Theater der neuen Generation Herausgegeben von SKART und Kampnagel Hamburg
MASTERS OF THE UNIVERSE
MASTERS OF THE UNIVERSE T H E AT E R d E R N E U E N G E N E R AT I O N HERAUSGEGEbEN VON SKART UNd KAMpNAGEl HAMbURG
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VORwORT Amelie Deuflhard und Anna Teuwen
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A N G R I F F A U F S w E lT b I l d Charly Heidenreich, Philipp Karau, Annika Prevrhal, Anton Prevrhal, Mark Schröppel, Jasmin Taeschner
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SANd IM GETRIEbE Ein paar Schnipsel über „Lucky Strike“ Mira Sack
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ZUSAMMEN ScHREITEN Der Kongress „Masters of the Universe“ Katharina Stephan
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dIE wIRKMAcHT dES MOTU-KOSMOS Besuch im „Schlaraffenland“ Barbara Schmidt-Rohr
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Ü b E R G R I F F I G E S T H E AT E R : E d U c AT I N G T H E I N ST I T U T I O N Anna Teuwen, Marcus Droß
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E N d Z E I T l A R V E N I M Sy M M E T R I S c H E N Z U STA N d Bela Brillowska und Felix Kubin über „Exodus“
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ARE yOU THERE? Funktionen von Text und Praktiken des Sprechens in „TuNix!“ Philipp Schulte
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dER VISUEllE bAUKASTEN dER MOdERNE Überlegungen zur Bildsprache in „Sieg über die Sonne“ Ulrich Schötker
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All IN Die Erneuerung der Kinder- und Jugendtheaterszene Jan Deck
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cHRONIK AUTOR*INNEN
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VORwORT
Liebe Leserinnen und Leser,
dieses Buch handelt von einem kleinen Wunder. Vor etwas mehr als sieben Jahren saßen wir mit Philipp Karau und Mark Schröppel zusammen. Einige Tage zuvor hatten sie unter dem Label SKART „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ für Kinder ab acht Jahren auf Kampnagel in Hamburg uraufgeführt. Es war ihr zweites Stück für junges Publikum, und es hatte einigen Wirbel verursacht – eigentlich ein vielversprechender Start für zwei junge Absolventen des Gießener Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft im Kindertheater – ein Genre, dem wir waghalsige ästhetische Experimente und ungewöhnliche künstlerische Impulse eigentlich immer wünschen. Die beiden Künstler selbst waren allerdings unzufrieden. Ihre Rolle, als erwachsene Entertainer auf der Bühne für die Kinder im Publikum ihr Äußerstes zu geben, kam ihnen nicht richtig vor. Wie könnten sie sich anmaßen, zu wissen, was Kinder wirklich sehen wollen, fragten sie selbstkritisch. Und dann rückten sie mit einer utopischen Vision heraus: Mit Kindern gemeinsam Theater zu machen, und zwar richtig gutes. Ein Theater, das das Label Kunst verdient und selbstverständlich Teil des ästhetischen Diskurses ist. Ein Theater, das kinderlose Erwachsene ebenso zu seinen Fans zählt wie Jugendliche, ein Theater, das alle Generationen anspricht. Natürlich mochten wir die Idee auf Anhieb, entspricht sie doch genau dem, was wir als unsere Ansprüche an das Theater der Gegenwart, an die Rolle von Theaterinstitutionen für die Gesellschaft begreifen. Wie das funktionieren sollte, konnten wir uns aber noch nicht so recht vorstellen. Nichtsdestoweniger beantragten wir mit dem Konzept des generationenübergreifenden Theaters eine zweijährige Residenz mit SKART im Fonds Doppelpass, in deren Rahmen zwei Produktionen und ein Kongress entstehen sollten, außerdem einige Formate, die auf Kampnagel ein generationenübergreifendes Profil etablieren beziehungsweise das vorhandene ausbauen und schärfen sollten.
Offenbar gefiel die Vision nicht nur uns: Die Förderung kam. Und einige Jahre später gelang auch der Schritt von der geschützten Residenz auf den „freien Antrags-Markt“, was beweist, dass die Gruppe ihrem Anspruch gerecht geworden und treu geblieben ist. Mittlerweile sind fünf gemeinsame Produktionen der neuen Gruppe Masters of the Universe (MOTU) entstanden: „Lucky Strike“ (2013), „Schlaraffenland“ (2014) und „Exodus“ (2016) bildeten eine Trilogie über materielle Glücksversprechen, Überfluss und Verschwendung, die mit einer großen Implosion endete. Es folgten „TuNix!“ (2017) und „Sieg über die Sonne“ (2018). Was alle Arbeiten miteinander verbindet, ist die Auseinandersetzung mit der kapitalistischen, neoliberalen Welt, die Erwachsene wie Kinder aus unterschiedlichen Perspektiven prägt und aufreibt. Rückblickend war jede dieser Produktionen ein kleiner künstlerischer Meilenstein, eine Herausforderung unter einer neuen Zielsetzung, ein Ausdruck neu entdeckter Qualitäten der gemeinsamen Arbeit. Der Kongress „Masters of the Universe“ (2014) brachte jüngere und ältere Akteur*innen miteinander in Kontakt und Austausch, die unterschiedliche und doch ähnliche oder zumindest vergleichbare Ansätze generationenübergreifender künstlerischer Arbeit erforschen und praktizieren. Unverzichtbar für diesen Prozess war die Neue Schule Hamburg, die von Anfang an konzeptueller Bestandteil des Vorhabens war: eine demokratische Schule, für deren Schüler*innen Mitbestimmung und Eigenverantwortung zum Alltag gehören und von denen die erwachsenen Künstler viel lernen wollten. Auch das Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm ist Verbündeter der ersten Stunde und Koproduzent sämtlicher Inszenierungen sowie dieser Publikation. Unter dem Label „All in“ finden dort mittlerweile regelmäßig Produktionen für ein altersgemischtes Publikum statt. 5
Parallel zu der Arbeit von SKART/MOTU hat sich über die Jahre auch auf Kampnagel ein generationenübergreifendes Profil entwickelt; es entstanden neue Workshopkonzepte und Jugendclubs, und es etablierten sich regelmäßige Gastspiele und Neuproduktionen für alle Altersgruppen. Auch in der Hamburger Szene haben sich unter diesem Label künstlerische Arbeitsweisen Sichtbarkeit verschafft, die vorher schwer zu greifen waren, und es sind vermehrt Konzepte für altersübergreifende künstlerische Arbeiten entstanden. Im Mai 2018 fand zum ersten Mal ein generationenübergreifendes Festival in Kooperation mit dem Hamburger FUNDUS THEATER statt, das in seinem Forschungstheater schon immer Kinder und Erwachsene gleichberechtigt zusammengebracht hat.
Durch die gemeinsame Arbeit mit der Gruppe, für den Kongress und am generationenübergreifenden Profil Kampnagels haben sich neue Netzwerke gebildet und entwickelt. Ein Beispiel dafür ist die Kooperation von MOTU mit dem inklusiven Hamburger Ensemble Meine Damen und Herren, die 2021 gemeinsam ein Stück entwickeln werden. Auch Meine Damen und Herren erproben seit einigen Jahren mit Nachdruck die aktive Beteiligung derjenigen Menschen an künstlerischen und institutionellen Prozessen, welche in vielen Fällen hauptsächlich „verwaltet“ werden und denen der Wunsch oder die Fähigkeit zum verantwortlichen Gestalten vielfach abgesprochen wird.
In diesem Buch schreiben Wegbegleiter*innen von MOTU über ihre Eindrücke, Beobachtungen und Erlebnisse – jede*r in ihrer bzw. seiner bevorzugten Schriftform. Im ersten Teil setzen sich fünf Autor*innen mit dem Kongress sowie den fünf Inszenierungen auseinander, bei denen sie jeweils ein charakteristisches Merkmal genauer betrachten. Den zweiten Teil bilden übergeordnete Reflexionen, die jeweils versuchen, Verbindungslinien und Kontextualisierungen, Gesetze und Rezepte, Zusammenhänge und Gelingensbedingungen rund um das Gesamtprojekt Masters of the Universe darzustellen.
Mira Sack, Professorin für Theater und Theaterpädagogik an der Zürcher Hochschule der Künste, kennt die Arbeit von MOTU schon seit ihren Anfängen. In ihrem Text mit dem Titel „Sand im Getriebe. Ein paar Schnipsel ,Lucky Strike’“ beschreibt sie das spezielle Prinzip der Collage, mit dem die Gruppe in der ersten Arbeit „Lucky Strike“ (2014) gearbeitet hat. Sie erkennt 6
darin disparate Einzelteile, die nicht zu einer Synthese verschmolzen, vereinheitlicht oder mit einem verbindenden „Kleister überzogen“ worden seien. So sei kollektiven generationenübergreifenden Arbeiten auch anzusehen, dass der Arbeitsprozess der Gruppe über einen bloßen Versuch der Partizipation hinausgehe.
Katharina Stephan erinnert sich in ihrem Text „Zusammen schreiten“ an den „Masters of the Universe“-Kongress im November 2014. Als Teil der Gruppe Mobile Albania bediente sie in einer Jurte aus Wahlplakaten den „Erzählprozessor“, der den Kongress in eine Art kollektives Manifest kanalisieren sollte, gleichermaßen Mündung wie Quelle aller Ideen. Aus dieser Perspektive beschreibt sie die dreitägige Veranstaltung als unvergleichliches Ereignis, das kein Ausdruck „wohlmeinender Symbolpolitik“ gewesen sei. Vielmehr wirkte der Kongress auf die Autorin produktiv hinsichtlich der Mischung von Ansprüchen und Alter und herausfordernd in Bezug auf die Notwendigkeit, Gewohnheiten immer wieder aufs Neue zu hinterfragen.
Barbara Schmidt-Rohr, selbst Künstlerin und Choreografin aus Hamburg, die einige Male mit Kindern als Darstellern gearbeitet hat, beschreibt in ihrem Text „Die Wirkmacht des MOTU-Kosmos“ ihre persönliche Erfahrung mit der Ästhetik der Gruppe mit besonderem Fokus auf die zweite Bühnenarbeit „Schlaraffenland“ (2015). Der erwachsene Blick auf das darstellende Kind bildet einen roten Faden in ihrem Text, ebenso wie die Frage, inwieweit dieser Blick bei MOTU unterlaufen wird.
Der Hamburger Musiker Felix Kubin und seine Tochter Bela Brillowska – beide MOTU-Fans der ersten Stunde – führen ein fiktives Therapiegespräch: Der ratlose, überwältigte Erwachsene verarbeitet die dritte MOTU-Performance „Exodus“ (2016) und seine Klischees in Bezug auf Kinder – und sucht Hilfe bei seiner 15-jährigen Therapeutin.
Philipp Schulte, promovierter Theaterwissenschaftler und Geschäftsführer der Hessischen Theaterakademie, kennt Mark Schröppel und Philipp Karau alias SKART schon seit ihren künstlerischen Anfängen am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und verfolgt seitdem ihre Arbeit – auch im Kontext von MOTU. Er hat sämtliche Produktionen gesehen und untersucht in seinem Aufsatz „Are you there? Funktionen
von Text und Praktiken des Sprechens in ‚TuNix!‘ den Stellenwert und die Charakteristik der Sprache auf der Bühne – vor allem in Bezug auf „TuNix!“ (2017), die vierte gemeinsame Arbeit von MOTU.
Der Hamburger Kunstpädagoge und -vermittler Ulrich Schötker kennt das MOTU-Konzept bereits seit der Antragstellung und war mit der Erich Kästner Schule, an der er zum damaligen Zeitpunkt lehrte, Kooperationspartner des Vorhabens. Die Produktion „Schlaraffenland“ entstand mit Beteiligung seiner Schüler*innen, ebenso entwickelten Schüler*innen der Erich Kästner Schule einen Beitrag zum „Masters of the Universe“-Kongress. In seinem Beitrag analysiert er die jüngste Arbeit „Sieg über die Sonne“ (2018) und macht sich für ein Theater stark, das die Welt nicht in Watte verpackt präsentiert, sondern auch den Jüngeren Kunst mit Abgründen zugesteht. Der „harte Kern“ der MOTU-Gruppe, bestehend aus den Erwachsenen Mark Schröppel und Philipp Karau sowie den Kindern beziehungsweise Jugendlichen Anton und Annika Prevrhal, Charly Heidenreich und Jasmin Taeschner, führt ein Gespräch über die Dinge, die ihnen bei der gemeinsamen Arbeit wichtig sind, auf die sie immer wieder angesprochen werden und die sie gern ansprechen – ein Versuch, sich selbst auf die Schliche zu kommen.
Marcus Droß, Dramaturg am Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt am Main, und Anna Teuwen, Dramaturgin auf Kampnagel in Hamburg, haben den Entwicklungsprozess von MOTU von den Anfängen an aus der Perspektive der produzierenden Häuser begleitet und unterstützt. In ihrer Fragen- und Thesensammlung beschreiben sie die Auswirkungen der Gruppe auf das künstlerische Profil der beiden Häuser und analysieren die spezifische Charakteristik der MOTU-Ästhetik.
Jan Deck, freier Theaterschaffender und Dramaturg sowie langjähriger Geschäftsführer des Landesverbands Professionelle Freie Darstellende Künste Hessen (laPROF), hat die Arbeit von MOTU ebenfalls von Beginn an verfolgt. In seinem Beitrag „All in“ ordnet er sie in den Avantgardetheaterkontext für Kinder ein und weist unter anderem auf institutionelle Bedingungen und strukturelle Freiräume hin, die für solche künstlerischen Experimenten notwendig sind.
An Kunst, die Kinder involviert, werden meist andere Maßstäbe angelegt als an „normale“ professionelle Theaterproduktionen; der Erfolg eines Projektes wird – manchmal auch unbewusst – daran gemessen, wie viele Kinder teilnehmen konnten und ob sich das Projekt leicht mit einer neuen, möglichst großen Gruppe von Kindern wiederholen lässt. Theaterinstitutionen, Pädagog*innen und Geldgeber*innen wünschen sich üblicherweise aus nachvollziehbaren Gründen, dass partizipative Theaterprojekte möglichst viele erreichen und erfolgreiche Konzepte an möglichst vielen Orten leicht umsetzbar sind oder sogar als Franchise-Modell funktionieren. MOTU dagegen involviert nur wenige Kinder und dazu immer wieder die gleichen. Bei der Lektüre dieses Buchs wird außerdem deutlich, dass die Arbeit der „All-Ages-Super-Group“ kaum reproduzierbar ist – in Bezug auf die spezifische, gemeinsam ausgeformte Ästhetik gar nicht und nur schwer mit Blick auf die besondere Schulstruktur der MOTU-Kinder und den daraus resultierenden gemeinsamen Arbeitsprozess. Als Modell ist Masters of the Universe also nur bedingt nützlich. Dennoch wird deutlich, was gelungene Partizipation und Experimente wie diese ausmacht und dass dabei Prozesse beginnen, die eine ganz andere Reichweite haben. Das lässt sich durchaus reproduzieren: durch Offenheit in Bezug auf Ergebnisse, Bereitschaft zu Risiken, geteilte Hoheit über Verantwortung, Wissen und Kompetenzen, aktive Zurückweisung zugeschriebener Rollen, Vertrauensvorschüsse in alle Richtungen und viel Ausdauer. Mit diesen Zutaten lassen sich andere ebenso wichtige und ähnlich beeindruckende Prozesse starten, wozu wir mit diesem Buch jede*n ermuntern wollen. Wir freuen uns sehr über die vielen gelungenen Beiträge, die wir als repräsentativen Ausdruck dessen verstehen, was der Mastersof-the-Universe-Prozess in den Köpfen und in den Institutionen bisher bewegt hat.
Viel Spaß beim Lesen! Amelie Deuflhard und Anna Teuwen
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A N G R I F F A U F S w E lT b I l d Eine Nabelschau der Masters of the Universe mit Charly Heidenreich (16), Philipp Karau (37), Annika Prevrhal (14), Anton Prevrhal (16), Mark Schröppel (36) und Jasmin Taeschner (13)
Einladen und Kennenlernen
Mark Schröppel _ Bevor wir mit MOTU anfingen, hatten Philipp
und ich 2011/12 bereits zwei Kinderstücke gemacht: „Der Fischer und sein Mann“ für die Education-Abteilung der Duisburger Philharmoniker und „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ auf Kampnagel. Wir hatten beide Male Kinder aus dem Publikum live auf der Bühne. Was mir damals gut gefallen hat, war diese besondere Energie, die diese Kinder erzeugt haben – und wie diese wahrgenommen wurde. Die Stücke waren teilweise grenzüberschreitend: Es wurde gemeinsam Krieg gespielt, Kinder lagen als Verletzte verkleidet auf der Bühne. Dadurch habe ich gelernt, dass man mit Kindern auf der Bühne viel mehr machen kann, als man eigentlich denkt. Wir haben ein brachliegendes Potenzial erkannt.
Philipp Karau _ Eine weitere Entdeckung war, dass die Art, wie
wir Kindertheaterstücke gemacht haben, auch immer eine Ebene für Ältere miterzählt hat. Umgekehrt kam das, was uns an „Erwachsenentheater“ gut gefällt, auch bei den Jüngeren an. Wir haben gemerkt, dass der Weg von den „Erwachsenenstücken“, die wir vorher gemacht haben, zu sogenannten Kinderstücken gar nicht so weit war und dass man diese Unterscheidung gar nicht so stark machen muss. So ist der Wunsch gewachsen, für ein altersgemischtes Publikum zu produzieren. Gleichzeitig wollten wir dabei die Perspektiven der Kids stärker einbeziehen und haben nach jungen Kolleg*innen Ausschau gehalten, mit denen wir kooperieren können. Wir sind es gewohnt, alles selbst zu machen und im Kollektiv zu arbeiten. So sind wir schnell auf die Neue Schule Hamburg gestoßen. Wir dachten, dort wird Selbstorganisation und eigenverantwortliches Handeln großgeschrieben. Die Kinder dort kennen es, ohne einen festen Lehrplan selbst Projekte zu machen. Wir vermuteten also, dass es dort im weitesten Sinne Brüder und Schwester im Geiste gibt.
Charly Heidenreich _ Die Neue Schule Hamburg (NSH) ist eine
demokratische Schule nach dem Prinzip der Sudbury Valley School, die 1968 in den USA gegründet wurde. Deren Konzept folgt der Annahme, dass der Mensch das lernt, was zum jeweiligen Zeitpunkt für ihn am wichtigsten ist. Es gibt keinen festen Stundenplan, keine Klassen und nur von Seiten der Schüler*innen initiierten Unterricht. Ich bin Autodidakt und eigne mir Dinge am liebsten eigenständig an, manchmal unter Zuhilfenahme verschiedener Medien. Alternativ besteht bei uns die Möglichkeit, sich jemanden zu suchen, der über ein bestimmtes Wissen verfügt. Das kann ein*e Mitarbeiter*in sein oder auch ein*e Schüler*in. Mit dieser Person kann man dann eine feste Verabredung treffen, zu der dann auch andere dazukommen können, und man befasst sich gemeinsam mit der Sache. Entscheidungen, die an anderen Schulen durch die Schulleitung getroffen werden, trifft bei uns die wöchentlich tagende Schulversammlung – unsere Legislative und damit das wichtigste Gremium an der Schule überhaupt. Die Teilnahme ist freiwillig, und jeder hat eine gleichwertige Stimme, sowohl Mitarbeiter*innen als auch Schüler*innen. In der Schulversammlung werden alle die Schulgemeinschaft betreffenden Anliegen gemeinsam diskutiert und basisdemokratisch darüber abgestimmt, wie z. B. Regeln, die das tägliche Zusammenleben erleichtern, oder neue Anschaffungen. Das zweite wichtige Gremium ist das Lösungskomitee, die Judikative einer demokratischen Schule, das bei Regelverstößen oder bei nicht eigenständig lösbaren Konflikten tätig wird. Es ermöglicht den Mitgliedern der Schulgemeinschaft einen geschützten Raum zur Begegnung auf Augenhöhe. Andere organisatorische Aufgaben werden von weiteren Gremien und Teams übernommen. Wenn ich Mitglied in einem Gremium oder Team werden möchte, stelle ich mich in der Schulversammlung dafür zur Wahl. Sobald ich für diese Position gewählt wurde, muss ich an den entsprechenden Treffen ver9
bindlich teilnehmen, um die Aufgaben, zu denen ich mich verpflichtet habe, gewissenhaft erledigen zu können. Wenn alles gut läuft, lernt man ganz nebenbei Schulangelegenheiten und auch sich selbst zu organisieren, Verantwortung zu übernehmen, anderen konstruktiv Feedback zu geben und selbst welches anzunehmen. An der NSH fängt das schon mit ganz jungen Menschen an. Der Altersunterschied zählt dabei nicht. Auch das Erlernen der üblichen Kulturtechniken, geschieht oftmals nebenbei, so habe ich z. B. Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt, ohne darin jemals formalen Unterricht erhalten zu haben.
Annika Prevrhal _ Nachdem ihr beiden euch dem Einladen- und
Kennenlernen-Komitee vorgestellt hattet, habt ihr eine Woche bei uns hospitiert und eure bisherigen Projekte vorgestellt. Das hat irgendwie ganz gut gepasst. Als es sich rumgesprochen hat, dass es jetzt die Möglichkeit für Theater auf Kampnagel gibt, gab es tatsächlich eine ganz schöne Aufregung. Alle so: „Wow! Schauspielern!“ Am Anfang waren wir eine riesige Runde, aber jedes Mal, wenn wir uns wieder getroffen haben, waren weniger Leute dabei.
Jasmin Taeschner _ Viele hatten die Vorstellung: Wir stellen uns
auf die Bühne, und Philipp und Mark sagen, wo’s lang geht. Geben uns einen Text, verteilen die Rollen und sagen, was man tun soll. Und dann fanden viele das doch ziemlich komisch und hatten keine Lust drauf. Am Ende der Woche waren es dann nur noch zwischen zehn und zwölf Leuten, die bei „Lucky Strike“ mitgemacht haben.
PK _ Mark und ich haben Trailer und Fotos von früheren Arbeiten gezeigt und erklärt, wie wir Theater machen und was uns daran wichtig ist. Wir haben klargemacht, dass wir aus der Performance-Welt kommen und wir uns für klassisches Theater nur bedingt interessieren. Es sollte deutlich werden, dass wir nur das thematisieren, was uns auch selbst reizt. Es ging nicht darum, ein Workshop-Format oder eine Theater-AG zu bewerben. Gleichzeitig haben wir nach jungen Leuten geschaut, die ihre eigenen künstlerischen Impulse einbringen wollen und irgendwie auch Lust darauf haben, ihre Exzentrik mit uns auszuleben. Letztlich hatten wir den Eindruck, dass diejenigen dabei geblieben sind, die offen waren dafür, was Theater neben Schauspiel auch noch sein kann. In dieser Konstellation konnten wir dann ganz gut rumspinnen, kreativ gemeinsam Pferde stehlen. Über 10
die Jahre sind wir schließlich auf einen MOTU-Kern von fünf bis sechs Kids und drei Erwachsenen zusammengeschrumpft.
CH _ Ich glaube, bei mir war es am Anfang vor allem so, dass ich
mich sehr gesehen gefühlt habe. Zwischen uns gab es eine Grundsympathie. Ich war schon, als ich klein war, sehr anders, sehr exzentrisch. Ich hatte Ideen, die so woanders nicht reingepasst haben. Z. B. habe ich mir meine Hochsteckfrisuren nicht mit Haarspangen, sondern mit Wäscheklammern gemacht. Als ihr uns bei den ersten Gesprächen die verwüstete Bühne von „Solidarität ist die …“ gezeigt habt, hatte ich einfach ein gutes Gefühl, weil ich mir gedacht habe: Ihr seid Menschen, die genauso „verrückt“ sind wie ich.
MS _ Mit „Lucky Strike“ haben wir eigentlich bei Null angefan-
gen. Wir haben uns daran orientiert, wie Philipp und ich SKARTStücke angehen. Theater wie Erwachsene zu machen, das war ja auch das Wagnis, das Ziel! Wir wollten es für die Jüngeren auch nicht besonders spannend oder unterhaltsam gestalten. Nach dem Motto: Philipp und Mark denken sich was aus, bereiten das vormittags vor, ihr kommt dann nachmittags dazu, und das Ganze findet ein bis zwei Mal die Woche als eine Art AG statt; dann stehen da die Kostüme und die Farbtöpfe, und ihr springt einfach rein und legt los. Dann wärt ihr ja nicht an der Konzeption beteiligt gewesen! Wir haben von Beginn an gesagt, dass wir nicht daran vorbeikommen würden, uns gemeinsam am Tisch zu besprechen und die Entwicklung des Stücks zusammen zu planen.
PK _ Es war unser Ansatz, den künstlerischen Erfahrungsvor-
sprung, den wir aufgrund unseres Alters hatten, möglichst transparent zugänglich zu machen und zur Disposition zu stellen. Wir haben euch eigentlich von Anfang an als unsere jüngeren Kolleg*innen behandelt und euch auf der künstlerischen Ebene ganz bewusst nicht gepampert. Daraus hat sich dann eine ganz eigene Struktur entwickelt.
Wir bauen unseren Kosmos
Annika P _ Wir proben die Stücke so lange und intensiv, wie das
die „Profis“ machen. Für ein neues Stück dauern die Proben circa zwei Monate und finden auf Kampnagel statt. Am Tag sind es meist drei Stunden vormittags und zwei Stunden nachmittags. Das wird alles als Schulzeit angerechnet. Im Rahmen unserer
Schule wird der ganze Prozess als Lernen verstanden, und darum gilt das als Lernzeit.
Anton P _ Zu Beginn sitzen wir zuerst ein, zwei Wochen am
Tisch, denken gemeinsam nach und reflektieren über das Thema als Ganzes. Wir stecken einen inhaltlichen Rahmen ab, sammeln Gedanken und versuchen, uns gegenseitig zu inspirieren. Manche Sachen sind uns anfangs gar nicht so klar, und wir bilden um das Thema eine eigene Welt – unsere Welt. Wir bauen uns einen Kosmos, in dem bestimmte Ansichten vorherrschen. Es ist fast so, als ob man sich ein Universum, vielleicht auch ein Multiversum zusammenbaut. Dieses Rumspinnen, welche Kostüme benutzt werden, wie das Bühnenbild aussieht, welche Atmosphären und Aktionen man kreieren will, kommt erst danach. Die fertigen Szenen sind Ausschnitte dieser Welt, die man sich dann genauer anguckt und verfeinert.
PK _ Für mich ist dieser Prozess unheimlich wertvoll. Auch wenn
rialismus, Überfluss und kapitalistische Glücksversprechen. Im Anschluss kristallisierte sich heraus, dass sich in „Exodus“, dem nächsten Stück, das Schlaraffenland gewissermaßen an sich selbst überfrisst, implodiert und so den Abschluss der Trilogie bildet. Ich kann gar nicht mehr sagen, wie die ersten Ideen zu „TuNix!“ entstanden sind, aber rückblickend wirkt es auf mich wie ein erster Alternativvorschlag nach der Apokalypse. Uns hat beschäftigt, was in unserer Gesellschaft im Bezug auf Arbeit, Leistungsgesellschaft und Selbstoptimierung im Argen liegt. Was dreht da über? Was könnten Gegenvorschläge sein? „Sieg über die Sonne“ hat die Frage nach einer Zukunft jenseits von Business- und Karriereplänen fortgeführt und den revolutionären Moment eines gesellschaftlichen Umbruchs radikal zugespitzt: Welche Möglichkeiten birgt so ein Moment, um alles neu zu denken? Auf der ästhetischen Ebene sind wir da abstrakter und reduzierter geworden. Die überbordenden Materialschlachten aus den ersten drei Stücken haben sich entschlackt.
es manchmal ein bisschen anstrengend ist. Man kriegt ein Gefühl für die Gruppe und eine Art gemeinsames Bauchgefühl für das Stück. Ab einem bestimmten Punkt sitzen alle in einem ähnlichen Boot. Dann kann man von diesem Boot viele kleine Beiboote zu Wasser lassen und in alle möglichen Richtungen losschicken. Aber man hat einen gemeinsamen Bezugspunkt. Es entstehen immer auch eine Menge sich widersprechender oder kontroverser Ideen. Oftmals viel, viel mehr, als wir dann eigentlich benutzen können.
Anton P _ In der Umsetzung kann man bei uns Performer sein,
lange Besprechen und das viele Brainstormen am Anfang kommen wir auf einen gemeinsamen Nenner. Trotzdem haben wir alle individuelle Ideen. Daraus entstehen Szenen, die total unterschiedlich sind und trotzdem zusammenpassen und etwas erzählen. Das ist auch ein Punkt, der es interessant macht. Zumindest bekomme ich das oft als Rückmeldung. Die Leute sagen immer: „Boah, wie ihr das alles miteinander verbunden habt! Da wäre ich nie im Leben drauf gekommen.“ Ich glaube, das ist es auch, was uns ausmacht.
Kollektivarbeit. Sobald wir erste Ansätze gefunden haben, gehen wir damit auf die Probebühne. Im Originalbühnenbild und mit den Kostümen fangen wir dann an, Szenen zu improvisieren. Die Bühne und Kostüme sind in der Regel durch vorbereitende Gespräche vor den Hauptproben entstanden. Wer dann letztlich was macht, hängt vom persönlichen Interesse der Beteiligten und den Anforderungen der jeweiligen Szene ab. Bei einem Solo beispielsweise können nicht alle auftreten.
CH _ Oft ordnet sich vieles irgendwann automatisch. Durch das
PK _ Bei den ersten beiden Stücken haben wir an die Märchen-
adaptionen von SKART angeknüpft. „Lucky Strike“, eine bizarrdüstere Version von „Hans im Glück“, und „Schlaraffenland“ wurden so zu den ersten beiden Teilen einer Trilogie um Mate-
an Bühnen- und Kostümbild basteln oder Musik machen. Keiner ist festgelegt, und es kann sich von Stück zu Stück ändern. Die Grundideen dafür denken sich alle gemeinsam aus. Wir spinnen rum, schweifen ab und karren Material ran. Das beginnt oft damit, wie die Bühne aussehen soll und endet mit den Szenen, in denen dann einzelne Ideen zusammenfinden. Die schauen wir uns zusammen an, besprechen und inszenieren sie. Eigentlich machen alle alles.
MS _ Nach dem Brainstormen entstehen meistens die Texte in
PK _ Dass Bühne und Kostüme zu Beginn im Vordergrund ste-
hen, steckt den visuellen Rahmen ab. Für mich persönlich ist es wichtig, bereits im Vorfeld ein Bild von der Welt zu haben, in die wir uns begeben. Bei „Sieg über die Sonne“ haben wir beispielsweise zuerst die Leuchtwesen entwickelt, und daraus ist dann 11
das letzte Drittel vom Stück entstanden. Bei „Lucky Strike“ war das Hüpfburgschloss der Ausgangspunkt. Dafür mussten wir schauen, was wir mit dieser Hüpfburg überhaupt machen können. Das Material ist wichtig, damit ausprobiert und rumgesponnen werden kann.
CH _ Man kriegt immer direkt ein Feeling, wenn man im Büh-
nenbild steht. Wenn man z. B. in der Kuppel von „TuNix!“ steht oder einfach ein Kostüm anhat. Man kriegt einen ganz anderen Vibe und geht anders an die Sache heran. Man muss wissen, wie sich die Sachen anfühlen, etwa wenn ich einen riesigen Tierschwanz anhabe wie bei „TuNix!“. Was kann ich damit machen? Kann ich damit Leute hauen? Das sind Sachen, mit denen man dann spielen kann.
Krude Assoziationsketten
MS _ Unsere Texte sind eigentlich Zustandsbeschreibungen.
Durch unsere Gespräche im Vorfeld schaffen wir die Substanz dafür. Sie entstehen, indem wir uns als Gruppe in krude Assoziationsketten hineinsteigern, in einen Redeflow, der sich selbst trägt. Jemand beginnt zu erzählen, reicht den Staffelstab weiter, einer setzt noch eins drauf und so weiter. Durch narratives Ping Pong entstehen bizarre und düstere Fantasiewelten, gerne mal poetisch, immer wild wuchernd.
JT _ Bei „Exodus“ hatte jemand die Idee von einer Telefonzelle,
in der die Wände immer näher kommen, und dann waren alle immer begeisterter und warfen irgendwelche Selbstmordmethoden in den Raum. Am Ende hatten wir diesen Text voller Selbstmordarten. Das war wirklich lustig. Weil es wirklich eine der enthusiastischsten Sitzungen war, die wir so hatten. Das klingt jetzt wahrscheinlich, als ob wir alle eine Störung hätten, aber es war einfach spannend, und allen hat es Spaß gemacht. Annika P _ Meist sind es eher surreale Ideen, in die wir uns ver-
tiefen. So wie mit der Deathbox. Ich habe den Text dann auf der Bühne performt, das war ein Highlight für mich, mein Lieblingstext. Ich kann ihn immer noch auswendig. Der Text ist sehr krass, und ich habe die Reaktionen des Publikums gespürt. Es erwartet ja niemand von einer Zehnjährigen, mit Laserfingern auf einem hohen Bühnenbildteil zu stehen und einen tiefgründigen, depressiven Text aufzusagen. 12
PK _ Bei der Textentstehung protokolliert immer jemand. Wenn
ich das mache, bekomme ich oft nur Bruchstücke mit, weil ich nicht so schnell schreiben kann, wie ich zuhöre, und mich zusätzlich am Gespräch beteilige. Eigentlich müsste man ja davon ausgehen, dass dadurch noch eine Menge an Gesprächflows fehlt. Aber das Gegenteil ist der Fall: Das bruchstückhafte Mitschreiben und Ausgestalten führen dazu, dass der Text sich verdichtet, facettenreich wird und eine eigenwillige, fast lyrische Form bekommt. Im Anschluss müssen wir oft gar nicht mehr viel daran feilen.
Anton P _ Mir gefällt, dass wir so verschwenderisch sind mit den
Ideen. Wir haben so viele, dass wir gar nicht alle benutzen können, und dann picken wir uns die Rosinen raus. Die passen dann oft erstaunlich gut zueinander. Um den Überblick zu behalten über diesen überbordenden Output ist für mich auch wichtig, dass wir ganz klassisch unsere Mindmaps an der Wand haben. Da werden Ideen unterteilt in „Bühne“, „Aktion“, „Musik“, „Atmosphäre“ usw. Das finde ich auch deshalb schön, weil es von allen jederzeit ergänzt werden kann und weil es für alle visuell im Raum ist. Man kann da immer mal hingehen, sich erinnern und ein bisschen rekapitulieren. Was gibts eigentlich schon? Was ist davon wichtig? Worauf konzentriere ich mich?
Annika P _ Bei Entscheidungen suchen wir eigentlich immer ei-
nen Konsens. Darum reden wir auch so viel. Es gibt keine Person, die etwas durchdrückt. Wir stimmen nicht ab. Basisdemokratie kann man das also nicht nennen. Wir versuchen durch Gespräche auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.
CH _ Da wir so eine kleine Gruppe sind, funktioniert das auch.
Es ist eine sinnvolle Möglichkeit, mit wenigen Menschen schnell zu einer Einigung zu kommen, mit der alle zufrieden sind. Trotzdem knallts auch mal. Denn es sind sehr starke Persönlichkeiten im Team. Bei Konflikten suchen wir immer das Gespräch in der Gruppe. Wir besprechen, was die letzten Tage los war, überlegen, was dazu geführt hat, dass eine Situation entstanden ist. Dann versuchen wir, die Stellschrauben so zu verändern, dass so etwas nicht mehr passiert. Damit hat man seine Ansichten geteilt, und dann ist es auch irgendwie okay. Es ist ja nicht zwangsläufig was Negatives, wenn man sich streitet.
JT _ Inzwischen achten wir sehr darauf, uns nicht zu kommen-
tieren und uns ausreden zu lassen.
MS _ Das Nicht-Kommentieren ist eine beinahe geniale Regel.
Es hat z. B. dazu geführt, dass sich keiner mehr schämt, eher abwegige Ideen zu äußern. Am Anfang haben wir uns alle mehr geschämt. Durch die Regel konnten wir viel unbedarfter sein und unseren Impulsen folgen.
Anton P _ Das liegt auch an der Entwicklung der Gruppendyna-
mik. Am Anfang haben wir uns auch viel mehr ausgelacht. Jetzt ist uns viel klarer, dass wir ein Ziel haben und nicht gegeneinander arbeiten wollen.
