double 44 – Regie? Zwischen Autor*innenschaft und Außenblick

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DOUBLE Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater

Ausgabe 2/2021 ::: Nr. 44 ::: 18. Jahrgang ::: PREIS: 6 €

REGIE? Zwischen Autor*innenschaft und Außenblick

Theater der Zeit




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INHALTSVERZEICHNIS

E d i t o r i a l

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Thema

Regie? Zwischen Autor*innenschaft und Außenblick

André Studt

Regie! Regie? Mutmaßungen zu einem scheinbar ungeliebten Begriff

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Annika Gloystein

Wir sind der Bär Improvisation über eine Forschung von Lehmann und Wenzel + Franziska Merkel

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Moritz Sostmann

Langjähriger Dialog Anmerkungen zur Arbeit als Hausregisseur

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Wenn der Spürhund zur Jagd ruft und die Hebamme bereitsteht Ein Gespräch über Regie im Figurentheater

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Franziska Burger Wahrnehmungslücke? Regie im solistischen Figurentheater 18 Von der Lächerlichkeit kolonialer Gesten und den vielen Versionen der „Häkeldecke“ Sabine Leucht im Gespräch mit Jan-Christoph Gockel und Michael Pietsch 21 Joachim Fleischer

Regie oder Künstlerische Begleitung? Inszenierungsprozesse differenziert abbilden

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Franz Schrörs

Raum für Zufälle – unter Ausschluss von Beliebigkeit Zur Rolle von Spielregeln in der Online-Inszenierung „Zimmer ohne Aussicht“

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Catherine Poher

Niemals erklären Arbeitsprinzipien einer Regisseurin

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Festival Tom Mustroph Material, Interaktion, Intimität Die digitale Ausgabe des Internationalen Figurentheaterfestivals Erlangen im Mai 2021 30 Fantasie als Schutzraum Michael Lurse im Gespräch mit Anurupa Roy bei „hellwach digital“ 34 Jubeln Tobias Prüwer

Rumms in der Ofenfabrik Der Westflügel Leipzig feiert 15-jähriges Bestehen mit einer Premiere und einem kleinen Festival

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Lars Rebehn

Die erste deutsche Puppenspieler-Marke: Zum 100. Geburtstag der „Hohnsteiner Puppenspiele“

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Julia Opitz

Papier als theatraler Körper – Gesellschaft als Bühnenraum Zum 25-jährigen Jubiläum des Papiertheaters Nürnberg

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N a c h w u c h s Leah Wewoda

Von Edelstahlgefühlen und Sprüngen vom Beckenrand der Sparten Die Studioinszenierung „Der thermale Widerstand“ an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch

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Weltall, Erde, Regenwald „Wandertag im Weltraum“ im Figurentheater Chemnitz

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Inszenierung Franziska Reif

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INHALTSVERZEICHNIS

TAGUNG Mareike Gaubitz

Zeit für „Critical Puppetry“ Das Symposium „Representing Alterity through Puppetry and Material Performance“ am Ballard Institute

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Schweizer Fenster Jacqueline Surer Im Grenzgebiet zwischen Realität und Virtualität Zum Internationalen Basler Figurentheaterfestival 45 Eine eigene Sprache finden Jacqueline Surer im Gespräch mit dem jungen Puppentheater-Macher Sebastian Ryser 46 Nachruf Silvia Brendenal

Puppenspieler, Erfinder, Ausstatter Zum Tod von Günther Lindner (1948–2021)

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Meike Wagner

Der Abstand zu Kränzen aller Art Ein Text zum Abschied von Manfred Wegner (1956–2021)

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E N G L I S H S U M M A R I E S

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NOTIZEN / FESTIVALKALENDER

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I M P R E S S U M

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Titel: Laia RiCa, Kaffee mit Zucker? Foto: Erich Malter © internationales figuren.theater.festival

Content double 44 /2021: T H E M E Directing ?! Between authorship and an outside view // André Studt Directing! Direction? Speculations on an unloved term // Annika Gloystein We are the Bear An improvisation on a research project by Lehmann and Wenzel and Franziska Merkel // Moritz Sostmann A long-term dialogue Notes on working as a house director // When the sniffer dog gives the summons for the hunt and the midwife stands by A talk with professors at the universities in Stuttgart and Berlin about directing in puppet theatre // Franziska Burger Gaps in perception? Directing for solo puppet theatre // On the laughability of colonial gestures and the many versions of the “crocheted blanket”. Sabine Leucht in conversation with Jan-Christoph Gockel and Michael Pietsch // Joachim Fleischer Direction or artistic accompaniment? Mapping staging processes in a differentiated fashion // Franz Schrörs Making room for chance – without being arbitrary On the role of rules in the online production ”Room without a View” // Catherine Poher Never explain The working principles of a director F E S T I V A L S Tom Mustroph Material, interaction, intimacy. The digital edition of the International Figure Theatre Festival in Erlangen in May 2021 // Fantasy as a shelter Michael Lurse in conversation with Anurupa Roy at “hellwach digital” C E L E B R A T I O N S Tobias Prüwer Rumms in the oven factory The Westflügel Leipzig celebrates its 15th anniversary // Lars Rebehn The first German puppeteer’s brand: On the 100th birthday of the “Hohnsteiner Puppenspiele” // Julia Opitz Paper as a theatrical body – society as a stage space On the 25th anniversary of the Nuremberg Paper Theatre Y O U N G T A L E N T Leah Wewoda Stainless steel feelings and jumping from the edge of the pool of the disciplines The Studio Production 'Thermal Resistance' at the Ernst Busch Theatre School Production // Franziska Reif Space, earth, rainforest “A Day wandering in Space” at the Chemnitz Puppet Theatre S Y M P O S I U M Mareike Gaubitz Time for “Critical Puppetry” The symposium ”Representing Alterity through Puppetry and Material Performance” at the Ballard Institute S W I S S W I N D O W Jacqueline Surer On the border between reality and virtuality The International Basel Puppet Theatre Festival // "Finding my own language“ Jacqueline Surer in conversation with the young puppet theatre maker Sebastian Ryser O B I T U A R I E S Silvia Brendenal Puppeteer, inventor, designer On the death of Günther Lindner (1948–2021) // Meike Wagner Distancing yourself from all kinds of wreaths A farewell to Manfred Wegner (1956–2021)

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EDITORIAL

REGIE? Zwischen Autor*innenschaft und Außenblick Was uns in diesem Heftschwerpunkt beschäftigt hat, kann schlicht auf die Losung „Regie: Fragezeichen“ heruntergebrochen werden. Denn neben dem Aspekt der künstlerischen Profilierung in den besonderen Produktionsprozessen des Figurentheaters stellen sich grundsätzliche Fragen an Anspruch und Bedeutung, an die sozialen und politischen Dimensionen von Regie immer drängender. Letzteres geht nicht nur mit der allgemein diskutierten Infragestellung von (missbrauchten) Hierarchien im Theaterbetrieb einher, sondern auch mit produktionsästhetischen Eigenarten eines Theaters der Dinge und den dynamischen Veränderungen, die dieses zur Zeit erfährt. Es betrifft zudem nicht nur das Selbstverständnis der künstlerischen Akteur*innen oder den kulturhistorischen Kontext, sondern auch das Rezeptionsverhalten bzw. von außen herangetragene Erwartungen und Ansprüche an die Regieposition.    So zeichnet André Studt im Auftakt Verbindungslinien von diversen heutigen Regie-Positionen zur historischen Avantgarde und zum Beginn der Arbeitsteilung im Theater nach und befragt in einem zweiten Beitrag den Lichtkünstler und Regisseur Joachim Fleischer nach essentiellen Unterschieden zwischen „Regie“ und „Inszenierungsbegleitung“. Anforderungen an eine Regieausbildung für ein Theater der Dinge sind Thema eines Gesprächs von Meike Wagner mit Professor*innen der Studiengänge für Figurentheater (Stuttgart) und für Zeitgenössische Puppenspielkunst (Berlin). Der Puppenspieler und Regisseur Moritz Sostmann reflektiert über seine Arbeit als Hausregisseur am Schauspiel Köln und Annika Gloystein versucht Kontakt mit einem regieführenden Bären (sic!) aufzunehmen. Über kooperative Arbeitsprozesse, Puppen im postkolonialen Kontext und die Rolle der Regie spricht Sabine Leucht mit dem Regisseur Jan-Christoph Gockel und dem Puppengestalter und Darsteller Micheal Pietsch. Anlässlich seiner ersten OnlineInszenierung denkt Franz Schrörs über Analogien zwischen dem Schreiben von Computerspielprogrammen und Regieführen nach. Mit einem kursorischen Überblick der vorwiegend in Dänemark inszenierenden Regisseurin Catherine Poher über die Grundprinzipien ihrer künstlerischen Arbeit endet der Thementeil.    Auch im zweiten Teil des Heftes scheint das Thema Regie immer wieder auf. Etwa wenn Julia Opitz sich anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Papiertheaters Nürnberg mit Johannes Volkmanns Konzept der „Gesellschaftsinszenierung“ beschäftigt, im Schweizer Fenster der junge Puppentheater-Macher Sebastian Ryser über seine erste Regiarbeit in St. Gallen spricht oder sich Tom Mustroph in seinem Bericht über den digitalen Teil des Internationalen Figurentheaterfestivals in Erlangen überlegt, was eine gute Inszenierung für den digitalen Raum ausmacht. Mit digitalen Formaten befassen sich noch weitere Texte. Mareike Gaubitz etwa hat für double das digitale Symposium zu „Race and Alterity in Puppetry“ besucht und fragt, wie sich „Critical Puppetry“ auch in Deutschland praktizieren lässt.    Dieses Heft widmen wir unserem kürzlich verstorbenen Kollegen und double-Mitgründer Manfred Wegner. Mascha Erbelding, Anke Meyer und André Studt

D IR E CT ING ? Between authorship and an outside view Our main preoccupation in this issue can simply be reduced to the slogan “Directing: Question Marks". For fundamental questions about the demands, the significance, the social and political dimensions of directing are becoming more and more urgent, alongside the aspect of artistic profiling in the specific production processes of puppet theatre. The former not only goes hand in hand with the broad discussions on the abuse of hierarchies in the theatre business, but also with the aesthetic features that reveal themselves in staging a theatre of things, and the dynamic changes it is currently undergoing. In addition, we not only address the self-image of the artists and the cultural-historical context of directing, but also external expectations and demands placed on directors.

florschütz & döhnert, Big Box & kleines Orchester. Foto: Erich Malter © internationales figuren.theater.festival

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THEMA

REGIE! REGIE? Mutmaßungen zu einem scheinbar ungeliebten Begriff Aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet der Theaterwissenschaftler André Studt (FAU Erlangen-Nürnberg) das Phänomen „Regie“, mit dem er sich auch in seiner Arbeit an der Schnittstelle von Theorie und Praxis seit längerem auseinandersetzt. Von André S t u dt /// Statt Begriffe subjektiv, auf die eigene Erfahrung bezogen auszulegen, um sie dann operativ in der (künstlerischen) Arbeit wirksam werden zu lassen, besteht der Luxus der Geisteswissenschaft vor dem Diskurs in der schweifenden Beobachtung eines Feldes und der beschreibenden Zuordnung von wahrgenommenen Phänomenen sowie in vorhandener Fachsprache: Da, wo die eigene Disziplin sprachlich / denkend schon einmal war, wandert der Blick meist weiter, bis man eine Lücke im vermeintlich Bekannten entdeckt zu haben scheint, die eine forschende Aufmerksamkeit verdient. Das, was unvertraut erscheint, wird fokussiert, auf denkbare Perspektiven der Betrachtung befragt. So werden, das noch fremde Phänomen umkreisend, abstrahierende Systematiken der Modellierung und möglichen Versprachlichung entwickelt, um die eigene reflexive Befangenheit anderen ggf. daran interessierten Kolleg*innen mitzuteilen. Diese können, wenn überhaupt darauf aufmerksam geworden, dann Zustimmung und – viel wichtiger – Widerspruch artikulieren. Und dann beginnt das, was als Diskurs bezeichnet werden kann. Dieser hat einen paradoxen Nebeneffekt: Das eben noch faszinierend Fremde wird zu einer routiniert verarbeiteten Form der Wirklichkeit, die banal erscheint und die man verstanden zu haben glaubt, so dass man sich auf die Suche nach neuen Lücken macht … In meinem fachlich motivierten Interesse für Theater-Regie – sowohl als expliziter Begriff der Personifikation als auch von (impliziter) Kompetenz, Anspruch und Funktion – stecke ich tief im hermeneutischen Zirkel, dem Teufelskreis der #1: Die einzige Definition der Regie (die übrigens kein eigenes Lemma im Wiederholung von empfundener Faszination und Banalität. Aus einer akademischen Distanz erscheint das Leben Metzler-Lexikon-Theatertheorie hat, dort wird auf den Eintrag ‚Inszenienur manchmal leichter … rung‘ verwiesen, wodurch man wenigstens ein Arbeitsfeld der Regie nach   Als ich mit der Vorbereitung für diese double-Ausgabe zu dem Heft-Thema „Regie?“ begann und wir entschieden, dass ich zu dem immer wieder aufkommenden Unbehagen bei der Nutzung dieses selbst theaterwissenschaftlich eher ungeklärten Begriffs #1 einen Artikel beitragen würde, durfte ich feststellen, dass auch im Bereich des Figuren-, Objekt- und Materialtheaters in puncto Regie (als Begriff, Person, Funktion und Diskurs) alles andere als klar ist, was man darunter genau verstehen möchte. Das ist für mich spannend, weil vor allem hinsichtlich einer tendenziell ablehnenden Haltung dem Begriff gegenüber eher Muster als Einzelfall … So möchte dieser Text ein Versuch sein, dieses Muster sowie dem Begriff inhärente Paradigmen und Konnotationen skizzenhaft aufzuschlüsseln und punktuell auf eine spezifische Tradierung der Regie im Genre selbst zu beziehen.

Personifikation von Regie Denkt man den Regie-Begriff auf der Ebene der Personifikation, überwiegt oft das Bild eines übergriffigen, toxisch männlichen Zampanos, der, wenn nicht die aktuelle Kulturberichterstattung massive Verfehlungen und menschenverachtend scheinende Anmaßungen einzelner Akteure thematisiert, in der Theaterwissenschaft sogar

vollziehen kann), die ich gefunden habe, stammt von Erika Fischer-Lichte (aus der Ästhetik des Performativen): „Aufgabe der Regie ist es, Inszenierungsstrategien zu entwickeln, mit denen sich eine erfolgsversprechende Versuchsanordnung entwerfen und herstellen lässt. Sie macht entscheidende Vorgaben für das Funktionieren der feedback-Schleife, indem sie einzelne Variablen und Faktoren zu isolieren und fokussieren und andere, wenn nicht auszuschalten, so doch in den Hintergrund zu drängen sucht; oder indem sie sich auf das Zusammenspiel ganz bestimmter Parameter konzentriert.“ (S. 61). Interessant scheint – durch die physische Färbung der verwendeten Verben unterstützt – die Betonung der Machtstrukturen und Dominanz; so entsteht, meiner Auffassung nach, ein einseitiges Bild von Regie, das die Dialogizität (d.h. eben nicht die monologischen Setzungen eines ‚Originalgenies‘) von Regiehandlungen ausblendet. Für die Betrachtung der konkreten Regie-Arbeit wäre eine Spezifizierung dessen, was Fischer-Lichte unter ‚Variablen und Faktoren‘ versteht, vonnöten …

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über eine historiographisch modellierte Tradition verfügt. So wurde die Genese der modernen Regie als Entwicklung „Vom Diener zum Despoten“1 (Jens Roselt) beschrieben, dessen zunehmend cholerisch artikulierter Wille zur Kunst die künstlerischen Absichten und Eigenheiten der am gemeinsamen Realisationsprozess Beteiligten überschreibt und schlimmstenfalls unsichtbar macht. Einen Grundimpuls dieser Entwicklung findet man in den Überlegungen von Edward Gordon Craig, dessen kunsttheoretische Schriften zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Bestreben der Errichtung einer autonom wirksamen Regie-Position als Machtinstanz Auskunft geben. Auch dessen Überlegungen zur ‚Übermarionette‘ lassen sich als Verdrängung der virtuosen Schauspieler*innen als bestimmende produktionsästhetische Instanz im damaligen Theater lesen; ihren Geltungsanspruch hieß es einzuhegen, auf dass sich überhaupt ein diskursiver Raum für die Regie ergeben konnte. Natürlich ist der etymologische Raum des Regie-Begriffs vom Lateinischen ‚regere‘ geprägt, und sicherlich färben die Semantiken der Leitung, der Führung und Disziplinierung auf die Personen, die diesen Praktiken professionell Aufmerksamkeit schenken müssen, ab. Craig wendet, auch wenn er die militärische Färbung der Argumentation von Befehl und Fügsamkeit übernimmt, diese Umstände ins Ästhetische, da seiner Ansicht nach sich das Theater als Kunst nur erneuern könne, wenn „unter Disziplin ein freiwilliger oder zuverlässiger Gehorsam gegenüber dem Regisseur oder Kapitän verstanden wird.“2 Auch von dieser Position abweichende Regie-Auffassungen, wie sie beispielsweise im Verständnis der ‚Spielleitung‘ durch Brecht als Alternative aufscheinen, wo den Darstellenden ein gewisses Maß an Mitspracherecht bei der Ausgestaltung ihrer Rollen gegeben (wenn nicht sogar konzeptionell im Sinne der Dialektik des Spiels notwendig) ist, änderten nicht viel an den Motiven, der reklamierten Autorität von Regie generell mit Misstrauen zu begegnen.    Ein Beispiel für einen autokratischen Regie-Stil mit absolutem Kunstanspruch markiert Tadeuz Kantor bzw. dessen ‚Theater des Todes‘, etwa mit der Produktion Umarła Klasa (Die tote Klasse, 1975). Ich würde ihn als Praktiker im Sinne der von Edward Gordon Craig etablierten Tradition einer Autoren-Regie verstehen, die den Schauspieler*innen in Produktionen einen subalternen Platz zuwies, um sie als formbares Material für eigene künstlerische Absichten verwenden zu können. So war Kantor selbst als Regisseur in seinen Inszenierungen auf der Bühne sichtbar, um die Ordnung dessen, was er als (seine) Kunst verstanden wissen wollte, aufrecht zu erhalten. Bezeichnenderweise trägt eine posthum erschienene Filmdokumentation über sein Wirken den Titel ‚Tadeusz Kantor. Ein begnadeter Tyrann‘ (Regie: Andrzej Bialko, 1997) – damit wäre man freilich wieder bei den romantischen Vorstellungen vom Künstler als Genie (und dessen diskursiver Reproduktion) … #2: Ich würde vermuten, dass dieser Begriff als mind-set

Institutionalisierung der Regie

ebenfalls Grade der Institutionalisierung aufweist: Das Theater

Inzwischen hat sich auf der rezeptionsästhetischen Ebene, vor allem im Echoraum bzw. Expert*innendiskurs einer Bewertung von durch Regieanspruch und -führung sichtbar werdenden Arbeitserzeugnissen, die Bezeichnung ‚Regie-Theater‘ als Schimpfwort mit eigenen Konjunkturzyklen im Feuilleton etabliert. Befeuert durch die aktuelle Berichterstattung über Machtmissbrauch, Übergriffigkeiten und andere Demütigungen, die das oben skizzierte Bild von Regie weiter verfestigen, rückt so die Ebene der Institutionalisierung der Regie in den Fokus. Sie erinnert daran, dass diese nicht ohne Rahmen und Kontext stattfindet bzw. sich – im besonderen Fall – als Skandal äußert, der nicht nur die Binnenlogik der Theater und ihrer Produktions- und Arbeitsweisen tangiert, sondern eine größere Öffentlichkeit, genauer: vielleicht (nur) das Bildungsbürgertum(?)#2, gegen sich aufzubringen weiß. Natürlich sind derartige Effekte von Regie nicht Bestandteil der mittlerweile ebenfalls institutionalisierten Ausbildung; hier findet eine an den Arbeitsgegenständen (v.a. Text, Körper, Raum) orientierte Profilierung von Regiepositionen statt, derer sich der Markt (auch im Theater gilt das ökonomische Gesetz von Angebot und Nachfrage) annehmen kann. So werden Menschen als Regisseur*innen engagiert, von denen sich die Institution etwas Spezifisches verspricht bzw. der eigenen – u.U. per Abonnement verpflichteten – Klientel vermitteln möchte. Und das, was als ‚freies Theater‘ seinen Anfang nahm und dem man in jüngster Vergangenheit eine

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benötigt, wenn es als ‚moralische Anstalt‘ verstanden wird, dieses so geeichte Gegenüber – wenigstens im westdeutschen Kontext (so lohnt sich ggf. ein weiterer Blick auf die Modellierungen von Regie-Vorstellungen durch die politische Grundierung der jeweiligen Gesellschaft) – notwendig für die eigene Legitimation. Als öffentliche Einrichtung, mit öffentlichen Mitteln finanziert, ist es u.a. Ort des Transfers von Materialien aus dem kulturellen in das kommunikative Gedächtnis von Gesellschaften. Die involvierten Akteur*innen dies- und jenseits der Rampe sind dabei Gatekeeper*innen von durch Theater initiierten Debatten (so auch dem Diskurs der Theaterkritik); der Regie kommt hier potenziell eine Scharnierfunktion zu, die die Routinen / Traditionen der Diskussionen herausfordern bzw. stören könnte, um auf Veränderungen zu drängen bzw. alternative Sichtweisen aufscheinen zu lassen (ganz im Sinne Brechts, der die Welt als veränderbar verstanden hat).


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THEMA

Aufweichung von solistischen Regieauffassungen zugunsten alternativer Arbeitsweisen wie collective creation, Ensemble-Regie, etc. zu verdanken hat, wird für die Betriebsmechanismen der Institution gefügig gemacht: So werden künstlerische Absichten meist zu Regie-Konzepten, welche als Arbeitsgrundlage dienen und Verbindlichkeit nach innen und außen schaffen sollen.

Regie als künstlerische Handlung Richtig unübersichtlich wird es, wenn man sich der Ebene der Kompetenzen, Ansprüche und Wirksamkeiten, die Regie als (künstlerische) Handlung hervorruft, widmet: Nachdem eine (sprachlos bzw. staunend machende) Orientierung an den Setzungen eines romantischen Künstlerideals, dem Genie, im Falle der Theater-Regie schon immer auf Widerspruch gestoßen ist (auch wenn E.G. Craig und seine Apologeten vielleicht noch damit liebäugelten), gilt es den Gründen dieser Gegenwehr nachzugehen. Theater ist – und gerade das hier im Heft thematisierte Genre des Figuren-, Material- und Objekttheaters im besonderen Maße – immer #3: Um mich vor einem empathischen Regie-Begriff zu schützen, eine an menschliche Subjekte gekoppelte Aus-Handlung von würde ich diese Position mit dem von Erving Goffman entlehnten eigenwilligen und an die involvierten Subjekte gebundenen Aktivitäten und Absichten. Dabei teilt sich das, was sich Regie Begriff der Funktionsrolle bezeichnen. Regie ist demnach situativ nennt, im Ergebnis der Aufführung nur implizit mit, da die an einen Anlass gebunden und wäre so auf das technokratische Regie führenden Personen in der Regel nicht selbst, sondern nur in den angebahnten szenischen Verlautbarungen sichtbar Setting der Definition von Fischer-Lichte anwendbar. In der (bzw. rekonstruierbar) werden. Dass dies für Puppen führende feuilletonistischen Darstellung von Regie wird die Interpretation bzw. ein Objekt animierende Spieler*innen in einigen Formaten des Genres auch gilt, weil sich die dahinter liegende Absicht im des Umgangs mit den dort genannten ‚Variablen und Faktoren‘ zu besten Fall über das sichtbar werdende Spiel mitteilt, scheint Regie-Stilen (Schauspiel-Regie, Text-/Autoren-Regie, Bildertheafür die einzelne Aktion strukturell analog. Daraus jedoch abzuleiten, dass jeder Animationsvorgang damit als Regieprozess ter, politische Intervention, …), wobei jede Spezifik des Stils eine anzusehen sei, führt meines Erachtens in eine Sackgasse, da besondere Arbeitsweise (in den Proben, mit Mensch und Material) mit dieser Deutung die sozialen (z.B. im arbeitsteiligen Prozess des Umgang mit Akteur*innen der Institution und Öffentlichin sich trägt und eine inszenatorische Signatur, die als Dialog von keit, Schauspieler*innen, Ensemblespiel), somatischen (z.B. den Hilfestellungen im Umgang mit Scham, Angst und LampenfieAbsicht und Bedeutungsträger formuliert ist, hervorbringt. ber) und energetischen (z.B. die Motivation für ein Anliegen, das in den Proben zu einem kollektiven Phänomen gemacht werden sollte) Dimensionen der Regieführung, die viele Einzelphänomene produktiv zu integrieren hat, ausgeblendet werden. Auch wenn es Defizite (und berechtigten Anlass für Kritik) in diesen Bereichen gibt und auch eine zeitgenössische Regie nicht vor den Gefahren der mit dieser Funktionsrolle#3 einhergehenden Hybris gefeit ist, sind es eben diese dialogischen Eigenschaften (Potenziale?) der Regie, denen man – sowohl pädagogisch als auch ästhetisch – eine größere Aufmerksamkeit schenken sollte.

1 Dessen stark rezipierter Aufsatz ‚Vom Diener zum Despoten. Zur ‚Vorgeschichte der modernen Theaterregie im 19. Jahrhundert‘ (in: N. Gronemeyer / B. Stegemann (Hg.): Lektionen 2 Regie. Berlin (Theater der Zeit) 2009, S. 23-37) präfiguriert die Regie als Figur, die sich das Probengeschehen untertan macht. Die stark männliche Konnotation von Regie wurde von Dennis Hänzi in der Studie ‚Die Ordnung des Theaters‘ (2013) soziologisch herausgearbeitet. 2 E.G. Craig in Jens Roselt: Regie-Theorien. Regie im Theater. Geschichte-Theorie-Praxis. Berlin (Alexander Verlag), 2015, S. 190. Hier lässt sich ein Spektrum von verschiedensten Regie-Auffassungen rekonstruieren, deren Heterogenität wahrscheinlich dafür verantwortlich ist, dass es keine generelle Theorie der Regie geben kann.

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WIR SIND DER BÄR Improvisation über eine Forschung von Lehmann und Wenzel + Franziska Merkel Für double sprach Annika Gloystein mit Lehmann und Wenzel (Stefan und Samira Wenzel) und Franziska Merkel Anfang Juni in einem Leipziger Biergarten über ihr neuestes Projekt „Regie: Bär“. Das Trio hat bereits in Ensembleregie Produktionen realisiert und arbeitet nun erstmals mit einem Regisseur zusammen: Der Bär, eine Handpuppe, führt – während er von den drei Figurenspieler*innen gespielt wird – Regie. Eine unkonventionelle Arbeit … Von A nni k a G l o y s t e in /// … braucht ein unkonventionelles Format, murmelt sie vor sich hin, während sie auf ihren Laptop starrt. Der Cursor blinkt. Um sie herum Zettel mit Aufzeichnungen. Die Audioaufnahme ihres Gesprächs mit Lehmann / Wenzel / Merkel läuft, sie macht sich ein paar Notizen: Ensembleregie | führen und geführt werden | wer ist auf wen angewiesen? | hierarchielose Stückentwicklungen im Kollektiv = Regie: Ensemble ≠ Regie: Bär? | das Tierische im Menschen, das Menschliche im Tier | Konflikte? | Mensch und Tier, Natur und Stadt | (Künstler-)Instinkt | Handicaps | Videotagebuch | Arbeiten im Lockdown | Leipziger Konzeptkünstler | Schamanismus | Märchen | wie viel Bär ist in den Spieler*innen? | die Sache ernst nehmen!? …    Ok, womit fange ich an? Vielleicht erstmal einen Arbeitstitel. Sind Wortwitze mit „Bär“ eigentlich erlaubt? Was weiß ich denn über Bär?    Sie lässt die Aufnahme weiterlaufen. Die drei erzählen, wie es zu der Zusammenarbeit kam: Bär stammt aus Samiras Kindheit und lag lange in einer Kiste. Er habe sich als Leipziger Konzeptkünstler vorgestellt. Auf einer Probe zu „Frauen in gehobenen Positionen“ 2019 gab es den gemeinsamen Beschluss, die nächste Produktion mit Bär zu machen. Mit einem Stipendium der Kulturstiftung des Bundes konnten die drei Figurenspieler*innen von August bis Ende des Jahres 2020 gemeinsam arbeiten. Das Prinzip: Bär rotiert zwischen den dreien, die Arbeit wird in einem Videotagebuch dokumentiert. Es entstünde auch immer wieder zufällig etwas. Eines Tages hatte Bär einen kleinen Rucksack dabei, darin ein USB-Stick mit Filmen. Auf die Frage, wer die Idee hatte ein Theaterstück zu machen, heißt es, Bär habe einen Eintrag ins Tagebuch geschrieben, dass er einen Antrag stellen möchte.

