Verfitzt und zugenäht! 60 Jahre Puppentheater Bautzen

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Verfitzt und zugenäht! 60 Jahre Puppentheater Bautzen



Inhaltsverzeichnis 2 Vorworte

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Steckbriefe 1968–1961

4

84

Das fahrende Volk wird sesshaft!

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Ein Puppentheater, zwei Kulturen, drei Sprachen

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Entfitzt und geöffnet – 60 Jahre Puppentheater Bautzen Unser Burgtheater

11

Auf das, was da noch kommt!

89

Wie werde ich Puppenspieler*in?

13

Steckbriefe 2021–2003

90

Unsere Puppenwerkstatt

33

Parade ins Paradies – der Umzug ins Burgtheater

91

Geheimnisse des Puppenfundus

92

Fragen über Fragen – auch diese müssen wir ertragen!

35

Die Zeit in der Kaserne

37

Steckbriefe 2002–1993

94

Auch Puppen haben Paten!

47

Puppentheater im „Flohkino“

95

Ein Dankeschön!

50

Steckbriefe 1992–1969

96 Impressum

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Puppentheater ohne feste Spielstätte

Auswahl an Puppenaugen, gefertigt von Beatrice Baumann

Hier gibt’s weiterführendes Videomaterial zu diesem Bildband. ➝


Sehr geehrte Freundinnen und Freunde des Puppentheaters,

Liebe Theater- und Geburtstagsgäste,

wird jemand 60 Jahre alt, so hat er oft schon die Pension im Blick. Zumindest aber nimmt ihm keiner übel, wenn er es etwas ruhiger angehen lässt. Feiert das Puppentheater Bautzen sein 60. Jubiläum, ist von Ruhe keine Rede. Zum Glück. Und warum auch? Solang der Mensch spielt, bleibt er jung. Das stellen die Puppenspielerinnen und Puppenspieler des Ensembles samt Puppen immer wieder unter Beweis. Mit Recht darf man sagen, dass sie mit Geschichten 60 Jahre lang Geschichte schrieben und dass ihre Kunst weit mehr ist als Kasperletheater. Seit 1961 stehen Stücke für alle Altersgruppen auf dem Spielplan: Puppen jeglicher Spezies verzaubern das Publikum – von klassischen ­Marionetten und Handpuppen über zweidimensionale SchattentheaterFiguren bis hin zu Kaukautzky-Puppen, die praktisch mit dem Spieler zu einer Figur verschmelzen. Blättern Sie nur in diesem Heft, Sie werden, wie das auf einem Geburtstagsfest üblich ist, manchen Bekannten wiedersehen: Da hinten links, ist das nicht Kasper? Und dort, neben der alten Dame, das muss Meister Krabat sein. Der sah auch schon frischer aus!

Max Reinhardt, der große alte Theatermacher aus Berlin, hat 1928 in Amerika gesagt, Schauspieler wären selig, weil sie sich ihre Kindheit in die Tasche gesteckt hätten und dann klammheimlich auf und davon sind, um bis an ihr Lebensende weiterzuspielen. Ich sage: Der Mann hat die Puppenspieler vergessen! Auf die trifft das viel mehr und im buchstäblichen Sinne zu. Denn die haben sich sogar die Puppen ihrer Kindheit mitgenommen und spielen, spielen, spielen … ursprünglicher geht es nicht! Ist es nicht jedes Mal ein kleines Wunder, wenn einer dieser Puppenspieler eine Figur oder einen bloßen Gegenstand in die Hand nimmt und ihm etwas von seiner Seele gibt, ihm spielerisch Leben einhaucht? Seit 60 Jahren passiert das nun schon in Bautzen, zuerst beim Sorbischen Volkstheater und seit 1963 in unserem Deutsch-Sorbischen Volkstheater. Für junge Menschen ist dieser Zauber meist das erste Theatererlebnis, und vorgeblich erwachsene Menschen lassen sich von ihm wieder oder immer noch einfangen. Herrlich, dass es das in unserer Region gibt!

Schwelgen Sie also in Erinnerungen, ich wünsche Ihnen viel Freude dabei. Dem Puppenspiel-Ensemble aber gratuliere ich von Herzen mit einem Satz von Henrik Ibsen: „Etwas Gescheiteres kann einer doch nicht treiben in dieser schönen Welt, als zu spielen.“

Und wir sollten Max Reinhardt verzeihen – 1928 gab es das Puppentheater in Bautzen ja noch nicht.