PK _ Oft ist es ja so, dass Erwachsene Theaterprojekte anstoßen,
in denen Kinder mitmachen, und dafür einen recht klaren Plan haben. Bei uns fehlte diese orientierende Struktur. Das war vielleicht verantwortungslos, doch gleichzeitig bildeten sich Freiräume, in denen viel passiert ist. Auch viele Schwierigkeiten sind entstanden, weil jeder meinte, das Recht zu haben, Eigeninteressen in den Mittelpunkt zu stellen. Das fand ich bei euch Jüngeren sehr ausgeprägt. Und das war für uns Ältere zwiespältig. Auf der einen Seite dachten wir: „Oh Wahnsinn. Da sind wirklich Leute, die, obwohl viel jünger, sehr exzentrisch sind. Und obwohl sie wenig Theatererfahrung haben, bringen sie einen enormen künstlerischen Gestaltungswillen und eigenwillige Ideen mit.“ Auf der anderen Seite hatten wir manchmal den Eindruck, jeder nimmt die eigene Fahne, bohrt sie fest in den Boden und schreit ganz laut: „Hier!“ Und wenn er dabei zufälligerweise dem anderen die Fahne voll in den Fuß gebohrt hat, dann wars auch egal. Dann gabs Geschrei bis hin zu Kloppereien. Wir haben es uns sehr schwer gemacht. Trotzdem hatten wir bei einigen von Anfang an den Eindruck, dass es so ein irrsinniges Vertrauen füreinander gibt. Ich glaube, sonst hätten wir so etwas auch nicht gemacht. Sonst wären wir viel früher gegangen und hätten gesagt: „Was ist denn das für ein Irrenhaus? Ich will hier weg.“ Ich fand es auch bewundernswert, welchen Vertrauensvorschuss eure Eltern oder eure Schule uns gegeben haben. Auch sie hätten sagen können: „Was treiben die da eigentlich? Wissen die, was sie tun?“ Stellenweise wussten wir es nicht. Auch deshalb konnte etwas Gemeinsames entstehen, das wir, gerade über die Altersunterschiede hinweg, immer wieder neu aushandeln mussten und müssen. Deshalb konnten wir als eine Gruppe wachsen, die ihre Unterschiede und Widersprüche aushalten kann.
MS _ Irgendwann gab es für mich auch Phasen, in denen mir al-
les viel zu viel war, die mich komplett überforderten. Doch nach „Lucky Strike“ fing die Gruppe an, zu reflektieren: Wir beginnen eine Gruppe zu werden, wir bestehen nicht mehr nur aus Einzelvorstellungen. Das brachte einen Wachstumsprozess ins Rollen. Wir sind auch schneller zu Entscheidungen gekommen. Rückblickend realisiere ich, wie naiv es war, zu denken, wir hätten so eine Entwicklung planen oder vorhersehen können. Gruppen müssen einfach zusammen entstehen, zusammen wachsen. Gruppen müssen auch mal streiten und scheitern.
Angriff aufs Weltbild
PK _ Die Form unserer Stücke ist collagenhaft. Widersprüchli-
ches kann und soll darin vorkommen. Es ist nicht eins zu eins geordnet. Es gibt auch keinen Plan, keine Dramaturgie, die wir uns vorher ausgedacht hätten und der wir dann folgen könnten. Das führt letztlich dazu, dass sich unser Publikum nur bedingt bei der Hand genommen fühlt. Nicht alles, was passiert, wird erklärt. Es darf rumpeln und seine Ecken und Kanten behalten. Manches lässt einen fragend zurück. Nichts muss einer bestimmten Form untergeordnet werden. Ästhetiken können wild aufeinander clashen, scheinbar Unvereinbares darf nebeneinander stehen bleiben. Das provoziert gerne auch mal. Auch, dass sich Themen und Perspektiven und der künstlerische Output von Älteren und Jüngeren auf eine konsequente Weise vermischen. Am Ende lässt sich oft nicht mehr sagen, was sich wer ausgedacht hat. Auch das Publikum kann nicht mehr zuordnen, was von wem kommt. Diese kollektive Autorschaft wird häufig kontrovers aufgenommen und provoziert Fragen wie: Was ist kindgerecht? Werden hier Kinder instrumentalisiert? Was traut man Kindern zu?
CH _ Das verunsichert, weil es ein Weltbild angreift. Viele kön-
nen damit nicht umgehen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, werden manche Zuschauer*innen aggressiv. Es ist auch eine unserer Stärken, dass Leute mit vorgefertigten Erwartungen in unsere Stücke gehen und dann kriegen sie etwas ganz anderes.
PK _ Auf jeden Fall dringt ihr Jüngeren in einen Bereich vor, der
für Kinder und Jugendliche nicht vorgesehen ist. Ihr macht als Künstler*innen Theater unter Profibedingungen. Kinder und Erwachsene arbeiten als gleichberechtigte Partner*innen zu13
sammen. Das ist etwas Ungewöhnliches. Das führt dazu, dass die Leute nicht immer einordnen können, was wir da tun. Wir gehen über Grenzen hinaus, die den Leuten eigentlich als Orientierung dienen.
CH _ Wir arbeiten als Menschen unterschiedlichen Alters res-
pektvoll, auf Augenhöhe und professionell miteinander. Wir ziehen das auch tatsächlich so durch, und es ist nicht so, dass Philipp und Mark letztlich alles machen und wir einfach mitlatschen. Ich finde, von Geburt an ist jeder ein vollwertiger Mensch, der das Recht hat, Entscheidungen zu treffen. Viele sehen Kinder ja als unfertig an. Gerade jüngeren Menschen wird nicht zugetraut, hinter den Kulissen mitmischen zu können. Wir machen das aber. Wir sind ein vollwertiger Teil des Prozesses.
MS _ Kunst soll dazu führen, dass Menschen nach der Betrach-
tung eines Kunstwerks eine andere Sicht auf die Dinge haben. Wir verlassen die ausgetrampelten Pfade von Kinder- und Erwachsenentheater. Dadurch präsentieren wir Wege, die bisher wenig bis gar nicht beachtet wurden. Und das macht den künstlerischen Output natürlich auch zu einem ganz anderen. Er wird dadurch innovativer – im Sinne von ungeahnter.
Annika P _ Ich finde, wir machen tiefsinnige Stücke, über die
man nachdenken muss, bevor man alles versteht. Das ist fürs Publikum manchmal verstörend. Auch weil die Leute nicht erwarten, dass junge Menschen auch die düsteren und traurigen Seiten im Leben thematisieren können. Das bleibt dann eher im Kopf, und darüber denkt man mehr nach. Darauf bin ich auch stolz.
PK _ Ich habe häufig das Gefühl, dass viele Menschen mit Kinder-
theater oder überhaupt mit der Welt von Kindern etwas Harmonisches verbinden. Als ob alles mit Zuckerguss überzogen wäre: Es ist süß; es ist niedlich.
CH _ Wir sagen hingegen: „Das Leben ist komplex. Dazu gehören
auch die düsteren und nicht so schönen Seiten. Das gilt genauso für Kinder. Die spüren auch, wenn etwas nicht schön ist.“ Darum thematisieren wir das auch.
MS _ Ich mag es, wenn wir düster sind. Ich finde es gut, Leute,
egal welchen Alters, mit absurdem Humor und verstörenden Bildern zu verunsichern, ihre Sicht auf die Welt dadurch zu irri-
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tieren und sie mit Fragen zu konfrontieren: Vielleicht stimmt deine Sicht ja gar nicht; vielleicht kann man die Dinge auch anders sehen. Darum ziehen wir euch jetzt mal den Stuhl unterm Hintern weg und wenn ihr auf den Boden knallt, macht ihr unter Umständen eine interessante Erfahrung. Ich mag es auch, wenn die Leute überfordert sind und mit sich kämpfen müssen. Intensive Erfahrungen sind immer auch Formen von Energie. Und Energie ist für mich immer auch etwas Körperliches, das sich sehr gut anfühlen kann. All das führt auch mal dazu, dass das Publikum meint, das könne oder dürfe man nicht mit Kindern machen. Allerdings haben alle Beteiligten sehr bewusst und entschieden mitgemacht und sind Teil eines Erfahrungsprozesses geworden, mit dem man das Publikum konfrontiert.
PK _ Theater mit Kindern ist in der Regel Schultheater. Bei
Theater, das für Kinder gemacht wird, sind Kinder wiederum nicht beteiligt. Es wird von Spezialist*innen gemacht, die meistens ausschließlich für Kinder produzieren. Unsere Stücke richten sich an Ältere und Jüngere. Wir koppeln Geschmack und Sehgewohnheiten nicht an ein bestimmtes Alter. Wir wollen auch nicht in einer Art vorauseilendem Gehorsam annehmen, dass Menschen wegen ihres Alters bestimmte Dinge nicht oder noch nicht verstehen. Wir finden es gerade gut, dass unsere Stücke vielschichtig und kontrovers sind. Es muss ja nicht immer alles sofort verstanden werden.
Sind Kinder offener?
JT _ Wenn wir etwas auf der Bühne zeigen, dann verstehen das
die Kinder und Erwachsenen gleichermaßen gut oder schlecht. Vieles bei uns ist ja auch absurd. Das schafft viele Deutungsmöglichkeiten.
PK _ Unsere Stücke sind nicht linear zu lesen, sondern sie sind
widersprüchlich. Mir gefällt es darum gerade gut, dass Kinder im Publikum sind. Ich denke, Kinder können es eher zulassen, dass Dinge sich widersprechen. Oder dass man von jetzt auf gleich in ein neues Setting katapultiert wird, dass Situationen surreal sind. Oder ist es doch ein Vorurteil, dass Kinder offener sind?
CH _ Ich denke schon, dass Kinder offener sind. Sie wurden einfach
noch nicht von so vielen Stereotypen geprägt wie Erwachsene.
MS _ Mir ist in der Schulzeit vermittelt worden: Wenn ich ins
Theater gehe, gibt es da ein bereits feststehendes Prinzip, das es zu verstehen gilt. Wenn ich fähig bin, dies zu erkennen und einen schlauen Aufsatz darüber zu schreiben, bekomme ich eine gute Note. Wenn ich aber über meinen intuitiven Zugriff berichte, bekomme ich das nicht, denn dann habe ich das Ganze nicht verstanden. Wir hingegen unterbreiten ein Angebot: Sieh darin nicht, was du zu sehen hast, sondern das, was du darin erkennst. Das nimmt die Leute sehr ernst. Es ist ja auch für mich bereichernd, immer wieder neue Lesarten eines Stücks präsentiert zu bekommen. Man bezieht sich immer noch viel zu oft auf die zwei heiligen Instanzen, die einem erklären, wie die Welt funktioniert: Autor*in und Regisseur*in – das gibt es bei uns nicht. Die sollen von ihrem Sockel runter.
PK _ Durch die Erfahrungen in einer Regelschule verbinden viele
Menschen mit Lernen eine bestimmte Pflicht, etwas lernen zu müssen. Dadurch, dass man das als Kind oder Jugendlicher so beigebracht bekommt, kann sich das Gefühl einstellen, nur dann etwas gelernt zu haben, wenn man sich dazu zwingen musste. Allerdings fühlt es sich in dem Moment, in dem man gerade Bock darauf hat zu lernen, nicht wie Arbeit an. Man macht es dann, weil man sich dafür interessiert und begeistert. An diesem Bruch mit den Lernkonventionen setzen auch wir an. Dabei habe ich nicht den Eindruck, dass sich Begeisterung und Verbindlichkeit ausschließen. Wenn wir ein Theaterstück machen, dann geht das über mehrere Wochen jeden Tag. Da kann man nicht einfach sagen: „Ich habe heute keinen Bock …“
Annika P _ Wenn ich mich zu etwas entscheide, möchte ich ja
auch den Prozess und das Endprodukt haben. Auch wenn es währenddessen anstrengend ist. Und so ist es hier auch: Ich entscheide mich mitzumachen, weil ich mich auf die Proben und die Premiere freue und Lust habe, auf der Bühne zu stehen. PK _ Man könnte ja auch denken, jeder macht nur, was er will,
und denkt nur an seine eigene Lust. Aber so ist es bei uns nicht: Ich bin immer wieder überrascht, wie viel Verantwortungsbewusstsein im Raum ist. Gerade Kindern und Jugendlichen unterstellt man ja oft, noch keine Verantwortung tragen zu können.
auch noch bei Jugendlichen. Immer wird gedacht: „Oh Gott! Das halten die nicht aus! Jetzt muss ich mich als großes erwachsenes Schild schützend davor stellen“, und dann heißt es: „Ich halte den ganzen schrecklichen Stress von dir weg, weil du armes Kind das nicht ertragen kannst.“
JT _ Arbeit ist für mich der Prozess, der zu etwas führt, das gut
für mich ist oder das mir in irgendeinem Sinne etwas bringt. Für uns sind das die Vorstellungen, bei denen ich merke, dass etwas zurückkommt und es die Mühe wert war, die man sich gemacht hat. Es macht Spaß und verbindet alle nochmal. Man kann schon bisschen stolz darauf sein, was man da geschaffen hat. Und auch auf das davor: den ganzen Prozess, das Proben, das Schreiben der Texte, das Hin und Her. Eigentlich ist es von der ersten Minute an Arbeit. Was nicht heißt, dass das schlecht wäre. Wenn man das positiv betrachtet und sich sagt: „Da habe ich jetzt Lust drauf“, dann ist das sehr spielerisch.
PK _ Es ist uns ein Anliegen, die getrennten Alltage von Kindern
(in Schule oder Kita) und Erwachsenen (bei der Arbeit), ein Stück weit zu überwinden und eine alltägliche Praxis des gemeinsamen Arbeitens, Lernens und Spielens zu etablieren. Aus unserer Perspektive, also der der SKART-Erwachsenen, passt das auch deshalb gut, weil wir dann nicht das Gefühl haben, dass wir euch Jüngere „belehren“ müssen. Lehrer*innen haben natürlich ihre Berechtigung, das kann ja auch Spaß machen. Aber Mark und mir gefällt das nur bedingt. Wir lernen auch selbst ganz gerne beim Selbermachen. Und natürlich möchten wir auch von euch Jüngeren lernen.
Anton P _ Wir respektieren uns gegenseitig und nehmen einan-
der ernst. Man unterstellt niemandem aufgrund des Alters etwas. Wir versuchen, sehr offen miteinander zu sein. Niemand braucht sich für etwas zu schämen. Ich finde es auch sehr schön, dass wir uns so gut unterhalten können. Ich mag das wirklich gern.
CH _ Ich persönlich mag es nicht, wenn mich jemand vor etwas
beschützen möchte – wie es gern mit Kinder gemacht wird oder 15
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SANd IM GETRIEbE Ein paar Schnipsel über „Lucky Strike“ Mira Sack
Dystopische Realität. Hans im Glück: Ein Schauermärchen.
Eine Beschwörungsformel dringt langsam durch den Nebel. Unverständlich, unheimlich, geheimnisvoll. Eine hochbeinige Gestalt im Kapuzenmantel mit kindlich-eindringlicher Stimmlage hat eine Botschaft und ich verfange mich in einem Rätsel. Sehe eine Märchenwirklichkeit erscheinen, die ebenso eine Filmeinstellung in einem Psychothriller sein könnte. Höre kryptisch verschlüsselte Mitteilungen an die Welt im Zuschauerraum ebenso wie das religiöse Mantra einer missionarischen Autorität. Die Erscheinung kommt auf mich zu, ruhig und unbeirrbar. Macht mir vor, sie sei souverän. Macht mir nichts vor, sondern führt sich selbst auf. Macht nichts, redet nur. Brennt sich ein zwischen dystopische Traumbilder einer dem Untergang geweihten Wirklichkeit. Bevor das Trugbild sich wieder aus dem Staub macht und den Nebel mit sich nimmt, wendet es sich an uns und lädt uns ein „Ja zu sagen zum Nein“. Das Versprechen, das damit verbunden scheint, ist die Reinheit der Askese: „Ich bin glücklich, ich habe nichts.“
Die Collage ist ein beliebtes Erzählmodell im Theater mit Kindern. Hier kann szenisches Material rund um eine Geschichte, eine Frage, einen Konflikt sauber verklebt und zu einem bunten, vielgestaltigen Reigen angeordnet werden. In der Regel wird dies jedoch mit einem Kleister überzogen, der alles ins selbe Licht taucht. Ästhetisch vereinheitlicht durch Schauspielkonvention, Theatervorstellung und erwachsener Ordnungslogik. Aus disparaten Fundstücken wird kurzerhand eine verständliche Narration gebaut. In „Lucky Strike“ sind diese Prinzipien gebrochen, die Ästhetik kommt brüchig daher. Der Versuch, die wesentlichen Erzählmittel aufzuzählen, grenzt schon an Überforderung. Neben der schwarzen, katzenartigen Domina, von einem Kind gespielt, steht der überlebensgroße Justin Bieber als Pappfigur. Erwachsene rutschen auf allen Vieren über die Bühne und die
playback gesungenen Popsongs passen so gar nicht zu der Art, wie an anderer Stelle die auf dem Boden liegenden E-Gitarren malträtiert werden. Einspielungen von asiatischen Videostills durchkreuzen die projizierten Recherchebilder, in denen das Ensemble mit der Müllabfuhr gemeinsame Sache macht, bis endlich die Performer*innen als nackte, dickliche Animationsfiguren ihren Tanz des ewigen Stillstands auf den Leinwänden zelebrieren.
Das partizipative Forschungsfeld der Arbeiten von Masters of the Universe umfasst die Suche nach einer gleichberechtigten Zusammenarbeit zwischen Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen. Für die Inszenierung „Lucky Strike“ übersetzen sie das Märchen „Hans im Glück“ in die heutige Konsumwelt. Hans wechselt seine Identität: Er wird zum Nihilisten, der jegliche Wertvorstellungen hinter sich gelassen hat, zum Materialisten, der skrupellos alle Verführungen der Warenwelt auskostet und seiner Habsucht frönt. Besitzansprüche werden mit Fantastik gepaart, Justin Bieber wird als Pappkamerad das Objekt der Begierde eines der mitspielenden Mädchen, Egoismus wird zum Dogma eines glücklichen Lebens erklärt und die Aussicht eines perfiden Konsumterrors zur unhintergehbaren Zukunftsvision. Religiöse Mysterienspiele sind mit politisch grundierten Gewaltvorstellungen unterlegt. Eine bilderreiche Popkultur, reizvoll reizüberflutet und ausreizend überhöht. Bis am Ende alle Performer*innen in einer Endlosschleife auf der Hüpfburg miteinander in der ewigen Wachstumsspirale festhängen, die nur durch die Abgabe eines Geldbetrags seitens der Zuschauer*innen in den Stillstand manövriert werden kann und schließlich endet.
Was würde ich machen, wenn ich Hans im Glück wäre?
Würde ich dann zurückgehen wollen zu meiner Mutter? Würde auch ich Justin Bieber umbringen? Angstfrei und sorglos jeder Kränkung begegnen? Würde ich mich weigern, mein Pferd gegen 17
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lUcKy STRIKE (2014) Hans im Glück
Wenn ich also Hans im Glück bin, dann bin ich erst glücklich, wenn ich nichts mehr habe. Ich tausche auch nichts mehr ein. Keinen Goldklumpen, kein Pferd, keine Kuh, kein Schwein, keine Gans, keinen Stein. Ich bin einfach nur glücklich. Ich habe nichts und das reicht mir. Nichts ist mein Glück und mein Glück ist nichts. Ich bin Antimaterialist. In meinem Seelenkloster gibt es keine Mauern, kein Dach und keine Räume. Die Sonne dringt mir aus dem Herzen, meine Aura vermeidet Schmerzen. Wem ich begegne, bereite ich Freude. Dich möchte ich einladen, Ja zu sagen. Ja zum Nein. Für immer Nein. Kein Mein, kein Dein. Nein.
Wenn ich also Hans im Glück bin, dann bin ich erst glücklich, wenn ich nichts mehr habe. Ich tausche auch nichts mehr ein. Keinen Goldklumpen, kein Pferd, keine Kuh, kein Schwein, keine Gans, keinen Stein. Die Waren gleiten mir durch die Hände. Am Ende sind sie so leer wie mein Kopf. Es ist nicht Einfalt, die mich glücklich macht. Ich bin dumm. Zu dumm zum Tauschen, zu dumm zum Handeln, zu dumm, um glücklich zu sein. Wo andere aktiv sind, bin ich passiv. Ich nehme hin, was man mir nimmt. Ich möchte haben, was andere mir hinhalten. Ich wäre ein guter Konsument, wäre ich zuletzt nicht mit gar nichts am glücklichsten. Wie kann das sein?
blau. Mehr muss er gar nicht sein. Ich nehme hin, was auf mich trifft, und wende es zum Besten. Nennt mich Optimist und ich freue mich.
Wenn ich also Hans im Glück bin, dann bin ich erst glücklich, wenn ich nichts mehr habe. Ich tausche auch nichts mehr ein. Keinen Goldklumpen, kein Pferd, keine Kuh, kein Schwein, keine Gans, keinen Stein. Ihr lacht über mich, aber ich strahle. Als leuchtende Fackel eines neuen Glaubens leuchte ich euch den Weg. So wie ich die Dinge sehe, tut es keiner. Ich brauche kein Geld, keine Tiere, keinen Besitz. Ich bin anders und darum einzigartig. Ich bin die Zukunft. Ich denke gegen den Strom. Ich bin ein Avantgardist. Noch bin ich allein. Doch in hundert Jahren wird man sich an mich erinnern. An euch nicht.
Wenn ich also Hans im Glück bin, dann bin ich erst glücklich, wenn ich nichts mehr habe. Ich tausche auch nichts mehr ein. Keinen Goldklumpen, kein Pferd, keine Kuh, kein Schwein, keine Gans, keinen Stein. Ihr haltet mich für naiv, doch ich weiß, was ich will. Dumm ist der, der Dummes tut. Viele glauben, man müsse für seine Ziele leiden. Doch das stimmt nicht. Mein Horizont ist immer
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eine Kuh, gegen ein Schwein, gegen eine Gans, gegen einen Stein einzutauschen? Besitze ich nicht ein Pferd, eine Kuh, ein Schwein, eine Gans, einen Stein? Macht mich das glücklich? Würde auch ich nicht zuhause ankommen? Wäre auch mein letzter Gedanke „So glücklich wie ich gibt es keinen Menschen unter der Sonne“?
Mit einer gehörigen Portion Chuzpe verstehen es die Performer*innen von „Lucky Strike“ ihre Sicht auf Hans im Glück für gültig zu erklären. Sie vereinnahmen seine Stärken und Schwächen in einer Selbstverständlichkeit, die keine Infragestellung erwartet. Das unperfekte Spiel, die ungekünstelte Überhöhung des künstlerischen Ausdrucks bringen eine Auseinandersetzung in den Vordergrund, in der die verstellte Lebendigkeit über das Bedürfnis zu spielen siegt. Spiel gibt es hier erst den inhaltlichen und konzeptionellen Setzungen nachgeordnet zu entdecken. Und doch spielt sich alles in einem fantastischen, virtuellen Vorstellungsraum ab, der das Spiel als einzige Handlungsoption offenlässt. Ein Spiel, das keine Grenzen kennt, seine Grenzen nicht scannt. Hier wird alles zum Material erklärt, Aneignung zur Überlebensstrategie und Agieren an sich zum Mechanismus allgemeiner Überlebenskunst.
Das Besondere an der trashigen Collage aus Bild, Aktion, Musik und Video ist, dass Kinder und Erwachsene keine Bühnensynthese entwickeln, sondern unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven auf Inhalt und Ästhetik nebeneinander bestehen bleiben, aufeinanderprallen, schräg erscheinen. In dieser Schräge liegt ein Versprechen: die Bühne als Kommunikationsfläche, die eine undogmatische Form der Auseinandersetzung erlaubt. Aus dem Nebeneinander verschiedener kultureller Vorlieben wird ein eigenständiges Werk erzeugt, das die herkömmliche Theatergeometrie in eine Art Patchwork-Family umbaut. Entsprechend wurde parallel zu einer der Vorstellungen von „Lucky Strike“ im November 2014 der Kongress „Masters of the Universe“ veranstaltet, der als offene Versuchsanordnung nach einem Theater der nächsten Generation fragt und dazu Kinder, Jugendliche, Lehrpersonen und Theaterschaffende gleichermaßen und gleichberechtigt zusammenbringt. Im von Jugendlichen moderierten Gespräch zur Vorstellung von „Lucky Strike“ wird glaub-
haft, dass SKART gemeinsam mit den Kindern nach einem Modell sucht, das einen „eigenen, reflektierten Kunstbegriff der jungen Akteure entwickelt“ und ein „egalitär-emanzipatorisches Theater der nächsten Generation“ hervorbringen kann.1 So ist es dann auch selbstverständlich, dass sich Kinder und Erwachsene darauf verständigt haben, miteinander arbeiten zu wollen, und seitdem als generationsübergreifendes Kollektiv am gemeinsamen Theaterbegriff feilen. Die Revolution frisst ihre Kinder 1:
Ich sehe ein rotes Palästinensertuch. Ein Plastikblumenfeld. Eine Domina im Katzenkostüm, die gebieterisch für ihre Bedürfnisse sorgt. Ein Gewehr, das unter den Sitzen des Publikums hervorgeholt wird. Bert aus der „Sesamstraße“ im military look. Einen Mann, der sich selbst auf Befehl erhängt. Ein Mädchen, das gefallen will. Videoprojektionen, in denen ein poppiges Farbkarussell sich endlos perpetuiert. Masken im zwanghaften Dauergrinsen. Unzählige Plastik-Pumpguns. Demoplakate mit dem idealisierten, selbstverliebten Ich im Konterfei. Nackte Zombie-Performer-Hybride auf der Leinwand, mit großen, gefüllten Shopping-Taschen von Modelabels, die nur dastehen und leicht schwanken. Gewindelte schwarze Kapuzenpullis im Halbdunkel. Ich sehe die Bilder der Revolution, die ihre Kinder gefressen hat.
Die Revolution frisst ihre Kinder 2:
Ich höre Fantasiegeplapper im Manipulationsmodus. Orientalisch klingende Musikbeschallung. Das Hippie-Weltfriedenversprechen „Age of Aquarius“ aus dem Pop-Musical „Hair“ in einer kaum ertragbaren, übereinander ge-layerten, verzerrten playback-live-Situation. Mantras, die das Glück herbeidiktieren. Hans spricht: „Ich bin zu dumm, um glücklich zu sein.“ Die Toten Hosen mit „Wir sind bereit“ in einem Musikvideo, welches eine terroristische Übernahme der Müllabfuhr durch die Performer*innen suggeriert. Hans spricht: „Ich wäre ein guter Konsument, wäre ich zuletzt nicht mit gar nichts zufrieden. Wie kann das sein?“ Eine Aufzählung der Schritte, die es braucht, um den Ex-Lover Justin Bieber umzubringen, weil es Spaß macht. Eine Antwort: “Wenn Justin Bieber zu mir kommen würde, dann würde
1) Vgl. www.kulturstiftung-des-bundes.de/de/projekte/buehne_und_bewegung/detail/masters_of_the_universe.html.
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ich mit ihm shoppen gehen.“ Somewhere over the rainbow … Hans sagt: „Viele glauben, man müsse für seine Ziele leiden. Doch das stimmt nicht. Mein Horizont ist immer blau. Mehr muss er auch gar nicht sein.“ Ich höre das Rauschen der Revolution, die ihre Kinder frisst.
Die Collage als Konzept der MOTU-Künstler*innen reduziert die Kinder und Jugendlichen weder auf Material noch funktionalisiert es sie zu Inhalts- und Bedeutungsträgern für eine übergeordnete inhaltliche Absicht. Die Künstler*innengruppe fordert sich selbst und die Besucher*innen zu neuen Haltungen heraus, indem den Kindern eine eigenständige, kritische Position im ästhetischen Urteilen, inhaltlichen Denken und in inszenatorischen Entscheidungen zugesprochen wird. Sie unterlaufen die Erzählhaltungen der Erwachsenen und spielen ihr eigenes Spiel. MOTU erzeugt durch dieses Aufeinanderprallen unterschiedlicher Sichtweisen auf Wirklichkeiten eine gleichberechtigte Ausdrucksweise der Kinder wie der Erwachsenen und untergräbt in der Konsequenz die Denk- und Geschmackshorizonte theatraler Formvorstellungen. Im Unterschied zu Gob Squads renommierter Inszenierung „Before Your Very Eyes“, in der Kinder auf kluge und geschickte Weise ihre eigene Fantasie von Wirklichkeit aufs Spiel gestellt haben, scheinen die Erwachsenen dort in den moderierenden Hintergrund getreten zu sein, aber dennoch die Synthese von Inhalt und Form autonom verantwortet zu haben. Ihr Engagement gilt der Ermächtigung ihrer Mitspieler*innen, sich das Medium Theater auf ihre Art anzueignen und mit den theatralen Fantasien der MOTU-Urheber*innen zu mischen. Die Vielstimmigkeit der Arbeit ist ein erkennbares Qualitätsmerkmal der Inszenierung und mit etwas Abstand betrachtet stellt sich die Frage nach dem konstitutiven Kern der Gruppe: Wer sind die Autor*innen? Ist es das aktuell arbeitende Ensemble aus Erwachsenen und jungen Menschen? Sind es die Kinder und Jugendlichen, die MOTU erst zu MOTU machen? Die mehrstimmige kollaborative Praxis in „Lucky Strike“ wird im szenischen Ergebnis augenfällig und verblüfft durch den Mut zur radikalen Brüchigkeit. Ein schrilles und schepperndes, feinsinniges und unverkrampftes „Wem gehört die Bühne?“ führt hier zu lustvollen Eroberungsspielen, die partnerschaftlich ausgetragen eine polylogische Ästhetik hervorbringen. Eine, die keinen Besitzer*innen kennt, keinen Autor*innen hat, sondern durch die kritische Begegnung im Zwischenraum aller Beteiligten zuhause ist.
Was würde ich machen, wenn Justin Bieber zu mir zu Besuch kommen würde?
Würde er mir auch einen Antrag machen und würde ich ihn auch heiraten? Würde er mich auch verletzen? Würde ich mich auch scheiden lassen? Würde auch ich ihn töten wollen? Ihn zuerst mit einem Metzgermesserbeil vom Edeka foltern, ihn dann ins Wasser der Edeka-Fischabteilung drücken, ihm danach ein Stich ins Herz geben und mit Fischen ohrfeigen? Würde ich ihm flüssiges Wachs in die Augen tropfen lassen und die dicksten Menschen der Welt auf ihn loslassen? Würde auch ich Alkohol und Benzin über ihn schütten, ihn anzünden und mit Salz und Pfeffer gewürzt aufessen? Seinen Hintern wegschmeißen und das Hirn essen? Ihn davor klonen, damit ich ganz viele Justin Biebers umbringen kann. Und wenn ich dann immer das Gehirn essen würde, könnte ich dann auch alle Sachen, die er kann? Singen? Tanzen? Würde auch ich dann der weibliche Justin Bieber? Ganz glücklich? Hans glücklich?
Eine augenfällige Besonderheit bekommt bei dieser Formation der soziale Akt als künstlerische Praxis. Von Joseph Beuys’ Sozialer Plastik aus argumentierend definieren MOTU seine Position als eine, die mit ihren Antagonisten zu einer selbstkritischen Masse verschmelzen will und auf einer selbstorganisierten, basisdemokratischen Grundlage operiert. Es heißt in Folge: „Genau wie die Akteure von SKART arbeiten die Kinder als Regisseure, Konzeptverantwortliche, Darsteller, Autoren, Bühnenund Kostümbildner, Musiker und Videokünstler in Personalunion. Die Kinder und SKART denken sich gemeinsam Ideen aus, die humorvoll logische Ungereimtheiten produzieren (…) und nie vor der Furcht zurückschrecken, an den eigenen Ansprüchen zu scheitern“, wie es in der Ankündigung von Kampnagel heißt.
Gelingt die Provokation von kollaborativen Spielzügen noch relativ berechenbar in Aktionen, die von einer Subjektposition aus erdacht wurden, stellt die theatrale Bühne ihre eigene Herausforderung an ein kollaborativ agierendes Ensemble. Die Performer*innen müssen nicht nur ihr Bühnengeschehen für Dritte zugänglich machen, sondern auch über den gemeinsamen Weg und dessen Transformation in ein Bühnengeschehen verhandeln, sodass das Hin und Her zwischen Verfahrensweise und Zeigeabsicht spannungsreich und spannungsbereichernd ist. 23
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Freudenfest auf der Hochburg des Subjekts.
Eine glänzende, weiße Hüpfburg ist die Festung des Ensembles. Zu Beginn der Vorstellung kann ich mitverfolgen, wie sie allmählich vom Boden in den Himmel wächst. Die Performer*innen rollen über sie herein in den Spielplatz der Konsumwelt, in weiße Schutzanzüge gehüllt. Verpuppte Würmer, die Blümchen pflanzen und langsam in die bunte Welt der Illusionsmaschinerie Theater eindringen. Sie produzieren und provozieren. Timeout für das sozial intelligible Gesellschaftswesen. Lucky Strike. Bis das Tor zur Welt seine Gespenster wieder in sich aufnimmt, den endlosen Spaß suggeriert. Das Sprungfeld der versammelten Sehnsüchte, auf dem das Subjekt unter den Schichten aus schriller Musik und buntgrellen Videos seiner Bestimmung erliegt. So hell. So blind. So frei. So satt.
Die Kollaboration zum Post-Konsens: Mark Terkessidis formuliert in seiner Abhandlung „Kollaboration“ den Gap, den kollaborative Projekte überwinden müssen, wenn sie die Dimension des Zuschauers berücksichtigen, ohne sich an der „angeblichen Authentizität der Community“ zu laben.2 Seine Schlussfolgerung macht deutlich, dass sich partizipative Projekte für gewöhnlich nicht im Prozess der Kollaboration erschöpfen, sondern die Schnittstelle zwischen Kunst und Kultur zum Problemfeld haben. Hierfür bedarf es einer „ethische(n) Leitidee “. Diese fungiert innerhalb des Prinzips einer kollaborativen Kunst aber „als soziale Praxis, die wiederum als ethische Zielsetzung nicht den Selbstausdruck des Individuums hat, sondern den Ausdruck des jeweils anderen fördert“.3
künstlerischen Projekten in der Regel konzeptionell und im Ergebnis recht schnell anzumerken. Er markiert einen qualitativen Sprung, bei dem die ergebnisoffene Spannung zwischen den Interaktionspartner*innen den Verlauf bestimmt, sodass offene, kontingente Momente einen zentralen Stellenwert einnehmen und umfangreich Raum bekommen können. Wie das aussehen kann, zeigt MOTU am Beispiel von „Lucky Strike“. Sand im Getriebe.
Hans hat Glück. Er ist derjenige, der das ganze Spiel durchschaut. Sich widersetzt, indem er affirmiert. Der die schlüssigen Schritte auf einem Weg kennt, den keiner gehen wollte. Der weitergeht, um zu weit zu gehen. Erkenntnis ist sein Metier, er weiß, was er tut. Wir wissen es nicht. Hans sagt: „Ihr lacht über mich, aber ich strahle. Als leuchtende Fackel eines neuen Glaubens leuchte ich euch den Weg. Ich bin anders. Ich bin die Zukunft. Ich denke gegen den Strom. Ich bin ein Avantgardist. In 100 Jahren wird man sich an mich erinnern, an euch nicht.“
In einer post-konsensuellen Spielart der Kollaboration werden konfliktreiche Freundschaften produktiv gemacht. Nach Markus Miessens Einschätzung kann so eine „mikropolitische Praxis“ zum Tragen kommen, durch die Partizipierende zu aktiven Akteur*innen werden, die darauf bestehen, „Teil in dem jeweiligen Kräftefeld zu sein“.4
In der Konsequenz verdeutlicht sich in dieser „post-konsensuellen Form von Partizipation“ die Differenzen zum von Unschuld charakterisierten „Albtraum Partizipation“.5 Der Wechsel von kooperativen zu kollaborativen Praxen ist den unterschiedlichen
2) Vgl. Mark Terkessidis: „Kollaboration“. Frankfurt 2015, S. 194 f., 3) Vgl. ebd., S. 261., 4) Markus Miessen: „Albtraum Partizipation“. Leipzig 2012, S. 78., 5) Vgl. ebd., S. 80.
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Justin Bieber
ich finde das blöd. wenn ich hans im glück bin, würde ich die villa kaufen. ich würde kochen und im pool sein. ich mache große feste und extreme sachen. ich werde zu rewe gehen. ich würde edeka kaufen. ich würde mich vollfressen bis ich platze. die edeka-mitarbeiter putzen mein haus. justin bieber macht mir nen antrag und wir heiraten. er ist mein diener weil er durch mich wieder in die usa kann. in canada wäre justin bodenständiger. ach ja, der edeka ist in meiner villa. justin bieber verletzt mich. ich würde mich scheiden lassen und den schauspieler vom twilight vampir heiraten. justin bieber ist ein star, er hat mich betrogen. ich würde ihn töten. zuerst foltern. mit einem metzgermesserbeil vom edeka. danach ins wasser der edeka-fischabteilung drücken. waterboarding. danach einen stich ins herz. das blut kommt raus. ohrfeigen mit fischen. flüssiges wachs in die augen tropfen lassen. ich würde den dicksten menschen der welt auf ihn loslassen. somewhere-over-the-rainbow-ukulelemensch. chili über die nase in den mund führen. alkohol und benzin über ihn schütten. danach anzünden. er ist gegrillt und ich esse ihn auf. würzen mit pfeffer und salz. ich esse auch das hirn. aber den hintern schmeiß ich weg. den justin-bieber-hintern ausgestopft an der wand. justin biebers waschbrettbauch als salzleckstein in der küche behalten. ich klone ihn davor und den klon dann nochmal. dann kann ich ganz viele justin biebers umbringen. weils spaß macht. und wenn ich immer das gehirn esse, kann ich dann all die sachen die er auch kann. singen und tanzen. ich werde der weibliche justin bieber. ich werde glücklich sein. ganz glücklich. hans glücklich.
