem, künstlerischen Niveau. Schnell erlangte er Kultstatus, avancierte zum Geheimtipp in der Kulturszene. Wenn er im Künstlerclub Möwe spielte, zwängten sich die Theaterleute vom Berliner Ensemble und dem Deutschen Theater in den kleinen Saal. Sein Erfolgsrezept? Frieders Kasper folgte der jahrhundertealten Tradition dieser Figur, war Sprachrohr der kleinen Leute, schimpfte auf Die-da-oben, prangerte Missstände im Lande an. Doch mit öffentlicher Kritik war das so eine Sache in der DDR, die musste verpackt, getarnt oder mehrdeutig präsentiert werden. Frieder war ein Meister des Wortspiels, ein virtuoser Sprachakrobat, er wusste, wie man Botschaften zwischen den Zeilen transportiert. Der gefragte Künstler erhielt zahlreiche Preise, darunter 1979 die Goldmedaille für Unterhaltungskunst des Kulturministeriums für seine Genoveva-Inszenierung. Auch für andere Bühnen war Frieder als Figurengestalter, Ausstatter und Regisseur tätig, 1984 wurde er Gastdozent an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Nicht nur um die eigene Bühne hat er sich verdient gemacht, auch um das Ansehen des oft zu Unrecht unterschätzten Genres an sich. Er initiierte und organisierte über viele Jahre ein Puppentheaterfestival in Bad Lauchstädt, nach der Wende in Merseburg. Bei unserem letzten Telefonat erlebte ich Frieder voller Vorfreude auf den Neustart nach der Corona-Zwangspause: Wieder spielen! Doch dann starb Frieder Simon völlig überraschend am 20. Juni 2020 in Halle an der Saale. Der rote Samtvorhang der Larifari-Bühne ging für immer zu. Frieder Simon und drei Teufel aus seiner Inszenierung „Doktor Faust“. Foto: Hartmut E. Lange
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ENGLISH SUMMARIES
S U MM A R I E S T H EM E OF D OUB LE 43: B A RRIE RS | FRE E – A CCE S S T O FIGURE T H E A T RE
CONTI NUI TY I S WHAT COUNTS Live audio description and sign language interpretation at the tjg. Dresden (p. 20–23) Since the start of the current season, the tjg. (theater junge generation) Dresden has firmly anchored its inclusive activities in its repertoire for people with impaired hearing and sight. In October 2020 it was still possible to offer a performance of ”The Jungle Book“ (featuring a live audio description) in the theatre as planned, ”Little Red Riding Hood“ was offered as a stream, also in a version with sign language transmission. For double, Annika Gloystein spoke via a video conference with the dramaturg Christoph Macha, the sign language interpreter Sindy Christoph, and the audio scriptwriter Matthias Huber about the challenge of offering inclusive services for young audiences, the creative potential of their work, and what it will take for more theatres to make the leap to offering similar services.
COM E ON IN !? On access and barriers in puppet theatre (p. 6–9) What are the barriers within an art form (even beyond the purely structural and technical ones), that make the relevant art difficult to access? And what is the situation in puppet and figure theatre? To answer this, Mascha Erbelding takes an excursion into the history of puppet theatre and the genre's position between entertainment and high culture over the years. From its fairground roots and performances in public places, she builds a bridge to our present perception of puppet theatre. She sees the strength of the genre in its hybrid form, which seeks interfaces with other art forms. This is especially true of the visual power of puppet theatre, which often even dispenses with words altogether. Its multiple-sense principle and the abstract quality inherent in the ‘figure’ provide the genre with a high degree of accessibility vis-à-vis other forms of theatre.
LI VI NG MATTERS An excerpt from Xenia Taniko‘s audio description of Eva Meyer-Keller's performance (p. 24–25) Xenia Taniko regularly performs live audio-descriptions at Berlin’s Sophiensæle. In February 2020, she put the visual impressions of Eva Meyer-Keller's performance ”Living Matters“ into words for a blind and visually impaired audience. Excerpts from her descriptions are printed here to give an impression of how language can create images in the mind and how an object theatre production – with a lot of stage action but little spoken language – can be made accessible to those who cannot see what is happening on stage.
