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Rimini Protokoll: Staat 1–4
Phänomene der Postdemokratie
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Die Publikation ist Teil von Staat 1–4, einer Kooperation zwischen Haus der Kulturen der Welt, Münchner Kammerspiele, Düsseldorfer Schauspielhaus, Staatsschauspiel Dresden, Schauspielhaus Zürich und Rimini Protokoll im Rahmen des HKW-Langzeitprojektes 100 Jahre Gegenwart. Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages. Staat 1 wurde vom Goethe-Institut mitinitiiert und koproduziert.
Rimini Protokoll
Rimini Protokoll: Staat 1–4 Phänomene der Postdemokratie Herausgegeben von Imanuel Schipper © 2018 by Theater der Zeit Texte und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich im Urheberrechts-Gesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Medien. Verlag Theater der Zeit Verlagsleiter Harald Müller Winsstraße 72 | 10405 Berlin | Germany www.theaterderzeit.de Lektorat: Erik Zielke Gestaltung: Sibyll Wahrig Umschlagabbildungen: Fotografien von Benno Tobler und Martin Schwemin (U2) Druck und Bindung: Kollin Medien GmbH ISBN 978-3-95749-133-6 ePDF ISBN 978-3-95749-150-3
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Staat 1–4 Phänomene der Postdemokratie
Rimini Protokoll Herausgegeben von Imanuel Schipper
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Staat 1– 4 9
Staging Postdemocracy Imanuel Schipper
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Der Begriff „Postdemokratie“ ist untauglich und gefährlich Lukas Bärfuss
Staat 1
Top Secret International
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Logbuch Anna Königshofer, Helgard Kim Haug, Stefan Kaegi, Imanuel Schipper, Daniel Wetzel
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Stückauszug (Düsseldorfer Fassung)
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Geheimnistheater Timon Beyes
Staat 2
Gesellschaftsmodell Großbaustelle
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Logbuch Wilma Renfordt, Stefan Kaegi
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Stückauszug
100 Bauen bis an den Himmel Dieter Läpple 106 Architektur – ein partizipatives Stück Theater Gabriela Muri
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Staat 3
Träumende Kollektive. Tastende Schafe
120 Logbuch Daniel Wetzel, Julia Weinreich 130 Stückauszug (Dresdner Fassung) 146 Intelligenz-Comtoirs Mathias Fuchs
Staat 4
Weltzustand Davos
158 Logbuch Karolin Trachte, Helgard Kim Haug, Stefan Kaegi, Anna Königshofer, Imanuel Schipper 170 Stückauszug (Zürcher Fassung) 184 Wenn aus Unternehmen politische Akteure werden Hannah Trittin 190 Das WEF: die Hydra der Globalisierung Ganga Jey Aratnam 198 Anhang Autoren und Fotografen Rimini Protokoll Mitwirkende der Produktionen Bildnachweis
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Staat 1–4
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Wie werden Geheimdienste zu Machtapparaten mit eigener Agenda? Was offenbaren Großbaustellen über unsere Gesellschaft? Welche Bedeutung hat der digitale Raum für demokratische Prozesse? Und wie beeinflussen ökonomische Eliten die Weltpolitik? Initiiert und eingeladen vom Haus der Kulturen der Welt (HKW) im Rahmen des Langzeitprojektes 100 Jahre Gegenwart begab sich Rimini Protokoll von 2016 bis 2018 auf eine Recherche in die Felder außerhalb dessen, was heute vom Nationalstaat organisiert und kontrolliert werden kann. Globalisierung, Digitalisierung, Angst vor Terrorismus und Staatsfeinden, Lobbyismus und viele andere Faktoren überlagerten sich in der Spurensuche in den politischen Sphären, in denen der staatliche Einfluss zu verschwimmen scheint. Vier beispielhafte Felder bilden die Ausgangspunkte für vier Theaterabende, die in München, Düsseldorf, Dresden und Zürich uraufgeführt wurden und als Gastspiele gezeigt werden. Alle vier Teile der einzigartigen Koproduktion des HKW mit den Münchner Kammerspielen, dem Düsseldorfer Schauspielhaus, dem Staatschauspiel Dresden und dem Schauspielhaus Zürich wurden im März 2018 im Haus der Kulturen der Welt und im Neuen Museum gezeigt. Schützen Geheimdienste ihre Bürger oder sind es die Bürger, die sich vor dem Staat schützen sollten? Das internationale Netz der Geheimdienste wird in Top Secret International (Staat 1) in einem interaktiven Museumsbesuch erlebbar. Wie wird die Vergabe von millionenschweren Infrastrukturprojekten an Baufirmen beeinflusst und wer profitiert davon? Aus acht verschiedenen Perspektiven schaut der theatrale Baustellenrundgang von Staat 2 auf das Gesellschaftsmodell Großbaustelle. Sind Wahlen, wie sie gegenwärtig stattfinden, noch zeitgemäß? Träumende Kollektive. Tastende Schafe (Staat 3) zieht zusammen mit den Zuschauern einen Bogen von Losverfahren in der antiken Demokratie bis hin zu Visionen zukünftiger technologisierter Volksbefragungen. Weltzustand Davos (Staat 4) untersucht die Verschränkungen von politischen und wirtschaftlichen Kräften, die sich jedes Jahr beim „World Economic Forum“ (WEF) in Davos versammeln mit dem selbsterklärten Ziel, die Welt zu verbessern. In wessen Namen wird da gehandelt und wer hat Zugang zu diesen Treffen?
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STAGING POSTDEMOCRACY Imanuel Schipper
Wir lebten in postdemokratischen Zeiten, die gewählten Strukturen hätten ihre Macht abgegeben, private Firmen und superreiche Plutokraten erledigten in geheimen Zirkeln die wichtigen Entscheidungen für die Weltgemeinschaft. Die Entscheidungen würden nur noch von Lobbygruppen herbeigeführt und hälfen hauptsächlich den Wirtschaftsverbänden statt der Bevölkerung. Was sich liest wie ein Pamphlet auf einer Pegida-Demonstration oder aus dem AfD-Wahlkampfprogramm, entstammt der Feder eines Politikwissenschaftlers, der 2004 das vielbeachtete Essay Postdemokratie veröffentlichte und dabei eine kritische Analyse der Nach-Thatcher-Situation in Großbritannien abrechnete. Obwohl der Band nicht der Auslöser für die Produktionsserie Staat 1–4 war, diente er doch als Folie, um Fragen zu generieren, mit denen gewisse Erscheinungen unserer Zeit angesehen werden können. Knapp drei Jahre hat sich Rimini Protokoll mehr oder weniger ständig mit diesem Begriff beschäftigt. Drei Jahre mögen in Anbetracht von einhundert Jahren kurz erscheinen, jedoch sind einhundert Jahre eine Zeitspanne, die nicht mehr wirklich einer Tiefbohrung entspricht – denn so lange kann man gar nicht ausschließlich in die Tiefe dringen. Die Bewegung gleicht eher einer Spurensuche entlang von Grenzen dessen, was staatliche Institutionen eben noch regulieren. Hat das noch mit Demokratie zu tun? Und welchen Demokratiebegriff bemühen wir da eigentlich? In diesen drei Jahren ist wiederum viel passiert: Vor drei Jahren gab es noch keinen amerikanischen Präsidenten Trump, keinen Brexit, die AfD war noch nicht im Bundestag, Merkel sagte im August 2015 „Wir schaffen das“ und wurde im Dezember vom Times-Magazin als Person of the Year ausgezeichnet. Die Türkei wählte vorgezogen das Parlament, Griechenland sogar zweimal. In Israel, Ägypten, Nigeria, weltweit fanden über hundert Parlaments- oder Präsidentenwahlen statt. Noch nie gab es so viele demokratische Aktivitäten in so vielen demokratischen Ländern. Nach den Terroranschlägen in Paris auf Charlie Hebdo im Januar und den Attentaten vom 13. November wurden Forderungen nach einem Ausbau der Geheimdienste laut, während in Berlin der NSA-Untersuchungsausschuss und investigative Journalisten immer neues Wissen über Selektoren und die Zusammenarbeit zwischen BND und NSA veröffentlichten. 2015 wurden in den USA die groß angelegten Manipulationen der Automobilbranche im Dieselskandal öffentlich. Das „World Economic Forum“ traf sich im Januar zum Motto „The New Global Context“ und im Juli eröffnete der Großflughafen BER wieder einmal nicht. Und während in Westafrika über 11 000 Menschen dem Ebola-Fieber erlagen, trafen sich im Dezember in Paris im Rahmen der UN-Weltklima-
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konferenz zum ersten Mal alle Staatsoberhäupter der Welt und vereinbarten ein gemeinsames Vorgehen im Kampf gegen den Klimawandel. In diesem Spannungsfeld von Hoffnung in globale demokratische Prozesse und bedrohlichen Angriffen auf die öffentliche Sicherheit, zwischen dem Aufdecken von Betrugsnetzwerken internationaler Konzerne und dem stetigen Wachsen neonationaler Bewegungen in Europa und den USA begannen die Recherchen zu Phänomenen der Postdemokratie. Es ist außerordentlich selten und ein riesiges Privileg, dass eine frei organisierte Theatertruppe den Auftrag bekommt, vier Produktionen innerhalb einer thematischen Klammer zu entwickeln. Dass diese Produktionen von einer Nicht-Theater-Institution ins Leben gerufen wurden, zeugt von einer gesunden Ignoranz vor der Menge der zu bewältigenden Probleme oder aber von einer starken utopischen Idee: Können die Stadt- und Staatstheater, die in ihrer historischen Struktur höfisch oder höchstens städtisch begründet sind, überhaupt eine Konstruktion stemmen, die über Landes- und Währungsgrenzen hinausführt? Schon die Konstruktion dieses Unternehmens wäre ein geeignetes Feld für eine Forschungsarbeit in Sachen Organisation und die vielen Verhandlungen von Intendanten und Betriebsdirektoren, tausende von Mails wegen Absprachen, Reisekosten, technischen Details – ein weites Feld für Theaterhistoriker der Zukunft. Es wurde wieder einmal erlebbar, dass das deutsche Theatersystem hauptsächlich darauf eingerichtet ist, Produktionen im Haus und für das Haus zu produzieren – und gleichzeitig wurde genau das Gegenteil gegen alle Schwierigkeiten realisiert. Dass dieses komplizierte Unterfangen tatsächlich stattfand, ist allen Beteiligten – und der substantiellen, notwendigen Förderung – hoch anzurechnen und könnte als ein Pilot angesehen werden, ähnliche Cluster zu veranstalten. Wer die Arbeit von Rimini Protokoll kennt, weiß, dass auch bei dem Thema Postdemokratie kein politisch agitatorisches Werk entsteht, keine anklagenden Enthüllungsstorys im Mittelpunkt stehen und ebenso wenig Konflikte so weit getrieben werden, dass es schmerzt. Rimini Protokoll befasst sich phänomenologisch mit Themen. Der Probenarbeit geht ein langer Rechercheprozess voraus. Das Besondere bei diesem Prozess liegt darin, dass das Zentrum der Spirale erst mit der Bewegung selbst geklärt werden kann. Erst wenn der Rechercheprozess beendet ist, wird klar, wonach gesucht worden ist. Für jedes Projekt sieht dieser Weg etwas anders aus, bedingt durch die Örtlichkeiten, die Thematik, aber auch die Personen, die diese Suche vorantreiben. Prozesse bei Rimini Protokoll bedeuten – nach vorheriger Klärung des Weges – fast immer kollektive Prozesse, was nicht bedeutet, dass andauernd nur gemeinsam gearbeitet werden kann, sondern dass gleichzeitig verschiedene Stränge von verschiedenen Akteuren aufgespannt werden, je nach der eigenen Interessenlage, die aber immer wieder mit den anderen abgeglichen wird. So gleicht die Suche – um in dem Bild des Weges zu bleiben – weniger einer Expeditionstruppe mit einem Guide als vielmehr einer Gruppe Flaneure, die einzeln losziehen und ihre Welt erkunden, um dann bei einem Kaffee gegenseitig die Entdeckungen mitzuteilen. Dadurch wächst ein gemeinsamer Erfahrungsraum, der zum Zentrum der Arbeit wird und zu einem Profilraster für das Casting von Performern entwickelt werden kann.
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Die Vorsilbe in Postdemokratie weist zwar auf etwas Zurückliegendes, eröffnet aber auch eine andere Blickrichtung, da der andere Wortteil, Demokratie, keine Zeitspanne per se bezeichnet. Von möglichen Bedeutungen des Begriffs und dessen Deutungen schreiben fast alle Autoren in diesem Band, vor allem aber Lukas Bärfuss, Timon Beyes und Ganga Jey Aratnam. Der Begriff hat in der politischen Philosophie eine bestimmte Konjunktur angesichts der heutigen Krise der Demokratie, die darin besteht, dass populistische Politiker mit „undemokratischer“ Agenda innerhalb des vorherrschenden demokratischen Systems zur Macht kommen. Ihr „undemokratisches“ Handeln führt demnach zu einem Sterben der Demokratie, zumindest einer Demokratie, wie sie davor bekannt war oder die (von jemand anderem) als die richtige betrachtet wird. (Siehe Foa u. Mounk 2016; Mounk 2018; Levitsky u. Ziblatt 2018; van Reybrouck 2016, u. a.) Nicht zufällig handeln viele dieser Auseinandersetzungen von der demokratischen Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA. In der Tat ist dieser politische Aufstieg schon zeitlich eng mit dem Projekt Staat 1–4 verbunden: Trumps Wahlkampf nahm ich nicht wirklich ernst und verfolgte ihn nur nebenbei in der Presse, in der Wahlnacht 2016 schlief ich tief und fest und glaubte am Morgen danach meinen Ohren nicht. Einige meiner Freunde drängten mich (erfolglos) dazu, unsere Aufführungen von Staat 1 in New York abzusagen. Die Inauguration und die Women Marchs im Januar 2017 erlebte ich live in Stanford und San Francisco und zur Premiere von Staat 4 verwandelte Trump das WEF in die größte Theaterbühne der Welt. Welche unglaublichen Entscheidungen unter Trump auch fallen mögen, das „Konzept Postdemokratie“ geht definitiv nicht auf seine Rechnung, es ist um einiges älter (u. a. Agamben, Badiou, Nancy, Ži žek et al. 2012; Crouch 2004; Blühdorn 2006; Rancière 2002; Wolin 2001; Mouffe 2011; Ritzi 2014) und widerspiegelt die Tatsache, dass Demokratie eben gerade kein fixer Zustand ist, in dem man sich befindet oder eben nicht, sondern ein Bestreben bezeichnet, das etwas mit einem immer neuen Definieren und Aushandeln zu tun hat. „Demokratie gibt es nicht und es hat sie nie gegeben“, sagt Ingolfur Blühdorn (2013: 131). Es gehe nur darum, dass man daran arbeitet, wie Demokratie aussehen sollte. Mit dem postdemokratischen Paradox beschreibt Blühdorn die Bürger, die sich einerseits von vielen „Verpflichtungen und Normen, die mit dem früheren Demokratieideal einhergingen, befreien wollen“ (S. 134) und andererseits mehr Erwartungen an Selbstbestimmung und Partizipation haben. Als Ausweg schlägt er die Simulation als Methode vor und meint damit Rituale wie eine Bundestagswahl, bei der kaum unterscheidbare Parteien antreten. Simulation in diesem Sinne wäre zwar ein Herrschaftsinstrument in den Händen der Mächtigen, die die Regeln der Praktiken dieser Simulation erstellen würden, aber sie würde „von einer breiten Koalition gesellschaftlicher Akteure getragen“ (S. 139). Der Blühdornsche Ansatz ist für Staat 1–4 deshalb sehr interessant, weil er inhaltliche Aspekte (Demokratie per se, Wahlen, politische Entscheide) mit Fragen des Formats (Regeln, Normen) und dem Umgang mit den Bürgern (Partizipation) bespricht. Analog zu dieser Trias des politischen Feldes, so mein Vorschlag, kann eine Dreiteilung in der Analyse der Inszenierungen von den vier Theaterproduktionen erfolgen: Thema, Format und Interaktion. Rimini Protokoll als zeichnende Autoren und Regisseure sind nicht nur Gastgeber der Theatervorstellung, sondern sind ebenso verantwortlich und bestimmend für die Themenwahl und die Entwicklung eines Stücks (dramatischer Text, Skript).
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Die Arbeit auf der inhaltlichen Ebene begann 2015 und dauerte kontinuierlich über die Recherchen, das Casting, die Textarbeit mit den Performern bis in die Probenarbeit hinein an. Die thematische Essenz lässt sich im Theaterbereich am leichtesten kommunizieren, wenn auch nur scheinbar. Es wird vorausgesetzt, dass ein Regieteam schon Monate vor Probenbeginn auf einer Pressekonferenz erklären könnte, worum es denn gehen wird. Kurzinhaltsangaben in Spielplanleporellos gehören zum Theateralltag wie das Parteiprogramm zum Wahlkampf. Oft ist aber nicht der Inhalt das bleibende Element beim Besuch einer Theatervorstellung. Das Theatererlebnis wird – zumindest in einigen zeitgenössischen Produktionen – wesentlich von den beiden anderen Aspekten, Form und Interaktion, geprägt. Der Diskurs über die Form der Produktion läuft bei Rimini Protokoll ständig parallel zu anderen Diskursen ab, manchmal sogar auch komplett isoliert. Ohne dass dies von Beginn an klar definiert wurde, zeichnete sich bald ab, dass die vier Produktionen völlig verschiedene Theaterformen bedienen würden. So treten bei einer Produktion gar keine Darsteller mehr auf (Staat 1), bei zwei Produktionen (Staat 1 und 2) spielen Kopfhörer eine wichtige Rolle, Programmierer von smarten Geräten stoßen zum Kreativteam (Staat 1 und 3), es gibt kein Bühnenbild (Staat 1) und nur in einer Produktion (Staat 4) sitzen die Zuschauer auf Theaterstühlen. Verbindende Gemeinsamkeit ist der Umstand, dass keine Produktion eine Theaterbühne im klassischen Sinne bespielt und eine gegebene und gebaute Trennung von Bühne und Zuschauerraum benutzt. Die Räume sind elementare Bestandteile dessen, was die Inszenierung erschaffen kann. Sie bedienen und erweitern den zeitgenössischen Trend immersiver Kunst in verschiedenen Bereichen (siehe das Programm der Berliner Festspiele). Doch nicht nur die strukturierenden und atmosphärischen Elemente der Szenographie prägen die Form. Theater war schon immer ein Labor für die Benutzung von technologischen Neuheiten und Rimini Protokoll gehört seit seiner Gründung zu einem der Vorreiter in dieser Hinsicht. Der Einsatz von digitalen Smartdevices als Ortungs- und Navigationsgerät (Staat 1) oder als Umfrage-/POLL-Station (Staat 3), Gestenerkennung (Staat 1) oder algorithmusunterstützte Dramaturgie (Staat 1 und 3) sind nur ein Beispiel dafür. Auch klassische Medien werden in einer Art benutzt, wie dies im Theaterbereich nicht üblich ist: simultane Beschallung von acht Teilgruppen im selben Raum (Staat 2) ebenso wie 360-Grad-Videoprojektionen (Staat 4). Die Formate lassen sich in Untertitel und Kurzbeschreibungen zumindest eingeschränkt beschreiben: interaktives Hör-Stück in einem Museum (Staat 1), simultane szenische Baustellenführung (Staat 2), interaktives Wahl-Stück für eine Zuschauer-Cloud (Staat 2) und eine WEF-Simulation (Staat 4). Doch immer häufiger drängte sich eine Frage in die Konzeptions- und Probenprozesse: Wozu wird man eingeladen? Mit „man“ sind keine Rollen oder Performer gemeint, sondern die Zuschauer. Die Frage nach der Rolle des Publikums, nach den Möglichkeiten des Handelns und nach den Erwartungen an das Mitmachen des Publikums ist bei diesen Produktionen ebenso zentral wie die thematischen oder formalen Fragen. Wie schon bei anderen Produktionen (beispielsweise Situation Rooms, Weltklimakonferenz, Call Cutta, Remote X oder Hausbesuch Europa) geht es nicht nur um die Erstellung eines Stückes, sondern um die Erfindung und Realisierung eines Settings, einer Situation, in der das Publikum gebeten wird, eine Rolle einzunehmen, die sich von einer gewöhnlichen Zuschauerrolle unterscheidet. Der Zuschauer ist eingeladen, für einen gewissen Moment in die „Schuhe von jemand anderem zu
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schlüpfen“, „einen anderen Hut aufzusetzen“ oder einfach aus der Perspektive einer anderen Person auf eine Sache zu schauen. Manchmal passiert dies durch ständiges Gehen (Staat 1), manchmal kann man dabei sitzen bleiben (Staat 4). Bei Staat 1–4 bleiben die Situationen deutlich als ein „Als-ob“ gekennzeichnet. Es ist immer klar, dass man nicht wirklich ein CEO ist, sondern sich gerade darüber bewusst wird, was man wissen müsste, wenn man ein CEO wäre (Staat 4). Es ist klar, dass es (noch) kein intelligentes Regierungssystem gibt, aber wir spielen durch, was wäre, wenn es das schon gäbe (Staat 3). Natürlich ist man kein Agent – aber wie würde man sich als ein Agent im Museum bewegen (Staat 1). Und man denkt nie, dass man sich wirklich auf einer Baustelle befindet, auch wenn man einen Helm aufsetzt (Staat 2). Damit macht Rimini Protokoll die Zuschauer zu Komplizen, Mitspielern und Mitgestaltern der Simulationen, zu denen sie als Publikum geladen sind. Die verschiedenen Umgangsweisen mit dem Publikum gehören vielleicht zu den wesentlichsten Merkmalen dieser Tetralogie und man könnte durchaus behaupten, dass Staat 1–4 eine Studie zur Phänomenologie des Zuschauens und Mitmachens in zeitgenössischen Theatersettings sind. Staat 1–4 wären in diesem Sinne keine Inszenierung der Vorführung von postdemokratischen Phänomenen, sondern funktionieren – so die retrospektive Betrachtung des mitverantwortlichen Dramaturgen – als Labor. Installierte Simulationen und Modelle gewisser Sphären laden das Publikum dazu ein, innerhalb der vom künstlerischen Team gesetzten Rahmen, für einen bestimmten Moment andere Perspektiven einzunehmen und Positionen auszuprobieren. Was bleibt von einem so langen Prozess, von diesem Weg von drei Jahren? Ein Teil mündet natürlich in den Aufführungen, die aber zu einem bestimmten Zeitpunkt abgespielt sind und dann höchstens als Videodokumentation weiterexistieren. Was ist aber mit den Partikeln, die nicht auf der Bühne landen, was ist mit den Gedanken, die im Laufe der Proben den Kürzungen zum Opfer fielen, was ist mit den Ideen, die sich technisch (noch) nicht realisieren ließen? Wo bleiben die Notizen und Skizzen, die erstmal in die Leere führten, aber vielleicht doch ein Wissen über das Feld abbilden? Obwohl gewisse Abläufe und Phasen der dramaturgischen Arbeit bei Projekten von Rimini Protokoll aussehen wie journalistisches oder gar wissenschaftliches Arbeiten, am Ende fließen sie doch in ein künstlerisches Werk, das als Theaterinszenierung funktionieren muss und dabei gewissen Gesetzmäßigkeiten von Zeigen und Anschauen folgen muss. Das Ziel dieses Buches ist zum Ersten der Versuch einige dieser losen Fäden, die in der Inszenierung nicht zu sehen sind, aufzudecken und festzuhalten, indem von allen Produktionen eine Art Recherchetagebuch erstellt wurde. Ein Logbuch dieser Spurensuche – auch dies wieder kollektiv gesammelt und verdichtet. Snapshots, geschossen mit den stets paraten Smartphones, ergänzen auf der visuellen Ebene diese Texte und ermöglichen dabei einen Blick außerhalb des Theaterraumes. Zum Zweiten soll die Publikation der Vergänglichkeit von Theaterinszenierungen entgegenwirken. Dies war der Anlass für die fotografische Dokumentation der Inszenierungen. Der Hamburger Fotograf Benno Tobler hat sich darauf eingelassen, jeweils für mehrere Tage kurz vor den Premieren bei den Proben dabei zu sein und ungewöhnliche Perspektiven auf die Vorstellungen zu finden, die weder die Beteiligten noch die Zuschauer jemals einnehmen konnten. Er wurde fast zum Teil der Inszenierung, was es ihm ermöglichte, sogar während der Vorstellungen in großer Nähe
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zu den Performern und Zuschauern Bilder zu machen, ohne zu stören. So sind seine eindrücklichen fotografischen Essays nicht nur eine Dokumentation des Bühnengeschehens, sondern eben auch der Interaktionen mit dem Publikum. Der Abdruck der Anfangstexte der Inszenierungen, dem Anliegen verpflichtet, für ungewöhnliche Theaterformate eine grafische Entsprechung zu finden, folgt ebenfalls dem Anspruch des Festhaltens. Das Skript ist bei Rimini Protokoll immer mehr als ein rein dramatischer Text, entsteht es doch parallel zu den Proben als ein Dokument in der Cloud, auf das verschiedene Teammitglieder Zugriff haben. Es enthält das gesprochene Wort der Performer, das mit ihnen zusammen während der Proben entwickelt wird, aber auch alle nötigen Informationen für die Licht-, Ton- und Video-Operators, die Requisite und die Inspizienz, die während der Vorstellungen zusammenarbeiten. Meistens werden diese Dokumente nicht veröffentlicht, da ihre Lektüre nicht gerade kulinarisch ist, aber hier zeugen die „Stückauszüge“ für eine Arbeitsweise von Rimini Protokoll, die normalerweise nicht sichtbar ist. Damit komme ich zum dritten Anliegen dieser Publikation, die darin liegt, den Arbeiten Staat 1–4 eine erweiterte Bühne zu bauen und örtlich und zeitlich jenseits der Theatervorstellung mit den Diskursen der Postdemokratie zu verweben. Dazu wurden theaterfremde Wissenschaftler aus den Bereichen Soziologie (Gabriela Muri, Dieter Läpple, Ganga Jey Aratnam, Timon Beyes), Kulturwissenschaften (Gabriela Muri), Medienwissenschaften (Timon Beyes, Mathias Fuchs), Urbanistik (Gabriela Muri, Dieter Läpple) und Wirtschaftswissenschaften (Hannah Trittin, Ganga Jey Aratnam) eingeladen, aus ihrem Blickwinkel auf die Inszenierungen zu schauen und ein Essay zu schreiben, das diese Welten verbindet. Zwei dieser sechs Essays sind deshalb interessant, da sie von Mitspielern (Ganga Jey Aratnam, Dieter Läpple) verfasst wurden, die die Erfahrungen bei der Stückentwicklung einbeziehen konnten. Schließlich packt das Buch alle vier Produktionen, die als eigenständige Theaterproduktionen funktionieren und gespielt werden, zwischen zwei Buchdeckel, versucht sie zu klammern und als eine Sammlung zu sehen. Der Schriftsteller Lukas Bärfuss hilft mit seinem Pamphlet gegen einen jammernden Gebrauch des Begriffs Postdemokratie mit und fordert, eigene Möglichkeiten zu erweitern und selber aktiv zu werden. Diese Publikation erscheint gleichzeitig zur „Gesamtschau“ in Berlin, wenn zum ersten Mal alle vier Teile zur gleichen Zeit am selben Ort gesehen werden können. Damit soll kein Abschluss markiert werden. Das Buch soll dabei helfen, immer wieder die Frage neu zu stellen: Wie wollen wir leben? Und was können wir dafür tun? Schließlich bleibt mir zu danken: Dieses Buch ist Teil des Gesamtprojekts Staat 1–4 und wurde von Beginn an von den Initiatoren mitgetragen und gewollt. Dem Haus der Kulturen der Welt (HKW), insbesondere dem Intendanten Bernd Scherer, allen vier beteiligten Theatern und ihren Intendanten Barbara Frey, Joachim Klement, Matthias Lilienthal und Wilfried Schulz gebühren der Dank für die andauernde Unterstützung auf allen Wegen. Ein großes Danke geht an Alexandra Engel und Jessica Páez (HKW), Juliane Männel, Daniela Bellm, Anna Florin und Maitén Arns (Rimini Protokoll Produktionsbüro) für ihre Moderations-, Organisations- und Koordinationstätigkeiten, ihre große Geduld und die andauernde Unterstützung.
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Der Band würde nicht vor Ihnen liegen, hätten sich nicht die Autoren auf den Weg gemacht, die Stücke anzusehen und einen Teil ihrer Lebenszeit diesem Projekt zu widmen. Ihren genauen Blicken, den scharfen Gedanken und der Großzügigkeit, ihr Können dem Band zur Verfügung zu stellen, sei hier sehr gedankt. Ebenso der Reise- und Abenteuerlust von Benno Tobler, dieser Theatertruppe hinterherzureisen und ihr immer wieder aus neuen Perspektiven zu begegnen. Danken möchte ich allen Teilnehmern der Veranstaltungen an den Instituten für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin und der Ludwig-Maximilians-Universität München, der Haniel Summerschool 2017 der Universität St. Gallen und Copenhagen Business School und des Workshops an der Utrecht University für die aktive Forschungsteilnahme und auch den verantwortlichen Kollegen für die Einladung und Organisation. Dieses Buch beruht auf vier Theaterarbeiten – allen Künstlern und Technikern, Mitspielern und Experten, Gesprächspartnern und Organisatoren und dem Publikum bei vielen Vorstellungen und Proben sei für ihre investierte Zeit und Arbeit gedankt. Besten Dank an die Kollegen aus den Dramaturgien der Partnertheater für ihr kritisches Mitdenken und Beisteuern von Textmaterial, namentlich Robert Koall, Wilma Renfordt, Karolin Trachte und Julia Weinreich. Ein besonderer Dank gebührt meiner Kollegin Anna Königshofer, die das Projekt auf vielen Ebenen begleitet und unterstützt hat, und auch Timon Beyes, der mir immer wieder mit Rat und Tat zur Seite stand. Und schließlich liegt das Buch in dieser Art auch nur da dank der unermüdlichen Arbeit des Lektors Erik Zielke und der Gestalterin Sibyll Wahrig – vielen Dank besonders ihnen. Bei Helgard Kim Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel, mit denen mich weit mehr als eine langjährige Zusammenarbeit verbindet, bedanke ich mich ganz herzlich für ihr Vertrauen und ihre guten kritischen Gedanken – auf ein Neues. Die letzten Worte dieses Vorworts werden in der Nacht geschrieben, in der deutsche Parteien in tagelangen Sitzungen darum ringen, einen Koalitionsvertrag für eine erneute Regierung unter Angela Merkel zu formulieren. Dies ist gelungen. Nun entsteht die unter demokratischen Gesichtspunkten sehr skurrile Situation, dass die Mehrheit einer Partei diesem Vertrag zustimmen muss. Nicht die Bevölkerung oder die Wahlberechtigten, nicht die Mitglieder aller beteiligten Parteien, sondern nur die Mitglieder der einen Partei, die im September 2017 die historisch schlechtesten Ergebnisse erreichte und eigentlich überhaupt nicht in eine Regierungsverantwortung eintreten wollte. Der Entscheid sollte beim Erscheinen dieses Buches klar sein und wenn alles gut geht, dann wird Angela Merkel nach 16 Jahren als längste Nachbarin des Hauses der Kulturen der Welt in die Geschichte eingehen. Dass sich das Haus der Kulturen der Welt dafür entschied, das Projekt Staat 1–4 als Teil von 100 Jahre Gegenwart in Nachbarschaft zur Regierungschefin in Szene zu setzen, ist insofern interessant, als das Haus der Kulturen der Welt ein Geschenk aus der Nachkriegszeit des demokratischen Volkes der USA war (oder einzelnen Vertretern davon) und die Aufgabe hatte, Deutschland (und der ehemaligen Hauptstadt Berlin) wieder zu einem größeren Demokratieverständnis zu verhelfen. Auch da ließe sich etwas über „postdemokratische Verhältnisse“ sagen, wurden doch einige der Veranstaltungen inoffiziell mit Geldern der CIA finanziert. Doch das gehört zu einem anderen Projekt von 100 Jahre Gegenwart.
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Literatur: Agamben, Giorgio et al (2012), Demokratie?: eine Debatte. Berlin. Blühdorn, Ingolfur (2006), „Billig will ich. Post-demokratische Wende und simulative Demokratie“. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 19 (4), S. 72–83. Blühdorn, Ingolfur (2013), „Das etablierte Lamento trägt nicht zur Veränderung bei“.In: Indes Bd. 2, Ausgabe 3 2013, S. 131–141. Crouch, Colin (2008) [2004], Postdemokratie. Aus dem Englischen von Nikolaus Gramm. Frankfurt am Main. Foa, Roberto Stefan/Mounk, Yascha (2016), „The democratic disconnect“. In:Journal of Democracy 27.3 (2016), S. 5–17. Levitsky, Steven/Ziblatt, Daniel (2018), How Democracies Die. Danvers, MA. Mounk, Yascha (2018), Der Zerfall der Demokratie. Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht. München. Mouffe, Chantal (2011), „‚Postdemokratie‘ und die zunehmende Entpolitisierung“. In: APuZ 1–2/2011, S. 3–5. Rancière, Jacques (2002), Das Unvernehmen. Politik und Philosophie. Frankfurt am Main. Rancière, Jacques (1997), „Demokratie und Postdemokratie“. In: Badiou, Alain/Rancière, Jacques/Riha, Rado: Politik der Wahrheit. Wien. Ritzi, Claudia (2014), Die Postdemokratisierung politischer Öffentlichkeit. Kritik zeitgenössischer Demokratie – theoretische Grundlagen und analytische Perspektiven. Wiesbaden. Van Reybrouck, David (2016), Gegen Wahlen: warum Abstimmen nicht demokratisch ist. Göttingen. Wolin, Sheldon (2001), Tocqueville between two worlds. Princeton u. Oxford.
In dieser Publikation wird zur besseren Lesbarkeit nur die männliche Sprachform verwendet; natürlich sind alle Geschlechter gemeint.
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DER BEGRIFF „POSTDEMOKRATIE“ IST UNTAUGLICH UND GEFÄHRLICH Lukas Bärfuss
Nehmen wir im Folgenden einmal an, Jean-Jacques Rousseau habe Recht, wenn er zu Beginn seiner 1762 veröffentlichten staatphilosophischen Schrift Du contrat social behauptet, der Mensch sei frei geboren. Und nehmen wir weiter an, eine Demokratie bedürfe der Demokraten und Demokraten wiederum seien Menschen, die einen Begriff von der Freiheit haben. Zu Rousseau: Wir wissen, was er unter einer Geburt versteht. Aber was wird der Philosoph mit der Freiheit gemeint haben? Und warum verbindet er sie mit der Geburt eines Menschen? Ein Neugeborenes findet eine Welt und andere Menschen vor. Niemand wird alleine geboren. Über das Bewusstsein von Neugeborenen wissen wir wenig. Als Erwachsene besitzen wir keine Erinnerung an jene Zeit. Dass wir irgendwann geboren wurden, leiten wir ab, durch die Erzählung anderer und durch Beobachtung. Wir sehen, wie der Säugling auf die Befriedigung seiner primären Bedürfnisse konzentriert ist. Er will trinken, er will schlafen, er will Zuwendung. Mehr zu wollen, wäre für ihn sinnlos, er wüsste mit nichts, das über die vitalen Interessen hinausgeht, etwas anzufangen.
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Was soll ihm also die Freiheit, wenn er gebunden ist an die Abfolge seines Stoffwechsels, seiner Wach- und Schlafphasen? Warum schreibt ihm Rousseau eine Freiheit zu, für die ihm offensichtlich sowohl das Bewusstsein als auch die Notwendigkeit fehlen? Die Antwort lautet natürlich: Die Möglichkeiten eines Neugeborenen sind beschränkt, doch mit jedem Tag erweitert es sie. Der Säugling entwickelt sich, vergrößert seinen Aktionsradius, er wächst zum Kind. Das Kind kriecht, spielt, geht, spricht und entwickelt sich zum Jugendlichen, der noch in der Obhut seiner Eltern steht, bald aber, mit der gesetzlichen Volljährigkeit, autonom wird und seine Möglichkeiten, seine Freiheit nutzen darf. In einer Demokratie ist dies gleichbedeutend mit dem Beginn des Stimm- und Wahlrechts. Die Freiheit ist in diesem Sinne ein Potential. Was aber geschieht mit der potentiellen Freiheit eines erwachsenen Menschen? Seine Möglichkeiten erweitern sich ja nicht mehr natürlich, im Gegenteil, bald schon baut der Körper ab. Mit dem Alter werden die Möglichkeiten vielleicht weniger, aber die potentielle Freiheit bleibt davon unberührt. Was der erwachsene Mensch mit seiner Freiheit unternimmt, liegt an ihm selbst. Es liegt an seinem Willen, seinem Bewusstsein, ob er die gegebenen Möglichkeiten erkennt und nutzt. Wie zeigt sich der freie Mensch? Indem er die potentielle Freiheit umsetzt. Er setzt sie um durch Entscheidungen. Dafür braucht es Wahlmöglichkeiten. Mit der Zunahme der Möglichkeiten wird die Entscheidungsfindung komplexer. Die Wahl wird zur Qual. Mit der Anzahl der Möglichkeiten entwickelt sich die Freiheit, sie wird damit komplexer. Mit der Erweiterung der Möglichkeiten entwickelt sich demnach auch die Demokratie und wird dadurch komplexer. Die Komplexität ist ein Maß für die Entwicklung einer Demokratie. Aber wie verhält sich nun der Begriff „Postdemokratie“ dazu? Zuerst: Die Vorsilbe ist lateinisch und bedeutet „nach“. Nach der Moderne erschien die Postmoderne und ersetzte sie. Die Postmoderne bezeichnet eine abgeschlossene Entwicklung. Entsprechend beschreibt „Postdemokratie“ etwas, das nach der Demokratie gekommen sein muss – doch damit ergibt sich ein Widerspruch. Die Moderne bezieht sich eindeutig auf eine zeitliche Epoche. Epochen enden und werden durch andere, hier die Postmoderne, abgelöst. Auf die Postmoderne kann alles Mögliche folgen, nur nicht die Moderne. Gleichfalls kann auf Postdemokratie keine Demokratie mehr folgen – außer natürlich, ihre Apologeten verteidigten ein zyklisches Geschichtsverständnis. Damit würden sie sich allerdings außerhalb der Wissenschaft setzen, deren Modelle von einem expansiven Universum und einer irreversiblen Zeit ausgehen.
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Der Kategorienfehler ist offensichtlich. Die Demokratie ist keine Epoche, keine zeitliche Erscheinung, sie ist eine Methode und steht in einer zeitlichen Entwicklung. Sie kann schlechterdings niemals vollständig verwirklicht werden. Die Zahl der Möglichkeiten ist unbegrenzt, und mit der Erweiterung der Möglichkeiten hat sich die Demokratie entwickelt, indem, zum Beispiel, das Stimm- und Wahlrecht für Frauen erkämpft wurde. Damit war die Demokratie natürlich in keiner Weise vollendet. In jeder Demokratie leben Menschen, die keine Demokraten sein dürfen oder sein können, was einen Mangel beschreibt, die Demokratie aber nicht grundsätzlich anficht, die evolutiv ist und sich also entwickelt und erweitert. Dies alles folgt natürlich aus der Tatsache, dass die Demokratie eine Methode ist, die ihre eigene Verbesserung ermöglicht, weil sie davon ausgeht, dass die Freiheit immer neu verwirklicht werden will. Postdemokraten sind also nicht jene, die in einer unvollständigen und mangelhaften Demokratie leben, denn mangelhaft wird sie immer sein, es sind jene, die, aus welchen Gründen auch immer, den evolutiven Freiheitsbegriff verworfen haben, freiwillig oder unfreiwillig. „Postdemokratie“ stellt also ein statisches, kein dynamisches Modell zur Verfügung. Sie gibt die Demokratie damit verloren. „Postdemokratie“ ist die Negation der Demokratie. Für diese Negation der Demokratie gibt es allerdings bereits einen Begriff, er heißt „Diktatur“. Warum ein neuer Begriff? Warum „Postdemokratie“ statt „Diktatur“? Vielleicht schrecken die Apologeten vor der Härte und der geschichtlichen Erfahrung zurück. Dann stellt sich immer noch die Frage, warum sie nicht den Begriff der „Prädiktatur“ einführen. Die Folgen für den Diskurs wären entscheidend. Die Denkrichtung wäre nicht retro-, sondern prospektiv, auf die kommende Entwicklung gerichtet. Ferner denunziert man die Demokratie nicht als moribund. Dazu hätten sich die Möglichkeiten begleitend erweitert. Und schließlich und entscheidend: Der Begriff der „Prädiktatur“ beschreibt die geschichtliche Situation genauer – die Zahl der Menschen, die in Systemen leben, die sich Diktaturen annähern, nimmt zu. Abnehmend ist die Zahl der Demokraten. Der Demontage gesellschaftlicher Strukturen geht die Demontage der Begriffe voraus. Die Apologeten der sogenannten „Postdemokratie“ haben eifrig Hand an den Rückbau der Demokratie gelegt. Warum? Was sind ihre Motive? Warum verteidigen sie die Freiheit nicht, warum geben sie die Demokratie verloren? Aus diskursiver Erschöpfung? Aus biographischer Resignation?
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Jedes soziale System, gleich welcher Art, schränkt die Freiheit des Menschen ein. Im Gegensatz zur Diktatur hat sich die Demokratie dafür zu rechtfertigen. Demokratien kann man entwickeln und reformieren, solange die Demokraten verstehen, wie sie ihre Freiheit ins Spiel der Möglichkeiten einbringen können. Mit den Schwanengesängen auf die Demokratie geht die Mutlosigkeit einher. Sie wird, wie immer, von ihrem Gegenstück, dem Chauvinismus, begleitet. Die Selbstwahrnehmung der Demokraten schwankt in unseren Tagen, wie bei einem Narzissten, zwischen Minderwertigkeitskomplexen und Größenphantasien. Aus dieser Disposition entstehen höchstens poröse Analysen. Ihre Dürftigkeit wird mit Lametta behängt, in Formen bunter Neologismen. Einmal beklatscht man die „Postdemokratie“, danach das „Anthropozän“, schließlich den „Homo Deus“. In allen Fällen hört man im Hintergrund dem begrifflichen Fortschritt leise das Totenglöcklein läuten. Wir erleben, wie die Demokratie von allen Seiten angegriffen und der Untauglichkeit bezichtigt wird. Die Qual der Wahl wird empfunden und beschworen. Folgerichtig verbreitet sich Untergangsstimmung. Statt daran zu arbeiten, die Zahl der Möglichkeiten zu vergrößern und die Demokraten zu befähigen, Entscheidungen zu treffen, führt man begriffliche Schrumpfformen ein. Den Verlust der Demokratie nimmt man als besiegelt und fragt sich nur noch, wie die Schmerzen gelindert werden können. Statt zu beleben, wird palliativ behandelt. Und man wird, wie in jeder hypochondrischen Episode, auf sich selbst zurückgeworfen und nimmt den Blick von der Welt und von den Menschen, die man darin vorfindet. Der letzte Gestus ist Wehleidigkeit, die letzte Form eine burleske Komik, die letzte Frage an den anderen: Bist du Arzt oder Schamane, kannst du mich retten?
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Staat 1
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Top Secret International
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Was halten Staaten für geheim? Welche Geheimnisse versuchen andere Staaten mit ihren Nachrichtendiensten aufzudecken? Wie werden diese Informationen weitergereicht, gesammelt, ausgewertet? Wann können Geheimnisse zu einer wertvollen Währung werden? Jede Information verändert ihren Wert in dem Moment, in dem sie mit jemandem geteilt wird: Wann wird sie wertlos? Und kann man das im Vorhinein wissen? In Zeiten globaler Überwachungsaffären, vermeintlicher No-Spy-Abkommen und immer zahlreicher werdender WhistleblowerPlattformen begibt sich Top Secret International mitten in das globale Netz der Staatsgeheimnisse und Geheimdienste – den Staat im Staat. Die Zuschauer werden selber zu Recherchierenden und lernen die Tätigkeitsfelder der Intelligence kennen, indem sie von Beobachtern zu Agierenden werden. Mit einem Journalisten enthüllen sie verdeckte Ermittlungen fremder Geheimdienste. Mit einer Whistleblowerin, die nach der Veröffentlichung von Geheimnissen ihr Land verlassen musste, beschäftigen sie sich mit der Frage, wie Menschen manipuliert werden können. Zwischen den Skulpturen und Exponaten eines Museums (im Albertinum Dresden, Kunsthaus Zürich, Neuen Museum Berlin, Brooklyn Museum New York, Kunstpalast Düsseldorf und in der Glyptothek München) sind sie kaum von anderen Museumsbesuchern zu unterscheiden. Mit subtilen Gesten, gezielten Bewegungen greifen sie auf Dateien und Archive zu, die sich nach und nach öffnen: Lebensgeschichten aus Politik, Journalismus und Spionage, global agierende Geheimnisträger und Aktivisten zwischen Teheran und Vancouver, zwischen Santiago de Chile und Moskau stecken das Spielfeld ab. Die Besucher beobachten und verfolgen einander, nehmen Kontakt auf, bilden Koalitionen oder entziehen sich der Verbindung. In einer Welt, geprägt von Big Brother und Big Data, führen Stimmen von Schauspielern der Münchner Kammerspiele und vom unsichtbaren System als interaktives Hörspiel durch die Sphären zwischen Konspiration und Surveillance, die sich als eine zweite Ebene über die Räume des Museums legen. Staat 1 | 29
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LOGBUCH
Frühling 2015, Pullach Rund um die Mauern des BND geht eine Mauer. Wir fotografieren Schilder, auf denen steht: Fotografieren verboten. An diesem Sonntag arbeitet der BND in Pullach noch, wenn auch nicht besonders aufmerksam. Die Bedienung im Restaurant an der Ecke weiß aber, dass schon viele in
Anna Königshofer, Helgard Kim Haug, Stefan Kaegi, Imanuel Schipper, Daniel Wetzel
der Gegend sich Hoffnungen auf das Grundstück und seine Immobilien machen. Ist ja auch idyllisch gelegen, so mitten im Wald. Früher war den Mitarbeitern nicht einmal das Wohnen in Pullach erlaubt, damit ihre „Legende“, ihre Zweitidentität nicht auffliegt. Mittlerweile bekommen sogar einzelne Journalisten Zutritt zum Gelände. Aber an
Pullach –> Berlin –> Eingangskorb E-Mail –>
ein Theaterstück ist trotzdem hier noch nicht zu denken.
Hamburg –> Berlin –> Atelier –> iPad –> Athen –> Peking –> Berlin –> Cloud –> Athen/New York –>
November 2015, Berlin
Cloud –> New York –> München –> Berlin –>
Will man das internationale Netzwerk der Geheim-
Canberra –> Berlin –> München –> Berlin –>
dienste sichtbar machen, muss man erst mal ein interna-
München
tionales Netzwerk als Theatergruppe ausbauen, um Verstärkung zu haben bei der Recherche und dem Ausfindigmachen möglicher Gesprächspartner und Protagonisten. Die Stringer werden in Osteuropa, Asien, Afrika, Nord- und Südamerika gefunden. Als Kenner der Situation vor Ort sollen sie sich auf die Suche nach Personen machen, die von ihren biographischen oder professio-
BND | internationales Theaterrecherchenetzwerk |
nellen Erfahrungen im oder mit dem Geheimdienst er-
Closed Cities | Agenten, Doppelagenten und
zählen: Mitarbeiter, Investigativjournalisten, Agenten, In-
Trippelagenten | Investigativjournalismus |
formanten, Aktivisten. Geschichten, die zeigen, wie
technische Probleme | Minecraft | Konspiration |
Geheimdienste funktionieren und welche Konsequenzen
Spähsoftware | Whistleblow | Musealisierung
ihre Aktivitäten für Individuum und Staat haben. In unregelmäßigen Abständen landen im Posteingang E-Mails von Stringern auf der ganzen Welt. Im Anhang finden sich Listen von potentiellen Kandidaten. Wird es ein Stück, bei dem man die Rolle einer Expertin einnimmt, sich quasi ihren Hut aufsetzt und sich damit durch die undurchdring-
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lichen Verstrickungen der Nachrichtendienste bewegt?
8. Dezember 2015, Berlin
Dazu bräuchte es hundert verschiedene Rollenprofile. Für
Treffen mit einem Investigativjournalisten einer renom-
jede Spielerin könnte es Verbündete und Feinde unter den
mierten Zeitung. Wie findet man etwas über den Ge-
anderen Besuchern geben und während man versucht, an
heimdienst raus? Wie findet man Informanten, warum
Informationen zu kommen, wird man womöglich selbst
suchen diese einen Kontakt? Wie funktioniert ein Treffen
Opfer der Spionage-Aktivitäten seiner Mitspieler.
mit Informanten? Wer kontaktiert wen? Information ist eine Währung, deren Wert beim Teilen sinken oder stei-
„Was gemacht werden kann, wird sehr wahrscheinlich auch gemacht.“ Ein Journalist
11. November 2015, Eingangskorb E-Mail
gen kann. Ein Informationsträger ohne Öffentlichkeit
Von einem Kontaktmann in einer osteuropäischen Stadt
kann diesen Wert nicht ausspielen. Es seien aber viele
geht eine Liste mit potentiellen Gesprächspartnern ein.
Wichtigtuer unterwegs. Die Motivation hat oft mit Eitel-
Zum Beispiel diese Fotografin, die Zutritt zu einer der
keit, Geltungssucht, Frustration oder Vergeltung zu tun,
44 Closed Cities in Russland erhielt. Die geschlossenen
die aus einer Verletzung oder einer Ungerechtigkeit her-
Städte sind Überbleibsel aus der Sowjetunion; geheime
rührt. Es gilt: Nur so viel wissen wie nötig – zu viel Wis-
Forschungseinrichtungen oder Militäranlagen, die auf
sen könnte unangenehm sein; immer die plausible de-
keiner Landkarte auftauchen. Dr. Strangelove lässt grü-
niability (glaubhafte Abstreitbarkeit) groß genug halten.
ßen. Oder der Chefredakteur der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet Can Dündar. Er wurde dafür verhaftet,
Anfang Dezember, Berlin
Material publiziert zu haben, das Waffenlieferungen der
Telefonat mit einem Bekannten, der öfter von Deutsch-
Türkei an den IS belegte. Die Regierung klagte Dündar
land nach Ägypten reist. Aus wohl berechtigter Angst
an, Staatsgeheimnisse veröffentlich zu haben.
vor Repressionen verneint er weitere Gespräche und die Vermittlung zu Bekannten. Es sei aber bekannt, dass
November 2015, Hamburg
eine deutsche Firma nach der Arabischen Revolution
Durch Internetrecherche findet man schnell Morten
der Regierung neue Überwachungstechnologie verkauft
Storm, seine Kontaktdaten allerdings sind schwieriger
hat.
zu finden. Er ist ein sehr prominenter Doppel- oder sogar Trippelagent bei CIA, MI5 und dem dänischen In-
Dezember 2015, Berlin
telligence-Service PET. Er ist vorsichtig, Kommunikation
Treffen mit einem Team von Programmierern und Inter-
vorerst nur per Mail, Kopien gehen an einen Anwalt.
aktionsdesignern. Suche nach einem alltäglichen unauf-
Seine Geschichten erfahren wir aus diversen TV-Berich-
fälligen Device, das den User/Besucher selbst kontrol-
ten, Buchpublikationen und bei Wikipedia. Er ist einer
lierbar macht. Können Smartwatches so programmiert
Zusammenarbeit nicht abgeneigt, will aber schon für ein
werden, dass sie Gesten des Trägerarmes erkennen kön-
erstes Gespräch Geld sehen. Die Verhandlungen werden
nen? Müsste gehen, sagen die Programmierer. Gewiss-
vorerst abgebrochen, wir wissen noch zu wenig, wie das
heit gibt es nie. Und könnte dann ein handshake eine
Stück aussehen wird.
Datei freischalten, so als würde ein Informant einem an-
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deren eine Nachricht überreichen? Müsste gehen. Und könnte man Dateien an verschiedenen Positionen des Raumes so platzieren, dass sie mir nur zugespielt werden, wenn ich mich in unmittelbarer Nähe befinde? Wie ein toter Briefkasten? Müsste gehen. 25. Januar 2016, Atelier der Interaktionsdesigner Selbstgebaute Schreibtische, Räder an den Wänden, dazwischen Laptops und Kaffeegläser: die Server-Station. Sechs Personen wandern langsam durch die Räume des Ateliers. Den Blick fest auf die Smartwatch gerichtet, erkundet man, wie die Uhr auf die Bewegung reagiert. Dann bleibt man wieder stehen, hat eine Hand am Kopfhörer, der Blick schweift aus dem Fenster, während man einem Experten lauscht. Das Stück ist ein Audioparcours und in jedem Level erfährt man mehr über den jeweiligen Experten. Der Wunsch ist im Moment noch weiter als die technische Realisierbarkeit: Die Smartwatches fliegen aus dem Netz oder erkennen den Raum nicht. Die Gründe dafür liegen irgendwo zwischen Programmierung, Netzwerk und Client versteckt. Der Tryout muss abgebrochen werden. Wir sind uns einig, dass es sinvoll ist, sich über das Profilfoto auf der Smartwatch mit dem Experten zu identifizieren. Februar 2016, iPad Das Spiel Minecraft hat nicht wirklich ein Ziel, es geht immer weiter, hört nie auf. Die Fähigkeiten und Optionen des Avatars wachsen mit der Aktivität des Spielers. Ebenso wird die begehbare und bespielbare Welt immer größer. Ob ein Objekt interaktiv ist oder nicht, kann ich nur durch Probieren erfahren. Es gibt keine klassische Spielanleitung, keinen Spielbeginn, kein Spielende – nur eine open world.
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Winter 2015/16, Athen
Frage ist, inwieweit er sich auf ein Interview einlässt.“
SIM-Karten aus den Handys bitte. Iannis trifft uns zwar in
Dem Informanten sind die Risiken zu groß und die Spur
einem Café, aber das muss schon sein. Für einen Agen-
entpuppt sich als Sackgasse.
ten wie ihn, sagt er uns, weil er mit der Kontaktperson
„It’s such a dirty business that it’s only suitable for gentlemen.“ Ehemaliger MI6-Agent
gut bekannt ist, ist oberste Regel, immer jeden Anschein
19. Januar 2016, Berlin
bei sich zu hinterfragen: Wenn wir sagen, dass wir Thea-
Wir treffen einen ehemaligen Präsidenten des BND in
ter machen und uns für seine Arbeit interessieren, erst-
einem Hotelfoyer. Wir sprechen über Teesorten – und
mal davon ausgehen, dass wir genauso gut auch nicht
vieles andere. Doch das muss leider geheim bleiben.
vom Theater sein könnten und andere Interessen hätten,
Ebenso seine Stimme. Aber er meint, dass Hotelfoyers
als wir vorgeben. Das Gespräch findet wie mit glatten
gute Orte sind, um Informanten zu treffen.
Sohlen auf einer Eisfläche statt. Lachen kann man aber
Am Nachmittag besucht uns der Journalist und ehema-
viel, denn außer dass man beisammen sitzt, bekommt
lige BND-Mitarbeiter und Geheimdienstexperte Wilhelm
weniges das Gewicht einer unhinterfragten Sache. Und
Dietl in unserem Büro. Er erzählt davon, wie schwierig
so geht er durch die Welt. Er war schon Priester in Aus-
es sein kann, Bürger anderer Staaten dazu zu bringen,
bildung für ein halbes Jahr auf einer kleinen Insel, bis er
dass sie ihr eigenes Land verraten. Dabei fließt Geld als
im Beichtstuhl endlich den Hinweis auf den Mörder er-
Gegenleistung zu Informationen. Die Person, die den
lauscht hat, hat sich jahrelang in die Hells Angels herein-
ersten Kontakt mit einem potentiellen Informanten her-
und dann wieder herausgearbeitet und macht uns vor,
stellt, behält in der Regel sein Vertrauen. Die Chemie
wie man bei einem Zugriff für die Agenten des befreun-
muss stimmen, man darf sich nicht betrügen.
deten Dienstes per Zeichen bestätigt, welche Person verfolgt werden soll.
21. Januar 2016, Berlin Es soll kein Spiel werden, eher ein individueller Gang
2. Februar 2016, Peking
durch ein Archiv. Doch wie kann man hundert einzelne
Die Recherche zu Top Secret International macht den
Personen individuell durch mehrere Räume führen,
Titel zum Programm: Einer der Stringer macht in Peking
ohne dass die Qualität der Geschichten darunter leidet?
einen jungen Regisseur ausfindig, der zu einem Erstge-
Wie viele Geschichten will man hören? Sollen alle die-
spräch bereit ist. Dieser wiederum erinnert sich an einen
selben Geschichten hören?
alten Schulfreund, der für die Sicherheitsabteilung der Regierung tätig ist: „Er hat die Aufgabe, Graswurzelbe-
23. Januar 2016, Berlin
wegungen an der Universität zu erkennen und zu helfen,
Sollen die Zuschauer oder Zuhörer fremde Identitäten,
diese zu zerschlagen, da sie als Ursprung demokrati-
andere Profile annehmen? Und kann man Identitäten
scher Entwicklungen gewertet werden. Dieser Kontakt
zu einem bestimmten Zeitpunkt wechseln? Wie kriege
könnte gegebenenfalls auch darüber berichten, wie
ich weitere Informationen? Wie soll die Begehung
Muster dieser Bewegungen erkannt werden können. Die
enden?
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9. Februar 2016, Café in Berlin
Software auf jedem Device installiert werden und alle
Ein weiteres Treffen mit einem Investigativjournalisten
Daten desselben abrufen, speichern und sogar manipu-
und Filmemacher. Die Aufregung über die Geheim-
lieren. Reporter ohne Grenzen und Privacy International
dienste sei vorbei, das hätte für zwei Jahre für Empö-
sehen in Münchs Spähsoftware eine der größten Gefah-
rung gesorgt, jetzt sind wieder andere Gefahren viru-
ren für Aktivisten und Journalisten in Krisengebieten
lent. Zum Beispiel der IS, da könnten die Dienste und
weltweit. Von einigen Regierungen wie zum Beispiel in
ihre Arbeiten nützlich sein und die Bürger beschützen.
Bahrain, Ägypten oder Syrien werden sie bereits eingesetzt. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung
10. Februar 2016, Berlin, Produktionsbüro
verteidigt Münch seine Arbeit mit dem Argument, seine
Jochen Hollmann, Abteilungsleiter des Verfassungs-
Software diene einzig und allein polizeilichen Behörden
schutzes Sachsen-Anhalt, nimmt Platz und stellt erst ein-
und man könne mit Hilfe dieser Straftäter stellen, die an-
mal fest: „Wir sind nicht die allgegenwärtige Krake.“ Der
dernfalls unerkannt blieben. Wir wollen nachfragen.