BÄR unterwegs. Filmstills. © Lehmann / Wenzel / Merkel

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Das Handy klingelt: Hey, na du!? … oh, Open Air Kino? Kann leider nicht, muss noch diesen Artikel schreiben … Ja, die Abgabe war schon längst … Anke wünscht sich was Unkonventionelles und André ein Interview mit Bär. Also kein klassisches Gespräch … Ach so, Bär ist der Regisseur. Der ist eigentlich Konzeptkünstler in Leipzig, beschäftigt sich viel mit seinem Stadtteil Plagwitz, mit Gentrifizierung, denkt über die Umwelt nach, macht halt so Projekte, viel Videos bisher … Nachwuchsregisseur? Joa, es ist seine erste Theaterinszenierung … Nee, „Bär“ ist kein Künstlername … Kannst ihn dir ja auf Instagram anschauen: Bär Punkt Leipzig, Bär mit ae … Ja klar, ist Bär ein Bär! Was hast du denn gedacht? …. Ja, ‘ne Puppe, ‘ne Handpuppe, von Steiff, aber der Knopf fehlt mittlerweile. Die Größenverhältnisse täuschen auch. Ist so circa 20 Zentimeter groß. Wirkt auf den Fotos irgendwie größer, findest du nicht auch? … Bin ihm schon begegnet … Ja, Bär führt Regie bei der neuen Produktion von Lehmann / Wenzel / Merkel … Wie eine Handpuppe Regie führen kann? Das ist eine sehr gute Frage! … Ja, mir geht es gut! Wieso? … Naja, dann euch viel Spaß beim Film!    Der Cursor blinkt.    Sie scrollt sich weiter durch baer.leipzig. Auf Fotos und in Videos ist Bär immer allein zu sehen, ohne menschliche Interaktion, offene Spielweise Fehlanzeige. Bär inszeniert sich als eigenständiges Wesen. #conceptualart #animalsofinstagram #conceptualbaer Bär vor Winterbild #winterschlaf, Bär vor blinkendem Baustellenschild #streetperformer, Bär verfolgt einen großen Teddybären #stalking #big #brother, Bär mit glühenden Augen #dastierinmir, Bär im Baumarkt #holzliebe ... Erster Beitrag vom 15. Juli, den Instagram-Auftritt gibt’s also noch nicht so lange. Merkwürdig, er folgt nicht den Accounts von „lehmannundwenzel“ oder „frenzemerkel“. Und umgekehrt? Auch nicht. Lässt sich keinerlei Verbindung herstellen. Doch hier, Beitrag von „lehmannundwenzel“ vom 16. Juli, Foto von Bär und Unterzeile „ich arbeite mit IHM: Bär LE! #baer #baerleipzig #conceptualart #contemporaryart #kunstleipzig“ Sie lässt die Audioaufnahme weiterlaufen. Nun erzählt gerade Stefan Wenzel davon, dass Bär manchmal Sachen im Internet bestellt und dabei sein, also Stefans, Konto belastet. Bär habe Handicaps (keinen Unterkörper, Schlabberarme mit großen Tatzen, keinen Mund), aber auch Hilfsmittel (eine Handprothese, einen Sampler mit einprogrammierten Worten zum Verständigen). Er habe eben große Ideen, aber zur Umsetzung brauche er manchmal Hilfe. Dafür habe er ja jetzt die Drei, so Samira Wenzel. Knöpfe drücken könne er und auch sehr gut mit dem Computer umgehen. Er spräche wenig, fände aber Formen sich zu äußern. Dann spielt Stefan eine Sprachnachricht von Bär vor, deutsch mit dänischem Akzent.    Sie überspringt ein Stück der Aufnahme. Nun sagt gerade Franziska Merkel: „Also was ich ja vermute, ist, dass dieses Treffen auch bei dem Bär seine Nachwirkungen hat, das kannst du dann auch mitkriegen, es kann dann schon passieren, dass er mit dir in Kontakt tritt, dir irgendwas schickt.“   Tja, schade, nichts dergleichen, keine Nachrichten von Bär bekommen!    Das Handy klingelt: Hallo!? … Ja, ich sitz’ dran … Höre mir die Aufnahme an und mache mir Notizen. Mich beschäftigt gerade, dass das Gespräch schon wieder einige Wochen her ist und bis zur Premiere Mitte September natürlich noch viel passieren wird. Sie sind gerade mitten in der Stückentwicklung. Das Gespräch war ein „hier stehen wir gerade“, da wird sich sicherlich noch einiges im Probenprozess entwickeln. Wird ohnehin spannend, bisher hat Bär viel mit Videos gearbeitet, aber Theater ist ja nochmal was anderes. Ob Bär mit auf der Bühne sein wird? … wer weiß. Hatte ich schon erzählt, dass sich Bär eigenständig beim MDR beworben hat? … War eine Ausschreibung für ein Sendekonzept, ist aber nichts geworden … Auf der Website von Lehmann und Wenzel steht als Titel „Regie: Bär“, also der Bär führt Regie. Weiter unten bei den Credits steht „Regie: Ensemble“, also das Ensemble führt Regie. Und dann ist da noch unter „Inszenierungsberatung“ Stefanie Oberhoff angegeben. Berät sie dann das Ensemble oder den Bären oder alle? Und gehört der Bär zum Ensemble oder nicht? Oder kann man sagen: Das Konzept ist der Bär, den die drei spielen? … Na gut, ich mach mal weiter.    Der Cursor blinkt.   Sie lässt die Aufnahme weiterlaufen. Oh je, so viel Stimmengewirr, so viele Nebengeräusche, ist das anstrengend zuzuhören. Ach ja, wir hatten damals Milchreis! BÄR unterwegs. Filmstills. © Lehmann / Wenzel / Merkel

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Das Handy vibriert, baer.leipzig möchte dir eine Sprachnachricht schicken: „Hey Annika, schade, dass wir uns nur so kurz gesehen haben. Ich hatte leider nicht die Gelegenheit, mich richtig mit dir auszutauschen. Die drei haben deine Fragen bestimmt charmant beantwortet und du hast genügend Material für deinen Artikel. Wenn du noch was brauchst, melde dich. Entschuldige meine Neugier: Kann ich den Text mal lesen? Liebe Grüße aus Leipzig! Bär“    Eine Nachricht von Bär! Soll ich da jetzt antworten? Naja, gerade war ich noch enttäuscht, dass bisher nichts von ihm kam. Wie war das, die Sache ernstnehmen! Na dann: „Wie schön von dir zu hören! Ja klar du. Kein Problem, Bär! Ich schick den Text vorher mal zum Lesen. Herzliche Grüße aus Erlangen!“    Oder hätte ich lieber schreiben sollen? Ich hätte ihn ja jetzt direkt fragen können, wie der aktuelle Probenprozess so läuft. Soll ich noch was hinterherschicken? Ach Mensch, ich bin im Umgang mit Bären einfach nicht geübt … Das Handy vibriert, erneut eine Sprachnachricht: „Hallo Annika, stimmt, ich bin kein Problembär! Ich bin sehr umgänglich, aber wir können uns gerne mal an anderer Stelle darüber austauschen, wie ihr Menschen mit Bären so umgeht. Vielleicht nach der Premiere? 16. September im Westflügel. Kommst du auch? Vielen Dank, dass ich den Text lesen kann. Ich bin gespannt. Schick ihn doch erstmal an mich, ich leite ihn dann an die anderen drei weiter.“    Der Cursor blinkt.    Das Handy klingelt: Hallo Stefan! … Nee, du störst nicht. … Ja, danke gut! Und bei dir? … Ja, sitze gerade am Artikel … Ob ich was von Bär gehört habe? Wieso? … Naja, er hat mir gerade eben eine Sprachnachricht geschickt. Beziehungsweise, du? … Ah o.k., du hast nichts damit zu tun. Ich hoffe, ich habe ihn nicht verärgert … Ach, blödes Missverständnis bei der Sprachnachricht: ich so „Kein Problem, Bär“ und er hat „Problembär“ verstanden. Ich weiß ja, dass das ein sensibles Thema ist … Wie, länger nicht gesehen? Und bei Franziska? … Ach, und sie dachte, er wäre bei Samira? … Was, Fahrkarte nach Erlangen gebucht? … Von deinem Konto abgebucht, aber von euch fährt keiner? Aber, das geht doch gar nicht allein! … Also, wenn ich irgendwas tun kann … Ja, halt mich doch bitte auf dem Laufenden! … Ciao!    Der Cursor blinkt.    Benachrichtigung vom E-Mail-Postfach: „mittwoch ist ok. arme wutz! du hast jetzt hoffentlich feierabend und „gute nacht“ klingt nicht zynisch :-)) lieber gruß, anke“    Puh, der Bär scheint verschwunden, aber ich habe eine Abgabeverlängerung bekommen! Bis Mittwoch krieg ich das hin! Auf dem Weg nach Erlangen? Das ist doch absurd! Ernst nehmen ja, aber …    Der Cursor blinkt. Draußen ist es dunkel.    Es klingelt an der Tür. www.lehmannundwenzel.de | www.franziskamerkel.de | www.lehmannwenzelmerkel.wordpress.com Rezension von „Regie: Bär“ unter „Aktuelle Kritik“ auf www.fidena.de

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LANGJÄHRIGER DIALOG Anmerkungen zur Arbeit als Hausregisseur Die Inszenierungen des ursprünglich an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin als Puppenspieler ausgebildeten Regisseurs Moritz Sostmann changieren meist zwischen Schauspiel und Puppenspiel. Viel beachtete Arbeiten waren u.a. „Die Buddenbrooks“ am Puppentheater Halle, Shakespeares „Richard III.“ am Puppentheater Magdeburg sowie „Der gute Mensch von Sezuan“ und beide Teile des „Faust“ oder neuerdings „Das Opferfest“ am Schauspiel Köln. Dort ist Sostmann seit 2013 Hausregisseur. Für double berichtet er von dem besonderen Forschungspotenzial, das diese Position bietet. Von M ori t z S o st m a n n /// Seit ich Hausregisseur am Schauspiel Köln bin, werde ich immer wieder gefragt, ob ich denn nur mit Puppen arbeiten würde. In den ersten Jahren fand ich diese Frage zumindest komisch. Stefan Bachmann hatte mich mit Beginn seiner Intendanz nach Köln eingeladen, weil er die Arbeit der tollen Suse Wächter, die in der Zeit von Karin Beier sehr erfolgreich war, in anderer Form, aber auch einer gewissen Kontinuität weiterführen wollte. Ich aber sah mich nicht als expliziten PuppenspielRegisseur, sondern als einen Theatermacher, der Eigenheiten und Qualitäten des Puppenspiels mit denen des Schauspiels verbinden wollte, so wie meine eigene Spielerbiografie ja auch immer ein Wandern zwischen den Welten gewesen war.    Mich interessierten weniger die unerschöpflichen Animationsformen von Material, sondern vor allem literarische und dramatische Stoffe und deren Umsetzung mit Menschen und menschenähnlichen Puppen gleichberechtigt nebeneinander – die Fortführung des Schauspiels mit anderen Mitteln. Prompt mischte ich gleich für die erste Inszenierung, es war Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“, die Darsteller querbeet, ließ die Schauspieler an die Puppen greifen und die Puppenspieler Schauspielrollen übernehmen. Als Hausregisseur konnte ich drei Darsteller meiner Wahl mit ins Ensemble bringen und hatte mit Magda Lena Schlott, Philipp Plessmann und Johannes Benecke, mit denen mich eine längere Zusammenarbeit verband, drei „Buddies“ zur Seite, die den Drang und die Verdrängung hatten, sich mit dem Schauspielensemble zu „vermischen“. Denn es war explizit der Plan, nicht eine Puppenspielsparte zu gründen, sondern die Grenzen der Genres verschwimmen zu lassen, am besten aufzuheben. Das hatte in den ersten Jahren großen Erfolg. Die poetischen Möglichkeiten des Puppenspiels und die Puppen selber strahlten in den Rest des Ensembles aus, und die Schauspieler der anderen Hausregie (jede/r von uns Vieren hatte „seine/ihre“ Leute mitgebracht) bewarben sich um Arbeiten mit mir/uns, um diese Form kennenzulernen. Stefan Bachmann, der ursprünglich vielleicht selbst in seinen Inszenierungen nach Erweiterungen durch das Genre des Puppenspiels suchte, überließ mir das Feld und gab jedwede Freiheit, weiterzuexperimentieren.    Die Produktionen wurden größer, die Puppenbudgets auch, es kamen Gäste dazu, den Höhepunkt bildete die Inszenierung von Lars Norens „3.31.93“, mit einer Personage von 26 Charakteren, gespielt von zehn Darstellern und 14 Pup-

Schauspiel Köln, 3.31.93. Foto: Thomas Aurin

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pen, völlig gleichberechtigt nebeneinander auf der Bühne. Das war 2016, im Jahr der geplanten Wiedereröffnung des alten Schauspielhauses in Köln, die dann bekanntlich bis heute nicht stattgefunden hat. Danach setzte eine gewisse Gewöhnung oder Routine ein, sowohl beim Publikum, bei der Kritik, als auch im Haus selbst, wie es wahrscheinlich dem HausregisseursPrinzip immanent ist und auch sein sollte. Alle wirklich engen Ensembles haben eine „Halbwertszeit“, dann muss Veränderung her. Die drei Darsteller „mit Puppenspielverpflichtung“ waren nicht mehr uneingeschränkt begeistert davon, jede Spielzeit zwei Inszenierungen mit mir zu machen, wollten andere Wege beschreiten, erbaten sich Auszeiten, kündigten. Die Kritik hatte sich ein wenig an das Genre gewöhnt, ich selbst hatte den Eindruck, mich an anderes heranarbeiten zu müssen, misstraute der Puppenart und ihrem gewinnenden Wesen, und die Leitung bevorzugte, lapidar ausgedrückt, wieder mehr à la carte als das Hausmenü.    Da Stefan Bachmanns Spielzeit im Interim immer wieder nur um zwei Jahre verlängert wurde, konnte ich nicht guten Gewissens neue Leute fest ins Ensemble nach Köln einladen und versuchte, mit Gästen weiter zu arbeiten. Das hatte natürlich einen bestimmten Reiz – Köln konnte es sich leisten, und ich lernte neue Leute in neuen Konstellationen kennen. Aber schon nach der ersten Spielzeit war zu spüren: Ich war nur noch auf dem Papier, nicht aber mehr in der Realität Hausregisseur. Die Anbindung ging verloren, die Gäste hatten wenig oder nichts mehr mit den festangestellten Kollegen zu tun, teilten nicht die gleichen Erfahrungen, nicht die gleichen Regisseure, nicht die gleichen Kneipen. Es gab, abgesehen von den guten Arbeitsbedingungen und den vertraglichen Vereinbarungen, keinen Grund mehr, diese Arbeiten hier in Köln zu machen. Sie hätten auch in jeder anderen Stadt, in jedem anderen Ensemble stattfinden können, was sie dann auch taten, z.b. bei Enrico Lübbe in Leipzig. Es fehlte den Arbeiten die (wenn man dieses strapazierte Wort in dem Zusammenhang überhaupt gebrauchen mag) Identität, die Erfahrung des Ensembles im Umgang miteinander, mit den Techniken dieser Mensch-Puppe-Kombination, ihren Möglichkeiten und Nuancen. Und hier liegt für mich die große Qualität des Hausregisseursprinzips: in der Chance, einer kruden Truppe die Zeit zu geben, Kunst wieder Kunst sein zu lassen und nicht nur gesellschaftliche Aufgabe, den Blick für das Wahre, Schöne und Gute zu öffnen; in der Entwicklung eines gemeinsamen Stils, einer Verfeinerung, Anpassung und Erweiterung der jeweils speziellen Kunst und ihrer Fertigkeit. Bei einer Gastregie bleibt in dieser Hinsicht vieles an der Oberfläche, auch wenn das Resultat von außen besehen wie die gleiche Handschrift erscheinen mag, in meinem Falle der „Sostmannsche Stil“. Aber den gibt es ja eigentlich gar nicht wirklich, sondern er entstand aus dem langjährigen Dialog zwischen Leuten, die miteinander arbeiteten und Entdeckungen machten, verwarfen, sich langweilten und aus dem Überdruss neue Nuancen erfanden und auch die stetige Weiterentwicklung und immer größer werdende Differenziertheit der Puppen von Hagen Tilp goutierten.    Immer wieder denke ich an eine kurze Szene aus Kafkas „Amerika“, in der Schlott, Plessmann und Benecke die kleine KarlRossmann-Puppe, mit einem Koffer und einem Schirm bewaffnet, zu ebener Erde viele verzweifelte Runden über die viel zu große Bühne des Depot laufen lassen. Mitunter gab das Szenenapplaus für die drei Spieler, die sich in rührend-absurder Selbstaufgabe und in perfektem Zusammenspiel bis zur Erschöpfung um ein kleine Figur bemühen. So etwas entsteht nicht in sechs Wochen Inszenierungszeit, sondern über Jahre, nach denen man auf Gemeinsames zurückgreifen, zusammen klingen und tanzen kann. Und dafür gibt es das Prinzip des Hausregisseurs. Gäbe es das nicht, müssten viele Regisseure eine Compagnie gründen oder gleich ein ganzes Haus übernehmen. – www.schauspiel.koeln

Schauspiel Köln, Faust II. Foto: Thomas Aurin

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wenn der spürhund zur jagd ruft und die hebamme bereitsteht Ein Gespräch über Regie im Figurentheater Welche Rolle spielen RegisseurInnen im Produktionsprozess von Puppenspielkunst? In welchem Verhältnis stehen PuppenspielerInnen und RegisseurInnen im Figurentheater heute? Die double-Redakteurin Meike Wagner führte ein Gespräch mit Melanie Sowa, Markus Joss (beide ProfessorInnen an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Studiengang Puppenspielkunst) und mit Julika Mayer, Stephanie Rinke und Florian Feisel (alle ProfessorInnen an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, Studiengang Figurentheater). Meike Wagner: Man kann sagen, dass es im Figurentheater die Regel ist, dass erfahrene PuppenspielerInnen Regie führen. Bekommt dadurch die Regiefunktion nicht immer auch so eine Art Mentorenfunktion? Stephanie Rinke: Mir ist das selbst als Studentin deutlich aufgefallen, als ich die erste Inszenierung unter der Regie von Frank Soehnle gemacht habe. Da habe ich versucht, mir zu merken, was denn seine Regiestruktur ist. Was für ein Konzept hat der Regisseur? Und so haben sich natürlich auch für mich selbst bestimmte Tools herausgeschält, mit denen ich arbeite, und die ich auch versuche, in meiner Arbeit mit Studierenden weiterzugeben.

Melanie Sowa: Auch ich begreife meine Lehre so, dass ich im Rahmen von einer Studieninszenierung oder einer Szenischen Übung das so offen halte, dass man das Regiekonzept dahinter teilt und diskutiert. Markus Joss: Wenn Regie heißt, eine spezifische ästhetische Strategie zu verfolgen, dann würde ich sagen, bin ich im Kontext der Hochschule nicht Regisseur. Gleichzeitig geht es natürlich darum, den Studierenden – denen, die szenisch arbeiten und denen die zugucken – ein möglichst breites Spektrum dessen zu vermitteln, was so alles geht mit Puppe und Objekt. Dabei sollte die Spezifik des Materials erkannt werden, das Potential, das im Material liegt, im Umgang mit dem Material.

Spiel, Regie und Material Florian Feisel: Also, ich komme jetzt gerade aus dem Puppen-Unterricht. Da haben wir uns Handpuppen angeguckt. Und da waren die SpielerInnen ja selbst auch RegisseurInnen. Ich habe einerseits die Puppen angesprochen als Schauspieler, und habe andererseits mit den SpielerInnen geredet, die diese Puppen führen, die also selbst auch einen Regie-Blick auf diese Figuren haben. MJ: Aber es geht auch ganz anders. Der viel zu früh verstorbene Regisseur Jarg Pataki hat ja seine ästhetischen Konzepte auch aus einer, ich will mal behaupten großen Differenz, fast Verweigerung heraus, die Puppen selbst auch nur anzufassen, entwickelt. Er hat auch nie behauptet, dass er das selbst kann, sondern er hat einfach einen Anspruch formuliert, eine ästhetische Zielsetzung. Und die wollte er erfüllt haben. Aus dieser Differenz heraus kann natürlich auch Hervorragendes passieren.

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MS: Nochmal zu Florian: Vor der Introspektion während des Spiels muss aber auch noch ein konzeptioneller Gedanke kommen. Wann setze ich die Handpuppe ein, wann nehme ich welche Form, um was zu erzählen? Wann mache ich die Inszenierung mit Papier, wann mache ich sie mit Schaum, und wann mache ich sie mit der Handpuppe? Julika Mayer: Das konzeptionelle Denken ist ja immer auf die Puppe bezogen. Handpuppe ist nicht das Gleiche wie Fadenpuppe, ist nicht das Gleiche … Und, was erzählt denn die Beziehung des Spielers, der Spielerin zur Figur? Ich sage gerne zu den Studierenden: ‚Würdet ihr am Stadttheater sein und da ist ein Regisseur oder eine Regisseurin, der oder die sagt, ich möchte gerne Puppe, dann sind das genau die Fragen, die ihr mit ihm abklopfen müsst.‘ Die Gesamtkonzeption einer Produktion ist nochmals eine andere Frage. FF: Diese Frage nach dem Material, als konzeptionelle Frage, kann natürlich auch von einem Regisseur oder einer Regisseurin entschieden werden, aber in unserem Genre ist es doch meistens so, dass die SpielerInnen in diese Entscheidung eingebunden sind. Oder, wenn sie auch selbst PuppenbauerInnen sind, diese bereits in einem sehr frühen Prozess treffen. Was ich sagen will, ist, dass die dramaturgischen Kompetenzen, die ein Regisseur oder eine Regisseurin auf jeden Fall braucht, in unserem Genre auch für die Spielenden unerlässlich sind. Und im Falle von Jarg Pataki würde ich sagen: Er hatte auch immer VermittlerInnen, PuppentrainerInnen, also erfahrenere PuppenspielerInnen, die mit dem Ensemble gearbeitet haben. JM: Ich habe in Chemnitz Regie für ein Kinder-Stück gemacht. Da war ich natürlich aufgefordert, mit einem Konzept zu kommen, das ich aber dann sehr offen gehalten habe. Ich hatte als Regisseurin das Gefühl, mit Caro Hoffmann auf verschiedenen Ebenen zu arbeiten. D.h., ich trage die konzeptuelle Verantwortung. Aber weil ich selbst eine Spielerinnen-Vergangenheit habe, gibt es bei mir ein quasi empathisches Wissen – ich weiß, wo die Spielerin gerade ist, wie ich die führen kann. Dann sage ich manchmal: ‚Kannst Du Luft unter die Achseln bringen‘ – und plötzlich nimmt die Szene einen anderen Lauf. MJ: Ich unterrichte gerade Schauspiel-Regie-Studierende von uns, die ich jetzt mit Puppentheater infizieren will. Es fällt ihnen grundsätzlich sehr schwer, die Puppe oder das Material konzeptionell produktiv einzubinden, weil ihnen die Erfahrung fehlt und weil ja derjenige, der auf die Bühne kommt, nicht so aussieht wie sie selbst, mit Kopf, zwei Armen, zwei Beinen etc. Da wird dann manchmal etwas in die Hand genommen, und schnell wieder verworfen – ‚das funktioniert irgendwie nicht‘. Junge, unerfahrene RegisseurInnen wissen aber oft nicht, auf welcher Ebene: Funktioniert es nicht, weil es noch nicht gut organisiert ist. Oder funktioniert es nicht, weil’s einfach konzeptionell nicht konsequent gedacht ist.

Regie-Ausbildung für Figurentheater Glaubt ihr denn, es bräuchte so etwas wie eine Regieausbildung spezifisch für Figurentheater und Puppenspiel? Und, wieviel Regie steckt eigentlich in euren Studiengängen schon drin? SR: Ich sehe absolut einen Bedarf für eine Regie-Ausbildung. Ich bin ja in Stuttgart damals so angetreten, dass ich gerne den Master Regie und den Master Figurengestaltung einrichten möchte. Es gibt inzwischen verschiedene Überlegungen, wie man diesen Master einrichten könnte, unter anderem vielleicht auch in Kooperation mit einem schon bestehenden Regie-Studiengang, da so ein Master ja nicht rein auf Figurenspieler zugeschnitten sein müsste. Denn wir sehen sowohl in unserer Hochschule als auch außerhalb, wo in der Zusammenarbeit mit Schauspiel-RegisseurInnen die Schwierigkeiten liegen: Die sind zwar extrem interessiert am Figurentheater, aber sie kennen das Medium nicht genau. Es gibt im Moment einen starken öffentlichen Diskurs um Hierarchien und Machtmissbrauch von IntendantInnen und RegisseurInnen im Schauspiel. Das ist ein systemisches Problem, das sehr viel mit den Arbeitsprozessen zu tun hat. Wie würden sich die Arbeitsstrukturen verändern, wenn man eine spezifische Regie-Ausbildung ins Figurentheater hereinbrächte, und, bestünde die Gefahr einer stärkeren Hierarchiebildung?

Seiten 14 bis 17: Gesprächsteilnehmer*innen. Bildschirmfotos aus der Videokonferenz. © Meike Wagner

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FF: Ja, ich glaube, diese Gefahr würde bestehen. Aber natürlich haben wir ein Interesse daran, gute RegisseurInnen ins Figurentheater hineinzubekommen. An der Hochschule versuchen wir, einerseits Regie-Kompetenzen zu vermitteln, andererseits machen wir als Pädagogen auch so ein bisschen ‚Regie light‘ sozusagen. Also, wir sind menschenfreundlich, ‚komm wir gucken mal, wer ist denn da, was sind die Impulse‘. Das ist das Primat von unserer Arbeit. Das ist aber ohnehin das Primat einer zeitgenössischen Regiearbeit. Das ist heute ganz anders als noch vor 30, 40, 50 Jahren. SR: Wenn ich unsere Ausbildungen anschaue, dann sehe ich diese Gefahr nicht, weil wir ja keine reinen InterpretInnen ausbilden. Im Studium werden unsere Studierenden mit diesem Außenblick, mit der Reflektiertheit, mit dem Verständnis dafür, was sie benutzen und wie sie es benutzen, ausgebildet. Also, wenn ich mir z.B. anschaue, dass es teilweise an traditionellen Schauspielschulen wirklich noch Aufnahmeprüfungen gibt, in denen die Prüfer schauen, mit welchen klassischen Rollen man die Leute besetzen kann: ‚Und das ist ein typisches Gretchen, und das ist…‘ Diese Art von Denken existiert ja in unserem Bereich gar nicht. MS: Es gibt jetzt natürlich auch durch dieses große gemeinsame Haus der Ernst Busch Hochschule Bestrebungen, dass Regie-Klasse und Puppenspiel-Klasse zusammenkommen. Da gibt es schon Versuche, RegisseurInnen nicht nur aus unserem Pool, sondern auch aus dem der Regie-Klassen zu begeistern und ihre Wahrnehmung zu schulen. In vier Jahren Ausbildung hat man natürlich die Chance, viel zu sehen, und durch Theorie-Unterricht kriegt man vielleicht noch Tiefenmaterial und kann sich da bedienen.