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ZUSAMMEN ScHREITEN Der Kongress „Masters of the Universe“ Katharina Stephan
Es waren einmal fünf Backsteine. Sie hießen Steini, Steina, Steino, Steineke und Steinila. Sie waren schon recht alt und weit in der Welt herumgekommen, bevor sie zu einer Mauer in Hamburg-Winterhude zusammengefügt wurden, die erst zu einer Maschinenfabrik und sehr viel später Teil der Halle K4 von Kampnagel Hamburg werden sollte. Von ihnen wurde nicht viel erwartet, nur dass sie eine Mauer waren und dort blieben, den Raum definierten und seine Grenzen, außerdem Schutz gewährten vor den Widrigkeiten des nordischen Wetters und unvorhergesehenen Eindringlingen. Eine gute Mauer also. Der Putz war schon lange von ihnen abgesprungen und sie sahen tagaus, tagein in einen Raum, in den oft Leute mit modischen Haarschnitten und klugen Brillengestellen kamen, die sich Performances anschauten und mehr oder weniger angeregt diskutierten. Jetzt aber füllte sich dieser zu ihrem Erstaunen mit einer Menge von Menschen, von denen viele eine Körpergröße von 1,50 Meter deutlich unterschritten und die sich auch im Verlauf der folgenden Tage zu keiner klaren Aufteilung organisieren wollten. Kleine Menschen hatten sie zuletzt vor sehr, sehr langer Zeit gesehen, nachdem die Kinderarbeit immer weiter eingeschränkt worden war und man irgendwann nur noch mit mindestens zwölf Jahren in den Fabriken arbeiten durfte. Auch die wenigen Aufführungen, bei denen Kinder anwesend waren, waren diese in Begleitung ihrer Eltern Teil des Publikums und durften an weihnachtlich-künstlerischer Bildung teilhaben. Verzauberte Kinderaugen hatten ihnen da die Herzen gewärmt neben wiederum davon verzauberten Erwachsenen. Jetzt aber: Diskussion, schrille Geräusche, krabbelnde Insekten und egal, in welchen Spiegel man blickte, lange Augenbrauen, Gelächter, Streit. „Ein siebenjähriges Kind im Katzenkostüm kommt doch nicht auf die Idee, einen Erwachsenen zu erhängen. Das ist doch Instrumentalisierung!“ aus: „Kollektive Verfassung“, ein Erzählprozessor von Mobile Albania auf dem „Masters of the Universe“-Kongress
Im November 2014 veranstaltete SKART auf Kampnagel drei Tage lang den altersgemischten Kongress „Masters of the Universe. Für ein Theater der neuen Generation“. Generationenübergreifende Theaterteams aus Hamburg, ganz Deutschland und der Welt stellten ihre Arbeit und ihre Visionen vor und luden ein zum Nachfragen und Austauschen. Der Kongress war Teil der Doppelpass-Kooperation von Kampnagel und SKART. Im Zuge dessen entstand die Gruppe Masters of the Universe aus SKART und Kindern der Neuen Schule Hamburg. Allein der Ansatz von generationenübergreifendem Theater ist eine Herausforderung der Institution Theater, das gilt auch für die Häuser, die sich weniger über Sparten definieren. Ein altersgemischter Kongress über generationenübergreifendes Theater legt die Latte noch einmal ein ganzes Stück höher. Wie kann dabei mehr herauskommen als wohlmeinendes Mittelmaß oder Symbolpolitik? Die Kleinen in den Kindergarten, Erwachsene auf die Arbeit, Alte ins Seniorenheim – und für die Kunst: Kinder ins Weihnachtsmärchen. Performancekunst für Kinder – nicht angemessen. Austausch über Möglichkeiten von Theater? Nur für Eingeweihte. Theater, das mehr als eine vermutete Intelligenzstufe anspricht und trotzdem anspruchsvoll ist? Kaum zu erwarten. Wir sind so viele alltägliche Trennungen gewöhnt, dass es uns überrumpelt, wenn sich Kinder und Jugendliche auf einmal außerhalb von Schulbelangen selbstverständlich und selbstbewusst für die Klimapolitik engagieren oder in Spanien fünf Millionen Frauen für einen Tag in den Generalstreik treten.
Trotz langjähriger Arbeit in diesem Bereich bin auch ich auf dem Kongress überrumpelt. Ich erlebe die Veranstaltung vorwiegend im Innenraum unserer Jurte aus abgelegten Wahlplakaten. Hier können die Besucher*innen ihre Eindrücke in Bildern, Zeich29
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nungen, Kritzeleien fixieren, die in einer riesigen Projektionsmaschine Bausteine eines unendlichen Erzählrituals werden, das die einzelnen Bilder immer wieder umdeutet und neu zusammengefügt. Und ich bin überwältigt von der Menge an Perspektiven und der Diversität der Besucher*innen, die bei uns ein und aus gehen. Eine Vielfalt, wie sie mir im Theater nur selten begegnet: Kleinkinder, Kindergartenkinder, Kinder aus Regelschulen und demokratischen Schulen, Vertreter*innen der Theaterpädagogik von Stadttheatern, freier Szene, Festivals, Dramaturg*innen, Kurator*innen, Lehrer*innen verschiedenster Schulformen, Freund*innen, Familienmitglieder, Mitstreiter*innen, Interessierte, Wissenschaftler*innen unterschiedlichster Disziplinen, Studierende, Theaterpublikum, Künstler*innen. Das Besondere dabei aber für mich: Der Kongress versucht nicht, die Unterschiede der Besucher*innen aufzuheben – sondern stellt ihnen großzügige, eigenwillige Räume zur Verfügung, in denen diese aufeinandertreffen können. Die Zielsetzung ist hier weder ein gemeinschaftlicher Einheitsbrei noch ein schnelles Abgreifen von Wissen oder Positionen, sondern ein großes, ineinander schwappendes Nebeneinander, in dem Perspektiven aufeinandertreffen können und Platz für andere Impulse gegeben ist. Über drei Tage können die Teilnehmer*innen des Kongresses Aufführungen sehen und darüber sprechen, Vorträgen zuhören, an diversen Workshops teilnehmen und auch gemeinsam kochen. Alle Belange des Daseins – ob künstlerisch, theoretisch oder lebenspraktisch, ob beim Schneiden von Karotten, bei der Diskussion über ein Stück oder dem Ausloten einer künstlerischen Aussage – werden in verschiedenen Gruppen geteilt. Hier wird miteinander der Versuch gelebt, zu sehen, was passieren kann, wenn man die gewohnten Trennungen verlässt. Dazwischen: Lücken zum Reden, Nachdenken, Kennenlernen, Austauschen in einer aus alten SKART-Bühnenbildern bestehenden Lounge, Essen, Verweilen in der Jurte. Ein Kaleidoskop, dessen Takt und Fokus frei gewählt werden kann. „Man muss hier nichts tun, damit überhaupt erst etwas passiert, aber man kann jederzeit mitmachen“, sagt uns eine Besucherin in der Jurte.
Das Programm ist bestimmt von einer inhaltlichen und sinnlichen Vielfalt in einer unprätentiösen Mischung bekannterer und unbekannter Vortragender, von verschiedensten Ansätzen zwischen Theorie und Praxis, die Impulse geben, einen anderen Blick auf das Thema zu werfen. Die Aufführungen „Lucky Strike“ und „Insekten“ der altersgemischten Teams Masters of the Uni-
verse und Ingo Toben laufen im regulären Abendprogramm vor Kongressteilnehmer*innen und Kampnagel-Publikum. Schüler*innen der Erich-Kästner-Schule leiten die Nachgespräche. Der Raum für Bewegung von Jörg Raab erkundet die postpädagogische Bewegungsphilosophie von Elfriede Pikler-Hengstenberg. Mit den Hamburger Kochaktivist*innen von Le Sabot kann gekocht werden. Das Buch „Stop Teaching!“ von Jan Deck und Patrick Primavesi wird präsentiert, man kann Publikumsforschung mit Antje Pfundtner betreiben, Sybille Peters vom Hamburger FUNDUS THEATER stellt ihre Forschungsarbeit zwischen Kindheit, Kunst und Wissenschaft vor. Die altersgemischte kanadische Gruppe Mammalian Diving Reflex schafft eigenwillige Situationen, in denen sie ihre langjährigen Erfahrungen zwischen den Generationen zuspitzt. In der „Konferenz der wesentlichen Dinge“ von Pulk Fiktion kann man Vorstellungen von familiären und gesellschaftlichen Regelwerken und Verantwortung neu denken. Und in „Bee Treasure“ von Barbara Schmidt-Rohr von der Tanzinitiative Hamburg wird man von Kindern entführt und untersucht in einem Blind Walk gemeinsam die Umgebung. Irgendwann waren vier der Steine vor Erschöpfung fast eingeschlafen. Nur Steinila war noch wach und unruhig. Plötzlich verkündete sie: „Ich bin inspiriert! Ich würde diese Mauer gerne für eine Weile verlassen.“ Verschlafen riefen die anderen: „Tu das nicht, dann können wir uns nicht so gut und fest zusammenhalten. Vielleicht werden wir umgeworfen oder das Dach fällt uns allen auf den Kopf.“ „Kann sein, aber diese Risiken müssen wir heute in Kauf nehmen.“ Auf ihrem Weg sammelte sie noch eine genmanipulierte Spinne ein, die das Treiben ebenfalls aus einem Winkel des Raumes beobachtet hatte, rief „Tschüss, bis bald“ und warf sich ins Getümmel. Vor ihr wurde gerade darüber diskutiert, ob sich irgendeiner der erwachsenen Besucher von einem Kind die Haare abschneiden lassen würde – eine Erfahrung, welche die jungen Performer*innen der Gruppe Mammalian Diving Reflex schließlich schon oft andersherum erfahren hatten und gerne ermöglichen wollten. Viele der Befragten schreckten zurück, ein Vater überlegte, fand den Gedanken radikal und legitim und hatte fünf Minuten später eine Glatze. Steinila bekam aus den übriggebliebenen Haaren ein paar Augenbrauen aufgeklebt. Neben ihr fragte eine Jugendliche: „Warum ist man eigentlich mit achtzehn mündig? Von einem Tag auf den anderen gesellschaftliche Verantwortung, vorher nichts? Ich finde das total merkwürdig.“
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Strukturelle Ausschlüsse
Die meisten unserer gesellschaftlichen Räume sind so definiert, dass in ihnen nichts stattfindet, was außerhalb der für sie vorgesehenen Nutzung liegt. Das trifft überwiegend auch auf Kongresse und Theater als Orte des wissenschaftlichen und künstlerischen Austauschs zu. Beides sind – trotz und vielleicht auch wegen höchster Ideale – Orte eng getakteter Abläufe und oftmals mit hohen Hürden für eine Teilhabe verbunden. Das erlaubt Konzentration, Effizienz und vermeintliche Höchstleistungen, aber befördert ebenso strukturelle Ausschlüsse und eine Untermauerung des gesellschaftlichen Status quo. Es ist schwer zu ahnen, wie so etwas anders gehen kann. Der Kongress gibt dafür in erster Linie ein Spielfeld. In der knappen Eröffnung, die keine fünf Minuten dauert, gibt es eine wesentliche Ansage: Bemüht euch um eine einfache Sprache. Die Gespräche und Vorträge im Programm sollen für alle verständlich und diskutierbar sein. Also: Verzicht auf akademische Attitüden und andere Beeindruckungsversuche. Auch sonst muss man auf diesem Kongress bereit sein, auf viele Gewohnheiten zu verzichten: Die Gewohnheit, schnell Wissen abzugreifen. Die Gewohnheit, es vor allem mit Eingeweihten zu tun zu haben. Die Gewohnheit, voll fokussiert zu sein und alles vermeintlich Störende auszublenden. Die Gewohnheit, Beiträge von Jüngeren wohlmeinend aufzunehmen, aber innerlich beiseitezulegen. Die Gewohnheit, sich bei Jüngeren anzubiedern. Und die Gewohnheit, zu wissen.
Obgleich es im akademischen Bereich schon viele interessante Versuche gab, Kongresse anders zu denken – ein solch heterogenes Publikum und die Vermischung künstlerischer und theoretischer Praktiken ist mir so noch nie begegnet. Der Kongress geht durch Kopf und Körper, vom Kippeln auf Holzbrettern bis hin zur Diskussion von Konzepten. Das Wesentliche für mich sind dabei aber viel weniger die einzelnen spannenden Inhalte als vielmehr der Vollzug einer Art und Weise – das Bemühen um eine radikale Offenheit. Der spielerisch-künstlerische Rahmen erlaubt dies jenseits klassischer Rhetorik. Dass sich in relativ kurzer Zeit ein erstaunlich unverkrampfter, vibrierender Modus einstellt, hat für mich mit einer fundamentalen Setzung zu tun. Was hier passiert, will kein Symbol für etwas sein. Es soll keine Vielheit dargestellt, sondern vollzogen, ausprobiert, durch32
kreuzt, erfunden werden. Verschiedene Geschwindigkeiten prallen aufeinander, alle müssen sich hier auf irgendetwas Ungewohntes einlassen. Wann traut man sich wirklich, nicht schlau zu sein, sondern erstmal nur offen? Zeit zu haben? Sich ernsthaft für ein Gegenüber zu interessieren? Es rüttelt, es reibt, es gibt Pausen. Man muss sich viel Zeit nehmen und unerprobte Formen von Geduld entwickeln, um sich auf diesen wuseligen Modus einzulassen und dabei nichts Konkretes erreichen zu wollen. Obgleich zweieinhalb Tage dafür eine unglaublich kurze Zeitspanne sind, lässt der freie Rhythmus sie wesentlich länger erscheinen. Die eigentliche Erkenntnis stellt sich in der Art und Weise des Zusammenseins ein – in den oft eher unspektakulären Momenten. Sei es, wenn zwei zehnjährige Kinder in der Jurte über mehrere Stunden Besucher*innen mit ihren Erzählkünsten bannen oder wenn sich in einer Ecke zwischen einer Dreizehnjährigen und einem älteren Besucher eine Diskussion über alternative Theaterformen entspinnt.
Und ja – natürlich: Wenn in unserer Jurte zu lange über radioaktive Spinnen und Menschen mit Superkräften erzählt wird, neige auch ich innerlich immer mal wieder zum Aussteigen – ebenso wenn Erwachsene versuchen, durch ein vermeintlich besonders kindliches Erzählen zu beeindrucken. Doch in der Mischung entstehen Wendungen, Gedanken, Fragmente, die weit darüber hinausweisen und bewusst machen, wie wenig offen man eigentlich ist oder wie sehr gewöhnt, zu schnell zu sein, zu kategorisieren, abzuhaken. Dankbarerweise ist dies auch Bestandteil der einzelnen Workshops und Formate – sie laden ein zu Situationen, aber machen sich nicht selbst zu Experten. Man bekommt das Gefühl, dass hier eher das Nicht-Bescheid-Wissen an erster Stelle steht, das Teilen von Fragen, Inspirationen, Unsicherheiten. Denn für diese Form des generationenübergreifenden Austauschs erscheinen die meisten Besucher*innen und Teilnehmenden bei aller Offenheit ungelenk, haben dafür allenfalls rudimentäre, unerprobte, unausgefeilte Formen, Vokabular und Fingerspitzengefühl. Doch es entsteht eine Ahnung, welches Potenzial jenseits der gewohnten Trennungen liegt. Und welche Notwendigkeit. Die genmanipulierte Spinne erhitzte mit ihren grün leuchtenden Augen das bereits ziemlich kalte Spülwasser in der Lounge und machte sich mit Steinila an den Abwasch. Penibel entfernte sie die trüben Gemüsereste und produzierte nebenbei noch etwas
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Kaviar für den Nachtisch. „Wie machst du das?“, fragte Steinila ungläubig. „Ich habe eine große Vorstellungskraft“, entgegnete die Spinne. Plötzlich laute Stimmen am Nebentisch: „Aber was bedeutet das für die Theorie?“ Etwas geblendet von einer Skulptur aus Tageslichtlampen erkannten die beiden schemenhaft eine Gruppe junger Leute. Studierende der Theaterpädagogik in hitziger Debatte. „Ich frage mich, wie stark es die Arbeitsweise beeinflusst, wenn man für altersübergreifendes Publikum produziert. Das kann man doch beim Arbeiten nicht ausblenden, für wen man das macht.“ „Also, ich glaube, da muss ein grundsätzlicher Modus angepasst werden. So, wie Sibylle Peters jetzt ihre Forschung erklärt hat, haben es vermutlich die meisten verstanden. Sie hat was Komplexes einfach gemacht, ohne dass es dumm rüberkam. Das fand ich bemerkenswert.“ „Aber ich glaube, für die Kunst geht es doch erst mal nicht ums Verstehen.“ „Aber trotzdem gibt es da auch Einfaches und Komplexes. Und wenn das gut zusammenkommt, ist es auch vielleicht gute Kunst?“ Steinila schaltete sich ein: „Meint ihr denn, die haben beim Machen auch an uns gedacht, die Spinne und den Stein?“
Wen sprechen wir an und wen vergessen wir dabei? „Wie die SKARTs vor zwei Jahren mit der Idee kamen, generationenübergreifendes Theater zu machen, Kinder und Jugendliche spielen für Kinder, Jugendliche, erwachsene Menschen, einfach für alle, habe ich gesagt, ich glaube nicht, dass das geht. Wie soll das funktionieren? Wie wollt ihr die Zielgruppe finden, wie wollt ihr das bewerben? Ich dachte eigentlich, das funktioniert nicht.“ Amelie Deuflhard, Kongresseröffnung
Theater müssen mit Zielgruppen arbeiten. Leute erreichen, Tickets verkaufen – auch Förderungen für Theaterproduktionen funktionieren vielfach in dieser Logik. Wer wird angesprochen, für wen ist es verständlich, wem nützt es etwas? Zielgruppen erlauben natürlich eine großartige Vorkonfiguration und stellen etwas sicherer, dass das, was gezeigt wird, das Publikum auch anspricht. Und sie stammen aus dem Marketing, das versucht, ohne Reibung die meisten Abnehmer*innen für etwas zu finden. Reibung bedeutet meist Zeitverlust und damit Gewinneinbußen. Formate, die diese etablierten Praktiken durchkreuzen, sind selten. Marketing hat unter anderem die Zielgruppe „Kinder“ wesentlich mitgestaltet und abgegrenzt und dabei auch ästhetische Standards gesetzt, die sicherstellen, dass die entsprechenden Produkte möglichst ausschließlich von dieser Zielgruppe konsumiert werden. Bunt, dekoriert, niedlich, mit Tieren, verständlich, witzig, einfach, überzeichnet oder miniaturisiert, wertvoll, belehrend, blau oder rosa, um nur ein paar „kindgerechte“ Attribute zu nennen. Damit hat sich bei Jung und Alt über Jahrzehnte die Erwartungshaltung eingeschrieben, dass das, was nicht für Kinder entworfen wurde, auch nicht für Kinder sein kann.
Der Bereich der Kulturproduktion arbeitet maßgeblich mit der Definition einzelner Gruppen, die sich aus verschiedenen demografischen Merkmalen ergeben. Publikum im ländlichen Raum, Kinder, Senior*innen, „Bürger*innen“, Menschen mit Migrationshintergrund oder „Bildungsferne“. Viel davon beruht auf „Maßnahmen“ – und einem pädagogischen Verständnis, das von oben nach unten denkt. Auch wenn ich selbst oft mit diesen Kategorien arbeiten muss oder entsprechende Förderungen erhalte, hat diese Struktur einen schalen Beigeschmack, etwas Entmündigendes, weil es die jeweiligen Gruppen benennt, trennt,
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segregiert. Und das ist selten eine Trennung, die durch die jeweilig identifizierte Gruppe vollzogen wird, sondern eine, die primär von außen erfolgt. Neben einer immer stärker ausdifferenzierten Identitätspolitik und gleichzeitig vielen offenen Fragen in der Ermächtigung von strukturell Benachteiligten ist für mich aber immer wieder die Frage, wo es gelingt, nicht nur über Abgrenzung und Bestätigung weiterzukommen, sondern über Konfrontation und Begegnung. Wie weit verbreitet ist es z. B. gerade auch im künstlerischen Bereich, ein Publikum im ländlichen Raum zu unterschätzen oder einseitig zu kategorisieren? Wie lange war das „Kindertheater“ ein Bereich, den man in künstlerischen Kreisen weitläufig mied? Wie kann man in der Kunst die ständige Wiederholung der existierenden Trennungen durchbrechen? Und damit auch andere Vorstellungen davon schaffen, was gesellschaftlich möglich sein könnte?
Die gesellschaftlichen Trennungen in Bezug auf das Alter sind weit von zeitgemäßen Lösungen entfernt. Menschen isolieren sich zunehmend innerhalb ihrer eigenen Altersgruppe, man ist an den vorgesehenen gesellschaftlichen Stationen weitestgehend unter seinesgleichen. Das hat nicht nur Konsequenzen für die Parteienlandschaft und den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern auch für die Vorstellungen davon, wie ein Zusammenleben zwischen den Generationen jenseits etablierter Familienstrukturen überhaupt gedacht werden kann. Vielfach kommt das Modell Familie – auch aufgrund steigender Mobilität und dadurch noch verschärfter Alterssegregation – an seine Grenzen, weil kaum Alternativmodelle die Begegnung zwischen Älteren und Jüngeren ermöglichen und diese bislang politisch auch überhaupt nicht gewünscht sind. Wie geht man um mit der Einsamkeit der Ältesten oder dem Managen der Jüngsten, wie findet man Lösungen für das Sorgeoder das Erbrecht, wenn nicht das Modell Familie im Zentrum steht? Für wen außer uns selbst wollen wir Verantwortung übernehmen? Oder überhaupt erstmal in der Lage sein, diese zu empfinden? Wo können künstlerische Experimente in diese Richtung spekulieren? Anders produzieren, andere Sprachen entwickeln, die sich gegen strukturelle Ausschlüsse richten? Wie können wir Kunstformen denken, in denen wir nicht unfreiwillig Zielgruppen ausstellen, belehren, benutzen? Wie können wir strukturelle Öffnungen schaffen jenseits von Beteiligungssymbolik?
trauen, offen zu suchen, und nicht nur ihre eigenen Lebenswelten bestätigen. Im Fall von Masters of the Universe hat die Förderung der Bundeskulturstiftung überhaupt erst diese Querwüchsigkeit ermöglicht.
Seit dem Kongress gibt es in dieser Richtung einige Entwicklungen: Zu nennen ist unter anderem die Programmreihe GenerationISM auf Kampnagel, die Arbeiten mit Kindern für erwachsenes Publikum präsentiert, und das darauffolgende „Dangerous Minds“-Festival für transgenerationelle Öffentlichkeiten, das im Kongress gesetzte Impulse aufgreift und so auch eine Kontinuität für die Auseinandersetzung innerhalb der Stadt schafft. Ebenso der Ansatz des Mousonturms Frankfurt, „All in – Theater von allen für alle!“, bei dem große Teile des Programms explizit für Kinder und Jugendliche aller Altersstufen geöffnet und andere Formen der Kunstvermittlung getestet werden.
Die große Beteiligung am Kongress hat auf jeden Fall schon 2014 die Befürchtung widerlegt, dass sich für derlei Ansätze keine Interessierten finden. Allen Beteiligten wurde zugetraut, in Konfrontation und Selbstorganisation miteinander Ungekanntes herauszufinden, Erwartungen aufzugeben. Das war sicher nicht für alle eine einfache Angelegenheit, bei der man anschließend wusste, wie man das macht mit diesem altersgemischten Theater. Es hat zu Überforderung geführt, aber auch zu einer Ahnung von eigenen Möglichkeiten und der Verantwortungen jenseits heutzutage auch im kulturellen Bereich allseits beliebter Tools. Der Kongress wollte kein Wissen vermitteln, sondern hat alle in vibrierende Räume geworfen. Es war ein Kongress im Wortsinn – ein „Zusammen-Schreiten“ in unterschiedlichen Geschwindigkeiten aus weit entfernten Richtungen – aufeinander zu und von dort aus hoffentlich in viele neue.
Erschöpft sitzt Steinila mit den Masters of the Universe in der Jurte, die inzwischen auch alle lange Augenbrauen tragen und wirken, als seien sie weitläufig miteinander verwandt. Müdigkeit und Erleichterung machen sich breit. „Ganz ehrlich: Das hätte auch ganz schön in die Hose gehen können.“
Für andere Formen braucht es vor allem Zeit. Zeit für Umwege, für konsequent offenes Suchen. Für Künstler*innen, die sich
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dIE wIRKMAcHT dES MOTU-KOSMOS Besuch im „Schlaraffenland“ Barbara Schmidt-Rohr Die Wissenden
Mein erstes Erlebnis mit Masters of the Universe (MOTU) fand im Oktober 2014 in Hamburg auf Kampnagel statt. Ich saß im Publikum, ein Stück namens „Lucky Strike“ nahm seinen Lauf. Neben mir zwei kichernde Teenager im Alter von elf Jahren, wahrscheinlich waren sie Freund*innen der Kinder auf der Bühne. Genau war das für mich nicht auszumachen. Sie kommentierten fachkundig das Geschehen und die Kostüme, die wirklich ziemlich speziell waren. Ich fühlte mich außen vor, irritiert und vor allem: nicht eingeweiht. Ich dachte: „Hier passiert gerade etwas Außergewöhnliches.“ Für gewöhnlich sind die Wissenden in den Kindertheaterkontexten die Erwachsenen: die Theatermacher*innen, die Theaterpädagog*innen und die Darsteller*innen auf der Bühne. Die Nichteingeweihten sind die zuschauenden Kinder, die an die Welt des Theaters herangeführt werden sollen, damit sie eines Tages auch zu den Wissenden gehören. Dabei werden die Themen altersgerecht gewählt, pädagogisch bearbeitet und entsprechend präsentiert. Alle Beteiligten bewegen sich in gewohnten Bahnen, in Systemen der sozialen Zuordnung und in Beziehungsgeflechten, die sie aus ihrem Alltag kennen.
In Kinderstücken, die darauf abzielen, die Magie des Theaters in den Mittelpunkt zu stellen, kann diese Zuordnung auch mal bröckeln, die Erwachsenen im Publikum können zum Kind werden und das Staunen, den „Theater Beginner‘s Mind“ erfahren. Das Staunen im Theater ist beliebt, darauf haben sich viele Theaterschaffende und Zuschauer*innen geeinigt. Wir leben in einer Gesellschaft, in der kindliches Fühlen und Denken für Erwachsene hochattraktiv ist: Die Sehnsucht nach dem „Zurück“ in einen Zustand der Sorglosigkeit und der Unmittelbarkeit ist groß.
Dieser Zustand mit großen Augen und offenem Mund ist aber nicht sonderlich geeignet, um grundsätzliche Fragen zu stellen.
Oder gar kritische Fragen nach der Art des Blicks auf die Kinder, nach der Art der Projektionen, nach den Wünschen und Erwartungen, die immer mit im Spiel sind, wenn Erwachsene Kinder betrachten. Im Auge der Betrachter*innen
Der Blick auf die Kinder wird eindeutiger, wenn die Kinder nicht mehr im Publikum sitzen, sondern sich auf der Bühne befinden und dort eine gut angeleuchtete Oberfläche anbieten für Erwachsene, die im Dunkeln des Zuschauerraums sitzen.
Die Art des Blicks variiert natürlich, wobei ich an dieser Stelle nicht auf einzelne, aus individuellen Biografien heraus entstandene Motive für Projektionen eingehen kann. Auch nicht jeder Blick ist per se eine Projektion. Er kann auch aus einer distanzierten, wertfreien und beobachtenden Haltung heraus entstehen, die aber Erwachsenen, wenn sie auf Kinder blicken, immer schwerfällt. Eine Gemengelage aus Bindungen, Abhängigkeiten und entanglement verstellt die Sicht. Die größten Unterschiede ergeben sich aus den Lebenssituationen der Betrachter*innen. Alter, Elternschaft oder Großelternschaft, im Laufe eines Lebens verändern sich selbstredend die Perspektiven. Ich bin inzwischen Mutter eines erwachsenen Sohns und beobachte Kinder und Jugendliche unvoreingenommener, als ich das zu Zeiten meines aktiven Mutterseins getan habe, in denen ich Verantwortung übernehmen musste und in andere Abhängigkeiten eingebunden war.
Der Blick zurück
In meinen Performanceprojekten, in denen ich gemeinsam mit Kindern versuche, die üblichen Theaterverabredungen zu un39
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terlaufen, habe ich mehrmals folgende Situation erlebt: Familienmitglieder der Kinder, die auf der Bühne zu sehen waren – meist sind es Frauen –, kommen nach der Vorstellung zu mir, in einem Zustand, der zwischen positiver Verwunderung, Irritation und Auflösung changiert, und erzählen mir, dass sie ihr Kind nicht wiedererkannt hätten.
Da wir nicht mit Rollen, Körper-Morphing oder Kostümen agieren, geht es um etwas anderes. Das „Nichterkennen“ entsteht durch einen anderen, für die Mutter fremden Blick des Kindes auf sie selbst. In der Performance-Situation ist das Kind nicht mehr die vertraute Person, die Gefühle und Erwartungen genauso zurückspielt, wie die Mutter es gewöhnt ist. Der Blick des Kindes zurück auf sie, lässt ihre vertrauten Projektionen nicht zu, denn auf der Bühne ist das Kind in einer Situation, in der es sich autonom, unabhängig von ihr erleben kann.
Unabhängig von einer speziellen Vertrautheit mit dem Kind oder dem Alter der Betrachtenden gibt es in meinen Gesprächen mit dem erwachsenen Publikum einige wiederkehrende Motive, die die Kinder, aufgrund ihres bloßen Kindseins auf der Bühne für die Betrachter*innen zurückspiegeln: das Authentische, das Unverfälschte, das Unverbrauchte, das Verspielte, das Kreative, das Wertvolle, das Wahre, das Echte, das Singuläre. Gerade in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wird durch solcherlei Projektionen und den daraus resultierenden Erwartungen an die Stücke, in denen die Kinder zu sehen sind, eine zutiefst klischeebeladene Begrifflichkeit von darstellender Kunst zementiert.
Aber es gibt Hoffnung: Wenn erwachsene Profis mit Kindern auf Augenhöhe arbeiten, bekommen die Kinder die Möglichkeit, eine Autonomie herzustellen, die sie von den Projektionen auf sie unabhängig macht. Durch welche künstlerischen Strategien dies geschieht, ist dabei nicht entscheidend, sondern die Demokratisierung der Beziehungen im Team ist der Schlüssel. Mit Demokratisierung meine ich eine soziale Praxis, in der jedes Mitglied gleichwertig seine Expertise einbringt und in gegenseitigem Respekt ein gemeinsames Ganzes herstellt wird. Kinder und Jugendliche haben einen sehr genauen Sensor für die Gestalt von Beziehungsgeflechten und die „Mission“, den Auftrag einer Gruppe. Denn darin sind sie Expert*innen, sie bewegen sich ständig in Gruppen: Familie, Schule, Freizeit. In den Gruppen, in die Erwachsene involviert sind, ist die Mission größtenteils pädagogisch motiviert.
Eine soziale Praxis, in der sie von Erwachsenen als gleichwertige Mitglieder und Expert*innen einer Gruppe akzeptiert werden, in der der Auftrag lautet: Wir machen hier gemeinsam Theaterkunst ohne pädagogische Absichten, ist radikal anders. Alle Kinder, mit denen ich bisher gearbeitet habe, waren von der ersten Minute an begeistert und erleichtert. Befreit von der Bürde, Erwartungen erfüllen zu müssen, die in anderen Systemen ständig an sie herangetragen werden. Ein Ziel dieser Praxis ist es, den Kindern zu ermöglichen, aus einer Position der Autonomie heraus zu agieren. Dann können sie sich auf der Bühne den gängigen Projektionen entziehen, sie müssen sie nicht zurückspiegeln, und im besten Falle können sie diese sogar sichtbar machen. Doch nun zurück zu MOTU, deren Arbeiten sehr weit entfernt davon sind, die Projektions-Klischees bedienen zu wollen: Ich bin inzwischen ein großer Fan und befinde mich zu ihrem nächsten Stück, nur ein halbes Jahr später, wieder auf Kampnagel, das den vielversprechenden Titel trägt: „Schlaraffenland“. Alterslos jung
Obwohl auf Ungewöhnliches vorbereitet und als Fachfrau im Publikum, kann ich nicht umhin, eine wissende Haltung einzunehmen. Aber genauso wie bei meinem ersten Besuch des MOTUKosmos habe ich keine Ahnung, was auf mich zukommt, und die gespannte Stimmung im Publikum tut ihr übriges. Alle möglichen Wissensstände haben sich hier versammelt, die Eingeweihten und Uneingeweihten können nicht anhand ihres Lebensalters voneinander unterschieden werden. Einen abgesicherten Platz im Dunkeln gibt es auch nicht, das Publikum steht und bewegt sich im offenen Theaterraum. Die beiden erwachsenen SKART-Männer, Mark Schröppel und Philipp Karau, die Initiatoren und Betreiber des MOTU-Labels, haben sehr bewusst eine neugierige, beobachtende Haltung eingenommen, die es ihnen ermöglicht, sich über gängige Konventionen hinwegzusetzen. Sie sind das Gegenteil von Mutti oder altersgerecht auf die Kinder zugeschnittener Pädagogik. Sie haben Kinder und Jugendliche für das MOTU-Kollektiv gefunden, die in Hamburg auf eine demokratische Schule gehen, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Selbstermächtigung ihrer Schüler zu fördern, anstatt sie zu entmündigen. Was leider an vielen anderen Schulen – meist ungewollt, aber sys41
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temisch bedingt – Teil des Schulalltags ist. Das MOTU-Kollektiv, das sich erst beim Schlussapplaus von „Schlaraffenland“ dem Publikum gemeinsam präsentiert, ist insgesamt jung, die Palette reicht von geschätzt Acht- bis geschätzt 35-Jährigen. Aber außer aufgrund der Körpergröße – und auch die täuscht – ist kaum ein Altersunterschied auszumachen. Alle in diesem Kollektiv wirken so, als ob sie alterslos kindlich oder jugendlich geblieben wären.
Unbestimmbares Alter, das ist auch mein erster Eindruck in der ersten Szene von „Schlaraffenland“: Da steht ein Kind bewegungslos, erhöht auf einem mit bunter Grafik beleuchteten Podest, ein anderes sitzt daneben und dreht mit den Fingern eine Schallplatte wie ein 80er-Jahre-DJ hin und her. Die Musik aus den Lautsprechern, lautes, schepperndes, altertümliches Jahrmarktsgedudel, wird durch das Drehen im zu schnellen Tempo einer Micky Maus und dann wieder zu langsam abgespielt. Die Kinder tragen ihre Körper verhüllende, zu große bunte Anzüge und metallische Masken, die an eine venezianische Karnevalsästhetik erinnern. Sie könnten acht oder auch schon fünfzehn Jahre als sein; ihre Körper, die angehalten und statisch-figurativ bleiben, wie in sehr vielen Momenten des Stücks, geben kaum Hinweise auf ein konkretes Alter.
Das Publikum bekommt noch vieles andere in dieser ersten Szene zu sehen, ein wahres Kuriositätenpanoptikum tut sich auf: Im atmosphärisch düsteren, wie eine Achterbahn inszenierten Bühnenraum befinden sich weitere Podeste mit verschiedenen bizarren Aufbauten. Auf einem steht eine umgedrehte Hüpfburg aus Plastik, die aussieht wie der Eingang zu einem antiken Tempel. Darauf eine Videoprojektion, eine grotesk anmutende Illustration, ein sich drehendes Karussell mit dicken, nackten Figuren, die Einkaufstaschen mit Aufschriften wie Zara oder C&A tragen und über deren Köpfe weitere Tüten gestülpt sind. Darauf sind – collagenhaft ausgeschnitten – andere Gesichter (vielleicht die der Darsteller*innen?) geklebt. Auf einem anderen Podest steht ein blau beleuchtetes, ätherisch schimmerndes Dixi-Toilettenhaus. Daneben gibt es eine Art Kettenkarussell mit unbewegten aneinander geketteten Körpern. (Sind es Erwachsene? Kinder?) Und zwischen den Podesten sind großflächige Videoscreens zu sehen, auf denen in schneller Abfolge Nahaufnahmen von Essenszubereitung zu sehen sind. Merkwürdig unangenehme Bilder, die einem sogleich den Appetit verderben.
Der goldene Spiegel
Die Art der Inszenierung macht es mir als Zuschauerin schwer, eine Kinderprojektionskiste aufzumachen. Denn sind das überhaupt Kinder? Doch – das kann ich erkennen. Aber meinen Blick auf sie erschweren die Masken, die sie tragen, ein silberner Mond und eine goldene Sonne, die ihre Gesichter verdecken. Dann verstummt die Musik, aus einem alles anhaltenden Black ertönt eine körperlose Stimme aus dem Off, sie erzählt mir davon, dass sie zusammen mit anderen das Scharaffenland sei. Sie beobachte die Medien und wisse alles über Konsum, Verschwendung, Singularitäten und Vermarktungsstrategien.