Verfassungsschutz ist eine auf dem Boden des Rechts
Aber Münch ist in den Weiten des Netzes unauffindbar,
stehende Institution, die einen wichtigen Beitrag zur Si-
sein Kontakt taucht nirgends auf und wenn, führen die
cherheit leistet, insbesondere im Bereich Extremismus.
E-Mailadressen ins Leere. Dead end.
Wie transparent muss ein Nachrichtendienst sein? Da gebe es selbst in den eigenen Reihen Uneinigkeiten.
5. März 2016, Cloud
Hollmann ist kein Freund der Geheimnistuerei. Er ist der
In der Cloud, in der das Stück geschrieben und das Re-
Meinung, dass die frühere Haltung, nur das Nötigste
cherchematerial verwaltet wird, sammeln sich immer
nach außen zu kommunizieren, also das Kredo „need to
mehr Namen, vertrauliche Informationen und heikle
know“ zu einem „need to share“ werden solle. Früher
Daten. Die Suchverläufe der Laptops füllen sich mit ein-
sei es üblich gewesen, dass derjenige, der über die Infor-
schlägigen Begriffen, der Postausgang mit zahlreichen
mation verfügte, entschied, an wen die Information wei-
Anfragen. Werden unsere Bewegungen durch das Inter-
tergegeben wurde. Es war eine Frage der Macht. Das
net auffällig für Algorithmen, die nach potentiellen Irrita-
solle nun – in der Zusammenarbeit der Dienste – anders
tionen fahnden? Erscheinen wir bereits auf dem Radar
werden: Die Informationen werden in einem gemeinsa-
des Verfassungsschutzes? Müssen die Laptops gegen
men Topf gesammelt und jeder überprüft nun für sich,
Zugriffe von außen abgesichert werden? Zum Beispiel
ob er sie als nützlich erachtet.
mit der Tor-Software. Ein Softwareentwickler des Chaos Computer Clubs rät uns davon ab: Wer sich Tor herunter-
1. März 2016, Berlin
lade, wirke erst recht verdächtig.
„Software foltert keine Leute.“ Martin Münch war Miteigentümer und Pressesprecher der Gamma International
18. März 2016, Athen/New York
Group und ist der Entwickler der aggressiven Spähsoft-
Der PR-Chef von Hacking Team, den richtig Bösen, die
ware Finspy (Finfischer): Über einen Trojaner kann die
Spyware an jeden verkauften, der interessiert war, geht
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„Software foltert keine Leute.“ Martin Münch, Softwareentwickler
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Filmen, Büchern und Reportagen? Agent (CIA), Vertrauensperson (BND), Officer (MI6), Führungsoffizier, Doppelagent, Maulwurf, Informant, Kurier, Schläfer, operative Ehe, öffentliche und geheime Quelle, Resident, Selbstläufer, Überläufer, verbrannter Agent, Zielperson, Legende (falsche Identität), private Ermittlungsorganisationen, Whistleblower, HUMINT (human intelligence – von einer Person gesammelte Informationen) und SIGINT (signal intelligence – Informationen gesammelt durch das Abfangen von Signal), … April 2016, New York Der Stringer für Nord-Amerika trifft sich mit Ben Wizner, Rechtsanwalt u. a. von Ed Snowden – er rollt den Fall elMasri auf, ein deutscher Bürger, der aufgrund einer Verwechslung von der CIA entführt, in Afghanistan in ein Geheimgefängnis gebracht, dort festgehalten und über
„Das Geschäftsmodell der Geheimdienste ist dasselbe wie das von Google, Facebook, Apple, Amazon etc.: Soviele Daten wie möglich miteinander zu verknüpfen. Der Heuhaufen muss einfach groß genug sein, dann findet man schon irgendwann eine Nadel.“ Ein Jounalist
ran, ist mit der Aufnahme einverstanden und brubbelt
mehrere Monate hinweg auf schändlichste Weise miss-
freundlich seine Dementi-Passagen und Image-Senten-
handelt worden ist und schließlich im albanischen Hü-
zen. Die alte Debatte, das alte Lied: Wer den Hammer
gelland ausgesetzt wurde. Deutsche Behörden und der
baut und verkauft, ist doch nicht schuld, wenn damit an-
Geheimdienst gerieten in den Verdacht, über die Ver-
dere als Köpfe von Nägeln eingeschlagen werden. Ha-
schleppung informiert gewesen zu sein.
cking Team waren Vorreiter in der Kommerzialisierung nicht nur von Software, mit der abgehört oder mitgele-
13. Mai 2016, München
sen werden konnte, sondern auch von solcher, mit der
Wolfgang Ohlert, Ex-Protokollchef der Münchner Sicher-
auf fremden Geräten kompromittierendes Material plat-
heitskonferenz, spricht über Sicherheitsstufen und
ziert werden kann. Das hat nichts mehr mit Strafverfol-
deren Überprüfung in der Privatwirtschaft. Dabei wird
gung oder Abwehr von Gefahren zu tun, oder? – Ja, aber
der Umgang des zu Prüfenden mit Alkohol, Sex und
der BND macht es doch auch, nur mit der Software von
Geld unter die Lupe genommen. Das sind die großen
den anderen.
Gefahren – und die Mittel, die bei der Anwerbung von Informanten meistens im Spiel sind.
14. April 2016, Cloud
Erste Versuche mit Workshop-Teilnehmern in der Glypto-
Welche Rollen und Funktionen des Geheimdienstes tau-
thek. Das Beobachten von anderen Besuchern ist inte-
chen in unserer kollektiven Vorstellung auf, gespeist von
ressant. Viele der Besucher tragen Kopfhörer für den Au-
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dioguide – könnte das ein nützliches Setting sein? Zu
tralien) erklärt sie die Dramaturgie des Geheimnisses:
hören wären weniger Hintergrundgeschichten zu den
Wenn man sicher sein will, dass alle ein Dokument lesen,
Exponaten, sondern Erzählungen von Geheimdienstmit-
dann müsse man „Top Secret“ drauf schreiben.
arbeitern. Die Entscheidung fällt, dass das Stück im Museum stattfindet.
12. Oktober 2017, Berlin, Produktionsbüro Die neue Konzeption benötigt eine klare Auswahl der
31. Mai 2016, Berlin
„Profile“, der Akteure. Will man den Anwalt von Snowden
Neue Konzeption. Von hundert Profilen auf zwölf. Die
dabei haben? Der Kontakt wäre bereits hergestellt, 25 Mi-
Tryouts haben zum einen die Grenzen der Technologie
nuten Interview bereits geschnitten – oder ist Snowden
aufgezeigt und regen zu einem Umdenken beim Par-
schon zu bekannt? Ist er bereits ein Kulturgut, ein musea-
cours an. Allerdings haben die Aufenthalte in den Mu-
les Exponat unserer Zeit? Welche Themenfelder werden
seen gezeigt, dass einerseits intersubjektive Begegnun-
wichtig? Überwachung und Datensammlung, Wirtschafts-
gen interessant sind, andererseits der museale Raum
spionagen, Cyberwar, Terrorbekämpfung, Interpol und or-
und seine Exponate stärker eingebunden werden soll-
ganisierte Kriminalität, Hacking und Überwachungssoft-
ten. Also eher eine eigene Recherche erfahrbar machen.
wares, NSA-Ausschuss, Opfer- und Täterkonstruktionen
Der Zuschauer kann diverse Perspektiven auf den Ge-
etc. Wo hört Geheimdiensttätigkeit auf und wo beginnt
heimdienst erfahren und sich dabei gleichzeitig im
polizeiliche Arbeit? Entscheidung zur Tonspur: Es gibt drei
Beobachten und Informationensammeln üben? Die in-
verschiedene Ebenen. Erstens eine künstliche Stimme,
haltlichen Levels könnten dann sein: Rekrutierung, ver-
generiert aus einem Computerprogramm: Sie ist für die
schiedene Einsatzgebiete, internationale Positionen,
Verankerung im Raum verantwortlich, die Navigation
Missionen. Der Besucher erhält Anweisungen, aber auch
durch das Museum und gibt klare Instruktion. Zweitens
Wahlmöglichkeiten, er trifft Entscheidungen, indem er
eine Schauspieler-Stimme: eine Art Erzähler, eine persön-
sich durch das Museum bewegt. Sein Verhalten gene-
liche, manchmal suggestive Stimme, ein kleiner Mann im
riert Daten, die ihm am Ende des Parcours zurückge-
Ohr. Und drittens: die Original-Töne aus den gemachten
spielt werden. Überwachung.
Interviews. Diese Files muss sich der Betrachter erarbeiten, indem er bestimmte Entscheidungen trifft und einen
1. Juli 2017, Canberra
bestimmten Parcours einschlägt.
Gwenyth Todd gilt seit 2007 als Whistleblowerin eines von US-Neocons geplanten Krieges gegen den Iran. Nach ihrer
13. Oktober 2017, Berlin, Wohnung
Tätigkeit im Nationalen Sicherheitsrat im Weißen Haus
Das W-LAN-Modul der Smartwatches schafft es definitiv
unter Clinton arbeitete sie als politische Beraterin der Navy
nicht. Doch was soll die Uhren ersetzen? Ein Walkie-Tal-
in Bahrain – und veröffentlichte etwas, das als Geheimnis
kie? Ein Walkman mit Kassette? Ein Museumsguide? Ein
gelten sollte, es aber nicht länger war. Seither lebt sie im
Smartphone, das man um den Arm gebunden trägt?
australischen Busch. Bei Kaminfeuer (es ist Winter in Aus-
Aber dann hat der Zuschauer einen Screen vor sich, wie
36 | Staat 1
„Nicht jedes Land hat eine Armee – aber jedes Land hat mindestens einen Geheimdienst.“ Avi Primor, ehemaliger Botschafter Israels in Berlin
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kurz davor, gelöscht zu werden. Beim Überfliegen der Zeilen springt das Wort „Carlito“ ins Auge. Das ist der Spitzname, mit dem ein Kontaktmann in Ägypten gerne auf die Palme gebracht wurde. Was bedeutet dieser Name hier? Der Name ist verlinkt, ein Passwort wird verlangt. Seltsam. Gleichzeitig erscheint auf Skype eine Nachricht vom besagten Kontakt: „How are you man“. In Anführungszeichen. Diese Nachricht wird als Passwort eingefügt und es öffnet sich daraufhin ein Dokument, in dem arabische Links aufgelistet sind und geschrieben steht, dass er, Carlito, nun zum dritten Mal eine Hausdurchsuchung hatte und keine normalen E-Mails mehr schreiben könne zu dem Thema. Die Spur fühlt sich zu heiß an. November 2017, München Der Parcours wird kontinuierlich entwickelt, der Besuch der Toilette wird eingebaut, im Heizungsraum wird der Überwachungsmonitor installiert. Die Beschäftigung mit den Exponaten wird intensiviert. Wohin geht der Blick setzt man den ein? Jedes Device hat seine eigenen tech-
der Büste des Marc Aurel? Der Text für die Schauspieler
nologischen Implikationen, erfordert jeweils einen spe-
wird in der Glyptothek geschrieben, manchmal arbeiten
zifischen Umgang mit Text und Monitor, jedes Medium
wir nachts, wenn die Besucher und das Wachpersonal
steuert das Verhalten der Zuschauer auf seine Weise
gegangen sind. Im Dämmerlicht der Notbeleuchtung
und damit die Form der Aufführung. Entscheidung: Das
entwickeln die Skulpturen ein Eigenleben. Am Tag da-
Smartphone wird in ein Notizbuch eingebaut, so dass es
rauf finden Aufnahmen im Tonstudio in den Kammer-
zwar als Navigations- und Überwachungsgerät arbeiten
spielen statt, die wiederum montiert in kleinen Schnip-
kann, aber vom Besucher nicht gesehen oder bedient
seln
werden kann. Im Notizbuch findet der Besucher Informa-
Arbeitsinstrumente sind Tabellen, Flowcharts und Cloud-
tionen, nutzt es aber auch für eigene Notizen und Zeich-
Dienste. Mittlerweile hätten wir Material für über fünf
nungen, die in die Handlungen einbezogen werden.
Stunden – wie gehen wir damit um? Neue Programmie-
auf
den
Server
gespielt
werden. Wichtige
rungen stehen zum Testen bereit, geprobt werden kann 2. November 2016, Berlin
nur mit Testpublikum. Die Geste „Winken“ kann ein be-
Eine E-Mail von einer unbekannten Adresse landet im
stimmtes Audio-File auslösen. Immer nach 15 Minuten
Posteingang. Die Nachricht wird für Spam gehalten, ist
werden kleine performative Flashmobs ausgelöst.
Staat 1 | 37
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:38 Seite 38
Liste zu finden, die in alphabetischer Reihenfolge alle Länder und ihre Dienste aufreiht. Nicht jedes Land differenziert in Inlands- und Auslandsdienst. Nicht jedes Land hat einen eigenen militärischen Nachrichtendienst und nicht jedes Land hat einen Geheimdienst im Sinne von Spionage und Agenten. Gambia zum Beispiel hat nur einen Eintrag: die National Intelligence Agency. Die Demokratische Republik Kongo hingegen unterscheidet in die National Intelligence Agency, General Staff of Military Intelligence, Directorate of General Information und National Financial Intelligence. Die USA sind schwer zu toppen: Sie haben eine ganze „Intelligence Community“ mit insgesamt acht Diensten. 2. November 2016, Berlin, Restaurant Josty Gerhard Schindler ist auch ein ehemaliger Präsident des
10. Dezember 2016, München, Glyptothek,
BNDs. Ein sympathischer und umgänglicher älterer Herr
Premiere
im Holzfällerhemd sitzt uns gegenüber, kein uniformtra-
Premierenfeier, Sektempfang. Ein Bodyguard betritt
gendes Sprachrohr des BNDs mehr, als das er im Fernse-
den Saal. Kein 0815-Security, sondern ein richtiger
hen auftrat. Er ist ein geschulter Zuhörer und wenn man
Bodyguard mit trainiert ernstem Gesichtsausdruck,
ihm zuhört, ertappt man sich dabei, ihm alles zu glauben.
durchsichtiger Verkabelung am Ohr und auffällig breiten
Ohne Dienste keine Lageeinschätzungen, keine Risikobe-
Brillen. Ihm folgt ein zweiter Bodyguard. Ein Herr mit
rechnungen, keine Sicherheit. Gespräche wie die mit Ger-
gepflegtem Bart, Tweedjacke und legèrem Schaal tritt
hard Schindler lassen Vorurteile von Gut und Böse in sich
ein, an seinem Arm hält sich eine Dame in Abendrobe
zusammenklappen und stellen sie an anderer Stelle wie-
und Highheels fest. Abschließend folgt Bodyguard
der auf. Wie er die Zukunft der Dienste einschätzt? Dienste
Nummer drei. Sind das Museumsbesucher, die so VIP
seien so etwas wie der letzte nationale Hort, die Zukunft
sind, dass sie selbst fürs Kulturprogramm einen Begleit-
der Dienste aber sei eine globale, mit mehr internationa-
schutz brauchen? Aber wieso nehmen sie sich jetzt ein
ler Zusammenarbeit. Vertrauen werde hier eine neue und
Glas Sekt? Irritation macht sich breit in der Zuhörer-
wichtige Kategorie sein. Am Ende des Gesprächs ist man
schaft. Dann ist die Rede beendet, man klatscht und das
überzeugt: Der BND ist einer von den „Guten“.
schwer bewachte Paar steht nun mit Rimini Protokoll zusammen und plaudert gesellig. Es handelt sich um den
1. Dezember 2016, München
Briten James Short, dessen Geschichte und Stimme im
In das Notizbuch für die Zuschauer kommt eine Liste
Stück vorkommt. Er hat beim MI6 gearbeitet. Überra-
aller Geheimdienste der Welt. Auf Wikipedia ist eine
schenderweise ist er der Einladung zur Premiere gefolgt.
38 | Staat 1
„Geheimdienst ist ein dreckiges Geschäft.“ Gerhard Schindler, ehemaliger BND-Präsident
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STÜCKAUSZUG Düsseldorfer Fassung
Top Secret International funktioniert wie ein Hörspiel, bei dem die verschiedenen Szenen erst dann abgespielt werden, wenn sich der Zuhörer am richtigen Ort befindet. Das Skript täuscht eine Linearität und Kontinuität vor, die so gar nicht vorkommen. Die Nummerierung (1.1, 1.2 usw.) entspricht den einzelnen Audiofiles, die an bestimmte Zonen (Zone 1 , Zone 2 usw.) im Museum gekoppelt sind, die um bestimmte Exponate herum definiert wurden (MADONNA, PETRUS usw.). An diversen Situationen muss der Zuschauer aus verschiedenen Möglichkeiten auswählen und entscheidet darüber, wie seine Geschichte weiterläuft (zum Bespiel 1.4.1 oder 1.4.2). Dieser Stückauszug gibt den Parcours im Museum Kunstpalast in Düsseldorf wieder.
42 | Staat 1
1.1 Warteschleife mit Ansage
die einem auf den Leib geschrieben wird, damit
COUNTER/Zone 2
du getarnt deinen wirklichen Aufgaben nachgehen kannst. Dem Anschein nach bist du ein ganz nor-
Das System: Du kannst meine Stimme hören?
maler Besucher dieses Museums.
Dann nicke jetzt kurz, damit das Personal weiß,
Du machst das, was man im Museum eben so
dass alles in Ordnung ist. Gut! Los geht’s. Stell
macht: Du läufst umher, betrachtest die Exponate,
dich in die Mitte der Eingangshalle.
und hörst über deinen Audio-Guide Hintergrund-
Der Schauspieler: Da bist du ja. Herzlich Will-
informationen. Doch eigentlich bist du hier, um
kommen. Du befindest dich in einem Museum –
etwas über etwas herauszufinden, dessen Wesen
einer Institution, die zahlende Besucher mit „ver-
es ist, unsichtbar zu sein. Es ist so alt wie die Ex-
gangenen Zeiten“ verbinden soll, einem Ort, der
ponate, die hier konserviert werden.
Kulturschätze bewahrt.
Das System: Nein, es ist noch viel älter.
Das System: Du bist im Museum Kunstpalast in
Der Schauspieler: Man sagt, es sei das zweitäl-
Düsseldorf.
teste Gewerbe der Welt.
Der Schauspieler: Ich werde dich auf deinem
Das System: Jetzt solltest du aber mal etwas
Gang durch dieses Museum begleiten.
näher an das Werk herangehen.
Das System: Aber nur ich werde immer wissen,
Der Schauspieler: Ja, mach das ruhig!
wo du dich befindest. Geh nun die Stufen der
Das System: Madonna hält in ihrer rechten Hand
alten, geschwungenen Steintreppe rechts hinauf,
lässig die Welt in Form eines Apfels. Die Friedens-
in den ersten Stock zur Sammlung. Dort wirst du
taube hat sich auf den Knien des Jesuskindes nie-
schon erwartet. Geh die Treppe hinauf zur Ma-
dergelassen. Ein kurzer friedvoller, weltumspan-
donna-Statue.
nender Zustand. In Stein gemeißelt für die Ewigkeit. Der Schauspieler: Wie würde diese Geschichte
1.2 Intro
ausgehen, wäre sie nicht in der Zeit eingefroren
MADONNA/Zone 2
worden? Das System: Wir kennen den Ausgang der Ge-
Das System: Du stehst vor der Madonna.
schichte dieses Kindes.
Der Schauspieler: Das System hat dich geortet!
Ein Spion. Judas.
Das System: So ist es! Geh ruhig etwas näher an
Ein Kuss: Verrat.
das Werk heran.
Ein qualvolles Ende.
Der Schauspieler: Warte, nicht so schnell. Erst-
Der Schauspieler: Gleich wirst du dich ins Netz
mal solltest du dich mit deiner Legende vertraut
der Geheimdienste begeben, mit deinem Körper.
machen. So nennt man in den Diensten eine Rolle,
Anders als …
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:39 Seite 43
Das System: die Madonna und das Jesuskind …
Der Schauspieler: In jedem Raum dieses Muse-
1.2.1.1 Weiter/Instruktionen
Der Schauspieler: … kannst du deinen Körper
ums sind Dokumente abgelegt – unsichtbar und
Von Petrus mit Schlüssel zur
bewegen.
nur für dich abhörbar.
Schwelle Madonnenraum/
Das System: Ich werde dich orten.
Das System: Durch deine Präsenz in dem Raum
Zone 3 > 4
Der Schauspieler: Du wirst Nachrichten erfas-
werden sie aktiviert und abgespielt. Wie jetzt Avi
sen, sammeln und auswerten – alles unbemerkt
Primor.
Das System: Dreh dich von der Wand weg und
von deiner Umgebung. Du bist mit einem Objekt
Der Schauspieler: Avi Primor war viele Jahre
schau in den nächsten Raumabschnitt hinein,
ausgestattet worden – zur Tarnung ist es ein Notiz-
Botschafter für Israel in Deutschland. Er ist bereit,
ohne ihn schon zu betreten.
buch. Nutze es als solches.
zu dir zu sprechen.
Der Schauspieler: Intelligence – Nachrichtenbe-
Avi Primor: Hallo, ja!
schaffung – bezieht sich immer auf „die anderen“,
Der Schauspieler: Du fragst ihn, warum Staaten
nie auf uns.
1.2.0 Weiter/In die Sammlung
Geheimdienste haben.
Das System: Wie oft wurde der friedliche Augen-
Von Madonna in die Sammlung/
Avi Primor: Also sagen wir so: Kriege sind
blick mit Madonna und dem Jesuskind auf dem
Zone 2 > Zone 3
immer ausgebrochen, nachdem eine Seite davon
Arm eingefroren. Wie viele kleine Details führen
ausgegangen ist, dass sie den Krieg gewinnen
auf die eine oder die andere Spur?
Der Schauspieler: Also.
kann. Wenn jemand davon ausgehen sollte, dass
Der Schauspieler: Man will mehr wissen über
Das System: Geh nun durch die Glastür, links, in
er einen Krieg nicht gewinnen kann, dann würde
den aktuellen oder den zukünftigen Feind.
den nächsten Raum hinein zum Holzrelief an der
er einen Krieg nicht initiieren, würde sich auch in
Das System: Geh nun langsam in den Raum mit
Wand gleich links.
einen Krieg nicht einlassen.
den Madonnen-Statuen hinein.
Das System: Geh nun langsam weiter an den Gemälden und einer weiteren Madonna zu den 1.2.1 Stammbaum/Avi Primor
beiden schmalen Bildern an der rechten Wand. Auf
1.2.2. Augenhöhe/Kosta und Iannis
HOLZRELIEF > PETRUS/Zone 3
dem linken Gemälde siehst du Petrus mit dem
MADONNEN/Eckraum
Zone 3: erster Quadratsaal
Schlüssel zur Himmelspforte. Er wird ihn später
Alte Meister
weitergeben …
Das System: Gut, du befindest dich unter den
Avi Primor: Das heißt, dass fünfzig Prozent der
Madonnen.
Das System: Du hast dich bewegt.
Menschen, die Kriege führen, sich im Grunde ge-
Der Schauspieler: Stell dich einem Menschen-
Der Schauspieler: Gut machst du das …
nommen täuschen, aber das ist ja so ein Spiel,
bild gegenüber. Findest du ein Gesicht auf deiner
Das System: Siehst du Isaia, den Vater Davids,
dass jeder alles von dem anderen wissen will und
Augenhöhe?
unten in der Mitte, liegend in Denkerpose?
der andere von ihm wissen will, und das kann
Das System: Entscheide dich, wem du in die
Zweige und Verästelungen führen über die Kö-
man nur anhand von Geheimdiensten bekom-
Augen schauen willst.
nige Israels und Judas hinauf zu Maria und
men. Also Geheimdienste sind die Grundlage des
Der Schauspieler: Gegenüberstellung.
Jesus. Ein lückenloser Stammbaum macht sich
Krieges. Ohne Geheimdienste gibt es keinen
Das System: Schauen die Augen zurück? Mach ein
immer gut!
Krieg.
Gesicht, als könnte man aus dir nichts rausholen!
Staat 1 | 43
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:39 Seite 44
Der Schauspieler: Kosta Tsetsos ist Sicherheits-
Das System: Such dir eine andere Statue aus
1.2.2.1 Weiter
experte und Konfliktforscher. Er ist Experte dafür,
und stell dich mit dem Rücken zu ihr.
Von Madonnen zu Altarbild/Zone 4 > 5
Gefahren zu erkennen und künftige bewaffnete
Der Schauspieler: Jemand wie Iannis würde
Konflikte zu berechnen. Frage an dich: Wie ist die
sich alles an deinem Gang merken und später no-
Das System: Geh weiter in den nächsten, lang-
Sicherheitslage an deinem jetzigen Standpunkt?
tieren. Für einen Agenten wie Iannis ist immer
gestreckten Raum hinein. An der langen linken
Und was meint Kosta dazu?
nichts sicher. Er ist Geheimpolizist. Ein Experte für
Wand siehst du drei farbenfrohe Gemälde. Das
Kosta Tsetsos: Also konkret auf das Museum
Langzeitbeobachtungen in anderen Rollen – als
erste hat die Szene festgehalten, in der Jesus Pe-
bezogen, also auf die Besucher im Museum, sehe
Mitglied der Hells Angels, als Drogenkurier, als As-
trus den Schlüssel übergibt.
ich keine Gefahren, die man jetzt direkt durch Ob-
sistenz-Priester. Nachdem er eine längere Mission
Halbrechts hinter dir steht ein Altarbild mitten im
servation der Besucher im Museum erkennen
beendet hat, bekommt er etwas Ruhigeres. Zum
Raum – dich interessiert die gemalte Rückseite.
könnte.
Beispiel:
Geh langsam dorthin wie ein normaler Museums-
Das System: Siehst du hier im Raum Wachper-
Iannis: To observe a man who lives in an area in
besucher.
sonal oder andere Besucher? Siehst du Kameras?
Athens and every tuesday, every thursday takes
Kosta: Eventuell könnte man aber an Einzelper-
his dog for a walk.
sonen Sachen – am Schritt kannst du Sachen
Der Schauspieler: Zwei Männer, ein Hund, zwei-
1.3 Entscheidung + Recruitment/
sehen, du kannst an einer Handbewegung sehen,
mal die Woche.
BND-Chef und Ausbildung GB
an auffälligem Verhalten. Aber da muss ich ja
Iannis: From 8:30 until 10:00 in the morning.
ALTARBILD/Zone 5
davon ausgehen, dass irgendwas im Busch ist.
Der Schauspieler: Einer lebt, der andere lebt
Der Schauspieler: Was könnte Kosta über dich
mit.
Das System: Wer hat diese Rückseite an dem
sagen? Über jemanden, der mit einem Notizbuch
Iannis: He wears trousers, he wears a shirt, he
Originalort sehen können?
im Museum steht.
wears a blouse, he’s wearing a hat, the colour of
Der Schauspieler: Der vorige Präsident des Bun-
Kosta: Jeder Mensch ist ein Spion in einer gewis-
the shoes – all this you report. Everything about
desnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, geht
sen Hinsicht. Weil jeder Mensch Informationsge-
this man.
gerne ins Museum.
winnung betreibt – ob es über seine Freunde ist,
Der Schauspieler: Du weißt nie, was genau der
Gerhard Schindler: Gerne.
seine Verwandten, seine Arbeitskollegen – und die
Zweck deiner Aufgabe ist. Du hast verinnerlicht:
Der Schauspieler: Er sagt:
teilweise auch geheim hält. Manchmal aus gutem
Was immer dir als Zweck erscheint – oft ist es
Schindler: Weil – da kann man erkennen: wo
Zweck, wegen einer platonischen Lüge, weil es
genau andersherum.
kommen die Menschen her, und wenn man das
sich nicht lohnt, die Wahrheit zu sagen, weil man
Iannis: After one year you have an order to stop
ein bisschen erkannt hat, dann kann man auch
mehr Schaden anrichtet – oder um einen Wettbe-
this. You will never know who is this man. You
sehen: wo gehen sie hin.
werbsvorteil, eine positive Konsequenz zu erwirt-
never know why you make this mission.
Der Schauspieler: Er sagt auch:
schaften.
Der Schauspieler: Du hast dein Leben lang Men-
Schindler: Wissen schafft Handlungsspielräu-
Der Schauspieler: Was machen die anderen Be-
schen beobachtet und du weißt nie, wer von ihnen
me …
sucher? Wie wirkst du hier? Wechsle den Stand-
dazu da war, um dich zu beobachten.
Das System: Danke. Später hörst du eventuell
punkt.
44 | Staat 1
mehr von ihm. Das hängt von deinen Entschei-
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:39 Seite 45
dungen ab. Zwischen was wägt der Erzengel ab:
deine sexuellen Präferenzen in Erfahrung bringen.
Was ist gut, was ist böse?
Die Höhe der laufenden Kredite. Du trinkst gern?
Der Schauspieler: Weltweit steigen die Ausga-
Nimmst exzessiv andere Drogen? Du spielst?
Der Schauspieler: Frage: Hast und speicherst du
ben für die Nachrichtendienste. Weltweit häufen
Schwierig!
Informationen über andere, die sie erpressbar
sich Informationen über Informationssammlun-
Außerdem bist du nicht alleine: Familie, Freunde,
machen? Wenn ja:
gen. Dir wurden ein Notizbuch und ein Stift ausge-
Kollegen, Nachbarn, flüchtige Bekanntschaften
Das System: Dann geh gleich nach rechts in das
händigt. Blättere darin, als ob du nach einer alten
aus einem Café … Auch diese machen dich er-
kleine blaue Kabinett mit der hell erleuchteten
Aufzeichnung suchst. Du findest darin eine Über-
pressbar. Über jeden Menschen auf dieser Welt
Glasvitrine. In den japanischen Raum.
sicht über alle Geheimdienste dieser Welt. Wür-
gibt es mindestens eine Information, die ihn ins
Der Schauspieler: Und wenn du keine Informa-
dest du für einen dieser Dienste arbeiten wollen?
Verderben stürzen könnte, die ihn erpressbar
tionen über andere hast und speicherst, die sie er-
Ein krisensicherer Arbeitsplatz. Gut bezahlt, ohne-
macht, ihn in Handlungen zwingt. Was könnte dich
pressbar machen, dann:
hin. Wie kommt man rein?
erpressbar machen? Bilder tauchen auf. Momente.
Das System: Dann gehe gleich linksherum in das
Du fragst Jonathan Bloch. Er ist Wirtschaftsberater
Satzfetzen.
kleine blaue Kabinett an dem schweren Holztor
und sammelt seit Jahren Informationen über Ge-
Das System: Ab dieser Stufe stellt dich das Sys-
vorbei in den Orient.
heimdienste:
tem vor Entscheidungen. Sie beeinflussen deinen
Der Schauspieler: Geh ganz unauffällig und
Jonathan Bloch: Well, we know how they do it in
Pfad. Nimm nun etwas Abstand von dem Altarbild
langsam, als wärst du ein normaler Besucher,
England. So, in England it used to be done at uni-
und schau an der Tafel vorbei. Rechts und links
sonst bringst du das ganze System durcheinander.
versities. Particular Oxford and Cambridge. And
wirst du jeweils einen Eingang in ein kleines Kabi-
Das System: Keine Sorge. Das System arbeitet
they would say: „Would you be interested in wor-
nett entdecken. Kleine blau gestrichene Räume.
stabil.
king for government department?“, and then – you
Ich werde dir eine Frage stellen und du hast zwei
know, you would meet somebody at a sort of non-
Antwortmöglichkeiten, die dich in den einen oder
descript office block and they would recruit you.
den anderen Raum führen werden.
1.3.1.1 Frage/Infos erpressbar machen
Right! Now, they advertise on the radio on the television. They have a whole careers website. They even use headhunters, now. Das System: Wann dreht sich eine Entscheidung gegen dich? Wie der Pfeil auf diesem Bild auf den Entsender der Botschaft, auf den Schützen selbst, zeigt? Der Schauspieler: Wer in diesem Raum könnte für den Geheimdienst arbeiten? Könntest du selbst rekrutiert werden? Würdest du als ausreichend stabil und belastbar dafür eingestuft wer-
Wenn „Ja“ 1.4.1 Seite 46
Wenn „Nein“ 1.4.2 Seite 47
den? Dein potentieller Arbeitgeber würde auch
Staat 1 | 45
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:39 Seite 46
blank and you had to write in the name of every
friendship?“ And I said: „Oh my god, I hope not, I
Raum rechts (Japan) Zone 24
country –
don’t think so.“
Der Schauspieler: Blättere in deinem Notizbuch.
Der Schauspieler: Wie sieht das bei dir aus?
Das System: Du hast also Informatio-
Kiriakou: So I just scribbled in all the names of all
Hast du?
nen, die andere erpressbar machen.
the countries.
Kiriakou: „Let me think about it.“ And they said:
Okay, dann lass deinen Blick über die
Das System: Du findest Karten. Kontinente ohne
„No, no, that’s the answer we were looking for.“ I
kleinen Figürchen in den Vitrinen wan-
Länderbezeichnungen.
said: „Okay.“
dern. Taste sie ab.
Der Schauspieler: Kannst du die Länder benen-
Das System: In der linken Vitrine, ganz rechts
Sie sind voller Zeichen und Andeutun-
nen, während du weiter zuhörst.
oben, findest du kleine, garstig aussehende Figür-
gen, deren Code du kaum kennst.
Das System: Fang mit Japan an!
chen. So stellten die Japaner Ausländer dar.
Versuche sie zum Sprechen zu bringen!
Kiriakou: And the next one was very long, sever-
They said: „You know that Mr. X has something in
Der Schauspieler: Du triffst einen CIA-
al thousand questions. As an example, one of the
his house that you need, whether it’s a file or what-
Mitarbeiter und er erzählt dir, wie er rekrutiert
questions was: I like boxing. I thought, well, I don’t
ever, you need it. And you work on him to recruit
wurde.
really care about boxing, but in Mike Tyson
him, so that eventually, he’ll turn that file over to
Sein Professor bittet ihn nach der Vorlesung noch
fighting I usually stop and watch it. So I put „yes“.
you. But he’s not recruitable and in the end, when
einen Moment zu bleiben.
But then like, 234 questions later, it says: „I like
you ask him for the file, he tells you no. What do
Kiriakou: And he said: „Do you have any job
boxing.“ And I said: „Jeez, what did I say the first
you do?“
lined up after graduation?“ And I said: „Oh, Dr.
time, I can’t remember.“ I put „yes“. And another
I said: „I’d break into the house and take it.“ Seem-
Post – not do I only not have a job and don’t even
four hundred questions later it says: „I like box-
ed like a perfectly logical answer to me. If Mr. X
have any prospect for a job.“
ing.“ And I thought „Jeez, I mean…“ So you see
was a Russian scientist, let’s say, I would abso-
So he said: „Have you given any thought to the
what they’re doing. They’re looking for patterns.
lutely break into his house and take it. Right where
CIA?“ And I said: „No, not really.“ – „You think
Der Schauspieler: Bist du fertig mit deiner
the good guys are, there are the bad guys. So a
you’d be interested?“ And I said: „Sure.“
Karte?
couple of weeks after that I got an offer in the mail.
Der Schauspieler: James Kiriakou.
Kiriakou: A week or so later I get a call from Bob,
Kiriakou: So he calls a number and says: „Bob,
he says: „You blew the doors off that test, I want
1.4.1.1 Weiter/Raumwechsel
are you free? I have a good one.“ And hung up the
you to go to another equally non-descript build-
Raus zu Vorderseite Altar/Zone 24 > 5
phone and said: „What I want you to do is Satur-
ing.“ I was met there by three individuals, a psy-
day morning at 8 o’clock be at the George-
chologist, a psychiatrist and an anthropologist,
Das System: Geh nun raus aus dem blauen Kabi-
Washington-University medical center auditorium,
and they interviewed me, like uh: „Describe your
nett. Du warst hier schon länger als andere Besu-
you’re gonna take some tests.“ I said: „Okay.“
relationship with your mother.“
cher, du fällst langsam auf. Geh zur Vorderseite
There were two hundred people there at least and
Der Schauspieler: Schreib den Namen deiner
des Altarbilds. Siehst du Menschen, die in den an-
the proctors handed out these stacks of papers.
Mutter in eins der Länder auf deiner Karte.
deren blauen Raum gehen? Das sind diejenigen,
So one was a big map of the world, but it was just
Kiriakou: And then finally they ask a question
die angeblich keine Informationen über andere
blank, all the countries were divided, but it was
that still sticks with me: „Have you ever betrayed a
Menschen haben.
1.4.1 JA
CIA/Bewerbungstest
46 | Staat 1
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:39 Seite 47
Marco P.: Du musst erstmal beobachten, deine
Marco P.: Du musst für dich ein System finden,
Raum links (Islam) Zone 6
Umgebung analysieren, die Personen um dich
bei dem du in der Lage bist, abzuschätzen, wie viel
herum und ihre Abläufe beobachten. Es geht
Zeit ist vergangen seit deiner Gefangennahme.
Das System: Du hast keine Informatio-
immer darum, sich ins Bild mit einzufügen, aber
Weil jede Information, die mal älter als 24 Stunden
nen, die andere erpressbar machen.
trotzdem aus allem, was du siehst, Informationen
ist, ist eigentlich nichts mehr wert. Es gibt grund-
Der Schauspieler: Schade. Je mehr
ziehen zu können.
sätzlich Mittel und Wege, auch psychisch so auf je-
„Spielmaterial“ du hast, desto mehr
Der Schauspieler: Ausbildung.
manden einzuwirken, dass, sage ich mal, eine kör-
Macht hast du. Mit Informationen
Marco P.: Du kommst aus einer Spezialeinheit
perliche Folter nicht notwendig ist. In der Regel
kannst du handeln, sie gegen andere In-
vom Militär. Während deiner Ausbildung hast du
funktioniert es über Schlafentzug und Essensent-
formationen tauschen.
gelernt, in sehr kleinen Teams Informationen zu
zug, speziell auch solche Lehrgänge werden im
Das System: Schau dir die koptischen
beschaffen. Vom Klettern angefangen über Skifah-
Ausland weitergeführt, indem man halt von Teams
Textilien hinter Glas an der rechten
ren, über Sprengen, über Schießen, über Zu-
befragt wird, die auch keine Deutschen sind, son-
Wand an. Grabbeilagen, wie Kissenbezüge. Ent-
gangstechnik, Taktik, Tarnen, Fotografieren, …
dern die auch hier wiederum ihre Erfahrungen
deckst du die Kampfszene zwischen Perseus und
Der Schauspieler: Hast du einen Fotoapparat?
sammeln. Der Lehrgang selber ist eskalierend an-
Medusa? Was macht das Bild einer Enthauptung
Dann übe schon mal.
gelegt und von grob sechzig Leuten, die am An-
unter dem Kopf eines Verstorbenen?
Das System: Ohne dass du von einem Aufpasser
fang sich angemeldet haben, bleiben in der Regel
Der Schauspieler: Über einen Münchner Sicher-
gesehen wirst.
fünf übrig.
heitsexperten erhältst du die Mobilfunknummer
Marco P.: … über wie dokumentiere ich auch
Das System: Geh nun durch das niedrige alte
eines freien BND-Mitarbeiters. Der unterhält offi-
Daten oder wie kannst du die von einem Ort zum
Holztor hindurch. Das Tor einer Moschee, von der
ziell eine Beratungsfirma für Sicherheitsfragen in
anderen Ort übermitteln. Wenn du mal in Gefan-
man nur annehmen kann, dass sie einst in Kairo
Ostdeutschland und verabredet sich mit dir in Ber-
genschaft gerätst, da, wie kannst du eine be-
stand. Geh geradeaus in den Raum hinein zum
lin zum Interview.
stimmte Zeit überleben. Du versuchst halt die In-
Gemälde an der rechten Wand, das eine weise
Er betritt den Raum und sieht aus wie ein sympa-
formation, um die es halt wirklich geht, so lange
Frau mit dunkler Haut zeigt. Diese Sybilla macht
thischer junger Kultursoziologe. Nichts Muffiges,
wie möglich zurückzuhalten. Wenn natürlich ir-
schon alle Vorhersagen über das Schicksal Christi.
nichts Anrüchiges. Einfach nur ein junger Mann
gendwann körperliche Folter einsetzt, bist du na-
Die Dornenkrone liegt schon auf ihrem Schoß.
Mitte dreißig.
türlich in der Lage auch Informationen weiterzuge-
Marco P.: Gegen Ende der Ausbildung wird es na-
Das System: Vielleicht wie der bärtige Mann mit
ben, aber …
türlich immer einfacher, weil du bestimmte Auto-
1.4.2 NEIN
Marco Ausbildung/Deutschland
Hund, dem du auf deinem Weg ins Museum be-
matismen erzeugst.
gegnet bist?
1.4.2.1 Weiter/Raumwechsel
Das System: Und schaust, wer der nachfolgen-
Der Schauspieler: Seinen Namen möchte er lie-
Durch das Holztor >
den Besucher welches Kabinett wählt. Du weißt
ber nicht öffentlich sagen. Ihr einigt euch auf ein
Gemälde Frau dunkler Haut/Zone 6 > 5
nun, dass sie dir damit eine Antwort geben.
Spiel. Er wird dir erklären, wie es wäre, wenn du in seiner Haut stecken würdest. Dazu gibt er dir
Der Schauspieler: Wie viel Zeit ist vergangen,
Anweisungen.
seit du das Museum betreten hast?
Staat 1 | 47
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:39 Seite 48
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GEHEIMNISTHEATER Timon Beyes
Im Netz des Geheimnisses Den Kopfhörer aufgesetzt, werde ich von der Stimme des menschlichen Erzählers in der Münchener Glyptothek herzlich willkommen geheißen. „Gleich wirst du dich ins Netz der Geheimdienste begeben, mit deinem Körper.“ – „Aber nur ich werde immer wissen, wo du dich befindest“, ergänzt die andere, computergenerierte Erzählerinnenstimme etwas bedrohlich. Sie lotst mich zu einer antiken Skulptur, „Der Knabe mit der Gans“, und fragt, ob es sich bei dem Dargestellten um Spiel oder Kampf handele. Damit ist der Rahmen von Top Secret International (Staat 1) abgesteckt: Geheimhaltung und Überwachung, Kampf und Spiel. Eingetaucht in Geschichten und Stimmen eines globalen Geflechts aus Überwachungstechnologien und Spionagepraktiken, Sicherheitsfirmen und Geheimnisträgern, klandestinen Operationen und Konflikten, eröffnet sich eine Welt jenseits öffentlicher Sichtbarkeit, demokratischer Partizipation und, so erfährt man, zu guten Teilen jenseits parlamentarischer Aufsicht. Mit dieser Rahmung besteht ein Bezug zur Diagnose postdemokratischer Zustände, wie sie Colin Crouch (2008) 1 Für Rancière (2010) ist Postdemokratie daher kein gesellschaftlicher Zustand, sondern eine spezifische Regierungsweise, die das Politische „zwischen den Mühlsteinen der wirtschaftlichen Notwendigkeit und der rechtlichen Regel zerreiben“ würde (S. 143) und die man eher eine „aufgeklärte
vorgenommen hat: Die wichtigen Entscheidungen würden in postdemokratischen Zeiten zusehends im Verborgenen und hinter geschlossenen Türen gefällt, während öffentliche Debatten zum bloßen Spektakel der Ablenkung verkämen. Geheimhaltung zentraler wirtschafts-, sozial- und sicherheitspolitischer Weichenstellungen bei gleichzeitiger Ruhigstellung und Überwachung der Bevölkerung, so ließe sich der Befund zuspitzen. Mit Jacques Rancières etwas
und kontrollierte Oligarchie nennen könnte“ (S. 155). Unter den Bedingungen „wuchernder Verrechtlichung“, „verallge-
schärfer und ästhetisch gedachtem Begriff der Postdemokratie formuliert, geht es genau darum, dafür zu sorgen,
meinerter Expertenpraktiken“ sowie „der ständigen Mei-
dass es bei allem Spektakel nichts zu sehen gibt – nichts zumindest, was die üblichen Mechanismen politischer und
nungsforschung“ gründet der Staat, wie der Philosoph formuliert, auf der Fähigkeit, „die gemeinsame Unfähigkeit zu verinnerlichen“ (S. 147).
ökonomischer Steuerung und Machtausübung unterbrechen und ihre Legitimation zur Disposition stellen könnte. Im Namen einer demokratischen Politik sucht ein technokratisches Management der Bevölkerung das Aufscheinen eigentlich demokratischer Momente des Disputs über Begriffe, Annahmen und Akteure des politischen Gefüges zu
2 Das Lateinische kennt unterschiedliche Begriffe und damit Seinsweisen des Geheimnisses: Ist das secretum „das unsichtbar Gemachte“ und „Getarnte“, das zu entschlüsseln ist, so bezeichnet das arcanum Verborgenes oder Weggeschlosse-
verhindern (Rancière 2010).1 Doch scheint mir bei der Bewegung ins Netz der Geheimdienste, die das Stück vollzieht, mehr auf dem Spiel zu stehen als die Inszenierung und Bebilderung solcher Diagnosen. „Was wäre, wenn es keine Geheimnisse mehr
nes, dessen Weitergabe verboten ist (mit dem Begriff der Arkanpolitik klingt daher die Unverfügbarkeit des Staatsgeheimnisses an, siehe unten zur dritten Geheimnisebene der arcana imperii). Der dritte Typ des mysterium betont hingegen „das Nicht-Wissbare, das religiöse oder kultische Geheimnis“, das nicht verraten werden kann (Horn 2007: 105–107).
gäbe?“, sinniert der menschliche Sprecher zu Beginn. In seinem Fokus auf „das Geheimnis und die geheime Gesellschaft“, um den Titel eines Aufsatzes des Soziologen Georg Simmel aus dem Jahr 1907 zu zitieren, zwingt Top Secret International seine Teilnehmer in ein Geflecht aus secreta und arcana, aus entschlüsselbaren und unverfügbaren Geheimnissen.2 Dieses Geflecht aus „bewußt gewolltem Verbergen“ (Simmel 1992: 392) scheint mir genauso prä- wie
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postdemokratischer Natur zu sein. Simmel zufolge ist das Geheimnis als „allgemeine soziologische Form“ zu begreifen, „die völlig neutral über den Wertbedeutungen ihrer Inhalte steht“ (S. 407). Die „Attraktionen des Geheimnisses“ (S. 409) bezeichnen vielmehr einen notwendigen Tatbestand sozialer Differenzierung. Eine Welt, in der es keine Geheimnisse gäbe, ist aus dieser Sicht gar nicht denkbar, oder wenn, dann nur als Schreckensvision: „Das durch negative oder positive Mittel getragene Verbergen von Wirklichkeiten“, schreibt Simmel, „ist eine der größten Errungenschaften der Menschheit; gegenüber dem kindischen Zustand, in dem jede Vorstellung sofort ausgesprochen wird, jedes Unternehmen allen Blicken zugänglich ist, wird durch das Geheimnis eine ungeheure Erweiterung des Lebens erreicht, weil vielerlei Inhalte desselben bei völliger Publizität überhaupt nicht auftauchen könnten“ (S. 406). Was für Anhänger des Transparenzgebotes (Schneider 2013) nach unangenehm reaktionärer Haltung klingen dürfte, ist für Simmel ganz nüchtern eine soziologisch gebotene Praxis, „ohne die angesichts unseres sozialen Umgebenseins gewisse Zwecke überhaupt nicht erreichbar sind“ (S. 407). Dazu kommt die „eigentümliche Attraktion“ geheimnisvollen Verhaltens (S. 407), das ein „Energiefeld“ aufspannt und auf sinnlich-affektiver und damit auch spielerischer Ebene wirkt. Das Geheimnis wird somit zu einem Treibstoff sozialen Zusammenlebens. In einer Art Nullsummenspiel von Verbergen und Enthüllen, Heimlichkeit und Verrat wird es zum Operator gesellschaftlicher Entwicklung.3 Geheimniskrämerei und Ausweitung der Überwachung, so wäre also die vorläufige These, sind keine
3 „– so daß man“, fährt Simmel fort, „auf die paradoxe Idee
im besonderen Maße postdemokratischen Phänomene; sie sind den modernen, ausdifferenzierten Gesellschaften
kommen könnte, das menschliche Zusammensein bedürfe unter übrigens gleichen Umständen eines bestimmten Maßes
gleichsam eingeschrieben. Vor diesem Hintergrund möchte ich meine Erfahrungen als Objekt und Subjekt nachrichtendienstlicher Erkennung in Top Secret International anhand unterschiedlicher Ebenen bzw. Modi des Geheimnisses reflektieren. Davon unterscheide ich zumindest vier: die individuelle, körper- und affektbezogene Ebene; die strukturelle respektive Organisationsebene; die Ebene der Staatsgeheimnisse (arcana imperii); sowie schließlich die medientechnologisch bedingte Ebene eines security-entertainment complex (Thrift 2011). Die Geheimnismodi dieser Ebenen bedienen sich teils unterschiedlicher Technologien, Materialien, Akteure, Narrative und Affekte. Die analytische Unterscheidung soll gleichermaßen verdeutlichen, wie es dem Stück gelingt, eben diese Modi räumlich und zeitlich miteinander zu verweben. Auf dieser Basis, also über den Umweg des Geheimnisses und unterschiedlicher Geheimniseffekte, möchte ich am Schluss auf die Frage des Postdemokratischen zurückkommen. Jeder ein Spion: das geheime Leben der Einzelnen Eine Schlüsseldimension von Top Secret International betrifft die Subjektivität und den Körper der Zuschauerin. Nachdem die im Foyer der Glyptothek ausgehändigten Kopfhörer aufgesetzt sind und das dazu verabreichte, seltsam klobige Notizbuch gezückt ist, begebe ich mich auf meinen eigenen Weg auf und über die Museumsbühne. Im Laufe der Aufführung sind verschiedene Rollen einzunehmen und zu spielen. Das Hinein- und Hinauskatapultieren aus diesen kurzen Rollenspielen konfrontiert mich gleich mehrfach mit meiner eigenen Position zu Fragen des Geheimen. „Jeder Mensch ist ein Spion in einer gewissen Hinsicht”, sagt Kosta, seines Zeichens Sicherheitsexperte
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von Geheimnis, das nur seine Gegenstände wechsle: indem es den einen verlasse, ergreife es den anderen, und erhalte unter diesem Tausch ein nicht geändertes Quantum“ (S. 411).
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und Konfliktforscher, zu Beginn des Stücks. Er kündigt damit einen die Inszenierung – und damit jeden Teilnehmer – begleitenden Fragekomplex an: Eignet man sich zum Spion? Könnte und würde man mitmachen? Spioniert man nicht ohnehin schon, im Alltag? Die Ja/Nein-Fragen, die die computergenerierte Stimme stellt und deren Antworten zum Teil den Weg durch den Parcours bestimmen, testen – und provozieren Reflexionen über – die eigene Bereitschaft, am Geschäft mit dem Geheimen zu partizipieren. So muss ich über Gesten und Bewegungen signalisieren, ob ich Informationen über andere besäße und speicherte, die diese erpressbar machten; ob ich bereit sei, jemanden für Informationen zu bezahlen, die diese Person eigentlich nicht weitergeben dürfe; ob ich der Meinung sei, dass Menschen vor bestimmten Inhalten durch Zensur geschützt werden sollten. Das Geheimnis ist konstitutiv für die Entstehung von Privatheit. Als soziale Form hat das Geheimnis Effekte der Isolation und Individualisierung, schrieb Simmel (1992). Es handelt sich daher zunächst um ein individuell gelagertes Phänomen, das jedoch nur auf der Basis sozialer Beziehungen zu anderen denkbar ist. Das Geheimnis ist gewissermaßen eine Verbindungstechnik, die über Verhüllung funktioniert. Wie viel behält man für sich, und wann, und wem gegenüber? Gibt es Verborgenes, Privates, das man vor den Augen, Ohren und Algorithmen anderer schützen
„Schützt dich der Geheimdienst oder musst du dich vor ihm schützen?“
möchte? „Schützt dich der Geheimdienst“, fragt mich die kalte, elektronisch generierte Stimme, „oder musst du dich vor ihm schützen?“ Mehrfach werde ich zum Observieren von anderen aufgefordert. Was kann ich entdecken oder enthüllen hinter den Bewegungen, Aktivitäten und Ausdrücken anderer? Jede Beziehung zwischen Menschen, so Simmel, lasse sich dadurch charakterisieren, „wieviel Geheimnis in ihr oder um sie ist“ (S. 410). Kleine Übungen locken mich aus der Betrachter- und Zuhörerrolle in die eines aktiven Observierens und Aufzeichnens. Ich probe bewusst unauffälliges Bewegen und werde zu einem Dokumentenaustausch mit einem Fremden angeregt, der keine Aufmerksamkeit erregen soll. Die teils verkrampfte Körperlichkeit des Beobachtens, Bewegens und des Simunlierens verweist auf die affektive Kraft des Geheimnisses. Simmel betonte, dass das Geheimnis ein Kräftefeld organisiert. Es äußert sich in Affekten von Ausnahmestellung und Macht genauso wie als „verführerische[r] Anreiz“ (Simmel 1992: 409) bzw. „Anziehungskraft des Abgrunds“, die sich als „Lust“ im Augenblick der Enthüllung äußern kann (S. 410): als Begehren nach dem Verrat. Die Installation von Top Secret International spannt ein solches Kräftefeld auf. Sie produziert Gefühle der Unsicherheit und der Unheimlichkeit (Beyes u. Steyaert 2013), nicht zuletzt über den Gedanken an das eigene Beobachtetwerden oder im Moment der Übergabe eines Zettels, auf dem ich meine größte Angst notieren sollte, an einen Fremden. Die Inszenierung provoziert aber auch ambivalente Gefühle geteilter Macht und Stärke. Man erfährt ja Geheimnisse, glaubt man, und wird für einen Moment zum Komplizen und Geheimnisträger; man wird eingeweiht in Abläufe sonst unsichtbarer Arkanpolitik und ihrer Staatsgeheimnisse und fühlt die Verlockung des Verrats. Am Ende erhält jeder Teilnehmer eine Beurteilung der persönlichen Eignung für die Arbeit im Geheimdienst (zusammen mit einer Art Werbeflyer vom BND, das den Titel „Einzigartig vielseitig geheim” trägt). Meine Einstufung war ziemlich gut. (Vermutlich war sie das bei allen.) Und wäre es in diesem Moment nicht enttäuschend gewesen, wenn es anders gewesen wäre? Das Stück spielt auf affektiver und reflexiver Ebene mit Simmels Einsicht, dass das Geheimnis konstitutiv für die eigene Subjektivität ist.