A LOOK B A CK A T WH A T WE COULD N OT BECOM E Or: Dealing with barriers as the core of cultural work (p. 10–13) The cultural education project ”Everything I am“ was developed between 2013 and 2015 within the framework of and in direct connection with the figuren.theater.festival Erlangen. The initial idea was to bridge the time between the festivals, by working continuously with young people and invited artists from the genre to create an ensemble; the ultimate goal was to produce a show as a contribution to the festival. Here, André Studt, who was significantly involved in the conception and realisation of this project, attempts a retrospective reappraisal of this project, which ultimately failed, and uses the concept of the 'barrier' to make this situation more plausible.
GOOD TO HAVE A SHADOW An interview with Carlos Malmedy, director of the shadow theatre at the Levana School in Schweich (p. 26–27) In 1992, the educationalist set up a Shadow Theatre section to cater for pupils with learning difficulties at the Levana School in Schweich. Its focus was on holistic development. The ensemble can now look back on numerous guest performances (including regular appearances at the international figuren.theatre. festival Erlangen since 2009) and awards for their work. For double, Annika Gloystein communicated with Carlos Malmedy by email about the fact that you have to be illuminated in order to become fully visible. Numerous collaborations with cultural institutions in the Trier region, and with the theatre studies department of the University of Erlangen have resulted in productions in which the students have not only been able to present their skills, but also take a decisive step towards greater social visibility.
F u n d in g puzzle s a n d f o rm ulat ion issue s The challenges of funding independent performing arts (p. 14–15) Funding and creating art – are these two systems difficult to reconcile? From the dual perspective of a freelance artist and theater scholar, Valeska Klug describes how artists and funding bodies can come together. She focuses on both the aspect of how they might fit and how to formulate calls for proposals. Instead of content-related guidelines and rigid regulations, she builds her argument more on artistic sovereignty.
SUMMARY OF THE SECTI ONS Immediately following the theme section, Emma Fisher describes in her essay in English how she became aware of her own physical disability through puppetry in a specific way, and how she has since derived not only an aesthetic but also a socio-political agency from it. The main theme in the current issue also recurs time and again in other articles. René Reith and Mareike Gaubitz look at the 9th double discourse and a podcast and ask how we can actually talk about puppet theatre and thus make it more tangible and visible. The ”Flying Visit“ takes us to Ukraine, where Dr. Yaraslava Ananka looks at the political power of puppetry. In the ”First Aid“ section, Florian Feisel gives an insight into the making of five films showing how to use the simplest of means to make small theatre plays for children in Israel, while Bodo Birk deals with the management of the Erlangen Vaccination Centre in addition to festival planning at the Erlangen Cultural Office. Sabine Leucht's look at the programme of the Munich Figure Theatre Festival, which overcame barriers on both the organisational and the content level
R E L O CA TI ON A S A N OPPORT UN IT Y Reflections on the new presentation of the Dresden Puppet Theatre Collection (p. 16–19) At the end of 2022 the Puppet Theatre Collection of the Dresden State Art Collections will be moving into its new home in a former heating power plant in Dresden's city centre, and from autumn 2023 it will probably present exhibitions there. As the project manager, Dr. Kathi Loch is overseeing all the creative, communicative and organisational processes surrounding this move. She is also asking to what extent the ”new start“ can be used to break down a variety of barriers. Architecture, exhibition design and mediation are fields that every museum has to deal with in terms of visitor inclusion. In this case there is also the challenge of breaking down barriers in the perception of the puppets, and presenting them in an appropriate balance between theatricalisation and musealisation.
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ENGLISH SUMMARIES
shortly before the second cultural lockdown, along with a conversation between Tom Mustroph and the artistic director of the Schaubude Tim Sandweg testify to the challenges that festival-makers faced in 2020, and how they made them productive under Corona conditions. In the ”Staging“ section, Annika Gloystein illuminates the fragility of interaction in Ariel Doron's object performance ”Do not open!“.