Michael Harig
 Landrat

Lutz Hillmann Intendant Lutz Hillmann mit Kasper aus „Kasper!“ (2008) Michael Harig mit Don Alonso aus „Don Juan“ (2015)


Geburtstag feiern macht Spaß! Manchmal hätte ich auch gern zweimal im Jahr Geburtstag, aber natürlich nicht, wenn mein Alter dann auch gleich um zwei Ziffern ansteigt. So kurz nach meinem 33. nun aber sogar schon mal 60. Geburtstag feiern zu dürfen, das ist wirklich etwas Besonderes! Und gerade der Blick zurück ist angenehme Abwechslung zu regulären Arbeitsprozessen, die sich im Theater ja immer eher an der Gegenwart und Zukunft orientieren. So haben wir im Puppentheater allein durch den Bau der Puppen ja eine deutlich längere Vorbereitungsphase für Inszenierungen als in anderen Sparten. Zum Jubiläum haben sich mit unserer Hilfe nun auch alle Puppen noch mal aus dem Fundus begeben und sich herausgeputzt. Eine große Ehre war es, eine Esel-Marionette, die doppelt so alt ist wie ich, neu zu schnüren, damit auch sie gut fotografiert werden kann. Nun lasset die Sektkorken knallen, bevor wir die nächsten 60 Jahre planen! Stephan Siegfried Leiter des Puppentheaters Stephan Siegfried mit Martin aus „Über Lang oder Kurz“ (2018) ➝ Madlenka Scholze mit Kito aus „Kito und die Tanzfiedel“ (2018)

Lubi mali a wulcy wopytowarjo klankodźiwadła, šěsć lětdźesatkow Wam hižo bajki a tryski předstajamy, wjeselo a juskanje budźimy, posměwk a zadźiwanje do wobličow kuzłamy a z najwšelakorišimi klankami dźiw dźiwadła stworimy. Naše klankodźiwadło je jón­ krótne, so praji: we Łužicy, po cyłej Němskej, haj, někotři měnja samo po wšej Europje. A to njeje žana bajka. Dokelž hraje so tu w třoch rěčach, mjenujcy: němsce, hornjo- a delnjoserbsce. Druhdy w kóždej rěči ekstra a druhdy samo we wšěch třoch w jednej hrě. A zo nawuknu za to němscy klankarki a klankarjo samo serbsce, za to słuša jim wosebity přiklesk. Tu je najmjeńši słowjanski narod, mały serbski lud cyle wulki a ma wšě móžnosće so rěčnje a wuměłsce w powołanskim dźiwadle zwoprawdźić. Ze serbskimi předstajenjemi před maćernorěčnymi a serbšćinu wuknjacymi dźěćimi wobchowamy a spěchujemy serbsku rěč a jeje rewitalizaciju, rozšěrjamy wid na swět a skrućamy sebjezrozumjenje serbskeje dźěćiny - tež naj­ mjeńši barbojty kamušk přinošuje k dokonjanej pisanosći mozaika. W ­tutym zmysle dajmy so do swjećenja a wjeselmy so, zo nas dawa. Na wšě klanki a jich klankarki a klankarjow, hač ze zašłosće, přitomnosće abo přichoda, cyle w zmysle serbskeho kašpora ­Nitka Witka, kiž by tomu zawěsće mudrujo přidać wědźał: Dlěša nitka, wjetša witka. Madlenka Scholze / Madleńka Šołćic Zastupjerka intendanta za serbske dźiwadło / Stellvertreterin des Intendanten für das Sorbische Theater

2—3 VORWORT E

Liebes Publikum,


Entfitzt und geöffnet – 60 Jahre Puppentheater Bautzen „Verfitzt und zugenäht!“ – das Bautzener Puppentheater wird 60. Kaum zu glauben, man fühlt sich jung, erlebnishungrig und ist doch schon so alt? Verfitzt und zugenäht? Also Nähte mussten wir nicht öffnen, um die eigene Geschichte zu studieren, und auch die Puppen werden im Fundus sorgfältig aufbewahrt, sodass verfitzte Marionetten nur eine unschöne Ausnahme sind. Aber dennoch war doch so manche innere und äußere Hürde zu nehmen, um den Blick in die Vergangenheit richten zu können, schauen wir doch in der täglichen Arbeit mehr nach vorn, in die Zukunft, auf die Ideen, die noch umgesetzt werden wollen, auf die Puppen, die noch gebaut, und auf die Geschichten, die noch erzählt werden müssen. Da ist so ein Jubiläum eine wunderbar zwingende Gelegenheit, sich aufzumachen, den roten Faden der eigenen Geschichte aufzunehmen, ihn vielleicht zu entfitzen und in gestrafften Schnüren aufzuhängen; in Kellern und auf Dachböden nach alten Fotos und Texten zu suchen, ehemalige Kolleg*innen zu befragen