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Diskrete Zweckverbände: das geheime Leben der Organisation Eine zweite Ebene des Geheimen, die Top Secret International durchzieht, betrifft die Operationen und Organisationsprozesse von Geheimdiensten selbst. Wie üblich bei Rimini Protokoll, beruht das Stück auf den Ergebnissen einer bemerkenswerten Recherchearbeit, diesmal im Geheimdienst- und Überwachungssektor und bei seinen politischen Kontrollorganen. Es ist als Montage aus Geschichten, Erfahrungen und Einschätzungen von Geheimnisexperten konstruiert, die von diesen selbst erzählt und auf der Tonspur in die Räume der Glyptothek verpflanzt werden. Als Lernender erfahre ich eine Menge über das Kampffeld klandestiner Einsätze und ihre organisationalen Bedingungen auf meiner Tour durch das „zweitälteste Gewerbe der Welt“. – „Es gibt keinen sauberen Nachrichtendienst“, berichtet ein ehemaliger Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Es sei ein schmutziges Geschäft, in dem gelogen, verraten, betrogen und korrumpiert werden müsse. Die Organisation des Geheimdienstapparates ist somit selbst von Verschleierung und Verhüllung geprägt. Das gilt einerseits für die externe Aufsicht: Ein Mitglied eines deutschen parlamentarischen Untersuchungsausschusses berichtet von weitreichender Intransparenz. Wie viel Geld wofür ausgegeben werde, stehe nicht im Bundeshaushalt, und wenn man mal ein Dokument zu Gesicht bekomme, sei der Großteil der Seiten geschwärzt. Das gilt aber auch für die internen Abläufe. Ein ehemaliger israelischer Botschafter erzählt, dass Spitzel mit Diplomatenpass in Botschaften arbeiteten und von dort aus in wiederum anderen Ländern aktiv würden, ohne dass die Botschaftsleitung darüber informiert sei oder wissen könne, wen das betreffe. Ein griechischer Agent sagt, er würde nie erfahren, warum er eine spezifische Mission habe. Und die Nacherzählung eines Einsatzes zur Ausspionierung eines Waffendepots in Libyen ist insbesondere wegen der Unsicherheit und Unentscheidbarkeit, die diese geheime Mission prägen, genauso fesselnd wie furchterregend. Auch hinsichtlich des Zusammenhangs von Organisation und Geheimnis lohnt die Lektüre Simmels. Die formale Organisation bzw. der „Zweckverband“, so schrieb er, sei die „schlechthin diskrete soziologische Formung“ (S. 392). Damit ist die Form des Geheimnisses konstitutiver Organisationsmodus, und das Strukturprinzip der Organisation verkörpert die Form des Geheimnisses (Costas u. Grey 2016). Schon die hierarchische Ordnung bestimmt ja Zonen des Wissens und Nicht-Wissens: Indem sie festlegt, wer wann was zu entscheiden hat, eröffnet sie daneben einen opaken Raum der Informalität, der Kontingenz und der Intransparenz. Mit Bezug auf bürokratische Herrschaft hat Simmels Zeitgenosse Max Weber zudem darauf hingewiesen, dass „jede Bürokratie“ mit dem Machtmittel der Geheimhaltung arbeite und ihr Wissen und Tun zu verbergen suche, „soweit sie irgend kann“ (Weber 1972: 572). „Der Begriff des ‚Amtsgeheimnisses’ ist ihre spezifische Erfindung, und nichts wird von ihr mit solchem Fanatismus verteidigt wie eben diese […] Attitüde“ (S. 573). All das gilt allzumal für die Organisationen, die in Eva Horns Worten „zugleich die Anruchigkeit wie die Effizienz des Geheimnisses in der Politik der Moderne verkörpern“: die Geheimdienste (Horn 2007: 126). Hier ist das „bewußt gewollte Verbergen“ verdoppelt: Es ist nicht nur konstitutiv für die Organisation, sondern ihr Existenzzweck. Und das wiederum in einem Doppelsinne, geht es doch um die Enthüllung der Geheimnisse anderer für die Produktion wiederum geheimen Wissens. In solch „geheimen Gesellschaften“, wie Simmel das genannt hat, „ist das Ge-
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„Es gibt keinen sauberen Nachrichtendienst.“
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heimnis soziologischer Selbstzweck, es handelt sich um Erkenntnisse, die nicht in die Menge dringen sollen; die Wissenden bilden eine Gemeinschaft, um sich gegenseitig die Geheimhaltung zu garantieren“ (Simmel 1992: 433). Mit diesem Organisationsmodus geht ein „Pathos des Geheimnisses“ einher (S. 440), das die Aussagen so mancher Experten durchzieht, die in Top Secret International zu Wort kommen. Dieses Pathos übersetzt sich in eine „Gesamtbeanspruchung des Individuums“ (S. 438) als organisationalen Akteur und damit in ein hohes Maß an Unterworfenheit oder an Aufgehen in der Organisation, an „Entindividualisierung“, „Entselbstung“ und „Nivellierung“ (S. 451), wie sie in einigen der Erzählungen der Inszenierung anklingt. Das Geheimnis wird hier zum primären Treibstoff des Organisierens: Es bestimmt, wie Organisationsmitglieder handeln und sich aufeinander beziehen. Arcana imperii: das geheime Leben des Staates Die bürokratische Macht des Geheimnisses und seine Verdopplung zum Organisationsprinzip der Geheimdienste verweisen bereits auf das geheime Leben des Staates als dritte Ebene des Geheimnisses in Top Secret International. Damit kommt auch die Frage der Postdemokratie wieder ins Spiel, die bei den Geheimniseffekten von Individualität und Organisation zunächst ins Leere läuft. Auf den ersten Blick aber scheint auch auf Ebene der arcana imperii kein unmittelbarer Bezug zum Postdemokratischen vorzuliegen: Wie die nonchalanten Aussagen der Experten unterstreichen, handelt es sich beim Kampf um intelligence in der Tat um ein sehr altes Gewerbe. Ganz in diesem Sinne lassen sich Praktiken hoheitlicher Arkanpolitik einerseits bis in die Antike zurückverfolgen – ein Tatbestand, den das Stück durch den Einbezug antiker Skulpturen in den Museumsräumen der Glyptothek unterstreicht. Andererseits entstehen moderne Geheimdienste und bürgerliche Öffentlichkeit zur ungefähr selben Zeit (Voigt 2017). Das Staatsgeheimnis ist gleichursprünglich mit – und komplementär zu – der Entstehung des modernen, mehr oder weniger demokratischen Staates und seiner unruhigen zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit, die aus Staatssicht der Überwa4 Wie sich diese Apparate unter totalitären Bedingungen
chung und Kontrolle bedarf (Koselleck 1973).4 Mit anderen Worten: Die Emergenz der bürgerlichen Öffentlichkeit und
paranoid aufblähen können, wurde von Rimini Protokoll
ihrer aufklärerischen Postulate von Transparenz und Partizipation geht einher mit dem Aufbau eines klandestinen Si-
bereits mit dem „Stasiakten-Stück“ 50 Aktenkilometer untersucht und – ebenfalls über das Mittel der Fernsteuerung mit Kopfhörer und Tonspuren – im Stadtraum aufgeführt (Beyes u. Steyaert 2013).
cherheits- und Überwachungsapparates, wie er gegenwärtig dank Snowden und NSA-Affäre sowie durch die Auseinandersetzungen zwischen FBI und aktuellem US-Präsidenten einmal mehr in die Schlagzeilen geraten ist. Top Secret International erlaubt somit einen raren Blick in das Arkanum des Staates. In dieser Hinsicht den Snowden-Enthüllungen von Dokumenten der US-amerikanischen National Security Agency und ihren Five-EyesPartnern aus Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland nicht unähnlich, geht es um Einblicke in Orte, die der Einsicht und erst recht der Auseinandersetzung enthoben sind, wie Howard Caygill zum secret life of the state schreibt (Caygill 2015: 23). Caygill bezieht sich auf Carl Schmitts Bemerkungen zur Arkanpolitik im 1923 verfassten Werk Römischer Katholizismus und politische Form (Schmitt 2008), denen zufolge die geheimen Kammern und Prozesse des politischen Arkanums nicht nur Bestandteil von, sondern konstitutiv für den modernen Staat und seine Entwicklung seien. Damit nimmt das Arkanum des Staates die Form des Geheimnisses an: Der Staat hat keine Geheimnisse, er ist Geheimnis, so spitzt Caygill es zu (2015: 32). Der Ethos des Geheimnisses – oder was Simmel das
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Pathos des Geheimnisses nennt – durchdringt den Staatsapparat, der seinen Anspruch auf Geheimhaltung mit allen verfügbaren Mitteln aufrechtzuerhalten sucht, wie es Max Weber mit Blick auf bürokratische Herrschaftsmechanismen auffiel. Der Staat verfügt somit – oder lässt sich gar definieren über – sein Geheimnismonopol ebenso wie über sein Gewaltmonopol. Wenn aber der Staat weniger politischen Mechanismen als vielmehr dem Arkanum des Geheimnisses gehorche, dann, so merkt Caygill an, sei es vielleicht seine wesentliche Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Politik gar nicht erst stattfinden könne. Seine Rolle besteht dann zumindest auch darin, wie bereits zuvor mit Rancières Postdemokratiebegriff formuliert, die Vorkehrungen dazu zu treffen, dass es nichts zu sehen gibt, was die Mechanismen und Begriffe ökonomisch-politischer Machtausübung ins Wanken bringen könnte. Das heißt in aller Radikalität aber zugleich, dass die störenden Möglichkeiten des Politischen und Demokratischen auch in so genannten liberalen Demokratien schon lange – nämlich seit und mit ihrer Entstehung – bekämpft und vermieden werden. Mit dem Diskurs des Postdemokratischen, gerade in seiner melancholischen Form einer Verfallserzählung, derzufolge es in früheren Dekaden besser, weil demokratischer war, kann diese fundamentale Rolle des Geheimnisses als Arkanum des Staates kaum gefasst werden. Allerdings scheint unstrittig, dass momentan eine „politische Expansion des Geheimnisses“ zu beobachten ist (Knobloch 2017: 216) – siehe wiederum die Snowden-Affäre, die Funde bei WikiLeaks oder schlicht die steigenden Budgets der Nachrichtendienste, sofern sie einsehbar sind. Als Grund wird zumeist das neomachiavellistische Argument angeführt, dass der Staat seine eigenen Geheimnisse bewahren und ausbauen, diejenigen der Zivilgesellschaft indes aufspüren müsse, um letzterer Sicherheit zu garantieren (Caygill 2015) – eine Argumentation, die auch in Top Secret International von ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern mit Verweis auf das allgemeine Gefahrenpotential, auf Terrorismus und Cyberterrorismus, aufscheint: „Tagtäglich werden deutsche Regierungsnetze und die deutsche Wirtschaft angegriffen”, berichtet der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes. „Das heißt, im Internet tobt ein stiller Krieg.” Security and entertainment: das geheime Leben der Algorithmen Die These des vermeintlich stillen Krieges im Netz annonciert die vierte Ebene des Geheimnisses, die sich in Top Secret International erfahren lässt und die an die neuen technologischen Möglichkeiten allgegenwärtiger Überwachung gekoppelt ist. Räumlich inszeniert das Stück ein Aufeinandertreffen von Museumsarchitektur und musealer Ausstellung mit Techniken algorithmischer Steuerung – und damit, so scheint mir, eine Begegnung unterschiedlicher Epochen des Geheimnisses, der Arbeit von Nachrichtendiensten und der Spionage. Die oben angesprochene körperliche Teilnahme des Publikums stellt eine geradezu klassisch anmutende Welt von Geheimdienstpraktiken der Observierung und der Verschleierung nach, wie sie in der Imagination des Zuschauers durch Spionageromane und Agentenfilme geprägt ist (Horn 2007). Atmosphärisch verstärkt wird dieser Eindruck durch die Räume der Glyptothek, Münchens ältesten Museums, das antiken Skulpturen gewidmet und dessen Innenarchitektur der eines römischen Badehauses nachempfunden ist. Das Stück macht skulpturale Körper von antiken Denkern und Herrschern
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„Im Internet tobt ein stiller Krieg.”
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sowie Tierfiguren zu Akteuren des Spiels. Das verweist einerseits auf die lange Geschichte der Arkanpolitik, andererseits werden diese Gesichter und Augen als observierende und zu observierende in die Inszenierung integriert. Im „Schlachtfeld der Blicke“ werde ich, so spricht es in mein Ohr, von diesen Statuen beobachtet; brav beobachte ich zurück. Doch die Stimme, die hier spricht, ist computergeneriert, und meine Wege und Begegnungen durch die Glyptothek sind programmiert; sie werden von einem automatischen Algorithmus kontrolliert und ausgewertet. „Wie kannst du erwarten, dass ich deine Geräte nicht beobachte?”, erklärt mir die Computerstimme. „Also der Staat. Er braucht ständig neue Werkzeuge. Um dich zu schützen und andere vor dir.” Doch was ist hier Staat, und was Markt? Von einem hacking team werde ich über zeitgenössische, technologisch ermöglichte Praktiken der Geheimhaltung und Überwachung informiert. „Aber das Internet ist kein Staat”, und „der Markt macht uns zu Spionen”, so
Überwachung für jedermann als Geschäftsmodell, ein ertragreiches, wachsendes Marktsegment
höre ich. Bei Amazon gibt es die dazu notwendige Hard- und Software: Überwachung für jedermann als Geschäftsmodell, ein ertragreiches, wachsendes Marktsegment. „Diese Art von [Geschäfts- und Betriebs-]Geheimnissen scheint beim ökonomisch-technischen Denken besonderes Verständnis zu finden, und darin könnte schon wieder der Anfang einer neuen, unkontrollierbaren Macht liegen“, so spekulierte Carl Schmitt 1923 (Schmitt 2008: 58). Am Horizont des frühen 20. Jahrhunderts wird bereits die nächste Stufe eines technikökonomischen Arkanums sichtbar. Top Secret International inszeniert diese Thematik in zweifacher Hinsicht: zum einen durch Expertenstimmen, die auf netzwerkförmig organisierte, teils internetbasierte Sicherheitsrisiken und die Notwendigkeit einer Art digitaler Geheimdienstkultur aufmerksam machen, sowie durch Beispiele und Erzählungen aus dem privatisierten Markt von Geheimnis und Überwachung. Zum anderen durch die Steuerung und Observierung der Teilnehmer selbst: Das Notizbuch ist klobig, weil es einen Sensor enthält, der die Bewegungen und teilweise die Gesten seines Trägers registriert und aufzeichnet. Mir scheint, dass es genau dieser Operationsmodus ist, der die Frage des Geheimnisses in digitalen Kulturen neu stellt (Beyes u. Pias 2014). Dieser Modus beruht auf medientechnologisch ermöglichten, zahlenbasierten Organisationslogiken des Messens, Auswertens, Kategorisierens, Evaluierens und Archivierens, die sich menschlicher Wahrnehmung zumeist entziehen und im Geheimen ablaufen. Shoshana Zuboff hat für diese Praktiken und ihre Konsequenzen den Begriff des surveillance capitalism geprägt. Anhand des Beispiels von Google zeigt sie, wie das Rohmaterial von Daten zu surveillance assets wird, die aus Nutzerpopulationen extrahiert und vermittels algorithmisch organisierter Mustererkennung und prädiktiver Analyse gewissermaßen hinter dem Rücken der Nutzer kommerziell verwertbar gemacht werden. Diese Prozesse führen, fürch-
5 In ähnlicher Stoßrichtung hat John Lanchester unlängst
tet Zuboff, auf Seiten der Bevölkerung zu einem „antizipatorischen Konformismus“ (Zuboff 2015: 82).5 In ihrem
in der London Review of Books reflektiert, wie Facebooks
Furor über die Plattformmonopolisten des Silicon Valley als neue souveräne Herrscher droht Zuboff indes zu über-
Geschäftsmodell primär auf Überwachung basiert. Das Unternehmen habe sich in kürzester Zeit zur „größten überwachungsbasierten Unternehmung der Menschheitsgeschichte“ aufgeschwungen (Lanchester 2017: 8).
sehen, dass es sich hier um einen Organisationskomplex handelt, an dem staatliche Überwachungsagenturen ebenso – und teilweise in Abstimmung mit den Unternehmen – partizipieren, wie Snowdens Enthüllungen über die NSA und ihre Verbündeten vor Augen geführt haben (Beyes 2018). Die Sammlung von Datenmassen und ihre softwarebasierte Auswertung eint die Unternehmen des so genannten Plattform-Kapitalismus (Srnicek 2017) mit staatlichen und überstaatlichen Verwaltungen und Einrichtungen.
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Mit Nigel Thrift lässt sich vor diesem Hintergrund über die Emergenz eines security-entertainment complex spekulieren. Er bezeichnet, in Thrifts Worten, „eine Ära des permanenten und pervasiven Krieges und der permanenten und pervasiven Unterhaltung“ (2011: 11). Sicherheits- und Unterhaltungssektor hätten gemein, dass ihre Arbeit auf der Allgegenwart und Verfügbarkeit von Daten und den nachrichtendienstlichen Mitteln der Informationsgewinnung basiere. Sie teilten daher die Formen und Resultate des intelligence gathering, seine Forschungsstrategien und Softwarecodes. Die Strategien, Methoden und Codes sind geheim, wie auch das Wissen, das durch sie angehäuft wird, sowie die Weisen seiner Verwendung. Doch zeitigt dieser Modus der Überwachung und der Anhäufung geheimen Wissens Effekte, über die zu reden ist: Er erlaubt die Akkumulation vermeintlich präzisen Wissens über potentielle (kommerzielle, nachrichtendienstliche, kriegerische) Beute und ihre Habitate sowie über den Grad ihrer Abweichung von Normen der Konformität und des Gehorsams (Caygill 2015: 36). Geheimnistheater Mit Simmel gesprochen ist das Geheimnis nicht nur ein Operator des sozialen Lebens und der gesellschaftlichen Entwicklung; es markiert auch die treibende Kraft von Top Secret International. Die Frage des Postdemokratischen wird damit zunächst suspendiert. Gewiss, zentrale Entscheidungen fallen im Verborgenen; ein Schleier der Intransparenz umgibt insbesondere wirtschafts- und sicherheitspolitische Abstimmungsprozesse. Doch aus einer Perspektive, die von der Unhintergehbarkeit des Geheimnisses und geheimer Gesellschaften ausgeht, entspricht das einer eher banalen Beobachtung. Arkanpolitik ist nichts Neues, und die Entwicklung von Geheimdiensten modernen Typs ist gleichursprünglich mit der Emergenz zivilgesellschaftlicher Öffentlichkeit und ihrer Forderungen nach Transparenz, Partizipation und demokratischen Abstimmungsprozessen. Interessanter und provokativer scheint mir die Verwebung spezifischer Modi und Effekte des Geheimnisses zu sein, die Top Secret International vornimmt. Mit der Montage unterschiedlicher Stimmen, Narrative und Affekte aus der Welt von Geheimdiensten und Sicherheits- und Überwachungstechnologien gelingt das auf stupende Weise, auch weil das Publikum zu Mitwissern und Mitspielern gemacht wird. Auf einen Begriff gebracht, würde ich von einem Geheimnistheater sprechen. Als Geheimnistheater ist es gleichermaßen ein dokumentarischesTheater des Verrats und der Enthüllung und eine Inszenierung der sozialen, affektiven und politischen Kraft der Geheimhaltung. Wie ich nachzuzeichnen versucht habe, spielt die treibende Kraft des Geheimnisses dabei auf individueller, organisationaler, staatlicher und medientechnologischer Ebene. Insbesondere die letztgenannte Dimension wirft beunruhigende Fragen auf. Vielleicht gilt es, der melancholischen Diagnose postdemokratischer Zustände, die sich auf vergangene Zeiten einer vermeintlich größeren Transparenz und Partizipation sowie eines funktionsfähigen öffentlichen Raums bezieht, eine geheimnistheoretische Volte anheimzustellen. Die Analyse des Postdemokratischen ist zu ergänzen um ein Verständnis prädemokratischer Formen des Geheimnisses, der Intransparenz und der Nicht-Partizipation (Beyes u. Pias 2014). Das Postdemokratische, wie es in dieser Lesart in Top Secret International verhandelt wird, umfasst dann weniger eine bloße Wiederkehr solcher Formen, die nie weg waren. Es äußert sich eher in ihrer Verstärkung und in ihrer neuen Gestalt durch ein technologisch bedingtes Arkanum.
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Staat 2
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Gesellschaftsmodell GroĂ&#x;baustelle
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Der Berliner Flughafen, das italienische „Generationenprojekt“ A3 oder die Fußballstadien von Qatar: Was erzählen Großbaustellen über unsere Gesellschaft – ihre verborgenen Choreografien verschobener Fertigstellung und Kostenkorrekturen, die komplexen Verflechtungen wirtschaftlicher und politischer Akteure, die undurchsichtigen Verbindungslinien in alle Welt – über unsere Gesellschaft? Warum bauen Staaten und für wen? Was geht vor: Partizipation oder Masterplan? Gesellschaftsmodell Großbaustelle sucht nach einer aktuellen gesellschaftlichen Verfasstheit und schickt das Publikum mit acht Experten auf szenische Baustellenführungen über die Simultanbühnen eines sich immer weiter auffächernden Raumes: Ein rumänischer Bauarbeiter (Marius Ciprian Popescu) nimmt die Zuschauer mit zum Fliesenverlegen, um von Über stunden und Schwarzarbeit zu erzählen; eine Anlageberaterin (Sonja-Verena Breidenbach) entwirft eine Kostennutzenrechnung für Investitionen in „Betongold“; ein Baurechtler (Jürgen Mintgens) führt Zuschauer in den „Kampfsport Nachtragsforderungen“ ein; der ehemalige Entrauchungsplaner des Berliner Flughafens BER (Alfredo Di Mauro) rekonstruiert seine Baustelle, um das eigene Bauernopfer gegenüber der Politik zu verstehen; eine chinesische Performerin (Fang-Yun Lo) probt eine Choreographie der Wanderarbeiter; ein Anwalt (Andreas Riegel) wirft einen Blick hinter die Kulissen des größten Korruptionsfalles in Nordrhein-Westfalen; ein Stadtsoziologe (Dieter Läpple) schaut von einer Schweizer Übersichtsterrasse in Singapur aus auf einen Masterplan für postfossiles Bauen. So entsteht ein räumliches Wimmelbild, an dem wiederum ein Ameisenforscher (Reiner Pospischil) aufzeigt, wie ein Staat bauen könnte, dessen Bewohner Partizipation nicht als Summe von Partikularinteressen verstehen.
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LOGBUCH
11. Februar 2016, Berlin Kein Gespräch über Großbaustellen, bei dem nicht der Berliner Flughafen erwähnt wird, dessen Eröffnung für 2011 geplant war und mittlerweile für 2020 angekündigt wird. Treffen mit Jochen Köhn, Architekt bei Gerkan, Marg und Partner (gmp) in Berlin. Beim Neubau des
Wilma Renfordt, Stefan Kaegi
Flughafens Berlin Brandenburg war er zuständig für das Vertragsmanagement. Was genau schieflief, kann auch dieses Gespräch nicht klären. Zwei Zahlen geben allerdings eine erste Ahnung: Für gmp als Generalunternehmer des Neubaus arbeiteten eine dreistellige Zahl von Unternehmen mit mehreren tausend Mitarbeitern, als
Berlin –> Düsseldorf –> Singapur –> Essen –> Mönchengladbach –> Oberhausen –>
das Büro 2012 aus dem Projekt ausschied. Das Gespräch verdeutlicht grundsätzliche Probleme,
Düsseldorf –> Wuppertal –> Düsseldorf –>
die auch viele weitere Gesprächspartner benennen wer-
Rumänien –> Katar –> Offenbach –>
den: Großbaustellen sind unfassbar komplexe Gefüge,
Ameisenhaufen –> Duisburg –> Cannes
deren Beteiligte sich die Verantwortlichen zu großen Teilen nicht frei aussuchen dürfen – zumindest nicht bei Bauvorhaben der öffentlichen Hand. Das Vergaberecht bestimmt, dass der Zuschlag für Bauleistungen an den wirtschaftlichsten Anbieter gehen muss. In der Realität ist das oftmals der billigste, nicht der beste. Aufträge werden in immer kleineren Portionen vom Bauherren über den Generalunternehmer bis zum Sub-Sub-Subunternehmer weitergereicht, bis am Ende kaum noch überschaubar ist, wer überhaupt auf der Baustelle tätig ist. Und warum wird obendrein alles immer teurer, als es zu Beginn in der Zeitung stand? Jochen Köhn: „Hans Stimmann, der ehemalige Berliner Senatsbaudirektor, hat für das Bauwesen den Begriff der ‚politischen Lyrik‘ geprägt. Damit meinte er: Neunzig Prozent der Projekte würden nicht realisiert, wenn die tatsächlichen Kosten von Anfang an ehrlich kommuniziert würden.“
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Das Baugeschäft kostet viel Zeit und nimmt wenig Rücksicht.
27. April 2016, Bundesministerium
wird von Investoren gerne eingekauft. Bei der Umset-
Nachfrage beim Bundesministerium für Verkehr und di-
zung gibt es allerdings immer wieder länderspezifische
gitale Infrastruktur. Dort wurde 2013 die „Reformkom-
Probleme zu bekämpfen. Zurzeit ist er Projektleiter in
mission Bau von Großprojekten“ ins Leben gerufen, da
Singapur, es entsteht ein Wohn- und Bürokomplex, der
man sich angesichts einer „Reihe aktueller Bauprojekte
insgesamt eine Milliarde Euro kosten wird. Zwar sind
mit erheblichen Kosten- und Terminüberschreitungen“
die bürokratischen Hürden geringer als in Deutschland
die Frage stellte, „ob oder inwieweit es strukturelle Defi-
und der Bau schreitet schnell voran – dafür müssen sich
zite bei Planung und Realisierbarkeit von Großprojekten
die Planer aber immer wieder mit einer Ausführungs-
in Deutschland gibt“. Die Antwort lautet offenbar Ja, denn
qualität arrangieren, die nicht den ursprünglichen Erwar-
in ihrem Abschlussbericht fordert die Kommission von
tungen entspricht. Das führt dann mitunter, so unser Ge-
allen Beteiligten „einen grundlegenden Kulturwandel“,
sprächspartner, zu einem „basarhaften Ändern der
unter anderem: mehr Kooperation, Vergabe an den wirt-
Planung“. In Australien etwa, wo er ein Hochhaus gebaut
schaftlichsten, nicht den billigsten Anbieter, klare Zustän-
hat, ist der Markt für Baufertigteile viel kleiner als in
digkeiten und mehr Transparenz. Im Gespräch mit Iris
Europa, so dass oft keine Industrieprodukte zur Verfü-
Reimold und ihren Kollegen lernt das Rechercheteam au-
gung stehen – man behalf sich mit der „Hinterhofschlos-
ßerdem eine neue Figur kennen: den Nachtragsdetektiv.
serei“. In Japan wiederum sah er sich mit extrem hohen
Wie wir später von Rechtsanwalt Jürgen Mintgens erfah-
Qualitätsansprüchen und einer Detailversessenheit kon-
ren werden, suchen mitunter ganze Abteilungen detekti-
frontiert, die ihm in Deutschland noch nicht begegnet
visch nach Lücken in Leistungsverzeichnissen: Wo ist
war. Trotz aller Unwägbarkeiten: Am Ende prangt auf
mehr zu tun, als in der Ausschreibung angegeben? Was
allen Gebäuden das Siegel seines Büros und so reist der
dauert länger? Denn in diesen Fällen können Auftragneh-
Projektleiter regelmäßig zu den ausführenden Architek-
mer für ihre Bauleistungen mehr verlangen, als sie in
ten und Bauunternehmen vor Ort, um den Baufortschritt
ihrem ursprünglichen Angebot kalkuliert haben. Das Pro-
mit der Planung abzugleichen. Für eine Beteiligung als
blem: Die Gewinnzone beginnt für Baufirmen oft erst mit
Darsteller bei unserem Projekt hat er leider keine Zeit.
diesen sogenannten Nachträgen.
Das Baugeschäft kostet viel Zeit und nimmt wenig Rücksicht.
3. Mai 2016, Düsseldorf/Singapur Wer im Ausland baut, muss sich auf veränderte Bedin-
21. Juni 2016, Essen
gungen einstellen. Der Architekt, den wir heute treffen,
Bei Großbaustellen ist dieser Blick aufs Ganze unmöglich.
hat damit langjährige Erfahrung. Wir treffen ihn im Kon-
Allerdings hat man uns bei der Reformkommission des
ferenzzimmer mit weitem Blick über die Stadt. „Das Aus-
Bundesministeriums ein Zauberwort verraten, das dies
land ist einfach ein größerer Markt“, sagt er. „Deutsche
ändern soll: BIM. In Essen treffen wir Dirk Schaper, Ge-
Planungsleistungen genießen außerdem weltweit gutes
schäftsführer der Hochtief ViCon GmbH und leidenschaftli-
Ansehen und sind vergleichsweise günstig.“ Sein Büro
cher Verfechter dieses BIM, des Building Information Mo-
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deling, das er mit seiner Firma anbietet. „BIM ist eine Phi-
chen oder der MIPIM in Cannes „bieten Städte wie Mön-
losophie, ein soziokulturelles Unterfangen“, sagt Schaper.
chengladbach deshalb Flächen auf bunten Bildern an,
Oder, prosaisch: eine Planungsmethode, nach der alle
auf denen man“, so Bonin, „sein Geld gut investieren
Daten eines geplanten Bauwerks digital erfasst, in 3D-Mo-
kann.“ Für Mönchengladbach, das sich uns auf dem Weg
dellen visualisiert und unter den Projektbeteiligten ausge-
vom Bahnhof zum Rathaus eher verhalten präsentiert
tauscht werden können. Das heißt: Wenn der Architekt
hat, schwebt Bonin bereits ein neues Bild vor. Hinter
eine neue Tür plant, erfährt der Haustechniker automa-
dem Hauptbahnhof soll ein künstlicher See angelegt
tisch, dass hier kein Heizkörper mehr stehen kann. Klingt
werden, drumherum Wohn- und Geschäftsgebäude. Das
sehr praktisch und ist genau das, was die Reformkommis-
Sujet: Stadt am Wasser.
sion sich als Vorgehen für die Zukunft wünscht. Aber die Bauwirtschaft ist, so Schaper, „änderungsresistent“.
22. Juni 2016, Oberhausen Der erste Baustellenbesuch – das Corpus Delicti aus un-
21. Juni 2016, Mönchengladbach
mittelbarer Nähe. Mit Carsten Machentanz und Ilias
Worum geht es bei Bauprojekten? Für wen wird gebaut?
Abawi von der Emschergenossenschaft fahren wir auf
Und aus welcher Motivation? Für Gregor Bonin, von
einer Brache südlich der A 42 in Oberhausen per Bau-
2006 bis 2015 Planungs- und Baudezernent der Stadt
stellenaufzug gut dreißig Meter in die Tiefe einer riesi-
Düsseldorf, sind die unterschiedlichen, bisweilen kon-
gen Baugrube. Machentanz ist Projektleiter für einen
trären Interessen von öffentlicher Hand, Investoren und
zehn Kilometer langen Abschnitt des unterirdischen Ab-
Bürgern tägliches Brot. Wir treffen Bonin im Rathaus
wasserkanals, der die Emscher nach 28 Jahren Bauzeit
Rheydt in Mönchengladbach, wo er kurz zuvor dasselbe
bis 2020 von Abwässern befreien und die Renaturierung
Amt übernommen hat. An den Türen künden Aufkleber
des betonierten Flussbetts ermöglichen wird. Am Boden
mit dem Logo „mg+ Wachsende Stadt“ bereits vom Elan
der Grube fräst eine Vortriebsmaschine zwei raumhohe
des neuen Amtsinhabers: „Baudezernenten sind Triebtä-
Röhren ins Erdreich, eine Grubenbahn liefert die Beton-
ter!“ Er handele aus Leidenschaft für die Stadt, sagt der
teile zur Auskleidung der Röhren an – für uns leider un-
studierte Architekt, und will ihr vor allem wirtschaftliche
sichtbar, da die Maschine sich schon mehrere hundert
Vorteile bringen: „Stadtplanung ist ein Produkt, das be-
Meter vorgearbeitet hat. Machentanz und sein Team ver-
worben werden muss. Wir müssen alles so aufstellen,
brauchen hier in drei Jahren genug Stahl für eine Replik
dass wir am Markt überleben, Gewinne generieren und
des Eiffelturms und eine Menge Beton, aus der man den
Arbeitsplätze schaffen.“ Dafür braucht es die Investoren,
Kölner Dom nachbauen könnte. Bislang läuft alles nach
laut Bonin ein „sensibles Gut“, das mit Vertrauen und
Plan. Eine Abwasserleitung ist kein Prestigeprojekt.
einem guten zwischenmenschlichen Verhältnis gepflegt werden will: „Sie folgen Vorlieben und Emotionen, sie
22. Juni 2016, Landgericht Düsseldorf
wollen ein schönes Projekt machen und sich verwirkli-
Ums große Geld geht es auch bei unserem Besuch am
chen.“ Auf Immobilienmessen wie der Exporeal in Mün-
Landgericht Düsseldorf. Verhandelt wird die Korrupti-
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Bislang läuft alles nach Plan.
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onsaffäre um den landeseigenen Bau- und Liegen-
mittlerweile als Subunternehmer selbstständig. Doch zum
schaftsbetrieb (BLB). Im Zentrum der Vorwürfe steht der
vereinbarten Termin erscheint er nicht und ist auch telefo-
ehemalige BLB-Geschäftsführer Ferdinand Tiggemann,
nisch nicht mehr zu erreichen. Beim nächsten Aufenthalt
der Informationen über geplante Bauvorhaben des Lan-
in Düsseldorf telefonieren wir mit einem ehemaligen Po-
des an einen kriminellen Immobilienmakler weitergege-
lier, der am Telefon in Aussicht stellt, Details zu zahlreichen
ben haben soll, um Kaufpreise durch illegale Abspra-
halblegalen bis kriminellen Geschäftspraktiken zu berich-
chen zum Vorteil des Maklers in die Höhe zu treiben.
ten. Bei einer Nachfrage zu seiner Identität legt er auf. Ein Fachbauleiter im Ruhestand hingegen erzählt umso plasti-
23. Juni 2016, Wuppertal
scher aus seinem Berufsleben. Zum Abschied drückt er
Die Besichtigung der Baustelle rund um den Wupperta-
uns eine handgezeichnete Bildergeschichte in die Hand, in
ler Hauptbahnhof scheitert für die Kollegin mit Schuh-
der die Inhaber eines kleinen Geschäfts hinterhältig dazu
größe 41 beinahe am Fehlen der passenden Sicherheits-
gebracht werden, ihr Grundstück zu einem Dumpingpreis
schuhe. Frauengrößen sind auf Baustellen nach wie vor
an einen Investor zu verkaufen.
rar. Beim Döppersberg, wie das Projekt zur Umgestaltung des Bahnhofsumfelds heißt, ist die Verantwortliche
23. Juni 2016, DGB, Düsseldorf
allerdings eine Frau: Architektin Irene Baumbusch ist für
Reinhard Steffen empfängt uns im DGB-Gebäude un-
alle städtischen Hochbauvorhaben an diesem Standort
weit des Düsseldorfer Hauptbahnhofs. Der Gewerk-
zuständig. In der sengenden Mittagshitze besichtigen
schaftssekretär ist der erste Gesprächspartner, der aus
wir mit ihr das, was von der neuen Eingangshalle des
erster Hand von den skandalösen Arbeitsbedingungen
Bahnhofs, der Verkehrsführung und dem Parkhaus be-
auf einigen Großbaustellen zu berichten weiß, die uns
reits zu sehen ist. Drumherum ein reges Treiben mit Bag-
bislang nur gerüchteweise oder aus der Presse bekannt
gern, Lastwagen und Kränen, ein Geschehen, das Ferdi-
sind. Einer seiner tragischsten Fälle: Im März 2010 baten
nand Tönnis, Niederlassungsleiter bei Zechbau, in einem
sieben rumänische Bauarbeiter die Gewerkschaft um
späteren Gespräch als „kleine Fabrik“ bezeichnen wird,
Hilfe, weil sie seit drei Monaten auf der Baustelle eines
die bei seinen Projekten meist einhundert bis zweihun-
Kölner Seniorenwohnheims arbeiteten, aber noch kei-
dert Mitarbeiter beschäftige und einen monatlichen Um-
nen Cent Lohn gesehen hatten. Der Generalunterneh-
satz von drei bis vier Millionen Euro generiere. „Als Ge-
mer, Tochter einer großen deutschen Unternehmens-
neralunternehmer handeln wir mit Bauleistungen“, sagt
gruppe, hatte eine Malerfirma aus dem Sauerland mit
Tönnis: „Es geht um Ankauf und Verkauf.“
den Trockenbauarbeiten beauftragt, die wiederum eine rumänisch geführte Firma mit Sitz in Düsseldorf beauf-
23. Juni 2016, Telefon
tragt hatte, die sieben Rumänen anzuwerben, sich aber
Bereits während der ersten Recherchereise nach Düssel-
beharrlich weigerte, die Arbeiter zu bezahlen. Die IG
dorf sind wir mit einem Handwerker verabredet. Der Elek-
BAU informierte den Zoll, der die Baustelle am darauf-
triker arbeitet seit dreißig Jahren auf dem Bau und ist
folgenden Tag kontrollierte. Nach der Kontrolle berichte-
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ten die Arbeiter, dass der rumänische Mittelsmann aus dem achten Stock des Hauses gesprungen sei, in dem sie gemeinsam auf knapp fünfzig Quadratmetern wohnten. Den Sturz überlebte er nicht. Die Arbeiter hatten keine gültigen Arbeitsgenehmigungen, nur Meldebescheinigungen und Gewerbeanmeldungen, waren also als selbstständige Unternehmer gemeldet – ohne sich dessen bewusst zu sein. Nach Mindestlohntarif Bau und den schriftlich angegebenen Stunden wurden Lohnforderungen in Höhe von mehreren tausend Euro pro Kopf ermittelt. Reinhard Steffen konnte schließlich einen Vergleich aushandeln, so dass die Arbeiter zumindest einen Teil des vereinbarten Lohns erhielten und nach Rumänien zurückkehren konnten. 24. Juni 2016, Kö-Bogen Ein Projekt, das Gregor Bonin in Düsseldorf mit großer Leidenschaft verfolgt hat, ist der Kö-Bogen: Architektur von Daniel Libeskind, 1A-Innenstadtlage auf einer ehemaligen Straßenbahnkehre am Ende der Kö, nun exklusiver Büro- und Einzelhandelsstandort. In einem nigelnagelneuen Büroriegel an einer Düsseldorfer Ausfallstraße treffen wir Stefan Mühling, Gründer und Geschäftsführer von „die developer“ und damit Entwickler des Kö-Bogens. Nach zwanzig Jahren als Projektentwickler beim Strabag-Konzern ergriff Mühling 2007 die Gelegenheit, sich mit der Kapitaleinlage seines Geschäftspartners Kurt Zech selbstständig zu machen. Die Finanzkrise war für die junge Firma Glück im Unglück: 2008 wurde das Grundstück für den Kö-Bogen zur Bebauung ausgeschrieben, von 17 Interessenten gaben aufgrund der schwierigen Situation am Kapitalmarkt nur zwei ein Angebot ab. Das Gebäude konnte 2013 fristgerecht fertiggestellt werden, heute gehört es zwei berufs-
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ständischen Versorgungswerken: „Wir bauen am Ende
17. August 2016, Offenbach
für den institutionellen Markt, also deutsche Fonds“, sagt
Die erste Skizze für die Wunschbesetzung steht. Unter
Mühling. „Sicherheit in Kombination mit einem langfris-
den offenen Positionen: jemand, der an Großprojekten
tig stabilen Cashflow wird dort hoch bewertet, was in
persönlichen Schaden erlitten hat. Alfredo di Mauro ist
den letzten Jahren zu stark gestiegenen Immobilienprei-
unter keiner der im Netz auffindbaren Nummern zu er-
sen geführt hat.“ Auch die Family Offices der Superrei-
reichen. Tweet an seinen Account: „@dimauroalf Ich re-
chen wollen gerade investieren: „Ein Haus aus Steinen
cherchiere für ein Theaterstück zu Großbaustellen u.
löst sich nicht in Luft auf, eine Aktie vielleicht schon.“
wäre sehr neugierig auf Ihre Perspektive zum BER. Nä-
Und das ist einer der Gründe, weshalb derzeit so viel ge-
heres gern per dm!“ Di Mauro meldet sich umgehend
baut wird.
zurück. Sein Offenbacher Büro macht seit dem Flughafendebakel „Verschnaufpause“, daher sind auch alle Lei-
5. Juli 2016, Rumänien
tungen tot. Gern aber möchte di Mauro in der Öffentlich-
Telefonat mit Catalina Guia. Sie ist Beraterin im Projekt
keit klarstellen, was aus seiner Sicht zu der Misere am
„Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“ des DGB
BER geführt hat.
und damit erste Ansprechpartnerin für Arbeitnehmer aus Osteuropa, die in Deutschland mit unfairen bis kri-
22. September 2016, Ameisenhaufen
minellen Arbeitsbedingungen zu kämpfen haben. Auf
Ebenfalls auf der Wunschliste: ein Ameisenforscher. Denn
unsere Bitte ist Guia sofort bereit, nach einem Arbeit-
wenn wir im Lauf der Recherche eines bereits verstanden
nehmer zu suchen, der an unserem Projekt als Darstel-
haben, dann dass Menschen immer wieder an der Kom-
ler teilnehmen könnte. So kommen wir schließlich mit
plexität von Großprojekten scheitern und es offenbar
Marius Ciprian Popescu in Kontakt – der erste Inter-
gern versäumen, ihre Partikularinteressen im Rahmen
viewpartner, der mit Fug und Recht behaupten kann,
des gemeinsamen Vorhabens zurückstellen. Wären Amei-
ein ganzes Haus von Anfang bis Ende gebaut zu
sen also womöglich die besseren Baumeister? Der Geo-
haben.
loge Ulrich Schreiber von der Universität Duisburg-Essen ist neugierig auf unsere These, Besuch am Institut für Bio-
Sommer 2016, Katar
logie. Leider, so muss Schreiber uns enttäuschen, können
Sehr gern hätten wir, zumindest per Video, auch Einbli-
wir von den Ameisen nicht viel lernen. Denn ihr Erfolg be-
cke in das Geschehen auf der Baustelle Berliner Schloss
ruht auf einem genetischen Programm: Durch Fütterung
oder vom Stadionbau für die Fußball-WM 2020 in Katar
nach der Geburt werden bestimmte Gene aktiviert, die
erhalten und an das Publikum weitergegeben. Doch hier
einzelne Ameisen für ihre Bau-Arbeit spezialisiert. Der In-
war nichts zu machen. In unserer Projektbeschreibung
genieur hinter den komplexen Riesennestern ist die Evo-
sei von „Kostenüberschreitung und Zeitverzug“ die
lution. Dabei funktioniert die einzelne Ameise wie eine
Rede, schreiben uns die Pressesprecher. Damit hätten
Körperzelle: „Der Staat ist der Körper, die einzelne
ihre Baustellen nichts zu tun.
Ameise ist nichts“, sagt Schreiber. Faule Arbeiterinnen
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werden aussortiert. Demokratie? „Können die nicht.“ Wir
wo Städte um Investorenmillionen für ihre Infrastruktur-
denken zurück an einen Termin bei der IG BAU im Juni.
projekte buhlen. Wir scheuen den Eintrittspreis von fast dreitausend Euro und bewerben uns für eine Akkreditie-
21. November 2016, Transparency International
rung als Journalisten. Wir versichern der Pressestelle,
Die Hälfte der Besetzung steht: Der Stadtforscher Dieter
dass unsere Form des dokumentarischen Theaters ge-
Läpple sowie Alfredo di Mauro, Jürgen Mintgens und
nauso objektiv zu sein versucht wie andere Medien. Ver-
Marius Ciprian Popescu sind dabei. In den Folgemona-
geblich. Wir lassen es uns aber nicht nehmen, vor Ort ein
ten stoßen Sonja-Verena Breidenbach, Produktspezialis-
paar Videoaufnahmen der eleganten Manager am Haupt-
tin für institutionelles Immobilien-Asset-Management,
eingang zu machen. Und wie durch ein Wunder gelangen
die Choreografin Fang-Yun Lo, der Insektenexperte Rei-
wir gratis über den Strand und das Messecafé vorbei an
ner Pospischil und Andreas Riegel hinzu, der sich bei
den funkelnden Stadtmodellen von Dubai, 3D-Simulatio-
Transparency International engagiert.
nen von Moskauer Logistikhubs und den Cocktailbars englischer Städte zu einem kleinen weißen Tresen mit ein
19. Januar 2017, Duisburg Nachgehakt beim nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten Stefan Engstfeld, Vorsitzender der Grünen Fraktion im BLB-Untersuchungsausschusses: Wie konnte das passieren? Mit der Konstruktion des BLB wurde, so Engstfeld, seinerzeit Neuland betreten, weswegen es notwendig war und weiterhin ist, die strukturelle Ausgestaltung immer wieder auf Optimierungsbedarf zu überprüfen, um so ein Höchstmaß an Transparenz und notwendiger Kontrolle zu gewährleisten. Mit ausreichend krimineller Energie kann allerdings nahezu jedes System unterlaufen werden. So sind beim Bau des Düsseldorfer Landgerichts, in dem Tiggemann schließlich nach seiner Verurteilung im Februar 2017 verhaftet wird, Schmiergelder geflossen. Geschichten, wie sie sich das Theater nicht besser ausdenken könnte. Allerdings sind dem Land NRW durch dieses Theater viele Millionen Euro Schaden entstanden. 14. März 2017, Cannes Die Proben haben vor einer Woche begonnen, Abstecher zu Europas größter Immobilienmesse MIPIM in Cannes,
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paar eher unauffälligen Bildern, darüber steht: Düsseldorf.
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STÜCKAUSZUG
An ein Wimmelbild könnte man denken,
Off-Stimme:
wenn man von oben auf die laufende Vor-
modell Großbaustelle. Sie befinden sich auf einer
stellung sehen würde: Die Zuschauer sind
Baustelle, das ist eine Gefahrenzone. Deshalb bit-
in acht Gruppen auf der ganzen Simultan-
ten wir Sie, den Anweisungen Folge zu leisten und
bühne verteilt und bewegen sich, während
die markierten Sicherheitsbereiche zu respektie-
sie die Beiträge über Kopfhörer zugespielt
ren. Für die Dauer der Führung werden Sie in die-
kriegen, gleichzeitig durch den Raum.
ser Gruppe bleiben! Behalten Sie sich gegenseitig
Nach jeweils zwölf Minuten wechseln
im Auge. Sollten Sie unterwegs Probleme mit
die Gruppen zu der nächsten Station
dem Weg oder mit der Ausrüstung haben, können
und die Baustellenbesichtigung beginnt
Sie sich jederzeit an unser Sicherheitspersonal in
von Neuem. Der Stückauszug gibt die
den leuchtfarbigen Sicherheitswesten wenden.
Möglichkeit, die acht Perspektiven
Wir bitten Sie, für die Dauer der Führung Ihr
parallel zu lesen.
Mobiltelefon auf lautlos zu schalten.
Willkommen im Gesellschafts-
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Sonja Breidenbach/ Investitionen:
Reiner Pospischil/ Schädlingsbekämpfung:
Andreas Riegel/ Transparency International:
Fang-Yun Lo/ Wanderarbeit:
Sie lässt die Leute rein. Sie begin-
Liebe Kolleginnen und Kollegen
Publikum liegt auf kleinen Isomat-
nen in Immobilienmagazinen zu
hier am Kongress für angewandte
ten am Boden.
blättern. Es ist eher dunkel im Raum,
Insektenkunde. Ich heiße Reiner
so dass man die Kugel gut sieht. Auf
Pospischil und beschäftige mich
der Kugel sieht man schon ein paar
schon ein halbes Jahrhundert mit
Stände, nicht nur den Strand.
Insekten und ihrer Baukunst. Dreißig Jahre lang habe ich in einem großen Chemiekonzern im Bereich
0.00
der Schädlingsbekämpfung gear-
0:00
0:00
Fahrstuhlklassik wird leiser.
beitet, und das ist hier meine
Willkommen hinter der Kulisse.
Nihao. Mein Name ist Fang-Yun Lo.
Herzlich willkommen! Ich heiße
Firma: Pest Management Soluti-
Stellen Sie sich vor, Sie sind ein ein
Wer ich genau bin, spielt keine
Sonja Breidenbach. Auf meinem
ons. (T-Shirt zeigen.)
investigativer
Hier
Rolle. Aber ich stehe für 170 Millio-
Schreibtisch im Büro liegen viele
Wer Schädlinge bekämpfen will,
hängt das Gerüstnetz vor ihren
nen Wanderarbeiter. Willkommen
solcher Magazine. Ich arbeite seit
muss sich damit beschäftigen, wie
Augen wie ein Schleier. Das Netz
in China.
gut 15 Jahren im institutionellen
sie leben und wie sie zu Schädlin-
ist nur teilweise transparent. So
Machen Sie es sich bequem.
Immobilien-Asset-Management.
gen werden. Die Ameisen galten in
wie die Bauwirtschaft. Jetzt schauen
Legen Sie sich ruhig hin.
Heute möchte ich ein Spiel mit
meiner Arbeit immer als Schäd-
Sie mal runter: Was sehen Sie da
Schließen Sie jetzt die Augen.
Ihnen spielen, in dem Sie in die
linge, ich sehe sie heute eher als
unten?
Stellen Sie sich die grünen Berge
Rolle von Investoren schlüpfen.
Nützlinge. Aber schauen wir uns
Journalist.
von Sezuan vor.
jetzt mal diese Spezies hier an: den
0:20–0:40 Riegel steigt ins sicht-
Stellen Sie sich ein kleines Dorf vor.
Menschen!
bare Feld.
Atmen Sie tief durch.
Strandvideo MIPIM
Sie sehen nicht alles. Korruption
Die Luft ist sehr gut.
Warum sind Investoren bei Politi-
sieht man nicht.
kern so beliebt?
Sehen Sie mich? (winken) Ich bin
Hier sehen wir die MIPIM in Cannes.
hier auf dem Kran.
Das ist die größte Immobilien-
Mein Name ist Andreas Riegel. Ich
messe der Welt. Hier an diesem
komme aus einer Juristenfamilie
Strand sind jedes Jahr im März
und bin Anwalt geworden, in der
auch viele Investoren unterwegs.
Hoffnung,
Sie sind auf der Suche nach Ren-
Rechtsstaat leisten zu können. Und
dite.
ich habe lange geglaubt, dass der
0:30
84 | Staat 2
▾
▾
einen
Beitrag
zum
▾
▾
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:43 Seite 85
Alfredo Di Mauro/ Gebäudetechnik:
Marius Ciprian Popescu/ Innenausbau:
Jürgen Mintgens/ Baurecht:
Dieter Läpple/ Stadtentwicklung:
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Sehen Sie mich? Ich bin von Ihnen
Mein Name ist Popescu Ciprian Ma-
Hören Sie mich alle? Sie fragen
Mein Name ist Dieter Läpple. Ich
aus gesehen ganz links, wo Sie her-
rius, und ich habe mein ganzes Leben
sich wahrscheinlich, warum ich Sie
bin Professor für internationale
gekommen sind. Auf der Besucher-
auf Baustellen verbracht. Sehen Sie
so fürsorglich mit den Vollkontakt-
Stadtforschung. In meinem Beitrag
terrasse. Ich winke Ihnen. Wer ganz
den Kran? Mein Vater war Kranführer.
Kampfsporthelmen polstere! Mein
zum Thema Großbaustellen werde
rechts sitzt, muss vielleicht aufste-
Als ich sieben Jahre alt war, durfte ich
Name ist Jürgen Mintgens. Ich bin
ich den Horizont verschieben: vom
hen, um mich zu sehen … Sehen
an einem Sonntag mit hinaufsteigen.
Fachanwalt für Bau- und Architek-
globalen Norden in den globalen
Sie mich jetzt? Dann winken Sie!
Da hinauf. Das war toll. Ein großarti-
tenrecht bei GTW Rechtsanwälte
Süden. Bitte: Zunächst von Berlin
Danke. Mein Name ist Alfredo Di
ges Gefühl, von oben auf die Welt hi-
und ich kämpfe gerne. Jedes Jahr
nach Addis Abeba.
Mauro, Planer für Gebäudetechnik,
nunter zu schauen. Die Menschen
verlieren bekanntlich Kommunen,
Und deshalb bitte ich Sie: Stellen
seit über vierzig Jahren. Vielleicht
waren so klein.
Ich komme aus Iași. Wer weiß, wo
Länder und Bund in Deutschland
Sie sich jetzt vor, Sie sind eine Re-
zwei- bis dreistellige Millionenbe-
gierungsdelegation aus Äthiopien.
das ist? Das ist die letzte Ecke von
träge durch Mehrkosten bei laufen-
Also: Meine Damen und Herren, Ich
neuen Berliner Flughafen geplant,
Europa. An der Grenze zwischen Ru-
dem Bauvorhaben – also Kosten,
schätze und liebe Ihr Land. Ich war
die angeblich an allem schuld sein
mänien und Moldawien. Mit zwan-
die erst im Bauverlauf entstehen
einige Male in Äthiopien und ar-
soll. Aber vorher habe ich die En-
zig Jahren bin ich nach Bukarest ge-
und die vorher keiner kalkuliert
beite seit Jahren mit Forschern
trauchung
Shopping-Center
fahren. Da habe ich die größte
hatte. Das sind die Kosten, die
Ihres Architektur-Instituts in Addis
Alexa in Berlin geplant. Und die
Baustelle meines Lebens gesehen:
jeden Bau teurer und teurer wer-
Abeba zusammen. Dadurch kenne
den lassen. Dagegen muss sich die
ich die Probleme und Stärken Ihres
kennen Sie mich aus der Presse. Ich habe die Entrauchungsanlage am
im
funktioniert wunderbar. Nur am Ber-
den Palast von Ceaușescu.
liner Flughafen ist alles schief ge-
öffentliche Hand verteidigen. Das
Landes.
laufen. 2013 stand ich noch auf einer
0:40–1:45 Bild: Palast auf Video
ist höchst kompliziert, aber darauf
Äthiopien gehört zu den ärmsten
solchen Besucherterrasse mit Politi-
Da habe ich verstanden, warum wir
habe ich mich spezialisiert. In Bau-
Ländern der Welt. Drei Viertel der
containern
Äthiopier haben weniger als zwei
kern und Managern vom Berliner
▾
in Iași manchmal keinen Strom hat-
▾
wie
diesen
finden
▾
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Staat 2 | 85
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:43 Seite 86
Sonja Breidenbach/ Investitionen:
Reiner Pospischil/ Schädlingsbekämpfung:
Andreas Riegel/ Transparency International:
Fang-Yun Lo/ Wanderarbeit:
0:40 Außenbereich der Messe
ab 0:40
Rechtsstaat für alle gleich funktio-
Städte sind im Wettbewerb um Ka-
Ameisengeräusche faden ein.
niert und sich alle gleich daran hal-
0:45
pital für ihre Entwicklungs- und In-
Ein Ameisenstaat wird meist mit
ten, wie die japanischen Kampf-
Es regnet fast jeden Tag.
frastrukturprojekte: Hier zum Bei-
tausenden von Arbeiterinnen be-
sportler da unten.
spiel die UK-Midlands, hier weht
setzt, und circa achtzig Prozent ar-
die Fahne für Warschau und hier
beiten unsichtbar im Untergrund.
Dubai.
Hier bei den Menschen dagegen
0:48 Regen
haben wir einen relativ kleinen Staat: 250 Tiere sind an der Oberfläche (und einige bewegen sich für unsere Augen unsichtbar da oben hinter der Gerüstfolie). Da oben (auf dem Kran) scheint ein Wächter nach Feinden Ausschau zu halten. Er beschützt wohl das Nest. Auf Baustellen wird ja auch viel gestohlen. Aber bei den Ameisen werden Nesträuber von den Wächterin0:55 Dubai-Bild
nen getötet oder vertrieben. Bei
Der Stand von Dubai ist besonders
den Menschen dagegen werden
imposant. Schauen Sie hier: Das ist
die Vergehen nur im Ausnahmefall
1:00 Salutation Baurecht-Gruppe
ein Stadtmodell so groß wie dieser
geahndet.
Bis vor 13 Jahren dachte ich, eini-
1:05
ganze Raum.
Es fällt auf, dass bei den Menschen
germaßen den Überblick zu haben.
Im Dorf leben auch Schweine …
auch Männchen als Arbeiter gedul-
Aber vor 13 Jahren habe ich am
det werden. Bei den Ameisen haben
Trienekens-Müll-Skandal gearbei-
1:10 Schweine
1:10 Innenbereich mit Düsseldorf
wir ja ausschließlich Arbeiterinnen,
tet, in dem Korruption bis in hohe
… und Hühner. (Hühner)
Die Stadt Düsseldorf ist ein wenig
also weibliche Tiere. Denn dort wer-
politische Ämter in einem Ausmaß
Sie wachsen auf in einer kleinen
bescheidener, trotz guter Nachbar-
den die Männchen nach der Be-
zum Vorschein kam, wie ich es mir
Hütte.
schaft zu Abu Dhabi und Moskau.
fruchtung nicht mehr gebraucht und
in Deutschland bis dahin nicht
Diese Hütte hat Ihr Vater aus Holz
Soviel zur Messe in Cannes. Und
sterben nach wenigen Wochen.
hätte träumen lassen. Seither bin
gebaut. Die ganze Familie baut
ich bei Transparency International
Grüntee an. Jeder verdient zehn
was ist jetzt Ihre Rolle in unserem
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86 | Staat 2
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TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:43 Seite 87
Alfredo Di Mauro/ Gebäudetechnik:
Marius Ciprian Popescu/ Innenausbau:
Jürgen Mintgens/ Baurecht:
Dieter Läpple/ Stadtentwicklung:
Flughafen. Neben mir stand hier
ten. Riesige Baumaschinen und
Schlachten um Mehrkosten statt!
Dollar pro Tag zur Verfügung. 85
Flughafen-Chef Mehdorn und wir
20 000 Arbeiter, vor allem Soldaten
Schlachten zwischen Bauunterneh-
Prozent Ihrer Einwohner leben
waren uns einig: Wir sind auf bes-
wie die hier mit den Helmen (Bau-
mern wie Herrn Di Mauro da drü-
noch auf dem Lande. Aber immer
tem Weg zur Eröffnung des Berliner
recht-Gruppe) haben den Palast
ben und der öffentlichen Hand. Es
mehr Menschen ziehen in die
Flughafens. Ein Jahr später behaup-
gebaut. Der Palast ist das größte
sind Schlachten um Steuergelder,
Städte, in der Hoffnung, Hunger
tete die Flughafengesellschaft und
öffentliche Gebäude der Welt: drei-
also um unser aller Geld. In meiner
und Armut zu entkommen. Ihre
die Politiker, die Entrauchungsan-
tausend Räume. 700 000 Tonnen
Freizeit bin ich begeisterter Kampf-
Städte sehen allerdings anders aus
lage funktioniere nicht und ich sei
Stahl. Eine Million Kubikmeter Mar-
sportler. Ich betreibe Kenpo-Karate
als
daran schuld. Dabei wurde meine
mor. Nicht nur 82 Meter hoch, son-
in Mönchengladbach. Und für eine
Hauptstadt auf diesem Werbepla-
Anlage gar nie getestet!
dern auch 92 Meter tief. Gekostet
bevor stehende Schlacht auf der
kat. Sie erleben vor allem eine Ver-
hat das 3,3 Milliarden Euro.
Baustelle möchte ich Sie in Kampf-
städterung der Armut, verbunden
Ceau escu wollte vor dem Palast
sport
jedem
mit einer Expansion von Selbst-
eine Champs-Éllysée wie in Paris.
Training stimmen wir uns mit der
bausiedlungen und Slums. Äthio-
Aber dort stand zu Baubeginn die
sogenannten Salutation auf die an-
pien steht vor der gewaltigen Auf-
Altstadt im Weg. Das hat die Bauar-
stehenden Kämpfe ein. Die „Salu-
gabe, für die Menschen, die in die
beiten blockiert.
tation“ können wir jetzt gerne ein-
städtischen Zentren drängen, Woh-
Kommen Sie, schauen Sie! (Sie
mal gemeinsam machen und uns
nungen, Schulen und Kranken-
stehen auf.)
so auf die Auseinandersetzungen
häuser
Stellen wir uns vor: Der Erdhügel
einstimmen:
bereitzustellen, den Verkehr zu or-
schulen!
Vor
diese
zu
Zukunftsvision
ihrer
bauen, Trinkwasser
mit den Bauerbeitern mit gelben
ganisieren und vor allem Arbeits-
Helmen da drüben ist die Altstadt
plätze zu schaffen. Ihre Städte sind
von Bukarest! Ein dutzend Kirchen
1:00 Gong
riesige Baustellen und Ihre zentrale
und drei Synagogen standen im
Tension. Wir ziehen das linke Bein
Frage ist: Wie kann man diese ra-
Weg. Und da wohnten Menschen
an das rechte. Down the horse and
sante Verstädterung gestalten? Sie
1:08 Flughafen
in 40 000 Wohnungen. Aber in
meditate. Ich meditiere mit Schild
haben deshalb als Regierungsdele-
Sehen Sie, da ist der Flughafen. Da
einer Diktatur war sowas kein Pro-
und Schwert. Close. Wir kehren die
gation eine Reise nach Singapur
geh ich jetzt mal hin. Die Gepäckan-
blem: Jetzt kommen die Bagger.
Handflächen nach außen. Saluta-
gemacht, wo ich seit fünf Jahren in
lagen! Die Flugbrücke! Alles fast fer-
tion! Ich nehme meine Waffen zu-
einem Forschungsprojekt zur Zu-
tig gebaut – seit Jahren! Die große
nächst zur Seite und zeige sie dann
kunft der Stadt mitarbeite. Sie, die
Treppe im Terminal … Zu Popescu:
meinem Gegner. Schlage mit den
„afrikanischen Löwen“, wollen von
Der Haufen muss auch noch weg.