Jessica Hölzl has reviewed the freshly published anthology edited by Silvia Brendenal and Anke Meyer ”An ensemble on the move. How the Magdeburg Puppet Theatre is constantly reinventing itself“. And in the ”Schweizer Fenster“ Franziska Burger pays tribute to the award-winning theatre maker Kathrin Bosshard, while Jacqueline Surer describes how a website plans to re-network the Swiss puppet theatre scene.
Eva Meyer-Keller, Living Matters. Foto: Ayala Gazit
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NOTIZEN
Da wegen der weiterhin bestehenden Pandemiesituation bei Redaktionsschluss ungewiss ist, wann und wie genau öffentliche Veranstaltungen mit Publikumsverkehr wieder stattfinden können, stehen alle hier veröffentlichten Termin- bzw. Programm-Angaben unter dem Vorbehalt möglicher Änderungen oder Absagen. Bitte informieren Sie sich direkt über die Veranstaltungslinks.
FESTIVALS Augenblick Mal! Online! Impulsgebende Theaterstücke für Kinder und Jugendliche aus dem gesamten Bundesgebiet, Gespräche und Einblicke in die Festivalgeschichte – dies alles bietet das Festival des Theaters für junges Publikum in seinem dreißigsten Jahr. Wegen der unvorhersehbaren Entwicklung der Pandemie konzentriert sich das Programm auf digitale Formate. Gemeinsam mit den eingeladenen Gastspielen und den Kooperationspartner*innen entsteht vom 16. bis 21. April 2021 ein virtueller Festivalort, der Raum für Austausch und Begegnungen bieten soll – auch für viele, denen eine Teilnahme vor Ort nicht möglich gewesen wäre. – https://augenblickmal.de No Strings Attached, das Festival für Figurentheater, ursprünglich für 2020 geplant, soll nun im Rahmen des kommenden Kultursommers stattfinden. Aufführungen unter dem Motto „Nordlichter“ sind für Ende April/Anfang Mai und Oktober 2021 geplant. – www.no-strings-attached.de Das 22. internationale figuren.theater.festival findet vom 7. bis 16. Mai 2021 in Erlangen, Nürnberg und Fürth statt. Die Biennale zählt zu den größten und bedeutendsten Festivals dieses Genres in Europa und zeichnet sich aus durch einen betont spartenübergreifenden Ansatz, der auch zeitgenössischen Tanz, Performance, Videokunst und neue Medien einschließt. Ausstellungen, Filme, Workshops, Gesprächsformate und das „Junge Forum“ für Studierende sind integrale Bestandteile der intensiven Auseinandersetzung mit dem Genre. Situationsbedingt wird das zeitgenössische Figuren-, Bilder- und Objekttheater in der diesjährigen Sonderedition mit Schwerpunkt auf den öffentlichen Raum präsentiert. Ein Projekt zum Themenkomplex „Zäsur 2020 – Theater und Gesellschaft im Umbruch“, theatrale Installationen und Eins-zu-einsBegegnungen in Theaterräumen oder Leerständen sowie eine Reihe an digitalen Performances erforschen neue Perspektiven des Figurentheaters in Pandemie-Zeiten. – www.figurentheaterfestival.de Vom 25. bis 27. Mai 2021 organisiert das Estnische Theater für junges Publikum zusammen mit dem Theater LELE (Vilnius/Litauen) und der ASSITEJ Lettland, den Baltic Visual Theatre Showcase (BVTS) in Tallinn. Eine Art gemeinsames Schaufenster, das eine in allen drei baltischen Staaten sich rasant entwickelnde Szene visuellen Theaters international sichtbarer machen will. In direktem Anschluss an den BVTS findet vom 27. bis 30. Mai 2021 das bereits etablierte International Visual Theatre Festival Tallinn Treff statt. – www.eestinoorsooteater.ee Motto des aus 2020 verschobenen Internationalen