Aus dem Team heraus Florian hat ja vorhin schon angesprochen, dass Regie von heute ja prinzipiell nicht mehr das Gleiche wie vor 50 Jahren ist. Und heute gibt es gerade unter den freien Gruppen viele, die den Regie-Begriff gar nicht mehr verwenden, sondern von ‚devising‘ sprechen. Braucht es den Regie-Begriff überhaupt noch? Oder sind das heute eher kollektive Kreationen? MS: Ich glaube, es gibt verschiedene Phasen in so einer Arbeit. Im besten Falle kommt der Impuls aus der Gruppe und man ist sich einig darüber, über eine Lesart, über Material, das man benutzt. Und dann gibt es irgendwo einen Punkt in so einer Produktion kurz

vor der Premiere, da ist es dann doch nötig, dass einer oder eine guckt und beschreibt, und sagt, ‚so und so wirkt das‘ und ‚das wirkt einfach nicht so, wie wir uns das vorstellen‘. Man kann das hierarchisch nennen, man kann das ‚vor der Bühne‘ und ‚auf der Bühne‘ nennen. Da müssen Entscheidungen getroffen werden. Und wenn sie alle immer gemeinsam gefällt werden, ist das wahnsinnig aufreibend. Daher ist doch irgendwann eine Art von Vertrauen, und auch ein Abgeben von Verantwortung notwendig. SR: Also für mich ist das nicht hierarchisch, sondern mehr ein ‚safety net‘: der Regisseur, die Regisseurin behält den Gesamtblick. Ich kann im Spiel irgendwo hingehen, der oder die holt mich wieder zurück. Das gibt mir als Spielerin ja auch Freiheit. FF: Bei wunderbaren Theaterarbeiten habe ich das Gefühl, da gibt es eine Kongruenz der Gruppe oder der SpielerInnen, oder des ganzen Teams mit dem Material. Und das kann natürlich z.B. dadurch entstehen, dass die Spielenden auch schon das Material selbst entwickelt, gebaut haben oder sich daran abarbeiten. Dies alles könnte von einer Person von außen bestimmt, aber nicht maßgeblich getragen werden. Das muss eigentlich immer aus dem Team heraus kommen. Das findet auch gerade statt, dass es nicht mehr die großen Alphatiere gibt, die die Vision mitbringen, auf die alle gewartet haben, sondern das sind eher so Spürhunde, die dann daraus eine Jagd machen.

Die Hebamme, oder: sind drei schon ein Kollektiv? MJ: Ich meine eher, dass der Begriff ‚Hebamme‘ zutrifft. Der Regisseur, die Regisseurin im Puppentheater ist jemand, der einen Blick für das spezifische Potential von Strukturen oder Material-Assemblagen haben muss. Er oder sie ist nicht derjenige oder diejenige, die von außen kommen und ein Konzept draufdrücken, sondern das Konzept ist nur der Auslöser. Wenn ich eine größere Produktion

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habe und eben nicht aus dem Team heraus entwickeln kann, dann muss ich vorher fragen, ‚was wollt ihr für Puppen bauen, liebe PuppenbauerInnen?‘. Und wenn die dann auf die Probe kommen, ist das immer furchtbar, weil das nichts mit dem zu tun hat, was ich mir vorgestellt habe. Dann gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten. Ich glaube, das erzählt viel über die Fähigkeiten, PuppenspielRegisseurIn zu sein, oder nicht. Entweder sage ich ‚Stop!‘, zurück in die Werkstatt, ‚nochmal, nochmal, nochmal!‘ Aber das Material wird nie dem genügen, was ich mir vorgestellt habe. Viel, viel spannender ist es eigentlich, zu sagen ‚was ist jetzt da?‘ Die Idee, dass der Schauspieler/die Schauspielerin mir als RegisseurIn gehorchen muss, die stirbt wahrscheinlich gerade aus. Aber der Schauspieler lässt das vielleicht noch eher mit sich machen, dass er gehorcht. Das Material kann teilweise gar nicht gehorchen, weil es eine spezifische Bedingung hat. Das Material will, dass ich mich ihm in einer bestimmten Haltung nähere. Das muss ich als RegisseurIn begreifen. FF: Ich bin eigentlich überhaupt nicht der Meinung, dass Theater grundsätzlich ein Kollektivprozess ist, obwohl wir in kollektiven Strukturen arbeiten. Also ein Regisseur, eine Regisseurin muss ja auch eine Autorität haben, um Entscheidungen im Sinne von allen zu treffen. JM: „Kollektiv“ heißt ja nicht, dass jeder an jedem mitmischt, sondern es gibt klare Aufgaben, es gibt klare Kompetenzen. Aber es geht nur zusammen. MJ: Ich glaube, in unserem Metier befinden sich der Regisseur/die Regisseurin und der Puppenspieler/die Puppenspielerin irgendwie auf einer Plattform, wo wir halt über dieses Dritte arbeiten können. In der Puppenspiel-Regie bist du also mindestens zu dritt, der Regisseur/die Regisseurin, der Spieler/die Spielerin und das Material. Da kann man abwechselnd sagen, wer schuld ist. Das macht es einfacher. FF: Du sagst, es geht um was Drittes. Das ist beim Bild der Hebamme ganz offensichtlich. Die Hebamme ist da, weil schon etwas passiert, oder sich etwas entwickelt. Ob das in der Gesellschaft ist, oder in einem kleinen Team, es ist etwas vorhanden und da müssen jetzt alle dran arbeiten. Das ist etwas ganz Neues, aber genetisch ist es wahrscheinlich mehr mit den SpielerInnen, die das gebären, verbunden, als mit der Regisseurin, die als Hebamme tätig ist. Und – die Hebamme kann entscheidend dafür sein, wie am Ende das Geburtserlebnis ausfällt. Da haben wir wieder die Verantwortung und die Autorität… JM: Und das Tolle ist, man sieht nicht, was rauskommt… Das ist vielleicht wirklich der entscheidende Punkt. Es ist keiner da, der vorher das Konzept hat, so soll es aussehen. Hier sind die Ohren… www.hfs-berlin.de – www.hmdk-stuttgart.de

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wahrnehmungslücke? Regie im solistischen Figurenthater

Die Berner Theaterwissenschaftlerin Franziska Burger hat sich mit der Rezeption von Solo-Inszenierungen im Bereich Figuren- und Objekttheater befasst. Dabei hat sie eine auffällige Lücke in der Wahrnehmung, speziell auch der journalistischen, festgestellt: In den meisten Besprechungen von Produktionen solistisch arbeitender Künstler*innen fehlt die Auseinandersetzung mit dem Anteil der Regie. Diesem Phänomen ist sie für double nachgegangen. Von Fra nz i sk a Bu rg e r /// Die Anlage des Objekttheaterklassikers „Drei kleine Selbstmorde“ ist vielen geläufig: Gyula Molnár sitzt alleine an einem Tisch, eine kleine italienische Kaffeemaschine, Streichhölzer, Kaffeebohnen, eine Kokosnuss, eine Uhr, ein Alkaseltzer und weitere Alltagsgegenstände sind um ihn versammelt. Alles in Griffnähe, so dass er weder auf andere Spieler*innen angewiesen ist noch auf Techniker*innen, denn auch die beiden Lampen über der Tischplatte werden während der Aufführung von Molnár via einem unter dem Tisch befestigten Schalter bedient. Das ganze Setup suggeriert, dass neben dem Spieler keine weitere Person am künstlerischen Prozess beteiligt ist – auch die Geschichte, so absurd, kann nur aus seinem Kopf entsprungen sein. Die Mitarbeit Francesca Bettinis, die Molnár bei den meisten Produktionen als künstlerische Partnerin unterstützt und bei den kleinen Gyula Molnár, Drei kleine Selbstmorde. Foto: Fidena Archiv 2011. © Theater

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Selbstmorden die Regie übernahm, wird häufig nicht wahrgenommen und selbst in den Begleitmaterialien erschreckend oft nicht erwähnt (was eine stichprobenartige Recherche in die online gestellten Programmhefte und Ankündigungstexte der letzten Aufführungen bestätigte).    Das Beispiel mag überraschend wie extrem sein, doch zeigt es ein für Figuren- und Objekttheater spezifisches Problemfeld auf: Die Regie spielt in der Diskussion über Figuren- und Objekttheater kaum eine Rolle und wird – etwas polemisch ausgedrückt – gern unterschlagen. Gegenstand der Debatte – und dies beweist nicht zuletzt auch dieses ‚späte‘ Themenheft im Vergleich zu vorherigen double-Erscheinungen – sind meist Figurenführung, die Präsenz der Spieler*innen, die Gestaltung und Manipulation der Puppen und Figuren, der Effekt der eingesetzten Bühnentechnik, das Funktionieren der Dramaturgie oder der behandelte Stoff und dessen Umsetzung. Also nahezu alle Arbeitsbereiche ausgenommen der Rolle der Spielleitung bzw. der Regie. Woher kommt der geschilderte Wahrnehmungseindruck, dass solistisch agierende Theatermacher*innen Alleskönner*innen seien und entsprechend auf die Unterstützung einer außenstehenden Person als Regie verzichteten? Verweist das Fehlen einer Debatte über diese innertheatrale Funktion auf eine „fehlende“ Regie im Figurentheater? Oder auf eine Besonderheit der Kreation vor allem solistischer Inszenierungen im Figurentheater?

Regie und Kreation Wenn nach Erika Fischer-Lichte, wie auch im Eingangsartikel dieses Heftes dargelegt, Regie als eine Form der Autorschaft verstanden wird, bei der sämtliche formalen Mittel vom Bühnenbild über Licht und Musik bis hin zum Schauspielstil so zu orchestrieren sind, dass sie im Zusammenspiel Ausdruck der eigenen schöpferischen Idee werden, dann entsteht im Falle der Zusammenarbeit mit Solist*innen – insofern die Interpretation aller Rollen und teilweise auch der Puppenbau in einer Person zusammenfallen – eine gewisse Ambivalenz: Denn im solistischen Figurentheater ist der*die Spieler*in in seinen*ihren Fächern nicht nur spezialisiert, sondern übernimmt, da er*sie meist auch die Ausgangsidee für die Inszenierung hatte, ebenfalls eine konzeptuelle Entscheidungsmacht und tritt in Bezug auf die schöpferische Arbeit als Ko-Kreateur*in auf. Dadurch verlagert sich die Rolle der Regie tendenziell zu der einer ordnenden Außenperspektive.

Viele Hüte tragen Das Phänomen, dass eine Person in Personalunion einen Großteil der Funktionen wie Spiel, Puppenbau, Textschreiben, Dramaturgie, Lichttechnik, Ausstattung und Regie übernimmt, ist in anderen Formen der darstellenden Künste kaum so ausgeprägt und häufig anzutreffen wie im Figuren- und Objekttheater. Albrecht Roser, Philip Genty, Neville Tranter, Ilka Schönbein … : Viele der Wegbereiter*innen im Figurentheater sind bekannt dafür, dass sie vorwiegend solistisch arbeit(et)en und sowohl auf als auch hinter der Bühne mehrere Rollen (im wahrsten Sinne des Wortes) und Funktionen einnehmen.    Diese Arbeitsweise hatte vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem strukturelle und finanzielle Gründe, war und ist jedoch fraglos auch künstlerisch motiviert. Die Inszenierung mit Puppen ermöglicht den Theatermacher*innen eine Form der Selbstbestimmung des künstlerischen Ausdrucks, die mit den Mitteln anderer Kunstformen so kaum umsetzbar ist: Nicht nur die eigene Rolle kann nach den eigenen Vorstellungen in Szene gesetzt werden, sondern auch alle anderen. Die Entwicklung der offenen Manipulation spielte dieser Tendenz in die Hände: Die Spieler*innen beginnen dabei auf der Bühne immer mehr Funktionen einzunehmen, treten auch als Erzähler*innen und Mitspieler*innen ihrer Figuren in Erscheinung. Dabei setzen sie die von ihnen animierten Neville Tranter’s Stuffed Puppet Theatre, Schicklgruber – Alias Adolf Hitler. Der letzte Tag in der Reichskanzlei. Foto: Fidena Archiv 2003. © Theater

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Figuren oder Objekte zugleich offen „in Szene“. Auch wenn es produktionsästhetisch eine Regie gibt, kommt rezeptionsästhetisch der Rolle der Solist*innen mehr Gewicht zu und drängt die Arbeit der Regie in den Hintergrund.    Einigen gegenwärtigen wie auch schon länger tätigen Spieler*innen, wie Neville Tranter, Nikolaus Habjan, Xavier Bobès oder Ilka Schönbein, die für ihr präzises Spiel wie auch die berserkerhafte Arbeitsweise bekannt sind, eröffnet das Spiel und die Inszenierung mit Puppen und Objekten die potenzielle Kontrolle über sämtliche künstlerische Entscheidungen und deren Umsetzung. Gerade dass sie mehrere Figuren – quasi das ganze künstlerische Ensemble – alleine darstellen, macht einen Teil der jeweils sehr spezifischen Arbeitsweise und Wirkungsästhetik aus. Die Anzahl der Hüte, die sie bei der Produktion tragen (Regie, Spiel, Dramaturgie, …), korrespondiert dabei auf gewisse Weise mit den zahlreichen Rollen, die sie auf der Bühne einnehmen.

Virtuosität überschreibt Regie Dass bei dieser scheinbar personalarmen Arbeit eine Person als Regisseur*in im Hintergrund aktiv sein soll, passt nicht ganz ins Bild. Diesen Eindruck bestätigt auch ein kursorischer Blick in Rezensionen und Ankündigungen von solistischen Figurentheaterproduktionen: Als Beispiel wird die Produktion „Schicklgruber – Alias Adolf Hitler. Der letzte Tag in der Reichskanzlei“ aufgegriffen.1 Eine kurze Internetrecherche offenbart eine Fülle an Rezensionen und Ankündigungen, die im Kontext der Premiere wie auch Wiederaufnahmen erschienen sind und auf die immer noch zugegriffen werden kann.2 Ein genauer Blick offenbart: Auch wenn eine Regie involviert ist, wird sie in praktisch keinem der Texte erwähnt. Während im Programmheft zu der Premiere im Rahmen der Wiener Festwochen im Jahr 2003 Theo Fransz als Regie aufgelistet wird, Jan Veldman als Texter und Tranter verantwortlich für Konzept und Spiel, werden die beiden erstgenannten in den meisten journalistischen Besprechungen kaum genannt – und wenn, dann eher der Autor Veldman als der Regisseur Fransz. Eingegangen wird vor allem auf Tranters animatorische und darstellerische Fähigkeiten, auf seine Rolle als Führer-Adjudant Heinz Linge und die Gestaltung der Puppen. Die Presseberichte vermitteln so den Eindruck, dass er alleine Schöpfer dieses Werkes sei, das stark von seinem als virtuos beschriebenen Spiel und der Faszination der von ihm gestalteten Puppen lebt. An diesem Beispiel zeigt sich noch einmal deutlich die Überschreibung der Regie durch die Virtuosität und Strahlkraft der Spieler*innen.    Nicht nur durch die Präsenz und den unbestritten großen schöpferischen Anteil der Solist*innen gerät also die Regie (und manchmal das ganze Produktionsteam) aus dem medialen Blick, sondern auch durch die Bereitschaft, in Figurentheater-Kritiken der darstellerischen Virtuosität alle anderen Aspekte einer Inszenierung unterzuordnen.    Auf einem ganz anderen Blatt steht, dass Regie in sonstigen Formen des gegenwärtigen Figurentheaters bzw. dessen Wahrnehmung durchaus eine wichtige Rolle spielen kann. Mit Nis Søgaard, Gisèle Vienne oder Nikolaus Habjan seien nur einige Namen genannt, die sich mit ihren Regiearbeiten einen Namen gemacht und international besprochen werden. Aber das wäre ein anderer, noch zu schreibender Artikel ... 1 Tranter führt in den vergangenen Jahren bei seinen Produktionen vorwiegend selber Regie. Auch wenn das ausgewählte Beispiel bereits fast zwei Jahrzehnte zurückliegt, sind die Ergebnisse der Recherche aufgrund des langjährigen Verbleibs des Stücks im Repertoire von Tranter – und somit auch dessen wichtiger Position im Kanon – doch relevant für die Auseinandersetzung mit der Rolle der Regie im solistisch praktizierten Figurentheater der vergangenen Jahre. 2 Als beispielhaft sind die folgenden drei Rezensionen vom Standard, Tagesspiegel und dem Edinburgh Guide zu werten: https://www.derstandard.at/story/1331931/holzkopf-hitler https://edinburghguide.com/reviews/schicklgruber-alias-adolf-hitler-traverse-theatre-review-11952geben kann. https://www.tagesspiegel.de/kultur/der-tod-das-muss-ein-diener-sein/411330.html

Neville Tranter’s Stuffed Puppet Theatre, Schicklgruber – Alias Adolf Hitler. Der letzte Tag in der Reichskanzlei. Foto: Fidena Archiv 2003. © Theater

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VON DER LÄCHERLICHKEIT KOLONIALER GESTEN UND DEN VIELEN VERSIONEN DER „HÄKELDECKE“ Sabine Leucht im Gespräch mit Jan-Christoph Gockel und Michael Pietsch „Wir Schwarzen müssen zusammenhalten“: Mit diesem Satz besiegelte der ehemalige Bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) seine unheilige Allianz mit dem togoischen Präsidenten Gnassingbé Eyadéma und verlängerte damit die deutsche Kolonialgeschichte in eine bayerisch-afrikanische Spezlwirtschaft hinein. Die togoische Wurstfabrik des Strauß-Freundes Josef März steht heute noch, ebenso fließt bayerisches Bier auf dem Oktoberfest in Lomé. Der Regisseur JanChristoph Gockel hat mit „Wir Schwarzen müssen zusammenhalten – Eine Erwiderung“ (im Folgenden kurz: „Erwiderung“) mit Schauspieler:innen, Musiker:innen, Comics und dokumentarischem Material aus Togo und den Münchner Kammerspielen ein filmtheatrales Mosaik gebastelt, in dem eine zeitreisende Geisterjägerin auf eine lebensechte Strauß-Marionette trifft. Ein Gespräch mit Gockel und dem Schauspieler, Puppenspieler und -bauer Michael Pietsch über kooperative Arbeitsprozesse, Puppen im postkolonialen Kontext und die Rolle der Regie. Jan-Christoph Gockel, Michael Pietsch, was ist die Basis Ihrer Zusammenarbeit? Jan-Christoph Gockel: Wir kennen uns seit Jugendtagen. Wir kommen vom Land, ja praktisch aus dem Wald: Michas Vater war Förster. Michael Pietsch: Ich habe mit drei Jahren meine erste Puppe aus Gips gebaut. Seit ich zehn bin, schnitze ich in Holz. Als ich 15 Jahre alt war, habe ich Jan kennengelernt und wir haben gemeinsam einen Theaterabend mit Puppen entwickelt. JCG: Später hat Michael Schauspiel studiert und ich Regie, wir sind uns am Theater wiederbegegnet und haben da weiterprobiert, wo wir aufgehört hatten. Unsere erste gemeinsame Produktion war Brechts „Baal“. Damals gab es noch zwei klar getrennte Ebenen: Es gab Micha als nerdigen jungen Brecht, der sich eine Superheldenfigur schnitzt – und das größenwahnsinnige Dichtertum fand ausMünchner Kammerspiele, Wir Schwarzen müssen zusammenhalten – Eine Erwiderung. Fotos Thomas Aurin

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schließlich zwischen Puppen statt. Das gleichberechtigte Nebeneinander verschiedener Kunstformen, das uns heute so wichtig ist, hat sich dann mit der Zeit immer weiterentwickelt. Wie hat die Puppe Ihre Arbeitsweisen und Ihr Theaterverständnis geprägt? JCG: Dieser Heiner Müller-Gedanke, dass das Theater eine Art Totenbeschwörung ist, ist ja dem Figurentheater immanent: Jeder weiß, Holz hat keine Gefühle. Aber wir verleihen sie ihm qua Spiel und qua Zusehen. Das hat auch über die Puppe hinaus die Art geprägt, wie ich auf Theater gucke: Man bringt Dinge auf die Bühne, die es eigentlich nicht gibt und Vorgänge, die unmöglich sind – und trotzdem glaubt man daran. In Ihrem Toller-Abend an den Münchner Kammerspielen oder der Frankfurter „Orestie“ stehen die Puppen für verschiedene Zeit- und Realitätsebenen und tragen die Gesichter der Schauspieler. Ihre Franz Josef Strauß-Puppe aus „Erwiderung“ ist dagegen eine klar wiedererkennbare historische Figur. MP: Aber zugleich ist unser Strauß auch eine Inkarnation, ein Geist aus einer anderen Zeit, der nicht totzukriegen ist. In Deutschland ist Strauß einer gewissen Generation gut bekannt. In Togo dagegen wurden wir oft gefragt, ob das Donald Trump wäre. (lacht) War es eine bewusste Setzung, dass ausgerechnet der Strippenzieher der Spezlwirtschaft selbst an der Strippe hängt? JCG: In unserer Vision von Theater schwingen immer mehrere Bedeutungsebenen mit. Michael trägt als Spieler der Strauß-Figur so ein Bavaria One-Startrek-Markus Söder-Outfit. Man kann das so interpretieren, dass dieser Strippenzieher selbst noch von der Gegenwart gesteuert wird. Das Publikum kann sich aber auch mit der Strauß-Figur losgelöst von Michael beschäftigen oder mit den Original-Tondokumenten. Das lässt sich alles nebeneinander betrachten und auch gemeinsam. Es ist also einkalkuliert, dass an einem Theaterabend, der mit einer Vielzahl ästhetischer Mittel in der Kolonialzeit, den achtziger Jahren und heute spielt, keiner alles versteht? Wie verträgt sich das mit Ihrem politischen Ansatz? JCG: Ich mag es, wenn es voll ist und die Zuschauer:innen selbst auswählen können, was sie sehen. Politisches Theater lebt von Themen und Diskursen, aber auch von Sinnlichkeit und der Erfahrung, die man als Zuschauer:in machen kann. Als ich angefangen habe im Theater, gab es viele Inszenierungen, die einem so sehr sagen wollten, was wie gemeint ist - und davon ist die Welt schon voll genug. Gerade politische Theaterabende so zu erzählen, dass sie verschiedene Türen und Zugänge haben, ist mir wichtig. Die Geschichte des Figurentheaters ist voller rassistischer Stereotype. Sie arbeiten seit 2013 regelmäßig in Westafrika. Gibt es denn im postkolonialen Kontext spezielle Fettnäpfchen, in die man treten kann? Man muss sich ja beim Puppenbau auf einen Körper und ein Gesicht festlegen. JCG: Die Frage, wie viel Form braucht die Puppe oder gerade nicht, hat uns immer begleitet. Für unsere erste Arbeit im Kongo hat Michael versucht, ein Kind zu bauen, das auf alle Kontinente passt. MP: Die Puppe ist holzfarben und eine der wenigen, die ich nicht bemalt und der ich nicht einmal Glasaugen eingesetzt habe. Es war damals eine Arbeit über den Rohstoff Coltan, der im Kongo abgebaut, in Malaysia geschmolzen, in China in Kondensatoren verbaut und in Europa verwertet wird. Und bei jedem Schritt sind Kinder beteiligt. Dieses internationale Kind kann das afrikanische Kind in der Coltan-Mine, aber genauso gut auch das Kind sein, das in Europa vor der Glotze sitzt. Jede Puppe wird durch das, was auf der Bühne und auf den Reisen geschieht, aufgeladen, aber kaum eine so emotional wie diese. Das müssen Sie erklären. JCG: In diese leeren Augen kann man alles hinein-sehen. Und weil der Protagonist des Abends – ein ehemaliger Minenarbeiter und Kindersoldat – seine Geschichte auf der Bühne nicht selbst erzählen konnte, hat die Puppe viel davon übernommen. Wir sind mit dieser Produktion aber auch viel getourt und die Erlebnisse schreiben sich in das Material ein: Der Kopf ist aufgeplatzt, das Holz hat sich verfärbt, die Hand ist verbrannt. Dieser Prozess wird nicht unsichtbar gemacht, sondern wird zum Teil der Erzählung. Seiten 22 und 23: Münchner Kammerspiele, Wir Schwarzen müssen zusammenhalten – Eine Erwiderung. Fotos Thomas Aurin

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Es gibt aber auch Unerklärliches - zum Beispiel hatte die Strauß-Puppe plötzlich Flecken auf dem Hemd, als hätte sie geschwitzt … wir wissen nicht, wie das passiert ist. Warum ist Strauß die einzige Puppe in „Erwiderung“? Sind afrikanische Puppen zu heikel? JCG: Wir hatten überlegt, noch eine Eyadéma-Puppe zu machen, die togoischen Kolleg:innen meinten aber, den Ex-Präsidenten als Puppe nachzubauen, ginge politisch nicht. MP: In den filmischen Sequenzen des Abends kommen noch andere Puppen vor, gebaut vom togoischen Puppenspieler und -bauer Danaye Kalanféi. Dieser hat übrigens in Bezug auf unsere Idee mit der Puppe des Expräsidenten gesagt: „Wisst ihr, wie ich das machen würde: Ich würde sagen, es ist die Geschichte von einem König. Die Parabel ist bei uns ganz wichtig.“ Und so erzählen auch wir in einer Szene gemeinsam mit den togoischen Kolleg:innen die Parabel von einem togoischen König und seinem bayerischen Spezl auf Großwildjagd. Können Sie anhand der „Erwiderung“ beschreiben, wie eine Stückerarbeitung bei Ihnen konkret aussieht? JCG: Wenn wir in einen Prozess einchecken, wissen wir wenig Genaues. Hier waren es die Eckpunkte: Togo und Bayern. Deshalb ist es auch wichtig und richtig, dass bei der „Erwiderung“ acht Leute in der Autor:innenzeile stehen, obwohl es mit Elemawusi Agbédjidji einen offiziellen Autor gibt, der aber nicht den Anspruch hatte, uns ein fertiges Stück zu schreiben, sondern gesagt hat: „Ich arbeite schreibend mit, so wie die anderen improvisierend, recherchierend oder puppenbauend“. Haben Sie in dieser Produktion besonders prozessual gearbeitet? JCG: Nein, wir machen das generell so. Bei den postkolonialen Themen ist es nur besonders wichtig, ausreichend Zeit zu haben, weil die Arbeit für die afrikanischen Kolleg:innen sehr viel Konfrontation mit historischer Gewalt und Rassismus mit sich bringt. Als wir dann die Figuren erarbeitet haben, wollte Michael Strauß bauen; Martin Weigel ist aus Wasserburg am Inn und wollte unbedingt den Rosenheimer Wurstzampano spielen. Komi Togbonou hat sich mit dem Funker Siegfried Gaba Bismarck eine Figur ausgedacht, in der sich die große Sehnsucht einer schwarzen Person spiegelt, einer fremden Struktur anzugehören und innerhalb dieser Struktur ausgezeichnet zu werden - und gleichzeitig hat diese Rolle einen operettenhaften Aufzug, in dem sich die Lächerlichkeit kolonialer Gesten zeigt. Und als wir gerade mal wieder über unsere sehr eurozentristischen Perspektiven nachdachten, kam Nancy Mensah-Offei mit afrofuturistischem Bildmaterial, entsprechender Musik und Szenen aus dem „Black Panther“-Film, woraufhin ihr Elemawusi diesen Geisterjägerinnen-Part mit dem Raumschiff geschrieben hat. Welche Rolle spielen Sie in einem solchen Prozess überhaupt noch als Regisseur? JCG: Ich verstehe mich als eine Art Showrunner, der Kontakte knüpft, strukturiert und sich das Ganze immer wieder anschaut. Aber eigentlich versuche ich einen sehr kooperativen Prozess zu leiten, aus dem nach und nach aus mosaikartigen Teilen Theater entsteht. Heute heißt das Stückentwicklung, ich stelle mir aber gerne vor, dass Shakespeare auch so gearbeitet hat. Hat das noch viel mit dem zu tun, was Sie gelernt haben? JCG: Eigentlich habe ich im Regiestudium genau das Gegenteil gelernt: Permanent senden und immer wissen, wie die Häkeldecke von der ersten bis zur letzten Version aussehen soll. Völliger Irrsinn! Wer kann so was? Die Idee des künstlerischen Genies, das alles weiß und kann, stammt aus dem 19. Jahrhundert und hängt uns immer noch an. Wie sehr hat die internationale Arbeit Ihre Art, Regie zu betreiben, beeinflusst? JCG: Sehr, vor allem die Arbeit auf dem afrikanischen Kontinent. Während unserer ersten Produktion in Burkina Faso kam der Lichttechniker eines Tages mit einer Idee für eine Szene und einen Text, den er für diese geschrieben hatte, auf mich zu. Als ich mich darüber gewundert habe, sagte er: „Ja klar, ich habe im Niger ein Theater, da performe ich auch“. Die Aufhebung der Trennung zwischen Genres und Tätigkeiten würde ich als künstlerisches Ideal bezeichnen. – www.peachesandrooster.de