Die Stimme wird lebendig, die Beleuchtung geht wieder an und eine kindliche Figur in einem großen hellblauen Anzug und einer goldenen Maske steigt aus der Dixi-Toilette. Ihr einführender Text über die Natur des Schlaraffenlandes macht sie zu einer wilden Mischung aus Marktforscherin, Wellness-Guru und Publikumsdompteuse. Im Hintergrund dazu esoterisch anmutende Konservenmusik. Allein über die Kindlichkeit der Stimme und die Art des Vortrags lässt sich das wahre Alter der Performerin erahnen. Der sehr lange Monolog ist auch sprachlich eine wilde Mischung: eine Vermengung von kindlichen und erwachsenen Metaphern, eine Gleichzeitigkeit der Perspektiven und Haltungen. Die Maske scheint zu sagen: „Gib auf! Deine üblichen Ideen, wie ich sein soll, wie meine Performativität aussehen soll, laufen ins Leere. Ich bin erwachsen und kindlich und das alles gleichzeitig und doch nichts davon.“ Sie steht vor dem Eingang des antiken Hüpfburgtempels erhöht über mir, und ihr Blick zurück auf mich oszilliert in alle Richtungen. Ich bekomme ihn nicht zu fassen und könnte vielleicht nur mein eigenes Bild darin gespiegelt sehen, wenn ich denn näher herankommen würde.
Im weiteren Verlauf des Stücks lassen nur wenige Performer*innen in seltenen Momenten die Maske fallen. So bleibt durch die Masken, die verhüllenden Anzüge und die reduzierten Bewegungen vieles im Verborgenen, was authentische Einblicke versprechen würde, und doch werden andere, meist disparate Motive in den einzelnen Szenen offen gezeigt und verhandelt.
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Schlanksein & Fressen
Bei uns im Schlaraffenland können alle alles essen, so viel sie wollen. Und bleiben trotzdem schlank. Das Fett wird ihnen dann einfach wieder abgesaugt. Und dann wird man damit wieder gefüttert, wegen der Nährstoffe und so. Man ist ja nur glücklich wenn man alles fressen und genießen kann und gleichzeitig schlank und fit bleibt. Lust und Disziplin – alles gleichzeitig, ohne dass es anstrengend wird.
Es gibt auch keine Fahrräder, damit man sich nicht bewegen muss. Es gibt nur Busse in denen es auch Essen gibt. Busse mit gratis Hamburger und Gummibärchen. Fett wird immer und überall abgesaugt: Beim Frisör, im Bus oder auf dem Klo. Die Busse werden angetrieben von Fett. Es riecht nach verbrannten Teenagern mit Pickeln, Bratfett und Eiter. Und das alles macht wieder Hunger auf mehr. Dann will man Eiterwurst im Naturdarm essen. Die sind auch sowieso besser als Saitanwürste, weil die nahrhafter sind.
Ich möchte keine Möhren, keinen Salat, keine Äpfel, keine Bio-Sachen, kein Spinat, keine Demeter Würstchen, keine Bananen essen. Auch keine veganen Kuchen, gar nichts, was vegan ist. Im Schlaraffenland gibt es keine Vegetarier und keine Veganer. Ich hasse Kakao, der sich nicht auflöst. Und Tofuwurst. Es gibt auch keine Säfte mit Roter Beete, keine Sauerkraut-Smothies. Keine Algen-, Seetang- oder Quallenrestaurants.
Aber es gibt eine Disko. Dafür gibt es dann aber eine spezielle Tanzhose mit Gelenken, weil die Leute natürlich zu faul sind zum Tanzen. Und die Hose bewegt dann den Arsch für einen und man kann nur seine Hände noch selber bewegen. Da läuft dann Mozart und Rockmusik und ganz neue Musik, die kann man auch mit der Hose auswählen. Oder öde Schlager. Mit Computergeräuschen. Edelschlager. Weil die so schlagerich sind. Die Leute werden geschlagen und dann kommt die Musik. Schmerzender Tanz ist guter Tanz.
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Kita und Pasolini gleichzeitig
Das Stück geht ohne erkennbare Linie weiter, nach einigen Duetten und Soli, nach Songs über Konsum und Obsessionen und nach vielen Auftritten in fantastischen Kostümen treten zwei Jugendliche, diesmal ohne Maske, wieder aus der Dixi-Toilette. Sie sprechen staksig, wie aufgespult ihren Text, dann verwandeln sie sich zu Ärzten mit Haarnetz, Mundschutz und Kittel und verströmen dabei den Charme einer Schultheateraufführung.
Auf einem weiteren erhöhten Podest, neben der Dixi-Toilette, ist eine kreisrunde Scheibe montiert, die aussieht wie eine Drehbühne. Auf dieser Scheibe knien auf allen Vieren Figuren in merkwürdigen Overalls (sind es Schlafanzüge oder kindliche Superman-Verkleidungen?). Um ihre Hälse sind Ketten geschlungen, die an einer Art Baldachin befestigt sind. Die Konstruktion sieht aus wie ein altertümliches Karussell mit Kutschen oder Pferden. Über dem Karussell schwebt ein großes Banner, auf dem mit Schreibschrift „Kinder-Ketten-Karussell“ geschrieben steht. Ich frage mich, warum es „Kinder“-Ketten-Karussell heißt? Die knienden Figuren sehen aus, als wären sie erwachsen, oder sollen Kinder auf diesen Figuren wie auf einem Karussellpferd reiten?
Die Superman-Figuren fangen an, sich zu bewegen, sie kriechen langsam hintereinander im Kreis, verbunden durch die Ketten um ihre Hälse wird der Baldachin angetrieben. Das menschliche Karussell dreht sich im Klang der scheppernden Jahrmarktsmusik, die diesmal von lautem Notfall-Sirenengeheul unterbrochen wird.
Von den Sirenen alarmiert betreten nun die Arzt-Jugendlichen die Szenerie. Auch an ihnen perlen meine Versuche ab, sie einzuordnen, ihre Körper sind zu flächig ins Bild gestellt und vor allem mit sich selbst beschäftigt. Zudem hält mich die groteske Szene, in düsteres Licht getaucht, in ihrem Bann. Die Karussellfiguren tragen dicke Schläuche, die aus ihren Hintern wachsen, und abermals Masken im Gesicht. Ich denke an frühkindliche anale Doktorspiele, durch die Schläuche fließt das Kacka. Gleichzeitig entstehen durch die Ketten, mit denen die Figuren miteinander verbunden sind, und durch die tiergleiche Haltung auf allen Vieren in Kombination mit den Masken Assoziationen zu BDSM. Einer der Arzt-Jugendlichen verbindet die Schläuche von
den Hintern zu den nächsten Mündern. Am Ende des Kreises werden aus einem Schlauch kleine Pakete herausgeholt und wie beim Kölner Karneval vom Wagen ins Publikum geworfen, scheinbar essbar. Ich sehe nicht was drin ist, ich habe kein Kacka-Paket abbekommen.
Ich frage mich, wer aus diesem Kollektiv sich diese Szene wohl ausgedacht hat. In meiner Vorstellung sind es die Kinder, die Master-Servant-Spiele wohl eher nicht kennen, oder doch? Oder waren es die Erwachsenen? Denn es könnte auch ein Bild aus einem Pasolini-Film sein, „Die 120 Tage von Sodom“. Diese Pasolini-Assoziationen verflüchtigen sich jedoch durch das spielerische Agieren der Arzt-Jugendlichen, das eine andere kindliche Narration über diese Ketten-Karussell-Szene legt. Das ist alles höchst bemerkenswert und gefällt mir sehr, ich hätte mir solcherlei Assoziationen, seien sie auch noch so flüchtig, in einer Theaterinszenierung mit Kindern niemals vorstellen können. Aber im speziellen Kosmos von MOTU ist dies möglich. Durch die kollektive Autorschaft entstehen für das Publikum oszillierende, sich spielerisch in alle Richtungen ausdehnende Assoziationsketten, die auch vor Themen nicht haltmachen, die in traditionellen Kindertheaterkontexten komplett tabubehaftet wären. Happenings
An anderen Stellen gibt es Hinweise auf jugendlichen Anarchismus. Die gesamte Inszenierung atmet auf der Ebene des Sounds, der mit teils unkonventionellen Instrumenten hergestellt wird, eine 60er-Jahre-Kunst-Happening-Atmosphäre, der man die Lust an der Disharmonie und die jugendliche Verweigerung einer übergeordneten Ordnung und Logik anmerkt. Ich fühle mich dann auch an ein Hippie-Happening oder an eine Hommage an die 60er Jahre erinnert, als ich in einem psychoanalytisch eindeutig lesbaren Szenario durch einen engen, schlauchartigen, roten Geburtskanal wandere, an dessen Ende sich hinter einem Vorhang ein klassischer Bühnen- bzw. Zuschauerraum öffnet. Oder ist es einfach die Fantasie eines Kindes, eine höhlenartige Wanderung durch den Anus bis ins Gehirn des Schlaraffenlandes, wie mir erzählt wird? Auch hier frage ich mich, wer wohl dieses Bild entworfen hat und fange an zu verstehen, dass ich darauf keine Antwort bekommen werde. 47
ScHlARAFFENlANd (2015) Highpotentials
An alle Highpotentials und Keyperformer, Globalplayer und Paymentleader, Deepdiver und Innovationdriver. An alle Indoorstepper und Powernapper, alle Urbangardener und Facebookfarmer. An alle Laufbandläufer und Proteindrinktrinker. An alle Insider und Upgrader. An all euch Meilenmillionäre. Macht Sachen. Macht Sachen, an die ihr euch erinnert. Macht, was ihr schon immer wolltet. Macht, was ihr könnt und vor allem, was ihr nicht könnt. Macht das Leben zu einer fetten Party und ladet euch selbst ein. Macht ś nicht kompliziert. Macht ś einfach. Macht euer Leben zur besten Zeit eures Lebens. Macht hinter jeden Tag ein Plus. Ihr wartet auf diesen einen Moment, in dem sich die Tür öffnet, ihr das Lächeln seht und ihr wisst, dass ihr zu Hause seid.
Finanzzwerg Ich bin der kleine Finanzzwerg. Ich bin ganz, ganz klein. Macht was mit meinem Geld. Ich bin der Hedgefondszwerg. Rendite, Rendite, Rendite. Ich bin der kleine Hypothekenzwerg. Sparen, Sparen. Ich bin ganz süß und knuddelig. Außen knusprig, innen schwäbisch. Ich bin der kleine Kreditzwerg. Leasing, Ratenzahlung, Kundendialog, Vorteilspack, Sonderangebot, Gratisaktion. Dispo, Dispo, Dispo. Ich brauche ganz, ganz viel Geld. Ich bin der kleine Investmentzwerg. Paybackkarte, Kreditkarte, Kundenkarte. Dann gibt‘s Pro-Kopfprämien. Riesige Pro-Kopfprämien. Pro-Kopfprämien für alle. 30.000 Milliarden für alle. Gebt mir euer Geld.
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Nachdem ich mich auf die Tribüne gesetzt habe, geht es im neuen Saal weiter. Auf einem mit Plastikfolie bespannten Screen im Bühnenhintergrund steht geschrieben: „Finanz-Haifisch-Becken“. Der Geburtskanal-Vorhang entpuppt sich als Mund, aus dem allmählich das restliche Publikum herausquillt. Die Anzugkinder mit den metallischen Masken verteilen unsere Jacken und Taschen auf der Bühne, die wir vor unserem Raumwechsel abgeben mussten. Während ein Kind langsam einen traurigen „La Strada“-Song (schon wieder ein alter italienischer Film, diesmal von Fellini) auf einem Akkordeon spielt, schwimmen echte FilmHaie im Becken hinten durchs Bild. Dann betritt ein Bankerzwerg die Bühne, der über amoralisches Geldanhäufen spricht. Eine kindliche Märchenfigur, die aber eine erwachsene, ironisch gebrochene Haltung einnimmt – Haifische und Theaternebel mit dabei. Hier wird erkennbar mit den Erwartungen des Publikums gespielt. Ein Kind, das in einer kindlich anmutenden Rolle einen Erwachsenen spielt, der auch ein Kind sein könnte: Die Motive sind so komplex in ihrer Gleichzeitigkeit verzahnt, dass mir Hören und Sehen vergeht.
Und es geht Schlag auf Schlag weiter. Wenn wie beim Gaukler Till Eulenspiegel dem Publikum die Taschen vertauscht und das Geld geklaut wird und am Ende ein überdimensional großer, leuchtender Babykopf als eine Art letzter lacanscher Rest, als Über-Ich am Bühnenhintergrund erscheint, der einen echten roten Ballon aufbläst, bis dieser platzt, dann, aber erst dann wurden alle Theaterregister gezogen. Zusammenbleiben
Es wirkt so, als ob sämtliche Mitglieder des Kollektivs, egal welchen Alters, ihre liebsten Fantasien ausleben konnten in diesem Stück über Konsum, Völlerei und Ethik. Wobei nicht auszuloten ist, von wem welches Puzzleteil, welches Bild und welcher Schnipsel stammt oder wer was an welcher Stelle zusammengefügt hat. Was aber in dieser Montage entsteht, ist ein Nebeneinander unterschiedlicher Ästhetiken, die mich immer neu überraschen, da sie keinerlei Stilmitteldiktat erkennen lassen. Durch die gemeinsame Autorschaft tun sich künstlerische Räume auf, die durchdrungen sind von einem Miteinander in der Praxis, die sich nur in langlebigen demokratisch arbeitenden Gruppen herstellt. Das ist den MOTUs gelungen: das Zusammenzubleiben.
Der Blick, mit dem die Performer*innen auf mich zurückschauen, speist sich in seiner Gesamtheit aus der Sperrigkeit der vielseitig interpretierbaren Figuren und der Vielgestalt der Szenen und Bilder, die kein nachvollziehbares Narrativ herstellen. Durch die ästhetischen Brüche und erzählerischen Sprünge nimmt das Stück mich mit in eine andere Welt, in einen wilden, ungeordneten, träumenden Kosmos. Ich bin gut und schwer beschäftigt, auch deshalb entsteht nicht der kleinste Moment, in dem ich die Gelegenheit hätte, die Kinder-Klischee-Projektionskiste auszupacken.
Bei den Verbeugungen während des Applauses versuche ich ein letztes Mal zu entziffern, wer nun wer und wie alt ist. Ich scheitere erneut an den Masken, an den zu großen Anzügen und Overalls. Und an den Körpern, die sehr ähnlich wirken in ihrer Flächigkeit und der Steifheit der Verbeugungen. Und ich frage mich schließlich auch: Ist das nun Zufall? Oder hat die Gruppe eine gemeinsame Körperpraxis entwickelt, in der körperliche Unterschiede verschwinden? Oder sind sich alle einfach immer ähnlicher, weil sie schon lange zusammen arbeiten? Oder ist es so wie bei dem schon oft zitierten, aber immer noch hochaktuellen Begriff der sozialen Plastik als prozessualem System? Die Plastik ist bei Joseph Beuys der Lehmklumpen, der im Atelier permanent von der Gruppe bearbeitet wird. Die vielen Fingerabdrücke bestimmen die bewegliche Form, die dabei entsteht. Wobei nicht von Bedeutung ist, wer welchen Abdruck hinterlassen hat. Die künstlerische Autonomie, die Autorschaft gehört allen, unabhängig von Alter oder Wissensstand. Das ist es, was die MOTUs in die Welt tragen.
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Ü b E R G R I F F I G E S T H E AT E R : E d U c AT I N G T H E I N ST I T U T I O N Ein Gedankenaustausch zwischen Anna Teuwen und Marcus Droß Marcus Droß _ MOTU ist aus meiner Sicht nicht ohne die grund-
legenden Einflüsse auf die beiden Kulturinstitutionen zu denken, für die wir jeweils aktuell tätig sind: Kampnagel in Hamburg und das Künstlerhaus Mousonturm. Hier in Frankfurt entstand parallel zur Arbeit von MOTU das Label „All in“, in Hamburg das Label „GenerationISM“. Gleichzeitig hat sich das Kollektiv auf eine Weise weiterentwickelt, die immer auch im Widerspruch zu Festschreibungen durch solche Labels stand oder sich ihnen entzogen hat. Wie hast du diesen Prozess beobachtet?
Anna Teuwen _ Den Grundstein für „GenerationISM“ als programmatische Linie auf Kampnagel hat die zweijährige Residenz von SKART gelegt, in deren Folge sich Masters of the Universe gegründet haben. Das war in der Spielzeit 2014/15. Während der Vorbereitung haben wir uns viel darüber ausgetauscht, ob Kinder und Erwachsene gleichberechtigt Theater machen können und ob – da waren wir tatsächlich skeptischer – Theater für ein altersgemischtes Publikum so funktionieren kann, dass sich tatsächlich alle adressiert fühlen. Mittlerweile haben wir über die Jahre tatsächlich ein Publikum aufgebaut, das sich dafür interessiert und das zu schätzen weiß.
MD _ Wie hängen diese emanzipatorischen Strategien, ob ich
nun versuche, mit Kindern gleichberechtigt Theater zu machen oder mir mit ihnen gemeinsam in einem altersgemischten Publikum Theater anschaue, zusammen?
AT _ Im Grunde geht es bei beidem um Augenhöhe. Darum, dass
nicht die Älteren die Jüngeren „kulturell bilden“, sondern beide sich künstlerischen Ausdrucksformen gemeinsam annähern, sich darüber austauschen und von dem Blick des anderen lernen.
MD _ Zu dem Zeitpunkt, als sich MOTU gründeten, gab es schon
sehr erfolgreiche Einzelprojekte oder Reihen von frei produzie-
renden Künstler*innen und Produktionshäusern, an deren Entwicklung Kinder beteiligt waren. Neben Rimini Protokoll, Hofmann&Lindholm oder matthaei & konsorten, die ebenfalls seit Beginn der 2000er Jahre in dem Bereich aktiv sind, hat CAMPO mit der Produktion von Tim Etchells die vorhandenen Impulse gebündelt. „That Night Follows Day“ hat die Frage nach gesellschaftlichen und eben auch künstlerischen Strategien der Bevormundung, Marginalisierung und Instrumentalisierung von Kindern und Jugendlichen auch innerhalb des Theaterbetriebs mit einer Schärfe formuliert, dass zumindest die gesamte westeuropäische Szene in Wallung geriet. Die von Patrick Primavesi und Jan Deck begleitete „Stop Teaching“-Debatte brachte das sehr eindrücklich auf den Punkt.
AT _ Habt ihr selbst „All in“-Projekte entwickelt oder in Auftrag
gegeben?
MD _ „All in“ funktioniert bis heute als Motor und somit als
„Auftraggeber“ für Veränderungen unserer exklusiven oder exkludierenden institutionellen Selbstsicht und Praxis. Neben MOTU und einer langjährigen Kooperation mit dem Theater Artemis gibt es seit 2016 eine Forschungsresidenz, an deren Entwicklung Philipp Karau als Mentor maßgeblich beteiligt war: Zwölf Künstler*innen im und kurz nach dem Studium arbeiten zusammen über ein Jahr hinweg an neuen Konzepten für generationenübergreifende Theaterformen. Viele dieser Konzepte wurden anschließend am Mousonturm produziert. Aktuell haben wir mit Leander Ripchinsky einen Künstler im Dramaturgieteam, der sich – als großer SKART-Fan – gezielt darum kümmert, dass sich diese Impulse substanzieller und auch innerhalb der Institution weiterentwickeln und vernetzen.
AT _ Wir verfolgen mit „GenerationISM“ ganz verschiedene An-
sätze: Künstler*innen, die mit Kindern für ein erwachsenes Pu-
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blikum arbeiten, wie bei den Produktionen von CAMPO in Gent, oder die eher konzeptkunstmäßigen Ansätze, Hierarchien zwischen Erwachsenen und Kindern nicht aufzuheben, sondern umzukehren, wie bei Arbeiten von Mammalian Diving Reflex oder Sibylle Peters am Hamburger FUNDUS Theater/Forschungstheater, oder Versuche, ein und dasselbe Stück verschiedenen Altersgruppen zu präsentieren, wie z. B. von Antje Pfundtner. Der Ansatz der generationenübergreifenden, kollektiven Arbeit von MOTU findet sich vielleicht noch bei der belgischen Company kabinet k, wo die Gruppe der Kinder aber jeweils nur für eine Produktion zusammengestellt wird, ansonsten ist ihr Konzept wohl einzigartig. Das alles sind Mosaiksteine einer generationenübergreifenden Arbeit mit jeweils unterschiedlichen Qualitäten. 2018 haben wir erstmalig mit Sibylle Peters bzw. dem FUNDUS Theater ein gemeinsames Festival ausgerichtet, das die verschiedenen Ansätze zusammenbringt. Ihr habt ja am Künstlerhaus Mousonturm in einem ähnlichen Zeitraum unter dem Label „All in“ Performances für alle Altersgruppen eingeführt.
MD _ Das Problem mit jedem konzeptionellen Label wie „Gene-
rationISM“ oder „All in“ ist es, dass es sich im selben Maß schon als Ergebnis behauptet, in dem es zugleich erst für eine Frage, einen Aufbruch oder eine Forderung steht. Am Mousonturm haben wir damit eine Denk- und Programmrichtung markiert, die gleichermaßen mit der Arbeit von SKART und MOTU verbunden ist und durch sie mit initiiert, eingefordert und zugleich befragt wurde. Im Zentrum stand anfänglich für uns die Frage, warum wir es als Theater eigentlich so selbstverständlich hinnehmen, dass sich kein jüngeres Publikum in den Mousonturm verirrt oder von den Aufführungen und dem, was sonst noch passiert, eingeladen fühlt. Gleichzeitig war uns klar, dass viele der Aufführungen ein junges Publikum interessieren könnten. AT _ Bei den Produktionen, an denen zwar Kinder und Jugend-
liche beteiligt sind, die aber explizit oder zumindest primär – wie insbesondere bei CAMPO – für ein erwachsenes Publikum gedacht sind, muss ja eigentlich auch die Annahme zugrunde liegen, dass hier die Kinder manipulativ inszeniert sind, dass sie etwas ausdrücken, was ihnen selbst nicht bewusst ist, sondern nur von Erwachsenen gelesen werden kann.
MD _ Gerade deswegen sind Kinder und Jugendliche auf der Bühne in all diesen Projekten auf besondere Weise exponiert.
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Was ändert sich konkret durch ihre Anwesenheit?
AT _ Kinder auf der Bühne sind eine Art performative Geheim-
waffe. Es gibt zahlreiche Künstler*innen, die die besondere Qualität kindlicher Präsenz sehr geschickt und auch durchaus manipulativ einsetzen – um etwa bestimmte Bilder und Themen mit einem Gänsehauteffekt zu versehen, z. B. bei „Five Easy Pieces“ von Milo Rau oder bei „Der Hamiltonkomplex“ von Lies Pauwels oder „Paradise Now“ von fABULEUS. Auch die Hamburger Choreografin Barbara Schmidt-Rohr hat eine ganz eigene Art entwickelt, mit Kinder-Performer*innen Tableaus und Situationen zu schaffen – irgendwo zwischen Psychothriller und Science Fiction. Die Geheimwaffe wirkt dann, wenn die Kinder einerseits als Projektionsfläche dienen, andererseits ihre Besonderheiten ausagieren können – besonders eindrücklich z. B. über Blicke oder Berührungen. Meist greift hier eine Regie, die den Kindern keine schauspielerischen Fähigkeiten abverlangt, keine entlarvenden Sprechtexte, sondern sie durch bestimmte festgelegte Strukturen schützt und in ihrer Präsenz einfach wirken lässt. Die Kinder auf der Bühne scheinen dann wiederum die performative Situation zu schützen: Weil sie der Garant für die totale Präsenz zu sein scheinen, wird jede Szene mit Kindern sofort unhinterfragbar in ihrer Echtheit und Direktheit.
MD _ Und welche spezifische Position nimmt die Arbeit von
MOTU in diesem Zusammenhang ein?
AT _ Bei MOTU habe ich diesen Effekt auch beobachtet – tat-
sächlich macht sich die Gruppe dies aber überwiegend nicht zunutze. Es scheint mir eher so, als böte ihre Art und Weise, mit Kindern auf der Bühne zu verfahren, einen Schutzraum, der auch für die erwachsenen Mitglieder von MOTU eine hilfreiche Strategie darstellt. Ich würde die These aufstellen, dass die Erwachsenen von der kindlichen Präsenz lernen und diese für sich performativ adaptieren. Die Haltung hat sich dadurch bei allen Gruppenmitgliedern angeglichen. Die Darsteller*innen stehen nicht für die inhaltlichen Kategorien „Erwachsener“ oder „Kind“ und auf der Bühne agieren keine Erwachsenen oder Kinder als Figuren, diese Rollen existieren nicht. Dennoch gibt es natürlich die Unterschiede, die im Theater immer Zeichen sind und die die Gruppe natürlich auch manipulierend einsetzt. Z. B. um Kontraste zu erzeugen, wenn etwa jemand besonders Kleines etwas besonders Großes unternimmt. Jasmin Taeschner war in „Lucky
Strike“ oder „Exodus“ etwa immer eine gute Besetzung, wenn es um die zerbrechlichen Qualitäten eines jungen Menschen ging, die dann mit ihren Texten stets deutlich kontrastiert wurden – bei „Lucky Strike“, dem ersten Stück, als Jasmin erst sieben Jahre alt war, klein und mit Katzenkostüm, und eine merkwürdige, an Sadomaso erinnernde Szene mit zwei der Erwachsenen spielte. Bei „Sieg über die Sonne“ war Jula Pieper die Kleinste und hat einen Revolutionsmonolog gesprochen. Es geht also immer wieder darum, bestimmte mögliche Zuschreibungen und Klischees nicht einzulösen …
MD _ … oder aber gerade zu übertreiben, wie in „Lucky Strike“,
indem der „Geheimwaffeneffekt“ perfide zugespitzt wird, wenn alle Beteiligten, Kinder wie Erwachsene, mit stark überzeichneten kindlichen Masken, die deutlich an Sexpuppen erinnern, auf der Bühne agieren. Auf diese Weise spiegeln sie dem Publikum die Manipulation und das damit verbundene unausgesprochene Begehren und machen es so zum zentralen Thema. Dieses Motiv ist gleichzeitig eingebunden in eine ganze Palette von Strategien, sich markt- und gesellschaftskonformen Mechanismen zu entziehen.
AT _ Was ist das Potenzial von generationenübergreifendem
Theater, was davon wird speziell bei MOTU eingelöst?
MD _ Offenkundig – und das lässt sich ja schnell idealisieren –
scheint es um eine radikale Erweiterung von Perspektiven auf zentrale gesellschaftliche Fragen zu gehen, die sich durch die Anwesenheit einer jungen Generation in einer Performance vollzieht. MOTU spielen in all ihren Stücken intensiv damit, exklusive und somit repressive Mehrheitsprivilegien einer Welt der Erwachsenen kritisch, zynisch, verzerrend oder anklagend in ihren Performances zu thematisieren, ohne dabei die im Raum anwesenden, sicherlich kritisch eingestellten und politisch ambitionierten Erwachsenen allein deswegen aus der Verantwortung zu entlassen, weil sie sich eine MOTU-Performance ansehen.
AT _ Wie wirkt sich das auf das jüngere Publikum aus? Wie wird
es adressiert?
MD _ Die sehr unterschiedlichen Anliegen, Strategien und Be-
gehren, die mit dem Publikum versammelt sind, sobald Kinder auf der Bühne stehen, wird schnell unübersichtlich und macht
mich immer unruhig. Alle Stücke von MOTU erzeugen gezielt eine Form der thematischen Hermetik, die sich gleichermaßen vom jüngeren wie älteren Publikum abgrenzt, um eindeutige Vereinnahmungen oder Parteinahmen zu verhindern oder zumindest extrem zu verzögern und den Eigensinn der Arbeit zu betonen. Genau diese Unhandlichkeit der Performances, die sich trotz ihrer gesellschaftspolitischen Referenzen einer argumentativen Instrumentalisierung verweigert, muss das jüngere wie ältere MOTU-Publikum erst kennen und schätzen lernen.
AT _ Regelmäßig kreisen dann die Publikumsgespräche um die
Fragen nach Autonomie und Eigenleistung der Kinder – ein Dauerbrenner in allen künstlerischen Produktionen, die Kinder auf herausfordernde Weise einsetzen oder beteiligen, insbesondere bei MOTU. Für viele Erwachsene ist nicht denkbar – oder zumindest wollen sie die Gedanken daran schnellstmöglich loswerden –, dass Kinder von sich aus Themen wie Tod, Missbrauch oder Depression ansprechen, Gewaltfantasien haben oder fundamentale Gesellschaftskritik üben. Bei den MOTU-Gesprächen kommt dann noch hinzu, dass Kindern oft auch Abstraktion oder ästhetisches und assoziatives Denken und Arbeiten jenseits von Narration schlicht abgesprochen wird. Der Text über die „Deathbox“ bei „Exodus“ z. B. war im Grunde die Beschreibung einer tiefen Depression und hatte nach jeder Aufführung kritische Fragen zur Folge. Aber dieser Text ist – wie die anderen auch – ein Kollektivwerk der Gruppe, besonders der Jüngeren, die dafür die Technik des „gemeinsamen assoziativen Textbrainstormings“ anwenden, gegenseitig die Gedanken weiterspinnen und dabei die erstaunlichsten Wege einschlagen.
MD _ SKART hat bereits in den ersten Gesprächen im Hinblick
auf eine längerfristige, schulgebundene Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen klar gemacht, dass es ihnen um eine künstlerischen Allianz und eben nicht um eine modellhafte pädagogische Instrumentalisierung ihrer ästhetischen Positionen geht. Ich muss an die aggressiven Auseinandersetzungen denken, die nach der Aufführung von „Lucky Strike“ im Mousonturm beim „Autorenforum 2015“ vom Kinder- und Jugendtheaterzentrum zwischen MOTU und einer Vielzahl gestandener Vertreter*innen des Theaters für junges Publikum entbrannten: Primär wurde den jüngeren MOTU-Mitgliedern unterstellt, dass es unmöglich sei, dass sie sich eigenmächtig für die Zusammenarbeit entschieden hätten und sie lediglich als Handlanger von 55
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SKART agieren würden. Und SKART wurde vorgeworfen, dass sie die Kinder und Jugendlichen benutzen würden. Wenn ich mir also die Entwicklung dieser Allianz ansehe, so freut mich am meisten die wachsende Gelassenheit im Umgang damit, wie einsam MOTU mit ihrem Modell geblieben sind und dass es eben nicht Schule gemacht hat.
AT _ Tatsächlich lässt sich das auch auf die Rezeption übertra-
gen: Wenn MOTU eine neue Produktion aufführten, haben wir viele Jahre lang automatisiert alle Schulen angeschrieben. MOTU haben sich immer gegen Schulvorstellungen ausgesprochen, und erst ziemlich spät habe ich begriffen, dass MOTU-Arbeiten auch nicht ohne Weiteres für jeden, der jung ist, passend sind. Sie sind, wie viele andere künstlerische Handschriften auch, eine Geschmackssache bzw. etwas, das bestimmte Sehgewohnheiten erfordert – für Jüngere wie für Ältere. Mittlerweile hat MOTU auf Kampnagel ein Publikum, das überwiegend aus Erwachsenen besteht und zu etwa dreißig Prozent aus Kindern und Jugendlichen. Das sind Leute, die sich bewusst für MOTU entschieden haben und zum Teil mit ihnen (auf-)gewachsen sind.
MD _ Genau hier sind sich MOTU und Publikum einig, wenn sie
auf die singulären Qualitäten der Ästhetik sowie der Konstellation und Arbeitsweise bestehen.
AT _ Grundsätzlich ist dem Selbstverständnis von MOTU ent-
sprechend das „Produkt Inszenierung“ nicht von der Beteiligung der Kinder zu trennen – sie entwickeln es gemeinsam, die Kinder sind also nicht nur Teil, sondern auch Ko-Autor*innen bzw. KoRegisseur*innen. Wie das genau vonstatten geht, ist in jedem Publikumsgespräch Thema, nicht nur in Bezug auf die Texte: Wer hat das Thema festgelegt? Wer führt Regie? Wer entscheidet über die Kostüme? Die Antworten darauf sind alles andere als geheimnisvoll – es ist eben so wie in den meisten anderen Theaterkollektiven auch: Über die wichtigsten Dinge (Inhalt, Szenenfolge, Thesen …) wird gemeinsam beraten, und ansonsten kümmert sich jede*r um das, was ihn oder sie am meisten interessiert. Im gemeinsamen Entwickeln entsteht oft eine kollektive Autorschaft, häufig kann man im Nachhinein bestimmte Ideen einzelnen Gruppenmitgliedern gar nicht mehr zuordnen, weil sie im Entstehungsprozess von vielen angereichert und bearbeitet wurden. 58
MD _ Gerade weil es in den Publikumsgesprächen so oft um die-
sen Unglauben an künstlerische Verantwortung der Jüngeren ging, haben sich MOTU für diese Gespräche auch bestimmte Situationen gebaut, um das für alle fruchtbar und angenehm besprechen zu können – denn wenn Erwachsene und Kinder zusammen in einem Raum sind, stellen sich häufig sofort bestimmte Muster ein. Ich erinnere mich z. B. an Gesprächssituationen mit dem Publikum, denen sich SKART – also die Erwachsenen – absichtlich entzogen haben, um einerseits MOTU den argumentativen Vortritt zu überlassen, andererseits aber auch, um in kontroverseren Situationen nicht sofort für MOTU zu sprechen und nicht sofort als Ansprechpartner wahrgenommen zu werden.
AT _ Die Publikumsgespräche sind immer eine fragile Angele-
genheit. Das liegt zum einen sicher an den unterschiedlichen Arten, wie Kinder und Erwachsene auf Fragen reagieren, zum anderen auch an der oben schon genannten Problematik, wer im Raum angeblich was verantwortet, aber auch daran, dass das Gespräch schnell kippen kann, wenn einem interessierten Austausch zu viel Voreingenommenheit oder Missverständnisse im Weg stehen. Dann machen manchmal beide Seiten dicht – oder es bricht ein Streit aus, bei dem es dann gar nicht mehr um die künstlerische Arbeit geht, das ist für alle sehr frustrierend. Der oder die Moderator*in muss darauf eingestellt sein und selbst einen guten Fahrplan verfolgen.
MD _ Meiner Meinung nach stiftet hier der Background der de-
mokratischen Schule gerade bei den Jüngeren ein dezidiertes und differenziertes Wissen von solchen Unterschieden im Hinblick auf Verantwortlichkeiten. Es schürt darüber hinaus ein spezielles Sendungsbewusstsein, das weit über die jeweilige Aufführung hinausreicht, zugleich aber vielmehr als fundamentale Gesellschaftskritik denn als generalisierbares pädagogisches Modell verstanden sein will. Dass Titel und Kontexte des letzten MOTU-Stücks „Sieg über die Sonne“ ausdrücklich auf die russische Avantgarde und damit auch auf deren gesamtgesellschaftliche revolutionäre Visionen verweisen, ist da wenig überraschend – auch wenn oder gerade weil sich die Performance gegen die Nachdrücklichkeit des forschen Titels stemmt.
AT _ Es stimmt: Die Kinder von MOTU betonen in Gesprächen
mit Außenstehenden immer wieder, dass sie die Verantwortung von Erwachsenen nicht brauchen, dass sie auf der Bühne nicht
schutzbedürftig sind und alles selbst einschätzen können. Das sehen natürlich die meisten Kinder so, es gibt da oft einen gewissen kindlichen Größenwahn, ich spreche aus eigener Erfahrung … Ich finde, dass Kinder da nicht immer Recht haben. Bestimmter Druck oder Stress sollte nicht auf den Kindern lasten, der im Prozess mit der Theaterinstitution entstehen kann, mit den Förderern oder vielleicht auch mal mit dem Publikum.
MD _ Aber bietet nicht gerade eine Performance genau die Mög-
lichkeiten, gemeinsam einen Rahmen zu schaffen, in dem tatsächlich alle Beteiligten am Ende eines durchaus auch konfliktreichen Aushandlungs- und Gestaltungsprozesses gleichberechtigt agieren können, auch wenn oder gerade weil das eben nicht notwendigerweise bedeutet, dass alle für alles zuständig sind?
AT _ Es ist eine wichtige Aufgabe für die Erwachsenen, Kindern
die Verantwortung nicht generell abzusprechen, sondern für jede Situation und jedes Alter zu überprüfen, ob und wo Eigenverantwortung übernommen werden kann oder nicht. Das sollten eigentlich alle Menschen im Umgang miteinander so machen. Niemand möchte gern bevormundet werden, aber gemeinsam kann man den notwendigen Erfahrungshorizont und mögliche Risiken besprechen. SKART haben anfangs bei MOTU ihren künstlerischen Erfahrungsvorsprung durchaus geltend gemacht, dafür haben die Kinder an anderen Stellen Erfahrungen, die sie in verantwortungsvolle Positionen bringen. SKART ist es sehr wichtig, dass die Kinder gleichberechtigt die künstlerische Verantwortung für das Endprodukt teilen.