Figurentheater Festivals Blickwechsel bleibt „Beste Freunde“. Magdeburg wird zum Ort der kulturellen und internationalen Begegnungen ganz im Zeichen des Figurentheaters. Im Zentrum stehen vielfältige Beziehungen, wie die von Publikum zu Künstlerkollektiven – aber auch die Freundschaft zwischen dem Puppentheater und anderen Orten der Stadt. Das Festival führt seine Besucher*innen und Theaterkompagnien aus zahlreichen Ländern daher nicht nur auf die Bühnen des Puppentheaters; Figurentheater wird vom 26. Juni bis 3. Juli 2021 in verschiedenen Stadtteilen Magdeburgs zu erleben sein. – www.puppentheater-magdeburg.de
hellwach – Internationales Theaterfestival für junges Publikum lädt vom 5. bis 13. Juni 2021 in die Region Hellweg ein. Innovativ und experimentell arbeitende Theaterkünstler*innen aus Europa und anderen Kontinenten zeigen ihre neuesten, oft interdisziplinären Arbeiten für Menschen jeden Alters im Helios Theater in Hamm und an verschiedenen Spielorten der Region. Einer der Akzente des Programms liegt auf bildstarken Inszenierungen, die ohne Sprache auskommen. Eingeladen sind Stücke aus Frankreich, Italien, Slowenien, Belgien, Griechenland, Indien und Mexiko. Neben den Theaterorten in der Region ist das Festival auch im Freien und im digitalen Raum zu erleben. – www.helios-theater.de
FITZ Stuttgart und Schaubude Berlin bieten jeden ersten Freitag im Monat einen Virtuellen Stammtisch an. Alternierend moderiert von Vertreter*innen der drei Häuser geben Künstler*innen des Genres online Einblick in ihre aktuellen Projekte; anschließend wird, mit Fokus auf ein jeweiliges Thema, philosophiert und geplaudert. Anmeldung unter www.westfluegel.de
AUS- und WEITERBILDUNG Für den Studiengang Bachelor Figurentheater an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst kann man sich noch bis 15. April 2021 bewerben. Informationen und Bewerbung unter www.hmdk-stuttgart.de
JUBILÄEN 40 Jahre Train Theater können während des Jerusalem Puppet Festivals (22. bis 26. August 2021) gefeiert werden: 1981 wurde das Theater von freien Puppenspieler*innen eröffnet. Spielort war zunächst ein Zugwaggon, später ein kleines Theatergebäude im Jerusalemer Liberty Bell Park. Mitglieder der bald international erfolgreichen Truppe waren u. a. an der nur fünf Jahre später erfolgten Gründung der renommierten School of Visual Theater in Jerusalem beteiligt. Das Train Theater ist auch Initiator und Ausrichter des Jerusalem Puppet Festivals. – www.traintheater.co.il 40 Jahre IIM – Institut International de la Marionnette in Charleville-Mézières. Das 1981 als Zentrum des internationalen Puppentheaters gegründete Institut gehört heute zu den wichtigsten Einrichtungen des Genres. Es betreibt mit der „ESNAM – École Nationale Supérieure des Arts de la Marionnette“ eine Ausbildungsstätte von hohem Ansehen, dazu ein Dokumentations- und Forschungszentrum. Zu den Aktivitäten des IIM gehören international ausgeschriebene Residenzen ebenso wie professionelle Begegnungen und Fortbildungen, das Internetportal PAM und eine rege Publikationstätigkeit. Die enge Verbindung zum Festival Mondial des Théâtres de Marionnettes, das in diesem Jahr vom 17. bis 26. September stattfinden soll, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass die geplanten Jubiläumsfeierlichkeiten, wenn es die Pandemielage erlaubt, mit einem großen Finale während des Festivals enden sollen. In der Zwischenzeit sind u. a. Soli von 14 Studierenden der ESNAM auf dem Web-TV des Instituts online zu besichtigen. – https://marionnette.com