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REGIE ODER KÜNSTLERISCHE BEGLEITUNG? Inszenierungsprozesse differenziert abbilden An Joachim Fleischer, der in unterschiedlichen Produktionen der Figurentheaterszene als Reflektor, ‚Außenblicker‘ oder künstlerischer Begleiter und Lichtgestalter (z.B. Duo florschütz & döhnert, Tangram Kollektiv, Wilde&Vogel, Rafi Martin oder bei der Numen Company) fungiert, schickte der double-Autor André Studt einige Fragen betreffs seines Selbstverständnisses als Regisseur oder eben: als künstlerischer Begleiter. Für Joachim Fleischer waren diese Fragen Ausgangspunkt für den Versuch, eine nicht immer klare Position im Inszenierungsprozess zu beschreiben und zu benennen. André Studt: Ist „Künstlerische Begleitung“ ein Euphemismus für Regie? Joachim Fleischer: Ich komme originär nicht von der darstellenden, sondern von der bildenden Kunst. Viele Prozesse der (freien) Figurentheaterbühnen in ihrer künstlerischen Arbeit sind mir sehr geläufig. Oft sind diese Prozesse ja stark bildnerisch geprägt und ausgerichtet, zumal die Mitwirkenden in der Regel nicht nur darstellerisch, sondern auch in Bau und Gestaltung der Figuren, der Objekte, des Bühnenbilds und Sets tätig sind. Darin steckt so etwas wie der Universalgedanke eines Künstlers.    Der Versuch einer Begriffsbestimmung von Regie ist, glaube ich, in diesem Zusammenhang vor allem dem Verfahren und der Praxis der Bühnen selbst geschuldet. Von den Bühnenmitgliedern aus entstehen die ersten Konzeptionen und Ideen für Stücke und Theaterformen. Dadurch ist das künstlerische Konzept erstmal stark geprägt von der jeweiligen Bühne.

florschütz & döhnert, Big Box und kleines Orchester. Foto: Joachim Fleischer

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Da es dann meist um die Darstellung und Entwicklung der eigenen künstlerischen Sprache einer Bühne, mit der ich arbeite, geht, greifen manche, teils konventionelle Grundannahmen, die mit dem Begriff ‚Regie’ verbunden sind, hier wahrscheinlich nicht mehr. Deshalb gibt es Versuche, diesen Prozess anders zu benennen und abzubilden. Wunschprojektion dabei ist vielleicht, den nicht autoritären Partner mit reflektorischem Blick, Überblick, Außenblick, als Begleitung zu finden, eine Persönlichkeit, die im Sinne der produzierenden Bühne ein Stück mit erarbeitet, begleitet … aber dadurch de facto auch mitgestaltet.    Die Entwicklung der Begriffsbestimmung hin zur künstlerischen Begleitung, ob nun in Konzeption oder Szenenentwicklung, markiert schon den Stellenwert der Eigenständigkeit einer Bühne, weil damit ein Diktat von außen und die Vorstellung einer federführenden Regie unmöglich ist. Ich denke, dass das Infragestellen von Begriffsbestimmungen bzw. das Ringen um angemessene Begriffe etwas ist, was nicht nur in einer Theaterproduktion, sondern in vielen gesellschaftlichen Bereichen und Ebenen zu finden ist. Wie eine Art von Durchleuchten und Entmisten von Begriffen und damit verbundenen Haltungen … Der Nimbus, den die Regie hat, ist, glaube ich, schon geprägt von der Angst der Figurentheaterschaffenden vor dem Verlust der eigenen künstlerischen Sprache. So kann die Zusammenarbeit zu einem Grenzgang werden, denn auch ein begleitender Außenblick verlangt Schärfe der Betrachtung und trägt unweigerlich regiehafte Züge. Muss eine künstlerische Begleitung die eigene Expertise im Hintergrund parken? Wichtig ist in diesem Begriffsbestimmungsdschungel, dass natürlich auch dem Außenblick, der künstlerischen Begleitung etc. eine Wertigkeit zugemessen wird, gerade weil der Begriff ‚künstlerische Begleitung‘ nicht etabliert ist und vielleicht noch nebulös erscheint. (…) Ich gehe davon aus, dass mein künstlerisches Zutun genauso ernst genommen wird, wie mein Mich-Einlassen auf die jeweilige Welt der Bühne.    Meiner Erfahrung nach bedeutet künstlerische Begleitung wirklich einen langen Prozess – es ist keinesfalls ein Nebenschauplatz. Dabei fängt auch dieser Begriff nicht alles auf, und teilweise hinkt er hinterher. Deshalb versuchen wir in unserer Arbeit über die ‚Teilhabe in Idee, Konzeption‘ oder Begrifflichkeiten wie ‚Stückentwicklung im Team‘ dies in den Credits zu bezeugen und zu benennen. Das klingt kompliziert, entspricht aber vielleicht einer Verfeinerung des Inszenierungsprozesses und bildet diesen differenzierter ab.    Natürlich gibt es auch Bühnen, die mit dem Begriff ‚Regie‘ arbeiten und bei denen ich als „Regie“ abgebildet bin. Im Falle des künstlerischen Begleiters kann ich zur Entwicklung und Präzisierung der eigenen Ausdrucksform einer freien Bühne beitragen und trotzdem mit meiner künstlerischen Haltung präsent sein. Dies auch in verschiedensten Produktionen. Das ist die nicht sichtbare Ebene. Zu dieser vordergründig nicht sichtbaren Ebene meines Zutuns – dem reflektorischen Ansatz – gibt es zudem die sichtbare, die sich in der Lichtgestaltung und -konzeption ausdrückt. Ziemlich crazy das Ganze … aber gut. Wie wichtig ist das Prinzip der teilnehmenden Beobachtung? Ist es teilnehmende oder teilnahmslose Beobachtung? Ist es aktive und interpretierend fortschreitende Beobachtung? Gestaltende Beobachtung, klärende Beobachtung, hinweisende Beobachtung, spiegelnde Beobachtung? Überhaupt Beobachtung? Ich empfinde es als sehr aktiven Prozess, der auch hohe Anforderungen stellt. Es ist ein Herausfinden, was funktioniert, was funktioniert für die Bühne, die unter bestimmten ästhetischen Vorstellungen einer Idee folgt. Für mich ist es die Arbeit an Zusammenhängen und Interaktionen der einzelnen Parameter eines Stückes, die Arbeit an einer darstellerischen Präsenz auf einer Bühne oder an der eines künstlichen Raumes etc., die Arbeit an der Möglichkeit der Kombination von Bewegung, Sprache der Zutaten, Ton, Musik … ein Filtern und Herausfinden ... In der künstlerischen Begleitung kommt einem der Aspekt einer spielerischen Haltung vielleicht nicht zwangsläufig in den Sinn. Aber es geht mehr um das Aufspüren von Potenzialen, ohne etwas künstlich darauf zu setzen. Vielleicht ein Sich-Einlassen, Erkunden, Schärfen … Also suchen wir weiter nach dem richtigen Begriff … – www.joachimfleischer.de Rafi Martin, Übungen im Verschwinden. Foto: Joachim Fleischer

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RAUM FÜR ZUFÄLLE – UNTER AUSSCHLUSS VON BELIEBIGKEIT Zur Rolle von Spielregeln in der Online-Inszenierung „Zimmer ohne Aussicht“

Die zwischen Objekttheater, Film und Online-Spiel changierende Arbeit „Zimmer ohne Aussicht – Ein Erkundungsspiel im Livestreamformat“ von Franz Schrörs entstand im Frühjahr 2021. Es ist seine erste Inszenierung nach Abschluss des Studiums am Stuttgarter Studiengang Figurentheater. Das modulare Erzählsystem, die Spielregeln, auf denen die Arbeit basiert, gewähren den Zuschauer*innen großen Mitwirkungsspielraum. Wer führt hier die Regie? Der Frage geht Franz Schrörs für double nach. Von Fra nz S c h rörs /// In „Zimmer ohne Aussicht“ wird das Publikum über eine Video-Konferenz-Plattform eingeladen, ein verlassenes Zimmer zu besichtigen. Bei diesem handelt es sich um eine Miniatur im Maßstab 1:10. Alle Möbel sind aus weißem Papier gebaut, alle Objekte aus schwarzem Papier, die Formen sind rechteckig und universell. Es gibt keine Figuren, die sich in diesem Raum bewegen. Nur eine Kamera, durch deren Auge das Zimmer entdeckt werden kann.   Eine Stimme begrüßt die Besucher*innen und fordert sie auf, sich umzusehen, damit die Erinnerungen dieses verlassenen Ortes wieder zum Leben erweckt werden. Jedes Objekt bietet bei näherer Betrachtung eine Information über Geschehnisse, die hier stattgefunden haben könnten. Eine Reihenfolge, in der diese Objekte betrachtet werden, eine Ordnung, in der sie ihre Informationen preisgeben, sind dabei nicht vorgegeben. Die Besucher*innen entscheiden selbst, welche Objekte sie wann genauer ansehen. Sie entscheiden, welche Assoziationen und Mutmaßungen sie selbst in das Zimmer hineintragen und nehmen damit direkten Einfluss auf die Geschichten, die sich aus den von ihnen entdeckten Erinnerungen zusammensetzen. Ein Messer am Boden erzählt schließlich etwas sehr anderes, je nachdem, ob man zuvor von einem gemeinsamen Kochabend oder einem Streit erfahren hat. Jede Franz Schrörs, Zimmer ohne Aussicht – Ein Erkundungsspiel im Livestreamformat. Probenfoto: Franz Schrörs

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Präsentation, jede Gruppe von Besucher*innen generiert eine andere Geschichte über diesen verlassenen Ort, die sich allmählich, scheinbar zwangsläufig, zusammensetzt.

W e r s p i e lt h i e r e i g e n t l i c h ? Wenn man „Zimmer ohne Aussicht“ als ein halb-analoges Computerspiel begreift, sind die Besucher*innen ganz eindeutig seine Spieler*innen. Der unsichtbar bleibende Mensch, dessen eine Hand die Kamera führt, während die andere Hand gelegentlich Informationen preisgibt, Musik- und Texteinspieler aktiviert oder Schubladen dazu bringt, sich zu öffnen, ist ein Fleisch gebliebenes Computerprogramm.    Begreift man die Arbeit aber als interaktives Objekttheater, sind die Verhältnisse nicht mehr so eindeutig. Natürlich spielen die Besucher*innen des Zimmers mit. Sie geben die Impulse für jedes Geschehen innerhalb des Zimmers, ihre Gespräche sind Teil der Vorstellung. Dennoch werden sie nicht zu Darsteller*innen. Dieser Part, das „Vorspielen“ wird dem Zimmer und seinem Interieur überlassen, welches behauptet, die eine Geschichte, die es in diesem Moment erzählt, sei die einzige Geschichte, die es zu erzählen habe.    In dieser Gemengelage fällt den Besucher*innen eine Rolle zu, die an klassische Regiearbeit denken lässt. Mit Sätzen wie „Kann ich den Tisch einmal von unten sehen?“ oder „Können wir die Perspektive einmal drehen?“ (also eigentlich Aufforderungen, die eine Regie im Probenprozess an die Darsteller*innen richten würde, um weitere Spielmöglichkeiten zu entdecken), bestimmen sie nicht nur die Reihenfolge der Szenen, sondern auch den Rhythmus, in dem diese erzählt werden. Auch, wenn sie möglicherweise gar nicht wissen, dass sie ihr Erlebnis in dem „Zimmer ohne Aussicht“, durch ihre Teilhabe selbst mitinszenieren.    Allerdings ist ihre Macht nicht absolut. Die Regeln, die in dem Zimmer gelten, wurden festgelegt, bevor die Besucher*innen ihre erste Anweisung an die Kameraführung ausgesprochen haben. Der Pool der Inhalte, die ihre Anweisungen und Wünsche hervorrufen, existiert bereits. Es gibt Grenzen der Handlungsmöglichkeiten und der Mitbestimmung. Ihr Besuch im Zimmer hat einen klaren Anfang und ein klares Ende.

Regie kommt von Regel Die einzigen sichtbaren Darsteller in „Zimmer ohne Aussicht“ sind die unbewegten Möbel und Objekte – allerdings durch die Hand der Kamera führenden Person, die zudem das Stück entworfen, das Zimmer gebaut, die Texte geschrieben, die Musikfragmente ausgewählt und das Spielprinzip entwickelt hat, nach dem sich diese Module – je nach Art der Besichtigung des Zimmers durch die Besucher*innen – immer wieder neu zusammensetzen.    Daher würde ich bei „Zimmer ohne Aussicht“ von einer Regie-Arbeit im ausschließlich konzeptionellen Sinn sprechen. Die Arbeitsweise funktioniert sehr ähnlich wie das Schreiben eines Computerprogramms:    Ein komplexer Vorgang, sei es eine Geschichte oder ein Thema, das auf der (Film)Bühne dargestellt werden soll, wird auf seine simpelsten, unkompliziertesten Bestandteile heruntergebrochen. Die Grenze zwischen Materiellem und Immateriellem verschwindet dabei. Genauso wie jedes Objekt, jeder Werkstoff und jede Puppe, bringen auch Themen, Ideen und Geschichten ihre eigene Materialität mit, aus denen sich bestimmte Notwendigkeiten ergeben. Aus diesen Notwendigkeiten werden Spielregeln formuliert. Diese Spielregeln werden erprobt und angepasst, erprobt und angepasst, erprobt und angepasst, bis sie ihren Zweck, nämlich das zu erzählen, was erzählt werden will, auf die einfachste, effizienteste Weise erfüllen.    Als Regisseur sehe ich meine Aufgabe darin, einen Raum zu schaffen, in dem maximale Zufälligkeit unter Ausschluss jeder Beliebigkeit entstehen kann. Dabei macht es keinen großen Unterschied, ob ich in diesem Raum anschließend mit Kolleg*innen gemeinsam ein Bühnenstück (im nicht-interaktiven Sinne) erarbeite, oder ob wesentliche Teile der Inszenierung daraus bestehen, dass Besucher*innen selbst spielen und sich – digital oder präsent – in diesem Raum bewegen. Die Konzeption ist ein Spiel im Kopf, das dem Spiel auf der Bühne voraus geht, welches im Wechsel mit ihm stattfindet und im Dialog mit ihm steht.    Das Wichtigste bei alldem ist, sich nichts auszudenken. Im Kopf zu spielen ist keine Denk-Arbeit. Es ist, genauso wie das Spiel mit allem anderen, in erster Linie ein Akt des aufmerksamen Zuhörens. Es ist die Suche nach jenen Regeln, die es dem zu inszenierenden Stück erlauben, sich aus seiner eigenen Logik heraus selbst zu generieren. https://franz.mighornej.org/ Franz Schrörs, Zimmer ohne Aussicht – Ein Erkundungsspiel im Livestreamformat. Bildschirmfoto: Franz Schrörs

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NIEMALS ERKLÄREN Arbeitsprinzipien einer Regisseurin Seit vielen Jahren inszeniert die französische Regisseurin Catherine Poher vorwiegend in Dänemark. Ihre in Zusammenarbeit mit Theatern wie unter anderem Gruppe 38, Aaben dans, Rio Rose oder Teater Blik enstandenen Inszenierungen haben weltweit auf Festivals reüssiert und, was wichtiger ist, unsere Wahrnehmung beeinflusst. Die mit zauberischen Dingen gedeckte Tafel in der performativen Installation „Hans Christian, you must be an angel“ (Gruppe 38), das von Origami inspirierte Papier-Universum von „Hov!“ (Teater Blik), die betanzten Objekte in „Three Legs“ (Aaben dans) – sie alle ziehen uns mit einer immer etwas brüchigen Magie, visueller Poesie und leisem Humor in ihren Bann. Dabei bewegen sich die Arbeiten Pohers spielerisch, deutungsoffen und mit starkem Fokus auf dem bildnerischen Ausdruck zwischen Schauspiel, Tanz, künstlerischer Performance und dem Theater der Dinge. Sie wenden sich gleichermaßen an junges Publikum wie an Erwachsene. Für das Regieheft von double gibt Catherine Poher, die ihre Arbeitsweise näher an der einer Bildenden Künstlerin als der einer Theaterregisseurin verortet1, einen kursorischen Überblick über die Grundprinzipien ihrer Inszenierungstätigkeit. Einen umfassenden Einblick in ihre Arbeit und ihr internationales künstlerisches Umfeld, zu dem neben anderen europäischen Künstler*innen auch die französischen Theater SKAPPA und Vélo Théâtre zählen, gewährt das 2020 in digitaler Neuauflage erschienene Buch „…Og på den 8. dag begyndte de at drømme“2. Die Bildausstattung des Buches lässt auch ohne Kenntnisse der dänischen Sprache die besondere Regiehandschrift von Pohers Inszenierungen erahnen. Von C a t h e ri ne Po h er /// In den siebziger Jahren in Paris haben mir Inszenierungen von Pina Bausch, Bob Wilson, Tadeusz Kantor … unvergessliche Theatereindrücke bereitet und Lust gemacht, mich einzulassen auf das Abenteuer, eine Sprache der Bewegungen, der szenischen Installationen, des Lichtes, der Musik zu erschaffen, anstatt wie geplant Architektin zu werden. Ich bin auf keine Theaterschule gegangen, ich habe nicht gelernt, was zu tun ist und wie – und was zu lassen ist. Das erlaubte mir, in totaler Freiheit meine eigene szenische Sprache zu finden und einige grundlegende Prinzipien meiner Arbeit zu entwickeln: 1. Nichts machen, das mir nicht wirklich am Herzen liegt. Mit anderen Worten, es muss ein Thema oder ein Problem berühren, das für mich lebenswichtig ist. 2. Sich intensiv auseinandersetzen mit vielen Fragen, die mit dem Thema oder der gewählten Geschichte verbunden sind. Texte, Fotos, Musik, Bilder … zusammentragen, die damit in Resonanz treten. 3. Kreieren eines Inszenierungskonzepts, das notwendige Grenzen beinhaltet – und sich an diese Grenzen halten. 4. Sorgsam die Mitwirkenden des Projekts auswählen. Alle müssen bereit sein, sich auf unbekanntes Terrain zu wagen. 5. Einplanen mehrerer Perioden der Recherche und der Improvisation, in denen das gesamte Team anwesend ist, bevor die letzten vier Wochen der Fertigstellung beginnen. Das Projekt gewinnt organisch an Substanz, auch in den Zeiten zwischen den Proben, wenn man allein ist, jeder für sich. In diesen Momenten der Ruhe bildet die Inszenierung nach und nach Wurzeln in unseren Seelen. Unsere Träume füllen sich mit Bildern, Handlungen, Musik … Bücher tauchen, scheinbar zufällig, in unseren Händen auf. Dem Zufall ist große Bedeutung beizumessen! 6. Jedes szenische Element erzählt. Dies sei nicht allein den Worten zugebilligt. Das Licht, die Musik, der Klang, die Dinge, das Bühnenbild, die Kostüme, die Choreographie, die Bewegungen und Aktionen der Darsteller … das alles spricht. An all diesen Elementen muss simultan gearbeitet werden. Auf diese Weise verflechten sie sich schließlich miteinander und werden ein untrennbares Ganzes. 7. Nicht im Voraus entscheiden, was passieren soll. Improvisieren und all das speichern, was uns verwundert und uns Fragen stellt. 8. Offen sein für alles Unvorhergesehene, das die Probenarbeit durcheinanderbringt. Darin kann sich ein unerwarteter szenischer Lösungsansatz verbergen. 9. Alles hat eine Konsequenz. Nicht den Weg aus den Augen verlieren, der uns von der Absicht einer Handlung zu ihrer Wirkung führt. 10. Es muss für jede Inszenierung ein Schlüssel gefunden werden, der den Zuschauern die besondere Kunstsprache der Inszenierung zugänglich macht und es ihnen ermöglicht zu spüren: Das, was sie sehen, betrifft sie. Selbst ein sehr abstraktes Theaterspiel ist leicht 1 Dazu sei auf die neueste Arbeit mit Aaben dans, die szenische Installation „Spraekker/Cracks“ hingewiesen: https://abendans.dk/spraekker/?lang=en 2 Kirsten Dahl, Catherine Poher: … Og på den 8. dag begyndte de at drømme. E-Book, 2020. Unter www.ogpaden8dag.com frei zugänglich. Seite 29 oben: Aaben dans. Spraekker / Cracks. Foto: Morten Abrahamsen Seite 29 unten: Teatret Gruppe 38, Hans-Christian, you must be an angel. Foto: Jesko Döring / Festival Blickwechsel

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zu dechiffrieren. Letztlich geht es darum, die Sinne der Zuschauer zu berühren, ihre Körper von der ersten Sekunde an mit dem zu verbinden, was auf der Bühne passiert. 11. LESS IS MORE. Alles entfernen, was überflüssig ist. Sich so weit als möglich der Essenz des Themas nähern. 12. Sorgfältig arbeiten. Denn die Schönheit verbirgt sich in den Details. 13. Niemals erklären. Die Inszenierung ihren eigenen Rhythmus atmen lassen und dem Publikum erlauben, an dem Akt der Schöpfung teilzunehmen, indem ihm die Freiheit seiner eigenen Version und seines eigenen Verständnisses dessen, was es sieht, gegeben wird. 14. Niemals eine Inszenierung für Erwachsene oder für Kinder erschaffen, sondern Inszenierungen, die ab einem bestimmten Alter von allen gesehen werden können. Ich hatte die unglaubliche Chance, meine Theater-Familie zu finden. Was für ein Glück, welch' Privileg, Kollegen und Kolleginnen getroffen zu haben, mit denen ich die gleiche Bühnensprache teile. Es ist wie ein Nach-Hause-Kommen, dorthin, wo man sich gut fühlt, wo man einander versteht, ohne sich erklären zu müssen. – Übersetzung aus dem Französischen: Silvia Brendenal, Einleitung: Anke Meyer. – www.catherinepoher.dk


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MATERIAL, INTERAKTION, INTIMITÄT Die digitale Ausgabe des Internationalen Figurentheaterfestivals in Erlangen im Mai 2021 Das Internationale Figurentheaterfestival Erlangen realisierte eine gelungene Digitalversion aus reinen Online-Formaten und HybridModellen. Als zukunftsfähig erwiesen sich dabei vor allem Produktionen, die interaktive Möglichkeiten des Digitalen konsequent ausnutzten, die Kostbarkeit von geteilter Zeit betonten und den Reiz ganz handfester analoger Materialien und Objekte im Digitalen entfalteten. Über die im Lauf der Sommermonate nachgeholten Live-Veranstaltungen wird double im nächsten Heft berichten. Von Tom Mu st ro p h /// Not mache erfinderisch. Diese Behauptung hatte Konjunktur in Pandemie-Zeiten. Natürlich, manche Dinge wurden entwickelt, manche Prozesse in Gang gesetzt, die es ohne die pandemischen Beschränkungen nicht geben würde. Auch die Darstellenden Künste profitierten davon. Sie erlebten eine digitale Transformation, die so im Jahre 2019 kaum vorstellbar war, geschweige denn für realisierbar gehalten wurde. Und weil eben ein akuter Mangel an analogen Theatererlebnissen, an Begegnungen mit Menschen und einem Teilen von Raum und Zeit herrschte, wurden die neuen Formen, die Surrogate, Substitute und Erweiterungen, meist sehr dankbar angenommen.    Bevor man das, was stattfand, was trotzdem war, einfach nur als gelungen annimmt und gegeben hinnimmt, sei kurz beim Philosophen Immanuel Kant nachgelesen. Der schreibt in seiner „Kritik der Urteilskraft“ von drei Arten des Wohlgefallens. Eine davon, das Angenehme, charakterisiert Kant als ein „Wohlgefallen ohne Wahl“. Er kritisiert daran: Nur wenn Bedürfnisse befriedigt seien, ließe sich unterscheiden, wer Geschmack habe oder nicht. Erst der Gesättigte ist also zum ästhetischen Urteil in der Lage.

onlinetheater.live, Hyphe. Foto: onlinetheater.live

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In diesem Sinne gesättigt waren in den letzten anderthalb Jahren wohl nur die wenigsten. Diese Festivalrückschau strebt dennoch an, nach den künstlerischen Strategien zu schauen, die über die Notfallbewältigung hinaus gingen und für ein digital erweitertes Figurentheater neue Horizonte eröffnen können.    Zunächst die Statistik. 28 unterschiedlichen Arbeiten, die teils in Online-Streams, auf Plattformen wie Instagram, als Telefonformate, als Videoessays, als live gestreamte Vorstellungen vor reduziertem Publikum im Theater oder als digital nicht zugängliche Vor-Ort-Events im Erlanger Stadtgebiet stattfanden, standen im Festivalkalender 56 verschobene Produktionen gegenüber. Von denen konnten nach Ende des Festivals die meisten immerhin im Laufe des Sommers gezeigt werden. Trotz komplizierter Bedingungen und permanenten Umplanens war und ist also viel vom ursprünglich geplanten Programm umgesetzt. Das ist bemerkenswert. Kant allerdings würde dies allein kaum befriedigen.