MD _ SKART hat dafür ja bereits in den frühen Stücken wie „Co-
nan“ diesen künstlerischen Anspruch verwirklicht, jenseits kulturell und politisch ausgehandelter Grenzen auf unterschiedlichste Inhalte, Medien, Materialien und Formen zuzugreifen und daraus eine extrem eigensinnige, immer schon zutiefst kooperativ geprägte Arbeitspraxis zu entwickeln, die sich nicht in einem Projekt erschöpft. Solange da Kunst drübersteht, finden wir das toll und erklären das zum Stil oder Markenzeichen eines Kollektivs. Kommen nun aber – wie mit MOTU – Minderjährige oder gar die Institution Schule oder Theater ins Spiel, darf sich das für gewöhnlich höchstens in einem punktuellen Ausnahmeprojekt vollziehen, und aus dem dürfen sich eben keine gravierenden Veränderungen für eine künstlerische Praxis oder sogar das institutionelle oder gesellschaftliche Umfeld ergeben.
AT _ Was bedeutet das in der Konsequenz? Was bedeutet das für
die Wechselwirkung zwischen der künstlerischen Arbeit von MOTU und ihrem gesellschaftlichen Umfeld?
MD _ MOTU haben in ihren Konzeptionen und Praktiken das
Totaltheater à la SKART weiter vorangetrieben. Es gibt auch da durchweg dieses Motiv der Erschaffung eines neuen Menschen, der Überwindung oder zumindest radikalen Veränderung von gesellschaftlich priorisierten Identitätskonstruktionen oder Lebens- und Arbeitsmodellen. Die Konflikte, die durch die Performances provoziert werden, sind aber durch die Einflüsse der Jüngeren weit komplexer, schärfer und auch unversöhnlicher geworden, da man sich als Erwachsener plötzlich viel massiver als Teil des Problems erlebt. Wir haben am Mousonturm bereits in der Konzeptionsphase zur Zusammenarbeit von MOTU darüber gesprochen, dass eine umfassendere Kooperation im Kontext von „All in“ letztlich auch eine fundamentale Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen in die institutionellen Strukturen des Theaters erforderlich machen würde, die sich neben einer prägenden und verantwortlichen Einflussnahme auf die Programmgestaltung auf Fragen von Kommunikation, Verwaltung, Budgetierung und Personalplanung erstrecken sollte. Einer umfassenden institutionellen Revolution hat sich der Mousonturm bislang recht erfolgreich verweigert. Gleichzeitig schwingen in sehr vielen der aktuellen Aufbrüche, das Theater auf allen Ebenen zugänglicher, durchlässiger, gestaltbarer zu machen, diese damals gemachten Visionen als Grundlage vehement mit.
AT _ In diesem Sinn lässt sich der damals noch ziemlich radikal
anmutende und ungewöhnliche Impuls von SKART durchaus als etwas lesen, das einem Zeitgeist entspricht – oder diesem vielleicht auch ein bisschen voraus war. Das Bewusstsein für die Bedeutung struktureller Beteiligung von Menschen, die bis dahin als unmündig galten und sich von einem System „verwalten“ lassen mussten, zeigt sich auch in zahlreichen künstlerischen Projekten, die Menschen mit Behinderung einbeziehen. Das Performancekollektiv Monster Truck nahm das konzeptuell auf die Schippe mit der Arbeit „Regie“; bei dem inklusiven Hamburger Ensemble Meine Damen und Herren gibt es seit einigen Jahren einen Aufsichtsrat, in dem Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam beratschlagen. Dass ein Reden „mit“ an die Stelle eines Redens „über“ treten sollten, ist zumindest in der Theorie 59
den meisten mittlerweile klar, wenn auch in der Praxis oft noch nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen werden.
MD _ Du hast den Entwicklungsprozess von MOTU ja aus grö-
ßerer Nähe und weit kontinuierlicher erlebt. Wie würdest du die Entwicklung und Festigung des Kollektivs beschreiben? War dir von vornherein klar, dass es sich hier nicht um ein einzelnes Kooperationsprojekt zwischen Kunstkollektiv und Schule handeln würde?
AT _ Zwar war uns klar, dass jedes Stück mit den Hamburger
Kindern entwickelt werden würde, anfangs glaubten wir aber noch an einen etwas größeren Pool an Kooperationspartnern, Schulen und immer wieder neuen Kindergruppen. Das ist vielleicht der naive Traum der Kurator*innen: viele Kinder mit einem Produkt zu erreichen. Der harte Kern von MOTU besteht nun aus drei bis fünf Kindern, aber über die Jahre habe ich verstanden, dass es nicht um eine größtmögliche Masse geht, sondern, wie in erwachsenen Kollektiven auch, um einen soliden Zusammenschluss, eine feste Gruppe, die gemeinsam wächst, einen gemeinsamen Geist und eine spezifische Ästhetik hat, was sich natürlicherweise erstmal entwickeln muss. Dann können auch mal neue Konstellationen entstehen, wenn der harte Kern bleibt. Die Reichweite des Projekts MOTU liegt nicht in der Partizipation vieler, sondern in seiner singulären Besonderheit …
MD _ … die sich auch in neuen Kooperationen oder Formaten
weiter erproben könnte. Und beides muss aus meiner Sicht nicht zwingend und ausschließlich nur zu weiteren kollektiven Bühnenperformances führen. Ich denke hier vor allem an die Arbeit am Text auf Seiten von MOTU, diese hoch poetischen manifestartigen Monologe, die sich jeder Antwort verweigern. Hier werden die weit gefassten ästhetischen Praktiken von SKART auf die Sprachebene übersetzt und auf eigene Weise konsequent verdichtet. Ich kann mir Performances vorstellen, in denen diese Texte mehr Raum und Klang einnehmen. Und damit meine ich nicht, dass MOTU zu Dramatiker*innen werden, sondern ein längeres und konsequenteres Verweilen in dieser Sprach- und Sprechpraxis. AT _ Die jeweiligen Qualitäten von Text oder Sound auch einzeln
weiterzuverfolgen, fände ich durchaus denkbar. Was sich bei „Sieg über die Sonne“ ja schon angebahnt hat, ist die Beteiligung –
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oder vielleicht auch nur Beauftragung – von externen Expert*innen und Künstler*innen, wie die beiden Illustrator*innen, oder den Musiker Manuel Chittka. Damit erweitert sich die Verantwortung von MOTU auf noch weitere Menschen außerhalb der Gruppe und rutscht noch weiter in eine konzeptuelle Verantwortlichkeit. Im Frühjahr 2020 arbeiten MOTU mit dem Hamburger Ensemble Meine Damen und Herren zusammen, die ich bereits kurz erwähnt hatte. Das ist einerseits sehr interessant in Bezug auf den Austausch über kollektive Praktiken, die übliche Hierarchien und Verantwortlichkeiten in Frage stellen oder aufzulösen versuchen. Andererseits ist das für MOTU eine ganz neue Aufgabe: Regie führen!
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ENdZEITlARVEN IM Sy M M E T R I S c H E N Z U STA N d Eine psychopoetische Therapiestunde mit Bela Brillowska und Felix Kubin
Der Überfluss ist ausgetrocknet. Am Luxus ist der Lack ab. Von der Klobrille übers Wasserbett zum Kronleuchter. Keiner kann sich mehr was leisten. Wir waren Schlaraffenland. Jetzt fressen wir uns selber auf. aus: „Exodus“
Felix Kubin, Künstler im kritischen Alter, steht am Eingang einer alten Villa. An den verwitterten Wänden kriecht der Efeu hoch, und kaum noch lesbar prangt über der Eichentür ein selbstgemaltes Schild: „Praxis für experimentelle Heilmethoden regressiver Spieltechnik“. Er drückt die Klingel, ein Kind im gelben Kittel mit Kirschenmuster öffnet ihm, nimmt ihn wortlos an der Hand und führt ihn durch einen langen Korridor mit knarrenden Dielen zum Untersuchungsraum. Es drückt ihm einen roten Lolli in die Hand und bedeutet ihm mit einer Handbewegung, er möge eintreten. In der halbdunklen Praxis stehen riesige Spielzeuge herum: Legosteine, ein trojanisches Pferd, ein Streichholz aus Knete und ein mit Leder überzogener Wickeltisch. Hinter einem rot-weiß gestreiften Schreibtisch sitzt eine junge Ärztin, Bela Elektra Brillowska, kaum fünfzehn Jahre alt. Streng, aber freundlich mustert sie den Eintretenden durch ihr Monokel.
Felix Kubin _ Guten Tag, Frau Brillowska.
Bela Brillowska _ Herr Kubin … setzen Sie sich. Wie ging es letzte
Woche? Haben Sie sich die Aufführung angeschaut?
FK _ Habe ich. BB _ Und?
FK _ Das war kein Kindertheater.
BB _ Das habe ich auch nie behauptet.
FK _ Kinder reden nicht so, wie diese Kinder geredet haben.
BB _ Sie meinen, sie reden nicht so wie Erwachsene Kinder gerne
reden hören. Schauen Sie sich nur all diese grässlichen Trickfilme an. Die haben mir meine ganze Jugend vergällt.
FK _ Diese Kinder haben von Selbstmord geredet, von einer Te-
lefonzelle, einer „Deathbox“, die man zum Sterben aufsucht, als würde man eine Pizza bestellen. Warum reden Kinder von Selbstmord, die wurden doch gerade erst geboren?
BB _ Herr Kubin, in meiner Kinderpraxis betreue ich seit sieben
Jahren Erwachsene, die in der Erkenntniskrise ihrer Lebensmitte stecken –
FK _ Ich stecke in keiner Krise!
BB _ Doch, das tun Sie, sonst wären Sie nicht hier. Die Vorstel-
lungen vom Tod entsprechen weder bei Kindern noch bei Erwachsenen der Wirklichkeit. Wir können uns den Tod nicht vorstellen, weil er nicht von dieser Welt ist. Kinder spielen den Tod nur durch, sie erschießen einander, sie ertrinken, sie erfrieren. Manchmal essen sie sich sogar gegenseitig auf. Erwachsene hingegen können sich nur bis zum Umfallen betrinken. Darum kommen sie in meine Praxis. Jeder stirbt gerne mal.
FK _ In diesem Stück geht es nicht um den Tod Einzelner, es geht
um das ENDE DER WELT. Den totalen EXODUS.
BB _ Bitte fassen Sie doch die Handlung einmal für mich zu-
sammen.
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FK _ Aber Sie kennen sie doch schon.
BB _ Ich möchte sie aber von Ihnen hören. Das ist gut für die
Analyse.
FK _ Das ist nicht leicht. Vieles macht keinen Sinn. BB _ Das macht nichts. Legen Sie los.
FK _ Das Stück beginnt mit einem Trümmerfeld aus geometri-
schen Formen, die über den Boden verstreut sind. El Lissitzky in Trümmern, sage ich mal. Oder Malewitsch als Explosivdarstellung. Sie kennen doch diese Bedienungsanleitungen mit Darstellungen schwebender Einzelteile?
BB _ Natürlich. Aber verlieren Sie sich jetzt nicht in Einzelteilen.
FK _ Nun gut. Im Hintergrund laufen in schneller Abfolge ex-
trem nervige Videos aus der Konsumwelt: Menschen im Kaufrausch, Produktanpreisungen von Influencern, Hände, die nach Flachbildschirmen greifen wie nach dem letzten Strohhalm, ein Mädchen, das sich mit Laptops zudeckt, dramatische Szenen einer Castingshow. Dazu läuft japanische Kindermusik. Oder finnische …?
BB _ Das ist unerheblich.
FK _ Zwischen den Trümmern tanzen maskierte Figuren mit gelben Perücken und räumen ein bisschen auf. Überhaupt wird viel geräumt in dem Stück. Plötzlich drehen sich alle um und gehen in Zeitlupe rückwärts aufeinander zu, als wären sie magnetisch. Dazu blinkt ein Stroboskop und laute, industrielle Musik ballert aus den Lautsprechern. Dann kommt ein wirklich widerliches Bild auf der Videoleinwand: eine Schlange, die in einer Flüssigkeit schwimmt und ihren eigenen Schwanz verschluckt. Und sie merkt noch nicht einmal, dass das ihr eigener Schwanz ist. Vielleicht wird sie durch die Flüssigkeit betäubt. BB _ Die Schlange hat eine narzisstische Störung. Sie verzehrt
sich nach sich selbst.
FK _ Es folgen abwechselnd Bilder von dekadentem Wohlstand und von Naturkatastrophen. Die magnetische Verbindung der Kinder löst sich auf. Sie legen sich auf den Boden und rollen
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strahlenförmig auseinander. Dazu erklingt das Lied „Knockin’ on heaven’s door“, in halber Geschwindigkeit. Im Schlaraffenland kommt der Alltag zum Erliegen. Abblende. BB _ Ende?
FK _ Nein. Zelte kriechen auf die Bühne. BB _ Wie bitte?
FK _ Naja, in den Zelten sind natürlich Menschen … also Kinder
… Menschenkinder. Eines der Zelte öffnet sich, ein Kopf wird herausgestreckt, das ist übrigens das einzige Mal, dass man ein unmaskiertes Gesicht sieht. Ein kleines Mädchen hält einen langen Monolog über seine eigene Existenz. Es hat sich selbst geboren und wundert sich darüber. Es sagt so Sachen wie: „Habe ich Gefühle? Habe ich Blut? Ich kann auch ohne Kopf leben, ich bin das Wesen der Zukunft.“
BB _ Es ist ein dystopischer Gedanke. Eine Endzeitlarve.
FK _ Ja, es ist die einzige Überlebende, die aus den Trümmern
hervorgekrochen ist. Ein Trümmermädchen. Interessant ist ihr Blick ins Publikum. Ein Röntgenblick, der die Zukunft durchleuchtet. Vollkommen furchtlos. In Erwartung von nichts. Nach ihrem Monolog werden Videos gezeigt von Konsumsündern, die sich mit Lauchstangen geißeln. Das ist mal ein lustiger Moment. Und ein Mercedes-Besitzer im Ernie-Kostüm beweint die Benzinkrise.
BB _ Lassen Sie die Videobeschreibungen mal weg, sonst sitzen
wir morgen noch hier.
FK _ Ich beschreibe ja nur dieses heillose Bilderchaos in meinem
Kopf. Als Nächstes hält ein maskiertes Mädchen im TotenkopfT-Shirt einen Vortrag darüber, wie gerne es bei EDEKA arbeiten würde. Es klingt vollkommen energielos. Seine Seele ist gestorben. Während es so redet, bauen die übrigen Maskierten im Hintergrund aus den geometrischen Bühnenteilen eine Tribüne und den Bug eines Schiffs zusammen. Eines der Kinder – ich glaube, es ist der einzige Junge in der Gruppe – fängt an, quietschige, elektronische Loops zu spielen auf ein paar Maschinchen. Das Totenkopfmädchen tanzt dazu Ballett und schwenkt ein großes Schild, auf dem „Erlöst uns“ steht. Es kippt um und wird an ei-
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nem Bein von der Bühne gezogen. Dann wird es sehr dramatisch. Das Licht geht aus und plötzlich durchschneiden acht grüne Laserstrahlen das Dunkel, die verlängerten Finger einer Darstellerin. Sie gleiten über den Boden und die Decke. Dazu erklingt eine sehr düstere Orgelmusik. Die Laser gehen aus, ein weißes Spotlight geht an, das von oben auf die gebaute Tribüne fällt. Die Darstellerin mit den Laserfingern hält dann den wohl depressivsten Vortrag der gesamten Vorstellung, die Geschichte mit der „Deathbox“. Sie beschließt, alle Bewegungen einzustellen und in einem schwarzen Loch zu versinken. Am Ende ihres qualvollen Todes zerplatzt sie in ihre Einzelteile. Sie wird zu einem, wie sie sagt, „Menschenpuzzle in 3D“. Sie verwandelt sich gewissermaßen in den zersplitterten Bühnenboden vom Anfang.
BB _ Interessant, nicht wahr? Kinder sind zu den perfidesten
Fantasien fähig. Als ich noch klein war, erzählte ich einem Freund meiner Mutter, ich werde ihm das Gesicht abschneiden …
FK _ Igitt.
BB _ … und ihn dann zwingen, es zu essen … FK _ Das ist ja grauenvoll.
BB _ … aber vorher werde ich noch das Fleisch vergiften.
FK _ Frau Brillowska, warum erzählen Sie mir solche Geschich-
ten? Mir wird ganz übel.
BB _ Lutschen Sie doch ein bisschen an ihrem Kirschlolli. – Se-
hen Sie, das beruhigt.
Das Laser-Mädchen ist ein Leuchtturm, der sich einen Überblick verschafft.
FK _ Die nächste Szene hat sich mir auch sehr stark eingeprägt.
In einem Video –
BB _ Wir wollten die Videos doch weglassen.
FK _ Nur noch dieses eine: Ein menschlicher Müllberg aus Plas-
tikverpackungen, Tüten und Pillen stakst durch eine brennende Metropole und erbricht einen endlosen Strom schwarzer Materie, eine Ölquelle sprudelt aus seinem Mund. Gleichzeitig läuft sein Gegenstück, eine Mülltonne mit freundlichem Wesen, durch die brennende Natur. Die beiden begegnen sich, und sanft bettet der erschöpfte Müllriese seinen Kopf in ihren Schoß. Ich habe keine Ahnung, was das zu bedeuten hat. Danach läuft eine menschliche Zigarettenpackung auf die Bühne und räumt wieder ein bisschen rum. Sie schiebt die Tribüne auseinander, hinter der zwei vermummte Gestalten zum Vorschein kommen. Ihrer Größe nach zu urteilen sind das die beiden Erwachsenen des Theaterkollektivs. Sie sind vom Scheitel bis zur Sohle in Verbandsmaterial oder Folie eingewickelt, daran erinnere ich mich nicht mehr so genau. Während die Zigarettenpackung in den Mülltonnen herumkrabbelt, wackeln die beiden ein bisschen herum, das war’s dann auch schon. Sie verschwinden wieder hinter der Tribüne.
BB _ Die beiden heißen Mark Schröppel und Philipp Karau. Sie
haben das Kollektiv zusammen mit den Kindern gegründet. Mark und Philipp habe ich auch schon therapiert.
FK _ Ja, das beruhigt. Sie verstehen wirklich was von Erwachse-
FK _ Paartherapie?
BB _ Das ist mein Beruf. Erzählen Sie weiter.
habe denen Hausschweine verschrieben. Hat aber nicht funktioniert.
nen.
FK _ Also, diese „Deathbox“-Prophetin wird von einer anderen Person auf die Schultern genommen, das Licht geht wieder aus, die Laserfinger gehen an, und sie wird über die Bühne getragen, während sie langsam den Raum mit ihren grünen Strahlen abtastet. BB _ Sie ist ein Leuchtturm. Wissen Sie, es ist so: In der Pubertät
gehen uns die Augen auf. Wir treten in den Kreis der Erkenntnis.
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BB _ Ja, Paartherapie. Wir haben auch Tiertherapie versucht. Ich FK _ Wozu macht man das?
BB _ Damit sie sich selbst nicht mehr so als Schweine sehen. Die
haben schon einen psychischen Knacks, aber ich konnte sie dahingehend beeinflussen, dass sie ihre Knacksophilie wenigstens an den Kindern auslassen.
ExOdUS (2016) Rettungsinsel
Seht ihr mich? Ich weiß nicht, was ich bin. Was bist du? Ich bin ein Etwas. Ein Etwas, das entstanden ist. Ich bin groß. Ich kann mich in verschiedene Teile zusammenbauen. Ich kann auch verschwinden. Ich kann mir Beine machen. Mich leicht und schwer machen. Ich kann auch ohne Kopf leben. Ich kann auch aus mir rauskriechen. Ich bin orange. Ich bin weich. Man kann in mich hineingehen. Alle starren mich an. In mir ist etwas. Nämlich ich. Ich habe ein eingebautes Mikrofon. Alle können mich hören. Was will man mehr? Habe ich Gefühle? Habe ich Blut? Was ist in meinem Inneren? Ihr wisst es nicht. Ich weiß es auch nicht. Wie bin ich hier hergekommen? Niemand weiß es. So ist das eben mit einem neuen Wesen. Das Wesen aller Schönheit. Ich bin das Wesen der Zukunft. Vielleicht habt ihr Angst vor mir. Niemand weiß es. Außer euch. Aber ihr wollt es nicht zugeben, weil ihr Angst habt, dass euch dann etwas passiert. Wieso liege ich hier zwischen diesen Trümmern? Und wieso rede ich? Oder ist das auch alles nur eine abgespielte Musik? Bin ich vielleicht selbst nur ein Trümmer, der darauf wartet, zusammengebaut zu werden? Bin ich eine Süßigkeit? Vielleicht bin ich auch einfach nur ein technisches Gerät? Vielleicht kann ich Werbung auf mir abspielen. Vielleicht bin ich ja gar nicht das, was ihr denkt. Glaubt ihr, dass ich euch helfen kann? Man weiß es nicht.
Vielleicht werde ich auch bald einfach nur sterben oder mir gehen die Batterien aus. Vielleicht werde ich wie viele andere Dinge einfach so getötet, weil ihr nicht wisst, was ich bin. So war das doch früher bei euch. Am Ende habt ihr euren Planeten getötet. Selber schuld. Aber ich hab überlebt. Vielleicht habt ihr mich auch einfach selber geschaffen. Mich, die Quasselstrippe, die euch gern hat.
Und was macht ihr aus diesen komischen Teilen, die hier liegen? Tja, das waren halt eure Häuser. Die sind jetzt kaputt. Selber schuld. Ihr wolltet das neueste Handy, den Computer und einen Fernseher, der groß ist wie euer Wohnzimmer. Tja. Jetzt ist alles weg. Auch selber schuld. Ihr hättet vielleicht nicht so viele Dinge haben wollen und euch damit zufrieden geben sollen, was ihr hattet. Was habt ihr denn jetzt noch? Was wollt ihr jetzt noch haben?
Der Überfluss ist ausgetrocknet. Am Luxus ist der Lack ab. Die Zeiten werden schlechter. Von der Klobrille übers Wasserbett zum Kronleuchter: Keiner kann sich mehr was leisten. Wir waren Schlaraffenland. Jetzt fressen wir uns selber auf. Alles implodiert. Wir haben den Peak überschritten. Wir haben Panik, die Pferde gehen mit uns durch. Erst Überfluss, dann Überdruss, erst Shopping-Kick, dann Langeweile und Ernüchterung. Wir fühlen uns getrieben, der große Crash steht uns bevor. Perspektive Müllcontainer.
Wir suchen nach dem Nötigsten: Jetzt wollen wir Tiere selber schlachten, Gemüse anbauen und Pfirsiche einmachen. Wir sprechen mit Typen, die Notfallkisten verkaufen, treffen Kräutersammlerinnen und Pilzzüchter. Nach und nach tauchen wir ab in Aussteiger-Welten: Moderne Nomaden, Tramper, Couchsurfer, Mülltaucher oder Bewohner von alternativen Wohnprojekten. Sie alle scheinen die Nase vorn zu haben. Wir fühlen uns abgehängt. Uns geht es schlecht.
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FK _ Sie meinen ihre Liebe zum Knacks?
BB _ Ja, sie sind selbst noch Kinder. Erzählen Sie mir noch das
Ende der Aufführung?
FK _ Die Figuren vervollständigen aus den restlichen Bühnen-
teilen ihr Schiff, eine Arche Noah, mit der sie dann gut gelaunt davonsegeln. Zum Abschied hört man das Lied „Wir verlassen die Erde als enttäuschte Herde“.
BB _ Wie fanden Sie denn nun die Aufführung?
FK _ Sehr verstörend, das sagte ich ja schon. Ich hatte den Ein-
druck, diese Kinder haben sich von der Erwachsenenwelt vollkommen abgekoppelt. Sie wussten von Anfang an, was zu tun ist.
BB _ Es gibt in dem Stück keine Dialoge. Die Kinder sprechen
nur zum Publikum. Untereinander sind sie sich total einig, als seien sie telepathisch miteinander verbunden, wie die Kuckuckskinder in dem Science-Fiction-Film „Das Dorf der Verdammten“. Haben Sie sich mit den Kindern identifiziert?
BB _ Ist Ihnen aufgefallen, dass die Bühne von einem chaoti-
schen Zustand in einen symmetrischen Zustand verwandelt wird? Sie wird nicht nur aufgeräumt, sie wird symmetriert.
FK _ Kann sein. Vielleicht ist es ja so, dass sich die Kinder des
Bühnenraums bemächtigen. Sie wollen ihre Machtlosigkeit überwinden und das Steuer selbst in die Hand nehmen.
BB _ Kinder sind nicht machtlos, Herr Kubin. FK _ Rein körperlich sind sie es schon. BB _ Sie müssen noch viel lernen. FK _ Wie meinen Sie das?
BB _ Z. B.: Der Lolli, den wir Ihnen gegeben haben, war vergif-
tet.
FK _ Der Lolli war – ver – w-was …? Felix Kubin wird kreidebleich und rutscht bewusstlos vom Stuhl.
FK _ Nein, dafür waren sie zu anonym. Durch die Maskierung
Dr. Brillowska drückt auf die Gegensprechanlage.
BB _ Die Kinder sind Leinwände. Sie fühlen nicht das, was sie
Gegensprechanlage _ Frau Doktor?
sahen sie alle gleich aus, wie in einer Sekte.
sagen.
FK _ Aber das Publikum fühlt es.
BB _ Das ist das Unheimliche daran. Die Kinder beobachten nur.
Was die Kinderwelt auszeichnet, ist das Unbefangene, das Unschuldige, das Spontane, das Energetische. Das alles wurde hier kombiniert mit Texten und Botschaften, die nicht so klingen, als kämen sie von Kindern. Sie wurden aber von Kindern und Erwachsenen gemeinsam verfasst. Von erwachsenen Kindern und kindlichen Erwachsenen. FK _ Verwirrend … Ich versuche zu verstehen, warum mich die-
ses Stück so aufgewühlt hat. Was ist z. B. die Bühne … ein unaufgeräumtes Kinderzimmer? Eine Kirche? Ein Demonstrationsraum? Ein Traum?
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BB _ Chérie?
BB _ Bitte lassen Sie Herrn Kubin hinaustragen. Gegensprechanlage _ Ist er tot?
BB _ Nur ein kleiner Tod. Er wird gleich wieder aufwachen. Men-
schen über vierzig sind so leichtgläubig.
Gegensprechanlage _ Ja, sie haben das Spiel des Lebens noch
nicht begriffen.
BB _ Nehmen Sie das Honorar aus seiner Tasche, und machen
Sie mit ihm einen Termin für nächste Woche.
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Sie muss in der Nacht aufstehen. Sie ist immer müde. Sie muss unfreundliche Kunden ertragen. Das macht sie irre. Sie hat im Internet geguckt auf gute-jobs.de und da hat ihr die Edeka-Penny-Back-Werbung versprochen, dass das ein guter Job ist, man viel Geld verdient. Immer früh aufstehen kann und wieder früh zu Bett. Sind Sie der neue Mitarbeiter? Oder Sie? Oder Sie? Ein Job ohne Ausbildung, inklusive Bewerbung. Aber dass man sofort ankommen kann. Da fühlt man sich wie zu Hause. Die Ausbildung ist mit im Job drin. ’Ne Gratis-Ausbildung mit drei Gratis-Getränken und ’nem Gratis-Mittagessen. Man kann sich aussuchen, was man backen will. Donuts, Croissaints. Jeden Tag Aufbackbrötchen. Das steht im Vertrag drin, das muss man dann auch machen. Und Sie können das auch machen, ja Sie da vor dem Fernseher zu Hause. Kommen Sie einfach morgen früh in die Bäckerei. Da wartet dann so ein Modell auf Sie und sagt: Ich bin ja so begeistert. Wo haben Sie denn das leckere Brot her? Und da ist überall guter Geruch – das duftet. So ein richtiges Wellness-Feeling in der Bäckerei und die Warteliste platzt schon vor Bewerbern.
drückt. Es wird immer enger, so richtig scheiße. Oder man springt in ein ewig tiefes, schwarzes Loch und man weiß nicht, wo der Boden ist. Du fällst in das Nichts. Und es gibt keinen Boden mehr. Und du fällst und du fällst und irgendwann verhungerst du. Magerst so richtig ab. Und das Gute ist aber, du brauchst auch nichts mehr. Das ist dann das Nichts. Der Ewigkeiten-Raum, der immer kälter wird. Wie ein Kühlschrank, der keine Energie verbraucht und immer kälter wird. Der hat ein Gewicht an den Füßen und zieht dich weiter runter. Du wirst mit Gas aufgepumpt, bis du platzt. Mit Lachgas. Das ist die totale Entspannung. Du bekommst kurz Hoffnung, dass du so wieder nach oben gelangst. Aber dann zerplatzt du ja und siehst dich selbst in Einzelteilen. Ein Mensch-Puzzle in 3D. Da wird man dann recyclet und falsch wieder zusammengesetzt. Mit einer Glühbirne im Kopf. Irgendwie hat man sich verwählt und in der Death-Box alle Knöpfe auf einmal gedrückt. Die Glühbirne wird einem dann wieder ausgeknippst. Sind Sie sich sicher? Das muss man dann bestätigen. Das Nichts immer wieder bestätigen und alles geht wieder von vorne los. Man steckt in einer Kugel. Fällt immer tiefer und hat das Gefühl, so richtig schwer zu sein. Bleikugel-Gefühl. Total entspannt.
DEATH BOX
Schluss
Bäckerinnen
Womit möchtest du denn später mal dein Geld verdienen? Mit nichts, nicht arbeiten, auf dem Sofa liegen und chillen. Und bei Youtube richtig durchstarten und nichts machen. Außer Produktplatzierungen. Da sahnt man dann richtig ab. Den ganzen Tag lang Produktplatzierungen. Und nichts machen. Klicks zählen, Chips essen und nichts machen. Dann Likes kaufen. Auf dem Sofa liegen und nichts machen. Und so bring ich mich um und tu dann nichts mehr. Es gibt da die Death-Box: eine Telefonzelle, in der man wählen kann, wie man stirbt. Langsamer, qualvoller Tod. Da wird man von den Wänden er-
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Die alte Welt ist untergegangen. Aber das macht nichts. Die Apokalypse ist unsere Offenbarung. Das Paradies der Toten. Ein Versprechen für alle, die nie richtig gelebt haben. Für alle, die nie etwas verstanden haben. Für alle, die alles falsch gemacht haben. Der Zusammenbruch kitzelt uns wach. Zusammen gehen wir weg. Wir fangen neu an und ihr könnt mit dabei sein. Wir verzichten, wir tauschen, wir teilen, wir reparieren. Wir existieren für kein Geld der Welt. Wir verduften und kommen nicht wieder. In der Gemeinschaft verdampft die Angst. Und regnet als Mut herab. Auf immer ihr, auf immer wir. Auf ein Wiedersehen.
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ARE yOU THERE? Funktionen von Text und Praktiken des Sprechens in „TuNix!“ Philipp Schulte
Lieber Philipp, Du hattest ja nach einem Skript zu „TuNix!“ gefragt. Es könnte sein, dass das in diesem Fall verschollen gegangen ist. Eine Möglichkeit gibt es noch, mal schauen, vielleicht taucht es ja noch auf, dann schicke ich es Dir. Viele Grüße, Philipp Philipp Karau in einer E-Mail vom 12. Juli 2019 zur Vorbereitung dieses Textes
Text bei Masters of the Universe
Wenn man an die Arbeiten von Masters of the Universe denkt, kommen einem vielleicht nicht zuallererst der Einsatz von Sprache und gesprochenem Text in den Sinn – so bildgewaltig sind ihre szenischen Arbeiten, so akustisch vielfältig, so reich an Kostümen, Requisiten und Szenografien, ja so arm an zusammenhängenden, folgerichtig erzählten Handlungssträngen (denn auf ihre Funktion, Geschichten zu erzählen, wird Sprache im Theater mitunter vorschnell reduziert). Und das ist ja berechtigt; mühelos lassen sich die Masters of the Universe – auf ganz neue Weise – in eine Bühnentradition einreihen, die auf einer wichtigen Forderung historischer Theateravantgarden beruht: dass dem geschriebenen oder gesprochenen Wort in der szenischen Darstellung nicht mehr Relevanz, Kraft und Wirkung zugebilligt werden muss als all den anderen Theatermitteln, dem Raum und den Dingen, dem Licht und dem Geräusch, den Körpern und ihren Bewegungen. Wird dieser Ansatz ernst genommen, wird alles lesbar; alles wird Text, der entziffert werden kann (niemals muss).
Dass diese Loslösung vom Primat des Sprechtextes (die, wie das Eingangszitat zeigen soll, oft eine Priorisierung der Aufführung und ihrer direkten sinnlichen Wirkung vor ihrer schriftlichen Fixierung mit sich führt) indes nicht unbedingt gleichbedeutend ist mit einer Unterordnung oder gar Aufgabe einer Praxis des Sprechens auf der Bühne, kann man ebenfalls sehr gut in den Arbeiten von MOTU beobachten. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, die Funktionen von gesprochenem Text und einigen Praktiken des Sprechens – immer im Zusammenspiel mit all den anderen Bühnenmitteln – am Beispiel der Arbeit „TuNix!“ zu skizzieren, die 2017 in Kooperation mit dem Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main und Kampnagel Hamburg entstanden ist. „Alles in Slowmotion: Man sieht alles, aber man fixiert nichts“1
Fünf Performer*innen stehen im Bühnenraum, die eben abgesetzten Tiermasken in den Händen, gekleidet in knielange Pelzmäntel mit langen Fuchsschwänzen, ihr Blick auf das Publikum gerichtet, und schweigen. Drei Minuten, vier. Einige von ihnen gähnen gelegentlich. Sind sie erschöpft? Ihr Blick, der das Publikum fixiert, gleicht einer unklaren Aufforderung: Erwarten sie etwas von ihren Zuschauer*innen? Endlich setzen sie sich auf drei mit weißen Planen verdeckte Stühle oder legen sich auf den rotglänzenden Boden, die Augen weiterhin nach vorne gerichtet, außer bei einem, der nun fast einzuschlafen scheint. Allmählich verdunkelt sich der Raum, alle Performer*innen scheinen nach und nach wegzutreten. Zehn Minuten vergehen, eine Viertelstunde. Aus dem Off betritt eine Frau leise die Bühne und fasst den zentral positionierten Akteur, einen jungen Mann mit langem, dunklem Haar, leicht an der Schulter, als würde sie ihn
1) Dieses und die folgenden Zitate des Stücktextes stammen aus dem unveröffentlichten Manuskript zu „TuNix!“ von Masters of the Universe.
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TUNIx! (2017) Die Inkompetenz des Todes
Wir sind Ihr Selbstmanagement: Wir schmeißen für Sie die kontinuierliche Verbesserung an. Wir stecken Sie in die Effizienzmaschine. Eine Maschine besser als Heidi Klum. Wir sind klumpig und naiv, aber auch schlau. Wir reden Ihnen ins Gewissen. Und wir verteilen Fotos an Sie. Ihre teuflischen Assistenten Hans und Franz stehen Ihnen stets zu Diensten. Wir helfen dir, der Mitarbeiter des Monats zu werden: Wenn das so weitergeht, können wir dich nicht mehr hier behalten. Du bist verschimmelt, du blondes Gehirn. Immer fresh. Mit einer blondierten gebleichten Seele. Hast du eine Schönheits-OP zur Verdummung gemacht? Kein Problem: Das kriegen wir wieder hin. Wir schrauben uns in dein Bewusstsein, denn wir sind dein Kernstatement! Es ist nice to have. Wir coachen dich durch die Change Agenda und machen dich wieder schlau, öffnen dein Gehirn, färben es pink. Und dann trinken Sie bitte drei Liter Nagellack pro Tag. Stellen Sie sich täglich auf die Tankstelle. Gut inhalieren, ganz dicht an die Schläuche. Und deshalb haben wir hier ein paar Riechsäulen und Nagellackentferner für Sie. Riechen Sie mal. Und denken Sie dabei ganz fest an die Tankstelle, am besten Aral. Blau ist beruhigend. Und dann docken die Synapsen an. Alles passiert nur im Gehirn. Und Sie werden sich kontinuierlich verbessern. I am up and down. I try to do my best. I am almost there. Sie können nichts. Sie sind die Inkompetenz des Todes. Und dann werden Sie endlich wieder gut. Folgen Sie unserer Storyline, glauben Sie an unser Märchen. Wir kennen eure Aktivitätskennzahlen. Wir eskalieren euch auf eine Burning Plattform. Ich verspreche es dir. Wir sind dein Menschenentwickler. Streng dich an! Wer der Beste wird, entscheiden immer wir.