TAGUNGEN / GESPRÄCHE Der ursprünglich für 2020 auf Bali geplante Weltkongress der UNIMA – Union Internationale de la Marionnette wird vom 19. bis 23. April 2021 online stattfinden. – www.unima.org Auch die 5. Deutsche Figurentheater-Konferenz wurde verschoben. VDP und UNIMA laden nun vom 27. August bis 5. September 2021 zu Symposium, Vorstellungen und Workshops nach Northeim ein. Thema der Konferenz ist Gestaltung und Ästhetik im Figurentheater. – www.unima.de/die-konferenz-uebersicht/ Die Pandemieeinschränkungen haben neben diversen digitalen Festival- und Vorstellungskonzepten auch einige Blogs und andere Gesprächsformate zum Genre hervorgebracht. So lädt die deutsche Sektion der UNIMA jeden zweiten Mittwoch im Monat zur Online-Version von Über den Tellerrand, einem Austausch mit Gästen zu Themen des Puppentheaters, ein. Am 14. April 2021 stellen sich der Seminarhof Lebherz und das Figurentheaterkolleg vor, am 12. Mai 2021 sind Anmerkungen zur Puppentheatergeschichte geplant. – www.unima.de // Die zur Allianz internationaler Produktionszentren für Figurentheater zusammengeschlossenen Veranstalter Westflügel Leipzig,
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Mit einer neu konzipierten Sommerakademie anstelle des bisherigen Orientierungskurses bietet das Figurentheater-Kolleg in Bochum einen Einstieg in die Weiterbildung Figurentheater. Vom 7. Juni bis zum 23. Juli 2021 steht die Vermittlung von künstlerischen Prozessen in den Bereichen Kostümbild, Bühnen- und Figurenbau sowie Inszenierung im Fokus. Unter dem thematischen Schwerpunkt „Nachhaltigkeit“ werden unterschiedliche Facetten des Figurentheaters beleuchtet. Am 23. Juli ist eine gemeinsame Abschlussinszenierung geplant. Die Sommerakademie richtet sich an junge Erwachsene. – www.figurentheater-kolleg.de
PUBLIKATIONEN Der Maske als anthropologische Konstante des Spiels mit den Grenzen von Innen und Außen, von Natürlichem und Künstlichem untersucht Manfred Brauneck in Masken – Theater, Kult und Brauchtum. Strategien des Verbergens und Zeigens, erschienen 2020 bei transcript. Der Fokus auf Masken im Theater verschiedener Kulturen wird erweitert durch Analysen der Verwendung von Masken in religiösen oder anderen rituellen Kontexten sowie durch einen kurzen, aktuellen Exkurs zu Funktion und Zeichenhaftigkeit der Corona-Masken. – www.transcript-verlag.de Die Corona-Pandemie zwingt Theater und Kulturschaffende, neue Wege für Veranstaltungen zu finden. Der Weiterentwicklung des Theaters zu einem kreativen Ort, der online und offline gleichzeitig gedacht wird, widmet sich der Sammelband Netztheater – Das Buch, herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung und nachtkritik.de. Praktiker*innen des Theaters und Beobachter*innen beschreiben darin die neuesten Tendenzen, stellen Experimente, veränderte Arbeitsweisen und wegweisende Produktionen vor. Die Publikation ist gratis erhältlich. – www.weltuebergang.net