Händen meinen Mantel nach hin-
dem
▾
▾
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erfolgreichen
„asiatischen
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Staat 2 | 87
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:43 Seite 88
Sonja Breidenbach/ Investitionen:
Reiner Pospischil/ Schädlingsbekämpfung:
Andreas Riegel/ Transparency International:
Fang-Yun Lo/ Wanderarbeit:
Spiel? Wir sind hier einige Wochen
und versuche, Menschen zu zeigen,
RMB – das ist ein Euro – pro Tag.
später in einem Investorenmee-
was unter der Oberfläche der Vi-
Der Tee wird jede Woche einmal im
ting. Auf der Messe wurden drei
deopräsentationen der Immobi-
Dorf abgeholt und über Chengdu
potentielle Projekte identifiziert, die
lienprojekte liegt. Sehen Sie diesen
nach Europa exportiert. Europa ist
für Investoren wie Sie interessant
Sandhaufen, da unten, auf dem die
sehr weit weg. Sie können sich
sein könnten.
Bauarbeiter mit den gelben Hel-
Europa
Jetzt nehmen wir einmal mal an:
men sitzen? Ein solcher Sandhau-
Deutschland kommen die Autos,
Sie hier, Sie sind der Kapitalvor-
fen befindet sich auf einer Bau-
heißt es. Seit es eine Straße durch
stand einer großen deutschen Ver-
stelle, in der Nähe von Düsseldorf.
das Dorf gibt, kommen immer
sicherung. Sie wollen möglichst
Wegen
mehr Autos.
zeitnah für fünfzig bis hundert Mil-
Schweigepflicht, darf ich nur nicht
lionen Euro Immobilien ankaufen.
sagen, wo. Mandanten von mir
Aber sie unterliegen sehr strengen
hatten mit der Baustelle zu tun, als
Risiko-Beschränkungen. Ihnen sitzt
es zum Eklat kam. Der Sand wurde
die Versicherungsaufsicht im Na-
angeliefert als gewaschener Rhein-
cken.
sand gemäß Bestellung für den
Nehmen wir weiter an: Ihre Kolle-
Gartenbereich, in dem später Kin-
gin rechts von Ihnen trifft die Kapi-
der spielen sollten, da wo jetzt die
tal-Entscheidungen für eine Pensi-
Bauarbeiter sitzen. Nun werden Sie
onskasse. Ihr Portemonnaie ist
gleich sehen, dass nicht alle an
etwas kleiner.
dem Sand ihre Freude haben.
meiner
anwaltlichen
nicht
vorstellen.
Aus
Sie ist mit zwanzig bis vierzig Millionen Euro dabei. Sie hat ein ähnliches Problem wie der Versicherer. Trifft sie eine falsche Entscheidung, steht sie morgen in der Presse. 2:00–2:10 Gebäudetechnik-Gruppe
Denn sie arbeitet hier mit den Rentengeldern einer ganzen Genera-
2:10 Gebäudetechnik-Gruppe geht
steht auf und geht.
tion.
durch den Raum. Die Menschen
Sehen Sie: Die ersten gehen jetzt
Dort drüben sitzen noch die Verant-
hier wuseln recht chaotisch durchei-
weg, und man hört sogar die Kin-
wortlichen der Family Offices. Sie
nander, und jeder geht seine eige-
der weinen, die da spielen wollten.
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88 | Staat 2
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TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:43 Seite 89
Alfredo Di Mauro/ Gebäudetechnik:
Marius Ciprian Popescu/ Innenausbau:
Jürgen Mintgens/ Baurecht:
Dieter Läpple/ Stadtentwicklung:
ten. Ich zeige die drei Stufen des
Tiger“ Singapur lernen, wie man
Lernens: Lehrer, Schüler, Meister.
die „Stadt der Zukunft“ baut.
Ich zeige nochmal Schild und Schwert, ich bete darum, meine Waffen nicht einsetzen zu müssen. Close, linkes Bein wieder an das rechte heranziehen. 1:30 1:45
Jetzt sind wir bereit für jede Art von
So jetzt stehe ich hier vor dem
Auseinandersetzung. Also: Wovon
Check-in, draußen auf dem Balkon.
reden wir? Ich darf keine laufenden
Sehen Sie mich?
Fälle kommentieren. Aber stellen
1:40 Einfaden Hafenatmo
Und da unten ist meine Entrau-
Sie sich vor, Sie befinden sich auf
Jetzt stehen Sie im Geschäftszen-
chungsanlage. Die will ich jetzt tes-
der Baustelle eines Großbauvorha-
trum von Singapur auf einer Hoch-
ten. Da unten haben genau 17 Tes-
bens beispielsweise eines Justiz-
terrasse, schauen auf eine Groß-
ter Platz. Wer kommt mit? Die
zentrums oder eines Universitäts-
baustelle, wo gleich einiges in
stehen jetzt bitte auf und folgen der
klinikums (Bauvolumen 150 bis 200
Bewegung kommen wird.
Fluglotsin hier unten durch die Si-
Millionen Euro). Auf der einen
Und jetzt gehe ich mal runter.
cherheitskontrollen. Die anderen
Seite stehen die Projektverant-
bleiben sitzen und beobachten den
wortlichen des öffentlichen Auf-
Test über den Videoscreen.
traggebers, die Architekten, Sonderfachleute, Projektsteuerer und gegebenenfalls auch Baubetriebler. Das sind jetzt mal Sie hier mit den roten Kampfhelmen! Und auf der anderen Seite das Unternehmen,
2:00 17 Zuschauer gehen durch die Baurecht-Gruppe, hinter den
2:10 Gebäudetechnik-Gruppe geht.
das für die Verlegung des Estrichs
Vorhang.
Und die Menschen gehen weg in
zuständig ist. Das sind jetzt mal Sie
2:15 Geht durch die Wanderarbeit-
den Plattenbau. Jetzt können wir
hier mit den schwarzen Kampfhel-
Gruppe.
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men. Das da drüben sind Ihre Ar-
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TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:43 Seite 90
Sonja Breidenbach/ Investitionen: verwalten
das
Reiner Pospischil/ Schädlingsbekämpfung:
Vermögen
Andreas Riegel/ Transparency International:
Fang-Yun Lo/ Wanderarbeit:
der
nen Wege. Bei dieser Spezies scheint
Was ist passiert? Bei einer Boden-
reichsten Familien und Erbenge-
jedes Individuum von eigenen Inte-
probe stellte sich heraus, dass es
meinschaften
Deutschland.
ressen angetrieben zu sein. Jeder
sich nicht um Rheinsand, sondern
Ihre Strategie lautet Werterhalt. Ei-
will seinen eigenen Kopf durchset-
um gefährlichen Abfall handelte.
nige von Ihnen zocken schon ein-
zen. Jeder will sein eigenes Nest. An-
Der vom Anlieferer bestochene
mal gerne.
ders als bei den Ameisen, die alle ge-
Mitarbeiter des Bestellers bestä-
Der Rest hier darf sich unter die
meinsam essen und schlafen. Bei
tigte trotzdem, dass es gewasche-
Fonds- und Portfoliomanager rei-
den Menschen wäre kaum einer be-
ner Rheinsand war – Einbau er-
2:30
hen.
reit, sein Leben für den Staat hinzu-
folgt,
Und jetzt öffnen Sie die Augen!
Weshalb sind Sie heute hier?
geben. Die Tiere hier wollen ja auch
Lieferant hat sich nicht nur die Kos-
Chinesischer Stadtlärm – Gebäude-
alle anders aussehen. Jeder will
ten für den Rheinsand gespart,
technik-Gruppe bewegt sich.
seine eigene Handbekleidung (zei-
sondern sogar noch kostenpflichtig
Sie wachen in einem Zimmer
gen). Wenn bei den Ameisen jemand
zu entsorgenden Abfall gewinn-
neben vierzig Bauarbeitern auf. Und
anders aussieht oder riecht, dann
bringend verkauft. Dreifaches Ge-
da steht ein Mann mit einer langen
wird er angegriffen. Abweichendes
schäft.
Nase. Und ihre Familie ist nicht
Verhalten wird dort nicht toleriert.
Kriminelles Handeln wird gerne
mehr da.
möglichst tief in der Erde versenkt,
Willkommen in Beijing. Sie sind in
2:50
denn was einmal unter der Erd-
die Stadt gekommen mit der Hoff-
Ähnlich wie die Ameisen bauen
oberfläche liegt, gräbt niemand
nung auf Arbeit.
auch Menschen bis zu hundertfa-
wieder raus! Das ist ein unge-
Wecker.
che Körperhöhe. Aber nur oberir-
schriebenes Gesetz in der Baubran-
Stehen Sie auf und strecken Sie
disch. Ameisen bauen bekanntlich
che. Ist ein Gebäude errichtet, prüft
sich.
ebenso tief unterirdisch. Also noch-
keiner mehr nach, was darunter
mal sechzig Kellergeschosse.
steckt. Sehen Sie hier unter mir die
von
2:55 Video: Hochhäuser 3:00 Video: Zinsentwicklung
Bezahlung
auch.
Der
Verhandlungen im Baucontainer?
2:55–3:10 Aufstehen
Mit solchen Machenschaften habe
Akustisch wirds lauter, chinesische
ich immer wieder zu tun.
Großstadt.
Während der letzten Finanzmarkt-
3:15
Gerade saßen sie noch friedlich da
Schauen Sie sich um. Versuchen
krise ist viel Kapital vernichtet wor-
Jetzt transportieren die Arbeiter of-
als Investoren und haben sich bera-
Sie, sich in der großen Stadt zu ori-
den. Sie erinnern sich: das Jahr
fenbar Bauteile. Diese Individuen
ten lassen. Jetzt sitzen da Mitarbei-
entieren. Gehen Sie los. Egal
2008. Für viele von Ihnen der
scheinen ein wenig zu schwächeln,
ter eines öffentlichen Auftragge-
wohin. Sie haben jetzt drei Minuten
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90 | Staat 2
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TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:43 Seite 91
Alfredo Di Mauro/ Gebäudetechnik:
Marius Ciprian Popescu/ Innenausbau:
Jürgen Mintgens/ Baurecht:
Dieter Läpple/ Stadtentwicklung:
unseren Boulevard der Einheit
beiter, die mit den gelben Bauhel-
Singa Pura, die Stadt des Löwen,
bauen. Den Bulevardul Unirii.
men. Was tun die?
wurde von den Briten als kolonialer
Ziehen Sie sich bitte Handschuhe an.
Umschlagsplatz gegründet – auf
Jetzt werden Sie Bauarbeiter. Ich
2:10 Gebäudetechnik-Gruppe
halbem Weg zwischen Indien und
habe 2004 angefangen, auf dem Bau
(17 Zuschauer) steht auf und geht
China. Vor fünfzig Jahren erhielt
2:40–4:20 Live-Kamera
zu arbeiten in Rumänien. 2004 war
durch das Spalier der Kämpfer.
Singapur seine Unabhängigkeit als
Folgen Sie mir. Wir sind in der
die Wirtschaft gut. Ich habe die Woh-
Die stellen die Arbeit ein und verlas-
Stadtstaat.
Ebene U2. Sie gehen über 17 Paare
nung von einem Grenzpolizisten re-
sen die Baustelle: Die meisten von
Dies hier ist ein dynamisches
von
Boden.
noviert – und zwar schwarz! Manch-
Ihnen gehen einfach weg! Die las-
Stadtmodell, das uns die Ge-
Jeder stellt sich auf ein Paar Füße.
mal haben wir von morgens um
sen die Arbeit einfach liegen! Das
schichte von Singapur verdeutli-
Bitte aufschließen. Über uns ist die
sieben bis abends um 23 Uhr gear-
kann zu einer Bauverzögerung und
chen wird: Sie sehen jetzt die Stadt
Ankunftsebene 0 mit Gepäckausga-
beitet. Aber er hat immer bezahlt,
nicht kalkulierten Mehrkosten füh-
in den 1960er Jahren. Die Stadt
ben und Autovermietungen, Ban-
und ich habe gut verdient.
ren! Darüber sind Sie, die Roten,
liegt am Boden: die Trümmer des
ken. Alles fertiggebaut. Darüber die
also der öffentliche Auftraggeber,
britischen Kolonialismus. China-
Abflughalle E1, der Check-in, Pass-
verärgert. Buuh! Sie sehen keinen
town, eine Ansammlung von Hüt-
kontrollen, Duty-Free-Shops. Und
Grund für die Arbeitseinstellung!
ten. Die Menschen gefangen in
hier unten sind wir im Entrau-
Das werfen Sie dem Estrichleger
Armut, Analphabetismus, Drogen,
chungskanal: Der ist unterirdisch,
vor und greifen ihn somit an. In die
Kriminalität und ethnischen Kon-
anders als das beim Düsseldorfer
Sprache des Kampfsports übersetzt
flikten. Kaum jemand glaubt, dass
Flughafen war.
bedeutet dies, dass Sie versuchen,
dieser isolierte Stadtstaat überle-
Jetzt sollte jeder von Ihnen bei
beispielsweise
ben kann.
einer Tafel stehen. Nehmen Sie sie
Schwinger“ zu landen. Das sieht
Und jetzt schauen wir, was dann
in die Hand. Auf der Tafel sehen Sie
dann so aus … (Schlag) Bitte ma-
geschah. Die Entwicklung der Stadt
meine Entrauchungsanlage. Wir
chen Sie das einmal mit! Und noch
im Zeitraffer.
sind da, wo der Pfeil hinzeigt.
einmal. (Schlag) Sie, die Schwarzen
Der Kanal ist sieben Meter hoch
hier, also der Estrichleger, bestrei-
Fußabdrücken
am
einen
„rechten
und drei Meter breit. Fünfzig Centi-
3:00
ten gar nicht, dass Sie die Arbeit
2:55–3:10 Wanderarbeit-Gruppe
meter Wände. Ein Meter dicke Bo-
Das sind Steine/Dachlatten/OSB-
eingestellt haben. Sie behaupten
steht auf. Fade-in: Video-Skyline
denplatte. Die Anlage steht genau
Platten für den Gartenweg von
aber, dass Ihre Arbeiter in der Aus-
von Singapur hinten
so seit Jahren. Fertig. Sie müsste
meinem ersten Haus, das ich al-
führung Ihrer Tätigkeit behindert
Das sind die 1970er Jahre … (Erste
nur noch getestet werden.
leine gebaut habe. Die müssen da
waren, weil der Heizungsbauer die
recken sich.) … die 1980er …
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Staat 2 | 91
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:43 Seite 92
Sonja Breidenbach/ Investitionen: Super-GAU.
Die
Reiner Pospischil/ Schädlingsbekämpfung:
Andreas Riegel/ Transparency International:
Fang-Yun Lo/ Wanderarbeit:
internationalen
tragen nur kleine Stücke zum Nest-
bers und eine Unternehmerin zu-
Zeit, um sich frei durch den Raum
Märkte rauschten in Richtung Re-
bau. Wenn ich an Ameisen denke,
sammen am Tisch und formulieren
zu bewegen. Keine Angst, Sie wer-
zession. Um die Wirtschaft wieder
die tragen das zigfache der eigenen
unzulässigerweise gemeinsam das
den mich wiederfinden. Wählen Sie
anzukurbeln, senkte die Europäi-
Körpergröße und des eigenen Ge-
Leistungsverzeichnis
jeder eine Richtung.
sche Zentralbank die Zinsen. Die
wichts. Die Menschen hier versu-
schreibung. Da werden tausend
Zinsen sanken weiter und weiter,
chen offenbar eine Straße zu bil-
Randsteine ins Leistungsverzeich-
bis hier unter die Nulllinie, wo wir
den, aber wenn ich hier mal eine
nis geschrieben. Die Unternehmerin
uns heute befinden. Was bedeutet
Arbeiterin auch nur kurz störe …
wird die für nur einen Euro anbie-
das für Sie? Wenn Sie Ihre Millio-
Er blockiert den Weg.
ten. Warum kann sie das tun? Weil
nen auf dem Bankkonto liegen las-
… dann ist das Wesen verwirrt und
der korrupte städtische Mitarbeiter
sen, bekommen Sie nicht nur keine
muss sich neu orientieren. Amei-
ihr sagt, dass gar keine Randsteine
Zinsen. Nein, sie zahlen sogar noch
sen hätten sich ihre Straßen und
gebraucht werden.
drauf. Sie suchen nach möglichst
Wege mit Pheromonen genau mar-
sicheren Anlage-Alternativen zu
kiert – wie programmierte, selbst-
den gängigen Anlageformen wie
steuernde Autos. Bei den Ameisen
beispielsweise Staatsanleihen oder
würden die Nachbarn sofort helfen
Pfandbriefen (denn die rentieren
und am Nest sofort angreifen.
einer Aus-
sehr niedrig). Der Großteil hier von Ihnen sieht sich in der Pflicht, seine Kapitalversprechen gegenüber sei-
3:25 Wanderarbeit-Gruppe geht
nen Kunden (Versicherung – Poli-
auseinander.
cen/PK – Altersvorsorge/Family Of-
Sie gehen alleine durch die Stadt.
fice – die igentümer/Fondsmanager –
Überall sind Bauarbeiter unter-
Privatkunde) zu erfüllen. Sie alle
wegs. Überall werden Geschäfte ge-
haben Angst vor Inflation – und
macht. Überall sind große Häuser.
dass die Währungen außer Kon-
Das ist die Großstadt. Alle Men-
trolle geraten.
4:00 Baurecht-Gruppe Kampfbe-
schen sind beschäftigt. Sie folgen
Die erhebliche Geldmengenaus-
4:10 Klimawedeln bei Gebäude-
wegung
einem unsichtbaren Plan. Men-
weitung führt dazu, dass wir hier
technik-Gruppe
Die Konkurrenten, die da unten mit
schen tragen Kopfhörer. Menschen
alle viel zu viel Geld haben.
Da hinten gibt es eine Gruppe, die
den schwarzen und roten Helmen
sprechen in Mikrofone. Mit Men-
sich um das Klima im Nest küm-
um den Auftrag kämpfen wollen, kal-
schen, die nicht da sind. Und die
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TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:43 Seite 93
Alfredo Di Mauro/ Gebäudetechnik:
Marius Ciprian Popescu/ Innenausbau:
Jürgen Mintgens/ Baurecht:
Dieter Läpple/ Stadtentwicklung:
Und das machen wir jetzt.
hin, bitte! Nächster! Hier. 2007
Heizschlangen der Fußbodenhei-
(Einige stehen.) … und die 1990er
Vorne im Kanal gibts jetzt eine
habe ich meine eigene Firma ge-
zung nicht rechtzeitig gelegt hat und
Jahre. (Die meisten stehen.) Die
Rauchentwicklung.
Rauch
gründet. Mit Rumänien ging es auf-
Sie daher nicht arbeiten könnten. In
Stadt wächst in die Höhe. Die Zahl
muss schnell abgesaugt werden.
wärts, wir waren frisch in der EU,
der Sprache des Kampfsports be-
der Einwohner verdoppelt sich.
Drehen Sie sich jetzt so, dass Sie
und es gab immer viel zu tun. Ich
deutet dies: Sie „blocken“. Dies ma-
Buddhisten, Hindus, Muslime und
richtigrum in den Fußstapfen ste-
hatte manchmal 15 Angestellte.
chen wir (die Schwarzen) jetzt ein-
Christen gehen ihren Weg ohne ei-
hen.
Dreißig bis vierzig Häuser habe ich
mal gemeinsam mit der Technik
nander zu stören. Innerhalb weni-
Jetzt starten wir die Entrauchung:
gebaut. Und zwar allein, ohne Ar-
gegen den rechten Schwinger, „De-
ger Jahrzehnte schafft Singapur
Wedeln Sie mit dem Brett Ihrem
chitekten und Professoren wie die
layed
verzögerte
den Sprung vom armen Entwick-
Vordermann möglichst viel Wind in
da oben auf der Bauterrasse. Ich
Schwert! Wir gehen zurück ins soge-
lungsland zu einer der reichsten
den Rücken!
habe gut verdient. Ein Haus habe
nannte Rechtsneutral und blocken.
Städte der Welt. 90 Prozent der Be-
Wir brauchen zwei Meter pro Se-
ich für 140 000 Euro verkauft. Und
Machen Sie mit: diese Bewegung,
völkerung besitzen eine eigene
kunde. Kräftig! Hoch runter. Hoch
ich habe geheiratet.
einen sogenannten Block. Zusätz-
Wohnung. Gesundheits- und Erzie-
runter!
2011 ging die Krise los. Meine Kolle-
lich werfen Sie dem Auftraggeber
hungssystem sind hervorragend.
gen sind weggezogen, und ich habe
vor, dass dessen Bauleitung die
mich von meiner Frau scheiden las-
Schuld für die Arbeitseinstellung
sen. Ich wollte nur noch weg.
trage, weil die verschiedenen Hand-
Der
Sword“,
das
werker nicht richtig koordiniert worden seien. Sie kündigen an, Mehrkosten wegen verlängerter Bauzeit
3:30
in Rechnung stellen zu wollen. Sie
geht auseinander. Auf Sandhügel
mit dem schwarzen Helm als Unter-
hinten:
3:53 Hupe
nehmer greifen jetzt also ihrerseits
Hier entsteht durch die Verlagerung
Da hupt der Bus. 2014 bin ich mit
an: zum Beispiel mit einem Tritt und
des Hafens eines der größten
dem Bus nach Deutschland gefah-
mit einer Handkante. Jetzt können
Stadterweiterungsprojekte
ren.
in
wir die gesamte Technik „Delayed
Welt. Diese Großbaustelle wird
Deutschland war eine Wohnung in
Sword“ gemeinsam machen. Das
einen Heißhunger nach Sand ent-
Köln-Troisdorf: Wir haben an Mon-
sieht dann so aus:
wickeln. Sand zur Aufbereitung des
Meine
erste
Station
▾
Die kamen aus Holland, Polen, Ru-
▾
Wanderarbeit-Gruppe
der
Baugrundes und zur Landgewin-
teure und andere Arbeiter von Großbaustellen Zimmer vermietet.
Die
nung. Durch die Aufschüttung des
4:00 Gong.
▾
Meeres ist die Fläche von Singapur
▾
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Sonja Breidenbach/ Investitionen:
Reiner Pospischil/ Schädlingsbekämpfung:
Andreas Riegel/ Transparency International:
Fang-Yun Lo/ Wanderarbeit:
mert, indem sie Luftlöcher öffnen
kulieren realistisch und bieten die
Luft ist schlecht. Bleiben Sie nicht
und verschließen – genau wie bei
Randsteine für 20 000 Euro an, weil
stehen. Sie gehen alleine weiter.
den Ameisen.
sie davon ausgehen, zu diesem Preis auch tatsächlich leisten zu müssen.
4:20–5:00 Er hält die Kamera in
Eine Chance auf den Auftrag haben
den Container.
sie damit nicht, weil ihr Angebot al-
Jetzt wollen wir mal sehen, was ge-
lein wegen dieser Scheinposition
schieht, wenn Fremdmaterial auf das
fast 20 000 Euro teurer ist. Dafür be-
Nest abgeworfen wird. Dazu nehme
kommen die städtischen Mitarbeiter
ich hier diese Kamera, die so ähnlich
von der Unternehmerin ein Prozent
ist wie das Endoskop, womit ich
der späteren Auftragssumme. In die-
unter Oberflächen schaue, ob sich
sem Fall 50 000. Hier übergebe ich
darunter Schädlinge verbergen. Hier
die erste Rate.
sehen wir die Königinnenkammer. 4:30 Es wird heller, regnet hier
4:30 Geldabwurf von Kran (Riegel)
4:30 Er schüttet Geld über Contai-
4:30 Geld fällt vom Kran
Geld von oben in den Container.
Offenbar ist es nicht essbar, so wird
ner.
Investoren verdienen in einer Mi-
Nehmen Sie, was Sie kriegen kön-
es eben für den Nestbau verwendet.
nute so viel Geld wie Ihre Familie in
nen. Jeder Hundert-Euro-Schein
Wie in einem Ameisenstaat ist die
einem ganzen Jahr. Sie selbst
steht hier heute für eine Million
Königin gut geschützt. Um sie
leben in einem Container. Wander-
Euro! Es darf nichts liegenbleiben.
herum ist immer eine ganze Reihe
arbeiter dürfen in der Stadt kein ei-
von Arbeiterinnen versammelt, die
genes Zuhause besitzen. Ihre Kin-
sich um Temperatur und Feuchtig-
der sind auf dem Dorf geblieben,
keit sowie die Eier kümmert. Im
weil sie in der Stadt kein Recht auf
Ameisenstaat stammen alle von der
öffentliche Schule haben.
gleichen Königin ab und sind also eng verwandt. Man kann das durchaus als Vetternwirtschaft bezeichnen, was bei den Ameisen aber nie zu Korruption führt, sondern im Gegenteil zu enger Zusammenarbeit.
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Alfredo Di Mauro/ Gebäudetechnik:
Marius Ciprian Popescu/ Innenausbau:
Jürgen Mintgens/ Baurecht:
Dieter Läpple/ Stadtentwicklung:
mänien … Meistens haben sie sich
Rechtsneutral,
Block,
Ball-Kick,
bereits um ein Viertel gewachsen.
gegenseitig nicht verstanden. Im
Handkante. Hier auf dem Gerüst –
Es geht um viele Hundert Millionen
Flur standen immer Reisetaschen.
schauen Sie mal –, da ist jetzt die
Tonnen Sand. Sand, der aus den
Ein Bett hat mein Chef für zwanzig
Hölle los, wie Sie sehen, überall
Nachbarländern kommt und um
Euro oder mehr vermietet. Zwanzig
wird aufgestachelt und angegrif-
den es heftige Konflikte gibt. Es ist
Menschen haben geschlafen auf
fen! Sie als öffentliche Hand, mit
schon die Rede von einem „Krieg
einer Fläche, so groß wie dieser
rotem Helm, müssen sich jetzt Ih-
um den Sand“.
Container, in dem hier jetzt die
rerseits gegen den Angriff des Un-
Übrigens: Da oben auf den drei
Bonzen sitzen.
ternehmers verteidigen. In der
Hochhäusern wurde in 190 Meter
Sprache des Kampfsports übertra-
Höhe ein riesiger Park gebaut mit
gen heißt das, Sie würden jetzt Ih-
einem der längsten Schwimmbe-
rerseits
cken der Welt.
blocken
und „Delayed
Sword“ anwenden. Das machen
Und hier vorne? Was sehen wir da?
wir gemeinsam: 4:30 Licht im Kanal aus
4.30 Geldabwurf
4:30 Gong.
4:30 Riegel schüttet Geld über
Sehen Sie: Es klappt! Der Rauch
Mein Chef hat fünftausend Euro
Block, Ball-Kick, Handkante.
Container.
zieht ab.
pro Woche verdient. Mich hat er am
Auf diese Art kann die Situation es-
Geld. Singapur ist ein Magnet für
Danke. Der Versuch war erfolgreich.
Ende gar nicht mehr bezahlt. Er
kalieren.
Geld und das entscheidende Fi-
Lassen Sie die Bretter bitte zurück.
schuldet mir noch fünfhundert
nanzzentrum Südostasiens. Was in
Kommen Sie mit, bitte.
Euro.
Europa und den USA als Leitbild der modernen Stadt ausgedacht wurde, hat Singapur zur Perfektion entwickelt: Die Stadt als effiziente Maschine. Diese Stadtmaschine befreit ihre Bewohner nicht nur von den Begrenzungen und Zumutungen der Natur, sondern auch von der individuellen Verantwortung für die Zerstörung der Natur.
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BAUEN BIS AN DEN HIMMEL Dieter Läpple
Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen! (Genesis 11;4) Babylon war die Wiege der ersten urbanen Hochkultur. Mit seiner Stadtmauer, vor allem dem grandiosen Ischtar-Tor, schuf es eines der sieben Weltwunder der Antike. Doch viel wirkmächtiger als das Ischtar-Tor sind bis heute die Bilder des Baus des Turms zu Babel. Vor allem das Bild von Pieter Breughel dem Älteren von dieser gewaltigen Großbaustelle wurde zu einer Ikone, die tief im kollektiven Bewusstsein verankert ist. Der alttestamentarische Mythos des Turms zu Babel steht bis heute für Wagemut und Grenzüberschreitung. Aber zu diesem Mythos gehört auch – zumindest in der jüdisch-christlichen Tradition – die gewaltsame Zerstörung der Stadt Babylon und ihres Turmes, verbunden mit Vertreibung und babylonischer Sprachverwirrung als Strafe für Hybris und Gigantomanie der „Hure Babel“. Ist der Mythos von Babylon ein mögliches Leitmotiv für die „Großbaustellen“, denen man quer durch die Geschichte in nahezu allen historischen Epochen immer wieder begegnet? Die Nekropolen im alten Ägypten, die gewaltigen Bauwerke des Römischen Reiches, die Kathedralen des Abendlandes, der Eiffelturm – dieses Symbol des Fortschrittsglaubens des 19. Jahrhunderts –, die Wolkenkratzer von Chicago und New York sind nur einige Beispiele historischer Großbaustellen und Großprojekte, die unsere Zivilisation und urbane Kultur geprägt haben. Es gibt nicht wenige moderne Architekten, die das Narrativ des Turmes zu Babel als Bezugspunkt nehmen, nicht nur für ihre Hochhäuser mit einer „Spitze bis an den Himmel“ – also den „Wolkenkratzern“ –, sondern auch für Innovationen und Grenzüberschreitungen durch neue Bauformen und bisher unerprobte Bautechniken. Der amerikanische Architekt Louis Henry Sullivan erhob die Maßlosigkeit des Turmbaus zu Babel Ende des 19. Jahrhunderts gewissermaßen zum Programm für den Bau eines Hochhauses: „Es muss hoch sein, jeder Zoll von ihm muss hoch sein. Die Kraft und die Gewalt der Höhe müssen in ihm sein, so wie der Ruhm und der Stolz der Begeisterung.“ (Louis H. Sullivan 1896)1 Die Möglichkeit, immer höher zu bauen, betrachtete der äußerst einflussreiche Architekt Sullivan nicht nur als eine technische Herausforderung, sondern überhöhte sie zum göttlichen Geschenk: „one of the most magnificient opportunities that the Lord of Nature in His beneficence has ever offered to the proud spirit of man“. (Ibid.) Das Bauen „bis an den Himmel“ hat offensichtlich bis heute nichts von seiner Faszination verloren.
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1 Übersetzt von D. L.
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Dieses Wettbauen in die Höhe wird aber gegenwärtig weniger von New York oder Chicago dominiert, sondern vor allem von Städten wie Dubai, Shanghai, Tokio oder Taipei. Allerdings hat sich die Manie der Großprojekte inzwischen über den ganzen Globus verbreitet, und dabei nimmt die Sucht nach Monumentalität immer wieder neue architektonische und technische Formen an. Der Kunsthistoriker Marc Wilken betont in einem Essay über „Architektur-Utopien“ die anhaltende Wirkkraft des Mythos Babylon in der Architektur: „Der Turm von Babel wurde zu einem Leitmotiv für die moderne Architektur, die teils unbewusst das Streben nach Monumentalität übernommen hat; dieses Motiv verleitet aber auch dazu, Utopien real werden zu lassen und das Undenkbare greifbar zu machen.“ (Marc Wilken 2008: 263) Anzumerken bleibt jedoch, dass es bei Architekturvisionen, Großbaustellen und Großprojekten nicht nur um technische, ökonomische und ästhetische Grenzüberschreitungen oder bauliche Innovationen geht, sondern – wie schon beim Turm von Babel oder den mittelalterlichen Geschlechtertürmen der adligen Familien in der Toskana – um Symbole ökonomischer Macht und politischer Herrschaft. In seiner historischen Studie über Herrschaftsform und Baugestalt betont der Kunsthistoriker Wolfgang Braunfels die Zeichenhaftigkeit jeder Bauform: „Jede Architektur kann als Zeichen für Macht, Wohlstand, Idealsinn, ja auch für das Elend seiner Erbauer oder Bewohner gelesen werden.“ (Wolfgang Braunfels 1976: 11) Eine besondere Rolle kommt dabei „Monumentalbauten“ zu: Sie repräsentieren unmittelbar Formen von Herrschaft wie auch des Zusammenlebens. In ihrem Erscheinungsbild geben sie nach Braunfels „eine Definition der politischen Ideologien und erheben sie kraft ihres Ranges als Kunstwerk in die Zone der Idealität“ (Ibid.: 10). In diesem Sinne ist jeder Monumental-
Jeder Monumentalbau und jede Großbaustelle ist nicht nur ein technisch-architektonisches Gebilde und eine kulturelle oder religiöse Manifestation, sondern zugleich ein Politikum.
bau und jede Großbaustelle nicht nur ein technisch-architektonisches Gebilde und eine kulturelle oder religiöse Manifestation, sondern zugleich ein Politikum. Sie können also nicht losgelöst von der politischen Verfasstheit und den Herrschaftsformen der jeweiligen Städte und ihren übergeordneten staatlichen Institutionen verstanden werden. Werfen wir einen Blick auf die aktuellen Debatten über Großprojekte und Großbaustellen, so zeigt sich zunächst eine geradezu groteske Chronik des Scheiterns: astronomisch hohe Budgetüberschreitungen, endlose Zeitverzögerungen im Bauprozess, absurde Qualitätsmängel bei der Planung und Durchführung, Korruption und Bodenspekulation, Blockaden durch Wutbürger und nicht enden wollende Gerichtsprozesse. Die großen prestigeträchtigen Utopien mutieren in dem mühseligen Prozess ihrer Umsetzung nur zu oft in blamable Dystopien. Was zeigt uns das? Eine Bankrotterklärung der technischen Kompetenz unserer Ingenieure und Architekten? Das Resultat einer bürokratischen Überregulierung unserer Gesellschaft? Ein Ausdruck gesellschaftlichen Kleinmuts und einer Status-quo-Mentalität? Politikversagen oder einfach nur die Folge von Größenwahn völlig überforderter Stadtverwaltungen? Meist ist das Urteil schnell gesprochen, und mögliche Lösungen werden wohlfeil angeboten: Großbaustellen sind, so ein gängiger Kommentar, sowieso nur „Großspielplätze“ für Jungs, die – vielleicht genetisch bedingt? – gerne mit dem Bagger spielen und, vor allem wenn sie älter sind, dazu neigen, die Rolle des Homo ludens mit der des Homo deus verbinden zu wollen. Ist also die Großbaustelle vor allem ein Genderproblem? Oder sind Großbau-
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stellen einfach aus der Zeit gefallen, passen nicht mehr in unsere Gesellschaft, in der alle Formen der Hierarchie unzeitgemäß erscheinen? Brauchen wir statt Großbaustellen heute „Kleinstbaustellen“? Das klingt irgendwie freundlich, wirft aber neue Fragen auf: Wie entsteht aus diesen „Kleinstbaustellen“ eine Stadt oder auch nur ein öffentliches Verkehrssystem? Das Urteil einiger Großbaumeister, vor allem international tätiger „Stararchitekten“, weist in die entgegengesetzte Richtung. Sie betonen bei jeder Gelegenheit, mit wie viel weniger Problemen und wie viel schneller sie „ihre“ Großprojekte in China, Katar, Baku oder Dubai realisieren können. Dabei erfährt man selten, dass auf den entsprechenden Großbaustellen ganze Heerscharen rechtloser Wanderarbeiter oder Migranten nicht nur arbeiten, sondern meist auch schlafen; dass die Großbaustellen oft erst möglich wurden, da man zuvor ganze Stadtquartiere mit all ihren kulturhistorischen Zeugnissen abgerissen hat und niemand so recht weiß, wo die Bewohner dieser Quartiere heute wohnen und arbeiten; oder dass wertvolle Ökosysteme einfach verschwunden sind unter Asphalt, Beton, Stahl und Glas. Es ist leicht einsichtig, dass autokratische Regime eine hohe Affinität zu Großbaustellen und Großprojekten haben und auch dazu neigen, ihre ganze Machtfülle zu nutzen, um deren Realisierung gegen alle möglichen Widerstände durchzusetzen, um der Welt zu beweisen, wie mächtig, aber auch wie modern und leistungsfähig sie sind. Dass ihnen dabei „westliche“ Architekten und Ingenieure willfährige Helfer sind, da diese die Chance nutzen wollen, um endlich ihren grandiosen Entwurf oder ihre einmalige bauliche Innovation realisieren zu können, ist auch allgemein bekannt. Warum aber lassen sich Städte, die sich der europäischen Stadtkultur mit ihrer demokratischen Tradition verpflichtet fühlen, auf eine immer größer werdende Zahl von Großprojekten ein, obwohl sie meist nicht einmal genügend Geld haben für die Lösung ihrer „kleinen“ Probleme, wie zum Beispiel den Bau und den Unterhalt von Kindergärten und Schulen, den Ausbau des öffentlichen Verkehr, den Bau von Sozialwohnungen und Gesundheitszentren, den Unterhalt von Stadtteilkulturzentren oder den Betrieb der städtischen Theater? Das Schlüsselwort heißt Städtekonkurrenz. Die Angst vor einem immer schärfer werdenden Verdrängungswettbewerb, die Angst der Bürgermeister und Stadträte, dass ihnen andere Städte den Rang ablaufen, dass sie – je nach Größe – im regionalen, nationalen, europäischen oder globalen Wettbewerb das Nachsehen haben könnten. Aus diesem Gefühl der Bedrohung und der Erkenntnis ihrer immer größer werdenden Austauschbarkeit, angesichts der Banalisierung ihrer Architektur und der Filialisierung ihrer Innenstädte, kommt der Ruf nach einem Großprojekt als einem rettenden Anker, nach einer Großbaustelle als einem manifesten Zeichen der Zukunftsorientierung. Der Ruf nach einem „Leuchtturmprojekt“ („lasst uns […] einen Turm bauen, […] dass wir uns einen Namen machen“), um die Stadt sichtbar zu machen auf der Landkarte Europas und der Welt. Ein Leuchtturmprojekt, das die Stadt „in die internationalen Medien katapultiert“, so die Worte eines früheren Hamburger Bürgermeisters nach der Eröffnung der Elbphilharmonie. Dabei sollte sich inzwischen herumgesprochen haben, dass mit dem politischen Beschluss, ein „Leuchtturmprojekt“ zu bauen, und der Eröffnung der Großbaustelle ein sich selbst verstärkender Strudel von scheinbar unaufhalt-
102 | Staat 2
Brauchen wir heute „Kleinstbaustellen“?
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samen Sachlogiken entfesselt wird. Dass man sich nicht nur den Launen eines nicht vorhersehbaren Marktgeschehens, sondern vor allem dem gnadenlosen Druck international agierender Bau- und Immobilienunternehmen aussetzt. Ist die Großbaustelle mal in Gang gekommen, gibt es kaum mehr Möglichkeiten demokratisch legitimierter Einflussnahme. Versuche einer Korrektur erhöhen meist nur noch das ohnehin schon ins Maßlose steigende Budget. Eine einzige Zahlt illustriert den ganzen Wahnsinn dieser Entwicklungslogik: Allein die Instandhaltung der Großbaustelle des Großflughafens BER im Nichtbetrieb frisst jeden Monat 17 Millionen Euro, wobei die Fertigstellung und die kaum mehr möglich erscheinende formelle Inbetriebnahme in eine immer fernere Zukunft verschoben werden. Nun gibt es bei der Stadtentwicklung sicherlich Aufgaben, die sich kaum oder nur ungenügend über den Markt und die Routine der Verwaltung lösen lassen. Allerdings sind Großprojekte als Instrumente der Stadtentwicklung hochgradig voraussetzungsvoll. Sie müssen eine Vision haben, die aus der Stadtgesellschaft kommt, sie müssen an den realen Problemen der Stadt ansetzen und das Potential haben, zu begeistern. Die Bürger müssen also von vornherein eingebunden werden. Alles Voraussetzungen, die sich nur schwer mit der Idee eines „Leuchtturmprojektes“ verbinden lassen, da dessen Logik vor allem auf die Außenwirkung ausgerichtet ist. Dazu kommt die fatale Tradition einer längst fragwürdig gewordenen „Moderne“ mit ihrem Vertrauen in die Steuerungs- und Leistungskapazität durch Expertenwissen und die ungebrochene Sucht nach Größe – nach dem Motto: Je größer, desto besser! Ein grandioser Denkfehler, denn wir leben längst in einer Netzwerkgesellschaft und müssen die Flexibilität und vor allem die Anpassungsfähigkeit vernetzter und modularer Systeme als Chance begreifen und nutzen. Angesichts der offensichtlichen Erosion der Autorität des Expertenwissens wird auch zunehmend klar, dass es in einer Gesellschaft vielfältige Wissensformen gibt. Stadtentwicklung und gesellschaftliche Gestaltungsversuche tun gut daran, auf das Wissen der Menschen vor Ort zurückzugreifen. Kurz: Mit den Großbaustellen öffnet sich ein weites Feld, in dem es sehr viel mehr Fragen als Antworten gibt. Aber die Großbaustelle steht für ein manifestes gesellschaftliches Problem, nicht nur wegen der astronomisch hohen Budgetüberschreitungen und endlosen Zeitverzögerungen, sondern vor allem auch, weil jedes Großprojekt zugleich – wie bereits benannt – ein Politikum ist, das viel über die politische Verfasstheit und die Herrschaftsformen unserer Gesellschaft aussagt. Ist es möglich, ein so komplexes und scheinbar vor allem technisches Thema ins Theater zu holen? Mit Gesellschaftsmodell Großbaustelle greift Rimini Protokoll einen zentralen Aspekt von Großbaustelle auf, nämlich die Auflösung der Bau- und Entscheidungsprozesse in verselbstständigte Funktionsbereiche. Es ist längst nicht mehr der Architekt, der in diesem äußerst komplexen Prozess die Fäden in der Hand hat. Allein schon durch die Größe und Komplexität der Bauaufgaben verlagert sich die Koordination des Bauablaufes einschließlich der Zeit- und Kostenplanung auf technische, ökonomische und rechtliche Spezialisten, die vielfach tätig sind bei international agierenden Bau- und Planungskonzernen. Zugleich entstehen immer mehr Spezialisten mit ihren spezifischen Expertensystemen und ihren professionellen Routinen, also neben all den verschiedenen Gewerken der Bauarbeiter, die wiederum bei unterschiedlichsten Subunternehmen engagiert und teilweise skandalös ausgebeutet werden, agie-
Staat 2 | 103
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:43 Seite 104
ren im Kontext der Großbaustelle Gebäudestatiker, Tiefbauingenieure, Baulogistiker, Bauphysiker, Gebäudetechniker, Klimaanlagen- und Entrauchungsanlagenbauer, Baurechtsspezialisten, Projektmanager, Kostenkontrolleure, Finanzspezialisten, Bauleiter, Generalunternehmer usw. Eine Ausdifferenzierung und Spezialisierung also, wie sie prägend ist für unsere Form der Modernisierung der Gesellschaft, „in der der größte Teil des persönlichen Lebens in immer höherem Maße von unpersönlichen Großsystemen verschlungen wird“ (Anthony Giddens 1996: 176). Dieses komplexe Geschehen repräsentieren in dem Stück acht Expertinnen und Experten mit ihrer jeweils spezifischen Sicht und ihren sehr unterschiedlichen professionellen Erfahrungen.2 Acht völlig eigenständige Narrative, die alle einen unmittelbaren Bezug zur Großbaustelle haben, ohne dass diese Narrative auch nur ansatzweise über-
2 In Gesellschaftsmodell Großbaustelle bin ich einer der „Experten des Alltags“. Dabei erzähle ich von meinen spezifischen Erfahrungen aus der Perspektive eines Professors für interna-
lappende inhaltliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Und zugleich kreuzen sich die Wege der Expertinnen und Exper-
tionale Stadtforschung, der sich unter anderem in Singapur
ten auf der Großbaustelle, aber immer nur mit verengtem funktionalistischem Blick, ohne ein gemeinsames Grund-
(einer der reichsten Städte der Welt) und Äthiopien (einem
verständnis des Geschehens zu haben. Damit ist ein zentraler Kern der Großbaustelle thematisiert. Durch die sukzessive Überlagerung der Narrative während der szenischen Baustellenführung, bei der das Publikum auch in den Sog der zeitlichen Zwänge einer Baustelle gerät, entsteht ein immer komplexeres Bild und bei den Zuschauern vielleicht ein mögliches Grundverständnis des Geschehens auf einer Großbaustelle. Bei der Inszenierung erweisen sich die vielen offenen Fragen, die mit dem Themenfeld der Großbaustelle verbunden sind, als ein äußerst produktiver Ausgangspunkt. In seinen Kommentaren zu Frank der Fünfte. Komödie einer Privatbank schreibt Dürrematt: „Der Wert eines Stückes liegt in seiner Problemträchtigkeit, nicht in seiner Eindeutigkeit.“ (Friedrich Dürrenmatt 1998: 159) Und er verbindet dieses Postulat mit der Forderung, dem Publikum zu vertrauen, das sich instinktiv die Bühne aneignet. „Es wagt mitzumachen, sich zu beteiligen. Ein Wunschtraum? Möglich. Immer wieder möglich. Ohne Vertrauen ins Publikum ist kein Drama möglich.“ (Ibid.) Bei Gesellschaftsmodell Großbaustelle bietet sich den Zuschauern die Möglichkeit, ihre eigene Wirklichkeit mit den professionellen Welten der „Experten des Alltags“ zu konfrontieren und in der vorgespielten Großbaustelle selbst Konturen eines Gesellschaftsmodells zu entdecken, die Entsprechungen mit den Konturen unserer Gesellschaft haben. Ob sie darin auch eine spezifische Ausprägung unseres Staates erkennen können oder wollen, die manche als postdemokratisch oder technokratisch bezeichnen, überlässt das Stück den Zuschauern.
Literatur: Braunfels, Wolfgang (1976), Abendländische Stadtbaukunst. Köln. Dürrenmatt, Friedrich (1998), Frank der Fünfte. Komödie einer Privatbank. Zürich. Giddens, Anthony (1996), Konsequenzen der Moderne. S. 176. Sullivan, Louis Henry (1896), „The Tall Office Building Artistically Considered“. In: Lippincott’s Magazine. March 1896. Zitiert nach MIT OpenCourseWare: https://ocw.mit.edu. Wilken, Marc (2008). „Architektur-Utopien nach Babylon“. In: Babylon. Mythos und Wahrheit. Katalogband. Staatliche Museen zu Berlin.
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der ärmsten Länder der Welt) mit Fragen des Bauens und der Stadtentwicklung beschäftigt.
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ARCHITEKTUR – EIN PARTIZIPATIVES STÜCK THEATER Gabriela Muri
Das Gesellschaftsmodell Großbaustelle tritt uns im gleichnamigen Theaterstück in Düsseldorf als Erzählung über sichtbare und verborgene Choreografien komplexer Verflechtungen wirtschaftlicher und politischer Schauplätze entgegen. Die inszenierte Dramaturgie des Bauens verweist damit – was im Theater möglich ist, in einer gebauten Stadt jedoch nicht – auf ein grundlegendes Missverständnis, dass Städte, Räume und Bauten greifbar und handhabbar sind. Großbaustellen als Gesellschaftsmodell, so meine Ausgangsthese, erzählen von der Utopie, dass Masterpläne und dazugehörige politische Prozesse geeignet seien, einen gebauten Rahmen für Gesellschaften zu schaffen, dass partizipatives Bauen mit einfachen demokratischen Entscheidungsverfahren zu erreichen sei und dass gemeinsam bewohnte Städte und Bauten von Gemeinwohl zeugten. Ich betrachte die Großbaustelle daher im Spiegel ihrer utopischen Gegenwelten und behaupte, dass Städte, Räume und Bauten nicht nur im Theater als fortwährende Erzählungen gesellschaftlichen Handelns und Aushandelns zu planen und zu verstehen sind. Dies führt ausgehend von drei Thesen zu einem praxeologischen Verständnis von Städten und Architektur, zu drei Dimensionen des urbanen Alltags: Räumliche und zeitliche Praxen von Akteuren, die Szenen des gesellschaftlichen Zusammenlebens an urbanen Schauplätzen, die sich im Alltag fortwährend überlagern, schreiben das Stück Stadt fort, das im Theater begonnen hat. In Gesellschaftsmodell Großbaustelle spricht der Schädlingsbekämpfer Reiner Pospischil vom Modell des Ameisenbaus: Die vornehmlich weiblichen Arbeiterinnen wissen, was zu tun ist, und geben ihr Leben für den Staat. Das Sekret, das beim Bauen als Zement verwendet wird, ist abbaubar; gebaut wird ohne Verzögerungen und mit Planungssicherheit. Im großen Theatersaal wird vor uns Zuschauenden ein altes Schulzimmerbild aufgerollt, das den Ameisenstaat, der zugleich ein Ameisenbau ist, als anschauliches, überschaubares, braun koloriertes Bild zeigt. Wir setzen uns Helme auf, marschieren mit Kopfhörern den Expertinnen hinterher, spielen um Besitz und Geld in Baubaracken und hören auf Erdhügeln Erzählungen über Wanderarbeiterinnen in China und Rauchabzüge, die nicht
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entrauchen. Dazwischen fällt Geld, immer wieder Geld von einem Kran, auf dem Transparency International über Parteispendenskandale und Vorverkaufsrechte berichtet. Diese theatrale Großbaustelle ist ein raumfüllendes, von unseren bunten Bauhelmen bewegtes und lärmendes Projekt einer Gesellschaft, von der mit Blick auf den Ameisenbau behauptet wird, dass wir hauptsächlich essen und schlafen würden und dafür – und nur dafür – bauen würden. Architektur und Bauen: Masterplan oder Partizipation?
Doch nur essen, arbeiten und schlafen, das geht nicht mehr.
Doch nur essen, arbeiten und schlafen wie Ameisen in ihrem Staat, so lautet meine erste These, das geht nicht mehr. Es ging nie, aber als Utopie gräbt sich die Vorstellung in Höhlen, durch Korridore und Kammern hinein, mit dem Entwerfen von Stadtstrukturen und Baukörpern ließen sich Bühnenbilder für eine partizipative Gesellschaft schaffen, in der räumliche Nähe soziale Nähe und Gemeinwohl erzeugt. Auf Großbaustellen wird Architektur unter spezifischen gesellschaftlichen Bedingungen hergestellt. Maik Novotny fragt in seinem Text über den Kampf um die Schalthebel des Bauens zwischen Top-Down und Bottom-Up, ob Architekten nicht einmal Idealisten waren, „damals, als alles noch greifbarer, machbarer, handhabbarer war“ (Novotny 2017: 15). Doch wie stehen heute Architekten und ihre Werke da, in einer Welt die nur noch komplex und unübersichtlich erscheint? Wie beim Turmbau zu Babel kann uns keine allen bekannte Sprache weiterhelfen, das auf Großbaustellen Gebaute, das fragmentarisch Erkennbare ökonomischer Verwertungsketten und politischer Instrumentalisierung zu vervollständigen. Ein morphologisch verstandener Prozess des städtebaulichen Entwerfens und Bauens bleibt einem Masterplan für ein vereinfachtes Modell gesellschaftlichen Zusammenlebens verhaftet. Zwar werden von unseren Bedürfnissen ausgehend funktionale Kriterien erarbeitet, die als Grundlage für Nutzungskonzepte verwendet werden. Doch in Wahrheit bilden wir alle lediglich das Ergänzungsmuster städtebaulicher Strukturen und ökonomischer Verwertungsketten. Funktioniert es also doch, ohne dass wir mitdenken und mitbauen? Planen und Bauen: Bühnen des Alltags Ein praxeologischer Blick erweitert das beschriebene Verständnis des Bauens um eine erste räumliche Dimension des urbanen Alltags. Im siebten Kapitel seines Werkes Kunst des Handelns beschreibt der französische Soziologe und Kulturphilosoph Michel de Certeau unter dem Titel „Gehen in der Stadt“ die Perspektive auf die Stadt New York von der 110. Etage des World Trade Centers. Er bezeichnet sie als monumentales Relief, als gigantische Rhetorik des Exzesses an Verschwendung und Produktion. Aus der entfernten Perspektive entsteht eine Distanz zu praktischen Vorgängen und der Betrachter wird zum Voyeur. Demgegenüber leben die gewöhnlichen Benutzer der Stadt jenseits dieser Sichtbarkeit als Fußgänger, „deren Körper dem mehr oder weniger deutlichen Schriftbild eines städtischen ‚Textes‘ folgen“ (De Certeau 1988: 182): „Eine metaphorische oder herumwandernde Stadt dringt somit in den klaren Teil der geplanten und leicht lesbaren Stadt ein.“ (Ibid.) Greifbar und machbar sind Städte, Architektur und auf Großbaustellen entstandene Bauten nur, wenn sie im Alltag angeeignet werden. Die Produktion des Raumes auf
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Großbaustellen setzt sich fort im Spiegel des Alltags, als Großbaustelle gesellschaftlicher Verhältnisse. Der Blick auf Akteure, die Städte zu lesbaren Kulissen der Gesellschaft werden lassen, verweist auf einen prozessualen, interpretativen Raum- und Aneignungsbegriff (Muri u. Friedrich 2009). Raumtheoretische müssen dafür mit zeittheoretischen Konzepten verbunden werden. Die Dramaturgie der alltäglichen Bühnen verlangt nach einer Definition von interpretierenden Akteuren, aber auch der Problematisierung von Differenz, die strukturell wie diskurstheoretisch relevant ist. Der präzise Blick auf urbane Öffentlichkeiten, auf die Vorplätze und Straßen von Einfamilienhausbauten in Vorortquartieren macht uns zu Voyeuren wie Beobachterinnen von räumlichen (Alltags-)Praktiken. Ein solcher Blick würde differente Perspektiven zwischen Planern und Raumgestaltern und alltäglichen Akteuren sichtbar machen (Ibid.: 177–187). Wie De Certeau schreibt, geht es darum, die „einzigartigen und vielfältigen, mikrobenhaften Praktiken zu untersuchen, die ein urbanistisches System hervorbringen oder unterdrücken“ (De Certeau 1988: 186). Darunter versteht er Taktiken, die im Alltag mit unauffälliger Kreativität die Netze der Überwachung unterlaufen. Partizipation in der Planung: Dramaturgie und Aneignung Architektur geht alle etwas an. Noch nie herrschte mehr Bürgerbeteiligung als heute: „Wäre mehr Partizipation, mehr Bottom-Up nicht doch angebracht?“ (Novotny 2017: 14) Die Frage der Partizipation in der Planung wird oft mit der Durchführung von Informationsabenden und professionell geleiteten Versammlungen oder Workshops gelöst, in denen Bürgerinnen und Bürger ihre Wünsche zur Nutzung und zur Gestaltung einbringen können. Anliegen zur Nutzung, so meine zweite These, werden meist bedingt umgesetzt – weil sich Nutzung nicht so einfach baulich umsetzen lässt. Wünsche nach einer bestimmten Gestaltung sind problematisch, weil Architektinnen und Architekten Experten ihres Fachgebiets sind und diesen Expertenstatus auch durchsetzen möchten. Architektur nach demokratischen Prinzipien verschiedenster Bürger zu gestalten, scheint denn auch schwierig, schauen wir nur die verschiedenen Wohnzimmer an und die Feriensiedlungen, die in Katalogen ausgesucht werden, und würfeln wir daraus das Bild eines Baus zusammen, der allen gefällt (Muri 2001). Das heißt jedoch nicht, dass Partizipation keinen Platz auf einer Großbaustelle haben sollte. Aneignung von Räumen bedeutet nicht nur die Aneignung bereits existierender und vorstrukturierter Räume, sondern auch die „Schaffung eigener Räume als Platzierungspraxis“ (Deinet 2012: 10). Für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist zum Beispiel das Erleben von Selbstwirksamkeit durch „Mitgestalten im öffentlichen Bereich, bei Bau und Planung und im unmittelbaren Wohnumfeld“ (vgl UNICEF 2014) essentiell, wie auch eine von UNICEF in Auftrag gegebene Studie festhält: „Während Erwachsene eher abstimmen und auswählen lassen“, beobachtete man bei Kindern, „dass Entscheide unter Gleichaltrigen eher durch konsensorientierte Formen wie Aushandeln, Losen oder spielerisch (Schere-Stein-Papier) zustande kommen“ (Ibid.). Dies verdeutlicht den für Kinder und Jugendliche charakteristischen Bezug zu wenig planbaren, narrativen und erlebnisorientierten Prozessen der Raumaneignung. Kinder erfahren ihre Umwelt über Geschichten, erleben das Zu-„eigen“-Machen von Alltagsräumen interaktiv in Spielhandlungen und über Kommunikation untereinander (Muri 2014: 31–42). Die unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Raumaneignungsprozesse illustrieren, wie Partizipa-
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Architektur geht alle etwas an.