und vor allem: abgespielte Puppen aus ihren Kisten zu holen. Plötzlich wird einem bewusst, was bereits geschaffen wurde und wie sehr die Leistungen anderer die Grundlage des eigenen Arbeitens sind. Man will immer mehr wissen und ist zugleich mit Respekt und Dankbarkeit erfüllt. In 60 Jahren Puppentheater haben 62 Ensemblespieler*innen mit Puppen von neun angestellten und ca. 80 freien Puppenbauer*innen gespielt, wurden von sieben Spartenleitern und drei Spartenleiterinnen geführt und haben auf drei Spielstätten und an zahlreichen Gastspielorten insgesamt 249 Premieren und 15.500 Vorstellungen vor ca. 2,25 Millionen Besucher*innen gegeben. Die vorliegende Festbroschüre soll den Puppen gewidmet sein, die die Geschichten spiel(t)en, derentwillen dieses Puppentheater gegründet wurde. Ausgewählten Puppen wurde die Ehre zuteil, ihre letzte Ruhestätte noch einmal verlassen und ins Schein­


E N T F IT Z T UN D GEÖF N E T

4—5

werferlicht vor die Kamera treten zu dürfen, um mit einem Porträt verewigt zu werden. Dabei repräsentiert eine Puppe das Jahr, in dem sie in einer Premiereninszenierung zu sehen war. Ein kurzer Steckbrief enthält neben Namen, Inszenierung, Material und Ausstatter*in manch lustige Anekdote und informa­ tive Anmerkung. Dabei ist dank digitaler Bearbeitung möglich, wovon die Puppen ansonsten nur träumen können: Fehlende Beine oder Brillengläser wurden

Die Falltür öffnet sich in der Inszenierung „Kriminell Grimmig“ (2014).

ergänzt oder störende Spielerhände kaschiert. Fast könnte man vergessen, dass sie von einer „höheren Macht“ geführt werden, und meinen: Die Puppe lebt ja doch! Nur manches Mal lässt sich die Liaison mit dem Spieler, der Spielerin einfach nicht vertuschen.


Eingeleitet werden die Puppen-Steckbriefe jeweils von einem kurzen historischen Abriss, der die wesentlichen Stationen des Puppentheaters je Spielstätte umreißt. Dabei gehen wir in der Zeit zurück – durchlaufen die 60 Jahre also in umgekehrter Chronologie – bis wir am Ende der Broschüre am Anfang unserer Geschichte angelangt sind. An diesem Anfang steht Herbert oder kurz Bert Ritscher mit seiner WanderMarionettenbühne, die 1961 als Sparte des Sor­bischen Volkstheaters eine institutionelle Heimat fand. 60 Jahre später ist aus ihr die Puppentheater-Sparte des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters mit einer festen modernen Spielstätte geworden. Diese ist ­ ­einzigartig in ihrem Spagat zwischen Tradition und Moderne, zwischen Gastspielbetrieb im Umland und Vorstellungen in der eigenen Spielstätte.

Abstrakte Marionetten aus „Reise zum Mittelpunkt des Raumes – das Bauhaus lebt!“ (2020), gebaut von Moritz Trauzettel

Auch wenn über die Jahre viele weitere beein­ druckende Puppenarten erprobt wurden, kommen wir immer wieder zurück auf die Marionette als ursprüngliche Puppenspielform und sind fasziniert von ihren Möglichkeiten. Jüngst hat sie sich uns überraschend neu und anders gezeigt: als abstrakte, sich nach eigenen Gesetzmäßigkeiten bewegende Kreatur, die nicht einfach nur einen Menschen in Klein, sondern ein ­eigentümliches Gegenüber darstellt, dessen wan­del­ bares Wesen im Puppenspiel immer wieder neu erforscht werden will.