PREISE / AUSSCHREIBUNG Das Puppentheater Magdeburg wurde mit dem ASSITEJPreis 2021 für seine engagierte Arbeit geehrt, mit der es die Themen und Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gleichermaßen aufgreift und weiterdenkt. Das Theater, so die Jury, wirkt weit über den lokalen Kontext hinaus diskursprägend. Ausgezeichnet wurden außerdem das Produktionshaus FFT (Forum Freies Theater) Düsseldorf und der Studiengang Szenisches Schreiben der Universität der Künste Berlin. Der ASSITEJPreis wird alle zwei Jahre vom Netzwerk der Kinder- und Jugendtheater in Deutschland verliehen. – www.assitej.de Vom 16. bis 19. September 2021 wird der Wettbewerb um den Fritz-Wortelmann-Preis der Stadt Bochum stattfinden. Zur Einreichung zugelassen sind Projekte, die Puppen, Figuren, Objekte oder Masken in ihren Stücken verwenden und/oder auf der Bühne mit Animationsformen neuer Medien arbeiten. Verliehen wird der FRITZ in den drei Kategorien „professioneller Nachwuchs“, „erwachsene Amateure“ sowie „Jugendclubs und Schultheater“. Der
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Preis für die jugendlichen und erwachsenen Amateure ist mit jeweils 4000 Euro dotiert. Der studentische Nachwuchs wird mit einem honorierten Auftritt bei der FIDENA 2022 sowie einem Festivalpass inkl. Unterbringung für das gesamte Festival ausgezeichnet. Bewerbungsschluss ist am 30.04.2021. – www.fidena.de
PERSONELLES Die Dramaturgin Mascha Erbelding hat im Februar 2021 die Leitung der Sammlung Puppentheater/Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums übernommen. Sie tritt damit die Nachfolge von Manfred Wegner an, der sich in den Ruhestand verabschiedete (siehe double 42). Erbelding leitet bereits seit 2007 das internationale Figurentheaterfestival in München und ist seit 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sammlung. Sie ist Mitglied der double-Redaktion.
SONSTIGES Das Deutsche Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst kündigt einen FörderFinder auf dem fidena-Portal an. Neben einem gezielten Überblick zu Fördermöglichkeiten für Künstler*innen der Sparte Figuren-, Puppenund Objekttheater bietet das dfp eine offene Sprechstunde an. – www.fidena.de
festivalkalender Mit * sind Ersatztermine pandemiebedingt ausgefallener Festivals gekennzeichnet.
03.06.–06.06.2021* Altmorschen, Kloster Haydau (Deutschland) Blickfang. Internationales Figurentheater-Festival www.kultursommer-nordhessen.de 05.06.–13.06.2021 Hamm & Region Hellweg (Deutschland) online hellwach. Internationales Theaterfestival für junges Publikum www.helios-theater.de 19.06.–26.06.2021* Magdeburg (Deutschland) Internationales Figuren Theater Festival Blickwechsel www.blickwechselfestival.de 19.06.–03.07.2021 Šibenik, Kroatien International Children’s Festival www.mdf-sibenik.com 09.07.–19.07.2021 München (Deutschland) KUCKUCK – Theaterfestival für Anfänger kuckuckfestival.com 30.07.–07.08.2021 Graz (Österreich) La Strada Graz www.lastrada.at
2021 16.04.–21.04.2021 Berlin (Deutschland) online Augenblick mal! Festival des Theaters für junges Publikum www.augenblickmal.de 20.04.–26.04.2021 Bali (Indonesien) online UNIMA Weltkongress www.unima.org 04.05.–09.05.2021 Stuttgart (Deutschland) + online Internationales Trickfilm-Festival www.itfs.de 04.05.–23.05.2021 Lissabon (Portugal) FIMFA Lx21. International Festival of Puppetry and Animated Forms www.tarumba.pt 06.05.–14.05.2021* Hohenems (Österreich) 30 Jahre Homunculus www.homunculus.info 07.05.–16.05.2021 Erlangen, Nürnberg, Fürth (Deutschland) internationales figuren.theater.festival www.figurentheaterfestival.de 20.05.–29.05.2021* Saarbrücken (Deutschland) Festival Perpectives www.festival-perspectives.de 27.05.–30.05.2021 Tallinn (Estland) International Visual Theatre – Festival Tallinn Treff www.eestinoorsooteater.ee