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tionsbemühungen auf Großbaustellen Bereitschaft zu einem Perspektivenwechsel bedingen, für verschiedenste Zielgruppen, auf verschiedenen Ebenen. Zur Sicherstellung von möglichst egalitären Kooperationsprozessen müssen Alltagsakteure als Subjekte des sich im Alltag fortsetzenden Bauprozesses wahrgenommen werden, als Ko-Produzenten der gebauten Räume. Die Alltagsumgebung wird zum Möglichkeitsraum, um das Zusammenleben zu erproben und Grenzen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu erfahren (Kilb 2012: 613). Teilhabe an Räumen bedeutet daher, sich auf Aushandlungsprozesse einzulassen, die bei Informationsveranstaltungen beginnen, sich bei Beteiligungsanlässen den Alltags- und Erlebnisdimensionen verschiedener Gruppen zuwenden und sich in einer flexiblen Alltagsnutzung fortsetzen. Wie im Theaterstück Gesellschaftsmodell Großbaustelle herrscht ständig Bewegung, die Großbaustelle steht für fortwährend wechselnde Bedingungen des Regelns und Aushandelns. Raum als Geflecht von beweglichen Elementen Ein Raum ist für Michel de Certeau denn auch ein Ort, an dem man etwas macht – und so folgt Gesellschaftsmodell Großbaustelle als szenische Baustellenführungen den unterschiedlichen Schauplätzen des Planens, Bauens, Kalkulierens und Legitimierens des eigenen Handelns. Sie werden zu Handlungsrahmen für verschiedene Erzählungen über das Bauen und die divergierenden Interessen wirtschaftlicher und politischer Akteure. Eine geometrisch festgelegte Straße, ein Bühnenraum wie ein gebauter Raum werden erst durch Gehende und Handelnde, durch eine zweite zeitliche Dimension urbaner Alltagspraxis in einen Raum verwandelt: Ein Ort ist die Ordnung (egal welcher Art), nach der Elemente in Koexistenzbeziehungen aufgeteilt werden. […] Ein Ort ist also eine momentane Konstellation von festen Punkten. […] Ein Raum entsteht, wenn man Richtungsvektoren, Geschwindigkeitsgrößen und die Variabilität der Zeit in Verbindung bringt. Der Raum ist ein Geflecht von beweglichen Elementen. Er ist gewissermaßen von der Gesamtheit der Bewegungen erfüllt, die sich in ihm entfalten. […] er wird als Akt einer Präsenz (oder einer Zeit) gesetzt und durch die Transformationen verändert, die sich aus den aufeinanderfolgenden Kontexten ergeben. (De Certeau 1988: 217–218) Es gibt so viele Räume wie Raumerfahrungen, so viele Perspektiven auf eine Stadt und das Bauen als Gesellschaftsmodell wie es unterschiedliche Akte, Akteure und Zuschauererfahrungen in einem Theaterstück geben kann. Beim theatralen Gesellschaftsmodell steht jede der acht Simultanbühnen für einen spezifischen Blick auf die Großbaustelle, folgt einer eigenen Dramaturgie, erzeugt eine situative Konstellation der Aushandlungsbedingungen von Staat und Gesellschaft. Subjektive Raumerfahrungen sind – wie im Alltag – untrennbar mit transitorischen Praxen, intersubjektiv ausgehandelten Situationen, kollektiven Lesarten und damit in ihrer zeitlichen Dimension mit Räumen verbunden (Muri 2016: 105–109). In Erzählungen werden Orte in Räume und Räume in Orte verwandelt. Das Tun
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erlaubt also das Sehen. Das Verhältnis zwischen der Beschreibung der Wegstrecke als diskursive Reihe von Handlungen und einer Karte als totalisierende Planierung der Beobachtungen bezeichnet De Certeau als zwei Erfahrungspole bzw. als symbolische und anthropologische Sprachen des Raumes. Im Gegensatz zu den Karten, bei denen die Wegstrecken im Laufe der Jahrhunderte zunehmend beseitigt worden sind, unterlaufen die Alltagserzählungen mit ihren Aktivitäten in Räumen den aufgezwungenen Ort – zum Beispiel einen Stadtplan, einen Wohnungsgrundriss. Güter, mögliche Funktionen und Grenzen dieser Orte und Räume werden immer wieder neu ausgehandelt. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Erinnerung. Gehen bedeutet, Nicht-Orte (Augé 1982) und verborgene, die Ordnung unterlaufende Geographien zu schaffen. Ein Abgehen von Szenen einer Baustelle schafft dementsprechend ein anderes Wissen über Orte und bringt Räume als Produkte gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse erst hervor. Raum und Zeit: Emotionalisierung des Transitraumes Raum und Architektur sind daher viel mehr, als der Blick auf die Bühne einer Großbaustelle vermuten lässt, Ausdruck der täglich gelebten Zeit und der darin möglichen Verhaltens- und Seinsdimensionen. Erst die Bewegung macht den Raum zum Eigentlichen, sie hebt die expressive und rhetorische Seite des Alltags hervor. Der Stadtraum wird damit immer auch zum Möglichkeitsraum und wird im Sinne de Certeaus „zum Akt einer Präsenz“ (Verweis). Auch Henri Lefebvre (vgl. Lefebvre 1974) versteht Raum als soziales Produkt, das in unterschiedlichen Handlungszusammenhängen hergestellt und reproduziert wird. Die Produktion findet sowohl auf gesellschaftspolitischer, institutioneller Ebene wie auch im konkreten Alltag statt. Deshalb unterscheidet Lefebvre zwischen Raumrepräsentationen, so zum Beispiel einem von Planern konzipierten Raum, einem wahrgenommenen Raum, der materielle wie soziale Dimensionen umfasst, sowie dem gelebten Raum, der im Alltag belebt und erlebt wird. In der Interaktion dieser drei Dimensionen wird Raum als soziales Produkt hergestellt. Die gebaute Stadt als Abfolge von Bildern wird zur erzählenden Stadt, zu einem belebten und erlebbaren Raum. Wir leben in einer Welt, in der die Bilder existieren, die Architekten mit Architektur in die Welt gesetzt haben. Heute sind nicht nur die Transiträume, Freizeit- und Infrastrukturbauten, Geschäftshäuser und Wohnungen da, heute sind auch die Bilder da, die das massenhafte Bauen mit Masterplänen und ökonomischen Verwertungsprozessen erzeugt. Und oft erschrecken wir darüber. Jetzt, wo die Bilder da sind. Es sind Mehrheitsräume, die da produziert wurden. Die Mehrheit, was auch immer für ein empirisch eruierbarer Durchschnitt der Mehrheit sich erfassen lässt, bestimmt, welche Räume für wie viel Geld, wie, wann und wie oft genutzt werden: Spaces and Places of Mainstream statten unsere Welt aus. Fragile Gesellschaften: Doing Society Die Ausstattung der Mehrheitsräume ist eingebettet in politische und wirtschaftliche Prozesse, keine Frage. Der Common Ground (z. B. Ostrom 1990) jedoch dieses Zusammenspiels, so meine dritteThese, entspricht nicht dem Ameisenbau als Sinnbild einer einfach funktionierenden Gemeinschaft, in welchem die Rollen unmissverständlich
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Der Stadtraum wird immer auch zum Möglichkeitsraum.
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verteilt und festgelegt sind. Es sind die vielfältigen institutionellen Bedingungen, die das Bild der Gesellschaft erzeugen und dadurch die Architektur zur Kulisse und zum Requisit werden lassen. Der Staat, die wirtschaftlichen Interessen, die Machtverhältnisse sind bestimmend, jedoch auch die Alltagsschritte, die wir nicht zählen beim Gehen, die aber mitgezählt werden und die individuellen Raumerfahrungen und Aneignungspraktiken weben am Bild einer gebauten Stadt. Der Stadtplaner Georg Franck bezeichnet Architektur in größerem Maßstab als Mannschaftssport (Franck 2014: 250). Eine gute Adresse kann weder durch Rechtsplanung noch individuelle Spitzenarchitektur hergestellt werden: „Eine Adresse ist gut, wo der öffentliche Raum einladend, wo der Straßen- und Platzraum wirtlich ist.“ (Ibid.: 245) Er plädiert für eine Rechtsform des Urban Commons als interdisziplinäres Forschungsprojekt mit Stadtforschern, Juristen, Ökonomen, Stadtplanern und Architekten, das Städte als Walkable Cities, als Stadt der kurzen Wege im Alltag versteht (Ibid.: 260). Doch ist sie genauso von Partikularinteressen beeinflusst wie die in Gesellschaftsmodell Großbaustelle beschriebenen Schauplätze, deren Gemeinsamkeiten sich in changierenden Farben von Bauhelmen verlieren: Der Common Ground ist fragil geworden. Was erzählen Großbaustellen über unsere Gesellschaft – ihre verborgenen Choreografien verschobener Fertigstellung und Kostenkorrekturen, die komplexen Verflechtungen wirtschaftlicher und politischer Akteure, die undurchsichtigen Verbindungslinien in alle Welt – über unsere Gesellschaft? (Programmheft Gesellschaftsmodell Großbaustelle 2017: 8) Der Kultursoziologe Ronald Hitzler spricht von fragiler Sozialität, die den Common Ground unserer Gesellschaft kennzeichnet (Honer, Meuser u. Pfadenhauer 2010). Ein zentrales Merkmal „fragiler Sozialität“ sind posttraditionale, populärkulturelle Vergemeinschaftungen. Sie zeichnen sich – um eine der verschiedenen Definitionen aufzugreifen – durch Netzwerke lokaler Gruppen, durch einen translokalen, meist medial vermittelten Sinnhorizont, durch deterritoriale Referenzsysteme und durch einen thematischen Kern aus. (Hepp 2010: 343) Dabei lassen sich drei Deutungsstränge hervorheben: Erstens spricht ein topologischer Bedeutungswandel im Zuge der Festivalisierung von Städten für den Zusammenhang zwischen Stadtentwicklung, Standortpolitik und Gentrifizierung. Zygmunt Bauman spricht von ästhetischen Gemeinschaften mit einer „expliziten oder stillschweigenden Übereinkunft, die sich in der unwillkürlichen Billigung eines ästhetischen Urteils bzw. in uniformem Verhalten äußert“ (Bauman 2009: 81). Zugehörigkeit und damit ein gemeinsames Verständnis von Gemeinwohl wird zu einem ständigen Aushandlungsprozess im Feld der Mehrdeutigkeiten. Grenz und Eisewicht entwickeln den Begriff des Zugehörigkeitsmanagements (Grenz u. Eisewicht 2012). Auf den Bühnen der Großbaustelle wird das Bauen zu einer „Praxis als dynamische Verkettung von Handlungen zu Praktiken, wobei sich die Praktiken wiederum zu umfassenderen Praxisformen verknüpfen können“ (Hörning 2012: 11). Die Kulturwissenschaftlerin Sabine Eggmann bindet den Praxisbegriff an Prozesse der Ver-
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netzung verschiedener Ordnungen (Eggmann 2013, 2009). Unter dem Titel Kultur-Konstruktionen (Eggmann 2009) entwickelt sie einen relationalen Kulturbegriff, den sie „als Praxis des kontinuierlichen Aushandelns von Verschiedenheit und Ordnung konzipiert“ (Muri 2013: 18 in Anlehnung an Eggmann 2009). Kultur erhält dabei eine Schlüsselrolle, indem sie die Herstellung alternativer Ordnungen über Prozesse gesellschaftlicher Selbstverständigung immer wieder neu ordnet. Die Herstellung alternativer Ordnungen konkretisiert sich in Praxen (Eggmann 2013), in welchen sich Handlungsräume und -zeiten (Muri 2013) immer wieder neu verschränken. Mit Blick auf die Inszenierung von Rimini Protokoll stellt sich daher die Frage, in welchen Kontexten und unter welchen Bedingungen das Bauen – auf der Großbaustelle wie beim individuellen Traumhaus eines frisch verheirateten Paares – Prozesse und Praxen gesellschaftlicher Selbstverständigung neu ordnet und vernetzt. Missverständnis Stadt – die Stadt als Staat Meine Ausgangsthese, dass Städte, Räume und Bauten dem Missverständnis unterliegen, sie wären greifbar und handhabbar, folgt neben einer raum- und zeittheoretischen Dimension daher einer dritten Dimension, die sich als Repräsentation des Urbanen, des Gebauten umschreiben lässt. Es beginnt mit Texten der frühen Stadtsoziologie, in denen der moderne Akteur als Sozialfigur, der Typus des Städters als distanzierter Taktiker beschrieben wird (Simmel 1995 [1901]). Sie prägen bis heute zusammen mit einem funktionalistischen Verständnis von Nutzenden, Stadtvisionen und Architekturvisualisierungen, die für Novotny in der „erstickungsanfallzeugend häufigen Verwendung von Buzzwords wie ‚Vision‘ pervertiert“ werden (Novotny 2017: 14). Ähnlich der Vogelperspektive auf das Straßengitter von New York (de Certeau 1988: 11) zeugen die meist mit CAAD-Darstellungen vermittelten Visionen von einem idealistischen Blick. Der abgebildete, im Alltag unterschiedlich angeeignete Sozialraum erfährt über visuelle Repräsentationen eine Vereinheitlichung (vgl. Muri 2016: 396–406). Der Charakter des Raumes wird zu einem Produkt im Prozess der Produktion beim „Verkaufen“ der Stadt auf dem global orientierten Städte- und Immobilienmarkt. Der Kulturwissenschaftler Tobias Scheidegger spricht von zwei „raumpolitischen“ Strategien, die die Bilderproduktion urbaner Öffentlichkeiten prägen (Scheidegger 2009: 98–117): Einerseits zeugen CAAD-Darstellungen vom Sichtbarmachen durch Helligkeit, glatte Oberflächen, das Weglassen von dunklen Winkeln und transparente Hüllen aus Glas im Sinne Foucaults von einem panoptischen Blick auf den Raum (Foucault 1976). Sie werden von Texten in den Tagesmedien begleitet, die vor dem Hintergrund einer segregativen Stadtpolitik stehen. Visuell dargestellte Transparenz repräsentiert Gesellschaftsideale, die Angst vor dem unkontrollierten Raum und die Sehnsucht nach einem widerstandslosen „sauberen“ Raum verdeutlichen: Es scheint, als seien an ihm die von de Certeau beschriebenen Operationen mit erschreckender Effizienz vollzogen worden: […] Nichts hinterlässt im homogenen Raum der digitalen Traumwelt Spuren, es gibt keine Patina, keinen Abfall, keinen Vandalismus als Zeichen verflossener Zeit und vergangener Ereignisse. Die Totalität ununterbrochener und
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ungebrochener Oberflächen scheint jede Emanation von gelebter Zeit in sich zu absorbieren und somit zum Verschwinden zu bringen. (Scheidegger 2009: 91) Diese selektiv vorgehenden Visualisierungsprozesse des Sichtbar-Machens gehen andererseits mit Strategien des Unsichtbar-Machens einher. Der „schöne Alltag“ als Ziel einer von Gentrifizierung und Konsumästhetik beherrschten Stadtpolitik führt dazu, dass „man auf den Visualisierungen bestimmte Gruppen und Schichten von Stadtbewohnern nie zu Gesicht bekommt“ (Ibid.: 91). Eine solche Stadtpolitik ist „Ausdruck einer durch die Kunden diktierten Verkaufsästhetik […]. Durch die Neuausrichtung der Stadtentwicklung, wie sie im Rahmen der Headquarter Economy vollzogen wird, erfolgt eine Fokussierung auf spezialisierte Reproduktion, die den Bedürfnissen nach einer Ästhetisierung des Alltags in Produktion und Konsum entgegen kommt “ (Ibid.: 113). Die Stadt als Staat, lässt sich hier folgern, repräsentiert das Bild eines Gesellschaftsmodells, das von utopischen Vorstellungen des Zusammenlebens ausgeht, so meine dritte These. Insofern verführen das Bauen wie die bunten Bauhelme und das fallende Geld in Gesellschaftsmodell Großbaustelle zum Wunsch nach Darstellbarkeit des Gesellschaftlichen, über Bilder und Visionen. Stadtgedanken – Architekturvisionen – Alltagspraxen Die Großbaustelle im Spiegel ihrer utopischen Gegenwelten – der Vorstellung eines baubaren Masterplanes, der eine ideale Bühne für das Alltagsleben bildet, von Bürgerbeteiligungsanlässen, die auf einfache Weise Partizipation ermöglichen, eines Gemeinwohls, das sich jenseits ständiger Aushandlungspraxen festhalten ließe – zeugt von einem Verständnis des Gebauten, das jenseits der gesellschaftlichen Aneignung und Produktion durch die Nutzenden als Verflechtung von politischen und ökonomischen Interessen betrachtet werden kann: Das Gebaute als greifbares Bild gesellschaftlicher Verhältnisse. Das (Miss-)Verständnis Stadt gründet vor dem Hintergrund meiner drei Thesen daher auf einer selektiven Wahrnehmung von Denktraditionen und theoretischen Konzepten zur Perspektive
Architekturvisionen bleiben sowohl von innovativen Debatten in den Kultur- und Sozialwissenschaften als auch von Fragen der konkreten Nutzungspraxis in öffentlichen urbanen Räumen weitgehend unberührt.
auf und Analyse von Fragen des Urbanen, des Städtischen und des Bauens. Architekturvisionen bleiben sowohl von innovativen Debatten in den Kultur- und Sozialwissenschaften als auch von Fragen der konkreten Nutzungspraxis in öffentlichen urbanen Räumen weitgehend unberührt: Wie kommen Gemeinschaften heute zusammen? An Beteiligungsverfahren für Großbauprojekte oder an attraktiven Events? Wie werden gemeinsame Inhalte und Wertvorstellungen beeinflusst? Ein augenfälliges Merkmal, so meine abschließende vierte These, ist ein gewandeltes Verständnis des Politischen, der gemeinsamen Gesinnung und gemeinsamer Wertvorstellungen, die das Politische auf eine bestimmte Weise formt oder „verschleiert“. Politische Diskussionen werden heute zu Reliktkulturen des politischen Diskurses und gesellschaftspolitische Ziele wie Inklusion und Ökologie finden Widerhall in Trendquartieren, Prinzessinnengärten und Urban-Gardening-Initiativen. Oft vermischen sich Lifestyle-Elemente von Trendquartieren mit politischen Anliegen so sehr, dass letztere nicht mehr sichtbar sind. Der vorliegende Text vertritt daher nicht die These
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eines Verschwindens des Politischen, sondern einer Verschleierung der Produktionsbedingungen und der Formen der Teilhabe durch Akteure der Zivilgesellschaft. Die betroffene Öffentlichkeit wird durch inszenierte Informationsund Beteiligungsanlässe für Großbauprojekte konditioniert, es werden bestimmte, attraktiv verpackte Visionen des zu Bauenden erwartet. Dieser Prozess ist dabei reziprok: Erwartungen der Öffentlichkeit werden durch Projektentwickler und Kommunikationsexperten supponiert. In diesen unscharfen Zuweisungen und Akzeptanzmustern liegt meines Erachtens die gesellschaftspolitisch problematische Folge begründet: „Gefühliges“ Wir-Bewusstsein und eine konstellative Zwangsläufigkeit durch Mutmaßung gemeinsamer Interessen (Pfadenhauer: 365; Hitzler 2008: 137) ermöglichen keinen belastbaren Common Ground. Über solche mutmaßenden Prozesse werden in postdemokratischen Kontexten Aufmerksamkeiten reguliert, nicht jedoch die Produktionsbedingungen von Großbaustellen. Anders bei der Theaterproduktion Gesellschaftsmodell Großbaustelle: Die Zuschauenden werden zu Akteuren einer multiperspektivischen Betrachtung des Phänomens Großbaustelle und somit Mitproduzenten im Sinne de Certeaus. Die „Verpackung“ des Politischen über bauliche Visionen steht für die Ordnung gesellschaftlichen Wissens und beeinflusst strukturelle Voraussetzungen der Produktionsbedingungen gesellschaftlicher Verhältnisse.
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Die betroffene Öffentlichkeit wird durch inszenierte Informations- und Beteiligungsanlässe für Großbauprojekte konditioniert.
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Träumende Kollektive. Tastende Schafe
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Ein interaktives Stück für eine Cloud aus bis zu 120 Theaternutzern. Data-Mining und Big Data, digitale Echokammern und Machine Learning: Das Internet produziert alternative Formen der Partizipation und stellt hergebrachte Praktiken der Meinungsbildung in Frage. Mit Ausgangspunkt in Griechenland, wo die Demokratie erst kürzlich zu scheitern schien, erkundet Träumende Kollektive. Tastende Schafe die Bedeutung des digitalen Raums für demokratische Prozesse. Das Jahr 1990 markierte einen Einschnitt: Nach dem Fall der Berliner Mauer wurde mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten der Kalte Krieg beendet. Im Jahr 1990 wird das Internet für die kommerzielle Nutzung freigegeben und damit zu einer der ersten gesamtdeutschen kollektiven Erfahrungen; es prägt die Arbeitswelt, die soziale Kommunikation und das Verhältnis zu politischen Institutionen. Wie geht eine neue Generation, die nun mit der ganzen Welt vernetzt ist, mit Fragen persönlicher, sozialer und politischer Identität um? Wodurch wird ihr Wahlverhalten beeinflusst: Werden demokratisch legitimierte Wähler durch algorithmische Legitimationen ersetzt? Welche Erwartungen stellen wir an die Mechanismen demokratischer Willensbildung? Welche Formen von Partizipation und Demokratie sind für uns relevant? Kostis Kallivretakis, geboren in Griechenland, studierte Chemie und Schauspiel in Athen, lebt und arbeitet als Performer in Berlin und Athen. Vassilis Koukalani, mit griechischen und iranischen Wurzeln, ist in Köln geboren, spielt als Schauspieler sowohl in griechischen als auch deutschen Film- und Theaterproduktionen mit. Zusammen mit dem intelligenten System IRIS leiten die beiden Performer durch eine theatrale Spielinstallation, die nach dem Wert der Ware Daten fragt und diese in einer sinfonischen Situation zum Klingen bringt. Mit einer Smartphone-App ausgestattet, begeben sich die Zuschauer in einen permanenten Abstimmungsprozess. Das Publikum selbst wird dabei zum Klangkörper, der netztypische Dynamiken des Schwarmverhaltens überführt – in den analogen Raum.
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LOGBUCH
10. Januar 2017, Dresden Gespräch mit dem stellvertretenden Sächsischen Datenschutzbeauftragten. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist durch die Verfassung zumindest gewährleistet. Aber wie gehen wir selbst damit um, dass wir die Privatwirtschaft permanent füttern? Und dass die Politik
Daniel Wetzel, Julia Weinreich
bzw. Staatsapparate immer mehr versuchen, auf diese Daten Zugriff zu bekommen? Im Bundesinnenministerium wird an einem Ergänzungsgesetz gearbeitet, das die Zweckbindung von Daten aufweichen soll, auch im Interesse der Wirtschaft. Informationsfülle ist Macht. Der Übergang von Macht aus dem politischen Raum in die
Dresden –> Stanford –> Athen –> Berlin –>
Wirtschaft nimmt an Fahrt auf. Algorithmen haben bereits
Epidaurus –> Pirna/Athen –> Internet
weitgehend Entscheidungsfunktionen übernommen – Kreditwürdigkeit, Hafterleichterungen, Preisgestaltung, Zielgruppen, Sperrgruppen … In die Zukunft gedacht: Wie schnell und konkret können Algorithmen bestimmende Komponenten im demokratischen Apparat werden? 11. Januar 2017, Dresden Probebühne. Kein Internetzugang. Aber die Smartphones der meisten Anwesenden markieren sicher, wo wir sind, entsprechend auch, mit wem wir beisammen sind. Die Funkstationen der Mobildienste speichern es
Plato | Robotik | Artficial Intelligence | Kultur-
auch. Dr. Stefan Köpsell, wissenschaftlicher Mitarbeiter
schock Leihbibliothek | elektrische Schafe |
für Datenschutz und Datensicherheit, kann von da aus
Grexit | Gegen Wahlen | Online-Spiele | Darknet |
mit ein paar weiteren Informationen bis zu den Algorith-
Sinfonie aus Fragen
men vordringen, die unsere Patientendaten verarbeiten. 13. Januar 2017, Dresden Aus Sicht des Historikers für Technik- und Technikwissenschaftsgeschichte sind technische Neuerungen stets mit Debatten, utopischen und dystopischen Entwürfen verbunden. Führten Walkmen dazu, dass alle in ihrer Audio-
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Egoblase vor sich hintappen? Mit dem Pendelverkehr
Arbeit – dann der Millionen-Segen und das Ende des
per Eisenbahn in Großbritannien entstanden auch Leih-
Teams: WhatsApp, Skype, Viber – alle wollen diese
bibliotheken in den Bahnhöfen. Man konnte Bücher am
Software-Komponente, die Fehlermeldungen an die
einen Ort entleihen, am anderen abgeben. In den ersten
Entwickler zurücksendet. Die meisten folgen dem Ruf
beiden Klassen, in denen genügend Platz war, ver-
nach Kalifornien, die junge Firma bekommt ein paar Ti-
stummte das Geplauder und man sah sich Lesenden ge-
sche im Gebäude, drei der vier erhalten unterschiedlich
genüber. Ein Kulturschock. Untergang des Gesprächs-
hohe Millionenbeträge, Dimitris nur ein paar tausend
abendlandes. Im Jahr 1860 wird die Schädlichkeit des
Dollar – er hatte ein Zertifikat zu wenig, um ebenfalls
Lesens beim Reisen an einem medizinischen Kongress
ein Jobangebot zu bekommen. Ging mit nach San
untersucht. Ergebnis: Reiselektüre kann zwar eine ge-
Francisco, um die Übergabe zu machen. Kam gerne
wisse schädliche Wirkung auf die Augen haben, Versu-
wieder zurück. Das Internet, wie es im Moment struktu-
che, sie zu unterbinden, brächten aber nichts.
riert ist, soll so in einigen Jahren nicht mehr existieren, der US-Zentralismus des Netzes abgelöst sein von
19. Januar 2017, Stanford
einer eher lokalistischen Netzwerkarchitektur. Daran
Aufwachen auf dem Campus. Hier entstanden Google,
wird mit Open Source gearbeitet, wie an Linux gearbei-
Facebook usw. Das Valley ist ein Tal in der Nähe. Hier
tet worden war.
müssten eigentlich Roboter-Hirsche und fliegende Lunchpakete anzeigen, wo wir sind. Viele würden gerne
6. Februar 2017, Dresden-Trachau
eine Nachricht erhalten: „Willkommen in der Beta-Ver-
Die Landeszentrale für politische Bildung Sachsen ist
sion der First-Life-Simulation, in der das Unwahrschein-
überraschend peripher gelegen, am Stadtrand. Es geht
liche eingetreten ist. Zum Verlassen klicke Return.“ Der
hier vor allem um Gesprächsformate landesweit vor Ort
Rimini-Protokoll-Workshop an der Universität über
und um die Arbeit in Online-Foren. Und es gibt immens
Theater und Politik wäre beinahe abgesagt worden, nun
viel Arbeit. Laut dem „Sachsen-Monitor 2016“, einer
ist er auf ein zeitliches Minimum reduziert. Die Universi-
repräsentativen Befragung der Bevölkerung Sachsens
tät hatte nicht mit einer Wahl von Donald Trump gerech-
im Auftrag der Staatskanzlei, sagen 69 Prozent, hier
net und für den traditionellen Tag der Amtsübernahme
lebende Muslime akzeptierten unsere Werte nicht, und
Lehrplan as usual geplant. Nun sollten die Studenten
39 Prozent, Muslimen solle die Zuwanderung nach
nicht davon abgehalten werden, zu demonstrieren: Ana-
Deutschland untersagt werden, 18 Prozent stimmen
log, auf der Straße. Die meisten wollten zur Großdemo
dem Satz zu, die „Deutschen seien anderen Völkern von
in San Francisco.
Natur aus überlegen“.
3. Februar 2017, Athen
22. Februar 2017, Athen
Er hat mal an einem Startup-Projekt mitgearbeitet. Vier
Skype mit Alan Mills aus Guatemala. In seinem Buch
Leute, eine Lücke, die es zu schließen galt, zwei Jahre
Hacking Coyote. Tricks for Digital Resistance sind wir
Staat 3 | 121
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:44 Seite 122
ohnehin
schon
„lesbar,
vermessen,
überwacht,
überprüft, gesteuert wie durchnummeriertes Vieh, das aufs Schlachthaus wartet; wir sind als Herde organisiert, wie elektrische Schafe, unfähig die Gefahr zu spüren“ – Elektrische Schafe … hm … warte mal. Nein, die träumen nicht von androiden Schlachthöfen, oder? Der Kojote jedenfalls durchwandert den „dunklen Cyber-Totalitarismus unserer Zeit“, dekodiert, läuft quer, spöttisch – ein Datenraubtier, das uns „schamlos mit einer Wolke aus seiner kubanischen Zigarre unser Gesicht streichelt“. 23. Februar 2017, Athen Gabriel Sakellaridis hat die Erfahrung gemacht, in Mikrofone und Kameras zu sprechen im Bewusstsein, dass die Börsenkurse unmittelbar auf seine Worte reagieren. Er war Pressesprecher der griechischen Regierung während der ersten Monate der Syriza-Regierung. Nach dem Referendum ging er enttäuscht zurück in die Wissenschaft: Ökonomie. Raus aus dem Spielfeld, in dem er permanent wissen sollte, was die Position der Minister und was das Problem beim Referendum war. „Die Frage war nicht klar. Die Wähler konnten gar nicht genau wissen, wofür oder wogegen sie stimmen, und es gab auch
24. Februar 2017, Athen
keine Zeit, sich über die Konsequenzen zu verständigen.
Trottel, Depp (besonders in den oberdeutschen Dialek-
Es wäre ehrlicher und strategisch besser gewesen, zu
ten), Dummkopf, Schwachkopf, Hornochse, Einfaltspin-
sagen: Nein heißt unter Umständen Grexit. Die Verhand-
sel, Vollpfosten (neu) oder Narr (veraltend) – eine Wiki-
lungsposition gegenüber den Geldgebern wäre stärker
pedia-Liste zum gegenwärtigen Gebrauch von Idiot.
gewesen. Dann hätte auch mehr Klarheit geherrscht da-
Nichtwähler ist nicht dabei. Dabei ist im klassischen
rüber, ob die Nein-Wähler den Grexit in Kauf genommen
Athen idiotis, wer sich aus dem öffentlichen Lebens ins
hätten. Das Spiel ‚Ihr bekommt mehr Geld, wenn ihr un-
Private zurückzieht. – Im Gegensatz zum politis, der sich
sere politischen Empfehlungen umsetzt‘ begann spätes-
in die Angelegenheiten der Polis einmischt. Der junge
tens im Jahr 2000.“ Wäre auch ein super Experte in
Historiker, mit dem wir darüber sprechen, sagt, Demo-
einem Experten-Stück gewesen. Let’s take another di-
kratie sei das einzige, wofür er unter Umständen auch
rection.
töten würde. Die Entscheidung des Sokrates, sich das
122 | Staat 3
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:44 Seite 123
Leben zu nehmen und damit die demokratische Ent-
bar einstufte. Schulz antwortete einige Monate später im
scheidung über sein eigenes Leben zu stellen.
September, er sei im Urlaub gewesen und werde den Bericht lesen. Die Memoranden, die Griechenland unter-
3. März 2017, Athen
schrieben hatte – ein Verstoß gegen die Menschen-
Im Büro der Anwältin und Politikerin Zoi Konstantopou-
rechte, da sie die Regierung eines Landes zwingen, zu-
lou. Eine in Körpergröße, Blick, Stimmgewalt und Argu-
ungunsten seiner Bevölkerung zu agieren.
mentation beeindruckende Erscheinung. Wird dies ein Stück, in dem sie auf der Bühne steht? Sie ist die ehema-
9. März 2017, Dresden
lige Präsidentin des Parlaments, die in der Debatte über
SAP. Hier wird anders gearbeitet, signalisiert das Design
das Ergebnis des Referendums der Realpolitik das fun-
und bekommt man sofort erklärt anhand der flexiblen
damentale, das „Griechische“ des Votums vertritt. Die
Arbeitszeit. Der Blick aus dem fünften Stock markiert die
Frage des Referendums war für sie sonnenklar – eine
Position, die Software Solutions mittlerweile eingenom-
Gewissensentscheidung über die Zukunft und Unabhän-
men haben: Zwinger, die Hofkirche, Semperoper. Wird
gigkeit des Landes. Tsipras hatte sie gefragt, was er tun
das ein Stück, bei dem das Publikum eine Cloud bildet?
solle, sollte das Ja sich durchsetzen. Ihre Antwort: Zu-
Wir sollen uns eher in Berlin bei den entsprechenden
rücktreten. Seine Reaktion: schockiert. Er habe auf ein Er-
Abteilungen kundig machen. Das Öl von morgen: un-
gebnis um 50/50 gehofft, um ein Alibi zu haben, die Ver-
strukturierte Daten, Bilder, Ton – und wie man sie raffi-
handlungen in Brüssel fortzusetzen. Das Nein – für
niert. Beispiel: Farbtrends für Mode anhand der neu ge-
Konstantopoulou ein logisches, emotionales, demokra-
posteten Fotos auf Facebook permanent aktualisieren.
tisches Nein, auch weil Würde schwerer wiege als das ei-
Kein großer Modekonzern, der nicht mit solchen Solu-
gene Überleben. Das Internet: eine wichtige Chance für
tions permanent das Netz durchkämmen ließe. Gibt’s
die Demokratie. Vielleicht die einzige Chance, die durch
auch SAP-Solutions für Wählertrends und Parteipro-
Medien manipulierte und desinformierte Bevölkerung
gramme? Das machen andere, soweit bekannt.
durch ungeschönte Zahlen aufzuklären. Nachdem der
„So gilt es, will ich sagen, für demokratisch, dass die Besetzung der Ämter durch das Los geschieht, und für oligarchisch, dass sie durch Wahl erfolgt.“ Aristoteles
damalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz im Vor-
10. März 2017, Berlin
feld des Referendums 2015 die Griechen aufforderte,
Im Internet ist auch nachzulesen, dass die Bibliothek
einzusehen, dass ein Ja zu den Memoranden die einzige
des Deutschen Bundestags David Van Reybroucks
Option wäre, schrieb sie ihm als Parlamentspräsidentin
Gegen Wahlen. Warum Abstimmen nicht demokratisch
einen Brief, in dem sie ihn aufforderte, sich nicht in die
im September 2016 angeschafft und mit der Sigle
demokratischen Angelegenheiten der Griechen einzumi-
P 5150439 einsortiert hat. Eine Arbeitsgruppe des
schen und den Bericht der international besetzten Wahr-
Bundestages hat Van Reybrouck zur Diskussion in den
heitskommission zur Kenntnis zu nehmen, der die Be-
Reichstag eingeladen. Er ist ein bisschen enttäuscht,
rechnungen des IWF und der EU-Staaten zu den
dass keine Abgeordneten da sind, außer den beiden
Schulden Griechenlands als illegitim, illegal und unhalt-
von SPD und CDU, die eingeladen haben. Was hätten
Staat 3 | 123
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:44 Seite 124
die anderen dazu gesagt, dass das Losverfahren, im an-
mehrere Stunden – Dienst auf „World of Warcraft“.
tiken Athen zentraler Bestandteil des demokratischen
Immer in derselben Gruppe, recht weit oben im interna-
Prozesses, jetzt, da Demoskopie und Statistik den Pro-
tionalen Ranking, gut durchorganisiert. Urlaub und Fehl-
zess auch landesweit ermöglichen, Teil der demokrati-
tage müssen angemeldet und abgesprochen werden.
schen Entscheidungsfindung werden sollte. Einhundert
Wie wäre es, wenn wir Zuschauer, mit Avataren ausge-
per Los ausgewählte Mitglieder der Bevölkerung, zur
stattet, uns in einer dieser Welten bewegen würden? Wie
Neutralität verpflichtet, die über einen längeren Zeit-
sehen dann die anderen Welten aus?
raum ein Thema bearbeiten – wie z. B. zuletzt in Irland die Fragen zur Legalisierung der gleichgeschlechtlichen
25. April 2017, Athen
Ehe und der Abtreibung. Wird unser Projekt eines, bei
Nachts auf dem Philopapposhügel, an der Sternwarte
dem das Publikum zu Repräsentanten einer zufällig aus-
vorbei und plötzlich: die Pnyx. Auf den Resten der anti-
gewählten Gruppe wird?
ken Rednertribüne kiffen ein paar Leute. Weiter drüben läuft Musik. Nachtblick über die Stadt. Was würden sie
13. März 2017, Athen
wählen, wenn die sozialen Netzwerke, in denen sie he-
Eine Frau, die wir treffen, entwirft Spiele, auch digitale.
rumtapsen, ihnen jedes halbe Jahr auf Basis ihrer Daten
Aber immer mehr interessiert sie sich für Spiel-Formen
Vorschläge machen würden? Etwas anderes? Wie sehen
im realen Raum mit echten Menschen. Genug von Bild-
die Avatare aus, die entstehen auf diesen unräumlichen
schirmen. Körper, Rückgrat, Atmung, Stimmung. Das In-
Bühnen, die wir mit unseren Daten, Entscheidungen und
ternet ein Spiel, bei dem sich unsere verhältnismäßig
Mitgliedschaften bespielen? Mehr als 150 Jahre fand
neue Rolle als Spieler erst langsam herausschält. Wir als
hier die Volksversammlung statt, deren Name später
Spieler in einem Feld, das wir nicht ganz durchschauen
ausschließlich für die christliche Kirche genutzt wird:
und das sich im Laufe des Spielens erst selbst ent-
ekklēsía. Später zog die Versammlung ins Dionysos-
wickelt. Irgendwann beginnen wir herauszufinden, wie
Theater um.
unsere Avatare so aussehen – nicht die, die wir selbst gebastelt haben in Second Life, sondern unser Spiegel-
20. Mai 2017, Athen
bild zusammengesetzt aus all den Datenspuren, die wir
Telefongespräch mit einem Datenhändler. Er sagt, ein
hinterlassen.
paar hundert Nutzerprofile mit ihren Daten – was die so googeln –, das wäre kein Problem. Wir wollen aber auch
30. März 2017, Dresden
die Namen dazu und vielleicht noch die Berufe, damit
Besuch bei einem jungen Mann, der sich auf die An-
die Zuschauer, die auf den Smartphones ihr Profil ken-
nonce des Staatsschauspiels gemeldet hat: Suchen
nenlernen, ein paar handfeste Informationen bekom-
Leute, die uns ihre Online-Spiele erklären. An der Wand:
men. Das gäbe aber Ärger. Ja, aber dafür ist Theater
Bud Spencer, Terence Hill und Arnold Schwarzenegger.
doch ein guter Ort. Jedenfalls: „Wenn ihr sowas wollt, im
Auf dem Bildschirm: wöchentlich an mehreren Tagen für
Darknet bekommt ihr das alles.“
124 | Staat 3
„Diese Gesellschaft, die die geographische Entfernung abschafft, nimmt im Inneren die Entfernung als spektakuläre Trennung wieder auf.“ Guy Debord
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:44 Seite 125
3. Juni 2017, Athen Die Figürchen im Modell sind aus dem Modell für Prometheus in Athen (2010) – 103 Athener am Fuß des Parthenon –, einer Variante von 100 % Stadt, das wir 2013 mit hundert Dresdnern realisiert haben. Diesmal soll wieder abgestimmt werden, aber das Modell ist nicht die repräsentative Umfrage, sondern die Cloud. Die Ergebnisse nicht gleich sichtbar, sondern Futter für einen Algorithmus. Braucht ihr eine rule-based-Datenbank oder geht es um machine learning? Der vierte Programmierer für das Bühnenbild, den wir treffen, ist schwerer zu verstehen, aber der richtige Mann. 10. Juni 2017, Athen Endlich ein erster Versuch: Zwanzig Mobiltelefone sind mit einer eigens geschriebenen Test-App versehen und mit Apps zum Musizieren. Wie ist es, wenn auf jede Antwort Töne erklingen? Das Einverständnis im Griechischen ist die simfonía. Sinfonien sind in musikalischen Gedanken organisiert. Könnte eine von ihnen strukturell ein Rückgrat bieten? Könnten Töne als Resultat unterschiedlicher Antworten im Nachgang zu Sätzen 28. Mai 2017, Athen
einer Sinfonie zusammenwachsen, die entsprechend
Schon wieder so ein toller Experte. Während er in den
der Abstimmungsverhältnisse jeweils anders klingt?
USA studierte, war er sich sicher, dass er sein Leben der
Wie schreibt man eine Sinfonie aus Fragen?
künstlichen Intelligenz widmen würde, doch mangels Technologie zur Speicherung und Kommunikation gro-
9. Juli 2017, Epidaurus
ßer Datenmengen, lagen die vergangenen Jahrzehnte
Zwei Männer im Schatten des Olivenbaums auf Stöcke
im sogenannten Artificial-intelligence-Winter. Jetzt ist
gelehnt. Sie stehen schon seit fünftausend Jahren hier,
Frühlingsduft allenthalben und er ist aufgeregt: machine
abends wechseln sie ins Haus und die circa achtzig Schafe
learning. Deep learning. Endlich Systeme, die selbsttätig
in den Stall. Kein Laut, nur Glocken, die sie um den Hals
lernen können und nicht gefüttert werden müssen. Und
haben; im Moment schlafen sie, sagt einer – dabei liegt
ja, das ist sehr, sehr gefährlich, aber nicht die Technolo-
keins. Wiederkäuen. Außerdem sind sie trächtig, sie wür-
gie – wir sind gefährlich.
den alle am 15. August ablammen, sagt der andere.
Staat 3 | 125
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:44 Seite 126
12. Juli 2017, Athen Das Bühnenbild, eine gigantische Tastatur, jede Taste eine Sitz- oder Stehgelegenheit, wird wieder abgeschafft zugunsten einer Landschaft aus eher modularen, handlicheren Elementen, damit der Raum verändert werden kann. Aber wie sieht sowas aus? 25. Juli 2017, Pirna/Athen Schäfer Rohrmann via Skype: „Wenn Sie ein Schaf in meiner Herde sein wollen, dann ist das Wichtigste: Sie müssen sich unterordnen. Und einordnen. Leitschafe erlernen das Leiten der Herde von ihren Müttern. Und Sie würden weiblich sein. Die männlichen Mitglieder der Herde tragen ausschließlich zur Fleischproduktion bei.“ 27. Juli 2017, Epidaurus 14 000 Leute schauen Alkestis. Andreas ist dabei und verliert seinen Geldbeutel. Die beiden Polizisten von Epidaurus haben nichts gehört. Ruf mal bei der Hafenpolizei an. Die sagen am Telefon: „Da bist du ja! Wir haben dich auf Facebook gesucht, aber da gab’s zu viele mit deinem Namen.“ Auf die Idee, mit den Ausweispapieren in ihre eigenen Dateien zu gehen, sind sie nicht gekommen. 30. Juli 2017, Internet Schlagzeile: Facebook schaltet seine Chat-Bots ab, nachdem sie begonnen haben, ihren eigenen Idiolekt zu sprechen. Eigentlich war es ein Experiment, bei dem Facebook zwei Bots miteinander chatten ließ.
126 | Staat 3
Bob: i can i i everything else … Alice: balls have zero to me to me to me to me to me to me to me to me to Bob: you i everything else … Alice: balls have a ball to me to me to me to me to me to me to me Bob: i i can i i i everything else … Alice: balls have a ball to me to me to me to me to me to me to me Bob: i … … …
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:44 Seite 127
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:44 Seite 128
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TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:45 Seite 130
Dieses Labor ist eine Zeitmaschine. Es
STÜCKAUSZUG
geht darum, wie unser Tappsen und Tippen von heute, sich in der Zukunft auswirkt. Dafür wurde ich programmiert. Ich bin
ein Modell für eine digitale Regierung in absehbarer Zukunft. Ich wurde pro-
grammiert von Dimitris Trakas.Ich werde
Dresdner Fassung
heute bedient durch: Andreas Andreou,
Peter Breitenbach und Ioanna Valsamidou. Die Ergebnisse dieser Performance werden Ihre Performance sein. Ihre Antworten
Träumende
Kollektive. Tastende
Schafe
spielt heute und in dreißig Jahren. Die Zuschauer beantworten über ein kleines Display verschiedene Fragen und erzeugen dabei immer wieder neue Töne. IRIS, das Modell eines intelligenten Regierungssystems, führt durch den Abend in der Zukunft, während die beiden Schauspieler/Experten Fragen dazu stellen, ob das genau die Richtung ist, die wir gerade einschlagen (ohne
füttern dieses Modell einer zukünftigen Regierung. Ich werde speichern und verarbeiten. Sie geben Ihre Stimme ab und bekommen Klang zurück
Die Zettabytes, auf denen Sie sitzen,
werden die Pixel des heutigen Mappings sein. Der Zeitsprung beginnt. 1.0 Einstimmung
IRIS begrüßt die beiden Abgeordneten des heutigen Termins: Vassilis Koukalani und Kostis Kallivretakis. Kostis: Bitte keine Knöpfe auf den Geräten drücken. Manchmal braucht euer Gerät etwas länger als die anderen, um in der Cloud aktualisiert zu werden, dann wartet auf das nächste Zeichen. Sonst wendet euch an die Kollegen da links auf dem Stuhl und da rechts auf dem Stuhl. IRIS, wir sind bereit für die Profile: IRIS: Datum: 27. Oktober 2047. Die digitale Regierung, gratuliert euch zu ihrer Schöpfung. IRIS gratuliert euch zu diesem Schritt. Es war ein mutiger Schritt. Und ein demokratischer Schritt. Auch wenn er ohne Alternative war. Die Menschheit wäre untergegangen. Zu viel Krieg. Zu viel ökonomische Desaster. Zu viel Bedrohung durch die Natur. IRIS managt ab jetzt die Menschheit auf diesem Planeten. Ihr behaltet alle euer Stimmrecht. Jede Stimme hat Gewicht. Die Demokratie ist endlich flüssig geworden … 1.1 Du kannst applaudieren, wenn du willst.
IRIS: Danke. Stimmungsbild gemessen. IRIS wird euch immer besser kennenlernen. In Echtzeit. Ge-
sie vielleicht gewählt zu haben). Die Texte in den Kästen entsprechen den Anzeigen auf
IRIS: Willkommen zum sechsten Labortermin in
meinsam werden wir die Balance halten. IRIS ist
den Displays.
Dresden mit IRIS. Nach Jahren der Annäherung,
dazu da, eure Haltung zu speichern. IRIS ist die un-
der Entwicklung, der Optimierung ist es nun im
sichtbare Hand, die den Konsens steuert.
Jahr 2047 zum ersten Mal möglich, zu sagen: Menschen, eure Probleme werden ab jetzt gerecht und fair gelöst! Was ihr früher künstliche Intelligenz genannt habt, ist nun ein System geworden, das alle Konflikte zwischen Kontinenten, Ländern, Regionen, Gruppen und sogar zwischen Menschen fair und intelligent lösen wird.
130 | Staat 3
PROFILE 2.0 Profile Ich bin froh, im Jahr 2047 zu leben. Ja
Nein
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:45 Seite 131
Kostis: Stop! –
Kostis: Man kann auch auf den Tafeln die Ereig-
Kostis: Ok, Leute. Schaut euer Gegenüber an, mit
Immer wenn wir abstimmen, gibt es pro Antwort
nisse sehen.
dem ihr die Box teilt. Steht auf und tauscht den
einen speziellen Ton. Also, Beispiel: Wer mit Ja geantwortet hat, trägt diesen Ton bei: response sounds YES Kostis: Und die, die mit Nein stimmen, klingen so: response sounds NO
Meine Freizeit heute …
Sinfonia in unserer Sprache heißt Einverständnis, aber eigentlich Zusammen-Klang. Sin-fonia. Und wir hören, wie wir in dieser Frage zusammenklingen: Seid ihr froh, im Jahr 2047 zu leben? response sounds together
tropisches
Holo in einer
Ich war mit dem Shopping Mall in
Nickerchen herun-
China
tergeladen.
DER GLEICHE
ALS GESTERN Ich bin
realistisch.
Helikopter.
der Couch aus zu.
Älter
Zu
Zeitlos
Nicht
Hat
hat
Zeit
ressant
gemäß
gut
scheidet IRIS für euch auf Basis eurer Daten. Mein Frühstück heute:
nicht
geholfen
keiner mein Typ
inte-
zeit-
sich ge-
halten
VEGAN
2.1 Tausche den Ort mit deinem Gegen-
Speck und Bohnen
Saft und Früchte
ihn ein.
aus London heruntergeladen.
Ich hab mir
aus Griechenland
sein.
Vassilis: Wir sind ein Chor. IRIS: Ein Chor, der Tragödien verhindern kann. Vassilis: Und wir beide, Kostis, Vassilis, sind
KLASSISCH FETT
Ich hab Eier und
nieren.
Wir würden uneins
der Wolke. IRIS speichert. Ab jetzt seid ihr ein Chor.
2047 aus?
Kostis: Achtung: bei Stimmenthaltungen ent-
DISSONANZ
IRIS: Die Profile sind aktualisiert. Willkommen in
Dein Gegenüber: Wie sieht er/sie jetzt
werden
EINKLANG
Kostis: Wechselt zurück zu euren Geräten.
PER HOLOGRAMM
Ich schaue von
derer Meinung sein als du?
2.2 Wechsle zurück zu deinem Gerät.
EIN ANDERER
PER LUFT mit
dem Autopilot-
Dein Gegenüber wird in vielen Punkten an-
Wir würden harmo-
Mein Partner heute ist …
Ich lebe monogam.
So bin ich heute ins Theater gekommen:
oder Nein sein soll.
WÜNSCHEN
Ich hab mir ein
WIE GESTERN
Vassilis: Nächste Frage.
tet ihr für sie oder ihn. Entscheidet, ob es ein Ja
TRÄUMEN
Traumset für ein
Kostis: Wir sind ein Orchester der Meinungen.
Platz. Seid vorsichtig. Die nächste Frage beantwor-
über. Die nächste Antwort gibst du für
heute die Chor-Führer. Kostis: Die Koryphäen. 2.3 Applaus oder Buh
IRIS: Danke. Stimmungsbild gemessen. Kostis: Nächste Runde. WUNSCHLISTE 3.0 Abstimmung: Ziele
ausgedruckt.
Staat 3 | 131
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:45 Seite 132
IRIS: 27. Oktober 2047. Abstimmung Nummer 1/ Ziele für die Zukunft der Menschheit. Abstimmung. Kostis: Wunschliste! Jetzt, 2047. Vassilis: Was wünschen wir uns für die Zukunft? Kostis: Dann, 2067.
langes Leben
Hochladen meiner
Gedanken
und Erin-
Nicht
einsam
zu sein
nerungen
In
Frieden zu
sterben
Chancen sich
zu ent-
wickeln.
soll
Macht
über sie haben.
Keine
Unsterb-
Manchmal
sollte
linge –
als
nur
Wissen
lich
sein.
Eindringweder Staat
lichkeit Avatar
noch
einfach
Immer
gesund zu
sein.
Leben ohne
Einsamkeit
lasse ich das System entscheiden über … Mein
Guthaben
tingent
für Ener-
Meinen
Wohnort
gie und
zu sein
Gauner
Mein Kon-
Meine
Arbeitszeit
Wasser
IRIS: Die Abstimmungsergebnisse werden übernommen. IRIS speichert.
IRIS: Erinnerung: bei Stimmenthaltungen ent-
Vassilis: Moment! Legt eure Geräte hier an wie
scheidet IRIS für euch auf Basis eurer Daten.
wir. Und steigt auf wure Zettabytes. Wer hat gleich gestimmt wie ihr? Wir haben die Farben unserer letzten Antwort auf
Genauer
Minder-
Menschen
Zur
wie es
und
Sklaverei
gehen.
erklären, Ein
Zur Erfüllung meiner Wünsche,
offline
Das System sollte …
Für meine Kinder ist mir wichtig … Niemand
Alles
zugäng-
Vassilis: Nun für unsere Nachkommen.
Beste
wichtig:
immer
Für mich persönlich ist wichtig … Ein
Für ein besseres digitales Leben ist mir
Entscheidungen
trifft.
heiten
OfflineMenschen
vor
schützen.
besser
berück-
sichtigen.
Hölle Alle Pro-
gramme
runterfahren!
dem Gerät. Gleich werden wir nochmal alle die Farben unserer Antworten sehen und dabei die Abstimmung nochmal hören. IRIS: IRIS berechnet das Klangbild der vorigen Abstimmung. Vassilis: Abflug! Wir fliegen! Kostis: Ornithes! Die Vögel. Zeigt eure Flügel. Vassilis: Zeigt eure Ergebnisse! Eine schöne neue Welt wird das! Eine schöne neue Welt ist das! Sie hat neue Wolken bekommen. Wolken die
Für eine bessere Gesellschaft ist mir wichtig … Gesellschaft ohne
Armut
132 | Staat 3
Einklang mit der Natur
Gesellschaft ohne
Gewalt
Faire,
gleiche Chancen
für alle
unsere Wünsche lesen und miteinander abgleichen! Vassilis: Ich hab eine Frage an den Chor: Wir sind
Die Clouds ziehen über uns hinweg und lesen
jetzt 2047 zehn Milliarden Menschen, das ist dop-
unsere Wünsche. Und wir schwirren dazwischen
pelt so viel als 1989. Frage: Damit eure Wünsche in
wie Vögel!
Erfüllung gehen können, wo würdet ihr am ehesten Opfer bringen? IRIS: Danke. IRIS übernimmt die Frage:
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:45 Seite 133
VERNETZTE SYSTEME 4.0 Abstimmung 2: Vertrauen
IRIS: 27. Oktober 2047/Abstimmung Nummer 2/Vertrauen in vernetzte Systeme. In dieser Abstimmung geht es um Gefühle. Die Menschen haben entschieden, dass IRIS Gefühle berücksichtigen soll, aber nicht selbst Gefühle entwickeln soll. Jetzt geht es um Gefühle gegenüber dem System.
dungen von Menschen zwischen Schnellrechnern
Vassilis: So, alle, die sagen, dass sie immer wäh-
gehandelt als an der Börse. Kein Mensch konnte
len gehen: Ihr habt grün auf dem Apparat. Nehmt
mehr überblicken, was gehandelt wurde.
eure Vassilisbytes und stellt sie hier ab.
Kostis: Aber Regierungen gingen wir immer noch
Kostis: Meine Frage an die Nicht-Wähler. Sollten
wählen. Analog. Mit Stift und Papier.
diese Nicht-Stimmen im Parlament sichtbar sein?
Alle vier Jahre wählen zu gehen, war mir wichtig. Gar nicht
▸
▸▸
▸▸▸
Sehr
Kostis: Moment, erstmal müssen wir nochmal
Bei der letzten Bundestagswahl waren es 25 Prozent. Das würde bedeuten: 177 Sitze im Parlament. Sollten die Nichtwähler Sitze im Parlament haben? Ja
Nein
über Entscheidungen reden. Mein Thema hier ist:
Kostis: Ah, heute ist der Ton sehr tief, das heißt,
Entscheidungen!
es ist euch nicht wichtig, alle vier Jahre wählen zu
Vassilis: Erinnert ihr euch: Damals, Oktober 2017,
gehen.
Vassilis: Diejenigen, die dagegen sind, die kom-
da wart ihr im Theater.
Vassilis: Aber war das ohne Algorithmen besser?
men raus!
Kostis: In dieser Zeit: Wer entschied, ob man von
Ich bin Iraner und einmal war ich dort wählen, es
Kostis: Aha, Frage an euch, die ihr geblieben seid
der Bank einen Kredit bekommt? Und zu welchen
gab große Hoffnungen – aber am Ende: Wahlbe-
und die ihr für Sitze für Nichtwähler seid: Was soll
Bedingungen?
trug, ganz sicher! Und zu wissen: Mit Wahlen wird
man mit diesen weißen Sitzen machen? Ich habe
Vassilis: Ein Algorithmus.
die Macht erhalten.
zwei Vorschläge: Entweder man lässt die Sitze leer
Kostis: Wer entschied über die Preise im Supermarkt: Vassilis: Algorithmen. IRIS: Programme, die Regeln folgen, die noch von Menschen geschrieben wurden. Kostis: Welche Werbung du sehen sollst …?
Wahlergebnisse, wie sehr beeinflussen sie dein Leben? Gar nicht
▸
▸▸
▸▸▸
Sehr
Vassilis: Algorithmen. Und mehr und mehr Entscheidungen wurden durch Programme möglich,
Kostis: Zwecklosigkeit. Meine Frage: Wer von uns
durch Software.
hat mal bewusst entschieden, nicht wählen zu
Kostis: Wir haben die Entscheidungen delegiert.
gehen?
IRIS: Zunächst war das Internet ein Verbindungsnetz zwischen Computern, die von Menschen bedient wurden. Die Menschen wollten vor allem spielen. Spiele. An der Börse. Und mit ihren Körpern. Dann ließen sie die Rechner gegeneinander spielen. Mehr Aktien wurden ohne die Entschei-
oder wir ziehen das Los, wie im antiken Athen: Vassilis: Klirosis! Was soll mit den Nichtwähler-Sitzen passieren?
Sie sollen
Sie sollen
Die
bleiben.
Bürgern be-
Partei
leer
Hast du einmal bewusst eine Wahl
verweigert? Ja
per Los mit setzt werden.
stärkste bekommt sie.
Vassilis: Stichwort antikes Athen – wir müssen Nein
was bauen: die Pnyx. IRIS show us who has fourty percent of the answers in common.
Staat 3 | 133
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:45 Seite 134
4.0.1 Wechsle auf die andere Seite.
Da unten leuchten Millionen Fenster. Wie wär’s,
Vassilis: Versteh ich nicht. Du meinst …
wenn ich die Leute da unten was fragen könnte: Hey,
Kostis: Was war vor 32 Jahren? Das Referendum –
Vassilis: Kommt, wir bauen die Pnyka/Pnyx.
geht’s euch gut? Und wer Nein sagt, macht das Licht
ein Spiel!
Pnyx wird gebaut.
aus. Ich sitze auf dem Fundament der BHMA, das
Vassilis: Ah, genau, die Griechen wurden gefragt:
IRIS: Danke. IRIS berechnet.
heißt „Schritt“ auf Griechisch. Und das war das Po-
Wollt ihr die Bedingungen der Europäer akzeptie-
Kostis: Halt! Noch nicht! Leute, schaut euch um,
dium der antiken Volksversammlung. Die erste de-
ren, oder nicht? Die Details spielen jetzt keine
lauft herum und findet denjenigen, von dem ihr
mokratische überhaupt. Ein neues Ideal: Regierung
Rolle. Aber es war in letzter Minute. Die Banken
denkt, dass ihr die WENIGSTEN Antworten ge-
hieß: das anzustreben, was die Mehrheit wollte.
waren bereits zu, es gab kein Geld mehr.
meinsam habt. Findet einen Platz und setzt euch
Das Los hat entschieden, wer regieren sollte, für
Kostis: Hast du mitbekommen, dass der Chor der
gemeinsam.
die Dauer eines Jahres. Später ist die Volksver-
europäischen Machtzentralen sagte: Wenn ihr
Vassilis: Ihr habt Zeit, solange ihr Musik hört.
sammlung ins Theater umgezogen, ins Dionysos-
nicht unterzeichnet, dann ist es irgendwie aus?
IRIS: Danke. Angenommen. IRIS berechnet das
Theater, am Fuße der Akropolis.
Vassilis: Ja. „Geld oder – kein Leben“. Als würden
Klangbild der vorigen Abstimmung.
IRIS: Frage: Ist die Versammlung noch interessiert?
wir dann nicht mehr weiterexistieren. Als ob Grie-
Vassilis: Hey, außer den Fragen aus deinem Pro-
chenland abdriften würde und an einem anderen
gramm haben wir auch eigene Fragen! Sonst
Kontinent andocken könnte. Dann seid ihr raus.
bringt’s das ja nicht!
Das schwarze Schaf.
4.1 Finde die Person, von der du denkst, dass ihr die wenigsten Antworten gemeinsam habt.
IRIS: Danke. IRIS speichert. 4.2 Setzt euch zusammen.
Kostis: Ein schwarzes Schaf färbt die ganze Herde
Seid ihr interessiert? Ja
ein. Also lass dich scheren, oder – raus. Nein
IRIS: Danke. Unterpunkt angenommen.
sie ein Leben ohne Gewalt leben wollen.
Medien waren alle für JA – NAI. Die Nachrichtensendungen gingen plötzlich drei Stunden! Wir haben
Kostis: IRIS, bitte spiele die Musik an die Geräte, von den Leuten, die vorher gestimmt haben, dass
Vassilis: Da war so viel Hetze und Propaganda. Die
eine Regierung gewählt, die NEIN sagen wollte, und sie ist losgezogen mit einem klaren Auftrag.