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wieder aufwecken. Wie in Trance beginnt er, den Blick nun nach unten, leise in das ihm ausgehändigte Mikrofon zu sprechen: „Ich sitze in der Küche, der Löffel in meiner Hand hängt noch halb in der Müslischale. Ich habe nur einen Socken an. Und ich denke nicht nach. Ich schaue aus dem Fenster in den Garten. Aber eigentlich auch nicht. […] Es ist, wie wenn jemand kommt und auf Pause drückt. Du läufst im Leerlauf. Dein Blick ist zwar da, aber deine Augen klappen nach innen. Du siehst deine Gedanken nur noch in Bildern vor dir, spuckst sie als endlose Filmrolle wieder aus dem Mund aus und schielst von oben mit deinen zwei Äuglein drauf. So kommen die Bilder wieder in deinen Kopf. Du läufst als endloser Kreislauf. Ein Kreislauf, der sich selbst genügt. Du fühlst dich leicht. Wie in einem Massage-Sessel auf Wolken, um dich herum deine Kumpel aus Zuckerwatte.“
„TuNix!“ beschäftigt sich mit der Frage, wohin uns der ökonomische Drang zu Tätigkeit und Effizienz führt. Welchen Stellenwert besitzt Arbeit in unserer Gesellschaft, und wie eng sind individuelle Glücksvorstellungen an sie geknüpft – oder gerade nicht? Schließlich: Welche Rolle spielen Müßiggang und Faulheit? In „TuNix!“ wird nicht nichts getan; und doch geht MOTU in diesem Stück reduzierter mit den zahlreichen Bühnenmitteln um und zeigt sich – wie die gerade beschriebene Sequenz belegen soll – geduldiger und dramaturgisch großzügiger im Umgang mit Zeit und Rhythmus. Dabei beginnt die Performance in der MOTU-üblichen zitat- und abwechslungsreichen Weise: In T-Shirts mit Hamstermotiven wird getanzt und marschiert, ein Interview mit einem Manager eingespielt, ein Performer krabbelt in einer großen, transparenten Gummikugel herum wie in einem Hamsterrad, eine andere verspricht uns auf einem Kühlschrank reitend in Biene-Maja-Maske eine „Effizienzmaschine […] besser als Heidi Klum“, und auf einer Videoleinwand im Hintergrund trommelt unermüdlich das Duracell-Häschen aus der Fernsehwerbung. Erst im oben skizzierten Teil, der sich anschließt, wird offensichtlich versucht, der Aufforderung des Stücktitels nachzukommen und zumindest ästhetisch einen Ausweg aus der geschäftigen und geschäftlichen Hektik des Anfangs zu suchen: in der spannungslosen Müdigkeit, die die Performer*innen hier zur Schau stellen, in der Stillstellung des Bildes, das die Bühne abgibt, in der Geduld, die dem Publikum abverlangt wird. Der Text, den Anton Prevrhal anschließend scheinbar benebelt spricht, trägt den Titel „Meditati-
ver Standby-Modus“ und beschreibt genau solch einen Zustand des Leerlaufs: „Halb da und halb nicht“.
Gesprochene Texte wie dieser haben eine wichtige dramaturgische Funktion in „TuNix!“, und so lohnt ihre kurze Auflistung und Eingliederung, die im Folgenden unternommen werden soll. Dabei ist, wie eingangs beschrieben, immer zu bedenken, dass sie bei MOTU immer denselben Stellenwert wie alle anderen Theatermittel besitzen; sie dienen in der Regel der Engführung des gewählten Themas eines Stücks und haben, von diesem ausgehend, einen stark assoziativen Charakter. Dies hängt eng mit ihrer Produktionsweise zusammen: Ist ein gemeinsames Thema gefunden, nähert sich das Kollektiv diesem in vielen Gesprächsrunden an, bei denen erste szenografische Ideen und Einfälle für szenische Aktionen, filmische wie musikalische Materialien ebenso gesammelt und diskutiert werden wie inhaltlich brennende Fragen und individuelle Standpunkte, im Falle von „TuNix!“ also zu entfremdeten Arbeitsverhältnissen, Leistungsdruck, Erschöpfungssymptomen und Möglichkeiten des Entzugs. Diese Gespräche ähneln nach eigenen Aussagen der Gruppe einem wilden gemeinsamen Reflektieren, einem intensiven brainstorming: Es wird intuitiv, assoziativ und lustvoll herumgesponnen, und es entstehen surreale, düstere, bizarre Textwelten. Alle Gespräche werden dabei in ihrem jeweiligen Verlauf bis ins Detail schriftlich protokolliert. Eine Auswahl der dadurch entstandenen Notizen dient, teilweise nicht einmal allzu intensiv überarbeitet, als textliche Grundlage für die Performances. Welche dieser Texte es schließlich in eine Produktion schaffen, wird erst im Verlauf des Probenprozesses entschieden. Wie im Bezug auf szenische Aktionen, Bühnenbilder und verwendete Objekte, in Bezug auf Licht, Ton und Video stehen die ausgewählten Texte, die meistens monologischen Charakter haben, als Elemente zur Verfügung, werden von verschiedenen Sprecher*innen ausprobiert, an verschiedenen Stellen in der zeitlichen Gesamtstruktur der jeweiligen Performance platziert, gekürzt, verschoben, gestrichen, auf ihre szenische Wirkung hin überprüft. Statt der Zusammenarbeit mit einem externen Autor oder einer Autorin versucht sich MOTU so immer wieder an einer kollektiven Textproduktion – was auf der Bühne gesagt wird, ist in der Regel ein verdichtetes und collageartig zusammengefügtes Konglomerat aus zahlreichen Aussagen, Fragen und durchaus lyrisch zu nennenden sprachlichen Assoziationen aller Mitglieder der Gruppe selbst. 77
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Am Beispiel „TuNix!“ lassen sich verschiedene Textpassagen unterscheiden, die weitgehend in diesem Verfahren entstanden sind und jeweils eine bestimmte dramaturgische Funktion im Rahmen des Stücks erfüllen. Diese sowie die jeweiligen Sprechhaltungen der Performer*innen und die szenische (visuelle, akustische) Situation, in der die Texte zu hören sind, sollen nun kurz beschrieben werden, um anschließend weiterführend auf ihre dadurch hervorgerufene Wirkung einzugehen. Es wird sich zeigen, dass oftmals die Frage, ob und auf welche Weise das Publikum adressiert wird, von Relevanz ist.
Der erste Text, der in „TuNix!“ Verwendung findet, nimmt eine Sonderstellung ein und ist auch nicht in der für die und von den Performer*innen angelegten Textsammlung zum Stück zu finden – zweifellos, weil es sich um eine vorproduzierte Tonspur handelt, die aus dem Off eingespielt wird. Eine jugendlich klingende Stimme interviewt einen Mann, der sich als Manager zu erkennen gibt, und stellt ihm Fragen wie „Was bedeutet die Arbeit für Sie?“, „Würden Sie lieber mehr oder weniger arbeiten als jetzt?“ und „Was frustriert Sie und wie verhalten Sie sich dann?“. Die Art und Weise, in der das Interview, das nicht von ungefähr an ein Bewerbungsgespräch erinnert, zusammengeschnitten ist, entpuppt sich indes schnell als unausgeglichen: Nachdem die Männerstimme zunächst noch ausführlich antworten kann, werden diese Antworten schon ab der vierten Frage immer weiter ausgespart, sodass der Eindruck einer Überforderung auf Seiten des Managers entsteht. Dies setzt Rahmen und Grundton für viele der weiteren Aktionen innerhalb der Performance. Die Performer*innen, die währenddessen maskiert in ihren Hamster-T-Shirts auf der Bühne hin und her wanken, scheinen schon hier eine kritische, auf augenzwinkernde Weise aufmüpfige Haltung gegenüber Phänomenen einer Leistungsgesellschaft einzunehmen. Verfremdete Büroarbeitsgeräusche – das Tippen auf eine Computertastatur, ein Telefonklingeln, eine Bandansage („Are you there?“) ergänzen die Szene auf akustischer Ebene. Auch später kommt diese Tonspur noch einmal vor; das niemals ermüdende Duracell-Häschen auf der Leinwand (neben einem verwesenden Hasen gleich daneben) im Blick, kann das Publikum der Stimme des Managers lauschen, die von seiner ambiguen Faszination an Gipfelbesteigungen erzählt. Auch bei dem Bekenntnis, dass der Interviewte mit seiner unentwegten Zielstrebigkeit im Prinzip vor allem eine depressive Grundstimmung zu bekämpfen glaubt, spielt Erschöpfung eine Rolle. 80
„Die Inkompetenz des Todes“ ist der Titel des zweiten verwendeten Textes, der diesmal von einer Performerin gesprochen wird. Es handelt sich um den bereits erwähnten Kühlschrankritt in Biene-Maja-Maske. Weiterhin rahmt die Büroatmosphäre den Text akustisch. „Wir sind Ihr Selbstmanagement: Wir schmeißen für Sie die kontinuierliche Verbesserung an“, so beginnt Charly Heidenreich ihren Monolog, der gut aus einem SF-Roman von William S. Burroughs stammen könnte, und den sie in ein laut aufgedrehtes Handmikrofon spricht. Die Stimme ist mit einem Hall-Effekt versehen, die Sprechhaltung unfreundlich-bedrohlich wie der Text selbst, der sich durchweg an das Publikum zu richten scheint: „Du bist verschimmelt, du blondes Gehirn.“ Immer wieder wird eine klare Abgrenzung zwischen „Wir“ (hier auf der Bühne) und „Ihr“ (dort im Publikum) betont. Die Performerin, die am Ende aufgerichtet auf dem Kühlschrank steht, wirkt selbstbewusst und durch Lautstärke und Tonfall ihren Zuhörer*innen überlegen – hier wird ein Machtverhältnis deutlich. Ihr Blick indes bleibt leer; statt ihre Augen zu zeigen, starrt sie ihr Publikum nur aus den schwarzen leeren der Maske der fleißigen Biene an. Dieser durchaus provozierend geäußerte Monolog, der in einen wilden roboterartigen Tanz der Performerin ausufert, kann als Gegenstück zum am Anfang dieses Abschnitts beschriebenen Text „Meditativer Standby-Modus“ gedeutet werden. Zumindest im Schriftbild eher an eine Gedichtform erinnern die beiden letzten im Stück verwendeten Texte „Blut, Schweiß, Tränen“ (in der ersten Hälfte der Performance) und „Meine Nase juckt“ (in der zweiten), und auch hier lässt sich ein gespiegeltes Verhältnis feststellen. Beide Texte sind in der ersten Person verfasst, wenn auch das jeweilige lyrische Ich, das spricht, sich vom jeweils anderen deutlich unterscheidet. „Blut, Schweiß, Tränen“ wird zu Klängen von Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ im dunkel gehaltenen Bühnenraum von der Performerin Annika Prevrhal ins Mikrofon gesprochen, die Szene wirkt in Sprechhaltung und gerade durch die unterlegte Musik eher ruhig. „Ich bin das Feuer, das für dich brennt“: Als hätten wir, wir Zuschauer*innen, es mit einer Verkörperung unseres eigenen Ehrgeizes zu tun, die uns zu immer mehr Leistungsbereitschaft verführen möchte („Mal einen Picasso aus meinem Saft“), adressiert uns die Stimme gelassen, aus einer scheinbar überlegenen Position heraus, ist machtvoll und bisweilen bedrohlich. Die Performerin trägt eine stilisierte Einhornmaske und blickt uns direkt in die Augen. Dabei nimmt sie sich den Raum, den sie braucht,
Blut, Schweiß, Tränen Mein Blut, meinen Schweiß, meine Tränen, Nimm das alles. Mein Blut, meinen Schweiß und meine Tränen, meinen kalten Atem. Nimm das alles. Und meinen Körper, Geist und Seele. Du weißt: ich bin dein. Dein Wille, deine Effizienz. Ich bin das Feuer, das für dich brennt. Ich bin süchtig, nach dem Gefängnis, das du bist. Deine Flügel sind teuflisch. Deine Süße ist bitter. Ich kann niemanden anbeten außer dich. Wissend trank ich vom giftigen Kelch. Jetzt inhaliere ich dich tief in meinen Hals, den Nagellack, der du bist, das Benzin. Ich atme dich ein. Ich saug dich auf. Ich will eine fleißige Biene sein. Du bist mein Blütenstaub, mein Honig. Ich sammele dich ein.
Mein Blut, meinen Schweiß, meine Tränen, Nimm das alles. Mein Blut, meinen Schweiß und meine Tränen, meinen kalten Atem. Nimm das alles. Öffne das Zahlenschloss zu meinem Gehirn. Stalke mich auf Instagram. Hol dir die Pin zu meinem Kopf. Knack meinen Schädel. Hack dich ein, ändere den Code. Und du kannst mich lesen. Wisch die Nasenhaare beiseite und kriech in mein Gehirn. DU bist der CEO in meiner Schaltzentrale. Meine Motivation schießt heraus wie Nasenbluten. Ich trage es auf meinen Lippen. Denn du liebst rot. Gib mir den Kuss wie ein Dementor. Leer mich aus. Mal einen Picasso aus meinem Saft. Versteigere meinen Wert bei Sotheby’s. Nimm das Eisen aus meinem Blut, schmelz es ein. Ich schenk dir meinen Lebenssinn.
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Meditativer Standbymodus
Ich sitze in der Küche, der Löffel in meiner Hand hängt noch halb in der Müslischale. Ich habe nur einen Socken an. Und ich denke nicht nach. Ich schaue aus dem Fenster in den Garten. Aber eigentlich auch nicht. Eigentlich kucke ich mehr ins Irgendwo. Wie mittendrin abgeschaltet. Halb da und halb nicht. Wie ein Bildschirmschoner. Meditativer Standby-Modus. Ich-konzentriert. Um einen herum geht alles in Slowmotion. Man sieht alles, aber man fixiert nichts. Meistens kommt man da rein, wenn man gefordert ist. Wenn jemand was von einem will, aber man gerade nicht bereit ist. Von jetzt auf gleich prallt alles um dich herum an dir ab. Oder geht einfach gleich in deinen Hinterkopf und spielt nur noch eine Nebenrolle.
Ich denke nur noch an das, was ich gerade sehe, und dann geht dieser Gedanke über in einen nächsten und einen nächsten und einen nächsten … Was passiert mit dem Eisbär, wenn ihm das Eis unter den Füßen wegschmilzt? Was mit meiner Seele, wenn ich tot bin? Gibt es ParallelWelten? Warum hört der Hamster nicht auf zu rennen? Ist der Mensch ein Fehlprodukt? Was wird sein, wenn ich in die Vergangenheit reise und da auf einen Schmetterling trete? Werde ich dann überhaupt noch geboren?
Es ist wie wenn jemand kommt und auf Pause drückt. Du läufst im Leerlauf. Dein Blick ist zwar da, aber deine Augen klappen nach innen. Du siehst deine Gedanken nur noch in Bildern vor dir, spuckst sie als endlose Filmrolle wieder aus dem Mund aus und schielst von oben mit deinen zwei Äuglein drauf. So kommen die Bilder wieder in deinen Kopf. Du läufst als endloser Kreislauf. Ein Kreislauf, der sich selbst genügt. Du fühlst dich leicht. Wie in einem Massage-Sessel auf Wolken, um dich herum ein Kumpel aus Zuckerwatte.
Meine Nase juckt Wo ist denn jetzt eigentlich die Zeit hin? Da winkt einer. Meint der mich? Ganz verschwommen. Er löst sich auf meiner Netzhaut auf. Bakterien geben meine Sicht wieder frei. Ich habe Hunger. Oder Durst? Nein, doch nicht. Ich mache meine Schranktür auf. Da liegen 500 €. Nein, doch nicht. Können Träume Tatsachen liefern? Alles ist orange. Random Shit Collage. Traumland ist ekelhaft. Meine Nase juckt. Ein Popel fällt heraus. Er kann die Luft zum Stinken bringen. Man konzentriert sich. Wie das riecht. Was man hört. Folgenlos. Flüchtig. Faul. Hell und Dunkel. Was war da eigentlich?
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und schreitet im Verfolgerlicht langsam die Bühne auf und ab. Einen fast gegenteiligen Eindruck hingegen erweckt der von Philipp Karau gesprochene Text „Meine Nase juckt“, mit dem „TuNix!“ im Anschluss an die „Standby“-Sequenz endet. Wieder langsam, aber scheinbar viel unsicherer, als würde er jedes Wort nur antesten und überprüfen, ob es überhaupt richtig klingt, schaut sich Karau aus seiner Fellmaske heraus vorsichtig im Raum um: „Wo ist denn jetzt eigentlich die Zeit hin? Da winkt einer. Meint der mich? Ganz verschwommen. Er löst sich auf meiner Netzhaut auf. Bakterien geben meine Sicht wieder frei. Ich habe Hunger. Oder Durst? Nein, doch nicht. Ich mache meine Schranktür auf. Da liegen 500 Euro. Nein, doch nicht.“
Vermutungen über den eigenen Zustand und den der Umgebung werden angestellt und sofort wieder zurückgenommen, leise untermalt von Glockenspiel und einer fröhlichen Melodie (Ikue Mori/Fred Frith: „Zen“). Die Sprechhaltung wirkt eher schwach und konfus, eine direkte Ansprache des Publikums bleibt diesmal aus. Auch in dem meditativen Zustand, der die fordernde Geschäftigkeit des ersten Teils ersetzt hat, in jenem stumpfgeschalteten Dämmerzustand der zweiten Hälfte der Performance scheint sich ein nur trügerisches Heilsversprechen zu verbergen und keinesfalls ein zufriedenstellender Ausweg aus dem Hamsterrad: „Traumland ist ekelhaft.“ Die zwei unterschiedlichen Modi, die sich in „TuNix!“ ausmachen lassen, der Stress und die Erschöpfung, bedingen sich gegenseitig und erscheinen als zwei Seiten derselben Medaille.
Adoratio und Addictio
Die aggressive, machtbetonte Adressierung in der „Inkompetenz des Todes“ und „Blut, Schweiß, Tränen“ im ersten, die unstete, konfuse Ansprache in „Meditativer Standby-Modus“ und „Meine Nase juckt“ im zweiten Teil von „TuNix!“ werfen abschließend die Frage auf, wie sich die gegensätzlichen Wirkungen der Texte theoretisch fassen lassen. Welche Art von zuschauenden, zuhörenden Subjekten wird durch die jeweilige Performerhaltung erzeugt, und in welcher Verbindung steht diese Ambiguität zu dem Thema des Stücks? Die hier verfolgte These lautet, dass es sich um zwei grundlegend andere Formen der Ansprache im Theater handelt, die MOTU in ihrer Performance „TuNix!“ – wie übrigens auch in ähnlichen Arbeiten – ausprobieren und gegeneinander ausspielen.
Diese beiden Anspracheformen sollen hier probeweise im Anschluss an die Theaterwissenschaftlerin Helga Finter addictio und adoratio genannt werden – beide Begriffe entnimmt sie einer Studie Jean-Luc Nancys2. Demnach sei es die addictio, die in der heutigen Gesellschaft dominiere: eine unterwerfende Form der Ansprache, die jedes eigene Begehren derjenigen, die angesprochen sind, zu unterdrücken sucht, um eine möglichst absolute Akzeptanz der gesendeten Botschaft zu erreichen. Die Imperative und Kaufempfehlungen der Werbung funktionieren ebenso auf diese Weise wie bestimmte Formen politischer Rede oder institutioneller Anrufung, und zwar immer dann, wenn es darum geht, Subjekte ohne Handlungsfreiheit zu formen, die identisch mit ideologischen Vorstellungen sind. „Folgen Sie unserer Storyline, glauben Sie an unser Märchen“: Die bedrohlich wirkenden, unentwegt zu Selbstoptimierung und Leistungssteigerung aufrufenden Texte des ersten Teils von „TuNix!“ arbeiten auf vielfältige Weise mit dieser Form der Adressierung. Der addictio stellt Finter das Konzept der adoratio gegenüber. Bei dieser „besondere(n) Form des Sprechens“3 wird ein Subjekt niemals direkt adressiert, niemals als absolut der Ansprache sich zu Unterwerfendes. Die adoratio stattdessen ist in ihren Botschaften und ihrer Form eher vorsichtig und offen, weil sie den
2) Vgl. Jean-Luc Nancy: „L’Adoration“ (Deconstruction du christianisme 2). Paris 2010. 3) Helga Finter: Nach dem Diskurs. Zur Ansprache im aktuellen Theater, in: dies.: „Die soufflierte Stimme: Text, Theater, Medien. Aufsätze 1979–2012“. Frankfurt am Main 2014, S. 566.
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zuhörenden Subjekten Handlungs- und Entscheidungsfreiheit, ja Mit-Sprache zuerkennt. Diese „poetische Sprache auf der heutigen Bühne (lässt) das Echo einer utopischen Stimme hören, die das Unmögliche einer reinen Stimme der Sprache verlauten lässt“4, so Finter. Unausgebildete Stimmen, „ferne vom Sinn und Habitus unterstreichender Schauspielerrhetorik“5 können diese Offenheit haben, ein Sprechen, das eine Distanz zum Text einhält und seine rhythmischen und vokalen Strukturen ausprobiert. Anton Prevrhal und Philipp Karau testen die von ihnen im Dämmerzustand geäußerten Texte auf diese Weise aus, in deutlichem Kontrast zum unterwerfenden Managersprech des ersten Teils. So lässt sich Finters These, dass Theater immer ein Ort gewesen sei, „der Formen der addictio einer Gesellschaft auf den Prüfstein der adoratio stellte, um sie zu dekonstruieren“6, leicht auf die Arbeit von MOTU, insbesondere im hier untersuchten Stück übertragen. Formen imperativer Ansprache werden theatralisiert und im Zusammenspiel mit zahlreichen weiteren visuellen und akustischen Bühnenmitteln erst zum Äußersten getrieben, dann ausgehöhlt und entleert – „Folgenlos. Flüchtig. Faul“, wie es am Ende von „TuNix!“ heißt: „Was war da eigentlich?“
fenden Sprechen, Ansprechen, Kommunizieren im Theater und außerhalb wäre demnach eine künstlerische Praxis (von mehreren), vorübergehend einen utopischen Raum herzustellen, der alternative Weisen des Zusammenlebens denk- und spürbar werden lässt. Ein Sieg der mitunter revolutionären Träume der Masters of the Universe selbst über die Sonne erscheint als Möglichkeit. Insular indes wie bei Morus wirken die Utopien von MOTU dabei ganz und gar nicht: Denn auf eindrückliche Weise hallt das, was sie im Theaterraum ausprobieren, außerhalb seiner Grenzen nach.
Utopische Ansprache
Als sichelmondförmige Insel, in ihrer Mitte zweihundert Meilen breit, etwa so groß wie England, aber viel geordneter, mit viel gleichmäßiger verteilten und gleich großen Städten, so beschreibt Thomas Morus in seinem 1516 erstmals erschienenen gleichnamigen Buch das ferne schöne Land Utopia, und er erfand damit nicht nur den bis heute gebräuchlichen Terminus des Utopischen, sondern fundierte auch eine neue Äußerungsform von Gesellschaftskritik: Diagnostizierte Missstände einer konkreten, gegebenen sozialen Situation werden nicht direkt adressiert, sondern konterkariert durch die positive Schilderung einer fiktiven, aber eher als anderswo behaupteten denn als eindeutig fiktiv markierten Alternative.7 Auf formaler wie inhaltlicher Ebene kann dieser utopische Charakter auch „TuNix!“ zugesprochen werden: Die unentwegte Arbeit an einem nicht-unterwer4) Ebd., S. 567. 5) Ebd., S. 569. 6) Ebd., S. 567. 7) Vgl. Thomas Morus: „Utopia“. Hamburg 2011. Zu Tendenzen des Utopischen in zeitgenössischen Performances vgl. auch: Philipp Schulte: Nicht mehr – noch nicht. Überlegungen zu einem Theater des Utopischen, in: Olivia Ebert, Eva Holling, Nikolaus Müller-Schöll, Philipp Schulte, Bernhard Siebert, Gerald Siegmund (Hg.): „Theater als Kritik. Theorie, Geschichte und Praktiken der Ent-Unterwerfung“. Bielefeld 2018, S. 167–175.
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dER VISUEllE bAUKASTEN dER MOdERNE Überlegungen zur Bildsprache in „Sieg über die Sonne“ Ulrich Schötker
Wie anfangen? Ein Ende vorweg.
„Sieg über die Sonne“ von MOTU ist ein düsteres Bühnenstück. Was lässt sich anderes erwarten, wenn die Sonne in ein Haus aus Beton gesperrt wird? Das moderne, revoltierende Kind, dem der Traum von der Sonnenseite der Erwachsenen und ihrer bürgerlichen Mentalität nichts sagt, greift zu radikalen Mitteln, um für sich, seinem Leben und seiner zukünftigen Peer-Group einen Neuanfang heraufzubeschwören. Die Wurzel allen Übels – die Sonne – muss eingesperrt werden. Eine kindische Idee – und zugleich Plot des gleichnamigen Vorläufers der russischen Futuristen Alexej Krutschonych, Welimir Chlebnikow, Michail Matjuschin und Kasimir Malewitsch, die „Sieg über die Sonne“ 1913 in einem Varieté-Theater in St. Petersburg aufführten und als Skandal in die Theatergeschichte einging. Auch dort wurde die Sonne dingfest gemacht, die philosophische Aufklärung abgesagt – und das mithilfe einer gegenstandslosen Ästhetik, die auf eine reine Empfindung setzt.
Es ist jedoch ein Missverständnis die russischen Kubofuturisten auf eine Vertrau-deinem-Bauch-Ästhetik zu reduzieren. Die Magengrube mag der dunkelste Teil des menschlichen Wesens sein. Der Fokus auf Gefühligkeit ist uns aber durchaus im Genre des Kindertheaters bekannt. Hier rührt man gerne an den seichten Emotionen und verabschiedet sich glücklich mit einem HappyEnd. Ob man damit den Lebenswirklichkeiten vieler Kinder in unserer Gesellschaft gerecht wird, darf bezweifelt werden. Sei es, dass man an den Verhältnissen seiner prekär arbeitenden Eltern leidet, den subtilen Psychologismen seiner Akademiker-Eltern ausgesetzt ist, als junge Geflüchtete seine Traumata verarbeiten muss: Kindheit ist nicht leicht, zart und schön, auch wenn das Erwachsene immer wieder auf Kinder oder Kindheit projizieren. Kinder und Jugendliche nehmen an den Verwerfungen
unserer Gesellschaft genauso teil wie Erwachsene. Ihnen wird aber oft keine Stimme verliehen, um sich zu artikulieren. Sie nicht an dem selbst Erlebten und Gespürten reflektierend – gerade auch im Sinne einer bildhaften Kunst – teilhaben zu lassen, wäre eine falsch verstandene Vorstellung vom Schutz der Kinder und der Jugend. Statt also Eskapismus zu fördern, entwickeln MOTU analysierende Stücke, die eine ästhetische Unterscheidung zwischen Kindertheater und Erwachsenentheater ablehnen. In MOTU haben ebenso die dunklen Seiten des Lebens – des VerzweifeltSeins, des Bösen, des Langweiligen und Monotonen, des Hinterhältigen oder Ausgebeuteten – und auch die treibenden Begriffe unserer Zeit „Arbeit“, „Konsum“, „Selbstoptimierung“, „Kapital“ ihren Raum. MOTU bohren nach dem Sinn des Lebens und erarbeiten in der Gruppe ein Tableau an Assoziationen, die sich durch das Zusammenwirken von einer gemeinsam erarbeiteten Sprache, eines Bühnenbilds und ihrer Performance ergeben. Da wird aus bunt auch schrill, aus laut Noise, Techno oder Punk, aus leise eine monotone Folge dumpfer Rhythmen in einer räumlichen Leere. Dass Kinder und Jugendliche eben nicht auf Sentimentalitäten einfacher Geschichten mit netten Bildchen zu reduzieren sind, belegen MOTU auch bezüglich ihrer Bühnenbilder. Entgegen des Genres der Guckkastenbühne, das versucht, eine naturalistische Raumillusion wiederzugeben, und dabei gerne verkitscht, sind ihre Bühnenbilder tatsächlich als Bilder zu verstehen, die einen weiteren Assoziationsraum für das Stückeschreiben und das Publikum aufmachen. Wir alle teilen uns nicht nur die Welt, in die wir hineingeworfen wurden. Wir teilen uns auch das Stück – Produzenten wie Rezipienten. Wir werden in eine Bühnenwirklichkeit hineingeworfen, und uns bleibt nichts anderes übrig, als 89
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aus dem (Welt-/Bühnen-)Chaos einen Sinn zu kreieren. Denn der Sinn muss erst hergestellt werden. Dies gilt auch für die Produktionsweise von MOTU. Es ist an den Stücken abzulesen, dass die visuellen Referenzen des Bühnenbilds und der Sprachbilder durch die Köpfe und Körper sehr verschiedener Performer und Stückentwickler – Kinder, Jugendliche, Erwachsene – gegangen ist. MOTUs Stück „Sieg über die Sonne“ greift dabei Ästhetiken aus der bildenden Kunst auf, aber führt sie auf Erfahrungswerte zurück, an denen wir alle teilhaben: Erfahrungen mit den zeitgenössischen Medien-, Konsum- und Alltagskulturen unserer Moderne. Aber sind wir Genossen? „Anfang gut, alles gut – Ein Ende wird es nicht geben“
Das Stück beginnt mit dem Blick in einen White Cube. Auf der linken Seite ragt ein aus Brettern gezimmerter Baumstamm aus der Wand in die Bühnenmitte. Wie an einem Lampion hängt daran eine gigantische weiße Kugel und erleuchtet blinkend den Bühnenraum. Es tut sich hier ein unheimlicher Raum auf. Der White Cube war als moderner Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst eigentlich positiv besetzt: Frei von Dekor, üppig gestaltete Bilderrahmen wurden abgenommen, die Podeste weiß gestrichen. In diesem aseptischen Raum – so die Vorstellung, die viele Futuristen teilten – sei reine Empfindung möglich. Zugleich ist er auch der Raum, der an Monotonie nicht zu überbieten ist. Er unterscheidet sich nicht von einem Kellerraum oder einem Parkhaus. Er ist funktional.
In „Sieg über die Sonne“ dämmert es. Uns auch: Kann dieser rationalisierte White Cube, der moderne Raum, wirklich so gut sein? Auf der rechten Seite zwei Musiker, die in der Leere mit Schlagzeug und Musikgeräten ausgestattet einen blechernen, klaustrophobischen Rhythmus anschlagen, als wenn man in einer Röhre säße. Die ersten Akteure marschieren oder schleichen – genau ist das nicht auszumachen – auf die Bühne. Der Verlauf eines Sonnenzyklus zeigt sich mit einer simplen aber ausgeklügelten und wirkungsvollen Bühnentechnik, der man (sehr konstruktivistisch!) beim Arbeiten zuschauen darf, per OverheadProjektor an den Wänden.
Das Thema Sonnenfinsternis ist genannt (oder besser: visualisiert) und das Spiel eröffnet. Die Akteure umkreisen die Kugel wie die Motten das Licht. Der Planet wird angebetet. Das Ritual 94
erscheint dabei seltsam stumpf, wenig feierlich, eher technisch und quadratisch. Wie bei einem Kult breiten die Schauspieler also im monotonen Takt einer auf- und untergehenden Sonne die Arme aus wie der Prediger zum Segen, sie recken die Arme zum Anbeten in die Höhe und knien demütig unter der Kugel. Der Ritus erscheint hier als sinnentleerter Kult. Es pointiert sich eine Kritik an moderner Kunst. Sie, die Autonomie einforderte und für ein Versprechen der Befreiung eintrat, hat den Ritus verloren. Ihre Kultivierung in der Moderne verrät ihre Ziele. Sie erscheint technokratisch, verliert ihre ursprüngliche Funktion und wird zur Ware oder zum Dekor.
An den Wänden zeigen sich plötzlich Bilder, die funktional gedacht waren im Stile moderner Piktogramme (dem sozialökonomischen Konstruktivismus der „Kölner Progressiven“ um Gerd Arntz und Franz W. Seiwert nahe). Sie versuchen, uns mit Statistiken die Welt zu erklären, damit wir mündig werden. Oder müde? Vielleicht führen heute die vielfältigen Piktogramme und Bildstatistiken, die Inflation von Bildern der neuen Medien (sind Selfies nicht zeitgenössische Piktogramme?), denen wir heutzutage ausgesetzt sind, dazu, uns langfristig an gegebene Verhältnisse anzupassen, statt sie zu verändern. Die immanente im Stück dargelegte Logik: Schweine werden in Ställen gehalten, damit sie in LKWs abtransportiert werden; Häuser stapeln sich als monoton konfigurierte oder als verschachtelte Ordnung, um Menschen zu sortieren. Es stellt sich keine Frage. So dargestellt versteht es sich von selbst. Es ist in aller unhinterfragbarer Tragik selbstverständlich geworden. Aber ist es das wirklich? Hier setzt sich nämlich die fortschrittsgläubige Propaganda der Moderne fort, an die wir heute nicht mehr glauben wollen. Zusammen mit dem im Prolog gesprochenen Text „Die Dramen außerhalb der Zeit erzählen, / wer ihr seid, / die des Gegenwärtigen, / wer ihr sein könntet“ zeigt sich das gemeinsam zu ertragende Dilemma unserer Epoche: Sie kennt kein Ende und erscheint zeitlos. Im Gegensatz zu vielen anderen Epochen, die ihren geschichtlichen Begriff im Nachhinein erhalten haben – während der Zeit der Renaissance sprach von Renaissance keiner –, scheint es uns unhinterfragbar, im Zeitalter der Moderne zu leben. Wir denken diese moderne Epoche, in der wir leben, mit einem Anfangspunkt, einer Stunde Null. Davon gibt es allerdings einige. Die Epoche der Moderne beruft sich auf mehrere davon.
SIEG ÜbER dIE SONNE (2018) Augen auf, Augen zu
Jeder findet kleine Babys süß. Wegen dem Kindchenschema. Das ist Instinkt, das ist einprogrammiert. Alle wollen sie streicheln, weil sie sonst tot sind. Das ist von der Natur so vorgesehen. Aber sie wollen nicht kuscheln. Wenn man es probiert, beißen sie. Sie sind wie eine Mischung aus Meerschweinchen und Ratte. Lieb. Und böse.
Meine Mutter möchte mich umtauschen. Ich passe nicht. Ich passe nicht in die Wohnung. Ich passe nicht durch die Türe. Die Klamotten passen mir nicht. Der Löffel passt nicht in meinen Mund. Ich rufe laut. Ich fluche laut. Ich schreie. Echte Todesschreie. Träume platzen wie ein Trommelfell.
Ich werde niemals Jack Nicholson treffen. Keine Horrorfilme sehen. Nicht alleine im Wald spazieren. Ich werde nie auf den Rummel gehen.
Ich bin ein Kind, das nicht schreit. Nicht mit Exkrementen spielt. Nicht stört. Das immer zufrieden ist. Das gut isst. Ich habe Größe 33 und meine Schuhe sind Größe 42. Ich trage sie wie Clownsschuhe, nur ohne zu stolpern. Erwachsenen-Clownsschuhe. Ich schreite über das Parkett der Alten, über die Tanzfläche. Ich bin partytauglich.
Ich tanze zum Takt, unter dem Schein der Sonne. Bald komme ich in die Kadettenanstalt.
Augen auf. Augen zu. Tagein. Tagaus. Das Gefühl, das man nur einer von vielen ist. Keinen Einfuss auf die Welt. Man hinterlässt keine Spuren. Der gleichmäßige Trott der Gegenwart betäubt die Gedanken. Und nach dem Stress kommt die Müdigkeit. Man trägt den Takt in sich selbst. Die ganze Zeit.
Das menschliche Gehirn kann Schmerzen empfinden aufgrund von Langeweile. Ein Experiment: Ein Knopf. Ein Stromschlag. Den Schockerknopf drücken, um irgendeine Stimulation zu spüren im Gehirn. Das Gehirn mag Wiederholung. Die Zunge wird frei für einen neuen Geschmack. Für eine neue, alte Vision:
Ich setze mich auf einer Wiese aus wie ein Meerschweinchen ohne Käfig. Alle denken, das ist falsch. Aber es ist richtig. Ich will das. Es ist mein Dream. Es ist mein Traum. Es ist mein American Dream.
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Exkurs: „Sieg über die Sonne“
Der futuristische Vorläufer von 1913 enthält eine völlig neue, von Malewitsch entwickelte Bildsprache, die den Anfang seiner suprematistischen Schaffenszeit bildet und auch als eine Stunde Null der Kunstgeschichte gilt. Noch heute wirken die Bilder dieser gegenstandslosen Ästhetik fremd – aber auch nach. Zunächst nicht enträtselbar oder dechiffrierbar folgt sie doch einer Anordnung geometrischer Formen, die hypothetisch auf die „reine“ Empfindung zielt. Die Kompositionstechnik hatte jedoch sehr konkrete Vorläufer: Die enzyklopädische, wenngleich kolonialistisch geprägte Auseinandersetzung des 19. Jahrhunderts mit dem Ornament bzw. den Ornamenten der Kulturen der Welt (aus Persien, China, Lateinamerika, Afrika), aber auch selbstreflexiv in ihrer romantisch verklärten, folkloristisch-bäuerlichen Daseinsform auf Möbeln, Decken und Geschirr. Ihre Nachwirkungen zeigen sich in der Art der Dekors der funktionalistischen Bauhaus- und De Stijl-Bewegung, die wir in abgewandelter Form noch heute bei IKEA entdecken. Das ist die Avantgarde-Geschichte des sozialen und demokratischen Lichts. In die Dunkelheit gesprochen könnte man auch sagen: Die revolutionäre Ästhetik des Futurismus und Suprematismus der 10er Jahre des 20. Jahrhunderts, deren Künstler eine neue Formensprache für die neue solidarische Gesellschaft einforderten, fand sich später wieder in der gewaltvollen Umwälzung der global modernisierten Zivilisationen durch Kolonialismus (siehe Futurismus und Eritrea) und den Zweiten Weltkrieg (siehe Swastika im weißen Kreis auf rotem Grund) und mündete lediglich in Layout-Vorlagen angesagter Typografen der Nachkriegsmoderne.