(Wieder-)Entdeckung von Materialien und Rohstoffen Auffällig war, dass zahlreiche Künstler*innen sich Beschränkungen unterwarfen und dabei neue Freiheiten entdeckten. Ariel Doron etwa machte im Lockdown seine Küche zum Experimentaltheater. Seine Figuren schnitzte er mit dem Messer aus Auberginen und Orangen. In seinen Händen verwandelten sie sich in Wesen. Besonders dem so simplen Orangengesicht schrieb man, je nachdem, ob die geschnitzten Mundwinkel nach oben oder unten zeigten, eine Fülle von Emotionen zu. Doron begeisterte in seinen „Küchenspielen“ das großteils sehr junge Publikum (ab 4 Jahren) derart, dass die Kinder im Zoom den schlafenden Orangenkopf lautstark weckten und die digitale vierte Wand der Zoomkacheln durchlöchert war.    Als Materialspezialisten sind Melanie Florschütz und Michael Döhnert schon länger bekannt. Sie entlocken Objekten und Materialien Geräusche und arrangieren sie zu Bildern. Ihre wortlose Kunst übertrug sich bei dem vor lebhaft applaudierendem Livepublikum gezeigten Showing von „BIG BOX & kleines Orchester“ auch auf die Bildschirmfenster des Livestreams. Eine große hölzerne Box steht auf der Bühne. Florschütz und Döhnert erkunden und ertasten sie. Aus ihrem Inneren holen sie zahlreiche Objekte heraus. Alles klingt und spielt, knackt, knarzt und raschelt. Auch optische Kunststücke vollführen sie, wenn sich etwa die Box, auf der Döhnert zu stehen scheint, fortbewegt, er aber an Ort und Stelle verharrt.    Einer ganz anderen Arbeit am Material widmete sich Simon Senn. In der Lecture Performance „Be Arielle F” ließ er an seinem Experiment teilhaben, in einen digitalen Frauenkörper zu schlüpfen. Er erzählte, wie er eine digitale 3D-Replik einer Frau erwarb und auch die Frau ausfindig machte, deren Körper für die Datei gescannt wurde. Sie erhielt für zehn Minuten stillsitzen für den Scan 70 Pfund von einer Agentur und war damit augenscheinlich auch ganz zufrieden. Selbst Studentin für Produktdesign, zeigte sie sich interessiert an dem Nachleben ihrer digitalen Kopie. „Ich bin es und ich bin es nicht“, sagte sie bei deren Anblick. Faszinierend war das Verschmelzen des männlichen Performers mit der weiblichen Figur im Datenraum. Mindestens ebenso faszinierend war der Blick in den Maschinenraum der digitalen Körpervervielfältigungskunst. Auf die Bitte von Arielle, dem analogen Original des Datenkörpers, sie wolle auch gern einmal im Gegenzug in den digitalen Körper des Performers schlüpfen, kontaktierte Senn die Agentur. Die lehnte die Bitte aber ab. Unklar ist, ob die Agentur nur weibliche Körper scannt, ob sie sich prinzipiell selbst die Models aussucht oder ob der Performer nicht ihren ästhetischen Kriterien entsprach.    „Being Arielle F.“ stieß in sehr neues Terrain vor, in ein Paralleluniversum von Datengestalten, die für die verschiedensten Zwecke benutzt werden können: Als Figuren für Computerspiele, für Massenszenen im Film, als Vorlage für Cybersexpuppen und, wieder re-analogisiert, auch für anfassbare Sexpuppen.    Ganz anderen Materialien widmete sich Laia RiCa in ihrem Tryout „Kaffee mit Zucker?“. Es handelte sich um Kaffeebohnen und Zuckerkristalle. Mit diesen beiden Grundelementen erzählte die in El Salvador und Deutschland aufgewachsene Performerin weniger bekannte Kapitel von Kolonialgeschichte. Sie benutzte zugleich die dunklen Bohnen und den hellen Zucker als Narrationsvehikel für die Unterschiede zwischen hellhäutigen Einwanderern, die zu Machtpositionen kamen, und dunkelhäutigen Einheimischen, die ausgebeutet wurden.    Überhaupt verblüffte der Einsatz der simplen Genussmittel als regelrechte Spielobjekte. Laia RiCa malte erst mit den zu Pulver zerriebenen Bohnen den Umriss des amerikanischen Doppelkontinents auf weißes Papier. Als sie auf einer großen flachen Schale Kaffeebohnen schüttelte und gleichzeitig historische Fotos projiziert wurden, wirkte dies wie ein Entwicklungsprozess der Aufnahmen. Spuren, die sie später mit ihren Händen in einer weiteren Schicht Kaffee hinterließ, wurden auf weitere Fotos überblendet. Die Zeitschichten, die auf den Aufnahmen von Kaffeebauern lagen, materialisierten sich.    Anhand von Audiodokumenten erinnerte RiCa daran, wie deutsche Auswanderer kurz nach dem 1. Weltkrieg ihre verwüstete Heimat verlassen hatten und in Lateinamerika schnell zu Reichtum kamen. Im Ton allergrößter Selbstverständlichkeit erzählten sie, wie ihnen die damalige Regierung umsonst Land zur Verfügung stellte, um die Kaffeeplantagen anzulegen. Diese Narrationen aus Herrschaftssicht kontrastiert RiCa mit Berichten flüchtiger Sklaven, die sich Kaffeesamen ins Haar flochten, um in den entstehenden Siedlungen der erfolgreich Entkommenen eine neue Existenzgrundlage zu schaffen.

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Laia RiCa scheute sich auch nicht ihre eigenen Position als europäisierte Latina oder Europäerin mit südamerikanischem Hintergrund in einem Zwiegespräch mit der weißen Laia, einem aus Zuckerwatte geformten Alter Ego, zu hinterfragen.    „Kaffee mit Zucker?“ war, obgleich „nur“ ein Tryout, die eindrucksvollste Produktion im Festivalkontext. Sie zeichnete sich durch einen radikalen Zugriff auf das komplexe Thema Kolonialismus aus. Sie überzeugte auch ästhetisch. Das Knirschen zerberstender Kaffeebohnen vermischte sich mit Fluchtgeschichten im Dschungel. Die Stofflichkeit von Kaffee und Zucker in ihren verschiedenen Verarbeitungszuständen eröffnete neue Perspektiven auf das präsentierte Archivmaterial. Die Livemusik von Yahima Piedra Córdova verband all die unterschiedlichen Elemente. Und die Livevideo-Regie von Daniela del Pomar führte dazu, dass man

sich vom heimischen Bildschirm aus teils unvermittelt auf die Bühne versetzt fühlte, dabei der Materialqualität von Kaffee und Zucker unmittelbar ausgesetzt war und im nächsten Augenblick wieder die Panorama-Perspektive einnehmen konnte. Die Videokamera war gleichberechtigter Akteur auf der Bühne. „Kaffee mit Zucker?“ zeigte, wie aus analoger Performance mit Live-Projektionen durch geschickte Kameraführung ein mehrdimensionaler Performance-Space auch für Bildschirmpublikum werden kann.

Digitale Interaktivität Eine zweite Strategie, die sich beim Festival als erfolgreich herausschälte, bestand in der Einbindung der zugeschalteten Endgerätenutzer. Bei Ariel Dorons „Küchenspielen“ lag ein großer Reiz in der Unmittelbarkeit der Reaktionen, die sein Spiel provozierte – und die dank punktuell freigeschalteter Mikrofone und Kameras auch für alle anderen erlebbar waren. Doron zeichnete auch für die Inszenierung von „Alarm im Streichelzoo“ verantwortlich. Sie überzeugte ebenfalls dank der Interaktionsmöglichkeiten des jungen bis sehr jungen Publikums. Die im Streichelzoo gefangenen Riesenhamster konnten zunächst mit Nahrungsmitteln gefüttert werden, die einzelne Zuschauer in die Kamera hielten. Bei Rettungsaktionen für einen vermeintlich gestorbenen und einen anderen auf der Flucht befindlichen Hamster gab es ebenfalls zahlreiche lebhaft genutzte Beteiligungsfenster. Die Kommunikation mit dem Publikum hielt in dieser Ensembleproduktion der Schauburg München der Tierpfleger Charly (Hardy Punzel) aufrecht. Diese Figur agierte auf gleich drei unterschiedlichen Bühnen: Im abgefilmten Livespiel auf der Bühne mit den Hamstern, in einer Zoom-Interaktion mit einer eher sinistren Wissenschaftlerin und als Moderator für das ebenfalls per Zoom zugeschalteten Publikum.   Wie sinnvoll es ist, digitale Handlungsräume performativ zu definieren, wurde in einer Art Negativbeweis bei der Produktion „Familiodrom“ der Berliner Gruppe Interrobang deutlich. Die Grundidee war fabelhaft. Ausgehend von Jean-Jacques Rousseaus Klassiker „Emile oder Über die Erziehung“ fungierte das Publikum als eine Eltern-Crowd, die ein Kind, eben Emile, erzieht. Weichenstellungen für Emiles Entwicklung wurden über Entscheidungsfragen wie „Stillen oder Nicht Stillen?“, „Staatliche Schule oder private?“ oder „Sexualaufklärung oder selbst entdecken lassen?“ getroffen. Pandemie-Erfahrungen wie Home Schooling und berufliche Zoomkonferenzen mit schreiendem Kleinkind wurden in das Spiel integriert. Diese Aktualität tat der Aufführung gut. Die wenigen vorgesehenen Interaktionsfenster, die über das Beantworten von Multiple Choice-Fragen hinausgingen, wurden zumindest in der vom Autor gesehenen Version aber kaum genutzt. Zuschauende blieben im distanzierten Abstimmmodus, nutzten bestenfalls den Chat für Kommentare. Ein Grund dafür mag sein, dass diese Empowerment-Performance keinen definierten Ort hatte. Die beiden Performer*innen Bettina Grahs und Lajos Talamonti, die einzelne Entscheidungen der virtuellen Elterngruppe kommentierten und die Entwicklung Emiles beschrieben, wurden nur ab und an aus dem digitalen Nirgendwo zugeschaltet. Emile selbst war lediglich eine kindliche Stimme in einer grafischen Wolke, die mit Rousseau-Zitaten eine weitere Kommentarebene bewohnte. Für das Kind, für das Elternkollektiv und für die Performer*innen gab es außer dem Bildschirm, auf den die einen starrten und von dem aus die anderen agierten, keinen Begegnungsort. links: Laia RiCa, Kaffee mit Zucker? Foto: Erich Malter © internationales figuren.theater.festival rechts: Ariel Doron: Küchenspiele. Foto: Yair Meyuhas

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Unterschiedlich strukturierte Interaktionsmöglichkeiten – mit klarer definierten Räumen - boten die charmant misslingende Geburtstagsfeier einer Schildkröte („Weil heute mein Geburtstag ist…“ von United Puppets) und das komplexe Stadtentwicklungsspiel „Map to Utopia“ (fringe ensemble + Platform Tiyatro). Lebte die Geburtstagsfeier von Spontanreaktionen ähnlich wie bei Dorons „Küchenspielen“ und „Alarm im Streichelzoo“, so klebte „Map to Utopia“ teilweise zu sehr an realen Einwohnerbeteiligungsworkshops bei Stadtentwicklungsprojekten. Schnell kristallisierten sich Diskursführer*innen heraus, die Debatten dominierten. Teils waren auch 1 zu 1-Begegnungsräume mit anderen Teilnehmer*innen für einen tieferen Austausch zeitlich zu knapp bemessen.

Digitale Intimität Welch wichtige Rolle die Zeit bei der Etablierung von nicht-physischen Begegnungsräumen spielt, zeigten die beiden Telefonperformances „Tausend Wege“ der Gruppe 600 Highwaymen aus den USA und „Homewalk – Reise nach Wohnanien“ von pulk fiction. Beide Produktionen setzten ganz auf den Raum, der im Kopf entsteht. Sie ließen sich dafür auch ausreichend Zeit. Bei „Homewalk“ reiste man mit einer zuvor unbekannten Person, geführt von einer Spielleiterin, durch die eigene Wohnung. Man entdeckte Länder wie Balkonien und Badanien, erzeugte Geräusche und lauschte den Geräuschen der anderen Person, die parallel eine ähnliche Entdeckungsreise in ihrer eigenen Wohnung unternahm. Es entstanden Verknüpfungen und Überlagerungen. Aus verschiedensten narrativen und akustischen Elementen entstand ein intimer Raum, fern von Ort und Zeit, eine Art Paralleluniversum, zugleich fiktiv wie real. Ein ähnlicher Effekt stellte sich bei der nur durch eine Telefonstimme geführten Reise bei „Tausend Wege“ durch magische Landschaften und Erinnerungsräume her.    Die Kreation intimer Räume war auch die herausragende Qualität von „Hyphe“, einer Produktion der Digitalpioniere des onlinetheater.live. Hier konnte man Verbindungen mit verschiedenen anderen Personen eingehen und den Intensitätsgrad der Beziehungen selbst (mit-)bestimmen. Narrativer Rahmen war die Selbstverpflichtung, radikal ehrlich zu sein. Dies stellte eine faszinierende Umdeutung der digitalen Sphäre dar, die ja in erster Linie Möglichkeiten des Täuschens, Verschönerns, Dramatisierens und auf viele Arten Interessanter- Machens bietet. Das Digitale kann aber auch ein Schutzraum für Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit sein. „Hyphe“ war die reifste und philosophisch tiefgründigste Auseinandersetzung mit den Dimensionen des Digitalen bei diesem Festival.

Ausblicke in eine Zukunft digitaler und hybrider Theaterformate Von den diskutierten Festivalproduktionen ausgehend lässt sich konstatieren: Digitale und hybride Theaterformen können auch über Bedingungen des Lockdowns hinaus Attraktivität entfalten. Sie haben dabei den Vorteil der leichteren Zugänglichkeit. Menschen aus verschiedensten Kontinenten und Zeitzonen können sich zuschalten, Aufführungen sind nicht an Ort und Zeit – und damit an Mobilität und Tagesabläufe – gebunden. Habitus-Schwellen, die Theater noch immer gegenüber größeren Teilen der Bevölkerung aufweisen, können so leichter überwunden werden. Computermonitor und Smartphone offerieren Zugangswege ohne Hindernisse – allerdings nur für die, die über diese Geräte auch verfügen. Sie sind allerdings auch bar jeder Aufladung des Besonderen, das vor allem klassischen Theaterräumen wegen deren Architektur und Ereignisgeschichte innewohnt.    Produktionen für Monitor und Kopfhörer werden dann zu einer sinnvollen Erweiterung des analogen Theaters - und mehr als ein Ersatz in Ausnahmesituationen -, wenn sie auf mindestens einen dieser drei Aspekte Wert legen: gute Organisation von Interaktionsmöglichkeiten, Kreation von neuen, durchaus intimen Räumen und souveräner Umgang mit Materialien und Objekten des physischen Raumes, auch dank einer Videoregie, die mit Nähe und Distanz zu spielen weiß. – www.figurentheaterfestival.de links: Schauburg, Theater für junges Publikum München, Alarm im Streichelzoo(m). Foto: Fabian Frinzel rechts: fringe ensemble und Platform Tiyatro, Map to Utopia. Foto: Ömer Sarigedik

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FANTASIE ALS SCHUTZRAUM Michael Lurse im Gespräch mit Anurupa Roy bei ‚hellwach digital‘ Das internationale Theaterfestival ‚hellwach‘ in Hamm musste im Juni 2021 im digitalen Raum stattfinden, denn viele eingeladene Gruppen hätten nicht anreisen können. Eine geplante Koproduktion zwischen Helios Theater und Katkatha Puppet Arts Trust musste verschoben werden. Die Theater blieben aber in engem Austausch und entschieden, ein während der Pandemie in Delhi entstandenes Projekt bei ‚hellwach digital‘ zu zeigen. Der folgende Text ist ein Auszug aus einem längeren Zoom-Interview von Michael Lurse – Helios Theater Hamm, künstlerischer Leiter des Festivals – mit der Theatermacherin Anurupa Roy vom Katkatha Puppet Arts Trust in Delhi, Indien. Das Gespräch war während ‚hellwach digital‘ im Stream zu erleben.

Michael Lurse: Was geschah am 23. März 2020? Anurupa Roy: Ich glaube es war ein Montag. Voran ging am Sonntag ein vollständiger Lockdown. Niemand verließ sein Haus, kein öffentlicher Verkehr fuhr, und dann kam plötzlich die Ankündigung, dass es einen permanenten Lockdown geben würde. Er sollte mindestens zwei Monate dauern. Man gab den Menschen vier Stunden Zeit, um sich vorzubereiten. In indischen Großstädten gibt es sehr viele Arbeitskräfte, die nicht ständig in der Stadt leben. Sie kommen aus den umliegenden oder aus entfernteren Dörfern und arbeiten als Tagelöhner. Als Fahrer, als Bauarbeiter, sie reinigen die Stadt und die Häuser der Menschen, sie stellen den gesamlinks: Gespräch bei hellwach digital, Michael Lurse und Anurupa Roy. Foto: Maren Becker rechts: Katkatha Puppet Arts Trust, The Girl with the pink frock. Foto: Katkatha

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ten Dienstleistungssektor, der wirklich groß ist. Plötzlich wurde klar, dass es sich dabei um einige Millionen Menschen handelte und durch den plötzlichen Lockdown gerieten sie in Panik. Sehr viele von ihnen wurden arbeitslos und von ihren Vermietern vertrieben. Sie hatten nicht genug Geld, um weiter in den Städten zu leben. Also packten sie Kinder, Tiere und alles, was sie besaßen, und machten sich zu Fuß auf den Weg. Es gab keine Züge, keine Busse, keine Taxis, keine Autos. Keiner von uns wusste davon, bis wir uns aus unseren Häusern wagten. Ich musste Lebensmittel besorgen, aber ich kam gar nicht dazu, weil ich an einer der Hauptstraßen in Neu Delhi wohne. Dort waren Tausende von Menschen in großen Gruppen unterwegs, oft schon seit Mitternacht. Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Alle standen unter Schock und wir hörten, dass sie in ihre Dörfer laufen wollten oder besser, mussten, hunderte oder gar über tausend Kilometer entfernt.    Die ganze Nacht hindurch hörten wir das Gemurmel des Menschenstroms von der Straße. Am nächsten Morgen hatte ein Nachbar eine Idee. Er trommelte Leute und Geld zusammen. Wir konnten einen Laden aufmachen, obwohl alles geschlossen war, und in diesem Laden gab es Vorräte. Es gab rohes Gemüse und wir begannen zu kochen. Ab 9 Uhr morgens verteilten wir Lebensmittel an die Menschen, denn wir hatten gehört, dass sie zuletzt etwas gegessen hatten, als sie ihre Häuser verlassen hatten. Da nichts geöffnet war, gab es keine Möglichkeit, unterwegs Essen oder auch nur Wasser zu kaufen. Zum Glück gab es viele Menschen, die sich plötzlich um die Versorgung kümmerten, über drei Tage, und am dritten Tag traf ich ein Mädchen. Sie war bereits etwa 100 Kilometer gelaufen. Die Familie hatte vor, weitere 300 Kilometer zu laufen. Insgesamt würden sie also über 400 Kilometer zurücklegen, zu Fuß. Und dieses Mädchen trug ihr schönstes rosafarbenes Kleid? Ja, da war dieses kleine Mädchen, in der riesigen Menschenmenge, das ein sehr schönes rosa Seidenkleid trug, und ich konnte nicht umhin, sie zu bemerken. Ich musste sie fragen, ob das ihr Lieblingskleid sei, und sie sagte ja. Es war das Kleid, das sie sonst nur zu ihrem Geburtstag trug. Es war rosa, ihre Lieblingsfarbe, und ich fragte: "Warum trägst du es heute?“ Sie sagte: „Weil wir zu einem Picknick gehen“. Ihr Name war Satara. Wir haben ihre Kontaktdaten leider nicht notiert, weil zu diesem Zeitpunkt niemand wusste, dass sie die Hauptfigur einer Geschichte werden würde, von der die Menschen auf der ganzen Welt erfahren sollten. Ich hoffe, dass es ihr heute gut geht. Du konntest dich während des Lockdowns nicht mit deinen Theaterkolleg*innen treffen, um zu arbeiten. Du musstest eine Form finden, mit dem zu arbeiten, was du zu Hause hattest. Papier, alte Kartons und du musstest das Handy als Kamera benutzen. In deinem in dieser Zeit entstandenen Film ‚The girl in the pink frock‘ geht es um ‚the bad‘ und ‚the bat‘. Das Mädchen Satara denkt, dass sie die Fledermaus (the bat) fangen muss, weil diese das Böse (the bad) ist, das die Menschen tötet. Ich glaube, ich war einfach nur geschockt von dem, was passiert war. Ich habe das Mädchen gezeichnet und dann meine Freundin Aditi Mediratta angerufen und ihr alles erzählt. Am nächsten Tag schickte mir Aditi eine Geschichte. Sie fragte auch, warum das Mädchen das rosa Kleid trug, und ich sagte, das Einzige, was sie mir erzählt hatte, war, dass sie dachte, sie würde zu einem Picknick gehen, weil ihre Mutter es ihr so gesagt hatte. Das Mädchen Satara war sehr aufgeregt. Dieses Kind, das schon etwa 100 Kilometer gelaufen war, schien aber wohlauf zu sein. Sie trug sogar ihre Partyschuhe, was bedeutet, dass die Partyschuhe eine Wanderung von über 400 Kilometern überstehen müssten. Daran glaubte ich nicht. Die große Frage, die sich uns stellte, war, was sie aufrecht erhielt. Aditi stellte sich vor, dass, während wir Feiglinge alle in unserem Haus sitzen und um unser Leben fürchten, dieses kleine Kind auf die Straße läuft und diejenige ist, die die Fledermaus jagt. Ich filmte ein paar Sequenzen, allein in meinem Zimmer. Es war nicht geplant, etwas zu veröffentlichen. Bis ich diese Sequenzen meinen Freunden schickte. Wir begannen Dokumente, die im Fernsehen, in den sozialen Medien und in den Zeitungen zu finden waren, zu sammeln. Wir setzten alles zusammen und plötzlich hatten wir diesen Film, den wir wieder mit Freunden teilten. Wir haben alle das Gefühl, dass wir nichts tun können. Aber dieses Mädchen spricht über Mut und darüber, wie man es mit der Fledermaus und mit dem Bösen aufnimmt. Die Geschichte verbreitete sich in den sozialen Medien, auf Facebook und vor allem über WhatsApp. Ich denke, die Fledermaus und das Böse sind zu einem Symbol für die Bedrohung geworden und das Mädchen für jemanden, der trotz des Risikos hinausgeht und etwas tut. In ihrem eigenen Kopf war Satara, das Mädchen im rosa Kleid, trotz aller Mühsal glücklich. Das ist eine wunderbare Beschreibung für die Kraft der Fantasie. Das Mädchen glaubt daran, dass es die Fledermaus fangen muss, um das Böse zu besiegen. Sie trägt dazu eine Mausefalle mit sich. Diese Vorstellung schützt sie vor der harten Realität. Glaubst du, dass Fantasieräume für Kinder, oder für uns alle in schwierigen Lebenssituationen ein Schutzraum sein können? Ich denke, für uns alle. Wir alle werden in bestimmten Situationen mehr oder weniger verrückt, besonders wenn wir eingesperrt sind. Ich glaube, der einzige Weg, wie wir unserem Leben einen Sinn geben können, ist die Flucht in all die Möglichkeiten einer Zukunft. Diese Hoffnung ist manchmal reine Fantasie, aber auch die Kraft, die uns alle antreibt. – www.helios-theater.de

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rumms in der ofenfabrik Der Westflügel Leipzig feiert 15-jähriges Bestehen mit einer Premiere und einem kleinen Festival In Leipzig hat sich der Westflügel als fester Ort für freies Figurentheater etabliert und macht seit 15 Jahren Programm. Mit 15 Inszenierungen blickte das Team nun Anfang Juni im Showcase Westflügel auf seine Arbeit zurück. Tobias Prüwer hat den Westflügel für double besucht und die Neu-Inszenierung „Der Reigen. Ein überaus schönes Lied vom Tod“ des Figurentheaters Wilde & Vogel mit Christoph Bochdansky und der Compagnie Off Verticality angesehen. Von To b i a s Prü we r /// „Was macht der Tod mit allem, was ihm lieb ist?“ – „Er lässt es frei.“ Einen melancholischen Moment später lacht der böse Kasper in Menschengestalt laut auf, treibt sein Spiel weiter, um endlich „rumms machen“ zu können. Ein Totenschädel neckt ihn, einen Totentanz später erfolgt ein Requiem, bevor der bissige Abend mit einem Achselzucken endet: „So ist das Leben.“ Im Sommer endlich konnte nach längerem Verschieben „Der Reigen. Ein überaus schönes Lied vom Tod“ im Westflügel gezeigt werden. Die Produktion, die Tanz mit Figurentheater und Live-Musik verbindet, ist ein schönes Beispiel für die kreative und integrative Kraft, die diesen Ort in Leipzig auszeichnet.    Seit 2006 dient der Westflügel als Produktionsort und wird auch bespielt. Anfangs mangels Heizung nur im Sommer, schließlich ganzjährig. In der ehemaligen Ofenfabrik fanden Japanische Figurentheatertage statt, dass Haus wurde auch schon mal zur Geisterbahn, zum Ort immersiver Rätselspiele und natürlich von ganz viel Figurentheater. In diesem Sommer nun galt es, diesen Ort – Corona-konform – zu feiern. Dafür fand das dreitägige Festival „Showcase“ drinnen wie draußen vor der Tür statt: buntes Treiben zwischen Maskenspiel und Solokonzert für einen Zuschauer, dämonischen Teufeleien und Vergänglichkeitstheater. Die Musikerin Gwen Kyrg gab ein Solokonzert für einen Zuhörer. Nur mit Mikro und Effektgerät ausgestattet, unternahm sie einen akustischen Hausbau. Sie hauchte und sang vom Häuslebau und schuf eine Gebäude in der Zuhörerimagination, das aber mit Verklingen wieder verschwand. Ebenfalls viel mit musikalischen Mitteln operierte „Songs for Alice“. Das Stück, das Wilde & Vogel 2011 im Westflügel erschufen, war in einer SpecialVersion zu erleben, in der zusätzliche Livemusiker (Schlagzeug, Gitarre, Trompete) den wilden Szenenwechsel aus „Alice im Wunderland“ unterstützten.   Im Zentrum des Festivals stand die Premiere von „Der Reigen. Ein überaus schönes Lied vom Tod“, einer Koproduktion von Christoph Bochdansky, dem Figurentheater Wilde & Vogel und der Compagnie Off Verticality. Inhaltlich ist „Der Reigen“ einmal mehr eine Auseinandersetzung mit den letzten Dingen, der nicht nur Bochdansky schon länger verpflichtet ist. Die einzelnen Szenen beschäftigen sich mal mit der Materialität des Körpers, andere mit FlüchtigeChristoph Bochdansky, Compagnie Off Verticality und Figurentheater Wilde & Vogel, Der Reigen. Foto: Dana Ersing

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rem, etwas, was man Geist oder Seele nennen mag. Das Besondere dabei ist die Verschmelzung der Künste. So beeindruckt das Trio Off Verticality nicht nur durch seine extreme Körperlichkeit, sondern wird ins Spiel mit den Objekten einbezogen. Sie eignen sich im Raum herumliegende obskure Formen an, ziehen sie sich an wie einen wurmartigen Beinfortsatz oder ein Exoskelett, schleudern sie herum und erproben ihre Beweglichkeit. Michael Vogel zeigt einmal mehr, mit wie wenig Material er auszukommen vermag, um berührendes Figurenspiel zu geben. Einen filigranen Vogelmenschen, der an einem Rad von der Decke schwebt, erweckt er zum Leben. In einer anderen Szene ist Vogels Vermögen zu erleben, ganz hinter seine Figur oder Maske zurückzutreten, indem sein Körper ganz mit diesen verschmilzt. Christoph Bochdanky tritt ebenfalls in einer Doppelrolle auf. Als Figurenspieler, der Totenschädel – unter anderem eine Klappmaulpuppe – führt, mimt er auch höchstselbst einen bösen Kasper, der derbe Lieder im Bänkelsang anstimmt. Überhaupt: die Musik. Über allem, ja, alles verbindend, liegt Live-Musik, die Charlotte Wilde und Stefan Wenzel auf verschiedenen Instrumenten erzeugen. Da ist auch manch skurriler Gesang dabei, der dem morbiden Thema etwas den Ernst nimmt. Man kann den Abend als Volkstheater im positiven Sinne bezeichnen, ein Theater, das mit vielerlei Mitteln sein Publikum anspricht. Genregrenzen kümmern die Künstler nicht, es geht ihnen einzig um das Zum-Ausdruck-Bringen. In diesem Sinn ist „Der Reigen“ eine konsequente Arbeit, die für den Westflügel in Gänze steht.    Erwähnter Stefan Wenzel bildet sonst mit Samira Lehmann das Figurentheaterduo Lehmann und Wenzel. Sie sind ein Beispiel für die Anziehungskraft des Ortes. Beide zogen nach dem Studium in Stuttgart wegen der Möglichkeiten im Westflügel eigens nach Leipzig. Auch die Spielerin Franziska Merkel gehört schon lange zu den Stammkünstlern. Andere folgten ihnen oder haben ihren Umzug nach Leipzig angekündigt. So wuchs und wächst eine lokale Szene heran rund um den Westflügel, der zudem zu einem Knotenpunkt des internationalen Austauschs geworden ist. Für Michael Vogel ist der Westflügel auch eine Art Prävention, damit sich das Figurentheater nicht in die Nische zurückzieht, sich als „kleiner Familienclub“ gefällt. Deshalb war er immer als eine Schnittstelle mit anderen Künsten angelegt. Einen Raum zu schaffen, wo man sich unorganisiert einfach mal treffen kann, wo die damals noch klarer unterscheidbaren Ansätze der Hochschulen in Berlin und Stuttgart zum Amalgam werden könnten, das stand als Ursprungsidee hinter dem Westflügel. „Ein Ort, welcher der Szene Not tun könnte, wo etwas entstehen kann, was anderswo so nicht realistisch ist“, formuliert es Vogel. „Es war ja nicht der Plan, ein Theaterhaus zu führen, sondern eher zu fragen, wie Menschen zum Theaterspiel zusammenfinden und warum?“   Und das soll so bleiben. Künftig sollen Gastspiele und Kollaborationen nicht nur an einem Wochenende stattfinden, sondern an zwei, erklärt Pressesprecher Matthias Schiffner. „Das gibt eine andere Ruhe. Statt schnell aufzubauen, drei Abende zu spielen und abzureisen, besteht so die Möglichkeit zu mehr gegenseitigem Austausch. Das schafft auch Querverbindungen in die Stadt. Auch die Mund-zu-Mund-Propaganda ist in dieser Hinsicht nicht zu unterschätzen und Menschen haben größere Chancen, ein Stück nicht zu verpassen.“ Zudem setzt die Westflügel-Crew weiter auf Internationalität. „Figurentheater entwickelt sich permanent weiter und wir sind mit dabei“, sagt Matthias Schiffner. „Wir schauen, wie andere internationale Produktionszentren arbeiten und werden, sobald das wieder breiter möglich ist, die Zusammenarbeit mit internationalen Künstlern fortsetzen.“ – www.westfluegel.de Westflügel Leipzig. Foto: Dana Ersing

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DIE ERSTE DEUTSCHE PUPPENSPIELER-MARKE Zum 100. Geburtstag der Hohnsteiner Puppenspiele Als die Hohnsteiner Puppenspiele vor 100 Jahren gegründet wurden, hätte sich wohl auch Max Jacob den Erfolg der Gruppe nicht träumen lassen. Lars Rebehn blickt für double auf die Anfänge zurück und erforscht die Gründe für den Aufstieg zum bekanntesten deutschen Puppentheater der 1920er- bis 1960er-Jahre. Von L a rs Re be h n /// Über die Hohnsteiner ist viel geschrieben worden, aber nur wenig bekannt. Vor allem die Frage, was ihren großen Erfolg ausmacht, bleibt ein Rätsel, wenn man nicht einfach mit hoher Qualität argumentiert. Immerhin gab es noch andere Bühnen auf ähnlichem oder höherem Niveau. Als offizielles Gründungsdatum der Hohnsteiner Puppenspiele gilt der 33. Geburtstag des Kaufmanns und späteren Puppenspielers Max Jacob (1888-1967), als dieser für seine Gäste gemeinsam mit zwei Mitstreitern in seiner Wohnung im sächsischen Hartenstein „Der Schweinedieb“ (Prof. Dr. Paul) aufführte. Die Puppen waren ein Sammelsurium aus Thüringer Spielzeugfiguren und solchen des Altvaterhauses in Sternberg in Mähren. Die Spieler saßen auf Stühlen hinter einer Wolldecke, die in einen Türrahmen gespannt war. Jeder hielt in seiner freien Hand das Textbuch und las dort ab. Es war kein Fiasko, aber doch stark verbesserungsbedürftig. In den folgenden Jahren der Inflation wurde gegen Naturalien und in der Tschechoslowakei für die dortige deutsche Bevölkerung gegen Devisen gespielt. Die hauptberufliche Puppenspieltätigkeit begann nach der Inflation 1924. Die Hohnsteiner (bis 1928 Hartensteiner) Puppenspiele entstanden aus dem Wandervogel und fanden hier ihr erstes Publikum.