22.08.–26.08.2021 Jerusalem (Israel) Jerusalem Puppet Festival www.traintheater.co.il 31.08.–05.09.2021* Potsdam (Deutschland) UNIDRAM. Internationales Theaterfestival www.unidram.de 04.09.–11.09.2021 Vyborg (Russland) Puppet Theatre Festival Baltic Puppetwhirl www.teatr-vbg.ru 09.09.–12.09.2021 Dortmund (Deutschland) visual sound outdoor festival www.parzelledortmund.de 10.09.–12.09.2021 Preetz (Deutschland) Preetzer Papiertheatertreffen www.preetzer-papiertheatertreffen.de 10.09.–15.09.2021 Lingen (Deutschland) Internationales Fest der Puppen www.tpzlingen.de 15.09.–19.09.2021 Basel (Schweiz) BAFF! Internationales Basler Figurentheater Festival www.figurentheaterfestival.ch 17.09.–26.09.2021 Charleville-Mézières (Frankreich) Festival Mondial des Théâtres de Marionnettes www.festival-marionnette.com
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23.09.–26.09.2021 Frankfurt/Oder (Deutschland) Osthafen. Intern. Festival für Puppen- und Objekttheater www.theaterdeslachens.de 24.09.–03.10.2021 Husum (Deutschland) Pole Poppenspäler Tage. Intern. Figurentheaterfestival www.pole-poppenspaeler.de 08.10.–14.10.2021 Schwäbisch Gmünd (Deutschland) Internationales Schattentheater Festival www.schwaebisch-gmuend.de 08.10.–17.10.2021 Augsburg (Deutschland) klapps PuppenSpielTage www.klapps.de 13.10.–17.10.2021 Mistelbach (Österreich) Internationale Puppentheatertage www.puppentheatertage.at 15.10.–17.10.2021 Bärenfels u. a. Orte (Deutschland) Osterzgebirgisches Puppentheaterfest www.puppentheaterfest.de 02.11–07.11.2021 Leipzig (Deutschland) euro-scene Leipzig www.euro-scene.de 04.11.–07.11.2021 Dülmen (Deutschland) Figurentheatertage www.profi-ev.de/figurentheatertage 05.11.–13.11.2021 Berlin (Deutschland) Theater der Dinge. Internationales Festival des zeitgenössischen Figuren- und Objekttheaters www.schaubude.berlin 2022 03.02.–13.02.2022 Stuttgart, Mannheim u. a. (Deutschland) IMAGINALE. Internationales Theaterfestival animierter Formen www.imaginale.net März 2022 Karlsruhe (Deutschland) Figurentheaterfestival marottinale www.marotte-figurentheater.de Mai 2022 Bielsko-Biała (Polen) International Festival of Puppetry Art Banialuka www.festiwal2020.banialuka.pl 21.06.–26.06.2022 Baden (Schweiz) Figura. Internationale Biennale des Bilder-, Objekt- und Figurentheaters www.figura-festival.ch September 2022 Erfurt (Deutschland) Synergura. Internationales Puppentheaterfestival waidspeicher.de
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IMPRESSUM
AUTOR*INNEN Dr. Yaraslava Ananka, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Slawistik und Hungarologie der HU Berlin / Bodo Birk, Abteilungsleiter Festivals und Programme im Kulturamt der Stadt Erlangen / Franziska Burger, Theaterwissenschaftlerin und Dozentin an der Hochschule der Künste Bern / Sindy Christoph, Gebärdensprachdolmetscherin und Geschäftsführerin von Scouts. Gebärdensprache für Alle, Dresden / Mascha Erbelding, Leiterin der Sammlung Puppentheater / Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums / Florian Feisel, Figurenspieler und Professor für Figurentheater an der HMDK Stuttgart / Dr. Emma Fisher, Theaterwissenschaftlerin, Puppenspielerin und Künstlerische Leiterin bei Beyond the Bark, Limerick / Mareike Gaubitz, Leiterin des Dokumentationszentrums am Deutschen Forum für Figurentheater / Annika Gloystein, Theaterwissenschaftlerin und Kulturmanagerin, Erlangen / Jessica Hölzl, Theaterwissenschaftlerin, Leipzig / Matthias Huber, freier Regisseur, Dramaturg und Audiodeskripteur, Leipzig / Valeska Klug, freie Künstlerin und Theaterwissenschaftlerin, Bochum / Hartmut E. Lange, Kameramann und Autor, Diessen am Ammersee / Sabine Leucht, Journalistin und Theaterkritikerin, München / Dr. Kathi Loch, Projektleiterin Museum der Puppentheatersammlung Dresden / Christoph Macha, Dramaturg am tjg. theater junge generation Dresden / Carlos Malmedy, Pädagoge und Leiter des Schattentheaters der Levana-Schule Schweich / Tom Mustroph, freier Autor und Dramaturg, Berlin / René Reith, Choreograf und Performancekünstler bei systemrhizoma, Hamburg / Christina Röfer, Theaterwissenschaftlerin und Mitarbeiterin beim Fonds Darstellende Künste, Berlin / Tim Sandweg, Künstlerischer Leiter der Schaubude Berlin / André Studt, Dozent für pragmatische Theaterwissenschaft an der FAU Erlangen-Nürnberg / Jacqueline Surer, Figurenspielerin und Co-Leiterin der Figurentheatersparte des Theater Luzern / Xenia Taniko, Choreografin, Performerin und Audiobeschreiberin, Berlin Übersetzungen Summaries: Roy Kift / Endkorrektur: Martina Schnabel
Impressum double. Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater Herausgegeben vom Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Bochum – www.fidena.de Das Magazin erscheint in redaktioneller Verantwortung des Vereins zur Förderung der Kunst und Kultur des Puppen-, Figuren- und Objekttheaters (V.i.S.d.P.) und in Zusammenarbeit mit dem Verlag „Theater der Zeit“. Redaktion: Mascha Erbelding, Annika Gloystein (verantw., Thema), Anke Meyer (Redaktionsleitung), Christina Röfer (verantw., Thema), Tim Sandweg, Katja Spiess, Dr. Meike Wagner // Redaktion Schweizer Fenster: Franziska Burger, Jacqueline Surer Redaktionsanschrift: Redaktion double, Postfach 10 20 32, 44720 Bochum Telefon 0234.950 629 65 // mail@double-theatermagazin.de Gestaltung: Robert Voss, Halle (Saale) Verlag: Theater der Zeit, Berlin – www.theaterderzeit.de Bezug: double ist erhältlich – als Beilage der Abonnenten-Auflage von „Theater der Zeit“ – als gesondertes double-Abonnement: zwei Ausgaben double und zwei Ausgaben Theater der Zeit für 16 EUR pro Jahr (Ausland zzgl. 6 EUR Porto) – als Einzelausgabe, gedruckt oder als pdf-Datei Abo-Service: 030.4435 285-12 oder über www.theaterderzeit.de Anzeigen: Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Hattinger Straße 467, 44795 Bochum, Telefon: 0234.4 77 20 // info@fidena.de Druck: Herstellungsagentur und Verlagsservice Schneider, Jesewitz Alle Rechte bei den Autoren und der Redaktion, Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unaufgefordert eingesandte Bücher, Fotos und Manuskripte übernimmt die Redaktion keine Haftung. Bei Nichtlieferung infolge höherer Gewalt oder infolge von Störungen des Arbeitsfriedens bestehen keine Ansprüche gegen den Herausgeber oder den Verlag. Die double-Redaktion bemüht sich um gendergerechte Sprache, belässt dabei aber den Autor*innen ihre individuelle Form der Umsetzung. Die Artikel der Rubrik „Schweizer Fenster“ folgen der Orthografie des Schweizer Hochdeutschs. Redaktionsschluss für das vorliegende Heft war der 28. Januar 2021. double 44 erscheint im November 2021. Redaktionsschluss für diese Ausgabe ist der 28. August 2021. Das Thema des nächsten Hefts ist „Regie?“. www.double-theatermagazin.de – www.fidena.de – www.theaterderzeit.de
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