Heute also mag die klassische Moderne im westlichen Kulturraum als moderne Distinktionsästhetik einer Mittelklassegesellschaft gelten, jener Lichtgestalten also, für die sich das Versprechen der Moderne in „ihrer“ solidarischen Mitte eingelöst hat. Für die anderen nicht. Stereotypen: Die Ikone zwischen Aura und Anpassung
Und nicht so im weiteren Verlauf des Stücks. Eine junge Performerin (ein junges und kleines Mädchen) wetzt die Messer oder besser: die Heckenschere. (Mit der sie später auch der Sonne das Stromkabel kappt.) Sie kündigt an, die Sonne vom Himmel zu holen. Ihre Begründung fällt schaudernd aus, lässt sie uns doch 96
teilhaben an ihren Status als modernes Kind und ihren Zukunftsvisionen, sofern man davon sprechen kann. Ein Bild wie aus einem Horrorfilm. Das Niedliche und Gefährliche fällt zusammen. Unser Blick auf das niedliche Kind und somit auf die „Niedlichkeit“ als solche wird – rational betrachtet – als einprogrammiertes Kindchenschema entlarvt. Dieses von der Natur vorgesehene Gefühl wird als läppischer Instinkt bezeichnet. Daran anknüpfend schildert sie in eindringlicher Weise ihre Not, als Kind zu funktionieren, aber es nicht zu können. In der Welt der „Anderen“ passt sie eben nicht hinein. Ich passe nicht. / Ich passe nicht in die Wohnung. / Ich passe nicht durch die Tür. / Die Klamotten passen mir nicht. / Der Löffel passt nicht in meinen Mund. / Ich rufe laut. / Ich fluche laut. / Ich schreie - echte Todesschreie. / Träume platzen wie ein Trommelfell.
Hier zeigt sich die ausgesprochene Qualität des Stücks und seinem Ausgangspunkt, zwischen Kinder- und Erwachsenentheater nicht zu unterscheiden: Denn all das, was die junge Performerin schildert, ließe sich prinzipiell auf viele Lebensentwürfe in einer gewinnorientierten Gesellschaft der Selbstoptimierung beziehen. Heute steht die Frage im Raum, ob wir überhaupt von eigenen Entwürfen sprechen können, wenn der funktionalistische Weg unserer Lebensentwürfe schon vorgezeichnet ist, bevor wir überhaupt den ersten Gedanken dazu fassen konnten. Man möchte sagen: Egal, welchen Alters, sie spricht uns allen aus dem Mund. Es ist ein berührendes Bild von einer Kindheit der Moderne und unserem Zustand in der modernen Gesellschaft.
Und dann gibt sich das Mädchen in Form depressiver Selbstaufgabe den gegebenen Umständen hin. So trägt sie – praktisch denken, Särge schenken – bei Fußgröße 33 die Schuhgröße 42. Man wächst in die Umstände hinein. Sie genießt eine imperative Erziehung in der Kadettenanstalt. Wahrscheinlich karrierefördernd. Sie stört nicht, sie scheint zufrieden. Augen auf, Augen zu. Und nach dem Stress von der vielen Arbeit bleibt (ihr/uns) nur die Müdigkeit. Engagement für ein freies Leben? Fehlanzeige. Der zeitgenössische, funktionale Zugriff auf das Mädchen zeichnet sich im gegenwärtigen Diskurs des Bildungs- und Erziehungssystems ab. Eine ihrer wirksamen Vorstellungen ist die einer Didaktik, die weiß, wie man „richtig“ lehrt und lernt. Sie kultiviert eine übergriffige Beziehung zum Schüler, eine Output-
orientierte Art des Unterrichtens und eine nie enden wollenden Kultur des Lernen-Lernens von der Kita bis zum Grab. Ihren Beginn nahm sie in der Verhaltensforschung und dabei – passend zum Wortlaut der Performerin – mit Bezug zum Reiz-Reaktionsschema. Ausschlaggebend ist der Speichelfluss des Hundes durch Belohnung (Pawlow) und der Ratten im Labyrinth (Skinner). In all dieser Forschung werden die beobachteten Hunde, Ratten und Kinder zwar untersucht, aber kaum befragt. Es fehlt hier also völlig die pädagogische Vorstellung zur Selbstwirksamkeit und Selbstermächtigung des Kindes, obwohl sie eng mit der Erfindung der Kindheit im 19. Jahrhundert verbunden ist.
Die Erfindung der Kindheit zeigt sich als ein fortlaufender Prozess in der Kulturgeschichte. Selbstwirksamkeit und Selbstermächtigung sind jedoch eher Teil einer modernen Pädagogik, die das Kind als ein Wesen besonderer Art verstehen. Fehlt ein Konzept von Kindheit, bleiben grob gesagt nur zwei Pole, um diese menschlichen Wesen einzuordnen: das Kind als ein Haustier, das man am Tischbein festbindet, damit es in der Küche nicht stört; oder das Kind als schon Erwachsener im Matrosenanzug, der sein kindliches Verhalten unterdrücken muss oder andernfalls hart bestraft wird. Im Gegensatz zu diesen aus der Geschichte bekannten Betrachtungen zeigt sich seit Herausbildung der modernen Pädagogik eine umfassende Auseinandersetzung über die Förderung der Selbstwirksamkeit der Kinder. Sowohl mit der Einführung des Kindergartens (Fröbel) und der Schule (Pestalozzi) wurde die Idee mitgeführt, diese als einen Raum zu begreifen, in dem das Kind unter pädagogischem Schutz seine Persönlichkeit entwickeln kann. Dies scheint in einem derzeitig auf Leistung getrimmten Bildungssystem in Vergessenheit zu geraten.
Im Stück „Sieg über die Sonne“ wächst das Kind in einer modernen, fortschrittsgläubigen und technokratischen Gesellschaft auf, welche die Vorstellung einer schützenswerten Kindheit gefährlich auflöst: Sie werden weder als Tiere noch als Erwachsene betrachtet, sondern als Wesen, die sich den modernen „Selbstverständlichkeiten“ anzupassen haben. Selbst das Kindchenschema, das zumindest noch für einen Welpenschutz spricht, wird wissenschaftlich zersetzt. Was bleibt, hat mit sozialen, menschlichen Bindungen zum Heranwachsenden nichts mehr zu tun. Die Zukunftsvision in dieser Pseudogesellschaft einer nie enden wollenden Geschichte verlangt nur die Reproduktion von Menschen. Nicht von Menschlichkeit.
Figuren – Ikonen – Bilder
Die Figuren auf der Bühne – ihre Kostüme verraten sie als ländliche Pelzjäger, urbane Arbeiter oder beides – zitieren die Form des Stereotypen, die in der Oper von 1913 angelegt sind und sich auf die Vorläufer der Comedia dell'arte beziehen. Interessant wird es, wenn man diese Figuren auch als Ikonen betrachtet. Diese typisierten Heiligenbilder spielten in der vormodernen, russischen Bildtradition eine ausschlaggebende Rolle, auf die sich Malewitsch mit seinem „Schwarzen Quadrat auf weißem Grund“ bezog. Dieses Gemälde hing in der berühmten Ausstellung „0,10“ oben in der östlichen Ecke, so wie man es von den Ikonen in den Häusern gläubiger Bewohner kannte. Malewitsch positioniert also seine neue Formensprache in die religiös-tradierte Ausstellungsform.
MOTU verfahren ähnlich: Als Konstrukteure bedient sich die Gruppe einer modernen Ästhetik, die den Bildcharakter der Figuren erkennt, um so in ihren Figuren zeitgenössische Stereotypen zu artikulieren: das partytaugliche Kind also, dem der Umtausch droht, wenn es sich einer totalen Anpassung verweigert, es unter der fehlenden Selbstwirksamkeit leidet, die ewige Monotonie spürt und sich selbst als hybride Züchtung von Meerschweinchen (lieb) und Ratten (böse) sieht mit dem Wunsch, auf der freien Wiese „auszulaufen“. Es ist nicht ganz klar, ob wir es mit einem Freiheitswunsch oder mit einem Suizid verbinden werden. Zum Heulen. Aber mir als erfahrener Pädagoge nicht unbekannt.
Das Stück wirft durch diese wandlungsfähige Rekonstruktion des Vorläufers und der präzisen textlichen und bildhaften Konturen, die sich in der Zusammenarbeit der Gruppe und der Zusammenarbeit mit den jungen Performern ergeben haben, einen Blick auf das Kind als Teil unserer Gesellschaft und auf elementare Erfahrungen, die Kinder und Jugendliche in unserer düsteren Gesellschaft machen.
Im Vordergrund ihrer Bühnenarbeit steht aber auch die ethische Frage nach der Beziehung zwischen den verschiedenen Elementen der Gesellschaft. SKART lösen uns von dem programmierten Kindchenschema des Kindertheaters. Es geht nicht um Theater für Kinder, sondern um Theater mit Kindern und Jugendlichen. Es ist der Unterschied zwischen Teilnahme und Teilhabe, der 97
Lichtwesen
Die Sonne ist auf der Erde. Dem Tod geweiht. Sie ist nun, wie alle Menschen, ein Todeskind. Der Rhythmus des Alltags löst sich auf. Der Takt in uns wird schwächer. Das Licht der Sonne erlischt und das Licht in uns erwacht. Es gibt kein Wollen und kein Müssen mehr. Das bisher Gekannte ist weg, alles von vorn. Reset, Update. Wir stehen vor einem Neustart. Ihm verdanken wir unser kommendes Bewusstsein und unsere Körper. Next level Communication coming. In der Dunkelheit brauche ich keine Augen mehr. Ich rieche deinen Mundgeruch und weiß, wie es dir geht. Wir sprechen immer weniger und weniger. Dann sagen wir gar nichts mehr. Wie leuchtende Quallen gleiten wir durch die Dunkelheit. Meine Intuition kommuniziert mit dir. Wie Chamäleons wechseln wir die Farbe. Je nachdem, wie es uns geht. Rot. Grün. Blau. Doch du siehst das nicht. Du spürst es. Wenn ich dich frage, wie es dir geht, sagst du: Lila.
Ich weiß nicht mehr, wie du aussiehst. Langsam vergisst man, wie alles vorher war. Wie im Nirvana. Man weiß nicht mehr, ob man lebt oder tot ist. Die Zeitwahrnehmung verschiebt sich. Bis sie nicht mehr da ist. Kann man den Arm noch heben, wenn man keine Zeit mehr dafür hat? Kann man sich noch umarmen, wenn die Zeit dafür nicht existiert?
Die neuen Wesen haben kein Gehirn. Sie wissen nicht, ob es sie wirklich gibt. Oder ob sie nur ein Wurmloch ihrer eigenen Fantasie sind. Die Menschen transformieren sich. Lunge. Speiseröhre, Gehirn, ein After, ein Sack aus Knochen, ein Sack voll Muskeln und drum herum Haut. Was verwest dann noch ohne Skelett, Haut und Knochen? Welche Abdrücke werden sie hinterlassen?
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Ohne Hunger und ohne Durst steigen wir auf zu Gasen. Wir sehen ultra-violett und Licht gefiltert durch Körper. Dann beißen wir zu. Durchstöbern mit Röntgenblick unsere Umgebung.
CO2. Dein Atem. Gasförmig. Wie Gestank und Schwefel. Edelgase vermischen sich nicht. Sie bleiben immer unter sich. Inzestgase. Doch wir lassen uns ein- und ausatmen. Tanzen durch tausend Lungen. Lassen und filtern und reinigen. In Raucherlungen bleiben wir kleben und verschmelzen mit ihrem Gift.
Aus gasförmigen Sternen gebacken, verflüchtigen wir uns, schlüpfen in Körper. Ohne Aggregatzustand werden wir zu Aura.
Auf einmal stehen wir hinter dir. Du spürst etwas. Obwohl du weiß, da ist nichts.
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sich hier zeigt. Es geht darum, ihnen nicht die Worte in den Mund zu legen, sondern sie sprechen zu lassen, oder besser noch: gemeinsam zu sprechen. Sie versetzen uns in die Lage, die zeitgenössische, fortlaufende Apokalypse der Moderne auch aus der Sicht von denjenigen (Kindern) zu betrachten, die genauso tief im Morast der unverständlichen Moderne stecken wie wir (Erwachsene). Zentral ist auch jenes das Leben überhaupt ermöglichende Element schlechthin: die Sonne. Diese wird nach der Ankündigung und mit stampfendem, marschierendem Krach gemeinschaftlich abgesägt. Die dunkelrot, blinkende Kugel scheint nur an einem hölzernen Gerüst – einem wackeligen Baumstamm gleich – zu hängen. Mit dem monotonen Mantra „Wir werden dich in ein Haus aus Beton sperren“ wird diese Aktion so lange begleitet, bis die Sonne krachend in den schwarzen Kubus fällt.
Der Sieg
Die Sonne ist besiegt und auf der Bühne in einem aufgeblasenen (!) Raum eingesperrt. Die Aufmerksamkeit des Zuschauers wird auf die rechte Bühnenseite gelenkt, da dort ein mit Reggae-Musik begleitetes Mal-Happening stattfindet. Einzelne Linien unterschiedlicher Farben verschiedener Schauspieler zeugen von einer geselligen Tat. Eine Leiter wird bereitgestellt, und man malt auch in den oberen Höhen. Es scheint, als würden negative Erfahrungen der Revolution, Szenen von Mord, Terror und Totschlag gemalt. In den Wirren der dunklen Verwerfung zeigen sich bedrohte und bedrohende Menschen, Erinnerungen an ein Naturbild mit Insekt, ein Hund oder Pferd oder beides. Es wird – man sieht es am gemalten „Peng“ - geschossen. Eine Bildproduktion einer Schulhofaktion oder eher anlehnend an Stilelemente der alten Neuen Wilden?
Die auf der linken Bühnenseite eingesperrte Sonne in ihrem schwarzen Raum steht der vielfarbigen, auf die Kontur setzenden Malerei auf der rechten Seite gegenüber. Hier – links – zeigt sich der begrenzende, rationale, ästhetische Gemeinschaftsraum, der ideologisch auf die reinen geometrischen Formen setzt, dort – rechts – ein geselliger Freiraum einer vielgestalteten, gemeinsamen Ästhetik, die sich an avantgardistische Malereien von Expressionismus, Informel oder Neue Wilde orientiert. Letztere lehnten die Annahme einer reinen Geschichte, einer 100
reinen Ästhetik und einer reinen Erfahrung ab. Ihre Bildthemen, Motive und Malweise orientierten sich an den sozialen Erfahrungen in der Moderne, sie spricht von Selbstermächtigung im Feld der Ästhetik und setzt sich ab von einem verordneten Programm.
Doch im Stück wird mit dem gesprochenen Text ein Kontrapunkt gesetzt. Die Sätze „Wir sind frei“, „Wir sind Kraftmenschen“ zeugen von einer behaupteten Selbstermächtigung. Jedoch sehr gewaltvoll: Die Sonne liegt zu Füßen geschlachtet. / Fangt an, euch mit den Maschinengewehren zu schlagen, / Zerquetscht sie mit den Fingernägeln. / Dann sage ich: da seid ihr, / Starke Kraftmenschen.
Es bleiben damit Zweifel, ob man es bei besagter Freiheit nicht mit bloßer Kraftmeierei zu tun hat. Und der Zwiespalt wächst, wenn alle sich nur noch um sich selbst drehen. So geschieht es auf der Bühne. Unter dem Mantra „Wir sind frei“ drehen sich alle Performer um die eigene Achse. Eine verwirklichte Individualität, die vermutlich versucht, ohne den anderen und ohne Geschichte auszukommen. Keine Reue, keine Erinnerungen. „Vergessen sind die Fehler, die Misserfolge.“ Wie lässt sich eine neue Gesellschaft beginnen, wenn man mit der Perspektive einer verleugneten Geschichte in die jetzige Welt einführen will? Es tut sich ein Widerspruch zur Stunde Null auf, da es eine Gesellschaft oder eine Persönlichkeit ohne Geschichte nicht gibt. Und die Geschichten lassen sich am besten anhand von Ereignissen erzählen. Meistens sind das Fehler und ihre Folgen.
Stunde Null – eine pädagogische Apokalypse
Aber woraus lernen, wenn man aus Fehlern – diese plötzlich passierten Details einer Handlung – nicht lernen darf? Oder das andere Extrem: das Schicksal. Wenn man erkennt, dass alles mit allem (vorherigen) zusammenhängt? Beides ist als erkenntnistheoretisches Problem zu betrachten. Wer die Fehler verleugnet, kann nicht lernen. Wer meint, alles wissen zu können, verliert den Überblick. In beiden Fällen also geht einem der Blick auf Grundsätzliches, auf die Grundlagen, auf die man sich verlassen darf, verloren. Das Elementare – ein stehender Begriff der modernen Pädagogik des 19. Jahrhunderts – bleibt verborgen. Was hält uns zusammen? Was wollen wir? Was können wir lernen?
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Wir haben auf das Vergangene geschossen. / Ist denn etwas geblieben? / Keine Spur. / Die Leere ist tief. / Sie durchweht die ganze Stadt. Allen wurde leicht zu atmen, und viele wissen nicht, was sie mit sich tun sollen vor unwahrscheinlicher Leichtigkeit. / Einige versuchten sich zu ertränken, / die Schwachen haben den Verstand verloren, / sie sagten: wir können doch schrecklich und stark werden. / Das hat sie beschwert.
Im Stück folgt also eine Zeit des Niedergangs. Es gibt keine Aussicht auf Freude. Und das bis zum Schluss! Der „Sieg über die Sonne“, wie von MOTU inszeniert, erscheint dabei zunächst als eine depressive Geschichte, eine Dystopie, aus der sich keine gute Pädagogik entwickeln lässt. Ist das Stück dann ernsthaft als auch für Kinder gedachtes Stück vertretbar? Warum ein Happy-End, wenn das nicht hilft und sich nichts lernen lässt? MOTU führen mit dem Stück einen tragischen Verlauf unserer Gesellschaft auf, einen, der sich in unserer Gesellschaft auch abzeichnet: Es wird derzeit in allen Medien davon berichtet.
So wird auch der Wunsch nach einem Neustart, einem „Reset“, wie es uns auch das derzeitige auf Fortschritt getrimmte technische Zeitalter 4.0 (ein Marketingbegriff, von dem sich nichts lernen lässt) vorzumachen scheint, in dem Stück ad absurdum geführt. Die Vorstellung einer Stunde Null und eines unhinterfragbaren Verlaufs unserer Geschichte ist allenfalls ein Zeichen für das Aufgeben jeglicher pädagogischen Ambitionen, die noch eine utopische Vorstellung einer besseren Gesellschaft haben. Der fortlaufende fehlende oder unkritische Umgang mit den neuen Medien in pädagogischen Zusammenhängen mag dafür ein Beispiel sein. Den Glauben an eine zu verbessernde Gesellschaft darf man nicht aufgeben. Gibt es ein richtiges Leben im Falschen (Adorno)? Ja. Denn unser Gefühl über „richtig“ und „falsch“, das wir im Zusammenleben spüren, sollten wir uns nicht nehmen lassen.
Denn sinnfällig wird die Welt nur im Austausch der Menschen miteinander. Der Sinn ist nicht da, er entsteht. Bei aller verständnisorientierten Vorstellung von Kommunikation – das Miteinander-Sprechen – müssen wir uns eingestehen, dass wir nämlich nicht miteinander sprechen, weil wir uns verstehen (Konventionen). Wir sprechen miteinander, weil wir uns nicht verstehen. (Weil wir uns entwickeln, weil wir lernen, weil wir uns bilden.) 104
Die Tragweite dieser gedanklichen Voraussetzung erkennt man dann, wenn mit den Figuren in „Sieg über die Sonne“ das Sprechen degeneriert. In der Dunkelheit brauche ich keine Augen mehr. Ich rieche deinen Mundgeruch und weiß, wie es dir geht. Wir sprechen immer weniger und weniger. Dann sagen wir gar nichts mehr. Wie Quallen gleiten wir durch die Dunkelheit. Meine Intuition kommuniziert mit dir. Wie Chamäleons wechseln wir die Farbe. Je nachdem, wie es uns geht. Rot. Grün. Blau. Doch du siehst das nicht. Du spürst es. Wenn ich dich frage, wie es dir geht, sagst du: Lila.
Es ist ein ausgesprochen berührendes und treffendes, wenngleich tragisches Ende der Figuren im Stück: Mit einer wabernden elektronischen Ambient-Musik und in einem nächtlichen Dunkelblau beruhigt sich die Szene bis zur Besinnungslosigkeit. Die Performer auf der Bühne treten in den Hintergrund. Sie verändern ihre Kostüme, sie verändern sich zu leuchtende Kreaturen. Die Piktogramme tauchen wieder auf. Diesmal mit dem beunruhigenden Hinweis auf unseren Kopf, unser Hirn, unsere Gedanken. Die menschlichen Formen lösen sich ins Ornamentale auf. Keine Widerstände mehr. Alles ist Form.
In der Dunkelheit lassen sie sich erahnen als gespenstische Wesen oder kleine Tierchen. Diese fluoreszierenden, wirbellosen Kreaturen des Meeresgrundes haben ihr Rückgrat verloren, drehen sich um ihre eigene Achse und können nur noch am Mundgeruch in der Dunkelheit ihre emotionalen Zustände erkennen. Da ist jegliche Kognition verloren, und der Muskeltonus reicht allenfalls noch zum Kriechen.
Lunge. Speiseröhre, Gehirn, ein After, ein Sack aus Knochen, ein Sack voll Muskeln und drum herum Haut. Welche Abdrücke würden wir hinterlassen? Was verwest dann noch ohne Skelett, Haut und Knochen? Ohne Hunger und ohne Durst steigen wir auf zu Gasen. Wir sehen ultra-violett und Licht gefiltert durch Körper. Dann beißen wir zu. Durchstöbern mit Röntgenblick unsere Umgebung. CO2, dein Atem, Gasförmig wie Gestank und Schwefel. Edelgase möchten sich nicht vermischen, bleiben immer unter sich. Inzestgase.
Diese Art Benthos – die Lebenswelt der Organismen und Bodentiere am Meeresgrund – ist hübsch anzusehen. Der Farben- und
Formenreichtum erinnert an schön gestaltete Bilderbücher, die Ernst Haeckel, der den Begriff 1890 prägte, herausgab. Hier schließt sich ein Kreis zu den Formfragen von Ornament und Abstraktion der Moderne. Aber bei aller Schönheit des Bildes: Von einer solidarischen, empathischen, also menschlichen Gesellschaft kann hier nicht mehr gesprochen werden, wenn Menschen auf ihre reine Körperlichkeit zurückgeworfen werden. Da bleibt nur die Vegetation. (Oder wie Platon es formulierte: der Schweinestaat. Eine funktionierende Gesellschaft von gut gefütterten und versorgten Wesen braucht keine Kritik.) Das Stück nimmt zum Schluss nochmal an Fahrt auf. Die Musik lockert sich zu einem drängenden Beat. Die Figuren tanzen, kriechen, drehen sich um ihre Achse, laufen ziellos herum. Die Sprecherin des Textes:
Anfang gut, / alles gut, / was ohne Ende ist. / Die Welt wird vergehen, doch wir sind ohne Ende!
… ruft in ihr Mikrofon in beständiger Wiederholung diesen Text und bewegt sich – wie passend – auf ein Solarium zu. Langsam sich hineinbegebend schließt das Stück mit dem Zusammenklappen des Geräts. Es bleibt offen, welche menschlichen und gesellschaftlichen Visionen sich nach dem Ende des Stücks oder dem Ende Moderne fortsetzen werden.
eine auch visuelle Auseinandersetzung mit den derzeitigen bedeutungsvollen Diskursen der (Post-?, Spät-? Nach-?)Moderne statt: Seien es die schon zu Anfang meiner Ausführung genannten Begriffe wie „Konsum“, „Arbeit“ oder „Selbstoptimierung“ oder auch geläufig unhinterfragte wie „Kindheit“, „Mensch-Sein“ oder „Freiheit“ – alles Begriffe, in die schwer einzuführen ist. Mithilfe ihrer entwickelten Bildsprache, die sich auch eigensinnig im Feld der Kunst bedient, entstehen Bilder, die sich lesen und verstehen lassen. Die eklektizistische Herangehensweise – sich also in den visuellen Diskursen der Moderne: Kunst, Werbung, Popkultur etc. zu bedienen, weil etwas anderswo fehlt – ist mehr als verständlich. Es zeigt sich hier das kultivierte Sprechen derer, denen man selten die Stimme verleiht, in diesem Fall der Heranwachsenden.
Und das bietet eine Wendung für die Dystopie: dann, wenn wir das Stück auch als progressive Protestaktion verstehen, als vorgehaltenen Spiegel. Als bewusst gesetzter, negativer Raum. Als Kunst-Raum. Kunst selbst lässt sich als negativer Raum der Philosophie verstehen. Die Philosophie kommuniziert mit Worten. Die Kunst kommuniziert mit Bildern. Das Positive am Negativen sind die MOTU-Kids, die Performer, die sich protestierend künstlerisch artikulieren und Sinn erzeugen.
Die Bühne als eklektizistischer Baukasten zeitgenössischer, visueller Diskurse
Die Bühnenbilder der theatralen Arbeiten von MOTU bedienen sich einer modernen Kunstästhetik. Sie dabei stilistisch im Spektrum einer Ästhetik der bildenden Kunst zuzuordnen, wäre jedoch fehlleitend. Interessanter wäre die Frage, inwiefern sie sich eklektizistisch verhalten. Zur Entwicklung ihrer Stücke greifen MOTU aktuelle Diskurse auf und schöpfen aus dem visuellen Baukasten der Moderne. Sie bauen ihre Stücke und bedienen sich an Teilen der antiken Tragödie (die Qual), greifen bekannte Vorläufer auf, fragmentieren und ordnen neu zu, betrachten anthropomorphe Konstanten (Jung-Sein, das Pubertäre, das Alter), blicken gemeinsam auf die Welt des Konsums, der Entblößung und Entwürdigung des Menschen und setzen dies auch bildhaft sehr geschickt um. Es findet
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All IN Die Erneuerung der Kinder- und Jugendtheaterszene Jan Deck
Als ich 2014 die Performance „Lucky Strike“ auf Kampnagel sah, war ich erstaunt. Auf der einen Seite wurde ich nicht nur mit vielen Bildern, Assoziationen und Themen konfrontiert, sondern auch mit Spielweisen, die gar nicht zu der Art und Weise passten, wie ich Kinder- und Jugendtheater zuvor erlebt hatte. Auf der anderen Seite sah ich Kinder, die selbstbewusst und souverän mit viel Freude auf der Bühne standen und die Irritation des Publikums sichtbar genossen. Und auch wenn ich definitiv erschöpft aus der Aufführung ging, blieben die Erlebnisse lange in meinem Kopf und mir wurde klar, dass nach dem Erscheinen von SKART und ihrem neuen generationsübergreifenden Kollektiv Masters of the Universe (MOTU) im Kinder- und Jugendtheater vieles nicht mehr so sein konnte, wie es bislang gewesen war. Ich unterrichte immer wieder per Lehrauftrag angehende Grundschullehrer*innen und zeige ihnen dabei per Video Inszenierungen mit Kindern und Jugendlichen auf der Bühne. Es ist interessant, wie gut die Irritation der MOTU-Produktionen auch bei ihnen funktioniert, wenn man die Studierenden diesen zunächst kommentarlos aussetzt. Zudem steht bei ihnen die Frage im Mittelpunkt: Kann man, darf man, soll man sowas mit Kindern machen? Und es steht der Verdacht im Raum, dass die Künstler*innen den jungen Menschen ihre Ästhetik aufgedrückt hätten. Viele glauben nicht daran, dass die Kinder mitsprechen würden. Doch wenn ich danach die Arbeitsweise von MOTU erkläre, verändert sich die Haltung grundsätzlich: Die Studierenden erkennen, wie nah Ästhetik, Themen und Spielweisen an der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen sind. Das zeigt, wie wenig man Arbeitsweise und Ästhetik von MOTU voneinander trennen kann, wenn man verstehen will, welchen wichtigen Einfluss diese Gruppe auf die Entwicklung von Theater für und mit junge(n) Mensche(n) hat.
Auf den ersten Blick überwältigt die Kraft dieser Produktionen die Zuschauenden, weil sie zunächst nicht das bietet, was die meisten erwarten, vor allem, wenn Kinder auf der Bühne stehen:
Eine leichte, vermeintlich kindgerechte Spielweise, in der individuelle Talente gefördert werden, kontroverse Themen entweder vermieden oder auf belehrende Weise inszeniert werden. Am Ende entscheiden dabei vor allem Erwachsene – Künstler*innen, Lehrer*innen, Eltern –, die Angebote für Kinder und Jugendliche auswählen und bestimmen, welche Themen und Formen „gut“ sind für Kinder. Auch wenn die Szene schon länger im Umbruch ist, haben sich die Erwartungshaltungen darüber, was Kunst mit, von oder für Kinder(n) sein sollte, nur wenig verändert. MOTU ist in der deutschsprachigen Kinder- und Jugendtheaterszene von heute der radikalste Gegenpol zu solchen Konventionen. Das hat mit verschiedenen künstlerischen Einflüssen zu tun, mit einer anderen Haltung gegenüber Kindern und Jugendlichen, aber auch mit institutionellen Freiräumen, die für die Entwicklung neuer Theaterformen unerlässlich sind. Genau darum soll es hier gehen. Kollektivität erforschen
Die SKART-Gründer Mark Schröppel und Philipp Karau haben am Institut für angewandte Theaterwissenschaft in Gießen studiert, in der Theaterszene kurz ATW genannt. Diese drei Lettern stehen für eine Ausbildungsinstitution, deren Mythos seit Jahrzehnten durch ihren kontroversen Ruf in der Szene genährt wird. Für Theaterpurist*innen ist sie eine Unglücksschmiede, für die Befürworter*innen von Performance-Experimenten der Jungbrunnen der Theaterszene. Doch jenseits solcher Zuschreibungen ist sie ein Ort, an dem werdende Künstler*innen immer wieder ein Experimentierfeld erhalten, um ein Theater der Zukunft zu entwickeln. Das hat auch damit zu tun, dass dort keine Trennung verschiedener Tätigkeitsfelder vorgenommen wird, denn die Studierenden haben die Möglichkeit, gleichermaßen technische, performative und diskursive Kompetenzen zu erwerben. Spätestens seit den 1990er Jahren bedeutet das u. a., dass dort immer wieder neue Formen kollektiver Arbeitsweisen ent107
standen sind. Performance-Kollektive wie Gob Squad, She She Pop oder Monster Truck und andere haben kollektive Formen der Produktion von Kunst dort erprobt und in der Szene der freien darstellenden Künste weiterentwickelt, diese werden dann durch Gastdozenturen von Künstler*innen oder Assistenzen von ATW-Studierenden wieder ans Institut zurückgebracht. So ist das Institut ein Knotenpunkt, in dem sich ein Wissen über das Kollektive akkumuliert und durch neue Künstler*innengenerationen immer wieder neu zur Disposition gestellt wird. Für SKART endet die Idee des Kollektiven nicht beim Künstler*innenduo selbst. Schröppel und Karau beschäftigen sich mit der Frage, wie man nachhaltig kollektiv mit Kindern und Jugendlichen arbeiten kann. Um das zu erforschen, haben sie sich gemeinsam mit dem freien Produktionsort Kampnagel für das Programm Doppelpass beworben, einen Fonds für Kooperationen, der von der Kulturstiftung des Bundes konzipiert wurde. So war es möglich, mit der Neuen Schule Hamburg (NSH) zu kooperieren, in der die Schüler*innen über Lehrpersonal und Unterrichtsplanung bestimmen. Das Beispiel MOTU zeigt, wie wichtig institutionelle Freiräume sind, um neue Ästhetiken und Arbeitsweisen zu entwickeln. Ohne die Ausbildungsinstitution ATW, das Produktionshaus Kampnagel, das Programm Doppelpass und die Kooperation mit einer demokratischen Schule wäre das neue egalitäre, generationenübergreifende Theater von MOTU kaum möglich gewesen. Es braucht Ökonomien jenseits einer Verwertungslogik des ständigen Produzierens, die in vielen Institutionen unhinterfragt Alltag ist.
Kinder und Jugendliche auf die Bühne
Dass zeitgenössische Theaterkünstler*innen mit Kindern auf der Bühne professionell Produktionen erarbeiten, hat ebenfalls viel mit institutionellen Freiräumen zu tun. Durch die Arbeit von Gruppen wie Rimini Protokoll, die schon seit dem Jahr 2000 mit Lai*innen, sogenannten Expert*innen des Alltags, gesellschaftliche Themen erforschen, ist das Interesse an diversen gesellschaftlichen Gruppen in den darstellenden Künsten deutlich gewachsen. Die belgische Institution CAMPO in Gent hat seit 2006 immer wieder internationale Künstler*innen eingeladen, Projekte mit Kindern und Jugendlichen zu erarbeiten. Den Produktionen gab man oft mehrere Jahre Zeit, um einerseits den ästhetischen Prozessen, andererseits auch der Zusammenarbeit der darstellenden Künstler*innen mit den jungen Menschen die not108
wendigen Freiräume zu ermöglichen. Eigentlich war Theater mit Kindern in der zeitgenössischen Szene immer verpönt, es hatte den Geruch von Theaterpädagogik und von dem zweifelhaften Versuch, Kinder mittels Kunst zu erziehen. Doch nun interessierten sich etablierte Szenestars wie Tim Etchells plötzlich für Kinder und Jugendliche als Expert*innen ihres Alltags, was natürlich anders aussah, als bei Rimini Protokoll. Es ging dabei um eine Lebenswelt, welche die Erwachsenen nicht selten ignorieren oder zumindest zu kontrollieren versuchen. Etchells CAMPO-Produktion „That Night Follows Day“ von 2007 ist alles andere als ein Erziehungsstück für Kinder, es richtet sich eher an die Erwachsenen und an ihre Vorstellungen von Erziehung. Von einer chorisch aufgereihten und sprechenden Gruppe von Acht- bis Vierzehnjährigen wird dem verstörten Theaterpublikum die Ambivalenz gängiger Erziehungsvorstellungen entgegengeschleudert. Das Stück ging europaweit auf Tournee und bewies, dass ein neues Verständnis von Theater mit Kindern und Jugendlichen nicht nur inhaltlich und ästhetisch interessant ist, sondern auch für ein internationales Publikum von Interesse sein kann. Schon vor Etchells und Co. gab es eine Tradition solcher Projekte mit Kindern und Jugendlichen in Gent: Josse de Pauw hatte 2001 mit seiner Performance „üBUNG“ mit jugendlichen Performer*innen das Verhältnis von Kindern und Erwachsenen thematisiert. Doch dank der international erfolgreichen Arbeiten von Etchells und später Gob Squad („Before Your Very Eyes“) oder Milo Rau („Five Easy Pieces“) wurde die Praxis von CAMPO international bekannt. Gleichzeitig war sie Vorbild für viele Arbeiten anderer Künstler*innen, die seit 2007 entstanden sind. Die Arbeit von MOTU steht durchaus in der Entwicklungslinie dieser zeitgenössischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Gemeinsam ist ihnen eine grundsätzlich antipädagogische Haltung, die Ablehnung von Theater als Erziehungsmaßnahme, das ernsthafte Interesse an Lebenswelt und Kultur von jungen Menschen heute, auch das Bestehen auf ausreichenden Frei- und Zeiträumen. Jedoch unterscheidet sie, dass die Kinder und Jugendlichen bei MOTU zum Teil des Kollektivs werden. Bei den Arbeiten von CAMPO oder ähnlich arbeitenden Künstler*innen gibt es eine Arbeitsteilung: Die Kinder und Jugendliche sind die Expert*innen ihres Alltags, die Künstler*innen sind Expert*innen des Theaters. Entscheidungen über die Ästhetik der Produktionen werden deshalb vom Regieteam getroffen, manchmal vor Beginn der Probenarbeit. Das bedeutet nicht, dass die Kinder da-
bei keine Freiräume bleiben. Dennoch ist es häufig so, dass Kinder und Jugendliche für ein bestimmtes Projekt für einen bestimmten Zeitraum ausgewählt werden, während Idee und grundsätzliche Entscheidungen bereits festgelegt sind.