Unser Burgtheater

Der Blick zurück zeigt: Das war nicht immer so und ist nicht selbstverständlich, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger Entwicklung, größter Anstrengung und Durchhaltevermögens und der Leistung von Mit-

U N S ER BURGT HEAT E R

Die Reise zurück in die Vergangenheit beginnt im Hier und Jetzt, in der heutigen Spielstätte des Bautzener Puppentheaterensembles: dem Burgtheater auf der Ortenburg. Es scheint uns selbstverständlich, mit sechs Puppenspieler*innen und einem Regie führenden Spartenleiter, einer Puppengestalterin und einer Dramaturgin sowie zwei Technikern, einem Technischen Leiter und einer Disponentin an einem Ort proben, arbeiten und spielen zu können, der Publikum und Künstler*innen höchsten (Puppen)Theatergenuss ermöglicht. Das Puppentheaterensemble sitzt geradezu im gemachten Nest. Es verfügt über zwei bestens ­ausgestattete Theatersäle – einen kleinen (für ca. 70 Zuschauer*innen) und einen großen Saal (für bis zu 150 Zuschauer*innen) – sowie einen eigenen Probenraum und zahlreiche Lagerräume, in denen Puppen aus 60 Theaterjahren sowie die Ausstattungen der derzeitigen Repertoire-Stücke aufbewahrt werden können.

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Burgtheater – Dźiwadło na hrodźe

arbeiter*innen, die lange vor uns mit Leidenschaft für ihr Puppentheater wirkten. Am 12. September 2003 wurde diese dritte Spielstätte nach dreijähriger Bauzeit feierlich eröffnet. Einen Tag später feierte die erste Inszenierung, das Stück „Der Drache“ von Jewgeni Schwarz in der Regie von Spartenleiter Peter Stahl, im Burgtheater Premiere. Von nun an wurden alle Neuinszenierungen für Erwachsene in das Abonnement des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters integriert. Drei Jahre später gingen Stahl und die lang jährige Dramaturgin Hildburg Zschiedrich, die


seit 1973 dem Puppentheaterensemble angehörte und somit die bewegende Geschichte des Puppentheaters miterlebt hatte, in den Ruhestand. Ihm folgte für kurze Zeit Rike Reiniger, die 2007 mit „Frau Sonne und Herr Mond machen Wetter“ Bildertheater für die Jüngsten ab 2 Jahre als „Theater von Anfang an“ initiierte. Ab 2008 war dann Therese ­ ­Thomaschke Leiterin des Puppentheaters. Sie stellte ein umfassendes ­Repertoire mit vielfältigen Spielformen für jede Altersgruppe zusammen. Manche Kinderproduktionen ­erhielten Einladungen zum Osterzgebirgischen Puppentheaterfest in Bärenfels. Sie rief das Format des „Spieltriebs“ ins Leben, das die Spieler*innen darin un­ terstützt, eigene Ideen in einer Theaterproduktion um­zu­ setzen, sowie die bis heute erfolgreiche Reihe „­ Puppen, Wein und Kerzenschein“ für Erwachsene im Burgtheater. Thomaschke konnte nach Holger Vandrich die renommierten Puppenbauer Christian Werdin (2009–2012) und Udo Schneeweiß (2013–2018) für das Haus gewinnen. Mit ihren Ausstattungen entstanden sehr erfolgreiche und bildgewaltige Inszenierungen, wie etwa „Faust.“ oder die Marionettenoper „Philemon und Baucis“ – eine opulente Koproduktion mit den Landesbühnen Sachsen. In Thomaschkes Ära fiel außerdem das 50-jährige Jubiläum des Puppentheaters, das mit einer eindrucksvollen Festwoche gefeiert wurde: Die fünf sächsischen Ensemble-Puppentheater aus Leipzig, Dresden, Chemnitz, Zwickau und Bautzen

Kleiner Saal, einge­richtet für die Reihe „Puppen, Wein und Kerzenschein“

zeigten ausgewählte Inszenierungen und präsentierten sich mit rund 400 Exponaten erstmals gemeinsam in einer Puppen-Ausstellung unter dem Titel „Lebendige Puppen“ im Bautzener Stadtmuseum. 2015 setzte Thomaschke auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise mit ihrer Inszenierung „Win­ termärchen“ ein Plädoyer für Mitgefühl und Menschlichkeit. In dieser Zeit lud das Puppentheater mehrmals geflüchtete Familien zu einem Probenbesuch mit kreativem Rahmenprogramm ins Burgtheater. Die Spielzeit 2016/17 stellte Thomaschke unter das Thema „Märchen der Welt“ und nahm in sechs unterschied­ lichen Inszenierungen die kleinen und großen Zuschauer*innen mit auf Reisen nach Japan, Norwegen, Tansania und Russland. In ihrer letzten Spielzeit als Leiterin wurde die Initiative KuBi-Mobil gegründet, dank der nun mehr Schul- und Kindergartengruppen aus dem Umland zu Theaterbesuchen kommen können.