Der Hohnsteiner Stil Maßgeblich für den Erfolg war die Entwicklung des unverwechselbaren Hohnsteiner Stils, der um 1925 in seinen Grundzügen feststand. Im Mittelpunkt standen dabei die selbst hergestellten Handpuppen, die ab 1923/24 das zuvor verwendete Sammelsurium ablösten und von Theo Eggink geschnitzt und von Elisabeth Grünwaldt bekleidet wurden. Eggink studierte von 1924 bis 1926 auf der Staatlichen Akademie für Kunstgewerbe in Dresden bei Prof. Winde Holzbildhauerei und fertigte von da ab eine mindestens hohe fünfstellige Zahl an Puppenköpfen. Der Erfolg war so groß, dass schon um 1930 Aufträge nach außen vergeben werden mussten. Dadurch wurde die Egginksche Schnitzweise zum Maßstab vieler Holzbildhauer. Nach dem Umzug in die Jugendburg 1928 konnte die nun Hohnsteiner Werkstatt genannte Einrichtung noch ausgebaut werden. So „hohnsteinerten“ bald viele Bühnen, wobei kaum eine Profibühne sich mit dem radikalen Bühnenbild, das nach dem Vorbild von Haas-Berkow nur aus verschiedenfarbigen Stoffen bestand, anfreunden konnte, während einige Amateure es freudig aufgriffen.    Das zweite Standbein waren die Lehrgänge, aus der sich nebenbei neue Mitarbeiter rekrutierten (von 1924 bis etwa 1943 gab es nur noch männliche Puppenspieler). Diese Lehrgänge, die auf der Burg Hohnstein, später darüber hinaus in ganz Deutschland organisiert wurden, vermittelten Einblicke in alle Bereiche, insbesondere aber in die Spieltechnik. Auftritte der Puppen sollten immer schön von der Seite erfolgen, es sei denn, die Puppe kam von der Kellertreppe oder war ein dämonisches Wesen. Die Puppenspieler sollten mit ihren Füßen die Schritte der Puppen aufnehmen. Die Puppen sollten aufrecht gehalten und der „Scheibenwischer“ vermieden werden. Außerdem galt es die Tiefe der Bühne zu nutzen, was bei drei bis vier Spielern bei den Hohnsteiner Bühnen (ab 1930 gab es einen zweiten Spieltrupp unter Leitung von Hans Wickert) sowieso notwendig war. Diese Regeln waren leicht zu merken und trugen zur Blüte der Handpuppenspielkunst in Deutschland bei. Während andere Bühnenleiter aber die Konkurrenz der Amateurszene und weiterer professioneller Bühnen fürchteten, schufen sich die Hohnsteiner einen Kundenstamm für ihre Werkstatt, hartnäckige Bewunderer und vor allem eine wertvolle Adresskartei. Denn viele Lehrgangsteilnehmer waren Lehrer, also potentielle Multiplikatoren. Es entwickelte sich ein breit aufgestelltes Stammpublikum aus verschiedensten gesellschaftlichen und politischen Richtungen, so dass die Hohnsteiner die Gleichschaltung des Jahres 1933 viel weniger traf als die meisten anderen Bühnen.    Das dritte Standbein der Markenbildung war die Multimedialität. Die Radioarbeit beim Reichssender Leipzig war kein Alleinstellungsmerkmal, umso mehr gilt dies aber für die große Zahl der Handpuppenfilme, die ab 1936 meist von Schonger oder Boehner in Dresden produziert wurden. Sie waren rasch und preiswert abgedreht, aber in ihrer Zeit von ungewöhnlichem Erfolg. Bald kamen

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Auftritte beim Versuchssender des Deutschen Fernsehens in Berlin hinzu. Maßgeblich bei allen diesen medialen Auftritten war das Festigen der Marke „Hohnsteiner“, die mit Schriftzug und / oder Logo einprägsam präsentiert wurde.    Diese Markenbildung war so erfolgreich, dass insbesondere in den 1950er und 60er Jahren zahlreiche „Hohnsteiner“, „Hohensteiner“, gerne auch mal „Holsteiner“ Puppenbühnen durch die Lande zogen, die nichts mit Max Jacob und seinen legitimen Nachfolgern zu tun hatten.

Die NS-Zeit Ein schwieriges Kapitel bleibt das Verhältnis Max Jacobs zum Nationalsozialismus. Einige seiner Freunde wurden wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt, einer sogar hingerichtet. Er bewegte sich in den völkischen und deutschnationalen Kreisen des Wandervogels und hatte am Ende des Ersten Weltkriegs im Baltikum bei einem Freikorps im Kampf gegen die Rote Armee mitgemischt, auch wenn man ihn sich schwerlich als Soldat vorstellen kann. Die Hohnsteiner spielten von 1933 bis 1938 jedes Jahr anlässlich des Reichsparteitages der NSDAP in Nürnberg, wurden 1934 Vorzeigebühne der NS-Kulturgemeinde, spielten in Berliner Ministerien und wurden 1937 vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda zum Puppenspielwettbewerb auf der Pariser Weltausstellung geschickt, wo sie eine Goldmedaille erhielten. Im gleichen Jahr gastierten sie im staatlichen Auftrag in Polen, bis die Weiterreise verboten und die Spieler ausgewiesen wurden. Aber eigentlich passt das alles nicht zu Max Jacob, denn während die Idee des Völkischen und insbesondere des Nationalsozialismus sich durch Ausschluss von Bevölkerungsgruppen und deren Vernichtung definiert, um so die „Volksgemeinschaft“ zu stärken, hatte Max Jacob das Vereinende im Sinn. Max Jacob war homosexuell und lebte seine Sexualität aus, wenn auch nicht öffentlich. So ist sein Eintritt in die NSDAP während des Krieges auch als Selbstschutz zu betrachten. Max Jacob mit Kasper, um 1927. Foto aus dem Archiv des Münchner Stadtmuseums

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1933 mussten die Hohnsteiner die Jugendburg verlassen, wo von der SA ein „wildes KZ“ betrieben wurde, in dem es zu den schlimmsten Exzessen kam und wo u. a. der Leiter der Jugendburg, Conrad Hahnewald, eingekerkert wurde. Aber bereits 1934 wurde für sie von der Gemeinde das „Kasperhaus“ fertiggestellt, in dem sich von nun an alle Aktivitäten konzentrierten und in dem Marie Jacob, die Ehefrau von Max Jacob, bis zu ihrem Tode 1991 lebte. Im Frühjahr 1939 wurde direkt daneben das Puppenspielhaus aufgestellt. Da die Hohnsteiner mit Kriegsausbruch vor allem mit der Truppenbetreuung in frontnahen Bereichen eingesetzt wurden, haben sie hier jedoch kaum gespielt. Nach Kriegsende zog Jacob nach Hamburg und baute dort eine neue Spieltruppe auf, da die meisten seiner Mitspieler in den letzten Kriegsmonaten gefallen waren. Bis 1977 existieren nun stets zwei bis drei Hohnsteiner Bühnen. Bühnenleiter waren neben Max Jacob Friedrich Arndt (1905-1985), Harald Schwarz (1921-1996) und Erich Kürschner (1911-1977). Mit dem Tode von Harald Schwarz, der sich aber schon in den 1970er Jahren vom Hohnsteiner Stil abgewandt hatte, endete 1996 die Tradition der Hohnsteiner Puppenbühnen. Seither wird sie vor allem durch die Hohnsteiner Werkstatt aufrechterhalten.    Max Jacob ging 1953 mit 65 Jahren offiziell in Rente und löste seine eigene Bühne auf. Aufgrund seiner ungewöhnlichen Persönlichkeit wurde er trotz seiner Verstrickung in das NS-Regime 1957 zum Präsidenten der Weltvereinigung der Puppenspieler UNIMA und übte dies Amt bis zu seinem Tode 1967 aus. Er schaffte es in dieser schwierigen Zeit als Vermittler zwischen Ost, West und den neutralen Staaten die internationale Puppenspielergemeinschaft zusammenzuhalten. Darin liegt sein größtes Verdienst.

Hohnstein heute Das Erbe von Hohnstein wird heute vor allem in Hohnstein selbst gepflegt. Zu DDR-Zeiten tat man sich schwer damit. Die letzte Hohnsteiner Bühne des Newcomers Harald Schwarz ging 1949 in den Westen. Die Handpuppen durften als Devisenbringer weiter hergestellt werden, aber die Verwendung durch Profis war verpönt. Das Puppenspielhaus war schon längst zum Kino umgewandelt und erst 1986 kehrten Puppenspieler nach Hohnstein zurück. Holger Friedrich (heute besser bekannt als Friedrich Liechtenstein) und Frank Karbstein gründeten das heute noch bestehende Puppenspielfest, das zu DDR-Zeiten dank der Gründer etwas Subversives an sich hatte.   Nach der Wende hat sich neben der Hohnsteiner Werkstatt eine rege Puppenspielinfrastruktur in Hohnstein entwickelt. Diese ist zunächst vor allem dem Hohnsteiner Puppenspielfest e. V., der heute das Fest organisiert, und dem Traditionsverein Hohnsteiner Kasper e. V., der das Max-Jacob-Theater saniert hat und ganzjährig bespielt, zu verdanken. In jüngerer Zeit hat sich die Stadt Hohnstein immer stärker eingebracht. Zwei „Kaspermanager“ entwickeln gemeinsam mit der Kulturmanagerin des Max-Jacob-Theaters, Andrea Bigge, Projekte zum Hohnsteiner Kasper. So gibt es seit drei Jahren einen Kasperwettbewerb für jüngere Puppenspieler, die sich mit der Puppenspieltradition auseinandersetzen. Bigge betreut als Leiterin des Museums in Sebnitz auch den privaten Nachlass von Max und Marie Jacob, während sich der Bühnennachlass im Münchner Stadtmuseum befindet. Bigge betont, dass die Aktivitäten neben der Pflege und Weiterentwicklung der Hohnsteiner Spielweise auch die vielfältigen Spielformen des heutigen Figurentheaters beinhalten und ein wichtiger Kulturfaktor in der Region geworden sind. – www.max-jacob-theater.de – www.hohnsteiner-puppenspielfest.de Elisabeth Grünwaldt in der Werkstatt, 1928. Foto aus dem Archiv des Münchner Stadtmuseums

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PAPIER ALS THEATRALER KÖRPER GESELLSCHAFT ALS BÜHNENRAUM Zum 25-jährigen Jubiläum des Papiertheaters Nürnberg Das Papiertheater Nürnberg feierte bereits 2020 sein 25-jähriges Bestehen. Dazu erschien nun das Buch „Gesellschaftsinszenierung“, das die verschiedenen Arbeiten Volkmanns, Gründer und Künstlerischer Leiter des Papiertheaters, vorstellt und Gespräche versammelt, die er mit Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Politiker*innen zum Begriff „Gesellschaftsinszenierung“ führte. Im Juli dieses Jahres erhielt das Papiertheater Nürnberg nun auch den Theaterpreis des Bundes. Grund genug für Julia Opitz, die für die genannte Publikation – erschienen in Volkmanns eigenem Verlag Erlesene Bücher – einige der Gespräche redigierte, die Idee der Gesellschaftsinszenierung vorzustellen. Vo n Ju lia Op it z /// Waren seine zahlreichen, international erfolgreichen Inszenierungen zu Beginn vor allem vom erzählerisch-experimentellen Umgang mit dem Material Papier geprägt, wird in Johannes Volkmanns heutigen Arbeiten die Gesellschaft zum Bühnenraum, der öffentliche Dialog zum elementaren inszenatorischen Moment: „Gesellschaftsinszenierungen beziehen den direkten Austausch mit den Bürger*innen ein und können Jahre dauern. Dabei fokussieren wir auf die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Ist-Zuständen. Das übergeordnete Prinzip dieses Inszenierens ist, dass wir mit einem künstlerischen ‚Objekt‘ beginnen, das zum Material wird und sich in einer offenen Bürger*innenbeteiligung entwickeln darf. Am Ende entsteht daraus dann eine Bühneninszenierung oder eine Ausstellung. Die Ästhetik des Prozesses legen wir also fest, alles andere entwickelt sich und wir reagieren darauf“, erklärt Volkmann. Die Gesellschaftsinszenierungen des Papiertheaters, wie etwa „anders herum denken“ oder „Was ist maßvoll?“, rücken soziale Aspekte in den Vordergrund, befragen beeindruckend entschieden politische Begebenheiten und rufen zum globalen Umdenken auf. Manchmal geraten dabei experimentelle, künstlerische Narrative, die Volkmann weiterhin konsequent über die Konzentration auf ein konkretes Material anlegt, etwas unter Spannung und müssen sich gegenüber dem Aufforderungscharakter jener Inszenierungsform behaupten.    Volkmanns Vision für ein Theater der Zukunft allerdings bleibt vielversprechend: „Sollten wir uns nicht mehr für reale gesellschaftliche Veränderungen öffnen und unsere Dramaturgie stärker ins Stadträumliche ausrichten? Ich denke, die Gesellschaftsinszenierung hat das Format, nicht nur Einzug in Spielpläne klassischer Theaterhäuser zu erhalten, sondern auch eine eigene Sparte zu werden.“ „Dabei müsste es wirklich um eine gegenseitige kontinuierliche Durchdringung gehen“, so Friederike Engel, Leiterin der Tafelhalle Nürnberg, im Gespräch mit Volkmann. „Wenn man die Gesellschaftsinszenierung als Sparte etabliert, müsste auf lange Sicht eigentlich so etwas wie ein künstlerisches ‚Passiv-Haus‘ herauskommen – ein Kunst-Ort, in den die Energie der Gesellschaft in Form des aktiven Publikums direkt einfließt, der die und den die Gesellschaft braucht.“    Zwischen 8. Oktober bis 18. Dezember 2021 ist nun Volkmanns aktuelle Arbeit Der WELTGEReCHTSHOF DER KINDER, der aus dem internationalen Großprojekt „Konferenz der Kinder“ hervorging, vor dem Memorium Nürnberger Prozesse zu erleben. In diesem Kontext entsteht zudem eine „Säule des Friedens“, erbaut aus abgegebenen Plastikwaffen. Bis 2023 wird diese Sammlung weltweit fortgeführt, weitere Säulen des Friedens entstehen u.a. in Bukarest und Chişinău. – www.konferenz-der-kinder.de Papiertheater Nürnberg, Konferenz der Kinder. Foto: Jonas Listl

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NACHWUCHS

EDELSTAHLGEFÜHLE UND SPRÜNGE VOM BECKENRAND DER SPARTEN Die Studioinszenierung „Der thermale Widerstand“ an der HfS Ernst Busch Vo n L e ah Wewo d a /// Überdacht oder im Freien, zum reinen Badevergnügen oder zur körperlichen Verausgabung. Spaßbäder, Sportbäder, Solebäder – und dann wären da Kurbäder. Baden per Verordnung, zur Kur, zur Genesung. Im Zweifel zur Genesung im Alter.   Ausgehend von einer in sich geschlossenen Badegesellschaft, entspinnt Ferdinand Schmalz in der dramatischen Vorlage exemplarisch gesellschaftliche Zusammenhänge. Eine gemeinnützige Kuranstalt wird zum Austragungsort von wirtschaftlichen und persönlichen Konflikten. Welche Zukunft das Bad vor sich hat, darüber gibt es unterschiedliche Vorstellungen: Erholung für alle bieten, oder investieren und zur Marke werden?    Edelstahlgefühle, die aufkommen beim Blick auf die Bühne, die in sterilem Weiß und Silber eingerichtet ist (Ausstattung Atif Mohammed Nour Hussein). Sanftes Wasserplätschern ist zu hören. Riecht es wirklich nach Chlor? Oder ist das der Geruch, den das Gehirn ergänzt, sobald es an Baden erinnert wird?    Die meditative Stille des Einstiegsmoments währt gerade so lang, bis die Kurgäste auf der Bühne erscheinen – antropomorphe Wesen (Puppenbau Atif Mohammed Nour Hussein), die von vier Puppenspielerinnen auf die Bühne geschoben werden, auf Servierwagen, ganz gemäß der Edelstahlästhetik. Den Puppen steht das Alter ins Gesicht geschrieben, ihre vier Spielerinnen Johanna Kunze, Evi Arnsbjerg, Linda Fülle und Lilith Maxion schaffen es durch ihr Spiel, vier quietschig-frische Charaktere zum Leben zu erwecken. Das ist es, was das Puppenspiel in dieser Inszenierung (Regie Jörg Lehmann) reich macht: Alte Körper, deren Alterungsprozess die Spielerinnen durch ihre Handhabung und Spielweise entgegen wirken und damit das Paradoxon der altersunabhängigen Agilität eines Körpers eröffnen.

Spannungsfeld der Sparten Im artifiziell wirkenden ‘wetterlosen Raum’ schattieren die Schauspieler*innen ihre Figuren vergleichsweise naturalistisch. In ihrem Spiel sticht Emma Petzet hervor, die als Geologin Dr. Folz das Kurbad für ihre wissenschaftlichen Arbeiten nutzt – erfrischend, mit welcher Schroffheit in der Sprache sie das Bad inspiziert. Später wird es überflutet, von transparenter Folie, die zu beeindruckenden Wellenbergen animiert wird. Wie effektvoll das Zusammenspiel von Puppen- und Schauspiel auf der Bühne sein kann, zeigt sich dann, wenn Puppe und Mensch auf Tuchfühlung gehen: Bademeister Hannes (Benedikt Kalcher) wird von seinen Kurgästen zu Boden gedrängt, forsch erkunden sie seinen Körper. Beklemmend und amüsant zugleich, wie der menschliche Körper hier bloß Material ist. Man sehnt sich nach mehr Momenten dieser Art, die das Spannungsfeld zwischen Puppen- und Schauspiel ausreizen würden. So ließe sich gegen Längen arbeiten, die auch dadurch entstehen, dass sich viele Szenenwechsel wie Schlusspunkte anfühlen. Zwischendurch fragt man sich, ob es nun die Kälte des Stoffs ist, oder das kühle Verhältnis der Sparten untereinander, die sich als Kälte im Spiel miteinander zeigt. Sicher hängt dies auch mit den pandemiebedingten Probenumständen zusammen, umso schöner sind die Momente, in denen zwischen Parallelgeschehen wirkliches Zusammenspiel aufblitzt. „Das Springen ist hier drinnen sowieso verboten“ heißt es im Stück – doch es wäre nur ein kleiner Sprung vom Beckenrand, der die Schwelle der Sparten überwinden würde. – www.hfs-berlin.de Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Der thermale Widerstand. Foto: Linda Fülle

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INSZENIERUNG

weltall, erde, regenwald „Wandertag im Weltraum“ im Figurentheater Chemnitz Von Fra nz i sk a R e if /// „Wir verpetzen dich! Hihihi.“ Gekicher. So kann es klingen, wenn die Zuschauer die Lust an der Interaktion mit dem Bühnengeschehen entdecken. Die Drohung an den Protagonisten wird dann aber nicht umgesetzt. Der hatte nämlich die Ansage, nichts anzufassen – was er natürlich trotzdem tat. Dass am Ende doch noch alles gut wurde, gilt nicht für die Hauptbotschaft des Online-Klassenzimmerstücks: Das interaktive Figurentheater blickt vom Weltall auf den blauen Planeten und entdeckt dort Umweltverschmutzung und brennende Regenwälder.    Die Erde besucht Protagonist L.A.I.K. anlässlich seines 18.000. Geburtstags. Dabei hat er einen 20.000 Jahre alten Reiseführer, der von Mammuts und Neanderthalern erzählt. Die Reise absolviert er im Raumschiff zu spaciger Musik, Lippengeräusche simulieren die Fahrt. Der fliegenden Untertasse entsteigt der Daumen von Puppenspieler Tobias Eisenkrämer mit überdimensioniertem, transparentem Fingerhut, der mit Draht, Knöpfen und Lämpchen versehen ist; die zum Daumen gehörige Hand unterstützt das Spiel mit Gesten wie gelegentlichem Kopfkratzen. So ist L.A.I.K. keineswegs eine statische Figur, die sich lediglich als gereckter Daumen sprechend durch die Kulisse bewegt – er kann sich ratlos Fragen stellen, sich freuen und interagieren.    Auf der Raumstation ISS trifft er auf Dr. Radix (Claudia Acker), die sowohl L.A.I.K. als auch die aus ihren Klassenzimmern zugeschalteten Zuschauer auf den neuesten Stand bringt. Das alles findet live statt. Die beteiligten Klassen – Ende Grundschule bis Anfang weiterführende Schule – sind in verschiedenen Städten als Gruppen vor Webcams und Mikros in ihren Unterrichtsräumen eingeloggt. Fragt Dr. Radix, deren Spiel bisweilen holprig-steif ausfällt, in die Runde: „Könnt ihr mich hören?“, antworten sie mit einem vielstimmigen „Ja!“.    Die Schüler wissen einiges zum Umweltthema, schlagen beispielsweise vor, zur Vermeidung von Plastikmüll Glasflaschen zu nutzen oder unverpackte Waren zu kaufen. Sie können den Klimawandel erklären, bei den Themen Öl und Massentierhaltung mitreden. Als es um den brasilianischen Regenwald geht, fliegt L.A.I.K. kurzerhand hin, zeigt Rodungen und den Zusammenhang zur Palmölgewinnung, versucht, eine Pflanze vor dem Feuer zu retten.    Der „Wandertag im Weltall“ (Regie: Christian Claas) startete bereits im Herbst 2020, im März 2021 erhielt das Stück den Kulturlichter-Preis für kulturelle Bildung. Das Gesehene beschäftigt die Zuschauer. In der Nachbereitung fragen sie, wie der Astronautenalltag sich gestaltet oder wie lange es dauert, eine Rakete zu bauen. Außerdem wünschen sie, die Kulisse und die Blue-ScreenTechnik vorgeführt zu bekommen. Die doppelt interaktive Konzeption – die Klassen können ins Stück eingreifen und sich untereinander austauschen – ist ebenso bemerkenswert wie die Tatsache, dass hier echtes Bühnengeschehen für den Livestream produziert wird, nicht nur interaktives Bildungsfernsehen mit ein paar ergreifenden Blicken auf den Planeten Erde: Die Bühne kommt in den Klassenraum und dort wird das Theatererlebnis erfahrbar. – www.theater-chemnitz.de/figurentheater Figurentheater Chemnitz, Wandertag im Weltraum. Foto: Nasser Hashemi