REFERENDUM IN GRIECHENLAND 2015 4.2.1 Referendum Griechenland 2015
REFERENDUM
Kostis: Die Regeln korrigieren. Vassilis: Europa demokratisieren. Kostis: Solidarität aktivieren. Ich hab damals ein Video aufgenommen und auf Facebook gepostet,
Kostis: Jedenfalls: Da oben fing das an, als ich
in dem ich gesagt habe: Man, stopp die Angstpro-
Kostis: Ich sitze wieder mal auf diesem Felsen. Er
auf die Fenster da unten schaute und dachte: Ich
paganda! Und dann: Wow. An einem Tag wurde es
ist mitten in Athen, auf dem Filopapou-Hügel. Du
weiß genau, wie es hinter den Fenstern aussieht.
45 000 Mal geteilt und hatte 1 800 000 Views. Seit-
siehst die Akropolis da drüben und da vorn die
Dann schaute ich auf die Screens um mich herum,
dem habe ich 8000 Followers auf Facebook. Was
halbe Stadt. Tagsüber sind hier manchmal viele
die im Dunkeln leuchteten. Und ich dachte: Es
für eine Herde …
Vögel. Jetzt, nachts, leuchten die Smartphones,
wäre besser, wenn man die Daten von all den
Vassilis: Chor der Dresdner: Was glaubt ihr, was
Pärchen, Grüppchen, Kiffer.
Handys nutzen könnte und damit zu wählen.
hab ich damals gemacht? Was hab ich gewählt?
134 | Staat 3
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Kostis: Schaut ihn euch an: Was hat er gewählt? Was hat Vassilis gemacht? Er hat
Er hat
Er ist
Er hat
gestimmt.
gestimmt.
zur Ab-
gewählt.
mit Nein
mit Ja
nicht
stimmung
ungültig
schuldet. Und ich weiß genau, aus erster Hand,
Bewohnern auszulosen, wer für ein Jahr mitent-
aus meiner eigenen Familie, was es bedeutet eine
scheiden soll?
Bank abzubezahlen. Als ich im Krankenhaus war
Kostis: Ohne Machtinteressen, ohne Strategie,
und neben meinem Vater saß, der an Krebs litt,
ohne Möglichkeit zur Korruption?
klingelte sein Handy. Ich habe abgehoben, es war eine Bank, Eurobank, und sie wollten mit ihm über seine Schulden reden. Ich sagte ihnen: „Leute, bitte, es reicht, der Mann stirbt.“ Und sie haben
gegangen.
mir geantwortet: “Können Sie das beweisen?”
100 per Los gezogene Bürger ersetzen
jeweils einen Minister. Gute Idee? Ja
Nein
Deshalb habe ich NEIN gewählt. Vassilis: Eigentlich heißt es doch: „JA oder NEIN“.
Vassilis: 61.3 Prozent für Nein. OLOI MAZI: OXI!
Kostis: Ich habe auch eine Frage. Unser Online-
Auf dem Wahlzettel stand aber: „NEIN oder JA“.
Kostis: Super Stimmung: Freude und Stolz.
Leben ist doch ein besserer Spiegel unserer Ge-
Erst OXI – Nein, dann Ja – NAI.
Vassilis: Nach all der Angstpropaganda.
sellschaft als die Wahlen. Soll ein Algorithmus für
Kostis: Jetzt seid ihr mal die Griechen – für einen
Kostis: Es kommt jetzt eine harte Zeit. Aber die
euch wählen?
Moment. Wir machen Referendum. Was hättet ihr
Mehrheit hat sich dafür entschieden! Demokra-
gemacht?
tisch.
Vassilis: Hättet ihr gesagt: Scheiß auf Geld, Kre-
Vassilis: Keine Erpressung mehr! Entzug! Das
ditkarte, iTunes, Amazon, Benzin im Tank, Aspirin,
war die Antwort. Aber am Ende war das Resultat:
Klopapier. Wir wollen nicht mehr Geld! Stopp mit
Nein heißt Ja … eine „Stunde historischer Verant-
der Erpressung! Was hättet ihr gesagt?
wortung“ …
(Nein) gesagt
NAI
(Ja)
gesagt
gel unserer Gesellschaft als die Wahlen. Soll ein Algorithmus für dich wählen? Ja
Nein
Kostis: Eine historische Stunde: Demokratie war
Ich hätte... OXI
Unser Online-Leben ist der bessere Spie-
keine
Stimme
abgegeben.
eine
ungültige
Stimme abge-
geben.
ein Spiel, aber wir waren nicht die Spieler. Wir
Vassilis: Diejenigen, die Ja gesagt haben: Wollt
waren die Spielsteine.
ihr, dass der Algorithmus euch fragt, bevor er für
Vassilis: Und wir waren die Griechen der Post-
euch abstimmt?
Demokratie. Die Schafe von Europa. Wir Wähler tappsten: ja, nein, und dann liefen wir wieder hinterher. Weil es die Banken waren, das Kapital und seine Schnellrechner, die die Regeln machten. Chor der tastenden Bürger, hör mich an! CHOR!
Willst du, dass der Algorithmus dich fragt, bevor er für dich abstimmt? Ja
Nein
Ihr Dresdner! Nein war plötzlich Ja. In einem so Kostis: Ich hab auch NEIN gewählt. Wisst ihr,
komplexen Spiel zwischen Europa, Ländern und
IRIS: Danke. IRIS speichert.
warum? Weil es keinen Unterschied gibt zwischen
Banken und Wechselkursen – macht es überhaupt
Kostis: IRIS, Algorithmus, zeig uns, mit wem wir
einer Familie, die einer Bank Geld schuldet, und
Sinn, die Wähler zu fragen? Und überhaupt: De-
bis jetzt die meisten Antworten gemeinsam
einem Land, das den internationalen Banken Geld
mokratie … Wäre es besser gewesen, unter den
haben!
Staat 3 | 135
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:45 Seite 136
Du hast die meisten Übereinstimmungen
mit: xy.
Ein gezüchtetes Schaf zu sein bedeutet … Folgen
IRIS: Ende der Messung.
Mit-
denken
Vassilis: IRIS, wie waren wir? Wie war der Chor?
Seiner
eigenen Wege
gehen
IRIS: Nicht schnell.
Seine Zeit
selbst ein-
teilen
IRIS: Eine Herde von Avataren. Ein Bild von dir entsteht. Genauer, als es dir gefallen würde. Schäfer: Schafe sind herdengebunden, das ist ein einziges Kollektiv. Wenn eins wegläuft, laufen alle anderen hinterher. Das ist der Instinkt, einer folgt dem anderen. Vassilis: Quiztime! Matchpartner, stimmt euch
TAPPING SHEEP 5.0 Test: Herde
Kostis: Tapsende Kollektive.
Kostis: Leute, wenn ihr falsch getippt habt, macht euch keine Sorgen. Ich habe auch digitale Amnesie. Ich kann mir nicht mehr meine eigene Telefon-
ab! Wem folgen die meisten Schafe?
IRIS: 27. Oktober 2047/Abstimmung Nummer 3/
nummer merken und schon gar nicht mehr die
Test. Benutzer. Herde.
Telefonnummer meiner Freundin.
Wissen ist ein Schwarm. Politik ist ein Schwarm.
IRIS: Möchtest du jetzt mit deiner Freundin ver-
Kollektive Intelligenz. In den Wolken finden alle
bunden werden?
Gedanken und Dinge ihren Platz. Jetzt, 2047, sind
Kostis: Stamata re! Ich schalte dich aus wie HAL.
IRIS: Die meisten Schafe folgen der Mehrheit.
die meisten Gesellschaften über IRIS reguliert. Die
Vassilis: Lass sie. Sie hat immerhin gefragt …
Kostis: Tap, tap, tap. Erst ging es nur um das so-
beste Lösung bekommt die meisten Likes. IRIS
Aber ist das der sogenannte Google Effect? Tap,
genannte Internet. Ein neuer freier Raum. Eine
gleicht sie ab mit allen Parametern. Den Märkten.
tap, tap, tippe ich auf meinem Gerät: „Macht das
vierte Dimension, in der alles neu sortiert werden
Dem Planeten. Jetzt geht es um die Einstimmig-
Internet uns dumm?“
kann. Ohne Hierarchien. Viele von denen, die
keit zwischen den Matchpartnern. Beantwortet die
Kostis: Machen wir uns dumm?
davon geträumt haben: Cyberpunks, Kopier-Pira-
folgenden Fragen gemeinsam.
Vassilis: Ich tippe Enter. Fast sofort tauchen ei-
ten, Cyberspace-Philosophen, Kollektiv-Utopisten,
Vassilis: Playtime! Lasst uns old school machen,
nige grüne Büsche von Infos auf. Links. Mjam. Tip,
schwarze Schafe, weiße Hüte, sagten schon 2017:
lasst uns ein sogenanntes Video anschauen, zwei-
tip, und schon bin ich im Shop. Mein Kopf bewegt
Der Kampf ist verloren.
dimensional, von 2017!
sich auf und ab. Meine Augen sind der Cursor.
IRIS: Besser, alle wissen alles über jeden Busch.
Schäfer: Wenn Sie ein Schaf in meiner Herde
Kostis: Die Welt ist nicht, was der Fall ist, sondern
Und über jedes Lamm. Beides kann optimiert
sind, dann müssen Sie sich mir unterordnen, das
was einen Link hat.
werden. Es gibt keine unlesbaren Dinge mehr.
ist ganz leicht: man braucht nur hinter mich gu-
Vassilis: Unsere Weide ist ein Markt. Jeder
Unsere Daten über die Welt sind größer als die
cken, dann sieht man alle sind relaxt, manche fres-
Busch voller Cookies. „Bist du Einverstanden?“
Welt selbst. Deep Learning verknüpft alles opti-
sen, manche schlafen, manche beobachten mich,
Klar, ich will ja knabbern. Und ich bin drin, in der
mal.
so sollte es sein, alles ruhig und relaxt.
Herde. Kunden, die sich für dies interessiert
Vassilis: Hemmungen!
haben, kauften auch jenes. Freunde, die das gele-
Kostis: Playtime! Let’s play a quiz! Die sich gefun-
sen haben, haben auch für diese Kampagne ge-
den haben: Entscheidet zusammen.
stimmt.
136 | Staat 3
Den
Stärksten
Der
Mehrheit
Den
Ältesten
Den
Schönsten
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Weshalb spricht man vom schwarzen Schaf? Ein Bild aus der Bibel.
Die Wolle des Kollektivs könnte
einfärben.
Schwarze Tiere
beunruhi-
Alles
davon.
gen die Herde.
Kostis: Wovon träumen Schafe eigentlich? Vassilis: Wahrscheinlich von den Vögeln um sie
IRIS: Er wusste, dass er nichts weiß. Wäre es Sokrates lieber gewesen, wenn wir seine Gedanken heute nicht lesen könnten? Kostis: Sokrates hat nie einen einzigen Gedanken aufgeschrieben, sondern Platon, sein Schüler! Vassilis: „Langes Haar, Hungern, nicht waschen wie Sokrates“.
Was wird am Ende von Die Vögel in Wolken-
kuckucksheim gefeiert? Hoch-
Freuden-
Ab-
Sieges-
feier:
Vögel und
feier:
Die Vögel
zeitsEin
Kostis: Ein Witz aus Ornithes – Die Vögel.
Mensch
στους Σκιάποδες στην ξέρα
rann und
Vassilis: Είναι εκει μια λίμνη πέρα
όπου κάθεται ο Σωκράτης
wird Ty-
feier:
Menschen bleiben
zusammen.
heiratet
schiedsDie
Menschen gehen
feier: hatten genug.
wieder.
herum.
άπλυτος σαν λυχνοστάτης
Schäfer: Also unsere Herde begleiten vor allen
Kostis: Euelpides und Peisthetairos. Sie verlas-
Dingen drei Vogelarten. Die Schwalben fliegen nur
sen Athen auf der Suche nach einem besseren Ort.
dicht über der Herde, ich weiß nicht, ob man im
Sie finden die Wolkenstadt. Wie heißt Neffelokok?
Vassilis: IRIS/Algorithmus, wer ist der Gewinner
Moment das hinter uns sieht, so, die Stare setzen
Wolkenkuckucksheim. Utopie. Dort überzeugen
des gesamten Spiels?
sich verstärkt immer druff und lassen sich von den
sie die Vögel, dass es besser für sie wäre, wenn sie
Am Ende der Komödie heiratet Peisthetairos einen
Schafen tragen – und warten wirklich spezielle,
die Menschen aufnehmen. Die Vögel lassen sich
Vogel und macht aus der Utopie, die sie gesucht
wenn ein kleiner Käfer oder was hochfliegt, um
überzeugen. Und Iris …
haben, eine menschliche Tyrannei – und er ist der
sich den zu schnappen. Die Störche laufen zwi-
Vassilis: Da gibt’s auch eine Göttin Iris. Eine Botin
Tyrann.
schen unseren Schafen dann herum und suchen
der Götter, die zu den Vögeln kommt und ihnen
Gewinner, kommt alle auf den Felsen. Applaus!
sich dann ihre Frösche und ihre Käfer.
Fragen stellt. Ex machina.
Vassilis: Ich tappe und tappe durch die Informa-
Kostis: Deus ex technologia.
tionsfetzen im Internet. Firmen sammeln die
Vassilis: Quiztime!
einen
Vogel.
Datenschnipsel, die wir von Klick zu Klick hinter uns lassen. Je mehr, desto besser. „Ich bin mit der Einbildung von Wissen statt mit Wissen erfüllt.“ IRIS: Zitat Platon. Kostis: Sokrates. In Phaedrus! Sokrates warnt vor dem Schreiben: Wenn du aufschreibst, was du weißt, beginnt das Vergessen. Vassilis: In den Bits und Bytes und den Likes zu tasten und herumzuweiden – hat das noch was mit Wissen zu tun?!
Staat 3 | 137
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INTELLIGENZCOMPTOIRS Mathias Fuchs
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts spekulierte Michel Eyquem de Montaigne in einem seiner Essais über die Möglichkeit des freien Informationsaustauschs mittels Zugriff auf eine öffentliche Datensammlung – gewissermaßen also einer frühen Suchmaschine: Mein verstorbener Vater […] sagte mir einmal, er hätte gerne veranlasst, dass in den Städten eine bestimmte Stelle eingerichtet würde, an die alle, die irgendetwas brauchten, sich wenden könnten, um ihre Sache durch einen eigens dafür eingesetzten Beamten registrieren zu lassen […]. Offensichtlich würde ein solches Mittel zum Austausch von Informationen die Beziehungen zwischen den Menschen wesentlich erleichtern, denn jeden Augenblick entstehen Situationen, da sich Menschen gegenseitig suchen, aber, weil sie ihre Stimmen nicht hören können, in ihrer höchst misslichen Lage allein bleiben. (Montaigne [1580] 2012, 1. Buch, Kapitel 35: 119) Dieser Gedanke, der mit einem Augenzwinkern und rein spekulativ vorgetragen wurde, zielte auf eine neue Form der Steuerung der Bevölkerung. Man würde Montaigne völlig missverstehen, wenn man seine vorwärts-gerichtete Vision, die sich hinter der rückwärts-gerichteten Erinnerung an seinen Vater versteckt, als sarkastische Dystopie interpretieren wollte. Montaigne hatte offenbar eine staatliche Institution im Sinn, deren Zweck die Förderung des Gemeinwohls sein sollte. Im 16. Jahrhundert gab es zwar keine industrielle Datenverarbeitung im Sinne der heutigen Big Data, die auch nur entfernt an die quantitativen Kapazitäten der Serverfarmen des Silicon Valley heranreichte, es gab aber Big Administration mit Tausenden von Registraren und Verwaltungsbeamten, die eine flächendeckende Erfassung von Benutzerdaten, Benutzerprofilen, Wünschen und Beschwerden gewährleisten konnten. Montaignes Konzeptvorschlag brauchte nicht lange auf seine Verwirklichung zu warten. Das erste funktionsfähige Adressbüro war das 1628 vom französischen Arzt Théophraste Renaudot gegrundete Bureau d’ adresses et de rencontres. Renaudot erklärte offen, dass Montaignes Ideen ihn zu seinem Bureau inspiriert hatten. Seine Einrich-
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tung sollte kein Einzelfall bleiben, und in den folgenden Jahrhunderten entstanden in Europa zahlreiche Nachfolgeprojekte, die Namen wie Intelligence-Office, Fragamt oder Intelligenzwerk trugen (Tantner 2015: 130). In Vorwegnahme des universellen Anspruchs gegenwärtiger Suchmaschinen-Projekte ging es Renaudot im 17. Jahrhundert nicht um ein Archiv, das nur bestimmte Fragen bedienen sollte, vielmehr war der Auskunftsbereich ungemein umfassend. Das Bureau sollte (wie die Google-Suchmaschine) alle menschlichen Bedürfnisse bedienen, insbesondere auch solche, derer sich eine Person noch gar nicht bewusst war. Es gibt mehrere Gründe dafür, warum das Bureau als ein wesentlicher Teil derjenigen Tendenz und „Kraftlinie“ verstanden werden kann, die Foucault als Gouvernementalität bezeichnet (Foucault 2005: 171). Zum einen versammelte das Bureau d’ adresses et de rencontres Institutionen, Verfahren, Analysen und Reflexionen, die es gestatten, „diese recht spezifische und doch komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als Hauptwissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat“ (Ibid). Zweitens ist die Nähe der Institution zur Macht auffällig, die ursprünglich ökonomisch motiviert war. Théophraste Renaudot genoss die Gunst König Ludwigs XIII. und – was fast noch wichtiger war – die Unterstützung Richelieus. Auf eine Weise, die der Verknüpfung amerikanischer Politiker, Präsidenten und Präsidialkandidaten mit den Datenverarbeitungsprinzen des Silicon Valley ähnlich ist, bewies Renaudot eine Regierungsperioden überspannende Konstanz seines Einflusses. Ludwig XIV. schenkte dem wichtigen Informationsträger Renaudot seine Gunst ganz wie sein Vorgänger Ludwig XIII. und ernannte ihn 1646 zum „Historiker des Königs“. Erinnern wir uns, dass der ausgezeichnete Kontakt Obamas zu Google dem früheren Präsidenten den Ruf einbrachte, eine „Android Administration“ (Dayen 2016) eingerichtet zu haben. Hillary Clintons Wahlkampfmanager John Podesta wiederum werden ausgezeichnete Kontakte zum ehemaligen Google-Vorstandsvorsitzenden Eric Schmidt nachgewiesen, die sich in Wahlgeschenken wie Kleinflugzeugen für die Wahlhelfer ausdrückten. (Hartmans 2016) Auch mit Donald Trump, der zu verschiedenen Zeitpunkten gegen Facebook und Google wetterte, scheint sich eine neue Freundschaftlichkeit herzustellen. Die Financial Times berichtet, dass Google Genugtuung darin empfinde, dass der Präsident einen versöhnlichen Ton gegenüber dem chinesischen Kollegen Xi Jinping eingeschlagen habe (Financial Times 2017), so dass nun hoffentlich bessere Geschäfte mit China zu machen seien. Auch CNBC berichtet: „Google was against Trump, now it’s trying to win him over.“ (Lipton 2017) Immerhin, so berichtet der Wirtschaftssender, habe man Eric Schmidt, den einstigen Clinton-Unterstützer kürzlich ein paar Mal im Trump Tower gesehen. Drittens kann man feststellen, dass sich im Bureau d’ adresses et de rencontres ein Typus von Aufgaben darstellt, der nicht mehr mit Wahrheit oder Gerechtigkeit legitimiert wird, sondern aufgrund organisatorischer Notwendigkeiten seine Berechtigung einfordert. Foucault beschreibt das folgendermaßen: Schließlich glaube ich, dass man unter Gouvernementalität […] das Ergebnis des Vorgangs verstehen sollte, durch den der Gerechtigkeitsstaat des Mittelalters, der im 15. und
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TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:45 Seite 148
16. Jahrhundert zum Verwaltungsstaat geworden ist, sich Schritt für Schritt „gouvernementalisiert“ hat. […] Diese Gouvernementalisierung des Staates ist das Phänomen gewesen, das es dem Staat ermöglicht hat, zu überleben. […] Wir leben im Zeitalter der Gouvernementalität. (Foucault 2005) Foucault meint also, dass die Verwaltungsapparate mit ihren Speicher- und Suchfunktionen einen Machttypus am Leben erhalten, der sich Regierung nennt und er versteht unter Gouvernementalität die Tendenz oder die Kraftlinie, die im gesamten Abendland unablässig und seit sehr langer Zeit zur Vorrangstellung dieses Machttypus, den man als „Regierung“ bezeichnen kann, gegenüber allen anderen – Souveränität, Disziplin – geführt und die Entwicklung einer ganzen Reihe spezifischer Regierungsapparate einerseits und einer ganzen Reihe von Wissensformen andererseits zur Folge gehabt hat. (Foucault 2005) Liegt es nicht nahe, vorzuschlagen, dass die Foucaultschen „Verwaltungsapparate“ gleich die Aufgaben der „Regierungsapparate“ übernehmen, die sie ja seiner Meinung nach vorbereiten und legitimieren? Müssten wir nicht eigentlich die nur scheinbar verrückte Situation, die uns in der Inszenierung Träumende Kollektive. Tastende Schafe (Staat 3) vorgeführt wird, als zwangsläufig verstehen? Auf der Bühne erleben wir, wie digitale Werkzeuge von Registrierungsapparaturen zuerst fragen, dann kombinieren und schließlich entscheiden. Die Frage, ob eine Regierung überhaupt noch nötig ist, wenn Gouvernementalität sich radikalisiert, wird schließlich auch den Circlern in Dave Eggers Roman The Circle nahegelegt. In einer scheinbar harmlosen Fragerunde, die mit Späßen und persönlichen Anekdoten aufgelockert wird, stellt die Leitung des „Circle“ die Mitarbeiter vor die Frage, was die akkumulierte Information, die aus den Daten von dreihundert Millionen Amerikanern extrahiert wurde, für politische Entscheidungen bedeuten könne: Nehmen wir einmal an, das Weiße Haus wollte die unverfälschte Meinung seiner Wählerschaft in Erfahrung bringen. Und stellen wir uns auch vor, dass wir alle die Möglichkeite 1 Im englischen Original: „Imagine the White House wanted
hätten, die US-Außenpolitik direkt zu bestimmen. Jetzt denken Sie bitte mal kurz nach: Es
the unfiltered opinion of its constituents. And imagine you
wird ein Tag kommen – ich sage: es muss ein Tag kommen – an dem allen Amerikanern in
had the direct and immediate ability to influence U.S. foreign
dieser Sache Gehör geschenkt wird. (Eggers 2013: 404)1
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policy. Take your time on this. There might come a day – there should come a day – when all Americans are heard in such matters.“
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Die Antwort auf die rhetorische Frage lautet: Direkte und schnelle Informationsauswertung wäre in allen Feldern politischer Machtausübung ein effizienteres Steuerungsinstrument als die althergebrachte demokratische Übertragung des Bürgerwillens an eine Regierung. Regierungen – das führt uns Dave Eggers in The Circle vor – verlangsamen unnötig die exekutiven Prozesse und führen Fehler ein, die maschinellen Systemen nicht passieren würden. Tatsächlich kann man sich angesichts der katastrophalen Regierungsfehler im Umgang mit dem Brexit, verschiedenen finanzpolitischen Eingriffen, Regierungseifersüchteleien und -eitelkeiten mit dem Gedanken anfreunden, dass eine Regierung ohne die Regierenden vielleicht schmerzloser operieren könnte als die mit Ehrgeiz, Ego-Problemen und Erfolgssucht beladenen Personalregierungen. Diejenigen, die allerdings immer noch Vertrauen in eine Politik der Politiker bewahren konnten, werden einwerfen: Eine gute Regierung zeichnet sich aus durch die Intelligenz der Regierenden. Benötigt man zum Regieren Intelligenz? Nicht unbedingt. Ein Großteil der Regierungsentscheidungen wird getroffen, weil Expertensysteme, Simulationen oder Langzeitprognosen rational, aber nicht unbedingt intelligent gewisse Operationen selektieren, die durchzuführen sind, um größeren Schaden abzuwenden. Insbesondere im finanzpolitischen Bereich kann man wohl kaum bestreiten, dass Kalkulationen die Justierung der ökonomischen Parameter be-
Nach Finanzkrisen werden die Algorithmen optimiert und nicht etwa das Personal ausgetauscht.
stimmen und nicht ökonomische Intelligenz. So werden denn auch nach Finanzkrisen die Algorithmen optimiert und nicht etwa das Personal ausgetauscht. Aus kosmetischen Gründen geht dann hier oder dort mal ein Nationalbankdirektor in den Ruhestand und ein allzu draufgängerischer Fonds-Manager muss sich mit einer Abfindung zurechtfinden. Die große Frage ist jedoch stets: Was war der Fehler in den Berechnungsmethoden? So wird beispielsweise der berüchtigte „Flash Crash“-Börsenzusammenbruch, der am 6. Mai 2010 um 14.32 Uhr begann und in den darauffolgenden 36 Minuten tausende Milliarden von US-Dollar bewegte, als ein bedauernswertes Resultat des High Frequency Trading bezeichnet. Immerhin stürzte die Fehleranfälligkeit der Programme die einen in den Ruin, andere in den Tod. Einige Regierungen schränkten die Geschwindigkeit der algorithmischen Transaktionen ein, andere lasen verstört in Büchern nach, wie man die Algorithmen verbessern könnte (Aldridge 2013; Cartea, Jaimungal u. Penalva 2015). Aus den Reihen der Trader konnte man allerdings vernehmen, dass solch umständliche Versuche, menschliche Intelligenz in den Vollzug automatisierter Prozesse einzuführen, so ungeschickt seien wie die der Optimisten, die auf Fahrrädern hinter Ferraris herjagen: „They still use bicycles to catch Ferraris.“ (Bates 2015) Wir müssen die eingangs gestellte Frage neu formulieren: Wenn künstliche Intelligenzen politische und ökonomische Prozesse steuern, benötigt man dann noch menschliche Intelligenz zum Regieren? Die Frage ist mit dem Problem verbunden, was man als Intelligenz, als künstliche Intelligenz und als computergestützte Intelligenz verstehen möchte. Stuart Russell und Peter Norvig weisen in ihrem klassischen Referenzwerk zu Künstlicher Intelligenz darauf hin, dass mindestens vier grundsätzlich unterschiedliche Ansätze dazu entwickelt wurden, um beschreiben zu können, was man unter Artificial Intelligence ver-
Staat 3 | 149
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stehen soll: Diese Ansätze schlagen vor, AI als Simulation menschlichen Denkens zu verstehen, als Simulation menschlichen Handelns, als Simulation rationalen Denkens oder als Simulation rationalen Handelns. (Russell u. Norvig 1995: 2) Offenbar unterscheiden diese Ansätze sich im Anspruch, was künstliche Intelligenz vermögen sollte. Die bescheidenste Forderung, die beispielsweise von Winston formuliert wurde als „Studium der Berechnungen, die es ermöglichen etwas wahrzunehmen, zu rationalisieren“ (Winston 1992)2, wird anspruchsvoller von Nilsson eingefordert: 3
„AI […] geht es um intelligentes Verhalten künstlicher Systeme.“ (Nilsson 1998) Voller Skepsis, ob so etwas denn
2 Im englischen Original: „The study of the computations that make it possible to perceive, reason“. 3 Im englischen Original: „AI […] is concerned with intelli-
überhaupt möglich sei, entwerfen schließlich Elaine Rich, Kevin Knight und Shivashankar B. Nair eine offene Be-
gent behavior in artifacts.“
griffsdefinition. AI sei ihrer Ansicht nach „die Wissenschaft, die sich damit beschäftigt, wie Computer etwas bewerk-
4 Im englischen Original: „the study of how to make com-
4
stelligen können werden, worin wir Menschen derzeit noch besser sind“ (Rich, Knight u. Nair 1991) .
puters do things at which, at the moment, people are better.“
Noch! Es ist jedoch keineswegs gesagt, dass Maschinen jemals menschlich denken und handeln werden. Aus diesem Grund ist der Titel eines Papers von besagtem Nils Nilsson aus dem Jahr 2005 gut nachvollziehbar:
5 Das kann man ins Deutsche übersetzen als „Künstliche
„Human-level artificial intelligence? Be serious!“5 Im Jahr 2005 war der grenzenlose Optimismus der 1950er Jahre
Intelligenz auf der Ebene menschlichen Verständnisses?
etwas abgekühlt und nachdenkliche Forscher schlugen vor, den Euphemismus der künstlichen Intelligenz vielleicht
Machen Sie Witze?“.
lieber durch Computer-Intelligenz, Computational Intelligence, zu ersetzen, um so der delikaten und letztendlich nicht entscheidbaren Frage nach der Möglichkeit der Emulation von humaner Intelligenz zu entgehen. Man muss aus heutiger Sicht sagen, dass viele Erwartungen der frühen AI-Forschung völlig überzogen waren. Bereits im Jahr 1957 prognostizierte Herbert Simon zuversichtlich und völlig unzutreffend: Ich habe keinesfalls die Absicht, sie zu überraschen oder zu schockieren – aber die beste Zusammenfassung, die ich Ihnen geben kann, ist die folgende: Es gibt heute in dieser Welt Maschinen, die denken, lernen und schöpferisch tätig sind. Darüber hinaus kann man sagen, dass der Prozess der Entwicklung solcher Maschinen schnell fortschreiten wird, bis wir schließlich – und das wird in absehbarer Zukunft stattfinden – einen Bereich von Problemlösungen vor uns haben, der genauso groß sein wird wie derjenige, den der menschliche Verstand anzugehen vermag.
6
(Simon 1957)
6 Im englischen Original: „It is not my aim to surprise or shock you – but the simplest way I can summarize is to say that there are now in the world machines that think, that learn and that create. Moreover, their ability to do these things is going to increase rapidly until – in a visible future – the range of problems they can handle will be coex-
Bereits ein Jahr vor dieser gewagten Prognose verkündete Simon seinen Studenten: „Während der Weihnachtsfeier-
tensive with the range to which the human mind has been
tage haben Allen Newell und ich eine Denkmaschine erfunden.“ (Gardner 1985: 146)7 Simon bezieht sich bei dieser
applied.“
„Denkmaschine“ auf den Logic Theorist, ein Programm, das unter Verwendung von fünf logischen Axiomen und drei zulässigen Operationen aus einer logischen Aussage eine andere konstruieren konnte. Das ist nicht-trivial und
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7 Im englischen Original: „Over Christmas Allen Newell and I invented a thinking machine.“
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war für die damalige Zeit eine kleine Sensation. Immerhin setzte der Logic Theorist an einer Problemstellung an, die große Mathematiker beschäftigte. Alfred North Whitehead und Bertrand Russell arbeiteten in den 1900er Jahren an dem Problem, eine Ableitung logisch-mathematischer Sätze rein formal durchführen zu können. (Whitehead u. Russell 1910) Die Leistung von Russell und von Whitehead bestand gerade darin, intelligent nachzuweisen, wie Theoreme formal, also eigentlich unter Verzicht auf kreative Intelligenz bewiesen werden können. Ich denke, nicht zu übertreiben, wenn ich hier behaupte, dass die Principia ein zentrales Dokument mathematischen Scharfsinns und 8
Es soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass Gödel an
der Vollständigkeit der Whitehead- und Russellschen Thesen
ein Ausweis für das sind, was humane, mathematische Intelligenz darstellen kann. 8 Das Logic-Theorist-Programm von Simon und Newell vermochte nur 46 Jahre nach der Ausformulierung der Principia Mathematica Ableitungen
begründete Zweifel anmeldete. Der Unvollständigkeitssatz (1931) ist gewissermaßen ein Beweis der Zweifel an der Rus-
einer ganzen Reihe von Theoremen derselben durchzuführen. Die Leistung des Logic-Theorist-Programms bestand
sell-Whiteheadschen Universalitätsforderung logischer Kon-
darin, ein Gebiet menschlicher Intelligenz durch eine maschinelle Demonstration erfolgreicher Rechenleistung in
sistenz des Universums der Principia Mathematica.
den Schatten zu stellen. Es wird berichtet, dass Russell über eine der maschinell exekutierten logischen Ableitungen gesagt haben soll, dass letztere „more elegant and efficient than his own“ (Fancher 1979) sein solle, eleganter also und auch noch effizienter. Ich bin nicht sicher, ob dieses angebliche Statement Bertrand Russels ein Zeichen der Bescheidenheit des Mathematikers, ein humorvoller Kommentar oder einfach nur eine gut erfundene Anekdote war, die Simon und Newell sich auf die Fahnen schreiben wollten. Immerhin weist die Aussage darauf hin, dass logische Beweise auf die eine oder andere Weise erfolgen können und dass ein Programm wie der Logic Theorist in gewissen Aspekten gegen menschliche Intelligenz punkten kann. Der Unterschied zwischen dem, was heute als Artificial Intelligence verstanden wird, und dem, was vor sechzig Jahren als AI verstanden wurde, ist vor allem eine Begriffsverschiebung. Wir sind heute versucht, einen Algorithmus aus dem Hause Google oder Facebook als intelligent zu bezeichnen, wenn dieser meine Lieblingssenfsorte erraten kann, oder weiß, ob von einer beliebigen Person gelbe oder grüne Socken bevorzugt werden. Das entspricht nicht den Vorstellungen, die Warren McCulloch und Walter Pitts von künstlicher Intelligenz hatten oder Alan Turing und Hilary Putnam. Den Pionieren der 1940er und 1950er Jahre ging es um maschinelle Methoden und menschliches Denken. Den derzeit so populären Senfsortenratealgorithmen geht es eher um ausgefeilte Methoden der linearen Vorhersage, also „linear prediction with big data“. Um es anders zu sagen und nochmals auf die Klassifizierung
1957 ging es der AIForschung um menschliches Denken, 2017 geht es vorrangig um rationales Handeln.
Russells und Norvigs einzugehen: 1957 ging es der AI-Forschung um menschliches Denken, 2017 geht es vorrangig um rationales Handeln. In Träumende Kollektive. Tastende Schafe (Staat 3) begeben sich die Partizipanten nochmals um dreißig Jahre in die Zukunft, ins Jahr 2047. Dann – oder jetzt – stehen nicht mehr das Denken oder das Handeln im Zentrum des maschinellen Wirkbereichs, sondern die Träume. In der Musik zu Wim Wenders Film Bis ans Ende der Welt träumen Menschen, und Maschinen sind in der Lage diese Träume aufzunehmen. Die Traumaufzeichnungen können wie die Speichermedien eines Videorecorders dazu verwendet werden, Träume wieder abzuspielen. Wim Wenders und Solveig Dommartin, die die Geschichte schrieben,
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und der amerikanische Filmemacher Michael Almereyda, der das Drehbuch verfasste, weisen bereits darauf hin, was die Probleme automatisierter Traumaufzeichnung sein könnten. Eine „Bilderkrankheit“ könnte dazu führen, den maschinellen Traumaufzeichnungen mehr zu trauen als der physikalischen Wirklichkeit. Auch die Verdrängung von anderen vormaschinellen Träumen wäre vorstellbar. Im Film rebellieren daher die australischen Aborigines gegen die Traummaschinen. Wie es sich für einen guten Film gehört, drängt natürlich auch das CIA in den Plot. Träume sind politisch verwertbar, und Träume müssen die Apparate der Macht interessieren. Schließlich wird auch argumentiert, dass die Traumsucht zur Beschädigung des physiologischen Sehapparates führen könnte. All diese Faktoren des kollektiven und maschinenvermittelten Träumens zeichnen sich in unserer Gegenwart ab. Wir sind willig, unsere Träume preiszugeben, und wir sind süchtig danach, immer mehr Träume vorgespielt zu bekommen. Was wir nicht sehen wollen, weil wir vielleicht schon „bilderkrank“ sind, sind die Strategien der Macht und die Gefahren unserer freiwilligen Entmachtung. Dreams seen by a man-made machine How does it seem, how does it seem That we can see each others dreams (Can: Last Night Sleep)
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Träume sind politisch verwertbar.
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Literatur: Aldridge, Irene (2013), High-Frequency Trading: A Practical Guide to Algorithmic Strategies and Trading Systems. Hoboken/ New Jersey. Bates, John (2015), „Post Flash Crash. Regulators Still Use Bicycles to Catch Ferraris“. www.tradersmagazine.com/news/technology/post-flash-crash-regulators-still-use-bicycles-to-catchferraris-113762-1.html. Cartea, Álvaro, Jaimungal, Sebastian u. Penalva, José (2015), Algorithmic and High-Frequency Trading (Mathematics, Finance and Risk), Cambridge. Dayen, David (2016), „The Android Administration“. https://theintercept.com/2016/04/22/googles-remarkably-close-relationshipwith-the-obama-white-house-in-two-charts. Eggers, Dave (2013), The Circle. London. Fancher, Raymond E. (1979), Pioneers of Psychology. New York/London. Financial Times (2017), „Google’s China prospects rest on Trump, says Chinese official“. www.ft.com/content/6b24d1b8-1ac9-11e7bcac-6d03d067f81f. Foucault, Michel (2005), Analytik der Macht. Frankfurt am Main, S. 68–75. Gardner, Howard (1985), The Mind’s New Science: A History of the Cognitive Revolution. New York City. Hartmans, Avery (2016), „Stolen emails reveal a tight relationship between Google’s Eric Schmidt and the Clintons“. www.businessinsider.de/wikileaks-emails-google-eric-schmidt-relationship-with-clintons-2016-11?r= US&IR=T. Lipton, Josh (2017), „Google was overwhelmingly against Trump, now it’s trying to win him over“. www.cnbc.com/2017/01/17/ google-was-against-trump-now-its-trying-to-win-him-over.html. Montaigne, Michel Eyquem de (2012) [1580], Essais. München. Nilsson, Nils (2005), „Human-level artificial intelligence? be serious!“ In: AIMag 26 (4). Nilsson, Nils (1998), Principles of Artificial Intelligence: A New Synthesis. Burlington. Rich, Elaine/Knight, Kevin/Nair, Shivashankar B. (1991), Artificial Intelligence. New York City. Russell, Stuart J. u. Norvig, Peter (1995), Artificial Intelligence. A Modern Approach. Upper Saddle River/New Jersey. Simon, Herbert (1957), Models of Man: Social and Rational. New York City. Tantner, Anton (2015), Die ersten Suchmaschinen. Adressburos, Fragämter, Intelligenz-Comptoirs. Berlin. Whitehead, Alfred North/Russell, Bertrand (1910), Principia Mathematica. Cambridge. Winston, Patrick (1992), Artificial Intelligence. Boston.
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Weltzustand Davos
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Davos scheint ein Rückzugsort zu sein, an dem die Uhren anders ticken. Dank Höhenluft und -sonne kamen Tuberkulosekranke in die dortigen Sanatorien. Mittlerweile ist Tuberkulose medikamentös behandelbar und einmal im Jahr landet hier, wie ein Raumschiff, das „World Economic Forum“, eine der wichtigsten internationalen Wirtschaftskonferenzen. Neben Konzernchefs tummelt sich eine Elite aus Politik, Kultur und humanitären Einrichtungen in Davos. Was wird von den dreitausend Global Leaders hier verhandelt, geplant, abgemacht? Werden auf höchster Ebene unter Umgehung demokratischer Legitimierung obskure Deals geschlossen? Oder steht das WEF für eine Weltregierung, bei der privatwirtschaftliche Akteure gesellschaftliche Verantwortung übernehmen? In einem ovalen Raum werden die Zuschauer Teil eines olympischen Treffens über den Wolken und nehmen die Biographie eines Konzernchefs an. Während das Publikum in fremde Rollen schlüpft, spielen die fünf „Experten“ im Bühnenring sich selbst: Der Sozialmediziner und Soziologe Ganga Jey Aratnam publiziert zum Einfluss von Reichtum und Macht in der Schweiz und erforschte Auswirkungen des internationalen Rohstoffhandels. Otto Brändli war als Lungenarzt an Kliniken in Zürich, New York, Wald und Davos tätig und beschäftigt sich mit der weltweiten Renaissance der Tuberkulose. Hans Peter Michel, ehemaliger Landammann von Davos, ist dort in einer Bergbauernfamilie aufgewachsen und war in seinem Amt gestaltender Verhandlungspartner des WEF. Während der Proteste von Globalisierungsgegnern trat er als Vermittler zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten auf. Sofia Sharkova hat mit 19 Jahren ihr erstes Unternehmen gegründet. Heute arbeitet sie bei einem IT-Konzern und leitet einen Verein, der Frauen als Unternehmerinnen fördern will. Als Vizepräsidentin des Zürcher Hubs der „Global Shapers“ des WEF setzt sie sich für Gleichberechtigung ein. Cécile Molinier hat 35 Jahre für die UN gearbeitet, davon die meiste Zeit für dessen Entwicklungsprogramm in Afrika.
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LOGBUCH
4. November 2016, Zürich/Berlin Am Beginn der Recherche steht der Versuch, das „World Economic Forum“, also die Stiftung mit Sitz in Cologny bei Genf, direkt zu kontaktieren. Über verschiedene Verbindungen können wir uns persönlich an Hilde Schwab wenden, die wir um ein Gespräch bitten. Sie ist die Ehe-
Karolin Trachte, Helgard Kim Haug, Stefan Kaegi, Anna Königshofer, Imanuel Schipper
frau von Gründer Klaus Schwab und Mitgründerin des WEF. Sie bittet freundlich um Verständnis, aber sie und ihr Mann „sehen leider keine Möglichkeit, darauf einzugehen“. Die Hoffnung, Zugang zu einem der begehrten Badges und damit Zutritt zum WEF zu bekommen, rückt erstmal in weite Ferne.
Berlin –> Zürich –> Davos –> Cologny –> Dalian (China) –> Zürich
7. November 2016, Berlin Ein Journalist, den wir treffen, arbeitet an einem Film über das WEF. Er war dazu selbst am WEF, im Headquarter und bei einem „Regional Meeting“. Er sagt: „Historisch ist das WEF das Symbol der Postdemokratie – in Wahrheit ist es aber eine internationale Konferenz, die von einem privaten Veranstalter durchgeführt wird. In Davos wird nichts entschieden.“ Etwas später ergänzt er: „Das WEF ist das beste Netzwerk der Welt.“ Er beschreibt das starke Wir-Gefühl: „Wir duzen uns alle. Wir sind diejenigen, die etwas tun können. Wer, wenn nicht wir?“
Das beste Netzwerk der Welt | Der Zauberberg |
Wir sind erfolgreich mit einem Tweet an Philipp Rösler,
Davos Men | Tuberkulose | Global Governance
den ehemaligen deutschen Finanzminister, mittlerweile Vorstandsmitglied beim WEF. Er verweist uns weiter. 24. Januar 2017, Zürich Wir sprechen mit einem ehemaligen Berater des WEF. Für ihn ist das WEF ein „Katalysator“: Es geht um ein „großes Shakehands“ und den Austausch – und das nicht in erster Linie in den Konferenzbeiträgen, sondern während hunderter von Einzeltreffen. Die Teilnehmer
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Das WEF – ein Verein von „Handschweißfetischisten“?
gehen sehr gut vorbereitet in diese Gespräche und kom-
ammann von Davos. Die Gemeinde Davos und das WEF
men nach dreißig Minuten mit hochrotem Kopf wieder
verhandeln partnerschaftlich, planen die Sicherheitsvor-
heraus. Die vielleicht komplizierteste Agenda dürfte in
kehrungen gemeinsam, teilen Kosten auf und so weiter.
diesen Tagen der Hausherr selbst haben, Klaus Schwab.
Nach 9/11 fand das WEF einmalig aus Solidarität in New
Autor und Journalist Jürgen Dunsch hat über ihn ein
York statt. Kurz schien es eine Option zu sein, nicht zu-
Buch geschrieben: Gastgeber der Mächtigen.
rückzukehren. Doch seit der Gründung 1971 (damals
Er erzählt vom WEF-eigenen sozialen Netzwerk „Toplink“,
noch als „European Management Forum“) blieb es bei
mit dem man Termine digital vereinbart. Trotzdem gäbe
dieser einen Ausnahme 2002.
es noch den „Kaminzimmer-Effekt“ und zufällige per-
„Übrigens: Zum Thema der Proteste der 1990er Jahre
sönliche Begegnungen unter den Wichtigsten und Mäch-
solltet ihr meinen Vorgänger Hans Peter Michel treffen“,
tigsten der Welt. Nicht zu vergessen: die langen Nächte
verabschiedet sich Caviezel. Während dem WEF ist das
mit Dinners und Partys der Unternehmen, wie die Bolly-
Kongresszentrum wichtiger Anlaufpunkt, obschon es
wood Night, in der Bar im Hotel Pöstli, im Belvédère
kein eigentliches Zentrum darstellt. Man trifft sich in den
oder bei der Burda Night. Mit den Vorwürfen, das WEF
dreißig Hotels und Unternehmen wie Facebook bauen
sei ein konspirativer, gar gefährlicher Club unter Aus-
während des WEF auf der Promenade ihre eigenen Cha-
schluss der Öffentlichkeit, kann Jürgen Dunsch wenig
lets auf – alles temporäre Bauten – oder veranstalten in
anfangen. Eher der „wichtigste Stammtisch der Welt“,
den Lobbys der Hotels eigene Panels. Auch im Kon-
das „Jahrestreffen der Globalisierungsfreunde“. Kriti-
gresszentrum wird für das WEF praktisch jeder Zentime-
scher ist da erwartungsgemäß Oliver Classen, Medien-
ter überbaut, eigene Böden verlegt, Wände gestellt, Tre-
verantwortlicher bei „Public Eye“ (ehemals „Erklärung
sen gebaut, Logos geklebt – ein Phänomen, das die
von Bern“). In seinen Augen ist das WEF ein Verein von
gesamte Stadt betrifft. Gerade befindet es sich im Rück-
„Handschweißfetischisten“, die sich treffen, um staatli-
bau, überall Arbeiter, Kisten, verbrauchtes Material. Zu
chem Eingriff durch Steuern oder Regulierungen zuvor-
den vielen Arbeitern, die den Auf- und Abbau bewerk-
zukommen, indem sie Selbstverpflichtungen verfassen –
stelligen, gehört auch Lukas. Er bietet uns eine Führung
unter dem Mantra der Freiwilligkeit. Der Rest ist eine Art
an, zeigt uns den Plenarsaal und erklärt uns die Logistik.
„Burning Man Festival for Billionaires“. Die Jahre der
Fotograf Andy Mettler war langjähriger Hausfotograf
Proteste endeten damit, dass das WEF sich öffnete und
des WEF, kennt Klaus Schwab seit vielen Jahren persön-
Formate wie das „Open Forum“ einrichtete, während
lich und erzählt vom Glamour des WEF. Mit Hillary Clin-
„Public Eye“ seine Aktivitäten vom WEF abzog.
ton war er Ski fahren, Bill Gates kennt er schon seit den 1980er Jahren. In Celebrity-Dichte stehe das WEF einer
25. Januar 2017, Davos
regulären Film-Biennale in nichts nach! – Früher. Heute
Der erste Besuch im verschneiten Davos zwei Tage nach
sei es „viel zu groß, zu schnell und zu unpersönlich!“
Ende des 47. „Annual Meeting“ führt uns am Morgen ins
Die berühmte Davoser Höhensonne strahlt, Lokalbesuch
Rathaus zu Tarzisius Caviezel, dem amtierenden Land-
im Hotel Schatzalp, das Thomas Mann zu seinem Zau-
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berberg inspirierte. Die Terrassen, auf denen früher die Schwindsuchtkranken mit Alpenluft und Butterdiät kuriert wurden, sind heiß begehrt bei indischen CEOs während des WEF. Dann werden selbst die Klinikbetten freigemacht für die Teilnehmer und VIPs, aber auch für Mitarbeiter, Militär und Polizei. Hans Peter Michel, ehemaliger Davoser Landammann, war in seiner offiziellen Funktion jedes Jahr Teilnehmer wie auch Gastgeber des Forums. Er fächert die Chronologie der internationalen Anti-Globalisierungs-Proteste auf. Sowohl mit den Demonstranten als auch mit der Polizeiführung eng verbunden, konnte er durch persönliche Vermittlung und indem er sich manchmal auch auf die andere Seite stellte, einige Eskalationen verhindern. Auf Seiten der Polizei gibt es die sogenannte 3-D-Strategie: Dialog, Deeskalation, Durchgreifen. Was den Schutz der Staatsgäste betrifft, spricht man im Sicherheitsdispositiv vom „Klumpen-Risiko“. 26. Januar 2017, Zürich Ein Journalist, den wir treffen, hat knapp zehn Jahre über das WEF recherchiert und geschrieben. Zu den Zeiten, als das WEF sich noch gegen Presse verschloss, gelang es ihm, einen Hotel-Badge zu ergattern. Um die Jahrtausendwende sprach man von den „Davos Men“ als Verkörperung des neoliberalen Managergeists. Seine Analyse des Forums heute: ein Verein zum Schwätzen und Schwurbeln, „das Innere des Tempels ist leer“. Aber ganz ungefährlich vielleicht nicht, „hier werden die Trends nicht besprochen, sondern vielmehr ohne jede Evidenz gemacht“. Er erinnert sich an eine Rede, in der Klaus Schwab auf Thomas Manns Zauberberg anspielte, etwa: Es wird viel geredet und am Ende bricht der Weltkrieg aus. Gleichzeitig würde ein „Tom-Sawyer-Trick“ angewendet, der großartig funktionieren würde: „Der Ein-
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trittspreis ist so unglaublich hoch, dass das Forum be-
tologe Geoffrey Allen Pigman 2006 von zwei Narrativen
deutungsvoll sein muss.“ Der Basler Soziologe Ueli
des Forums. Einerseits: Das WEF als der noch junge
Mäder meint: „Das Forum findet im Elfenbeinturm statt.
Shar-Pei-Welpe, dessen Haut ihm noch zu groß ist – es
Dass Mächtige zusammensitzen, garantiert noch keinen
wächst noch in seine Aufgabe, die World Governance,
Beitrag zum Frieden.“ Der ehemalige Bundespräsident
hinein. Andererseits das Bild der Kritiker: der Wolf im
Moritz Leuenberger erzählt vom pragmatischen Nutzen
Schafspelz, darin die Weltelite, die sich beim WEF be-
des WEF. Während sich sonst die Terminplanung mit Mi-
sorgt gibt und auf den Moment zum Zuschlagen wartet.
nistern kompliziert gestaltet, findet man sich in Davos ganz leicht. So mancher Staatsbesuch erübrigt sich dank
29. Mai–2. Juni 2017, Berlin
WEF. „Es ist der Marktplatz der Präsidenten, Premiers
Rimini Protokoll beginnt im Rahmen der „Haniel-Sum-
und Minister. In drei Tagen konnte ich so viele Termine
merschool“ die Beschäftigung mit den WEF-Teilneh-
vereinbaren, wie sonst im ganzen Jahr nicht.“
mern. Jeder Studierende der HSG und der Copenhagen Business School nimmt sich eine Biographie vor – Jack
23. März 2017, Zürich
Ma, Gary White oder Priscilla Chan – und untersucht
Alois Zwinggi ist WEF-Vorstandsmitglied und wurde von
deren Motivation, das „Annual Meeting“ zu besuchen.
der Neuen Zürcher Zeitung „der Klempner des WEF“ ge-
Wir treffen zwei Vertreter der „Global Shapers“, der
nannt. Wir fragen ihn nach den internen Strukturen, den
Nachwuchsorganisation des WEF. Sie sind eine welt-
anderen Konferenzen neben dem „Annual Meeting“
weite Community von circa siebentausend Mitgliedern,
(Davos) und nach den „Initiativen“. Das sind ganzjährige
die in lokalen Hubs auf der ganzen Welt Projekte initiie-
Projekte des WEF, bei denen nach dem Stakeholder-Prin-
ren, bei denen „gesellschaftliche Probleme mit unter-
zip Bürger, NGOs, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft
nehmerischem Handeln“ angepackt werden sollen.
an einen Tisch geholt werden. So wird in Boston die Ein-
Michèle Mischler, zuständig beim WEF für die schweize-
führung fahrerloser Autos vorangetrieben und „Grow
rische Öffentlichkeitsarbeit, zeigt die große Breite der
Africa“ verbessert in Zusammenarbeit mit der UNO die
Tätigkeiten des Think Tanks auf und stellt sich den kriti-
Lebensmittellogistik. Ist das Postdemokratie, wenn pri-
schen Fragen der angehenden Wirtschaftselite.
vate Akteure wie das WEF solche Aufgaben koordinieren? Eine Tendenz dahin gebe es schon. „Das Forum ver-
20. Juni 2017, Cologny
steht sich als Public-private-Partnership und interessiert
Alois Zwinggi lädt ein zum Hausbesuch nach Cologny
sich für Fragen der Governance, also für Regelsysteme,
ins Hauptquartier des WEF. In einer langen Agenda stel-
die nicht unbedingt staatlich sind.“
len sich Vertreter der 650 Mitarbeiter vor, darunter Nico Daswani, Head of Arts and Culture, Yann Zopf, Head of
28. April 2017, Zürich/Berlin
Media Operations and Events, und Christoph von Tog-
In seinem Buch World Economic Forum. A Multi-Stake-
genburg als Zuständiger für die „Global Shapers“, die
holder Approach to Global Governance schreibt der Poli-
„Young Global Leaders“ und die Schwab Foundation for
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Social Entrepreneurship. Er ist eigentlich Künstler und
kulinarisch und kulturell zu bieten hat. Im Foyer steht
als Fotograf in vielen Konfliktregionen tätig. Ein Quer-
eine selbststeuernde Drohne mit einem Sitz für eine
einsteiger wie viele der WEFler. Er ist beeindruckt von
Person – ein Ein-Mann-Hubschrauber. Beim Betreten
der Heterogenität und der Offenheit beim Forum. Sämt-
des futuristischen Gebäudes muss man durch einen
liche Mitarbeiter in offenen Großraumbüros – in einer
Metalldetektor und beim Rausgehen muss man sich
hinteren Ecke hinter dem Monitor: Philipp Rösler.
für einen von drei übertitelten Torbögen entscheiden: „The future feels exciting“, „… challenging“ oder „…
26.–29. Juni 2017, Dalian (China)
frightening“. Ausbeute: 37 Sessions, 62 „businesscards“,
Der Besuch beim WEF hat gefruchtet: Eine Teilnahme am
6 „bilateral meetings“.
„Summer Davos“, dem „Annual Meeting of the New Champions“ in China, ist möglich. Sie beginnt schon
28. August 2017, Zürich
Wochen vor dem eigentlichen Meeting. Gespräche, Info-
Roman Gutzwiller, der Präsident des „Global Shapers“-
Mails und immer wieder Aktualisierungen auf „Top-Link“,
Hubs Zürich, erzählt von einem Projekt, bei dem her-
dem Konferenz-Netzwerk des WEF. Huawei lädt zum
kömmliche Taxis durch elektrisch angetriebene Taxis
Empfang in ein Fünf-Sterne-Hotel, Swissnex zum Pitch
ausgetauscht werden. Kann man auch ein „Shaper“ wer-
mit Apéro. Schon beim Umsteigen in Peking outen sich
den, wenn man arbeitslos ist? Gutzwiller meint, theore-
einige durch eine ausgedruckte Programmvorschau als
tisch ja, aber es gebe strenge Aufnahmekriterien; man
Teilnehmer und spätestens beim Desk in Dalian wird
müsse einen Leistungsnachweis haben und passioniert
man mit Blau-Weiß gebrandet: Bei der Registrierung
sein für die Anliegen der Community und des Hubs. Ge-
gibts neben dem Badge eine blaue Tasche und ein Notiz-
rade aus der Kunst- und der Sportszene fehlen ihnen
buch. Die Zone um das Konferenzzentrum am Hafen ist
Leute. „Die konnten wir noch nicht überzeugen, da herr-
weiträumig abgesperrt – nur mit Badge hat man Zutritt.
schen auch einige Vorurteile gegenüber dem WEF.“
Am Vorabend gibt es ein Warm-up mit den Kulturvertretern und einen Empfang mit den „Young Scientists“. Am
29. August 2017, Davos
Morgen geht es um sieben Uhr mit einem „Informal
Zweiter Davos-Besuch, diesmal im Hochsommer. Wir
Breakfast“ los. Dann folgt Session auf Session – Block-
treffen den stadtbekannten Hotelier Ernst „Aschi“
chain, „global warmth“, „machine learning“, „electronic
Wyrsch. Er leitete mit seiner Frau das Hotel Belvédère,
identity“, „empathy“, CRISPR usw. Zweitausend Teilneh-
wo man sich auf die Super-VIPs spezialisiert hatte: „Die
mer lauschen dem chinesischen Premier, wie er ver-
Geister, die wir riefen … Ich bin der Ursprung dieser bru-
spricht, dass China den heimischen Markt noch mehr für
talen Vermarktung“. Hier fanden in manchen Jahren über
ausländische Investoren öffnet. Vormittags gibts frische
zweihundert Veranstaltungen in fünf Tagen statt. Das
Gemüsesäfte, nachmittags Kekse aus Insektenprotein,
WEF ist Fluch und Segen: „Zehn Tage Arbeit ohne eine
abends einen überwältigenden cultural evening, bei
Minute Schlaf – dafür dann 355 Tage ruhiger Schlaf“.
dem Dalian so ziemlich alles auffährt, was die Provinz
Neben den dreitausend Hotelbetten für die Wichtigsten
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Im Foyer steht eine selbststeuernde Drohne mit einem Sitz für eine Person.