Auch SKART hat eine künstlerische Agenda, die sie auch bei MOTU nicht komplett infrage stellen möchte. Dennoch haben sie sich immer wieder in einen künstlerischen und sozialen Prozess begeben, den alle Beteiligten gemeinsam weiterentwickelt haben. Natürlich ist egalitäres Produzieren mit Kindern und Jugendlichen ein kompliziertes Unterfangen; es war und ist auch im Falle von MOTU kein Spaziergang für alle Beteiligten. Nicht immer funktioniert die Gleichheit; das von den Künstler*innen gesetzte Konsensprinzip soll zwar alle beteiligen, verursacht aber nicht selten langwierige Diskussionen. Konsens braucht Zeit. Und emanzipatorisches Zusammenarbeiten führt am Ende auch zu geteilter Verantwortung. Es ist also wichtig, sich auf einen gemeinsamen, ständigen Lernprozess einzulassen. Kollektiv arbeitende Künstler*innen kennen diese Art zu arbeiten. Aber auch für Schüler*innen einer demokratischen Schule sind solche Prozesse Alltag, denn sie müssen ihr eigenes Lernumfeld ständig neu denken. Aber Theaterproduktionen beinhalten neben der Suche nach Neuem auch Routinen, Wiederholungen und benötigen viel Disziplin und Durchhaltevermögen, um zu einem Ergebnis zu kommen. Ein generationenübergreifendes demokratisches Lernen ohne Zwang, aber unter Zwängen, kann nur gelingen, wenn die Erwachsenen bereit sind, ihre gesellschaftliche Rolle zu hinterfragen und die Erfahrungen, Sichtweisen und ästhetischen Einflüsse der Kinder und Jugendlichen ernstzunehmen, ohne die eigenen zu ignorieren. Es hilft weder die Haltung, alles besser zu wissen, noch so zu tun, als sei alles, was von den Kindern kommt, schon deshalb automatisch richtig. Es gibt auf beiden Seiten ein spezifisches Wissen und Nicht-Wissen, das jeweils produktiv gemacht werden kann.
Vielleicht ist dafür der MOTU-Kongress auf Kampnagel ein interessantes Beispiel. Der Kongress war kein Diskurs-Begleitprogramm für die MOTU-Produktionen. Es ging um einen Austausch und eine Reflexion eines neuen, demokratischen Theaters mit und für Kinder(n) und Jugendliche(n). Dabei waren wichtige Vordenker*innen dieser neuen Arbeitsweisen wie Mira Sack oder Geesche Wartemann anwesend, zudem freischaffende Künstler*innen oder Dramaturg*innen von öffentlichen Bühnen, Lehrer*-
innen und Theaterpädagog*innen sowie Schüler*innen von demokratischen Schulen und auch von Regelschulen. Die Ansage an alle Vortragenden war, die eigene Sprechweise so anzupassen, dass Kinder und Jugendliche nicht ausgeschlossen werden – keine leichte Aufgabe, aber wichtig, um bei einer Tagung zum Theater für alle auch einen Diskurs für alle zu ermöglichen. Letztendlich musste jede*r darüber reflektieren, wie man komplizierte Zusammenhänge darstellt, ohne in einen akademischen Habitus zu verfallen. Denn eigentlich ging es auf dem MOTUKongress um mehr als bei den vielen Tagungen mit experimentellen Formaten. Man konnte Produktionen sehen, an Gesprächsrunden teilnehmen, Workshops besuchen, Vorträge hören, kochen und zwar alles in altersgemischten Gruppen. So wurde eine utopische Versuchsanordnung geschaffen, in der ausprobiert werden konnte, Unterschiedlichkeiten aufeinanderprallen durften und Zeit dafür war, um zu sehen, was passiert, wenn man gewohnte Trennungen und Grenzen einfach aufhebt. Das Ergebnis war eine höchst energetische Grundstimmung, ein kollektiver Drive, der die Anwesenden sich auf Augenhöhe begegnen ließ. Zudem verabschiedet sich MOTU von gewissen Konventionen, die beim theaterpädagogischen Mainstream für Kunst mit Kindern und Jugendlichen gelten. Z. B. die Idee, dass das Arbeiten mit großen Gruppen besser sei und dass man die jungen Menschen von unangenehmen und anstrengenden Formen der Zusammenarbeit bewahren sollte. Stattdessen versucht MOTU, mit einer kleinen, überschaubaren Gruppe die jungen Kollaborateur*innen im Rahmen von deren Möglichkeiten als gleichwertige Kolleg*innen zu betrachten. Dabei sind Auseinandersetzungen und manchmal auch frustrierende Erlebnisse genauso normal wie unproduktive Situationen. Und auch wenn Egalität das Grundprinzip ist, ist es richtig, wenn die prozesserprobten Erwachsenen hin und wieder die gemeinsame Arbeit anleiten, um sich dann im richtigen Moment wieder zurückzuziehen, um andere Ideen zuzulassen. Es ist ein Experiment, das Produktionen ermöglicht, denen man ihre ästhetische Vielschichtigkeit ansieht, auch weil die Erwachsenen mit den Kindern auf der Bühne stehen und das gezeigte dort gemeinsam verantworten. Sehr wichtig ist auch, dass die Zusammenarbeit auf Nachhaltigkeit angelegt ist, also nicht projektbezogen immer wieder neue Kinder ausgewählt werden, sondern Kinder dauerhaft zum Teil des Kollektivs werden. Mit dieser Arbeitsweise nimmt MOTU im Vergleich zu anderen Projekten mit Kindern und Jugendlichen eine Sonderrolle ein. Vergleichen 109
kann man sie mit der kanadischen Performance-Gruppe Mammalian Diving Reflex, die das Konzept von Kinderjurys für Festivals entwickelt und zwischen 2007 und 2017 an verschiedenen Orten umgesetzt hat. Die Kinder verleihen nicht nur Preise, sie bestimmen auch die Preiskategorien selbst. Zudem hat die Gruppe ein „Mammalian Protocol for Collaborating with Children and Young People“ auf der Basis der internationaler Kinderrechtskonventionen geschrieben, das die Grundlage ihrer Kollaborationen mit Kindern und Jugendlichen darstellen soll. Wie bei MOTU werden die jungen Menschen als kompetente Partner*innen im künstlerischen Prozess betrachtet. Neue Impulse im Kinder- und Jugendtheater
Auch im Kinder- und Jugendtheater hat sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren eine interessante Entwicklung vollzogen, denn es gibt eine wachsende Zahl von Gruppen und Produktionen mit performativer, postdramatischer Ausrichtung. Sehr lange galt das Kinder- und Jugendtheater, vor allem in der freien Szene, als letzte Bastion pädagogisch-konventioneller Ästhetiken. Das hat zum einen damit zu tun, dass viele Künstler*innen seit den 1980er Jahren in diesem Bereich arbeiteten und nur wenige ihr ästhetisches Verständnis seitdem einer grundlegenden Weiterentwicklung unterzogen hatten. Die Spielweise war dabei nicht selten anbiedernd an vermeintliche Kinder- oder Jugendsprache, der Duktus vermittelnd bis belehrend. Dazu kommt, dass seit der Jahrhundertwende Kinder und Jugendliche mehr denn je im Fokus politischer Interventionen und wissenschaftlicher Begutachtung stehen. Junge Menschen gelten als Zukunftsressourcen, in die man investieren muss, auch weil sie aufgrund der vermeintlich ungünstigen demografischen Entwicklung „Mangelware“ sind. Kunst wird als Möglichkeit betrachtet, auf sie einzuwirken. Gesellschaftliche Themen werden deshalb oft aus der Sicht von Erwachsenen präsentiert: Mit warnenden Stücken zum Thema Mobbing, Rechtsradikalismus, Fundamentalismus oder Drogen werden Theatermacher*innen zum verlängerten Arm der staatlichen Präventionsarbeit. Entsprechend gab es unter zeitgenössischen Theatermacher*innen lange keine Motivation, in diesem Bereich tätig zu werden. Diese konventionelle Szene ist nicht ganz verschwunden, aber zum einen sind neue Akteur*innen in die Szene gekommen, zum anderen gab es ästhetische Einflüsse, die bei verschiedenen Generationen von Theatermacher*innen nicht ohne Folgen geblieben sind.
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Es waren wieder zwei Institutionen, die in Kooperation mit Künstler*innen wichtige Impulse gegeben haben. Das Theater an der Parkaue in Berlin hat in Koproduktion mit dem Forum Freies Theater Düsseldorf der ebenfalls aus der ATW in Gießen stammenden Performancegruppe Showcase Beat Le Mot den Auftrag gegeben, 2007 eine Spielfassung des Kinderbuchklassikers „Der Räuber Hotzenplotz“ zu erarbeiten. Das Ergebnis war eine postdramatische und antiillusionistische Performance, deren Setting von Petra Kohse auf nachtkritik.de treffend beschrieben wurde: „In der Mitte eine Art Festung aus Sperrholz, bekletterbar und begehbar, an der rückwärtigen Bühnenwand einige Monitore, um die Festung herum die beschriebenen Sperrholzgestelle und die Darsteller in verschiedenfarbigen, gleichermaßen glänzenden Ganzkörpereinteilern, freundlich und von geradezu antidramatischer Gelassenheit.“ Dabei übernahmen Showcase Beat Le Mot, ein Kollektiv aus vier Männern, alle Rollen, ignorierten dabei Geschlechterdifferenzen und spielten im Dialog mit den Kindern im Publikum mit deren Wissen über die Geschichte des Räubers Hotzenplotz. Die visuelle Abstraktion lud das junge Publikum dazu ein, die eigene Fantasie auf das Bühnengeschehen zu projizieren. Diese Variante vom Räuber Hotzenplotz sorgte für interessante Gespräche zwischen begeisterten Kindern und irritierten Erwachsenen im Publikum. Vor allem einige Pädagog*innen waren entsetzt, dass es auf der Bühne eine Weigerung gab, eine Geschichte zu spielen und belehrend auf die Kinder einzuwirken. Stattdessen wurden die Figuren nur angedeutet bzw. einfach behauptet. Die Kinder wurden nicht mit Samthandschuhen angefasst, man begegnete ihnen mit Coolness und Ironie. Sie waren für den Moment der Aufführung zu Kompliz*innen der Theatermacher*innen geworden, während die Erwachsenen zweigeteilt waren: Während die einen sich von den Kindern mitreißen ließen, hielten die anderen an ihren Konventionen fest. Kinderund Jugendtheater war plötzlich im state of the art angekommen und dabei bei Kindern und Erwachsenen so erfolgreich, dass knapp zweihundert Aufführungen gespielt wurden. Das Theater an der Parkaue produzierte in der Folge noch weitere Kinderstücke mit Showcase Beat Le Mot und zudem mit anderen Künstler*innen, das postdramatische Kinder- und Jugendtheater war plötzlich nicht mehr wegzudenken. Zudem gab es einen zweiten wichtigen Einfluss: das FUNDUS THEATER in Hamburg, das seit 2003 mit Kindern zu unterschiedlichen Themen forscht. Leiterin Sibylle Peters ist dabei
selbst als Kulturwissenschaftlerin und Performance-Künstlerin an der Schnittstelle zwischen Forschung und Kunst tätig und verbindet diese Kompetenzen in der Arbeit für und mit Kindern. Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Kinder arbeiten in gemeinsamen Forschungsprozessen an Themen, die Kinder interessieren, wie Piraten oder Geistern, oder sie erforschen mit Kindern wichtige gesellschaftliche Themen wie Zeit oder Geld. Das Theater kann dabei helfen, neue Rollen auszuprobieren oder mit fiktiven Institutionen wie einer Spukversicherung, einer Wunderannahmestelle oder einer Kinderbank fiktive Realitäten zu erproben. Besonders interessant an ihrer Arbeit ist, dass sich das FUNDUS THEATER auch in aktuelle politische Debatten einmischt. So beschäftigte sich ihr Piraten-Projekt mit realen Piraten aus Somalia, die in Hamburg vor Gericht standen und denen Kinder Fragen stellen konnten. Das FUNDUS THEATER hat in den letzten zehn Jahren erst die Anerkennung in der Szene erhalten, die es verdient. Ihr forschender Ansatz hat die Kinderund Jugendtheaterszene deutlich geprägt, auch etablierte Künstler*innen in diesem Bereich wurden davon inspiriert. Künstlerische Labore und das Forschen mit Kindern waren auch ein Ansatz, den das Theater an der Parkaue unter der Leitung der Chefdramaturgin Karola Marsch in der jährlichen Winterakademie praktiziert hat und damit ein neues Verständnis von Theaterpädagogik ins Kinder- und Jugendtheater einbrachte.
Die Arbeit von MOTU scheint mir von beiden Ansätzen inspiriert zu sein. Die postdramatische und antipädagogische Haltung der Produktionen von Showcase Beat Le Mot zeichnet auch die Arbeiten von MOTU aus. Das gemeinsame Forschen mit Kindern und Jugendlichen ist die Basis für die Idee, ein gemeinsames Kollektiv mit Kindern und Jugendlichen zu gründen. MOTU hat also beide Einflüsse radikalisiert. Allerdings ist die ästhetische Ausrichtung von MOTU weder cool und distanziert-minimalistisch wie bei Showcase Beat Le Mot noch trägt es den Charakter von Laborpräsentationen. Es erinnert an Dada und Punk und besonders an eine künstlerische Bewegung, die Ende der 1970er Jahre in Westdeutschland ihren Ausgangspunkt hatte. Die sogenannten Genialen Dilletanten (die Schreibweise ist Programm) waren zunächst im Musikbereich eine Reaktion auf eine immer stärkere Entwicklung von Popmusik zum LiveSpektakel. Der zur Schau gestellten Professionalität, der Pose
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des genialen Künstlers, stellte man eine DIY-Ästhetik gegenüber, die keine Distanz, sondern Nähe zum Publikum herstellte. Gruppen wie Die tödliche Doris, Der Plan oder die frühen Einstürzenden Neubauten begeisterten eher durch technische Simplizität. Dafür sprach laut Diedrich Diederichsen „das demokratisch-egalitäre Argument der größeren Zugänglichkeit billiger und einfacher Gerätschaften, dann aber auch das ästhetische Argument des von Kontingenz geküssten rauen Klangs der Lo-Technology. Andererseits ging es um einen Angriff auf die ‚bürgerlich-hochkulturelle Anbetung des Virtuosentums‘.“1 Letztendlich kreierten die „Genialen Dilletanten“ eine trashige, witzige Punk-Ästhetik, die Dilettantismus nicht als Unvermögen, sondern als postspektakulären Verzicht auf Überwältigung durch monströse Bühnenshows mit Technikeinsatz verstanden. Das Prinzip war, dass jede*r Teil dieser Bewegung werden konnte, weil jede*r über Kompetenzen verfügt, die für künstlerische Arbeit von Nutzen sein könnten. Die Ästhetik von MOTU funktioniert auf ähnliche Weise. Die bunte schrille Popästhetik ist offen für Einflüsse und Fantasien von Kindern und Jugendlichen, die Spielweise vermeidet es, eine Differenz zwischen Profis und Lai*innen zu markieren, die Collagetechnik der Produktionen kann verschiedene Ideen nebeneinander stehen lassen und sie trotzdem in einen performativen Zusammenhang stellen. Zudem geht es bei MOTU gerade nicht darum, einem Ideal von schauspielerischer Professionalität besonders nahe zu kommen. Neben der Arbeitsweise ist es die ästhetische Offenheit, die es ermöglicht, egalitär mit Kindern und Jugendlichen zusammenzuarbeiten. Das generationenübergreifende Performance-Kollektiv wagt es zudem, Bilder auf die Bühne zu bringen, die im Kinder- und Jugendtheater als heikel gelten, sofern man sie nicht pädagogisiert und mit warnendem Zeigefinger versieht. Und das nicht nur wegen der Gewalt, die in den Stücken offen verhandelt wird. Bei „Lucky Strike“ beispielsweise verprügelt in einem Video eine Gruppe Jugendlicher Erwachsene und feiert Sektorgien, und eine Performerin im Kindesalter erzählt ausführlich von einer Fantasie, in der sie Justin Bieber isst, ein Performer wird aufgefordert, sich selbst zu töten. Die Produktionen reflektieren auch wichtige gesellschaftliche Themen, über die bei den Proben gemeinsam diskutiert wird, um sie dann zur Basis der Stücke zu machen. Bei „Lucky Strike“
Diedrich Diederichsen: Genies und ihre Geräusche: Deutscher Punk und neue Welle 1978–1982, in: Leonhard Emmerling, Mathilde Weh (Hg.): „Geniale Dilettanten. Subkultur der 1980er Jahre“. Ostfildern 2015, S. 13f.
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und „Schlaraffenland“ geht es um Konsumgesellschaft und kapitalistische Glücksversprechen, bei „Exodus“ um die letzten Überlebenden einer an Überfluss zerstörten Welt. Doch dabei wird nicht mit erhobenem Zeigefinger vor zu viel Konsum gewarnt, sondern die Produktionen führen ihr Publikum in eine dunkle, übersteigerte Welt mit düsteren Bildern von marodierenden Banden oder hirntoten Konsumzombies, aber auch von utopischen Fantasien, die über bildungsbürgerliches Gutmenschentum hinausreichen. Bei „TuNix!“ wird nicht nur über Faulheit reflektiert, die Performerinnen weigern sich über einen sehr langen Zeitraum, dem Publikum ein Spektakel zu bieten und liegen stattdessen auf der Bühne mit einer radikalen Verweigerungshaltung, die dem teilweise verärgerten Publikum viel Geduld abverlangt. MOTU nimmt die Kinder und Jugendlichen ernst, indem kontroverse Bilder und Themen nicht vermieden werden, sondern ins Zentrum der Auseinandersetzung rücken. Es gibt nichts, was nicht als kindgerecht angesehen wird, denn oft bedeutet dieses Wort nur, dass sich Erwachsene selbst nicht zutrauen, mit Kindern offen solche Themen zu verhandeln. Denn das würde bedeuten, sich auf eine andere Lebenswelt einzulassen, ohne sie kontrollieren zu können, und sich gleichzeitig einzugestehen, dass man für wichtige gesellschaftliche Probleme keine Lösungen parat hat, zudem sogar selbst Teil des Problems ist. Die Arbeit von MOTU basiert darauf, dass solche Machtverhältnisse im Prozess und auf der Bühne reflektiert werden. All in – performatives Kinder- und Jugendtheater der Zukunft
Das antipädagogische, gesellschaftskritische, egalitäre Mehrgenerationentheater MOTU ist eine eigenständige und unverwechselbare künstlerische Position in der Theaterszene von heute. Es ist ein*e wichtige*r Vorkämpfer*in für ein postdramatisches Allin-Theater für alle Generationen. Ein solches ist allerdings bisher noch eine Utopie, es existiert nur in Ansätzen, da es bislang nur wenige profilierte Gruppen und Künstler*innen in diesem Bereich gibt. Mitkämpfer*innen sind neben den bereits genannten in jedem Fall pulk fiktion aus Köln, die ebenfalls postdramatisches, gesellschaftkritisches Theater für alle Generationen ohne Zeigefinger-Mentalität produzieren, auch wenn sie keine Kinder und Jugendlichen in ihrer Gruppe haben. Jedoch haben sie u. a. mit der Produktion „Die Konferenz der wesentlichen Dinge“ die Demokratiefrage zwischen den Generationen verhandelt. Dank einer interaktiv funktionierenden Apparatur kamen Kinder und 112
Erwachsene an einen Tisch um über verschiedene Ideen von Familie zu verhandeln. Die Produktion wurde 2014 zur Premiere gebracht und bei vielen Festivals gezeigt. Trotz einem Rechercheaufenthalt im Rahmen des Flausen-Residenzprogramms in Oldenburg war es zunächst extrem schwierig, Partner*innen zu finden, um das Projekt auf die Bühne zu bringen. Man kann es nicht oft genug betonen: Das zeitgenössische postdramatische All-inTheater braucht mutige Produzent*innen, die den Künstler*innen Raum, Zeit und Ressourcen zur Verfügung stellen. Die Kinder- und Jugendtheaterszene hat sich dieser Perspektive geöffnet, genau wie Produktionshäuser wie das Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt, Kampnagel in Hamburg oder – schon länger – das FFT in Düsseldorf. Das Festival für die Rhein-MainRegion „Starke Stücke“ hat gemeinsam mit dem Künstlerhaus Mousonturm ein „Next Generation“-Programm aufgelegt, das über drei Jahre jungen Künstler*innen die Chance bietet, in mehreren Schritten Produktionen für Kinder und Jugendliche im Sinne des All-in-Konzepts zu produzieren. Auch SKART haben sich daran als Mentoren beteiligt. Dieses Programm hat dazu geführt, dass neue Absolvent*innen der ATW in Gießen wie das Ensemble MONSTRA oder das Performance-Duo Janna Pinsker und Wicki Bernhardt nun solche Performances erarbeiten. Der Einfluss von MOTU ist dabei nicht zu übersehen, denn auch hier dominieren antipädagogische Haltungen und postdramatische Ästhetiken. Doch auch wenn sich die Szene im Umbruch befindet, gibt es keine andere Gruppe im deutschsprachigen Raum, die ein generationenübergreifendes Theater für ein generationenübergreifendes Publikum produziert, in dem Kinder, Jugendliche und Erwachsene kollektiv zusammenarbeiten. Der Mut von MOTU, sich bei jeder Produktion wieder neu diesem Experiment zu stellen, dabei kontroverse Themen anzugehen und Erwartungshaltungen zu brechen, ist singulär. Möglicherweise liegt das daran, dass MOTU nicht an Konventionen interessiert ist, sondern neue Standards setzen möchte. Das Kollektiv arbeitet an einem Theater einer Zukunft, die nicht als Verlängerung der Gegenwart gedacht wird, sondern als etwas, das es zu ergründen und zu erproben gilt, etwas, das einen Anfang hat, ohne ein Ende absehen zu können. Denn wie heißt es am Ende der MOTU-Produktion „Sieg über die Sonne“: „Anfang gut, alles gut, was ohne Ende ist. Die Welt wird vergehen, aber wir sind ohne Ende.“
cHRONIK lUcKy STRIKE
Premiere _ 8. Mai 2014, Kampnagel Hamburg Weitere Aufführungen _ 9., 10. und 11. Mai 2014, Kampnagel Hamburg / 20. November 2014, Kampnagel Hamburg / 16. und 17. Oktober
2015, Ringlokschuppen Ruhr / 4. und 5. November 2015, Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main / 14. und 15. November 2015, No Limits Festival Berlin / 10., 11. und 12. Dezember 2015, Roxy Basel / 7., 8. und 9. Januar 2016, Theater Rampe Stuttgart Beteiligte _ Tosca Fröhlich, Vivien Fröhlich, Charly Heidenreich, Sylvia Hesse, Stephan Janitzky, Philipp Karau, Stephanie Kayß, Zora Kelian, Latifa Ladwig, Stephan Mahn, Anton Prevrhal, Cedric Schiff, Mark Schröppel, Sina Schröppel, Luca Stempel, Jasmin Taeschner, Matti Wigger Eine Produktion von SKART/Masters of the Universe und Kampnagel Hamburg. Gefördert im Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes.
MASTERS OF THE UNIVERSE – KONGRESS
Datum _ 20. – 22. November 2014, Kampnagel Hamburg Beteiligte _ Jan Deck, Stephan Janitzky, Philipp Karau, Stephanie Kayß, Le Sabot, Stephan Mahn, Mammalian Diving Reflex, Mobile
Albania, Sibylle Peters, Antje Pfundtner, Patrick Primavesi, Pulk Fiction, Barbara Schmidt-Rohr (Tanzinitiative Hamburg), Ulrich Schötker, Schüler*innen der Erich Kästner Schule Hamburg, Schüler*innen der Neuen Schule Hamburg, Mark Schröppel, Sina Schröppel, Anna Teuwen
Eine Produktion von SKART/Masters of the Universe und Kampnagel Hamburg. Gefördert im Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes.
ScHlARAFFENlANd
Premiere _ 27. Mai 2015, Kampnagel Hamburg Weitere Aufführungen _ 28., 29. und 30. Mai 2015, Kampnagel Hamburg Beteiligte _ Charly Heidenreich, Stephan Janitzky, Philipp Karau, Stephanie Kayß, Sophia Keil, Nicolas Kelting, Janne Knippenberg,
Rebecca König, Latifa Ladwig, Jannik Lüssenheide, Mattis Pfennig, Annika Prevrhal, Anton Prevrhal, Mark Schröppel, Sina Schröppel, Anna Teuwen
Eine Produktion von SKART/Masters of the Universe und Kampnagel Hamburg. Gefördert im Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes.
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ExOdUS
Premiere _ 27. April 2016, Kampnagel Hamburg Weitere Aufführungen _ 28., 29. und 30. April 2016, Kampnagel Hamburg / 29. und 30. Juni 2016, Künstlerhaus Mousonturm
Frankfurt am Main
Beteiligte _ Charly Heidenreich, Philipp Karau, Annika Prevrhal, Anton Prevrhal, Lea Schneidermann, Mark Schröppel,
Sina Schröppel, Katharina Stephan, Anna Teuwen, Jonas Werminghausen
Eine Produktion von SKART/Masters of the Universe, Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main und Kampnagel Hamburg. Gefördert von Fonds Darstellende Künste, Kulturamt Frankfurt am Main, Hamburgische Kulturstiftung, Rudolf Augstein Stiftung, Elisabeth-Kleber-Stiftung, Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst.
TUNIx!
Premiere _ 1. November 2017, Kampnagel Hamburg Weitere Aufführungen _ 2., 3. und 4. November 2017, Kampnagel Hamburg / 8., 9. und 10. März 2018, Künstlerhaus Mousonturm
Frankfurt am Main
Beteiligte _ Charly Heidenreich, Stine Hertel, Philipp Karau, Annika Prevrhal, Anton Prevrhal, Mark Schröppel, Sina Schröppel,
Hanna Steinmair, Katharina Stephan, Anna Teuwen
Eine Produktion von SKART/Masters of the Universe, Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main und Kampnagel Hamburg. Gefördert von Fonds Darstellende Künste, Kulturamt Frankfurt am Main, Hamburgische Kulturstiftung, Elisabeth-Kleber-Stiftung, Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst.
SIEG ÜbER dIE SONNE
Premiere _ 28. November 2018, Kampnagel Hamburg Weitere Aufführungen _ 29., 30. November und 1. Dezember 2018, Kampnagel Hamburg / 21. und 22. Februar 2020,
Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main Beteiligte _ Manuel Chittka, Giulia Engelhardt, Anke Feuchtenberger, Julian Fiebach, Charly Heidenreich, Philipp Karau, Stephanie Kayß, Maika Knoblich, Stephan Mahn, Mia Oberländer, Jula Pieper, Anton Prevrhal, Minu Schilling, Mark Schröppel, Sina Schröppel, Katharina Stephan, Anna Teuwen
Eine Produktion von SKART/Masters of the Universe, Kampnagel Hamburg und dem Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main. Gefördert aus Mitteln des Elbkulturfonds der Behörde für Kultur und Medien Hamburg.
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AUTOR*INNEN bElA ElEKTRA bRIllOwSKA
geboren 2004 Hamburg, ist die Tochter von Felix Kubin und Mariola Brillowska. Seit 2012 wirkt sie in Theater- und Performancestücken, Hörspielen, Lesungen und Konzerten als Sprecherin, Schauspielerin und Autorin mit. Neben der Arbeit an eigenen Kompositionen und preisgekrönten Filmen („Artist Talk“, „Julchen und die Geister“) hat sie eine monatliche Radiosendung verantwortet („Bela im Flow“, Tide Radio Kultur, 2016–2019). Sie möchte Film in Kanada studieren und mag Schreiben und Mandeln.
JAN dEcK
ist Politikwissenschaftler. Er lebt in Frankfurt am Main und arbeitet als freier Dramaturg, Regisseur und Kurator an unterschiedlichen Orten, u. a. mit seinem Performancekollektiv profkollektion und dem postmigrantischen Ensemble Theaterperipherie. Zudem arbeitet er für den Landesverband Professionelle Freie Darstellende Künste Hessen. Er war und ist Mitglied verschiedener Jurys und Beiräte, kuratiert Tagungen, Festivals und Labore. Als Herausgeber und Autor beschäftigt er sich mit verschiedenen Aspekten von Kunst und Gesellschaft, u. a. in Publikationen wie „Paradoxien des Zuschauens“ und „Politisch Theater machen“ (beide hg. mit Angelika Sieburg) sowie „Stop teaching! Neue Theaterformen mit Kindern und Jugendlichen“ (hg. mit Patrick Primavesi) und „Postdramaturgien“ (hg. mit Sandra Umathum).
MARcUS dROSS
studierte Angewandte Theaterwissenschaft an der Universität in Gießen. Er arbeitet als Regisseur, Dramaturg und künstlerischer Mentor mit Künstler*innen und Kollektiven in den Bereichen Musiktheater, Performance und Choreografie sowie für Festivals, Residenzprogramme, Koproduktionshäuser und in der künstlerischen Ausbildung. Marcus Droß ist seit 2012 Dramaturg am Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm.
FElIx KUbIN
geboren 1969, ist ein funkensprühender Spannungs- und Weltenwandler aus Hamburg. Er gehört zu den vielseitigsten Performern und Komponisten zeitgenössischer elektronischer Musik. In der Aufbruchstimmung der Home-Recording-Ära begann er mit 12 Jahren, seine ersten Tonexperimente auf einem Vier-Spur-Gerät aufzunehmen. Danach breitete sich sein Universum kontinuierlich aus und umfasst heute futuristischen Pop, Hörspiele, elektroakustische Musik, Lecture Performances und Orchesterkompositionen. Nebendiversen Auftragswerken (NDR das neue werk, Maerzmusik, Festival Borealis u. a.) moderiert und entwickelt er Radioformate, wie z. B. die 20-teilige Radioserie „Me & MyRhythm Box“ für die dOCUMENTA 14. Er betreibt das Plattenlabel GagarinRecords und ist Mitgründer des Festivals papiripar für Pop | Kunst | Rotation.
MIRA SAcK
ist Professorin für Theaterpädagogik. Sie arbeitet an der Zürcher Hochschule der Künste, wo sie zu künstlerischer Bildung, Kulturen der Vermittlung und theatralen Verfahren an den Schnittstellen von Theorie und Praxis lehrt und forscht. Sie ist Mitherausgeberin der „Zeitschrift für Theaterpädagogik“ und Autorin des Buchs „spielend denken. Theaterpädagogische Zugänge zur Dramaturgie des Probens“.
b A R b A R A S c H M I d T- R O H R
ist freischafende Künstlerin, Choreografin und Dramaturgin. Sie studierte Anfang der 1980er Jahre Tanz und Choreografie in Amsterdam und New York. Seit 1992 lebt sie in Hamburg und hat von dort aus in zahlreichen lokalen und internationalen Kooperationen als Kuratorin und Dramaturgin gewirkt. In ihren eigenen Arbeiten realisiert sie aktuell Produktionen an den Schnittstellen von Choreografie, Installation und dem Digitalen mit wechselnden Ko-Autor*innen und Teams, in 115
denen auch Kinder gleichberechtigt kollaborieren. Dabei entstehen Gebilde, die eine große Nähe zur bildenden Kunst haben. Seit der Spielzeit 2018/19 erhält sie die dreijährige Hamburger Konzeptionsförderung.
UlRIcH ScHöTKER
ist Kunstpädagoge an der Kurt-Tucholsky-Schule in Hamburg-Altona. Besondere Arbeitsschwerpunkte liegen neben der Lehrtätigkeit in Zusammenhängen von Kunst und Kultur zu zeitgenössischen Schulentwicklungen, Inklusion und interkulturellem Lernen sowie in der Zusammenarbeit von Schule und Kulturinstitution und Schule als Lern- und Lebensort. Er war über viele Jahre an der Erich-Kästner-Schule tätig (Deutscher Schulpreis 2014) und arbeitete als Leiter der Abteilung Vermittlung auf der documenta 12. Er kuratierte über einen längeren Zeitraum den Projektraum „Liquidación Total“ in Madrid und die Ausstellung „Walden 3 oder das Kind als Medium“ (Kunsthaus Dresden).
p H I l I p p S c H U lT E
ist Professor für Theorien des Szenographischen an der Norwegischen Theaterakademie und Geschäftsführer der Hessischen Theaterakademie. Er studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Bergen (Norwegen) und Gießen, wo er zum Thema „Identität als Experiment. Ich-Performanzen auf der Gegenwartsbühne“ promovierte. Nach der Promotion arbeitete er acht Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Gießen. Seit 2012 leitet er die von ihm konzipierten Campusprogramme auf der Ruhrtriennale, den KunstFestSpielen Herrenhausen sowie den Theaterformen Hannover und Braunschweig. Er hat zahlreiche Aufsätze und Bücher veröffentlicht und lehrt Theatertheorie an unterschiedlichen Universitäten und Kunsthochschulen in Deutschland, der Schweiz und Norwegen.
K AT H A R I N A ST E p H A N
studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und arbeitet an prozessorientierten Theaterformen zwischen öffentlichem Raum und Institutionen der Stadtgesellschaft. 116
Seit 2009 ist sie Präsidentin, Gärtnerin und Chauffeurin des nomadischen Theaternachstaats Mobile Albania und schloss ihr Diplom 2011 mit der praktisch-theoretischen Arbeit „Mobile Albania: Die Ordnung der fliehenden Dinge – Orientierung und Wunderkammer“ ab. Seit 2013 ist sie Mitarbeiterin für Projektdramaturgie und künstlerische Praxis am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft. Daneben arbeitet sie in verschiedenen Kollektiven als Dramaturgin, Performerin, Licht- und Sounddesignerin und realisiert eigene Klangarbeiten und Hörstücke.
ANNA TEUwEN
geboren 1983 in Aachen, arbeitet seit 2010 als Dramaturgin/Kuratorin auf Kampnagel in Hamburg. Sie studierte zwei Semester Germanistik und Philosophie an der RWTH Aachen und schloss 2009 das Studium am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen mit Diplom ab. 2006 studierte sie im Rahmen eines Auslandsaufenthalts an der Universität in Bergen (Norwegen) am Theaterwissenschaftlichen Institut sowie im Fachbereich Skandinavistik. 2009 und 2011 war sie für das Theaterfestival Impulse tätig. Seit 2006 schreibt sie auch gelegentlich als freie Kulturjournalistin und übernimmt Lehraufträge.
dANKSAGUNG
SKART & Masters of the Universe danken von Herzen:
Sarah Alexi, Sylvia Hesse und der Neuen Schule Hamburg. Anette Wiewel, Harri Gottschalk und der Freien Schule Frankfurt. Ulrich Schötker und der Erich Kästner Schule Farmsen.
Birgit und Manfred Heidenreich, Heike und Sven Prevrhal, Heike Karau, Andrea Pieper und Marc Schedler, Jörg Raab, Uta Schilling, Ilse und Michael Schröppel, Anne und Marcus Taeschner und allen beteiligten Eltern. Amelie Deuflhard, Claire Diraison, Mareike Holfeld, Nadine Jessen, Julia Kulla, Uta Lambertz, Caroline Spellenberg, Anna Teuwen, Melanie Zimmermann und Kampnagel Hamburg.
Marcus Droß, Anne Kleiner, Gabriele Müller, Matthias Pees, Carsten Schrauff, Anna Wagner und dem Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main. Anje Kuna, Carsten Wiese und allen Bühnen-, Licht-, Ton-, Videotechniker*innen auf Kampnagel.
Manuel Chittka, Anke Feuchtenberger, Julian Fiebach, Stine Hertel, Stephan Janitzky, Stephanie Kayß, Sophia Keil, Maika Knoblich, Mia Oberländer, Stephan Mahn, Lea Schneidermann, Sina Schröppel, Hanna Steinmair, Katharina Stephan, Jonas Werminghausen.
Marcel Bugiel, Lis Marie Diehl, Christoph Grothhaus, Marc-André Klotz, Martina Vermaaten und allen Meine Damen & Herren.
Florian Krauss und Frank Egel. Tina Pfurr, Daniel Schrader und dem Ballhaus Ost. Anna Eitzeroth, Henning Fangauf und dem KJTZ. Matthias Frense, Bianca Janssen, Theresa Künstler, und dem Ringlockschuppen Ruhr. Sven Heier, Yves Regenass und dem Roxy Basel. Marie Bues, Martina Grohmann und dem Theater Rampe.
Gerald Hüther
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IMpRESSUM
Mit freundlicher Unterstützung von Kampnagel Hamburg, Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main und Elbkulturfonds Hamburg
Masters of the Universe Theater der neuen Generation
Herausgegeben von SKART und Kampnagel Hamburg © 2020 by Theater der Zeit
Texte und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich im Urheberrechts-Gesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Medien.
Verlag Theater der Zeit | Verlagsleitung Harald Müller Winsstraße 72 | 10405 Berlin | Germany www.theaterderzeit.de
Lektorat: Erik Zielke Layout: mahlke.one Fotos: Frank Egel, Florian Krauss (Lucky Strike, Kongress, Exodus)
Printed in Germany
ISBN 978-3-95749-283-8 (Paperback) ISBN 978-3-95749-309-5 (ePDF)
Das altersgemischte Performancekollektiv Masters of the Universe entwickelt seit 2013 ein „Theater der neuen Generation“. Basisdemokratisch und jenseits von Sparten-Denken arbeiten Schülerinnen und Schüler demokratischer Schulen und ältere Akteurinnen und Akteure von SKART an zeitgenössischer Performance Art, die sich gleichermaßen an Kinder und Erwachsene richtet. Masters of the Universe verstehen sich als Werkzeug, um gesellschaftliche Phänomene unter dem Aspekt des Verhältnisses von Kindern und Erwachsenen zu untersuchen und setzen so ästhetisch wie strukturell neue Akzente in der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Das Buch, gleichsam visuelle Bestandsaufnahme, persönliche Innensicht und analytischer Rundumblick, dokumentiert die Entwicklung der Gruppe mittels Fotos, Stücktexten, Interviews und Essays. ISBN 978-3-95749-283-8
9 783957 492838 >