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TAGUNG

ZEIT FÜR „CRITICAL PUPPETRY“ Das Symposium ”Representing Alterity through Puppetry and Material Performance” Das Ballard Institute and Museum for Puppetry und das Puppets Arts Programm der University of Connecticut verhandelten im April in einem zweitägigen Online-Symposium die Darstellung des Anderen im Puppen-, Figuren- und Objekttheater. Das Symposium wurde von einem Team rund um Dr. Jungmin Song, Dr. John Bell und Prof. Matthew Cohen geleitet. Von M a re i ke G a u bi t z /// Im Symposium sollte erstens reflektiert werden, wie die transformativen Fähigkeiten von darstellenden Objekten die Verwirklichung von exotischen Fantasien, rassistischen Stereotypen und Fehldarstellung unterschiedlicher Ethnien potenzieren. Die Darstellungen eines verhassten Anderen, sei es aus einer irrationalen Furcht vor dem Fremden oder aus einer tatsächlichen Angst vor dem kolonial herrschenden Fremden heraus, sind vielzählig und vielgestaltig. Die lange Geschichte des Puppen- und Figurentheaters setzt, wie jede Kunstform, der Gesellschaft einen Spiegel vor und transportiert ihre Ängste und Feindseligkeiten. Es ist wenig erstaunlich, dass Figuren, die ein ethnisches Anderes repräsentieren, häufig komische Figuren sind, die durch eine groteske Körperlichkeit hervorstechen, stereotypen Klischees entsprechen und damit zum Verlachen verführen sollen. Beispiele hierfür lieferten neben Marvin Carlsons Keynote zu „Alterity in the Arabic Puppet Theatre“ auch die türkischen Karagözspiele, das chinesische Handpuppenspiel, indonesische Puppentheaterformen und auch italienische, französische und deutsche Puppentheater.    Die Aufarbeitung rassistischer Darstellungen im Puppen-, Figuren- und Objekttheater hat in den USA aufgrund der amerikanischen Geschichte und der Black Lives Matter-Bewegung einen anderen Stellenwert als in Deutschland. William T.F. Condee hinterfragte in seinem Vortrag „Exhibiting Blackface Puppets from the German Imaginery” den Stand der Forschung in Deutschland. Er sieht die Verantwortung, diese Diskurse aufzunehmen und damit das Vakuum zu füllen, bei den Sammlungen und Museen. Hier findet sich der Ort, rassistische Darstellungen kritisch aufzuarbeiten und zu hinterfragen, da Figuren, denen rassistische Klischees anhaften, nicht aus den Depots und Ausstellungen ausgeschlossen werden können und sollten. Auch sie sind ein Teil der Geschichte. Der deutschen Gesellschaft fehlt eine „umfassende Aufarbeitung von Wirkungen, Ursprung und Folgen rassistischer Verhältnisse“, so hält es Tahir Della im Vorwort zu Tupoka Ogettes „Exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen“ (2020, S. 11) fest. Reflexionsprozesse haben vor einiger Zeit begonnen, doch ein breitenwirksames Bewusstsein für Diskriminierung ist noch lange nicht erreicht. Es stellt sich die Frage, wie sich das Puppen-, Figuren- und Objekttheater in diesem Diskurs positionieren will. Denn was kann und darf die Puppe, die Figur, das Objekt? Ist nicht genau diese Freiheit, alles und jeden darstellen zu können, auch die größte Qualität der Kunstform? Oder ist es vielmehr Qualität und Schattenseite zugleich, da genau diese Freiheit gut reflektiert sein will, um eben gerade nicht gut gemeint zu sein aber doch diskriminierend zu wirken?    Das Symposium legte darum einen zweiten thematischen Schwerpunkt auf die Fähigkeit des Figurentheaters, überkommene Kategorien der ethnischen Identifikation zu transzendieren, diese sichtbar zu machen und ihnen zu widerstehen. So beschäftigten sich einige Vorträge mit diesem politisch kritischen Potenzial, mit Inszenierungen und Künstler*innen, die Vielfalt hervorheben und sich für Minderheiten einsetzen.    Tobi Poster-Su zeigte in seinem Vortrag „A real American Wife, A Japanese Object: Puppetry and the Orient in Minghella’s Madama Butterfly“ beide Perspektiven auf und entwickelte dafür den Begriff ‚Critical Puppetry‘. Damit bezeichnet er eine Praxis, die Phänomene, die dem Figurentheater eingeschrieben sind, dafür nutzt, politische Werte-Hierarchien zu kritisieren und ihnen zu widerstehen. Er möchte so ein Verständnis dafür schaffen, wie das Puppenspiel als Werkzeug fungieren kann, um den Blick auf das minorisierte Andere in Theaterproduktionen aktiv zu hinterfragen und zu dekonstruieren. Poster-Sus Ansatz überzeugt dabei nicht nur durch die Genauigkeit seiner Analyse, sondern vor allem dadurch, dass er nicht auf der inhaltlichen Ebene ansetzt, ohne die grundlegenden Mechanismen der Theaterproduktion selbst zu durchleuchten. Ihm geht es um die Konstruktion und Manipulation von Identitäten, die in der Form begründet liegen und über die direkt sichtbaren Akteur*innen hinausgehen. Critical Puppetry setzt demnach bei den (dem Theater eigenen) Machtstrukturen und der Frage der Autorschaft an, in denen Darstellende selbst oft marginalisiert sind. Poster-Sus Begriff und die damit beschriebene Praxis haben ein großes Potenzial in sich, die Forschung voranzutreiben und die Diskurse rund um Darstellung und Repräsentation, um die Ebene der Produktion und Rezeption zu erweitern. Die grundlegende Frage nach Machtstrukturen und Hierarchien greift in weitere Ebenen der Diskriminierung und entfaltet so eine Allgemeingültigkeit – um nicht nur das Puppentheater, sondern die Darstellenden Künste insgesamt strukturell zu hinterfragen. https://bimp.uconn.edu/ – http://tobipostersu.com/writing

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SCHWEIZER FENSTER

IM GRENZGEBIET ZWISCHEN REALITÄT UND VIRTUALITÄT Zum Internationalen Basler Figurentheaterfestival Mit dem Thema „Körperwelten“ widmete sich das Basler Figurentheaterfestival (BAFF) einer hochaktuellen Diskussion. Mehrere Inszenierungen untersuchten die Frage, was einen realen Körper ausmacht. Vo n Jacq u eline S u rer /// Die Corona-Pandemie hat die Auseinandersetzung mit unserer eigenen Körperlichkeit verändert. Wie gehen wir damit um, dass wir andere nicht mehr berühren sollen? Ist jemand, der nur virtuell anwesend ist, wirklich da? Diese Fragen wurden an der 11. Ausgabe des Basler Figurentheaterfestivals (BAFF!) vom 15. bis 19. September 2021 ausführlich untersucht. Die eingeladenen Inszenierungen, die rund um das Thema „Körperwelten“ gezeigt wurden, vereinigten ein breites Spektrum unterschiedlicher Kunstformen. Dieser transdisziplinäre Ansatz ist dem Festival-Leitungsteam um Kathrin Doppler und Marius Kob ein grosses Anliegen. Der Begriff des Figurentheaters wird am BAFF! bewusst ausgeweitet, indem auch andere Sparten Raum bekommen.

Hybrid aus Sound, Licht und VR-Trip Allgegenwärtig war insbesondere der Einsatz von Technik und was geschehen kann, wenn diese immer stärker in unser Leben eingreift. Die Frage nach der Notwendigkeit der physischen Präsenz wurde in „Presence“ (HK) besonders eindringlich gestellt. Körperlich in Hongkong, handelt der Künstler Royce Ng durch eine Performerin, die ihn vor Ort vertritt. Ist seine körperliche Anwesenheit nötig, damit er vor dem Publikum „präsent“ sein kann? Oder reicht dafür seine Stimme? Oder ein Abbild seines sprechenden Kopfes? Abschliessend beantworten konnte die Performance diese Frage nicht. Die tatsächliche „Präsenz“ des Künstlers blieb dafür zu vage. Die Zuschauer wurden trotzdem mit reichlich Gehirnfutter zurückgelassen: Was ist wirklich real? Werden wir das in Zukunft gar nicht mehr wissen können? Oder wissen wollen?    In „Virtual wombs“ von Anna Fries und Malu Peters (CH/NL) verschwammen die Grenzen zwischen Realität und Virtualität noch mehr. In diesem Hybrid aus Sound- und Lichtinstallation sowie einer Reise durch eine Virtual-Reality-Welt stand das Thema Schwangerschaft im Zentrum. Keine normale Schwangerschaft allerdings, sondern die fiktive eines männlichen Tänzers, der sich als realer Mensch immer wieder hautnah durch das Publikum bewegte. Eine eindringliche Inszenierung, die Genderrollen infrage stellte und geschickt zwischen Fiktion und Realität hin und her jonglierte.

Warnung oder Glücksfantasie? Eine im Vergleich klassische Inszenierung war „Ersatz“ des Collectifs Aïe Aïe (FR). Auch hier ging es um die Frage nach dem Einfluss der Technik auf den menschlichen Körper. Anders als in „Virtual wombs“ trug nicht das Publikum die VR-Brille, sondern der Puppenspieler (Julien Mellano) – mehr Cyborg als Mensch. Diese hatte er sich aus Karton zusammengebaut. Mit extrem reduzierten Mitteln nahm er die Zuschauer mit auf eine Reise in eine Science-Fiction-Welt, in deren Verlauf er auf verstörende Weise die Entstehungsgeschichte der Menschheit nachvollzog. Am Schluss endete die Reise sozusagen wieder am Anfang, anstatt eines Cyborgs sass ein Menschenaffe vor den Zuschauerrängen. Ob das als Warnung oder als Glücksfantasie einer besseren, unschuldigeren Zukunft zu verstehen war – diese Einordnung blieb dem Publikum überlassen. – www.figurentheaterfestival.ch Collectif Aïe Aïe, Ersatz. Foto: Laurent Guizard

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SCHWEIZER FENSTER

eine eigene sprache finden Gespräch mit dem jungen Puppentheater-Macher Sebastian Ryser Sebastian Ryser hat schon als Kind im Figurentheater St. Gallen mitgearbeitet, als sein Vater dort künstlerischer Leiter war – Tobias Ryser wirkte von 1986 bis kurz vor seinem Tod 2014 am Figurentheater St. Gallen. Seit 2014 führen Frauke Jacobi und Stephan Zbinden das Theater. Diesen Herbst beendet Sebastian Ryser das Studium Zeitgenössische Puppenspielkunst an der Ernst Busch Schule in Berlin. Er ist Mitgründer des Kollektivs E0B0FF, das Theater- und Tanzproduktionen in der freien Szene kreiert. Für sein Diplomprojekt kehrt er an den Ort zurück, an dem alles begann. Jacqueline Surer: Sebastian, Deine Diplomarbeit „Romeo und Julia“ hat im Herbst Premiere im Figurentheater St.Gallen, das von deinem Vater fast 30 Jahre geleitet wurde. Was hat dich dazu bewogen, das Stück in St. Gallen zu inszenieren? Sebastian Ryser: Ich hatte schon vor längerem beschlossen, für meine Abschlussarbeit ein Regie-Projekt in der freien Szene zu machen. Vor etwa einem Jahr sprach ich mit Frauke Jacobi darüber, der jetzigen Leiterin des Figurentheaters. Im Gespräch entstand die Idee, zusammen ein Stück zu machen. Frauke steht auf der Bühne, ich führe Regie. Was hat dich an „Romeo und Julia“ gereizt? Mich interessiert der Mythos dieses Stücks. Jeder kennt die Geschichte von Romeo und Julia. Die beiden haben sich auf Theaterbühnen, in Kinofilmen, in Opernhäusern oder in Englischstunden schon Millionen Mal verliebt und sind Millionen Mal gestorben. Die Inszenierung kreist um diesen Mythos. Das Stück spielt im grossen „Romeo und Julia-Archiv“, wo alles verwahrt ist, was mit der Geschichte zu tun hat. Sämtliche Schauspielerinnen und Schauspieler, die je Romeo und Julia gespielt haben, sind dort eingelagert. Aber auch der schlechteste Aufsatz, der je zu dem Thema geschrieben wurde, oder der Angstseufzer einer Julia-Darstellerin kurz vor ihrem Auftritt. Frauke spielt die Verwalterin, die sich um das Archiv kümmert und im Verlauf des Stücks verschiedene Romeos und Julias zum Leben erweckt. Wir mischen das Puppenspiel mit Videosequenzen und Livemusik von einer Cellistin. Warum wolltest du ein Regieprojekt machen? Ich habe mich schon immer für Regie interessiert. Als es ums Studium ging, habe ich mich dann aber für Puppenspiel entschieden, weil es mir wichtig war, das Werkzeug kennenzulernen. Das hilft mir nun bei der Regiearbeit. Ich finde es sinnvoll, wenn man als Regisseur auch selber spielt und diese Seite kennt. Das Geniale an der Ernst Busch Schule ist, dass man eine riesengrosse Palette an Mitteln und Möglichkeiten kennenlernt, wie man eine Geschichte erzählen kann. Das bringt wahnsinnig viel. Wofür man sich am Schluss entscheidet, da ist die Schule sehr offen. Ein Ziel der Ausbildung ist es, dass man seinen eigenen Weg und seine eigene Nische findet. Wenn du an die letzten vier Jahre denkst: Was ist das Wichtigste, das dir die Schule mitgegeben hat? Was hast du in Berlin gelernt, was du ohne diese Ausbildung nicht mitbekommen hättest? Einerseits war es wichtig, das Handwerk zu lernen. Andererseits war vor allem die Zusammenarbeit mit den Leuten in meinem Studiengang inspirierend. Wir waren eine ziemlich heterogene Gruppe. Obwohl wir alle das Gleiche studierten, hatte jede und jeder ein eigenes, teilweise sehr unterschiedliches Theaterverständnis. Das war interessant, manchmal natürlich auch anstrengend. Vier Jahre in diese Welt einzutauchen, war enorm bereichernd und hat meinen Horizont erweitert. Bevor du an die Ernst Busch Schule gegangen bist, hast du sechs Jahre an der Universität Zürich Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft studiert. Für dich war also nicht von Anfang an klar, dass du in die Fussstapfen deines Vaters treten würdest? Nein, überhaupt nicht. Dass ich in einer „Kleintheater-Familie“ aufgewachsen bin, hat mich aber stark geprägt. Meine beiden Geschwister und ich haben im Figurentheater immer mit angepackt, wir haben eingeleuchtet, Bühnenbilder auf- und abgebaut, in Stücken mitgespielt. So hatte ich das Theater natürlich immer im Blick und wusste auch, dass es in Berlin eine Puppenspiel-Ausbildung Sebastian Ryser. Foto: Martina Thalhofer

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gibt. Zuerst hat es mich aber in die Wissenschaft gezogen. Wenn man so nahe an dem dran bleibt, was die Eltern gemacht haben, gibt es immer eine gewisse Angst, in den gleichen Fussstapfen zu enden. Ich hätte aber auch nicht total mit dem Theater brechen können. Durch die Ausbildung in Berlin bin ich nun an einem Punkt, wo ich besser weiss, was ich will. Die Sorge, dass ich einfach nur dort weitermache, wo mein Vater aufgehört hat, habe ich nicht mehr. So ist es jetzt sehr schön, ans Figurentheater St. Gallen zurückzukehren, diesen Ort, mit dem ich mich so verbunden fühle. Wenn du an die Anfänge in St. Gallen zurückdenkst: Was hat sich in den letzten 20 Jahren im Figurentheater besonders verändert? Früher versuchte man die Spielerinnen und Spieler möglichst unsichtbar zu machen, um der Puppe den ganzen Fokus zu geben. Heute werden auf der Bühne Puppenspiel und Schauspiel gleichwertig behandelt. Mich persönlich interessieren spartenübergreifende Projekte, besonders auch solche, in denen mit digitalen Mitteln und Film gearbeitet wird. Als Puppenspieler bin ich es gewohnt, in alle Richtungen offen zu sein, das ist ein grosser Vorteil unserer Sparte. Mit den verschiedensten Mitteln eine eigene Sprache zu finden, reizt mich besonders. Deine Studienzeit in Berlin geht bald zu Ende. Hast du vor, danach in der Schweiz zu leben? Ja, im Moment denke ich, dass ich wieder in die Schweiz zurückkehren werde. Für das Studium war Berlin super, aber dort in der freien Szene zu arbeiten, ist hart. Es gibt viele Leute, die Projekte machen wollen, aber nur wenig Geld. Ausserdem habe ich in der Schweiz ein Netzwerk, an das ich anknüpfen kann. Dazu kommt, dass die Puppenspiel-Szene in der Schweiz nicht so riesig ist. Ich habe grosse Lust darauf, mich da einzubringen und neue Impulse zu setzen. Das klingt, als ob du bereits in den Startlöchern sässest. Ja, einige Sachen haben sich schon ergeben. Ich merke aber auch, dass ich noch etwas Zeit brauche, um wieder in der Szene anzukommen und den Überblick zu gewinnen. Am meisten interessieren mich zurzeit Regie-Projekte. Ich würde aber auch wieder spielen, wenn sich etwas Interessantes anbietet. Hauptsache, ich kann Theater machen. – www.sebastianryser.ch / www.figurentheater-sg.ch Figurentheater St. Gallen, Romeo und Julia. Videostill, Theater

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NACHRUF

PUPPENSPIELER, ERFINDER. AUSSTATTER Zum Tod von Günther Lindner (1948-2021) Von S i l v i a Bre nd e n a l /// Am 9. März 2021 starb Günther Lindner. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich ihn das erste Mal auf der Bühne sah. War es 1982, in der beim III. Nationalen Puppentheaterfestival der DDR ausgezeichneten Inszenierung „Einzweidreivierfünfsechssieben“ der Gruppe Zinnober, war es in der ebenfalls preisgekrönten Zinnober-Produktion „Bremer Stadtmusikanten“? Aber ich weiß noch, dass mir schon damals seine ebenso vielfältige wie unauffällige, beinahe diskrete Spielweise gefiel. Mit leiser Intensität gestaltete er seine Figuren, um diese dann in bestimmten szenischen Momenten brillieren zu lassen.    Das letzte Mal sah ich ihn in einer Video-Aufzeichnung des „Verliebten kleinen Stiers“, einer Produktion des Theaters o.N., in der mich dieser dezente, präzise Künstler wieder in seinen Bann zog. Mit einem Hauch von komisch-ironischer Distanz gestaltete er die darstellerischen Randfiguren dieser Geschichte, dem kleinen Stier jedoch gab er genau jene arglose Liebenswürdigkeit, die ihm die Empathie der kleinen und großen Zuschauer sicherte. Günther Lindner kannte eines der Geheimnisse der Schauspielkunst: Er vermochte mit seinem Spiel tief zu berühren.    Und er schuf zudem oft die Puppen, die Szenografien der Inszenierungen, in denen er mitwirkte. Im „Verliebten Stier“ sind das zarte, aufklappbare Bühnenbild, die silhouettenhaften Puppen und die ausdrucksvollen Masken Teile eines anmutigen, bildnerischen Ganzen.    Als Puppenspieler, Erfinder und Ausstatter umschrieb er sich selbst und erzählte damit viel von der Fülle seines originären Künstlertums. Fast jede Inszenierung, in der er spielte, prägte er auf seine eigene, unverwechselbare Weise mit. Sei es durch die ihn charakterisierende Spielweise, sei es durch seine ausstatterischen Ideen oder szenografischen Erfindungen, oft getragen von seiner fantasievollen Suche nach den theatralischen Ausdrucksmöglichkeiten des gerade zu erforschenden Materials.    Seine gesamte berufliche Biografie ist die eines gleichermaßen Suchenden wie Wissenden. Sie reicht vom ausgebildeten Konditor über das Studium der Theologie bis zum Eleven am neugegründeten Puppentheater Neubrandenburg. Nach der Bühnenreifeprüfung an der Staatlichen Schauspielschule Berlin ging er nach Berlin, um dort Mitglied von „Zinnober“, der ersten freien Theatergruppe der DDR, zu werden. In diesem Theater-Verbund großartiger, kreativer Persönlichkeiten hat er sein künstlerisches und geistiges Zuhause gefunden. Das von „Zinnober“ präferierte biografische Theater, die auf Improvisation basierende Spielweise, die immer wieder neuen Anforderungen an das darstellende Material – Schatten, Puppen, Dinge, Objekte – , das permanente Hinterfragen gesellschaftlicher Verhältnisse, wurden auch Grundlage seines schöpferischen Seins. 2010 nahm er all das mit in das „Zinnober“ nachfolgende „Theater o.N.“ und erweiterte es um viele Facetten, u.a. Musik und Theater für kleine Kinder ab 2 Jahren, szenische Projekte mit Schulkindern ...    Die letzte Arbeit, die er plante, war die musikalische Inszenierung „Nachtgewächse“ – Barockmusik für Kinder. Er konnte sie nicht mehr realisieren, denn Gevatter Tod stellte sich an das Fußende seines Bettes.    Uta-Griseldis Lindner und Iduna Hegen werden das Projekt in seinem Sinne auf die Bühne bringen. Die Premiere soll an Günthers 1. Todestag stattfinden. Günther Lindner. Inszenierungsfoto: David Beecroft

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NACHRUF

DER ABSTAND ZU KRÄNZEN ALLER ART Ein Text zum Abschied von Manfred Wegner (1956-2021) Vo n Me i ke Wag n e r /// Manfred Wegner war langjähriger Leiter der Sammlung Puppentheater/ Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums. Mit Büchern, Texten, Ausstellungen, aber vor allem mit der Förderung anderer – KünstlerInnen und ForscherInnen – war er ein wichtiger Impulsgeber für das Figurentheater und Puppenspiel. Im August 2021 erlag er seiner langen schweren Erkrankung.    Vor gut einem Jahr habe ich mit Manfred Wegner für double ein letztes intensives Gespräch geführt. Es ging um ‚Übergänge‘, ein Thema, das wegen seines Rückzugs von der Leitung der Sammlung Puppentheater/Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums, sowohl persönlich für ihn als auch für die Figurentheaterforschung allgemein, von großer Relevanz war. Mit leiser Stimme – durch die Krebserkrankung noch leiser als sonst – machte er mir deutlich, dass er nicht den geringsten Wert darauf legte, eine persönliche Erbschaft zu übergeben, oder auch nur im Entferntesten darauf zielte, eine Denkschule zu prägen, seine eigenen Gedanken als Manifeste einer Nachwelt zur Verpflichtung zu machen.    Nach dem Gespräch war ich sehr berührt. Zum einen war nach einer Stunde seine Erschöpfung deutlich zu spüren. Das wurde mir besonders klar, als ich für das Transkript die Aufnahme wieder und wieder laufen ließ und einer schwächer werdenden Stimme lauschte. Zum anderen wurde mir wieder einmal Manfreds geistige und menschliche Großzügigkeit vor Augen gestellt. Wie viele Forschende, Sammelnde, Strebende im Feld der Theaterwissenschaft und Puppenforschung (darunter auch ich) lassen keine Gelegenheit ungenutzt, eine Rolle im öffentlichen Diskurs zu spielen, die eigene Ideenwelt in Texte und Bücher zu gießen, um etwas Beständiges zu hinterlassen und die eigene Sichtbarkeit zu sichern. Manfred hinterlässt einige wenige, aber relevante Schriften. Aber viel lieber gab er mit kluger Zurückhaltung Hinweise, Denkanstöße und durchaus auch intellektuelle Provokationen, um dem Gegenüber dann ungeheure Freiheit zu geben bei der kreativen Weiterentwicklung von Ideen. Meine Gedanken haben sich immer gut aufgehoben gefühlt im Zwiegespräch, fanden einen kritischen, humanistischen und humorvollen Resonanzboden – das fühlte sich nach einem intellektuellen und menschlichen Zuhause an, mir sehr kostbar.    Dabei war er keineswegs jemand, der sich in vollkommener Nachgiebigkeit übte, nein, seine Positionen waren geradlinig, manchmal provokativ, zuweilen gar stur. Vor allem, wenn es darum ging, ihn zu überreden, seine Verweigerung, stärker in die öffentliche Aufmerksamkeit zu rücken, aufzugeben. Für double war es daher bedeutsam, dass er sich 2004 entschloss in die Gründungsredaktion einzutreten. Viel zu früh musste er sich durch Überlastung aus der ersten Reihe zurückziehen, blieb aber bis zuletzt ein wichtiger Gesprächspartner und geistiger Unterstützer unserer redaktionellen Arbeit. Wir alle werden ihn schmerzlich vermissen. Danke für all die Jahre der Begleitung, der bedingungslosen Unterstützung und, ja, der Liebe zu uns und unserer Sache. Manfred Wegner. Foto: Gyula Molnár

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ENGLISH SUMMARIES

S U M M A RIE S OF D OUB LE 44:

Gaps i n percepti on? Directing for solo puppet theatre (p. 18–20) The Bernese theatre scholar Franziska Burger has examined the reception of solo productions in the field of figure and object theatre. In doing so she noticed a conspicuous gap in perception, especially in the case of journalists: In the majority of reviews of shows by solo artists, there is no discussion of the director's contribution.

D i r e ct in g! D ire ct in g? Speculating on a term (p. 6–8) André Studt’s article is an attempt to get closer to something not often attempted by theatre scholars; what lies behind the term “directing”. The concept has been handed down on different levels and generates various different conclusions and realities. Thus, we will come to a different conclusion if we interpret “directing” as the personification of a specific competence and/or artistic control with a concomitant potential for power and provoking scandals, than if we look at what the basic activity of directing consists of – e.g. as a dialogue-based performance in a rehearsal process. The latter in particular deserves more attention in order to be able to explore the aesthetic and pedagogical potentials behind the practicalities of the role more comprehensively.

On the l aughabi li ty of col oni al gestures and the many versi ons of the “crochet ed blanket” . A conversation with Jan-Christoph Gockel and Michael Pietsch (p. 21–23) “We blacks must stick together”: with this sentence, the former Bavarian Prime Minister Franz Josef Strauß (CSU) sealed his unholy alliance with President Gnassingbé Eyadéma of Togoland, thereby prolonging and twisting German colonial history into a Bavarian-African ‘buddy’ economy, something that has survived in parts to this day. With “Wir Schwarzen müssen zusammenhalten – Eine Erwiderung” (We Blacks Must Stick Together – A Reply), director Jan-Christoph Gockel worked with actors, musicians, comics and documentary material from Togoland and the Munich Kammerspiele to create a cinematic/theatrical mosaic in which a time-travelling ghost hunter encounters a lifelike Josef Strauß puppet. Theatre critic Sabine Leucht spoke with Gockel and actor, puppeteer and puppet designer Michael Pietsch about cooperative working processes, puppets in a postcolonial context and the role of the director.

W e a re t h e bea r Improvisation on a research project by Lehmann and Wenzel + Franziska Merkel (p. 9–11) The Lehmann and Wenzel duo (Stefan and Samira Wenzel) and Franziska Menzel have already directed several productions together, and are now working with a director for the first time. Bär describes himself as a conceptual artist from Leipzig, in other words: a hand puppet with his own agenda. Annika Gloystein has investigated this rather unconventional approach for double and summarises her impressions from conversations with the ensemble and (sometimes strange) encounters with Bär, all stemming from the rehearsal phase of this production. In the process, many questions arise with respect to the subject of directing – is it just a game and/or perhaps a conceit?

Di recti on or arti sti c accompani ment? Mapping production processes in a differentiated way (p. 24–25) Joachim Fleischer, who has been involved in many puppet theatre productions as an ‘outside observer’, reflector, lighting designer and artistic accompanist, is rarely mentioned in the credits as a director: nor does he describe himself as such. André Studt wanted to know why this is so or whether the alternative terms are not just rhetorical smokescreens that avoid the term director, yet create other problems. Fleischer took on the challenge. In his article he outlines his view of the matter, in which he also understands the process of working together as a search for a shared language – with the then appropriate terminology.

A l o ng-t e rm d ia logue Notes on working as an in-house director (p. 12–13) The director Moritz Sostmann originally trained as a puppeteer at the Ernst Busch Academy of Dramatic Art in Berlin. His productions usually oscillate between actors and puppets. For years he has regularly worked at the puppet theatres in Magdeburg and Halle, as well as at the theatre in Cologne, where he has been the in-house director since 2013. For double, he reports on the special research potential that this position offers, especially for someone who, like Sostman, does not regard himself as an ‘explicit genre’ director, but as a theatre-maker who wants to combine the peculiarities and qualities of puppetry with those of acting. In doing so, he addresses the positive effects of long-term collaboration on the artistic quality of productions as well as the danger of routine and habit.

Maki ng room for chance – w i thout bei ng arbi trary On the role of rules in the online production “A Room without a View” (p. 26–27) Oscillating between object theatre, film and an online game, Franz Schrörs’ work “Zimmer ohne Aussicht – Ein Erkundungsspiel im Livestreamformat” (A Room without a View – An Exploratory Game in Livestream Format) was created in the spring of 2021. It is his first production after graduating from the Stuttgart Figure Theatre degree programme. The audience is invited to visit an abandoned room via a video conference platform. There are no figures moving around this room, only a camera through whose eye the room, its minimalist furnishings and a few objects can be discerned. The modular narrative system, the rules of the game according to which this production develops, allow the audience a great deal of latitude for participation. Who is the director here? And what does “directing” mean in a work in which new stories are generated at every performance and the audience (co-)determines visual focus, text sequence and rhythm? Franz Schrörs explores this question for double.