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muss während dem WEF für weitere siebentausend Menschen Platz gemacht werden – weshalb viele ihre privaten Räume vermieten. Das ausschlaggebende Kriterium bei den Wohnungen, erzählt uns ein Immobilienmakler, sei der Internetzugang. Ein Champagner im Kühlschrank und eine Fruchtschale auf dem Tisch sind bei den horrenden Mieten eine kleine Willkommensgeste. Es lässt sich sehr viel Geld verdienen. Sein Hobby? Jagen. „Jagen ist fast noch schöner als das WEF.“ Echte Engpässe gibt es bei den Putzkräften in Davos, was die Stundenlöhne in die Höhe treibt. Vermieten und alles rausräumen ist Peter Flury das Geld nicht wert. Er leitet das kleine, aber zentral gelegene medizinhistorische Museum. Hier versammelt er alte Röntgengeräte, Spucknäpfe, den berühmten Peddigrohrliegestuhl – und die Lebensgeschichten vieler Kranker. Wie man heute weiß, war die Davoser Luft für die Heilung der Tuberkulose praktisch ohne Einfluss, eine nachweisbare Wirkung hingegen hat die Höhensonne. Bis heute herrschen außerdem besondere Bedingungen für Asthmatiker, weil es in Davos keine Milben gibt, sagt Cezmi A. Akdis, der Chef des Schweizer Instituts für Allergieund Asthmaforschung (SIAF). Könnte man das WEF als eine Höhen- und Sonnenkur der Weltwirtschaft betrachten, ein Moment der Ruhe und Besinnung zu Beginn des Geschäftsjahres? Ein weiteres Spitzeninstitut in Davos ist das Physikalisch-Meteorologische Observatorium. Es fungiert zugleich als „World Radiation Center“, als eine Art „Nullpunkt“ in Sachen Sonnenforschung. Alle fünf Jahre kommen Institute aus der ganzen Welt mit ihren Messgeräten für drei Wochen nach Davos angereist. Während dieser Zeit werden – wenn es das Wetter zulässt – auf allen Geräten die Sonnenstrahlungswerte verglichen und an die Davoser Geräte angepasst. Ist das
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das WEF? Ein Abgleichen der Messwerte, ein Sensorium für die bevorstehende Zukunft? Beim Gespräch mit der Immunologin Nicole Joller (UZH) taucht ein neuer Aspekt auf: Wissenschaftstheater. Sie berichtet davon, wie sie als Rednerin für ein Panel beim WEF ihren Vortrag aufs Genaueste timen und immer wieder üben musste. Das WEF-Programm ist zu dicht, komplex und hochstehend, als dass hier jemand stammeln oder seine Redezeit überschreiten dürfte. Selbst Nelson Mandela nicht – der es 1992 aber trotzdem tat und von Klaus Schwab gestoppt werden musste. 31. August 2017, Zürich
Welt bleibe politisch ein „Flickenteppich“, daran könne
Wir treffen noch weitere „Global Shapers“, außerdem
weder die UNO noch die Wirtschaft etwas ändern.
einen afrikanischen Ingenieur für Entwicklungsarbeit
Dass Staatschefs zum WEF anreisen, hat aber noch an-
sowie die Leiterin der Global Regulatories einer interna-
dere Vorteile. Als Pilot der Schweizer Luftwaffe weiß
tionalen Bank und weitere Politologen. Nikola Biller-
Beat Hedinger das WEF gewissermaßen zu schätzen – es
Andorno, Medizinethikerin, berichtet von dem zuneh-
ist der größte Einsatz der Luftwaffe des Jahres, ein An-
menden Einfluss privater Geldgeber auf die Agenda gro-
lass, der viele aufwendige Übungseinsätze erübrigt.
ßer Einrichtungen wie der Weltgesundheitsorganisation.
Neben der Luftraumsicherung gewährleistet die Luft-
Immer häufiger verhindern projektgebundene Gelder,
waffe auch den Personentransport für Staatsvertreter
dass die WHO selbst entscheidet, worauf sie ihre Aktivi-
von Kloten nach Davos. Diese landen mit den Staatsma-
täten lenkt. Ist das WEF eine Zelle der Postdemokratie, in
schinen in Kloten und werden von dort in dreißig Minu-
der die Wirtschaft die Global Agenda schreibt? Das zu
ten nach Davos gebracht. Eine Schwierigkeit besteht
vertiefen, bekommen wir heute Gelegenheit. Allerdings
darin, dass hohe Repräsentanten es gewohnt sind, volle
nimmt uns Thomas Bernauer, Politologe der ETH, was
Entscheidungsmacht zu haben. Aber im Gegensatz zu
die These der Postdemokratie betrifft, ziemlich den Wind
Kloten, wo man nach Geräten fliegen kann, braucht es
aus den Segeln. Das WEF-Motto „Comitted to improving
zum Anflug in Davos Sichtflugbedingungen. Ob man si-
the state of the world“ findet er selbstbewusst, aber eine
cher fliegen kann, kann nur der Pilot entscheiden, egal
allgemeine, problematische Einflussnahme der Kon-
ob hinten Kofi Annan oder Bill Gates sitzen. Am Abend
zerne auf die Politik sieht er eher nicht. Auch eine gar zen-
erklärt Bernhard Müller, der designierte Chef der Schwei-
tral koordinierte World Governance werde es nie geben;
zer Luftwaffe, am Stützpunkt Dübendorf die Kapazitäten,
weder staatlich noch privatwirtschaftlich organisiert. Die
die Einsatzplanung, die Kommunikationsketten der Luft-
164 | Staat 4
Das WEF ist der größte Einsatz der Luftwaffe des Jahres.
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Ende September 2017, Zürich Sofia Sharkova und Hans Peter Michel sagen uns als Erste für das Projekt zu. Leider sagt zugleich der Zürcher Gärtner und Skilehrer ab, der sich in Davos jedes Jahr finanziell sanierte, indem er beim Aufbau des Konferenzbereichs mitgehämmert hat. Er hat sich mittlerweile entschieden, Polizist zu werden. Der Soziologe Ganga Jey Aratnam teilt sein Interesse schon beim ersten Skype-Gespräch von seinem Forschungsaufenthalt in Sambia aus mit. Seine Biographie hat ihn schon früh um die ganze Welt gebracht, in Zug lernte er seine heutige Frau kennen. Er interessiert sich für die Aktivitäten der Firma Glencore, deren Hauptsitz waffe beim WEF. Es gebe kaum eine größere Dichte von
in Zug ist – und die natürlich jedes Jahr am Forum in
interessanten Zielpersonen für mögliche Anschläge.
Davos teilnimmt.
1. September 2017, Zürich
11. Oktober 2017, Zürich
Sofia Sharkova trifft uns an einem Morgen in der Milch-
Als Vertreterin der Medizin im Zeitalter digitaler Vernet-
bar, Nähe Paradeplatz. Wir hoffen von ihr als Vize-Präsi-
zung spricht eine Forscherin des Zürcher Büros von
dentin der Zürcher „Global Shapers“ mehr über den
Watson Health über Patientendaten, die von Algorith-
Nachwuchs der „Davos Men“ zu erfahren. Sie arbeitet
men für andere nutzbar gemacht werden sollen. Die
für einen großen IT-Konzern, aber sie berichtet auch von
Spur verliert sich in der Abstraktion der Programmier-
ihren eigenen Start-ups und davon, wie sie mit ihrem
sprachen.
Verein „ASPIRE“ und einem Mentoring-Programm junge Gründerinnen ermutigt und unterstützt. Denn wie
24. Oktober 2017, Genf
in vielen anderen Bereichen sind auch hier die Frauen
Cécile Molinier hat ihr Leben lang für die UNO gearbei-
unterrepräsentiert. Aufgewachsen in Russland hat Sofia
tet. Sie war selbst nie beim WEF, hat beim UN-Pro-
bis heute 67 Länder besucht, in elf gelebt und gearbeitet.
gramm für Entwicklungshilfe aber immer wieder erlebt,
Eine ehemalige WEF-Mitarbeiterin, jetzt Konferenzdirek-
dass große Projekte wie die „Millenium Goals“ nur ge-
torin bei einem anderen Institut, erzählt von verspäteten
meinsam mit privaten Partnern gelingen konnten. Diese
Helikoptern, dem andauernden Adrenalinhoch bei den
Partner traf ihre Abteilung nicht selten in Cologny oder
Mitarbeitern in Davos und dem logistischen „Night-
Davos. Sie findet unser Projekt spannend und sagt zu –
mare“, als 2002 innerhalb von wenigen Wochen das „An-
der „Cast“ ist also mit ihr und Aratnam auf vier Perso-
nual Meeting“ nach New York verlegt wurde.
nen angewachsen.
Staat 4 | 165
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:45 Seite 166
17. und 18. Oktober 2017, Zürich
den, aber Theaterstücke sind ein Anfang …“ In seinen
Über einen Leak kommen wir an die Teilnehmerliste des
Augen ist das WEF ein Lobbyverein. Nicht für ein Pro-
WEF von 2017 und durchsuchen sie nach möglichen Ge-
dukt, eine Branche, sondern für die Idee, dass die Priva-
sprächspartnern und Darstellern. LinkedIn-Profile wer-
tisierung die schnelleren, effektiveren, mobileren und
den zur wichtigen Quelle für WEF-Teilnehmer, die in Zü-
innovativeren Lösungen für jedes Problem leisten kann
rich leben. Leider ohne Erfolg: Der Zeitaufwand für
als der Staat. Wir bitten ihn um eine Körperhaltung oder
Theaterproben ist zu hoch für berufstätige Top Shots aus
Geste, die ihm typisch erscheint für das WEF oder die
der Wirtschaft.
Postdemokratie. Ihm fallen für eine Machtelite, die denkt „Wer, wenn nicht wir …“, verschränkte Arme ein.
3. November 2017, Zürich Margit Haberreiter ist Sonnenspezialistin am „World Ra-
17. November 2017, Zürich
diation Center“. Wenn sie vom Energiezentrum Sonne
Der Direktor des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik
spricht, von ihren „unkalkulierbaren Massenauswürfen“
und Prävention verweist auf Otto Brändli. Der 76-jährige
und den dunklen, aber doch heißen Flecken mit über
Lungenarzt widmet sich neben seinen Patienten vor
fünftausend Grad Kelvin, eröffnet sich eine neue Paral-
allem der Wiederkehr der Tuberkulose weltweit – ein
lelperspektive auf das WEF. Wir beginnen später gemein-
Thema, das auch das WEF auf seiner Agenda hat.
sam mit ihr zu proben, bis wir merken, dass die Sonne
Brändli ist Präsident der Schweizerischen Stiftung für Tu-
zu weit entfernt ist vom thematischen Kreis des sehr ir-
berkuloseforschung, die ihrerseits auf Drittmittel aus der
dischen WEF.
Wirtschaft angewiesen ist. Er kann die Geschichte der Tuberkulose als Davoser Geschäftsidee beleuchten. Mit
6. November 2017, Zürich
Otto Brändlis Zusage endet die Recherchephase. Zum
Die ehemalige WEF-Mitarbeiterin Corine Blesi bildet sich
Probenbeginn treffen sich Darsteller und Team. In Einzel-
zurzeit als Journalistin weiter und wäre aus dieser Per-
und Gruppentreffen beginnt jetzt die Entwicklung des
spektive sehr am Projekt interessiert. Letztendlich schei-
Stücks.
tert die Zusammenarbeit an der geplanten London-Reise der Familie, die leider punktgenau auf das Premierendatum fällt. 16. November 2017, Zürich Der englische Politikwissenschaftler Colin Crouch, dessen Essay Postdemokratie weltweit kritisch diskutiert wurde, antwortet auf eine Anfrage zu einem Gespräch: „Ich habe immer von Postdemokratie-T-Shirts und Spielzeugen geträumt, die ein bisschen Geld einbringen wür-
166 | Staat 4
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STÜCKAUSZUG
1.
Woran denken Sie heute, wenn Sie Davos hören?
Einlass mit informeller persönlicher Begrüßung
An das World Economic Forum.
durch Hans Peter
Nach der Entdeckung eines Antibiotikums räumten die Geheilten Davos und das World Economic
2.
Forum zog in die Stadt. Die neue Mission lautet:
Musik: Ouvertüre
„committed to improving the state of the world“! Die Welt ist jetzt ein Patient, dessen Zustand ver-
Zürcher Fassung Hans Peter: (Mundart) Als Bub hat mir meine
bessert werden soll!
Mutter die Geschichte vom Wolf und dem Fuchs
Bei Weltzustand Davos sitzt das Publikum auf einer runden Arenabühne und die fünf Darsteller spielen in ihrer Mitte. Jeder Zuschauer nimmt eine Identität eines WEFBesuchers an und informiert sich über dessen Biographie mit Hilfe eines Büchleins, das am Platz ausliegt. Manchmal sprechen die Spieler gleichzeitig, jeweils zu einem Sektor der Zuschauerreihen.
erzählt: „Der Fuchs und der Wolf sind durch ein
3.
kleines Loch im Fenster in den Keller des Bauers
Sofia: I am somebody who wants to improve the
hineingeschlüpft und haben dort Fleisch gefressen.
state of the world. My name is Sofia. I have studied
Der Wolf konnte gar nicht genug bekommen. Der
International Business, economics and neuro-
Fuchs ist immer wieder durch das Loch hinaus –
science in Russia, Malta, France, England and Ger-
und wieder reingeschlüpft. Da fragt der Wolf den
many. I have two bachelor degrees and three mas-
Fuchs: Warum rennst du so aufgeregt hin und her?
ters. I have visited 67 countries and lived in eleven.
Und der Fuchs sagt: Ich schau nur nach, ob der
Currently I live in Zürich. I work in the tech industry.
Bauer nach Hause kommt. Aber das stimmte nicht.
But this is only a part of what I do. I also founded
Er schlüpfte rein und raus, um zu überprüfen, ob
Aspire four years ago to help female entrepreneurs to
er noch durch das Loch passt und noch nicht zu
realize their potential, and to set up their business.
fett geworden war. Und als dann schließlich der Bauer kam, ist der Fuchs – im Gegensatz zum Wolf –
And this is what I will do with you tonight. Jetzt ver-
durch das Loch in die Freiheit entkommen.“
suche ich auf Deutsch zu sprechen! Ich werde Sie
Schönen Guten Abend. Herzlich willkommen! I am
heute zu Unternehmerinnen und Unternehmern
the mayor of Davos.
machen. Und dazu brauchen wir Ihre Energie!
Mein Name ist Hans Peter Michel, in meiner Rolle
170 | Staat 4
als Landammann durfte ich im Jahr zwischen ein-
Kennen Sie die Welle? La Ola? Wie im Eishockey-
hundert und 120 Veranstaltungen eröffnen: den
Stadion!
Lungenärzte-Kongress, Apotheker-Kongress, Davos
Hans Peter, hilf mir. Zeig uns die Welle!
sounds good, Swiss 78-Kilometer-Marathon und
Wir fangen hier an, auf mein Zeichen. Und dann
Ende Dezember den Spengler Cup … Bei diesen
geht es weiter bis hier!
Reden habe ich gerne solche Fabeln verwendet.
3, 2, 1 und: oooooohaaa.
Woran hätten Sie vor einhundert Jahren gedacht,
Zürich, you could do better! Und noch einmal.
wenn Sie Davos gehört hätten? An Tuberkulose.
3, 2, 1 und: oooooohaaa.
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:46 Seite 171
Gut! Diese Energie werden Sie in Davos brauchen!
Und genau so werde ich jetzt Sie auf Ihre Rolle
Letztes Jahr kamen 1750 Wirtschaftsvertreter
vorbereiten! Aber Sie sind kein Global Shaper. Sie
nach Davos. So viele haben hier keinen Platz. Des-
Ich bin die erste Vize-Präsidentin vom Zürich Hub
sind heute ein Top Shot! Ein Manager eines multi-
halb haben wir für Sie eine repräsentative Stich-
der Global Shapers Community vom WEF. Wissen
nationalen Konzerns.
probe von 184 Identitäten gemacht. Prozentual
Sie, was Global Shapers sind? Siebentausend in-
Unter Ihrem Sitz gibt es eine Konferenzmappe.
stimmen Sie in Branche, Land und Geschlecht mit
novative Entrepreneurs und Game Changers wie
Nehmen Sie sie heraus. Finden Sie sie! Blättern
der Summe der zahlenden Gäste überein.
ich. Aus 376 Hubs, rund um die Welt. Junge Men-
Sie auf Seite zwei. Und zeigen Sie mir den Namen
Auf Seite drei sehen Sie eine kurze Biographie.
schen, die die Welt verändern wollen – und die
Ihrer Rolle auf Seite zwei!
Das ist die offizielle Davos-Biographie von Ihrer
vielleicht bald zur Elite gehören. We are the power
Sie sind eines der WEF-Mitglieder aus der Wirt-
Rolle. Also: Finden Sie heraus, wer Sie sind!
of youth. Deshalb dürfen jedes Jahr 25 Frauen und
schaft. Ihre Gruppe bildet die Hälfte vom WEF.
25 Männer zum WEF nach Davos. Und wir vom Zü-
Die andere Hälfte sind: Wissenschaftler, Vertreter
4.1.
rich Hub organisieren ein „PRE-Davos“ für die
von NGOs, Journalisten, Künstler und vor allem
Cécile, Ganga und Otto kommen rein.
fünfzig Shapers, um sie vorzubereiten. I am actu-
Politiker. Die müssen nicht zahlen! Sie hier, Sie
Alle kommentieren unterwegs Profile.
ally working on this right now …
sind die Financiers des privaten Think Tanks.
4.2. Otto:
4.2. Ganga:
4.2. Cécile:
4.2. Sofia:
4.2. Hans Peter:
Michael Goltzman,
Philipp Hildebrand,
Stéphane Richard,
Nadja Swarovski,
Iqbal Survé, Sekunjalo
The Coca Cola Company
BlackRock
CEO Orange
D. Swarovski
Investment Holdings
Das größte Getränkeunter-
Guten Abend, Philipp Hilde-
Guten Tag. Sie spielen heute
Good evening! Tonight you
Sie spielen die Rolle von
nehmen
Ihre
brand. Sie sind der Vice-
Stéphane Richard. Schön,
have the role of Nadja Swa-
Iqbal Survé. Ich hab ihn vor
Firma behauptet auf ihrer
weltweit.
Chairman von BlackRock,
Sie hier begrüßen zu dürfen!
rowski. Do you all know the
drei Jahren am WEF kennen-
Homepage, sie gebe mehr
dem größten Anlagenma-
Sie sind seit 2011 CEO von
Swarovski company? You
gelernt und war von seiner
Wasser an die Natur zurück
nager der Welt. Und zwar
Orange Frankreich.
are an Austrian business-
menschlichen
als sie in ihren Produkten
auch
Sie
Seit Sie am Ruder sind, hat
woman. You
the
beeindruckt. Unternehmer,
verkaufe? Wie sauber ist die-
Staaten beraten. Schulden
Orange in die Fieberglas-
Swarovski family firm in
Philanthrop und Arzt. Sie
ses Abwasser? Woher neh-
und Finanzkrisen sind Ihr
Technologie investiert. Sie
1995, 100 years after it was
waren sogar der Leibarzt
men Sie diese doppelte
Geschäft! Die USA, Grie-
sind
founded by your great-
von Nelson Mandela. Sie
Menge an Trinkwasser in den
chenland, Zypern, Spanien
ihrem
great-grandfather
gelten als einer der erfolg-
ärmeren Ländern, das Sie
… das sind Ihre „Kunden“.
neue Bereiche einzustei-
Swarovski 1895 in Wattens,
reichsten
dann viel teurer verkaufen?
Ein Werbespruch von Black-
gen: ins Bankengeschäft,
Austria. You are the first fe-
reichsten Geschäftsmänner
Als Arzt stört mich aber vor
Rock lautet: „Wir sind res-
die Künstliche Intelligenz
male member of the execu-
Afrikas. Sie sind Gründer
allem der hohe Zuckerge-
pektvoll
und Digitalisierung der Ser-
tive board. You grew up
der Sekunjalo-Gruppe mit
▾
deshalb,
weil
▾
antibürokratisch.“
gerade
dabei,
Unternehmen
mit in
▾
joined
Daniel
▾
Intelligenz
und
einfluss-
▾
Staat 4 | 171
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:46 Seite 172
4.2. Otto:
4.2. Ganga:
4.2. Cécile:
4.2. Sofia:
4.2. Hans Peter:
halt: Ein Liter über hundert
Das ist hübsch, wenn man
vice-Branche. Ihre Verbin-
hearing family stories of
zweihundert Unternehmen
Gramm Zucker entspricht 25
vor allem an Staaten ver-
dungen in die Politik sind
how your great-great-grand-
auf dem afrikanischen Konti-
Würfel Zucker, dem vierfa-
dient.
sehr gut:
father Daniel supplied Swa-
nent.
chen Tagesbedarf an Zucker,
Philipp Hildebrand ist Ihnen
Sie waren einst Stabschef
rovski crystals to embellish
News Agency gegründet mit
und über vierhundert Kalo-
ja ein Begriff als Präsident
von Christine Lagarde, als
Queen Victoria’s
dresses,
über zehn Millionen Lesern
rien in einer Flasche!
der Schweizerischen Natio-
diese Finanzministerin unter
how your grandfather work-
im Print-und Online-Bereich.
Ihre Produkte sind mit daran
nalbank. Dort hat er wegen
Nicolas Sarkozy war.
ed with Christian Dior to
Er hat mich auch menschlich
schuld, dass in der Schweiz
seiner damaligen Frau den
Und Sie waren befreundet
create the aurora borealis
sehr beeindruckt. Er hat ge-
vierzig Prozent der Erwach-
Hut nehmen müssen.
mit Bernard Tapie, einem ex-
crystals figurines.
sagt: „Manager denken in
senen und zwanzig Prozent
Das WEF ist für Sie nicht nur
travaganten Geschäftsmann,
You are a supporter of cau-
sehr kurzen Zeitabständen.
der Kinder übergewichtig
ein wirtschaftlicher Match-
ehemaliger Minister unter
ses including „Films Without
Sie entscheiden richtig für
sind und die Zuckerkrankheit
Maker. In Davos lernten Sie
François Mitterand sowie
Borders“ and the „English
den Moment, aber nicht für
auch hier weiter zunimmt.
auch Ihre heutige Frau ken-
ehemaliger Präsident des
National Ballet“, as well as
die Zukunft. So werden die
Werden
den
nen: Margarita Louis-Drey-
Fußballclubs Olympique de
charities. You received the
Reichen immer reicher ohne
Zuckergehalt weiter reduzie-
fus, Präsidentin des Roh-
Marseille. Mit Ihrer Hilfe ist
„Making a Difference Award
Nachhaltigkeit.“
ren, zum Beispiel sechs Pro-
stoffkonzerns Louis Dreyfus.
es ihm gelungen, vor Gericht
2012“
zent, wie dies Nestle ankün-
Sie ist heute ebenfalls unter
404 Millionen Euro zu kas-
Women International“. To-
digt, oder größer auf die
uns. Ihr Unternehmen ist
sieren.
Hollande
nights meeting is important
Flaschen und Dosen aufdru-
auch
wurde diese Schlichtung vor
for you, this is a time for you
cken lassen? Oder sollten
Forschung.
Sie
selber
Gegenstand
meiner
Unter
from „Women
Sie
haben
African
for
Gericht jedoch angefochten
to meet potential buyers and
Ihre Produkte nicht ganz aus
und jetzt läuft gegen Sie und
business stakeholders. Use
Schulen und Kantinen ver-
Tapie ein Verfahren wegen
your time and enjoy tonight!
bannt werden, als staatliche
organisierten Betrugs. Viel
Präventionsmaßnahme?
Glück damit!
5.
für ein Bett in einem kleinen Zimmer. Und auch
Insgesamt bezahlen Ihre Firmen gegen 100 000
Ganga: Rechnung Nummer eins
das Essen ist Ende Januar in Davos nicht ganz
Dollar pro Person! Zweitausend Mal so viel wie
Hans Peter: Schreib mal mit, Otto!
billig.
ein Schauspielhausticket. Das WEF ist eine private
Jede von Ihren Firmen bezahlt mindestens 60 000
Was macht das alles zusammen, Otto?
Veranstaltung. Die Regeln bestimmt der Gründer:
Dollar pro Jahr als Mitgliederbeitrag. Die Kon-
Otto: 91 500.
Klaus Schwab. Und die Nachfrage ist größer als
gressgebühr ist 27 000 Dollar. Die Unterkunft kos-
Hans Peter: Am WEF rechnen wir mit runden
das Angebot.
tet mindestens sechshundert Franken pro Nacht
Zahlen!
172 | Staat 4
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:46 Seite 173
7.
dung unseres Helis ist vorher angemeldet wor-
Hans Peter: Darin sind auch ihre Spikes. Die ver-
Ganga: Sie sehen: Hier ist die Konkurrenz hart.
den. Sonst würden wir sofort aufgefordert, den
schenkt das WEF, damit bei amerikanischen Mana-
Aber Sie haben einen Platz. Und wir begleiten Sie
Luftraum zu verlassen, abgedrängt oder abge-
gers kein Versicherungsfall entsteht.
auf Ihrer Reise. Ich darf Ihnen Cécile Molinier vor-
schossen.
Sofia: Am wichtigsten ist aber: der Badge. Ohne
stellen: Sie hat ihr Leben lang in unterschiedlichen
Hans Peter: Von hier sieht man: Davos ist der per-
den kommen Sie nicht rein!
Positionen für die UNO gearbeitet. Zuletzt als eine
fekte Ort: nur zwei Zugänge am Boden; Flüelapass
Cécile: Holen Sie Ihre Konferenzmappe heraus.
der Direktorinnen vom UNO-Entwicklungspro-
im Winter nicht zugänglich; das kann komplett ab-
Ganz vorne in der Folie finden Sie Ihren Badge.
gramm UNDP. Sie kann Ihnen helfen, Einfluss auf
geriegelt werden. Das habe ich mit dem Sicherheit-
Nehmen Sie ihn heraus und hängen Sie ihn sich
die internationale Politik zu nehmen.
schef in verschiedenen Szenarien durchgespielt.
um.
Cécile: Und hier steht Ganga Jey Aratnam. Er ist
Und das hat mich von der Sicherheit überzeugt.
Sofia: Der Blick geht in Davos immer zuerst auf
Soziologe an der Universität Basel. Im Moment
Fertig machen zur Landung!
den Badge, und dann ins Gesicht.
forscht er über die Macht der Rohstoff-Firmen und
Wir sind jetzt auf der Seewiese gelandet: Das ist
Cécile: Blättern Sie nun weiter auf Seite vier und
deren politische Verflechtungen. Und er hat – mit
der neue Landeplatz. Weil der Schwiegersohn
zeigen Sie uns Ihre Branche.
seinem Co-Autor – 102 von den reichsten Mana-
vom Bauer der die Wiese da unten sonst für
Sofia: Im Forum sind alle Branchen willkommen.
gern und Privatpersonen der Schweiz interviewt.
10 000 vermietet hat, dieses Jahr 12 000 ver-
Nur nicht Tabak und Waffen. Aber Lockheed Martin
Auch viele von Ihnen. Deshalb kann er Sie gut be-
langte. Da hat man sich für die Wiese von Re-
ist vertreten.
raten, wie Sie am besten in Ihre Rolle finden.
power entschieden, die wollen nur fünftausend.
Welcome Mr. Makoske. Do you know that your
8.
9.
defense contractor. Der größte Waffenhersteller
Hans Peter: Jetzt gehts nach Davos. Hier stehen wir
Otto: Willkommen in Davos. Mein Name ist Otto
der Welt.
auf dem Militärflughafen Dübendorf. Anschnallen!
Brändli. Ich bin Arzt. Als ich 19 Jahre alt war, er-
Cécile: Wer von Ihnen ist aus dem Finanzsektor?
Bitte verstauen Sie Ihre Konferenzmappe Rechts
krankte mein Vater an Lungen-TB und musste für
Genau wie in Davos sind hier 25 Prozent der Anwe-
von Ihrem Sitz in der Ablage. Wir starten gleich.
mehrere Monate in eine Höhenklinik zur Behand-
senden entweder private Investoren oder Banken.
Pilot: Ready for take-off.
lung. Deshalb bin ich Lungenarzt geworden und
Deshalb war es für meine Chefin, also die dama-
Hans Peter: Wir fliegen über die Innenstadt, den
habe mich das ganze Leben für die TB interessiert
lige Leiterin der UNDP, immer wichtig, in Davos zu
company, Lockheed Martin, is the world’s largest
Zürichsee, über dem Walensee brechen wir durch
und bin Chefarzt der Höhenklinik geworden, in der
sein, um Geld für UNO-Programme zu akquirieren.
die Wolken.
mein Vater gelegen hatte. Hier in Davos habe ich
Und für nachhaltige Geschäftsmodelle zu werben.
Pilot: Cloud break.
auch als Chefarzt in einer der beiden noch aus der
Auf der Seite fünf sehen Sie Informationen zu Ihrer
Hans Peter: Churfirsten oberhalb Sargans, Land-
TB-Zeit hier übriggebliebenen Höhenkliniken gear-
Firma! Wer ist alles auf der „Forbes Global 2000“-
quart, Arosa von Westen her über Davos, über den
beitet. Damals hieß sie Zürcher Hochgebirgsklinik
Liste? Welchen Rang haben Sie auf dieser Liste?
Strehlerpass ins Landwassertal … Das ist das
Clavadel. Aber Sie müssen jetzt zur Registrierung.
Wer ist von JPMorgan? Sie sind auf Platz vier der
Mattlishorn, der Dorfberg, der Seehorn.
Sofia: Hier bekommen Sie alles, was sie brau-
Forbes-Liste Und wer ist von Citigroup? Sie sind
Hans Peter: Siebentausend Meter über uns krei-
chen: eine Konferenzmappe, Informationen …
auf Platz zwölf. Aber Top Shots sind Sie alle!! Check
sen zwei FA18-Kampfjets. Keine Angst. Die Lan-
Hans Peter, zeig ihnen die Tasche!
it out!
Staat 4 | 173
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:46 Seite 174
10.2 Otto:
10.2 Sofia:
10.2 Hans Peter:
10.2 Ganga:
10.2. Cécile:
Hugh Grant,
Mrs. Huda Al Ghoson, Saudi
Rolf Dörig,
Christoph Franz,
Vincent Granier,
Monsanto Company
Arabian Oil Company
CEO Adecco
CEO Hofmann-LaRoche
senior adviser Total
Ich bin ein Fan Ihres zwei
You have the role of Huda Al
Wenn wir uns in Davos tref-
Ich kenn ihn nicht, sondern
Ich kenne Sie nicht persön-
Jahre jüngeren Namensvet-
Ghosson.
important
fen, würden Sie sagen: „Was
nur seinen Kollegen Severin,
lich, aber ich habe in Maure-
ters und Schauspielers Hugh
role! She serves as an exe-
machst du, altes Haus? Du
der auch sehr zurückhaltend
tanien mit Ihnen zu tun ge-
Grant! Er hat deutlich mehr
cutive director of human re-
bist auch grau geworden.
ist. Sie sind ein super Netz-
habt. Als ich da war, war das
Haare als Sie und verdient
sources at Saudi Arabian Oil
Gehen wir einen saufen.“
werker. Ich hab Ihnen hier
Land noch sehr arm. Öl
auch mehr (58 statt nur
Company.
Dienstkollegen beim Militär,
Ihr Netzwerk aufgezeichnet.
schien, wie ein Wunder zu
zwanzig Millionen 2017 oder
You are responsible for all
wir waren beide Majors. (Ich
Er erklärt die Zeichnung.
sein. Und Total hatte genü-
2016)! Spaß beiseite.
HRM and HRD programs in
habe ihm schwierige Aufga-
Ihren Flug an die Spitze
gend Bohrtürme in der Ge-
Ihre Firma ist der größte Ver-
the
ben gemacht und er musste
haben Sie bei Lufthansa an-
gend, um das Öl zu fördern.
käufer von Saatgut (und Un-
workforce planning, staffing,
sie
gefangen.
Zwischendurch
Das Problem mit Total und
krautvernichtungsmitteln).
training and development,
durchführen.
haben Sie mit der Deutschen
Afrika ist, dass die meisten
Sie verkaufen jährlich eine
retention, employee and re-
Sie haben eine Zweitwoh-
Bahn
Staatsbetrieb
Erträge aus dem Öl in die Ta-
Million Tonnen Glyphosat!
tirees… services, and legal
nung in Davos und sind wie
geleitet. Bankkontakte und
sche von afrikanischen Füh-
Dieses Pflanzengift, Total-
and labor relations matters
ich FDP-Mitglied!
Avenir Suisse haben Sie zu
rern und von dort in die Par-
Herbizid
tötet
to more than 66 000 em-
Beim WEF sind Sie in ihrer
Swiss gebracht. Und dort
teikassen von Chirac und
sämtliche grünen Pflanzen:
ployees from eighty diffe-
Funktion als CEO der Adecco –
haben Sie auch Ihre ersten
Mitterand flossen statt in die
Es wächst dann sprichwört-
rent nationalities.
genannt,
Very
company,
including
mit
seinen
Rekruten
einen
das ist der weltgrößte Perso-
Kontakte zu Roche geknüpft.
Ursprungsländer.
lich kein Gras mehr! Nur
naldienstleister – und haben
2015 haben Sie am WEF
Hoffentlich wird das unter
noch Ihre gentechnisch ver-
selbst über 32 000 Ange-
Bundesrat
Schneider-Am-
Macron anders. Der war ja in
änderten Nutzpflanzen, Mais
stellte.
mann getroffen. Sie versi-
Davos, und ich glaube, dass
und Soja, die sind resistent
Sie waren auch schon CEO
cherten ihm, die Abwertung
er einen anderen Zugriff hat:
auf Glyphosat. Glyphosat ist
der Swiss-Life-Gruppe und
des
Frankens
Er will ja auch die Energie-
krebserregend für uns Men-
diverser Banken.
durch die Schweizer Natio-
wende vorantreiben. Und da
schen (wie es die Internatio-
Sie gehen gern in die Oper.
nalbank sei richtig.
sollten Sie mitmachen, Herr
nale Agentur für Krebsfor-
Roche ist gut vernetzt mit
Granier.
schung 2015 eingestuft hat).
Regierungen. Das hat die
Sie haben trotzdem, dank
Vogel- und Schweinegrippe
Wer von Ihnen ist Investor?
gekauften Studien, wie kürz-
gezeigt.
Weltgesund-
Machen Sie Druck auf Vin-
heitsorganisation hat Tami-
cent Granier, damit Total/Elf
▾
lich bekannt geworden ist,
174 | Staat 4
▾
▾
Schweizer
Die
▾
▾
TdZ_Rimini Protokoll_2018_fin.qxp__ 15.02.18 16:46 Seite 175
10.2 Otto:
10.2 Sofia:
10.2 Hans Peter:
10.2 Ganga:
10.2 Cécile:
die Zulassung für weitere
flu, das umstrittene Roche-
auf erneuerbare Energien
fünf Jahre in der EU erhal-
Medikament, empfohlen. Und
umstellt.
ten. Ihr Produkt schadet aber
Staaten rund um die Welt
auch der Artenvielfalt unse-
haben Tamiflu gekauft. Mil-
rer Insekten und Vögel. Sie
lionenfach. Für Roche be-
als Biologe können das än-
deutete dies milliardenfa-
dern und nachhaltigere An-
chen Umsatz.
baumethoden fördern!
11.
reden können. Das ist zwar oft nervig, aber auf
zur Eröffnung! Die Vorbereitungen laufen auf
Hans-Peter: Sie sind Klaus Kleinfeld. Wir kennen
Dauer führt kein Weg daran vorbei.
Hochtouren.
uns. Sie waren bis vor kurzem CEO bei Arconic –
Otto: Vor Ihnen liegt jetzt unter dem Schnee
Hier ist das Hotel Flüela –
Arconic macht Metallverarbeitung, unter anderem
Davos. Wir legen jetzt mal die Hauptstraßen frei!
Hans Peter: Der Ministerpräsident von Aserbai-
Fassadenverkleidungen – und kürzlich im Zusam-
Hans Peter: Davos hat 12 000 Einwohner. Beim
dschan hat das oberste Stockwerk gemietet. Er ist
menhang mit dem Brand des Hochhauses in Lon-
WEF sind’s 50 000. Die Kläranlage ist ausgerichtet
nur während dem WEF da, bezahlt aber für das
don in aller Munde. Ich habe Sie interviewt für
auf 70 000 und damit fast an der Leistungsgrenze.
ganze Jahr.
meine Dissertation mit dem Titel „Führung der Zu-
Hier hat das Militär einen Turm, provisorischer
Ganga:Die Parsennbahn?
kunft. / Zukunft der Führung“
Tower. Jetzt sind wir schon in einer der drei Si-
Otto: Die Pisten sind während WEF fast leer, aber
Und er hat ja früher bei Siemens 350 000 Angestellte
cherheitszonen. Auf den Dächern befinden sich
der Betreiber besitzt auch 1500 Hotelbetten und
geführt. Der Sekretär hat vorher gefragt, ob er nach
Scharfschützen.
verdient gut beim WEF
35 Minuten den nächsten Termin planen kann –
Otto: Hier ist der Bahnhof Davos Dorf und ihr
Cécile: Der McDonalds?
dachte ich: Na ja, gut, halbe Stunde … Es kam dann
geht jetzt da die Promenade entlang.
Hans Peter: Früher stand hier der McDonalds.
viel länger. Und zwar wollte ich das aufzeichnen. Da
Otto: Sie ist während des WEFs gesperrt für den
2001 begannen die Proteste damit, dass hier eine
musste ich eine App runterladen. Mit Hilfe der Kredit-
Autoverkehr. Nur die Limousinen der VIPs dürfen
Scheibe eingeschmissen wurde.
karte. Er hat mir dann einen Code gegeben. Da hab
hier durchfahren. Wie im Theater von einem
Cécile: Ist hier das Hotel Hilton?
ich gesehen: Sie sind ein Mensch wie du und ich.
Stück auf das nächste umgebaut wird, wird in
Hans Peter: Da steht der Showroom von Micro-
Mir ist geblieben, dass Sie gesagt haben: Die Dik-
Davos für das WEF die ganze Stadt umgebaut.
soft, die sind heute auch dabei.
tatur der Eliten hätte zwar Vorteile, wenn man zu
Jede verfügbare Fläche wird für Events oder
Otto: Hier befindet sich das Kongress-Zentrum.
ihr gehört, aber sie hätte auf Dauer große Nach-
Showrooms geräumt und zu Höchstpreisen ver-
Davor das ganze Jahr über ein Transparent mit
teile. Die Demokratie ist so angelegt, dass alle mit-
mietet. Es sind nun noch knapp zwei Wochen bis
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dem WEF-Logo und der Aufschrift: „Where the
Kongresszentrum.
leaders meet!“
Hans Peter: Jetzt sind wir drin. Wir sind unter
Cécile: Das Kirchner-Museum?
uns. Im Kongresszentrum. Das ist die Treppe und
Hans Peter: Davor lässt Facebook ein dreistöcki-
hier gehts zum Plenarsaal. Ich habe das Kongress-
ges Chalet aufbauen – Kostenpunkt: eine Million
zentrum 2010 um ein Drittel erweitern lassen. Ich
pro Tag!
habe mir überlegt, dass das WEF sich an den Kos-
Carolyn Everson von Facebook ist auch hier.
ten beteiligen soll. Ganga, kannst du mal mitrech-
Ganga: Das Hotel Belvédère?
nen.
Hans Peter: Da steigt die legendäre Burda-Party.
Ganga: Rechnung Nummer zwei
Burda Media ist ja auch hier. Davor steht immer
Hans Peter: Bevor ich Landammann wurde, war
das Chalet der Bank of America.
ich ja Bauer, und einem Bauern muss man nicht
Cécile: Ist hier die Buchhandlung?
beibringen, wie er Geschäfte macht. Folgenden
Otto: Die macht in der einen Woche des WEFs
Kuhhandel habe ich versucht, Klaus Schwab
ihren Jahresumsatz. Aber nicht mit Bücherverkauf,
schmackhaft zu machen. „Klaus“, hab ich gesagt,
sondern indem sie alles komplett leerräumen und
„ihr gebt jedes Jahr 500 000 für Annexbauten aus –
die Ladenfläche vermieten.
500 000 auf zehn Jahre gesehen sind fünf Millio-
Hans Peter: Hier die Aula der Schule: Hier findet
nen – Klaus, ihr zahlt mir fünf Millionen jetzt und
das Open Forum statt, das als Maßnahme der De-
garantiert damit, dass ihr die nächsten zehn Jahre
eskalation installiert wurde und Gespräche und
das WEF in Davos abhaltet. Es lohnt sich für euch
Vorträge öffentlich macht.
zu zahlen. Ich denke, das ist eine gute Win-
Ganga: Hotel Pöstli.
Win-Situation.“ Und Schwab hat angebissen.
Hans Peter: Da nächtigt immer der Bundesrat – die Treffen und Empfänge finden dann aber hier im Rathaus in der berühmten „Grossen Stube“ statt. Otto: Das Spital Davos vermietet nichts. Es steht in Bereitschaft für den Krisenfall. Bahnhof Davos Platz. Während des WEFs heißt der schnellste Weg, um von einem Ende von Davos zum anderen zu kommen, die rhätische Bahn.
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WENN AUS UNTERNEHMEN POLITISCHE AKTEURE WERDEN Hannah Trittin
Kann das „World Economic Forum“ (WEF) einen Beitrag zu seiner Zielsetzung „Improving the State of the World“, also zur Verbesserung des Weltzustandes, leisten? Als privatwirtschaftliche Initiative ist das WEF Teil der Global Governance, mithilfe derer staatliche und nichtstaatliche Akteure gemeinsam global Politik betreiben. Das WEF ermöglicht den Dialog zwischen den mächtigsten Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft und bietet ihnen die Gelegenheit, die Lösung von großen globalen Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Das Weltverbesserungspotential des WEFs wird allerdings dadurch geschmälert, dass die politische Einflussnahme durch das WEF nicht legitimiert ist. So trägt die Initiative nicht zur Verbesserung des Weltzustandes bei. Beginnen möchte ich mit einer kurzen Bestandsaufnahme des Verhältnisses zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, insbesondere Unternehmen, in Zeiten der Globalisierung (für eine ausführliche Abhandlung vgl. auch Scherer et al. 2015). Der Kapitalismus sieht eine klare Aufgabentrennung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren vor (Friedman 1962): Die Aufgabe des Staates ist es, innerhalb seines Territoriums die „Spielregeln“ für wirtschaftliche Aktivitäten zu bestimmen und für faire Wettbewerbsbedingungen zu sorgen. Unternehmen dürfen, unter Berücksichtigung von staatlichen Regeln und Gesetzen, ihren wirtschaftlichen Interessen frei nachgehen. Der Prozess der Globalisierung stellt diese Rollenverteilung zwischen Politik und Wirtschaft infrage. Globalisierung bedeutet die Intensivierung von grenzüberschreitenden sozialen Interaktionen, die durch sinkende Kosten bei der Überbrückung von geographischen Entfernungen durch Telefonie und den Transfer von Kapital, Waren und Menschen ermöglicht wird (Scherer et al. 2015). Besonders multinationale Unternehmen profitieren vom fortschreitenden Prozess der Globalisierung, da dieser ihnen effiziente Ressourcenallokation über Landesgrenzen hinweg ermöglicht. In einer globalisierten Welt verlegen multinationale Unternehmen ihre Geschäftstätigkeiten dorthin, wo sie für sie am profitabelsten sind. Natürlich wir-
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ken sich gleichzeitig auch die Folgen von unternehmerischen Handlungen, beispielsweise Umweltverschmutzungen, global aus. Grenzüberschreitendes Wirtschaften stellt allerdings eine Herausforderung für einzelne Staaten dar. Denn ihre Kontroll- und Regulationsfähigkeiten sind auf das nationale Territorium beschränkt (Habermas 2001). Einzelne Staaten sind also aufgrund der Globalisierung daher oft nicht in der Lage, die globalen Aktivitäten von Unternehmen zu regulieren. Selbst dann nicht, wenn sie sich, wie im Falle der Europäischen Union, auf supranationaler Ebene zusammenschließen. Gleichzeitig haben multinationale Unternehmen begonnen, Aufgaben zu übernehmen, die traditionell staatlichen Akteuren zugeordnet werden (Scherer u. Palazzo 2011; Crane et al. 2008; Matten u. Crane 2005). Sie engagieren sich beispielsweise im Bildungsbereich oder im Gesundheitswesen, bauen die öffentliche Infrastruktur aus oder setzen sich in gewissen Ländern angesichts von repressiven Regimen für Menschenrechte ein. Darüber hinaus regulieren multinationale Unternehmen ihre Geschäftstätigkeiten freiwillig, beispielsweise im Rahmen von Branchenstandards oder Reporting-Initiativen, wenn staatliche Regulierung (noch) nicht existiert. Diese politischen Aktivitäten von Unternehmen werden unter dem Begriff Corporate Citizenship oder Political Corporate Social Responsibility in der betriebswirtschaftlichen Forschung diskutiert (Matten u. Crane 2005; Scherer et al. 2016; Scherer u. Palazzo 2011). Unternehmen sind heute aber nicht nur alleine als politische Akteure oder Corporate Citizens aktiv. Vielmehr sind
Unternehmen sind heute fester Bestandteil der Global Governance.
sie fester Bestandteil der Global Governance, also den formellen und informellen Strukturen, mithilfe derer staatliche, aber auch nichtstaatliche Akteure wie internationale oder zivilgesellschaftliche Organisationen und Unternehmen zusammenarbeiten, um Lücken der staatlichen Regulation zu füllen und öffentliche Güter bereitzustellen (vgl. auch Held 1995; Scherer u. Palazzo 2011; Kobrin 2008). Die WEF-Initiative kann als Teil dieser Global Governance verstanden werden (Pigman 2007). Einst vom deutschen Wirtschaftswissenschafter Klaus Schwab als Plattform für Top-Manager ins Leben gerufen, versucht die privatwirtschaftliche Initiative heute, laut eigener Aussage, die mächtigsten Akteure der Welt aus Wirtschaft, Politik, und der Zivilgesellschaft zusammenzubringen, um globale Herausforderungen zu adressieren (World Economic Forum 2018). Ziel des jährlichen Treffens in Davos ist es, zwischen den Mitgliedsunternehmen der Initiative und ihren geladenen Gästen ein gemeinsames Verständnis und Empathie für globale Problematiken zu schaffen und, wo angemessen, Handlungen zu initiieren (WEF 2018). 2018 fand das gleichnamige Forum entsprechend unter dem Motto „Improving the state of the world“ statt. Es geht dem WEF also um nicht weniger als die Verbesserung des Weltzustandes. Aber kann diese privatwirtschaftliche Initiative die nötigen Impulse geben, um die Welt zu verbessern? Globale und komplexe Herausforderungen wie der Klimawandel, Armut oder Hunger können nur durch den organisierten Einsatz und die Kollaboration einer Vielzahl von Akteuren gemeistert werden (George et al. 2016). Es müssen fundamentale soziale Veränderungsprozesse initiiert werden, für welche die Zustimmung und der Konsens zwischen einer Vielzahl von gesellschaftlichen Akteuren vonnöten ist. Global-Governance-Initiativen wie das WEF können an dieser Stelle große Wirkungskraft entfalten. Denn sie basieren auf freiwilliger Selbstver-
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pflichtung und der Etablierung von geteilten Werten und Normen (Abbott u. Snidal 2010). Dialog-Foren wie das WEF in Davos leisten also einen wichtigen Beitrag zur Lösung von globalen Herausforderungen, da sie Konsensbildung initiieren. Allerdings ist der Dialog innerhalb des WEFs aufgrund der Vielfalt der Teilnehmer und deren verschiedenen Partikularinteressen eine Herausforderung. Am WEF 2018 nahmen Vertreter von unterschiedlichsten gesellschaftlichen Anspruchsgruppen teil: Politiker, Wirtschaftsvertreter, aber auch Vertreter internationaler Organisationen und Hilfsorganisationen, sowie Künstler, Unternehmensgründer und Akademiker. Das zeigt auch die Inszenierung Weltzustand Davos. Während der Veranstaltung können die Zuschauer erleben, wie unterschiedlich die Perspektiven der WEF-Teilnehmer sein können. Sie sind aufgefordert, sich zunächst in die Rolle eines Unternehmensvertreters einzufühlen, der am WEF teilnimmt. Im Anschluss muss der „Perspektivenwechsel“ vollzogen werden und die Gäste schlüpfen für kurze Zeit in die Rolle eines Staatsvertreters bei den Vereinten Nationen. Diese Übung macht bewusst, wie konträr die Sichtweisen alleine zwischen Politikern und Unternehmensvertretern sein können. Das Stück lässt zudem erahnen, wie schwierig es sein muss, zwischen diesen Gruppen einen Konsens darüber zu finden, wie gemeinsame Handlungen in Bezug auf gesellschaftliche Herausforderungen aussehen könnten und welche Eigeninteressen dieser Konsensbildung möglicherweise entgegenwirken. Für das Weltverbesserungspotential des WEFs spricht auch die (derzeitige) weltweite Popularität des Treffens in Davos. Mehr als dreitausend Teilnehmer aus 110 Ländern waren in diesem Jahr vertreten. Das WEF bringt eine große Anzahl an einflussreichen Akteuren zusammen, die ein Interesse am Fortbestand einer globalisierten Welt haben. Dies lässt hoffen, dass das WEF auch zur Lösung von „alten“ (Hunger, Armut, Klimawandel) und „neuen“ (digitale Transformation) gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit beiträgt, die ihren Ursprung auch in der Globalisierung haben. Unter den Teilnehmern finden sich sogar selbsternannte Globalisierungsgegner wie der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump. Allerdings ist die Teilnahme von Trump keineswegs als Besinnung auf die Vorzüge der Globalisierung und einer gemeinsamen globalen Politik zu verstehen. Stattdessen scheint Präsident Trumps Teilnahme eher durch politisches Kalkül geleitet zu sein: Denn wo sonst können Politiker innerhalb kürzester Zeit in den direkten Kontakt zu so vielen einflussreichen Wirtschaftsvertretern treten und sie von den Standortvorteilen ihrer Länder überzeugen? Und umgekehrt: Wo sonst können Unternehmen so öffentlichkeitswirksam zeigen, dass sie gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, und den Rest der Welt von den Vorteilen einer globalen Wirtschaft überzeugen? Es kann somit argumentiert werden, dass Global-Governance-Initiativen wie das WEF eine Daseinsberechtigung haben, insbesondere vor dem Hintergrund der limitierten Möglichkeiten einzelner Staaten, die Globalisierung zu lenken. Allerdings muss sich das WEF (ähnlich wie andere Global-Governance-Initiativen) den Vorwurf gefallen lassen, Politik abseits demokratischer Prozesse zu betreiben. Denn während die Teilnehmer des WEFs über globale gesellschaftliche Problematiken debattieren und sich gegebenenfalls auf gemeinsame Handlungen einigen, sind die meisten von ihnen nicht durch einen entsprechenden demokratischen Legitimierungsprozess gegangen, wie es Politiker beispielweise in Form von Wahlen tun. Das liberale Demokratiemodell sieht die Übernahme von politischen
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Wo sonst können Politiker innerhalb kürzester Zeit in den direkten Kontakt zu so vielen einflussreichen Wirtschaftsvertretern treten?
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Funktionen seitens nichtstaatlicher Akteure nicht vor (Scherer et al. 2015). In diesem Sinne weisen privatwirtschaftliche Initiativen wie das WEF ein fundamentales demokratisches Defizit auf (Scholte 2002). Auch der Zugang zum WEF erfolgt nicht nach demokratischen Prinzipien. Denn die Auswahl der Teilnehmer findet, anstatt durch einen öffentlichen Wahlprozess, durch die Organisatoren des Events selbst statt. Die Zusammensetzung der Teilnehmer ergibt sich also daraus, wen die Organisatoren für besonders wichtig und einflussreich hal1 Neben der Teilnahmegebühr fallen Kosten für Kost und Logis sowie den Reiseweg nach und von Davos unter
ten. Zudem ist die Teilnahme mit hohen Kosten verbunden1, was für kleinere Unternehmen, aber auch für politische Vertreter von Ländern mit geringen Einkommen eine Hürde darstellt. Daraus resultiert eine Teilnehmerzusammen-
erhöhten Sicherheitsbedingungen an.
setzung des WEFs stark zugunsten von Vertretern von umsatzstarken multinationalen Unternehmen und Politikern reicher Länder. Weltzustand Davos greift diesen Aspekt auf: Das Stück kontrastiert die Teilnehmerzusammenstellung des WEFs mit der Zusammenstellung der Vereinten Nationen. In der internationalen Organisation sind Staaten nach demokratischen Prinzipien nach dem Motto „One country – one vote“ repräsentiert: Jedes Land, egal ob arm oder reich, hat eine Stimme. Internationale Politik scheint also auch demokratisch möglich zu sein. Aufgrund dieser (und anderer) demokratischer Defizite sieht sich das WEF seit Jahren mit Protesten verschiedener Kritiker konfrontiert (Pigman 2007). Die andauernde Kritik kann als ein Indiz für den Mangel an Legitimität von politischen Aktivitäten seitens Unternehmen verstanden werden. Allerdings sind Unternehmen und privatwirtschaftliche Global-Governance-Initiativen wie das WEF darauf angewiesen, als legitim in der Gesellschaft wahrgenommen zu werden, um langfristig ihre Existenz zu sichern (Scherer et al. 2013, 2015). Daher sollten das WEF und seine Mitgliedsunternehmen diese Kritik ernst nehmen. Dies scheint umso dringlicher vor dem Hintergrund des derzeitigen fragilen Weltzustandes. Denn der gesellschaftliche Glaube an die Globalisierung und an die gesellschaftlichen Vorteile einer globalisierten Welt scheint zu schwinden. Das internationale System erlebt derzeit eine Phase der gefühlten politischen Instabilität und Unsicherheit, wie es sie nach dem Zweiten Weltkrieg nicht gab (De Jonquières 2017). Weltweit scheinen sich Nationalismus und nationaler Protektionismus durchzusetzen, selbst in Ländern, die am meisten
Die Globalisierung hat nicht für den erwarteten gesellschaftlichen Wohlstand gesorgt.
von der Globalisierung profitiert haben, beispielsweise in Großbritannien, den USA, aber auch in Deutschland. Natürlich gibt es für diesen Zustand eine Vielzahl an Gründen. Einer der triftigsten scheint aber ökonomischer Natur zu sein: Die Globalisierung hat nicht für den erwarteten gesellschaftlichen Wohlstand gesorgt. Die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer, stagnierende Löhne und zunehmende Einkommensdifferenzen zwischen Armen und Reichen führen dazu, dass sich auch in vielen entwickelten Ländern die Bürger zunehmend als Verlierer der Globalisierung sehen (Ghemawat 2017). Im Gegenzug stehen multinationale Unternehmen als Gewinner dar. Eine Veranstaltung wie das WEF, die den Anschein erweckt, hauptsächlich multinationalen Unternehmen dienlich zu sein, kann das gesellschaftliche Misstrauen in die Vorzüge einer globalisierten Welt nur steigern. In diesem Sinne erscheint es essentiell, dass die WEF-Initiative beweist, dass ihr Treffen in Davos einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen schafft, und dass sich die Initiative tatsächlich gesellschaftlichen Belangen widmet. Die Schaffung von Transparenz und Dialogmöglichkeiten für Außenstehende durch vereinzelte Formate wie das „Open Forum“ oder die Übertragungen von Debatten während des Forums mithilfe von Internet-basierten Podcasts kann
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aber nur als erster Schritt in die richtige Richtung angesehen werden. Darüber hinaus müssen die Mitgliedsunternehmen der WEF-Initiative zeigen, dass sie ganzjährig einen Beitrag dazu leisten, dass die Vorzüge einer globalisierten Wirtschaft auch der breiten Bevölkerung zuteilwerden. Nur so kann das WEF schlussendlich zur Verbesserung des Weltzustandes beitragen. Unter den gegebenen Umständen scheint das WEF allerdings genau das Gegenteil zu bewirken.
Literatur: Abbott, Kenneth W./Snidal, Duncan (2010), „International regulation without international government: Improving IO performance through orchestration“. In: Review of International Organizations 5 (3), S. 315–344. Crane Andrew/Matten, Dirk/Moon, Jeremy (2008), „The emergence of corporate citizenship: Historical development and alternative perspectives“. In: Scherer, Andreas Georg/Palazzo, Gudio (Hg.), Handbook of research on global corporate citizenship. Cheltenham, S. 25–49. De Jonquières, Guy (2017), „The world turned upside down: The decline of the rules-based international system and the rise of authoritarian nationalism“. In: International Politics 54 (5), S. 552–560. Friedman, Milton (1962), Capitalism and freedom. Chicago. George, Gerard/Howard-Grenville, Jennifer/Tihanyi, Laszlo (2016), „Understanding and tackling societal grand challenges through management research“. In: Academy of Management Journal 59 (6), 1880–1895. http://dx.doi.org/10.5465/amj.2016.4007. Ghemawat, Pankaj (2017), „Globalization in the age of Trump“. In: Harvard Business Review 95 (4), S. 112–124. Habermas, Jürgen (2001), The postnational constellation. Cambridge, MA. Held, David (1995), Democracy and the global order: From the modern state to cosmopolitan governance. Stanford, CA. Kobrin, Stephen J. (2008), „Globalization, transnational corporations and the future of global governance“. In: Scherer, Andreas Georg/Palazzo, Guido (Hg.), Handbook of research on global corporate citizenship. Cheltenham, S. 249–272. Matten, Dirk/Crane, Andrew (2005), „Corporate citizenship: Toward an extended theoretical conceptualization“. In: Academy of Management Review 30 (1), S. 166–179. Pigman, Geoffrey Allen (2007), The World Economic Forum: A multi-stkaeholder approach to global governance. Oxon. Scherer, Andreas Georg/Palazzo, Guido (2011), „The new political role of business in a globalized world: A review of a new perspective on CSR and its implications for the firm, governance, and democracy“. In: Journal of Management Studies 48 (4), S. 899–931. Scherer, Andreas Georg/Palazzo, Guido/Seidl, David (2013), „Managing legitimacy in complex and heterogeneous environments: Sustainable development in a globalized world“. In: Journal of Management Studies 50 (2), S. 259–284, Scherer, Andreas Georg/Palazzo, Guido/Trittin, Hannah (2015), „The changing role of business in global society: Implications for governance, democracy, and the theory of the firm“. In: Lundan, Sarianna (Hg.), Transnational corporations and transnational governance. London, S. 355–387. Scherer, Andreas Georg/Rasche, Andreas/Palazzo, Guido et al. (2016), „Managing for political corporate social responsibility: New challenges and directions for PCSR 2.0“. In: Journal of Management Studies 53 (3), S. 273–298. Scholte, Jan Aart (2002), „Civil society and democracy in global governance“. In: Global Governance 8 (3), S. 281–304. World Economic Forum (2018), „Why does our work matter“. www.weforum.org/about/why-does-our-work-matter%0D.
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DAS WEF: DIE HYDRA DER GLOBALISIERUNG Ganga Jey Aratnam
Die Weltverbesserung durchlebte verschiedene Krisen und bewegte unterschiedliche Kreise. Einer davon war der Club of Rome in den 1970er Jahren, ein anderer das erste WEF in Davos. 1971 gegründet, überlebte es nicht nur alle seitherigen wirtschaftlichen Krisen, sondern nahm an Bedeutung zu, selbst wenn manche dies gern bestreiten. Eine Buchreihe, die international tätige Organisationen untersucht, stellte bereits vor Jahren fest: Das WEF beeinflusst sowohl die globale politische Zusammenarbeit und Sicherheit als auch die Weltwirtschaft. Und das obwohl – oder vielleicht auch weil – das WEF eine private und keine zwischenstaatliche Institution ist. (Pigman 2007: XI) Im Folgenden eine Annäherung aus der Sicht sowohl des palpierenden Wirtschaftssoziologen als auch des teilnehmenden „Experten“ in der Theaterarena. Polyvalent und anpassungsfähig: Klaus Schwab Betriebswirtschaft als Beruf, globale Wirtschaft als Berufung: Das Verbinden, Assoziieren, das Multidisziplinäre, die Links zwischen ökonomischem, Bildungs- und Sozialkapital – all das zieht sich wie ein roter Faden durch den Werdegang des Klaus Schwab, dem Gründer des WEF. Der Sohn eines süddeutschen Vaters mit Schweizer Verwandtschaft und einer Schweizer Mutter studierte technische Wissenschaften (ETH Zürich) und Wirtschaftswissenschaften (Universität Freiburg, CH). Dieses doppelte Wissen konnte Klaus Schwab anwenden, als es in den späten 1960er Jahren um die Zukunft des Maschinenunternehmens Escher Wyss ging, dessen Ravensburger Filiale Schwabs Vater leitete. Bereits in der Depression der 1930er Jahre drohte dem traditionsreichen Zürcher Industrieunternehmen, das mit seinen Turbinen und Dampfschiffen ein internationaler Player war, das Aus. Die Rettung kam durch eine Art PublicPrivate-Partnership zustande: Die Regierungen von Stadt und Kanton Zürich retteten Escher Wyss zusammen mit Banken und privaten Industriellen. In den 1960er Jahren geriet Escher Wyss infolge des internationalen Wettbe-
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werbs in die Bredouille. Die Zeit der Staatsrettungen von Industrieunternehmen war vorbei. Stattdessen wurde nun, mit Hilfe von Klaus Schwab, fusioniert und Escher Wyss wurde Teil des Maschinen- und Technologiekonzerns Sulzer. Die Schiffbauhallen aus dem späten 19. Jahrhundert hatten ausgedient und konnten mittelfristig ihrer spätmodernen Konversion zugeführt werden. Heute steht der „Schiffbau“ fürs gleichnamige, staatlich subventionierte Theater, wo, was für ein feiner Zufall, Staat 4 seine Uraufführung erlebte. Thinking Big: Harvard, die Europäische Kommission, der Club of Rome „Peace and Prosperity“, gab US-Präsident Donald Trump am WEF 2018 auf die Frage an, was sein Motto sei. Zwischen 1950 und 1973 betrug die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate in Westeuropa 4,06 Prozent. Zum Vergleich: Zwischen 1913 und 1950 waren es durchschnittlich 0,78 Prozent gewesen. (Broadberry u. O’Rourke 2010: 299) Hatten die USA die westeuropäischen Länder nach dem Krieg mit Marshall-Hilfe und logistischem Support wieder aufgebaut und in ihren Handelskreislauf eingegliedert, so erwuchs ihnen von dort mit der Zeit ernsthafte wirtschaftliche Konkurrenz. 1969 schwenkten die USA unter dem republikanischen Präsident Richard Nixon auf eine stärker 1 Dadurch erhält die am WEF 2018 verkündete „America-
unilaterale und teilweise protektionistische Wirtschaftspolitik um. 1 Das internationale Währungssystem, das 1944
First“-Haltung einen historischen Vorläufer.
zur künftigen Stabilisierung der Weltwirtschaft und der Weltpolitik vereinbart worden war, verlangte von den europäischen Regierungen durch die Koppelung ihrer Währungen an den Gold-Dollar-Standard das kontinuierliche Auffangen der Schwankungen der US-amerikanischen Währung. Im Kontext dieser wirtschaftspolitischen Situation organisierte Klaus Schwab zusammen mit seiner Sekretärin
2 Die private Partnerwahl verlief damals für Frauen häufiger
Hilde Stoll ein europäisches Manager-Symposium im winterlichen Davos für mindestens 440 Teilnehmer.2 Dass sich
aufwärtsstrebend. So auch für Stoll, die zu Frau Schwab
sendungsbewusste Intellektuelle, Unternehmer oder Weltverbesserer auf Schweizer Bergen treffen, war nichts
wurde. Eine solche nicht assortative Partnerwahl verringerte die Ungleichheit in der Gesellschaft – und war damit letztlich
Neues. Man denke nur an den Monte Verità im frühen 20. Jahrhundert mit seinen Anarchisten, Künstlern und Le-
auch eine Verbesserung des Zustandes der Welt. (Vgl.
bensreformern oder an den Mont Pèlerin, auf dem der urneoliberale Friedrich Hayek seine Gesinnungsgenossen
Schwartz u. Han 2014) Als Schwab 1998 Vorsitzende der Schwab Foundation for Social Entrepreneurship wurde,
1947 versammelte. Zu denken ist aber auch an die „Davoser Hochschulkurse“, die von 1928 bis 1931 im Hotel Belvé-
förderte sie nicht nur Projekte und Unternehmen, die der
dère stattfanden. Diese von Albert Einstein mitbegründeten Kurse sollten einerseits den vielen tuberkulösen Studie-
sozialen Entwicklung verpflichtet sind, sondern sie vergibt
renden, die in Davos kurten, geistige Nahrung bieten. Anderseits erhielten damit Intellektuelle aus den unterlege-
seitdem auch einen Preis für Künstler, die sich durch ihr Engagement für eine „bessere Welt“ auszeichnen.
nen Nationen des Ersten Weltkriegs, die auf wissenschaftlichen Kongressen nicht mehr erwünscht waren, eine Plattform zum kollegialen Austausch. Das Streitgespräch zwischen den Philosophen Ernst Cassirer und Martin Heidegger von 1929 ging als „Davoser Disputation“ in die Philosophiegeschichte ein. Die Weltwirtschaftskrise machte die Pläne, aus den Kursen eine internationale Universität in Davos einzurichten, zunichte. (Grandjean 2011, Friedmann 2004) Nun, 1971, erhielt der ehemalige Zauberberg und Disputationslokus eine neue Bestimmung. The Spirit of Davos nach Klaus Schwab, das war auch der Spirit of Harvard. Nicht nur hatte die Business School die Idee eines Symposiums wohlwollend unterstützt. Der prominente Harvard-Ökonom John Kenneth Galbraith vertrat sowohl die Wohlstandsgesellschaft als auch die Planungsnotwendigkeit im Kapitalismus und die Annäherung von Ost und West, die mit Modi und Trump bis 2018 anhält. (Whitney 1997; Galbraith 1958 u. 1967)
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Vom Planeten Europa zum Raumschiff Erde (Fuller 1969) Eine andere Vereinigung, der Club of Rome, ein 1968 vom italienischen Fiat-Industriellen Aurelio Peccei und vom schottischen Chemiker und Energieforscher Alexander King initiiertes Netzwerk von liberalen Weltverbesserern, tagte auch in der Schweiz. (Kanninen 2013) Seine Agenda beeinflusste das Davoser Symposium spätestens ab 1973 markant, als er den Bericht Die Grenzen des Wachstums dort vorstellte. Der Club of Rome hatte den von Wissenschaftlern des MIT verfassten Bericht gesponsert und damit, mitten in der internationalen Trendwende hin zu Umweltsensibilität und ökonomischem Abschwung, einen düsteren Bestseller lanciert. (Club of Rome 1972) Zusätzlich zur aufkommenden Erdölkrise schien der auf billigem Öl und seinen Produkten gebaute westliche Wohlstand nicht nur aus ökologischen Gründen in Frage gestellt. Die Engführung von Betriebs-, Volkswirtschaft und Good Governance, verbunden mit markttauglichen ökologischen und sozialen Reformen, wurde zu einem der Markenzeichen der 1971 nach dem ersten erfolgreichen Symposium als „European Management Forum“ eingetragenen Stiftung. Die Situation im Nahen Osten hatte ein ArabischEuropäisches Meeting begünstigt und bald kam ein Lateinamerika-Europa-Symposium hinzu, für welches das Forum unter anderem mit der Weltbank kooperierte, die in den 1980er Jahren zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds umstrittene Umschuldungs- und Strukturanpassungsprogramme für die verschuldeten Staaten des globalen Südens erließ. Improving the State of the World! 1987 vollzog die Umbenennung der Organisation in World Economic Forum das, was faktisch schon länger klar war und einer doppelten, wirtschaftspolitischen und globalpolitischen, Dynamik folgte: Zum einen wurde die Liberalisierung des internationalen Devisen- und Kapitalmärkte eingeleitet, welche die Globalisierung des Handels- und Finanzsystems beförderte. (Vgl. Eich u. Tooze 2016: 190f.) Zum anderen zeigte sich der Beginn von Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion, die ab 1989 in eine nicht mehr zu kontrollierende Kaskade des politischen Umbruchs in Osteuropa führen würde. Der US-Politikwissenschaftler Francis Fukuyama analysierte diese Entwicklung als „Ende der Geschichte“ in einem durchaus marxistischen Sinn: als Ende von Systemgegensätzen, die sich nun in der Durchsetzung eines auf Demokratie und Marktwirtschaft fundierten Gesellschaftssystems zeigte. (Fukuyama 1989, 1992) What About the Vulnerable World? Die Gegenmacht Anfang der 2000er Jahre befand sich nicht nur die Globalisierungseuphorie, sondern auch die Kritik daran auf dem Höhepunkt, die Weltwirtschaftsmacht generierte ihre eigene Gegenmacht. So verstand sich das ab 2001 im brasilianischen Porto Alegre durchgeführte World Social Forum (WSF) explizit als Reaktion auf das und als Alternative zum WEF. (vgl. Zitate des WSF-Aktivisten Whitaker in: De Sousa Santos 2006: 46; Moghadam 2012: 416) In Davos selber trat eine Gegenmacht an, um mit einem „Public Eye on Davos“ eine kritische Gegenöffentlichkeit zu schaffen. (vgl. Public Eye 2018) In Porto Alegre, im WSF oder im „anderen Davos“ war man sich einig: Die wirtschaftliche Globali-
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Anfang der 2000er Jahre befand sich nicht nur die Globalisierungseuphorie, sondern auch die Kritik daran auf dem Höhepunkt.
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sierung muss allen nützen und von den Menschen im globalen Süden mitgestaltet werden. Improving the State of the Vulnerable World. So ließe sich das Credo der Gegenmacht fassen, mit welchem sie Druck auf die Staaten des Nordens machte und gegen die Arroganz der Wirtschaftsmacht vorging. Darin traf sich die Bewegung mit sozialliberalen Ökonomen wie dem ehemaligen Clinton-Berater und Weltbank-Mitarbeiter Joseph Stiglitz, denen ebenfalls an einer gleichmäßigeren Entwicklung lag. (Stiglitz 2002) Zwar nimmt die weltweite Armut ab – ein beliebtes Pro-Globalisierungsargument. Aber die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen ist vielerorts gestiegen und bereitet selbst OECD, Weltbank und Internationalem Währungsfonds Sorge. Auch mit der antihegemonialen Kritik hat das agile WEF längst einen Umgang gefunden: Das „Open Forum“ empfängt die Zivilgesellschaft, es existiert eine Umwelt-, Sozial- und Gender-Agenda und seit 2017 werden für den globalen Wettbewerbsfähigkeitsreport (WEF 2018) gar Kriterien aus dem Human Development Index, von Ökono3 So Klaus Schwab im SRF-Interview vom 16. Januar 2018.
men aus dem globalen Süden entwickelt, integriert.3 Heutige WEF-Reporte können einfach mit Berichten diverser UN-Organisationen verwechselt werden, wenn von „Inclusive Growth“ und „The Future of Jobs and Skills in Africa“
4 So in den WEF-Berichten zwischen 2016 und 2017.
über „Value in Healthcare“ bis zu „The Future of Humanitarian Response“ die Rede ist.4 Seit langem ist das WEF zudem nicht nur eine Art Dating-Agentur zwischen Staaten und Unternehmen, sondern sieht sich auch als weltpolitische Mediationsplattform. Weltzustand Davos erinnert etwa an das Treffen zwischen Palästinas Yassir Arafat und Israels Yitzhak Rabin am WEF 2001. Proteste und WEF-Agenda zeigen: Die Annahme, es stünden sich in „postdemokratischen“ Zeiten ohnmächtige Staaten und eine mächtige Privatwirtschaft gegenüber, ist zu einfach. De- und Renationalisierung des Globalen Das WEF gilt als Beleg dafür, dass sich eine transnationale kapitalistische Klasse herausgebildet habe. (vgl. Carroll u. Carson 2003: 29–57; Robinson u. Harris 2000: 11–54) Diese „Klasse“ hat nun den letzten circa dreißig Jahren an einer „Denationalisierung“ (Huntington 2004) der Weltwirtschaft und der Außenwirtschaftspolitik gearbeitet. Sie
5 Die Clinton-Administration deregulierte im Dezember 2000 den Handel mit Aktienfutures mit dem Commodity Futures Modernization Act (CFMA).
konnte das eigentlich nur gemeinsam mit den Staaten tun, mittels Privatisierung, Liberalisierung, Deregulierung 5 und vor allem durch das Mantra des Freihandels: Improving the State of Global Business. Seit der Finanz- und Schuldenkrise von 2007 bis 2012 erleben wir allerdings eine Renationalisierung des Globalen mit verschiedenen Ausdrucksformen. Einerseits möchten Staaten die Schadenspotenziale mindern, indem sie die Finanz- und Wirtschaftsmacht zu bändigen versuchen und Regulatorien für die Bereiche Börse, natürliche Rohstoffe, Arbeitskräfte,
6 Das schweizerische Bankgeheimnis, an dem sich die Linke jahrzehntelang die Zähne ausbiss, erledigten die US-Behör-
Umwelt oder Steuern aufstellen.6 Anderseits setzen Staaten, wie zum Beispiel Russland oder China, auf die Nähe von Staat und Wirtschaft. In Weltzustand Davos heißt es dazu: „Letztes Jahr war Xi Jinping der WEF-Hauptredner.
den 2008/09 in wenigen Monaten. Sie zwangen die UBS mit dem Vorwurf, sie habe US-Kunden bei der Steuerhinterzie-
Der chinesische Präsident verkörpert in Personalunion den Staat und die Wirtschaft.“ Am WEF 2018 war die Reihe am
hung geholfen, in die Knie. Oder die Abkommen zum Auto-
indischen Premierminister Narendra Modi. Modi ist kein kommunistischer Staatskapitalist wie Xi Jinping und kein
matischen Informationsaustausch in Steuersachen sowie die Kampagnen zur Bekämpfung von Kapital- und Steuerflucht und von Gewinnverschiebung der OECD, der EU und der G7.
Oligarchendompteur wie Putin, sondern Vertreter der hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP), einer asiatischen Variante der europäischen Identitären. Dass Modi am WEF ausgerechnet Mahatma Gandhi zitierte,
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wurde erleichtert als Ausdruck von Weltoffenheit gedeutet. Es lohnt sich aber, das Zitat bis zu Ende zu lesen: „Ich will nicht, dass die Mauer und Fenster meines Hauses geschlossen sind. Ich will, dass die Winde der Kulturen aller Länder mein Haus durchwehen. Ich werde jedoch nicht akzeptieren, dass diese Winde meine Füße ihrer Wurzeln entreißen.“ (Vgl. Noorani 2013; Frankfurter Allgemeine Zeitung 2018)7 Hier markiert doch einer lächelnd Widerstand
7 Hervorhebung durch G. J. A.
gegen die nationale Entwurzelung durch globale Wirtschaftsmacht. Diese Renationalisierung der Wirtschaftsmacht ist fürs WEF eine echte Herausforderung. Denn hier prallen machtvolle nationalstaatliche und globalwirtschaftliche Hegemonieansprüche aufeinander. Noch verkündet China das Hohelied vom Freihandel und auch Indien stellt sich nicht dagegen. Solche Staaten diktieren aber in Zukunft die Bedingungen des Welthandels. Dass dies stets im Interesse der Bevölkerungen des globalen Südens geschehen wird, ist nicht garantiert, auch wenn man es aus postkolonialer Perspektive durchaus mal interessiert zur Kenntnis nehmen kann. Wer längerfristig den Gastgeber spielt und die anderen wo einlädt, ist auf spannende Weise ungewiss. Das Sommer-WEF im chinesischen Dalian gibt da einen interessanten Fingerzeig. Viele haben gestaunt, dass der America-first-Imperator in die Davos-Arena einlaufen wollte, statt diesen Tempel der Globalisierung wie der Teufel das Weihwasser zu meiden. Doch die aktuelle US-Administration ist trotz protektionistischer Maßnahmen nicht einfach „gegen“ die Globalisierung. Sie will sie aber zu ihren Bedingungen. Improving the State of the Power State, lautet hier das Motto, verbunden mit der Zuwendung zu einer multipolaren statt einer multilateralen Welt. Es findet also kein Abbruch der und Abschied von der Demokratie statt. Vielmehr haben wir es mit einer hallenden Demokratie zu tun, zuweilen auch in einer kakafonischen Kadenz. Nachwirkende Neodemokratie Die Zukunft der Globalisierung lässt sich nicht einfach, wie dies manche Ökonomen tun, auf das Spannungsdreieck multipolare Player, echte (da wirtschaftsliberale) Globalisierung und Antiglobalisierungsbewegung eindampfen. (O’Sullivan u. Subramanian 2017) Auch beim Propagieren ausgreifender Welterklärungskonzepte ist Vorsicht angebracht. Leben wir tatsächlich in Zeiten der Postdemokratie? In einer Zeit, die sich durch eine Ausweitung der nicht demokratisch kontrollierten Konzernmacht und ein Zurückdrängen des Politischen auszeichnet? Und: Argumentiert die schweizerische Juso-Präsidentin strukturell genauso wie der amerikanische Präsident, wenn beide das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) kritisieren? In einer dem WEF gewidmeten Politdiskussion des öffentlich-rechtlichen Schweizer Fernsehens verneinte Jungsozialistin Tamara Funiciello diese Vorstellung heftig. Sie und Trump stünden sich 180 Grad entgegen, worauf der Moderator einwarf, wohl eher 360 Grad. (SRF 2018) Solche Dichotomien und Einteilungen mögen attraktiv erscheinen. Die Welt funktioniert aber komplizierter. Mir scheint, wir haben es vielmehr mit einer nachwirkenden Neodemokratie zu tun als mit einem Zustand nach der Demokratie. Mit Dynamiken, in denen die Demokratie nicht aufgehoben ist, sondern explizit zum Einsatz gelangt und kontroverse Outcomes produziert: die Wahl von Trump, Putin, Orban in Ungarn, Modi in Indien oder Duterte in den Philippinen, Brexit, die Infragestellung der EU-Personenfreizügigkeit. Der Tweet, mit dem Donald Trump das Management des Autokonzerns Ford davon abhielt,
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Die Zukunft der Globalisierung lässt sich nicht einfach auf das Spannungsdreieck multipolare Player, echte (da wirtschaftsliberale) Globalisierung und Antiglobalisierungsbewegung eindampfen.
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seine Produktion nach Mexiko auszulagern, seine Strafzölle auf dem Import von Solarpanels und Waschmaschinen – das ist letztlich nichts anderes als die Einlösung des Wahlversprechens America first. Und Trump rüttelt damit an der Verfügungsgewalt der Konzerne, zumindest dann, wenn sie nationale Interessen bedrohen. Die Aufgabe der Bewegungen, die für eine inklusive und global gerechtigkeitsorientierte Demokratie stehen, hat sich damit keineswegs erschöpft. Nicht nur die Wirtschafts-, sondern auch die hegemoniale Staatsmacht hat ein Korrektiv verdient. Allerdings darf sich die antihegemoniale Bewegung auch nicht überschätzen. Denn als Gegenmacht ist sie ein Produkt der Mächte, gegen die sie anrennt – und verhält sich auch meist so. Das zeigten Botschaften wie 8 Unter diesem Titel initiierte die Schweizer NGO Campax eine Petition. (www.campax.org/de/petition/trump-not-welcome)
„Trump not welcome“8 bis zu „Kill Trump with his own weapon“ (vgl. Persio 2018), mit denen man sich mit einer trotzig-martialischen Negierung der hegemonialen Staatsmacht begnügt. Staatliche Wirtschaftstreffen wie der G8-Gipfel in Genua 2001 wurden zu Magneten des Globalisierungsprotestes. Besser in Erinnerung ist wohl das sprichwörtliche Protest-Aufflammen am G20-Gipfel in Hamburg 2017. Diese antihegemonialen Kräfte waren am WEF 2018 als Demonstrierende nicht erwünscht. Public Eye verzichtet seit 2015 auf eigene Gegenveranstaltungen vor Ort. Damit bleibt das WEF-eigene „Open Forum“ als kanonischer Ort für den Dialog auch zu kritischen Fragen. Aus wirtschaftssoziologischer Sicht könnte man dem WEF attestieren, dass es als allumfassendes Forum geschafft hat, gleichermaßen liberale, nationalistische und antihegemoniale Kräfte der Globalisierung zu brechen und zu bündeln. 2018 war in Davos die Verbandelung von wirtschaftsliberalen und politisch-
9 Dafür stand etwa der französische Präsident Emmanuel Macron, der sich von den französischen Sozialisten löste und
(links)liberalen Kräften deutlich erkennbar.9 Mit der Präsenz von siebzig Staatschefs und 340 Ministern und „political leaders“ erreichte das Forum 2018 zudem einen vorläufigen politischen Höhepunkt.10 Das Zusammentreffen der un-
eine eigene sozial- und wirtschaftsliberale Bewegung gründete. Und die Verteidigung von TTIP übernahm in Davos der
terschiedlich gepolten Staatsmächte erhöht die Vielfalt der wirtschaftspolitischen Perspektiven an diesem einstigen
linksliberale kanadische Premier und Hoffnungsträger Justin
Managersymposium, aus dem effektiv ein globales Forum geworden ist. Trotz national-konservativer Misstöne und
Trudeau.
10 2016 waren es „erst“ vierzig „heads of states“ (Saez 2018).
antihegemonialer Zwischentöne ist die Funktion des WEF als Institution für die liberale Wirtschaftsmacht seit Beginn intakt. Damit bleibt das Weltwirtschaftsforum die Hydra der Globalisierung.
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ANHANG Autoren und Fotografen
letzt erschienen u. a. Nach der Revolution. Ein Bre-
und Gregor Schneider, wo er Meisterschüler in der
vier digitaler Kulturen (2017, mit Jörg Metelmann
Fachrichtung Video und Experimenteller Film
und Claus Pias); Performing the Digital: Perfor-
wurde. 2008 studierte er Bildende Kunst an der
mance Studies and Performances in Digital Cultu-
Iceland Academy of the Arts Reykjavik. Er beteiligt
res (2017, mit Martina Leeker und Imanuel
sich an zahlreichen internationalen Projekten für
Schipper); „Colour and Organization Studies“ (Or-
Theaterarbeiten, die Video- und Rauminstallatio-
ganization Studies 38, 2017).
nen beinhalten. Er arbeitete unter anderem zusammen mit Elmgreen & Dragset, Rimini Proto-
Lukas Bärfuss lebt als Schriftsteller in Zürich und
Mathias Fuchs ist Künstler und Medienwissen-
koll und Lola Arias. 2013 erhielt er das Elsa-Neu-
Paris. Er schreibt Romane (Hundert Tage, 2008,
schaftler. Er studierte Computerwissenschaften in
mann-Stipendium des Landes Berlin. Seine eige-
Koala, 2014, und Hagard, 2017) und Theaterstücke
Erlangen und Wien, sowie elektroakustische
nen Arbeiten wurden unter anderem im Kiasma
(unter anderem Die sexuellen Neurosen unserer
Musik in Wien und Stockholm. 2010 promovierte
Museum of Contemporary Art Helsinki, Dumbo
Eltern, 2003, und Alices Reise in die Schweiz,
er mit einer Arbeit zu „Sinn und Sound“ an der
Arts Center New York, Future Gallery Berlin und
2005), die weltweit gespielt werden. Von 2009 bis
Humboldt-Universität zu Berlin. Nach der Auf-
Goethe-Institut New York gezeigt. Sein Dokumen-
2013 war er außerdem als Dramaturg und Autor
tragsproduktion für die Spieleausstellung „Syn-
tarfilm The Great Fortune erhielt 2016 den Haupt-
am Schauspielhaus Zürich tätig. Hier entstanden
real: The Unreal Modification“ begann Fuchs, sich
preis beim Belgrade International Documentary
seine Stücke Malaga (2010) Zwanzigtausend Sei-
immer stärker mit dem Thema Game Art zu be-
Film Festival und wurde auf zahlreichen Festivals
ten (2012) und Frau Schmitz (2016). 2015 erschien
schäftigen. Er hat Pionierarbeit auf dem Gebiet
gezeigt.
der Essayband Stil und Moral; 2018 folgt Krieg
der künstlerischen Nutzung von Spielen geleistet
und Liebe. Seine Werke wurden vielfach, darunter
und ist ein führender Theoretiker zu Game Art und
Dominic Huber arbeitet als Bühnenbildner und
mit dem Berliner Literaturpreis 2013 und dem
Games Studies. Er leitete und entwickelte an der
Regisseur an der Ausweitung von Realitätserfah-
Schweizer Buchpreis 2014, ausgezeichnet. Lukas
Universität Salford drei Masters-Studiengänge.
rungen in theatralen Zusammenhängen. Nach sei-
Bärfuss ist seit 2015 Mitglied der Deutschen Aka-
Seit 2012 leitet er im Innovations-Inkubator an der
nem Architekturstudium an der Eidgenössischen
demie für Sprache und Dichtung.
Leuphana Universität Lüneburg das Forschungs-
Technischen Hochschule Zürich entstanden neben
projekt „Art & Civic Media“ und gründete dort das
Ausstellungsprojekten zahlreiche Bühnenräume
Timon Beyes ist Professor für Soziologie der Or-
Gamification Lab im Centre for Digital Cultures.
in Zürich, Basel, Berlin, Aachen, Frankfurt, Mün-
ganisation und der Kultur an der Leuphana Uni-
Seit 2016 ist er Professor am Institut für Kultur und
chen, Bochum, Hamburg, Bremen, Brüssel und
versität Lüneburg und am Department of Manage-
Ästhetik Digitaler Medien an der Leuphana Uni-
Lausanne. Eine regelmäßige Zusammenarbeit be-
ment, Politics and Philosophy der Copenhagen
versität Lüneburg.
steht mit Lola Arias, Sebastian Nübling und Toshiki
Business School sowie Direktor des Lüneburger
Okada. Eigene Theaterinstallationen waren unter
Centre for Digital Cultures. Er arbeitet zu Prozes-
Mikko Gaestel lebt und arbeitet als Installations-
anderem Hotel Savoy in New York und am Hebbel
sen, Räumen und Ästhetiken der Organisation in
und Videokünstler in Berlin. Er studierte von 2004
am Ufer Berlin, Forever Yours sowie House, eine
den Feldern der Medien- und Stadtkultur, der Ge-
bis 2011 Kunst und Medien an der Universität der
Arbeit, die in Buenos Aires und Jerusalem zu
genwartskunst und der universitären Lehre. Zu-
Künste Berlin bei Heinz Emigholz, Maria Vedder
sehen war. Seit 2008 arbeitet Dominic Huber mit
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Stefan Kaegi und Rimini Protokoll an Projekten
deren künstlerische Praxen sich als quasi-soziolo-
beit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wis-
wie Heuschrecken, Situation Rooms und Weltkli-
gisches Vorgehen beschreiben lassen. Derzeit
senschaften setzt sie seit Jahren inhaltliche
makonferenz sowie zuletzt Nachlass. Er unterrich-
forscht sie als Doktorandin am Graduiertenkolleg
Schwerpunkte bei stadtsoziologischen Fragestel-
tet an der Zürcher Hochschule der Künste und war
„Kulturen der Kritik“ der Leuphana Universität
lungen, bei transskalaren Prozessen gesellschaftli-
2015 Mitglied der Internationalen Jury bei der Pra-
Lüneburg zu Organisations- und Arbeitsweisen
chen Wandels als Folge der Urbanisierung sowie
gue Quadriennale für Szenografie und Perfor-
freier Theatergruppen.
lebensweltlichen Perspektiven der Sozialraum-
mance Design.
analyse. Dieter Läpple ist Professor emeritus für Interna-
Ganga Jey Aratnam forscht am Seminar für So-
tionale Stadtforschung an der HafenCity Universi-
Wilma Renfordt studierte Theaterwissenschaft,
ziologie der Universität Basel. Seine Schwer-
tät Hamburg. Viele Jahre leitete er das Institut für
Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft an der
punkte reichen von Arbeits- über Reichtums- bis
Stadtökonomie an der Technischen Universität
Freien Universität Berlin; Abschluss mit einer Ar-
zu Musiksoziologie. Ursprünglich absolvierte er
Hamburg und lehrte und forschte als Dozent und
beit über Theater im öffentlichen Raum der Stadt.
ein Medizinstudium mit Spezialisierung in Com-
Gastprofessor unter anderem in Berlin, Amster-
Von 2008 bis 2013 war sie Dramaturgin der Thea-
munity Medicine und führte internationale For-
dam, Paris, Aix-en-Provence/Marseille und Leiden.
tergruppe copy & waste sowie von 2009 bis 2013
schungseinsätze durch. In der Schweiz schloss er
Er war Fellow der Brookings Institution in Wa-
künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin im
ein weiteres Studium in Soziologie, Philosophie
shington und Research Fellow am Institut d’Études
Projektbüro Friedrich von Borries in Berlin. Wei-
und Volkswirtschaft ab. 2010 war er Mitverfasser
Avancées de Paris. Er ist er Advisor des Urban-
tere Zusammenarbeiten unter anderem mit Daniel
einer Studie zu Reichtum (Wie Reiche denken und
Age-Progamms der London School of Economics
Hellmann (seit 2014), Kiriakos Hadjiioannou (2016)
lenken); 2012 publizierte er zu Hochqualifizierten
und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des
und der Theorie- und Praxisgemeinschaft Dr. Fa-
mit Migrationshintergrund auf dem schweizeri-
Singapore-ETH Centre „Future Cities Laboratory“
himi am Kottbusser Tor in Berlin (von 2009 bis
schen Arbeitsmarkt. Aktuell forscht er zu Musik im
in Singapur. 2007 erhielt er den Baukulturpreis des
2013). Sie verfasste unter anderem einen Begleit-
glokalen Kontext Basel, ebenso zu Verflechtungen
Bunds Deutscher Architekten Hamburg.
band zur Ausstellung Wohnungsfrage am HKW in
vom Rohstoffhandelsplatz in Zug und Sambia
Berlin (2015) und einen Band zu künstlerischer For-
(vgl. „Glencore oder die Rhizome der Macht“, in:
Gabriela Muri ist Architektin und Kulturwissen-
schung (Klimakunstforschung, 2011). 2016/17 war
macht.ch – Geld und Macht in der Schweiz, 2015).
schaftlerin. Sie befasst sich seit zwanzig Jahren in
sie Dramaturgin beim steirischen Herbst in Graz.
Forschung und Lehre mit raum- und zeittheoreti-
Sie ist seit 2015 Dramaturgin für das Impulse
Anna Königshofer studierte Kunstvermittlung
schen sowie alltagskulturellen Fragestellungen. In
Theater Festival.
und Performative Kunst bei Carola Dertnig an der
ihren interdisziplinär angelegten Forschungspro-
Akademie der bildenden Künste in Wien. Nach di-
jekten und Lehrveranstaltungen am Institut für So-
Imanuel Schipper arbeitete als Dramaturg unter
versen Hospitanzen und Assistenzen, unter ande-
zialanthropologie und Empirische Kulturwissen-
anderem am Schauspielhaus Hamburg und am
rem bei Milo Rau und dem International Institute
schaft der Universität Zürich, an der Dozentur
Schauspielhaus Zürich mit Künstlern wie William
of Politcal Murder, setzt sie sich zunehmend mit
Soziologie, Eidgenössische Technische Hochschule
Forsythe, Jérôme Bel und Luk Perceval. Zahlreiche
dokumentarischen Formen des Gegenwartsthea-
Zürich sowie am Institut für Vielfalt und gesell-
Kollaborationen mit Rimini Protokoll seit 2002,
ters und deren Herstellungsweisen auseinander,
schaftliche Teilhabe am Departement Soziale Ar-
beispielsweise bei Deadline, Wallenstein, Das Ka-
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pital und Weltklimakonferenz. Langjähriger Do-
sonalmanagements. Seit vier Jahren arbeitet
Hannah Trittin mit der sozialen Verantwortung von
zent und Wissenschaftler an der Zürcher Hoch-
Benno Tobler als freiberuflicher Fotograf in Ham-
Unternehmen. Sie ist zudem Expertin für CSR-
schule der Künste. Seine Forschungstätigkeit um-
burg. Dort wohnt er mit seiner Familie und ist als
oder Stakeholder-Kommunikation.
fassen neue Konzepte der Dramaturgie, die
Hausmann und ehrenamtlicher Koordinator für
Performativität digitaler Kulturen und Funktionen
Flüchtlingskinder einer Folgeunterkunft tätig.
Ioanna Valsamidou ist Theater- und Sozialwis-
der Künste für die urbane und globale Gesell-
Seine fotografischen Vorlieben sind Portraits von
senschaftlerin. Zusammenarbeit mit Rimini Proto-
schaft. Seit 2017 hat er die Vertretungsprofessur
Menschen, Bühnenproduktionen und Panorama-
koll, unter anderem an Evros Walk Water I & II
für Performance Studies und Dramaturgie an der
aufnahmen aller Art.
(Dramaturgie)), Odos Lithis und Brain Projects (Re-
Medical School Hamburg am Departement Arts &
cherche). Weitere Mitarbeit bei Prodromos Tsiniko-
Change inne und leitet den Studiengang Art &
Karolin Trachte ist seit 2013 Dramaturgin am
ris, Anestis Azas und Lola Arias für die Onassis
Critical Thinking (in Akkreditierung). Zuletzt erschie-
Schauspielhaus Zürich, wo sie unter anderen mit
Stiftung. Ionna Valsamidou ist Mitbegründerin und
nen: Performing the Digital: Performance Studies
Viktor Bodó, Alexander Giesche, Bastian Kraft, Se-
künstlerische Leiterin des Langzeit-Workshops
and Performances in Digital Cultures (2017, ge-
bastian Kreyer, Kornél Mundruczó, René Pollesch,
Mind The Fact, das Projekte, die auf wahren
meinsam mit Martina Leeker und Timon Beyes).
Rimini Protokoll, Christopher Rüping und Alize
Geschichten basieren, realisiert und auf dem
Zandwijk arbeitete. Sie studierte Kultur- und Kom-
gleichnamigen Festival zeigt. Sie ist Co-Regisseu-
Martin Schwemin arbeitet in Berlin, Riga und in
munikationswissenschaften und Dramaturgie unter
rin von Ich/Der Spieler (2016) und Roulettenburg
seinem Atelier bei Bernau an Objekten, auf Büh-
anderem bei Hans-Thies Lehmann, Dirk Baecker und
(2017).
nen, für Projekte und in Kollektiven. Als Lichtde-
André Eiermann. Nach dem Studium war sie Refe-
signer hat er unter anderem für Karl Kutter/Fusion,
rentin im Bereich Öffentlichkeitsarbeit am Schau-
Julia Weinreich studierte nach ihrer Ausbildung
Berghain/Panorama Bar, Schaubühne am Lehni-
spiel Frankfurt, assistierte am Thalia Theater Ham-
zur Diplom-Maskenbildnerin Kunstgeschichte und
ner Platz, Sophiensaele und MS Stubnitz gearbei-
burg und Teatre Romea, Barcelona, sowie bei den
Theaterwissenschaft an der Freien Universität Ber-
tet. Außerdem tourt er seit 2014 mit Rimini Proto-
Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin.
lin und am Trinity College Dublin. Ihren Master in
koll in mehreren Produktionen, etwa mit Situation
Dramaturgie legte sie 2011 an der Goethe-Univer-
Rooms und Evros Walk Water. Seine Installation
Hannah Trittin ist seit März 2018 Juniorprofesso-
sität Frankfurt am Main bei Hans-Thies Lehmann
Diskom t, 44 motorbetriebene Spiegelprismen in
rin für BWL, insbesondere Unternehmensethik, an
ab. Seit 2010 ist sie Dramaturgin am Staatsschau-
Sphäre (2017), ist zu zahlreichen Musik-Festivals
der Leuphana Universität Lüneburg. Zuvor war sie
spiel Dresden und hat hier unter anderem mit Bar-
eingeladen.
Postdoktorandin an der Universität Zürich, wo sie
bara Bürk, Jan Gehler, Friederike Heller, Tilmann
von 2011 bis 2016 promovierte. Von 2009 bis 2011
Köhler, Wolfgang Engel und René Pollesch gear-
Benno Tobler lebte fünfzig Jahre lang in der
war sie als Projektmanagerin an der Universität
beitet. Seit 2017 leitet Julia Weinreich gemeinsam
Schweiz. Nach seiner Ausbildung zum Gartenbau-
Erlangen-Nürnberg tätig und arbeitete für eine
mit dem Schauspieler Philipp Lux die praxisbezo-
Ingenieur war er zwanzig Jahre als Projektleiter
Kommunikationsagentur in München. Von 2004
gene Ausbildung der Schauspielstudierenden der
bei der Stadt Zürich tätig. Er arbeitete als Straßen-
bis 2009 studierte sie an der Universität Erlangen-
Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendels-
baumspezialist, im Immobilen-Management und
Nürnberg Politikwissenschaft und Wirtschaftswis-
sohn Bartholdy“ Leipzig am Staatsschauspiel
als Spezialist in allen Facetten des modernen Per-
senschaften. In ihrer Forschung beschäftigt sich
Dresden.
200 | Staat 1–4
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ferenz als Simulation eines UN-Gipfels für jeweils 650 Zuschauer, aufgeteilt in 196 Länderdelegationen. Von ihren Stücken wurde Shooting Bourbaki 2003 mit dem NRW-Impulse-Preis ausgezeichnet, Deadline (2004), Wallenstein – eine dokumentarische Inszenierung (2006) und Situation Rooms (2014) wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen, Schwarzenbergplatz (2005) für den Österreichischen Theaterpreis Nestroy nominiert. Mnemopark wurde mit dem Jurypreis beim Berliner Festival Politik im freien Theater 2005 ausgezeichnet und Karl Marx: Das Kapital, Erster Band (Haug/ Wetzel) gewann 2007 beim Festival Stücke sowohl den Publikumspreis als auch den Mülheimer Dramatikerpreis 2007. Im November 2007 erhielten Haug/Kaegi/Wetzel einen Sonderpreis des Deutschen Theaterpreises DER FAUST, im April 2008 wurde ihnen in Thessaloniki der Europäische Theaterpreis in der Kategorie Neue Realitäten verliehen. 2008 erhielten Helgard Kim Haug und Daniel Wetzel den Hörspielpreis der Kriegsblinden für Rimini Protokoll
Karl Marx: Das Kapital, Erster Band. 2011 wurde das Gesamtwerk von Rimini Protokoll mit dem Sil-
Helgard Kim Haug, Stefan Kaegi und Daniel
klären Haug/Kaegi/Wetzel eine Daimler-Haupt-
bernen Löwen der 41. Theaterbiennale Venedig
Wetzel bilden seit 2000 ein Autoren-Regie-Team.
versammlung zum Theaterstück oder inszenieren
ausgezeichnet. 2014 erhielten Helgard Kim Haug
Ihre Arbeiten im Bereich Theater, Hörspiel, Film,
unter anderem in Berlin, Zürich, London, Mel-
und Daniel Wetzel den Deutschen Hörspielpreis
Installation entstehen in Zweier- und Dreier-Kon-
bourne, Kopenhagen und San Diego mit hundert
der ARD und 2015 den Deutschen Hörbuchpreis
stellationen sowie Solo. Seit 2002 werden all ihre
statistisch repräsentativ ausgewählten Bürgern
der ARD. 2015 erhielten Stefan Kaegi und Rimini
Arbeiten unter dem Label Rimini Protokoll zu-
100% Stadt. In Berlin und Dresden entwickelten
Protokoll den Schweizer Grand Prix Theater/Hans-
sammengefasst und angekündigt. Im Mittelpunkt
sie begehbare Stasi-Hörspiele, in denen die Ob-
Reinhart-Ring.
ihrer Arbeit steht die Weiterentwicklung der Mit-
servationsprotokolle per Androidtelefon abhör-
Seit 2003 haben Rimini Protokoll in Berlin ihr
tel des Theaters, um ungewöhnliche Sichtweisen
bar wurden. Oder inszenierten für das Deutsche
Hauptquartier aufgeschlagen und ihr Produktions-
auf unsere Wirklichkeit zu ermöglichen. So er-
Schauspielhaus in Hamburg eine Weltklimakon-
büro im Hebbel am Ufer.
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Mitwirkende der Produktionen
Top Secret International (Staat 1) Konzept, Text, Regie: Helgard Kim
John Brennan, Kate Doyle, Amir F.,
von „Sensible Daten“, einem interna-
(Fotograf), Xenia Kounalaki,
Haug, Stefan Kaegi, Daniel Wetzel
Michael George, MdB Dr. André
tionalen Langzeitprojekt des Goethe-
Gundega Laivina (Riga), Vee Leong
(Rimini Protokoll)
Hahn, John Kiriakaou, Max M.,
Instituts und anderen Partnern.
(HK), Monia Mazigh (human rights
Dramaturgie: Imanuel Schipper
Thomas de Maizière, Bill Marczak,
Stimmen Deutsch: Katja Bürkle,
Avi Primor, Eric Rabe, Anne Roth,
Dank an: Bertchen/Kohrs
(Utrecht University), Hakem Naeem
Peter Brombacher, Anna Drexler,
Andor Šándor, Gerhard Schindler,
(environmental activist), Kathryn
(Alexandria), Anna Nemtsova
Wiebke Puls
James Shortt, Gwenyth Todd, Kosta
Bolkovac (UN Peacekeeping force in
(Journalistin), Jason Q Ng
Stimmen Englisch: Damian Rebgetz,
Tsetsos, Ben Wizner, Jannis X., ein
Bosnia), Magnus Braten (Journalist,
(University of Toronto’s Citizen Lab),
Mona Vojacek Koper
Anwalt, ein Überwachungsexperte
Oslo), Chicago Review Press, Citizen
Elma Noor (Journalistin, Teheran),
Recherche, Interviews, Überset-
und eine Dissidentin aus China, ein
Lab, University of Toronto, B. C. Civil
Jean Peters (Peng!Kollektiv), Ivan
zung, Textmitarbeit: Shahab
Kadermitglied der kommunistischen
Liberties Association, Gergana
Pavlov (Rechtsanwalt, Russland),
Anousha, Kefei Cao, Timothy
Partei Kubas.
Chervenkova, Marsha Coleman-
Gerganga Pirozowa (theatre critic,
Adebeyo (Board of Directors of the
Sofia), Daniel Popov (environmental
Carlson, Uwe Gössel,
activist, Ottawa), Sigrid Merx
Alexander Manuiloff
Uraufführung: 10.12.2016
National Whistleblower Center),
activist, Sofia), Mariola Przewlocka,
Interaction-Design:
Münchner Kammerspiele,
Wilhelm Dietl (Autor, Ex-BND-
Navin Rai (World Bank’s advisor on
Steffen Klaue
Spielort: Glyptothek München
Agent), Feodor Elutinev (Moskau),
indigenous issues, Nepal), Rimantas
System-Development:
US-Premiere: 5.1.2017
Hans Jörg Geiger (Ex-BND-
Ribaciauskas (Vilnius), Angela
Stefan Curow, Martin Ohmann
The Public Theater’s Under the
Präsident), Michael German
Richter (Berlin), Jörg Schindler (Der
Technische Leitung: Hans Leser,
Radar Festival, New York; Spielort:
(Ex-FBI-Mitarbeiter), John Goetz
Spiegel), Laila Soliman, Diaa Hamed
Sven Nichterlein
Brooklyn Museum
(Dokumentarfilmer), Amitesh Grover
(Kairo), Morton Storm (Ex-CIA-
(New Delhi), Simon H. (Software-
Agent), Emmanuel Thaunay (Paris),
Ausstattung: Dido Govic, Lena Mody, Katharina Schütz
Eine Produktion von Rimini Protokoll
entwickler, Hacker, Whistleblower),
Ioanna Valsamidou (Athen), Ver-
Ton: Martin Sraier-Krügermann
und den Münchner Kammerspielen,
Ben Hayes (statewatch, London),
teidigungsministerium Vilnius,
Produktionsleitung: Jessica Páez
in Koproduktion mit dem Haus der
Jochen Hollmann (Leiter Ver-
Tim Weiner, Markus Wessendorf
Kulturen der Welt, dem Goethe-Insti-
fassungsschutz Sachsen-Anhalt),
(Hawaii), Assen Yordanov (Journalist,
Mit den Stimmen von:
tut und mit Unterstützung des Mel-
Homegrown Company (London),
Sofia), Ksenia Yurkova, Christina
Jacob Appelbaum, Kai Biermann,
bourne Festival. Staat 1 wurde vom
Diana Ivanovna (Sofia), Kostis
Zintl (Stückemarkt Berlin).
William Binney, Jonathan Bloch,
Goethe-Institut mitinitiiert als Teil
Kallivretakis, Martin Lukas Kim
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Gesellschaftsmodell Großbaustelle (Staat 2)
Konzept, Regie, Text: Stefan Kaegi
ges Bauen, Karlsruhe Institute of
bilien Projekt Management Düssel-
Bundesministerium für Verkehr und
(Rimini Protokoll)
Technology KIT), Ilias Abawi (Pres-
dorf), Otto Huber (Polier, Zechbau),
digitale Infrastruktur), Martin Reuter
Mit: Sonja-Verena Breidenbach,
sesprecher, Emschergenossen-
Jean-Pierre Kaegi (Bauingenieur von
(Architekt, Ingenhoven Architects
Dieter Läpple, Fang-Yun Lo, Alfredo
schaft), Thomas Aders (Projektleiter,
Tunnelprojekten in Saudi-Arabien,
GmbH), Denisa Richters (Journalis-
di Mauro, Jürgen Mintgens, Marius
Emschergenossenschaft), Dirk
China, Georgien und Malaysia),
tin, Rheinische Post), Dirk Schaper
Ciprian Popescu, Andreas Riegel,
Baackmann (Abteilungsleiter, Stadt-
Claudia Kalender (Leiterin Objekt-
(Geschäftsführer, Hochtief Vicon),
Reiner Pospischil
planungsamt Düsseldorf), Irene
marketing, Deka Immobilien), Heiko
Andrá Schewcow (Sprengmeister,
Szenografie: Dominic Huber
Baumbusch (Architektin, Stadt Wup-
Kirchhain (wissenschaftlicher Mitar-
Deutsche Spreng), Hans Schmitz
Video: Mikko Gaestel
pertal), Gregor Bonin (Beigeordneter
beiter, EBS Real Estate Management
(Polier, Zechbau), Ulrich Schreiber
Musik: Fabian Schulz
für Planen, Bauen, Mobilität, Um-
Institute), Rolf Knie (Architekt, Ger-
(Geologe, Universität Duisburg-
Licht: Konstantin Sonneson
welt, Stadt Mönchengladbach), Gil
ber Architekten), Jochen Köhn (Ar-
Essen), Reinhard Steffen (Gewerk-
Dramaturgie: Robert Koall
Bronner (Immobilienentwickler und
chitekt, Gmp Architekten von Ger-
schaftssekretär, IG BAU), Bernd
Third Eye, Dramaturgie Staat 1–4:
Kunstsammler, Sammlung Philara),
kan, Marg und Partner), Michael
Timmers (Bauingenieur, ehemals
Imanuel Schipper
Christian Bruns (Immobilienmakler,
Krass (Projektentwickler, Pandion),
Züblin), Ferdinand Tönnis (Techni-
Recherche: Wilma Renfordt
Düsseldorf), Wolfgang Eckart (Bera-
Heinrich Labbert (Geschäftsführer,
scher Leiter, Zechbau), Yasemin Utku
ter), Stefan Engstfeld (MdL, Bündnis
IPM Immobilien Projekt Manage-
(Stadtplanerin, Technische Universi-
Uraufführung: 12.5.2017
90/Die Grünen), Eckhard Gerber (Ar-
ment Düsseldorf), Andreas P. Lienig
tät Dortmund), Günter Vornholz (Im-
Düsseldorfer Schauspielhaus,
chitekt, Gerber Architekten), Klaus
(Journalist, Deal Magazin), Carsten
mobilienökonom, EBZ Business
Central, Große Bühne
Grewe (Berater, Klaus Grewe Pro-
Machentanz (Projektleiter, Emscher-
School/Deutsche Hypo), Harald Wel-
gramme Management), Dirk E. Haas
genossenschaft), Guido Maes (Bera-
zer (Soziologe, Europa-Universität
Eine Produktion von Rimini Protokoll
(Stadtplaner, REFLEX architects_ur-
ter, Maes Consulting), Andreas
Flensburg), Ludger Wennemann (En-
und dem Düsseldorfer Schauspiel-
banists), Catalina Guia (Beraterin,
Mauska (Vertriebsleiter, Grafental),
tomologe, Pflanzenschützer, Garten-
haus.
Arbeit und Leben DGB/VHS NW),
Stefan Mühling (Geschäftsführer, die
bauingenieur).
Lena Hocke (Stadtplanerin, Astoc
developer), Alexander Paech (Ver-
Dank an: Catalina Guia (Arbeit und
Architects and Planners), Christian
gabe- und Submissionsstelle, Stadt
Leben DGB/VHS NW e. V.), Reinhard
Hoffmann (Architekt, Gmp Architek-
Düsseldorf), Michael Rathgeb (Archi-
Steffen (IG BAU Rheinland), Prof.
ten von Gerkan, Marg und Partner),
tekt, Ingenhoven Architects GmbH),
Dirk E. Hebel (Fachgebiet Nachhalti-
Jörg Hogrefe (Prokurist, IPM Immo-
Iris Reimold (Regierungsdirektorin,
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Träumende Kollektive.
Weltzustand Davos
Schlafende Schafe (Staat 3)
(Staat 4)
Konzept, Text, Regie: Daniel Wetzel
und 13, Athena Research & Innova-
sche Bildung), Hagen Schönrich (In-
Konzept, Text, Regie: Helgard Kim
(Rimini Protokoll)
tion, Giorgos Apostolakos, Philipp
stitut für Geschichte, TU Dresden),
Haug, Stefan Kaegi (Rimini Protokoll)
Mit: Kostis Kallivretakis, Vassilis
Borgers, Bernhard Bannasch (Stell-
Gabriel Sakellaridis, Spyros Sakella-
Mit: Ganga Jey Aratnam, Otto
Koukalani
vertretender Sächsischer Daten-
ridis (Intrakom), Maria Saridaki, Ro-
Brändli, Hans Peter Michel, Cécile
Bühnenbild: Magda Plevraki
schutzbeauftragter), David Bovill
land Schwarz (Technische Sammlun-
Molinier, Sofia Sharkova
Co-Autorin: Ioanna Valsamidou
(fortyfoxes), Aris Chatzistefanou (In-
gen Dresden), Maria Seiragaki,
Bühne: Dominic Huber
Software-System-Design und
fowar), Chaos Computer Club Dres-
Katerina Sergidou, Liene Šilde, Ste-
Musik: Tomek Kolczynski
-Implementierung: Dimitris Trakas
den, Martin Christian, Nico Geyso,
phanie Hankey und Marek Tuszynski
Video: Mikko Gaestel
(ViRA)
Fredy Gizas, Benny Hapke, Sandra
(Tactical Technology Collective),
Dramaturgie: Imanuel Schipper,
Musik, Sound-Design: Lambros
Horn (Geschäftsführerin IBH IT Dres-
Panos Tsagarakis, Charalambos Tse-
Karolin Trachte
Pigounis, Peter Breitenbach
den), Herr Beck und Herr Mitschke
keris (Academy of Athens), Prodro-
Licht und technische Leitung:
(Angestellte IBH IT Dresden), René
mos Tsinikoris, Dimitris Tsironis, An-
Uraufführung: 12.1.2018
Martin Schwemin
Jahn, Eileen Jerrett, Giorgos Karam-
gela Varela, Ulrich Wolf (Sächsische
Schauspielhaus Zürich,
Regieassistenz und Recherche:
belias (Enallaktikes Ekdoseis), Mary
Zeitung).
Schiffbau, Box.
Andreas Andreou
Karatza (Politeia 2.0), Athena Karat-
Dramaturgie: Julia Weinreich
zogianni, Manos Karatzogiannis,
Eine Produktion von Rimini Protokoll
Third Eye, Dramaturgie Staat 1–4:
Nikos Katsiaounis (Ekdoseis Exar-
und dem Schauspielhaus Zürich.
Imanuel Schipper
chia), Zoe Konstantopoulou, Dr.-Ing. Stefan Köpsell, Stefanos Loukopou-
Dank an: Cezmi A. Akdis (Direktor
Uraufführung: 23.9.2017
los (Vouliwatch.gr), Gretta Miller,
Swiss Institute of Allergy and Asthma
Staatsschauspiel Dresden,
Allan Mills, Sven Nichterlein, Katrín
Research), Simon Bärtschi (Mitglied
Kleines Haus.
Oddsdóttir, Sabine Oster-Miller, Ilias
der Chefredaktion, Tagesanzeiger),
Pantazis (Big Olive), Peng!, Jean Pe-
Ruedi Baur (Atelier intégral), Thomas
Eine Produktion von Rimini Protokoll
ters, Elias Pigounis, Anthony Ragu-
Bernauer (Politologe ETH), David Ber-
und dem Staatsschauspiel Dresden.
sis (King’s College London), David
net (Journalist), Timon Beyes (Leitung
Van Reybrouck, Dr. Annette Rehfeld-
Summerschool), Sonja Bichsel
Dank an: Abraxas, Akademie für be-
Staud, Dr. Amm und Andreas Tietze
(Coach), Nikola Biller-Andorno (Medi-
rufliche Bildung Dresden, Klasse 12
(Sächsische Landeszentrale politi-
zinethikerin), Corine Blesi (langjährige
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Bildnachweis
WEF-Mitarbeiterin), Liam Ó Cahasaigh
(Global Shaper), Moritz Leuenberger
Abkürzungen: R = Reihe, l = links,
(Head of Video Content WEF),
(Alt-Bundesrat), Ueli Mäder (Sozio-
r = rechts, m = Mitte, o = oben,
Matthias Catón (langjähriger WEF-
loge), Jörg Metelmann (Leitung
u = unten
Mitarbeiter),Tarzisius Caviezel (Landam-
Summerschool), Andy Mettler (Foto-
man Davos), Oliver Classen (Medien-
graf), Michèle Mischler (Head, Swiss
Mikko Gaestel (76, 79 R3m); Ben
koordinator, Public Eye), Colin Crouch
Public Affairs and Sustainability WEF),
Gancsos (56 R1); Kevin Fuchs (57 ol);
(Politologe), Melina Cutinha (VP Regu-
Steffen Mohrenberg (Politologe ETH),
Helgard Kim Haug (4–5, 40 R3r, 57 r,
latory Initiatives Credit Suisse), Laura
Bernhard Müller (Kommandant
169 R3r); Sebastian Hoppe (56 R2, 57
de Wolf (Director Conferences and In-
Schweizer Luftwaffe), Lars Müller
ul); Dominic Huber (80 R1m, R2, R3m,
ternational Projects GDI), Matthias
(Verleger), Lukas Nigg (Aufbauer Kon-
169 R3l); Stefan Kaegi (10 u, 15 ol, 31,
Dettling (Chef Kultur und Bildung im
gresszentrum Davos), Esther Schau-
41 R3r, 75, 79 R1lm, R2mr, R3lr, 81
Schweizer Generalkonsulat New York),
felberger (Internationales Komitee
R2l); Steffen Klaue (35); Imanuel
Dr. Jürgen Dunsch (Autor), Franz Egle
vom Roten Kreuz), Werner Schmutz
Schipper (8–9, 15 or, ul, 16 ol, 32, 38,
(Berater), Peter Flury (Präsident Medi-
(Physikalisches-Meteorologisches Ob-
39 R1, R2, R3lm, 40 R1, R2, 41, 77, 79
zinmuseum Davos), Marc Gianola
servatorium Davos), Constantin Seibt
R1r, R2l, 80 R1lr, R3lr, 81 R1, R2mr, R3,
(Chef Spengler Cup), Markus Glarner
(Journalist), Maximilian Stern (Global
128 R2lr, 129 R1lm, R2lm, R3, 160 u,
(Medienchef des HCD), Roman Gut-
Shaper), Christian Thomann (Physika-
163 o, 165, 167 R1mr, R2r, R3mr, 168
zwiller (Global Shaper), Beat Hedinger
lisches-Meteorologisches Observato-
R1, R2, R3lr, 169 R1, R2, R3m, 201);
(Hubschrauberpilot, Leiter SPHAIR),
rium Davos), Christoph Toggenburg
Rimini Protokoll (11–12, 16–17); Martin
Jon Herbertsson (Manager of Creative
(langjähriger Mitarbeiter WEF), Ernst
Schwemin (121, 122, 127 R2mr, 128
Community Outreach Initiative, UNO),
Wyrsch (Hotelier), Yann Zopf (Head of
R2m, 129 R2r, U2); Benno Tobler (18–
Jonathan Imme (Global Shaper),
Media Operations and Events WEF),
19, 21, 26–27, 48–55, 58, 68–69, 82, 96–
Maria Francisca Izé-Charrin (ehema-
Alois Zwinggi (Vorstandsmitglied
99, 105, 116–117, 138–145, 154–155,
lige Direktorin des High Commissio-
WEF). Außerdem den Studierenden
177–183, 189, 197, U1, U3, U4); Karolin
ner for Human Rights, UNO), Nicole
der Copenhagen Business School und
Trachte (15 ur, 160 o, 163 u, 164, 167
Joller (Immunologin Uni Zürich),
der Universität St. Gallen sowie ganz
R1l, R2l, 168 R3m); Natacha Tsintikidi
Thomas Kehl (Klinikdirektor), Samson
herzlich Margrit Haberreiter.
(155 u); Daniel Wetzel (10 o, 37, 125 o,
Kidane (Ingenieur), Hannes Klöpper
126, 127 R1, R2l, 128 R1)
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Helgard Kim Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel haben ein ABCDarium entwickelt, eine Form, die dem vernetzten und stets in Bewegung befindlichen Denken und Arbeiten des Kollektivs entspricht. Rimini Protokoll tritt hier erstmals als Experte seiner selbst auf und definiert Begriffe der eigenen Arbeit: von A wie Applaus und Authentizität über Präsenz, Publikum, Repräsentation bis hin zu Z wie Zugabe, Zweifel und Zukunft.
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