W he n th e s n i f f e r d og give s t h e sum m on s for th e h u n t a n d t h e m id wife sta n d s by Discussing directing in puppet theatre (p. 14–17) What role do directors play in the process of puppet theatre productions? What is the relationship between puppeteers and directors in puppet theatre today? double editor Meike Wagner talked with Melanie Sowa, Markus Joss (both professors at the Ernst Busch Academy of Dramatic Arts, Puppetry Department) and Julika Meyer, Stephanie Rinke and Florian Feisel (professors at the Stuttgart University of Music and Performing Arts, Puppet Theatre Department). From their specific perspectives, the interviewees discuss the special role of the material in the conception phase of puppetry productions, the necessary “director’s eye” of puppeteers, the (im)possibility of staging the ‘theatre of things’ without precise knowledge of the means of representation ... thorougly controversial themes.

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ENGLISH SUMMARIES

N e ver ex pla in

future. Virtual and analogue bodies were also a topic at the BAFF International Figure Theatre Festival in Basel, as described by Jacqueline Surer in the Swiss Window section. Michael Lurse, the artistic director of the Helios Theatre, had a digital discussion with the puppeteer and theatre-maker Anurupa Roy from New Delhi about her project “The Girl in the Pink Frock”, which was created during the lockdown. And Franziska Reif visited the award-winning digital show “A Day wandering in Space” by the Chemnitz Figure Theatre. Tobias Prüwer pays tribute to Westflügel Leipzig on its 15th anniversary as a powerhouse for international cooperation. Julia Opitz presents Johannes Volkmann’s concept of social staging for the 25th anniversary of the Nuremberg Paper Theatre. On the 100th anniversary of the founding of the “Hohnsteiner Puppenspiele”, Lars Rebehn highlights the great effects of publicising themselves as the first puppet theatre brand. Mareike Gaubitz attended the digital symposium on “Race and Alterity in Puppetry” for double and asks how “Critical Puppetry” can also be practised in Germany. In our Young Talent section, Leah Wewoda reviews the first joint production between the contemporary puppetry and acting programmes at the Ernst Busch Academy of Dramatic Arts in Berlin and says she would like to see more courage for an effective collaboration. The Swiss Window introduces the young puppeteer Sebastian Ryser, who has just presented his first production at the St. Gallen Puppet Theatre, which his father played a major role in shaping. The issue concludes with two obituaries: dedicated to the puppeteer and designer Günther Lindner, a long-time member of the Theater O.N. Berlin; and to the double co-founder, theatre scholar and director of the puppet theatre collection at Münchner Stadtmuseum Manfred Wegner.

The director Catherine Poher on her working principles (p. 28–29) The productions by the director Catherine Poher, who comes from France and has lived and worked in Denmark for many years, move playfully and openly between acting, dance, artistic performance and the theatre of things. They address young audiences as well as adults. A comprehensive insight into her work and her international artistic environment, which includes the French theatres SKAPPA and Vélo Théâtre as well as other European artists, is provided by a new digital edition of the e-book entitled “...Og på den 8. dag begyndte de at drømme”* (ed. Kerstin Dahn/Catherine Poher), and published in 2020. We took the new publication as a chance to ask the director for an artist's statement. For double, Catherine Poher, who sees her working methods as being closer to that of a visual artist than that of a theatre director, gives a cursory overview of the basic principles behind her work. *... and on the 8th day they began to dream”.

S u mm a ry of t h e Sect ion s The second part of this issue includes a number of texts dealing with digital formats. Tom Mustroph reports on the digital edition of the International Figure Theatre Festival in Erlangen, Nuremberg and Fürth. For him, productions which consistently exploited the interactive possibilities of digitality, emphasised the value of shared time, and exploited the appeal of very tangible analogue materials and objects in the digital realm, proved to be particularly suited for the

Lehmann und Wenzel + Franziska Merkel, Regie: Bär. Foto: Thilo Neubacher

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NOTIZEN

FESTIVALS Auch in der Saison 2020/2021 fielen etliche Festivals wegen der weiter bestehenden Pandemielage aus, zogen ins Internet um oder wurden verschoben. Neue Termine, die sich zum Teil über mehrere Wochenenden erstrecken, finden sich hier und/oder im Festivalkalender Vor dem Hintergrund der globalen Erfahrung einer Pandemie beschäftigen sich die künstlerischen Positionen des internationalen Festival Theater der Dinge vom 4. bis 13. November 2021 unter dem Motto „Die Welt ohne uns“ mit dem Ende des Anthropozäns und entwickeln Ideen, wie der Standpunkt des Menschen in der Welt neu verortet werden kann. Das Bühnenprogramm ist in diesem Jahr kleiner gehalten, stattdessen laden intime Vorstellungen und Installationen, digitale Inszenierungen und ein Filmprogramm sowie ein umfangreiches, weitestgehend online stattfindendes Kontextprogramm zur Auseinandersetzung ein. – www.schaubude.berlin Das Internationale Welser Figurentheaterfestival wurde vom März 2021 kurzfristig auf zwei separate Termine verschoben, der zweite Festivalblock findet vom 8. bis 10. November 2021 statt. Eröffnet wird mit dem babelart Theater, einer in Österreich ansässigen Formation estnisch-italienischer Herkunft. Das Programm wendet sich schwerpunktmäßig an ein junges Publikum. – www.figurentheater-wels.at

dem Westflügel Leipzig gegründeten „Allianz internationaler Produktionszentren für Figurentheater“. – www. imaginale.net Die Biennale Corps-Objet-Image – Les Giboulées des TJP Strasbourg hinterfragt mit ihren Inszenierungen die Welt und die Art und Weise, wie sie dargestellt wird. Im Rahmen der nächsten Ausgabe wird es vom 4. bis 19. März 2022 unter anderem um das Verhältnis zwischen Mensch und Natur (Collectif Milieu de Terrain), die Dynamik der Macht zwischen Herrschaft und Entfremdung (Compagnie À) oder die Zerbrechlichkeit jedes Bauvorhabens (Renaud Herbin) gehen. Ausführliches Programm ab Januar 2022 unter www.tjp-strasbourg.com TAGUNGen Das Staatstheater Augsburg und die Münchner Kammerspiele veranstalten gemeinsam das 1. Forum für Theater und digitale Transformation, als ersten strukturierten Wissensaustausch des theaternetzwerk.digital – aber offen für alle Interessierten. Der erste Teil findet am 6. und 7. November 2021 in Augsburg statt, der zweite Teil am 26. und 27. November 2021 in München, Beide Teile sind unabhängig voneinander besuchbar und finden als hybride Veranstaltungen analog vor Ort und digital im Netz statt. – www.muenchner-kammerspiele.de

Das Festival elPetit zeigt vom 13. bis 28. November 2021 in Barcelona und Sabadell (Spanien) Inszenierungen für sehr junges Publikum. Im Rahmen des Festivals findet vom 18. bis 21. November wieder die professionelle Begegnung „International Encounter of Arts for (Early) Childhood” statt. – https://encontre.elmespetitdetots.cat/

Women & Masks – A Transdisciplinary Arts-Research Conference – Diskussionen, Workshops und Performances nähern sich forschend dem Thema „Frauen und Masken“. Die webbasierte internationale Tagung wird von der Universität Boston ausgerichtet und findet an den Wochenenden 11. bis 13. Februar und 22. bis 24. April 2022 statt. Sie ist offen für Interessierte und frei zugänglich. Regstrierung unter https://sites.bu.edu/womenandmasks/

Das internationale Figurentheaterfestival Blickwechsel lädt nach zwei kompletten coronabedingten Absagen nun unter dem Motto „Freunde ein ganzes Jahr“ zu mehreren Kurzfestivals (16. bis 20. November 2021, 16. bis 20. März und 22. bis 26. Juni 2022) nach Magdeburg ein. 20 Compagnien aus Frankreich, Belgien, Dänemark, Israel, den Niederlanden, der Schweiz, Spanien und Deutschland werden mit Inszenierungen, Lecture Performances, immersiven Projekten und künstlerischen Begegnungen zu Gast sein. Programmatischer Ankerpunkt der erweiterten Festivalwochenenden ist der Dialog zwischen Künstler*innen und Publikum in kleinen Formaten und intimen Räumen. Im Programm finden sich neben neuen Inszenierungen einer jungen Szene einige für die ursprüngliche Ausgabe kuratierte – so kommt im November auch die zweimal verschobene Blickwechsel-Festivalproduktion mit Trickster-p (CH) zur Aufführung. Detailliertes Programm unter blickwechselfestival.de

Zu Meet the Masterplan laden die drei bundesweit agierenden Organisationen des Figurentheaters, Verband Deutscher Puppentheater (VDP), Union Internationale de la Marionnette ( UNIMA) und Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst (dfp), am 9. November 2021 via Zoom ein. Zu dem von ihnen initiierten Prozess „Masterplan Figurentheater” haben inzwischen zahlreiche Akteure und Akteurinnen der Szene in verschiedenen AGs und Vernetzungstreffen beigetragen. Nun sollen die jeweiligen Ergebnisse in Form von Forderungskatalogen präsentiert, miteinander diskutiert und erweitert werden. Wer an der Weiterentwicklung des Figurentheaters in Deutschland interessiert ist – ob im Bereich der Kunst, der Wissenschaft, der Organisation, der Pädagogik oder Lehre – ist eingeladen, an diesem Prozess teilzunehmen. Anmeldungen bis 2. November unter www.figurentheater-kolleg.de/diekurse/figurentheater00/figurentheater-masterplan/

Vom 3. bis 13. Februar 2022 findet in Baden-Württemberg die IMAGINALE – Internationales Theaterfestival animierter Formen statt. Die IMAGINALE präsentiert in zweijährigem Rhythmus in Stuttgart, Mannheim, Heilbronn, Eppingen, Schorndorf und Ludwigsburg Arbeiten im Grenzbereich zu Tanz, Musiktheater, Performance und Digitalkunst. Eingeladen zur 2022er Edition sind Ensembles und Solisten aus Deutschland, Frankreich, Israel, El Salvador, Dänemark, Österreich, den Niederlanden, Spanien, Norwegen und Großbritannien. Als städteübergreifende Großveranstaltung mit mehr als 80 Vorstellungen, Workshops und Gesprächsformaten gehört die IMAGINALE zu den größten deutschen Figurentheaterfestivals und verwirklicht in ihrem Konzept gleichzeitig die für kulturelle Arbeit essentielle Idee organisatorischer und künstlerischer Vernetzung. Ein Special der anstehenden Edition ist ein Schaufenster mit Produktionen der im Mai 2020 von der Schaubude Berlin, dem FITZ Stuttgart und

PREISE Beim ersten digitalen Fritz-Wortelmann-Preis der Stadt Bochum wurden aus 21 Wettbewerbsbeiträgen folgende Preisträger ausgewählt: die Aachener Dido Dance Company und der PuppenSpielClubMini vom Puppentheater Magdeburg in der Kategorie „Jugendclubs und Schultheater“ sowie Alba García, Tariq Marks und Alejandro Jurado Jiménez in der Kategorie „Erwachsene Amateure“ – hier ging noch ein Ehrenpreis an die KHWOSHCH group. Preisträger in der Kategorie „Professioneller Nachwuchs“ wurden Laia RiCa und Team. – www.fidena.de Mit dem Ehrenpreis „Die spielende Hand“ zeichnete der Verband Deutscher Puppentheater den Konservator der Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlung Dresden, Lars Rebehn, aus. Rebehn betreut in Dresden die mit Abstand größte Sammlung zum traditio-

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nellen Marionettentheater in Deutschland und zum mechanischen «Theatrum mundi». Er erhält den Preis für sein „unerschöpfliches persönliches und wissenschaftliches Engagement im Bereich Puppentheater“ (VDP). Mit dem 2021 neu ausgeschriebenen Valeria Frabetti Award ehrt das in Bologna ansässige Theater La Baracca zukünftig jährlich Personen oder Institutionen, die sich kulturpolitisch oder künstlerisch um die Entwicklung des Theaters für sehr junges Publikum verdient gemacht haben. – www.testoniragazzi.it Der Bund Deutscher Amateurtheater (BDAT) schreibt den Wettbewerb um den Deutschen Amateurtheaterpreis amarena 2022 zum siebten Mal aus. Erstmals richten sich die fünf Einzelkategorien an alle Formen der Darstellenden Künste, auch Figurentheater. Bis zum 15. Dezember 2021 können sich nicht professionelle Ensembles bewerben. Die Preise sind je Kategorie mit 2.000 Euro dotiert. Detaillierte Ausschreibung unter www.bdat.info JUBILÄEN Das Puppentheater des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters Bautzen feiert seinen 60. Geburtstag: 1961 gründete sich ein zweisprachiges Marionettentheater als Sparte des Sorbischen Volkstheaters, hervorgegangen aus der privaten Puppenbühne der Familie Ritscher. Zum Jubiläum erschien im Verlag Theater der Zeit eine Buchpublikation mit dem Titel Verfitzt und zugenäht. Darin werden zahlreiche Puppen aus dem Fundus porträtiert. In Verbindung mit Begleittexten und Anekdoten ergibt sich eine bildstarke Geschichte dieses einzigen zweisprachigen kommunalen Puppentheaters in Deutschland. In der gleichnamigen Jubiläumsinszenierung von Stephan Siegfried, dem Leiter des Puppentheaters Bautzen, treten die ausrangierten Puppenstars von früher noch einmal auf – dazu sei hier auf den ausführlichen Bericht unter www. fidena.de hingewiesen. – www.theater-bautzen.de Sein 40-jähriges Jubiläum als künstlerischer Leiter des Marionetten-Theaters Düsseldorf konnte Anton Bachleitner 2021 feiern. – www.marionettentheater-duesseldorf.de PUBLIKATIONEN An der Schnittstelle zwischen Theatertheorie und -praxis verortet sich die 2021 im Alexander-Verlag erschienene Publikation itw : im dialog. Uneins – Désuni – At odds. Identitätsentwürfe im Figurentheater. Forschungen zum Gegenwartstheater, Band 5. Herausgegeben von Beate Hocholdinger-Reiterer und Laurette Burgholzer, versammelt der Band deutsch- englisch- und französischsprachige Aufsätze, die anlässlich der Internationalen Tagung „Uneins. Identitätsentwürfe im Figurentheater“ an der Universität Bern 2020 entstanden. Ein Ausgangspunkt der präsentierten Beiträge ist das Potenzial des Puppen- und Objekttheaters, durch die ihm inhärente deutliche Differenz von Spielerkörper und Spielfigur Identitätsbehauptungen variabel gestalten zu können. ISBN: 978-3-89581-565-2 Basierend auf einer Ausstellung zum Werk der Schweizer Künstlerin Sophie Taeuber-Arp (1889–1943) haben das Kunstmuseum Basel, das MoMa New York, Eva Reifert und Anne Umland einen umfangreichen und mit über 400 Abbildungen ausgestatteten Katalog herausgegeben, in dem das interdisziplinäre Werk der Künstlerin, zu dem auch kunsthistorisch bedeutende Theaterfiguren gehören, fundiert und facettenreich vorgestellt wird: Sophie Taeuber-Arp. Gelebte Abstraktion. Hirmer-Verlag 2021, ISBN: 978-3-7774-3562-6. Die Ausstellung selbst ist noch vom 21. November bis 12.März 2022 in New York zu sehen. – www.moma.org


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NOTIZEN

PERSONELLES Der erste digital durchgeführte Weltkongress der UNIMA – Union international de la Marionnette – wählte im April 2021 die Australierin Karen Smith zur Präsidentin. Die Vizepräsidentschaft teilen sich die Leiterin des Deutschen Forums für Figurentheater und Puppenspielkunst Annette Dabs und der Argentinier Tito Lorefice. – www.unima.org Neuer Leiter der euro-scene Leipzig ist seit Anfang 2021 Christian Watty, in der Nachfolge von Ann-Elisabeth Wolff, die sich nach fast 30 Jahren als Festivalleiterin verabschiedete.– www.euro-scene.de

Jahre. Am 11. November 2021 wird Salz&Pfeffer zusammen mit der Schaubude Berlin einen Abend zu diesem Thema gestalten, zu dem auch interessiertes Publikum geladen ist.

festivalkalender

07.05.–18.05.2022. Bochum (Deutschland) Fidena – Figurentheater der Nationen www.fidena.de

02.11–7.11.2021 Leipzig (Deutschland) euro-scene Leipzig www.euro-scene.de

19.05.–27.05.2022 Hohenems (Österreich) Homunculus www.homunculus.info

04.11.–13.11.2021 Berlin (Deutschland) Theater der Dinge. Die Welt ohne uns www.schaubude.berlin

21.05.–27.05.2022 Bielsko-Biała (Polen) International Festival of Puppetry Art www.puppetryartfestival.com

04.11.–07.11.2021 Dülmen (Deutschland) Figurentheatertage www.profi-ev.de/figurentheatertage

27.05.–29.05.2022 Tallinn (Estland) Baltic Visual Theatre Showcase www.eestinoorsooteater.ee

08.11.–10.11.2021 Wels (Österreich) Internationales Welser Figurentheaterfestival www.figurentheater-wels.at

10.06.–19.06.2022 Paris (Frankreich) Scènes Ouvertes à l'Insolite www.theatredelamarionnette.com

GESTORBEN Die Mitinitiatorin der Pole Poppenspäler Tage in Husum, Gisela Terheggen, ist am 9. Februar 2021 gestorben. Der Gründung des Internationalen Figurentheater Festivals im Jahr 1984 folgten viele Jahre großen Engagements für das immer erfolgreicher werdende Projekt, das – vor allem auf Betreiben Gisela Terheggens – 1993 durch ein Poppenspäler Museum ergänzt wurde. Am 15. März 2021 verstarb der Frankfurter Verleger, Autor und Buchhändler Wilfried Nold. Über 40 Jahre lang hatte er als Ein-Mann-Betrieb den Versandhandel und Fachverlag „Puppen & Masken“ geführt. Viele Bücher zum Genre wäre ohne Nolds beharrliches und engagiertes Wirken als Verleger wahrscheinlich nie entstanden oder veröffentlicht worden. Sein Versandkatalog internationaler Fachliteratur zum Figurentheater „Schauplatz der Spielkünste“ war immer eine Fundgrube, vor Zeiten des Internets unverzichtbar für Praktiker aller Ausprägungen des Theaters der Dinge ebenso wie für Theoretiker. Der Schweizer Regisseur Jarg Pataki starb am 20. Mai 2021 mit nur 58 Jahren. Der studierte Chorleiter, Regisseur und Schauspieler experimentierte besonders in seinen früheren, stark stilisierten Inszenierungen immer wieder mit dem Zusammenwirken von Schauspielern und (oft menschengroßen) Puppen. Auch das surreale Potenzial von animierten Objekten auf der Bühne und formalisierte, z.B. chorische, Sprechweisen sowie in jüngerer Zeit musikalische Texturen und Klangflächen gehörten zu Patakis breitem theatralen Forschungsspektrum. Der georgische Regisseur, Bildende Künstler, Drehbuchautor und Puppentheater-Direktor Rezo Gabriadse, dessen Inszenierungen, darunter viele besonders faszinierende mit Puppen oder Objekten, weltweit gefeiert wurden, starb am 6. Juni 2021 mit 84 Jahren in Tiflis. SONSTIGES Kaspertheater und Papiertheater gehören nun zum Immateriellen Kulturerbe in Deutschland. Das hat im März 2021 die Kulturministerkonferenz gemeinsam mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien beschlossen. – www.unesco.de Das TheaterFigurenMuseum und das Figurentheater Lübeck haben, mit Blick auf die Zukunft, fusioniert. KOLK 17 Figurentheater & Museum heißt die neue Institution. Der Stammort im Kolk 17, einer engen Gasse in der Lübecker Altstadt, wird zur Zeit umgebaut, Museum und Figurentheater arbeiten in Ausweichräumen. KOLK 17 öffnet voraussichtlich 2023. – https://kolk17.de/ Das Theater Salz&Pfeffer in Nürnberg hat als erstes Theater ein Geimeinwohl-Ökonomie-Testat erhalten. Das Testat bestätig die Gemeinwohl-Bilanz des Theaters für zwei

08.11.-14.11.2021 Saarbrücken (Deutschland), Forbach (Frankreich) Loostik – Deutsch-französisches Festival für junges Publikum www.loostik.eu

21.06.–26.06.2022 Baden (Schweiz) Figura – Internationale Biennale des Bilder-, Objekt- und Figurentheaters www.figura-festival.ch

13.11.–28.11.2021 Sabadell/Barcelona (Spanien) Festival elPetit www.elpetit.cat/en/home/

21.07.–24.07.2022 Stuttgart (Deutschland) Die-wo-spielen-Festival www.hmdk-stuttgart.de

2022

02.09.–04.09.2022 Neusiedl (Österreich) PannOpticum www.visualtheatre.productions

22.01.–30.01.2022 Gelsenkirchen (Deutschland) Internationale Figurentheaterwoche www.gelsenkirchen.de/figurentheater 03.02.–13.02.2022 Stuttgart, Mannheim, Heilbronn, Eppingen, Schorndorf, Ludwigsburg Imaginale – Internationales Festival animierter Formen imaginale.net 08.02.–13.02.2022 Nürnberg (Deutschland) panoptikum – Europäisch Bayerisches Kindertheaterfestival www.festival-panoptikum.de 04.03.–19.03.2022 Strasbourg (Frankreich) Les Giboulées www.tjp-strasbourg.com

16.09.–22.09.2022 Lingen (Deutschland) Internationales Fest der Puppen www.tpzlingen.de 21.09.–25.09.2022 Erfurt (Deutschland) Synergura. Internationales Puppentheaterfestival waidspeicher.de 07.10.–13.10.2022 Schwäbisch Gmünd Internationales Schattentheater Festival www.schwaebisch-gmuend.de 19.10.–30.10.2022 München (Deutschland) wunder. Internationales Figurentheaterfestival www.figurentheater-gfp.de

11.03.–21.03.2022 München (Deutschland) Kuckuck – Theaterfestival für Anfänger kuckuckfestival.com

19.10.–23.10.2022 Meppel (Niederlande) Puppet International puppetinternational.nl/

03.05.–08.05.2022 Stuttgart (Deutschland) Internationales Trickfilm-Festival www.itfs.de

10.11.–13.11.2022 Silkeborg (Dänemark) Festival of Wonder www.festivalofwonder.dk

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IMPRESSUM

AUTOR*INNEN Silvia Brendenal, Theaterwissenschaftlerin und freie Autorin, Sarmstorf // Franziska Burger, Theaterwissenschaftlerin und Dozentin an der Hochschule der Künste Bern // Florian Feisel, Professor für Figurentheater an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HDMK) Stuttgart // Joachim Fleischer, Bildender Künstler, Lichtgestalter und Regisseur, Stuttgart // Mareike Gaubitz, Leiterin des Dokumentationszentrums am Deutschen Forum für Figurentheater, Bochum // Annika Gloystein, Theaterwissenschaftlerin und Kulturwissenschaftlerin, Erlangen // Jan-Christoph Gockel, Theaterwissenschaftler und Regisseur, München // Markus Joss, Professor für zeitgenössische Puppenspielkunst an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“(HfS), Berlin // Sabine Leucht, Journalistin und Theaterkritikerin, München // Michael Lurse, Künstlerischer Leiter des Helios Theater, Hamm // Julika Mayer, Professorin für Figurentheater an der HDMK Stuttgart // Tom Mustroph, freier Autor und Dramaturg, Berlin // Julia Opitz, Theaterwissenschaftlerin und Dramaturgin, Nürnberg // Michael Pietsch, Schauspieler, Puppenbauer und -spieler, München // Catherine Poher, freie Regisseurin, Frederiksberg, Dänemark // Tobias Prüwer, Philosoph und Journalist, Leipzig // Lars Rebehn, Konservator der Puppentheatersammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden // Franziska Reif, freie Autorin und Lektorin, Leipzig // Stephanie Rinke, Leiterin des Studiengangs Figurentheater an der HMDK Stuttgart // Anurupa Roy, Regisseurin, Puppenspielerin und Aktivistin, Neu-Delhi // Sebastian Ryser, Puppenspieler, Sankt Gallen // Franz Schrörs, freier Figurenspieler, Leipzig // Moritz Sostmann, Regisseur, Köln // Melanie Sowa, Professorin für Zeitgenössische Puppenspielkunst an der HfS Berlin // Jacqueline Surer, Figurenspielerin und Co-Leiterin der Figurentheatersparte des Theater Luzern // André Studt, Dozent für pragmatische Theaterwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg // Dr. Meike Wagner, Professorin für Theaterwissenschaft an der Universität Stockholm // Leah Wewoda, Studierende der Abteilung Zeitgenössische Puppenspielkunst an der HfS, Berlin // Übersetzungen Summaries: Roy Kift // Endkorrektur: Martina Schnabel

Impressum double. Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater Herausgegeben vom Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Bochum – www.fidena.de Das Magazin erscheint in redaktioneller Verantwortung des Vereins zur Förderung der Kunst und Kultur des Puppen-, Figuren- und Objekttheaters (V.i.S.d.P.) und in Zusammenarbeit mit dem Verlag „Theater der Zeit“. Redaktion: Mascha Erbelding (verantw.), Annika Gloystein, Anke Meyer (Thema, Redaktionsleitung), Christina Röfer, Katja Spiess, André Studt (Thema), Tim Sandweg, Dr. Meike Wagner // Redaktion Schweizer Fenster: Franziska Burger, Jacqueline Surer Redaktionsanschrift: Redaktion double, Postfach 10 20 32, 44720 Bochum Telefon 0234.950 629 65 // mail@double-theatermagazin.de Gestaltung: Robert Voss, Halle (Saale) Verlag: Theater der Zeit, Berlin – www.theaterderzeit.de Bezug: double ist erhältlich – als Beilage der Abonnenten-Auflage von „Theater der Zeit“ – als gesondertes double-Abonnement: zwei Ausgaben double und zwei Ausgaben Theater der Zeit für 16 EUR pro Jahr (Ausland zzgl. 6 EUR Porto) – als Einzelausgabe, gedruckt oder als pdf-Datei Abo-Service: 030.4435 285-12 oder über www.theaterderzeit.de Anzeigen: Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Hattinger Straße 467, 44795 Bochum, Telefon: 0234.4 77 20 // info@fidena.de Druck: Herstellungsagentur und Verlagsservice Schneider, Jesewitz Alle Rechte bei den Autoren und der Redaktion, Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für unaufgefordert eingesandte Bücher, Fotos und Manuskripte übernimmt die Redaktion keine Haftung. Bei Nichtlieferung infolge höherer Gewalt oder infolge von Störungen des Arbeitsfriedens bestehen keine Ansprüche gegen den Herausgeber oder den Verlag. Die double-Redaktion bemüht sich um gendergerechte Sprache, belässt dabei aber den Autor*innen ihre individuelle Form der Umsetzung. Die Artikel der Rubrik „Schweizer Fenster“ folgen der Orthografie des Schweizer Hochdeutschs. Redaktionsschluss für das vorliegende Heft war der 28. August 2021. double 45 erscheint im März 2022. Redaktionsschluss für diese Ausgabe ist der 28. Januar 2022. Das Thema des nächsten Hefts ist „Puppen & Pop". www.double-theatermagazin.de – www.fidena.de – www.theaterderzeit.de

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MEET Die Online-Konferenz der deutschen Figurentheaterszene 9.11.21 von 9:30 bis 16:30 Uhr via ZOOM

UNIMA, VDP und dfp sind auf dem Weg zu einem „Masterplan Figurentheater“. Die Konferenz präsentiert Arbeitsstände der drei AGs „Produktion und Aufführungspraxis“, „Aus-, Fort- und Weiterbildung“ sowie „Wissenschaft“. Wir rufen alle FigurentheaterAkteur*innen auf, an diesem Prozess teilzunehmen! Jetzt ist der Moment, jetzt könnt Ihr mitgestalten! Anmeldungen (kostenlos, Anmeldeschluss: 02.11.2021):

THE MASTERPLAN!



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