➝ Die Figuren der „Allegorie der Tragödie“ von Ernst Rietschel, am 12.09.2003 um 22.00 Uhr feierlich im Burghof enthüllt


liche Figuren entwickelt. Auch das gemeinsam mit den Spielerinnen entwickelte Stück „Arche Nora“ brachte fantasievolle Objekt-Kreaturen hervor. So folgte das Ensemble in der Spielzeit 2019/20 in flachhierarchischen Arbeitsformen in besonderem Maße der eigenen Experimentier- und Entdeckerlust, die im besten Falle auf die kleinen und jugendlichen Zuschauer überspringt. Zudem war das Jahr 2020 stark von der Corona-Pan­ demie geprägt, sodass „Arche Nora“ und die Neuinszenierung für Erwachsene „Hallo Nachbar“ die ersten ­Corona-konformen Premieren am Haus waren. Bemerkenswert bei „Hallo Nachbar“ ist aber vielmehr, dass es als Stückauftrag von der renommierten Dramatikerin Ingeborg von Zadow explizit für das Bautzener Puppentheater geschrieben wurde und in enger Zusammenarbeit mit der Regie entstand. So mag es weitergehen: in der Geschichte und Tradition verwurzelt Neuland betreten, mit Leidenschaft an Spiel und gemeinsamer Kreativität.

8—9 U N S ER BURGT HEAT E R

2018 ging Therese Thomaschke in Rente und übergab Stephan Siegfried, von 2011 bis 2014 selbst Puppenspieler in Bautzen, die Leitung. Seine eindrucksvolle Inszenierung „Der Besuch der alten Dame“ mit der kongenialen Ausstattung von Marita Bachmaier (2017–2019 feste Puppengestalterin am Haus) wurde 2019 zum Internationalen Puppentheaterfestival in Zwickau eingeladen. Siegfried führt das Konzept seiner Vorgängerin fort, ein vielfältiges Puppentheater für alle Zielgruppen anzubieten. Während sich etwa die Spieltrieb-Produktion „T.Räume“ an die Allerkleinsten richtet, lockt „50 Shades of Red“ Freunde des Improtheaters und der Comedy ins Haus. Mit dem interaktiven Stück „Die Reise zum Mittelpunkt des Raumes – das Bauhaus lebt!“ wurde nach „Orest aus Stein“ aus dem Jahre 2009 erstmals wieder eine Produktion für Kinder ab 10 Jahren inszeniert. Die Probenarbeit eröffnete den besetzten Puppenspieler*innen einen großen Gestaltungsspielraum, es wurden eine besondere Zuschauer-Darsteller-Situation erprobt und ungewöhn­


v. l.: Krokodil, Kasper („Kasper und das Wahrheitstuch“), Fliege 2, Fliege, Fuchs („Nur ein Tag“), Henriette, König Matthias, Constanze, Maximilian („Die Salzprinzessin“), Wildschwein („Nur ein Tag“), Mirabelle („Die kleine Meerjungfrau“), Mammoud, Elfriede („Godow & Somorrha“)


Die Spielzeiten 2019/2020 und 2020/2021 waren sehr ungewöhnliche, nicht nur für unser Puppentheater, sondern durch die Pandemie für die ganze (Kultur-)Welt. Und auch wenn wir für lange Zeit kein ­Publikum bei uns begrüßen durften und viele geplante Premieren sich auf unbestimmte Zeit verschoben, ­haben wir dennoch nicht die Finger stillhalten können und die Zeit genutzt, viele schöne Inszenierungen vorzubereiten, um zum nächstmöglichen Öffnungstermin eine große und bunte Auswahl an neuen Stücken bieten zu können. So wartet zum Beispiel „Die kleine Meerjungfrau“ sehnsüchtig darauf, endlich an die Meeresoberfläche schwimmen zu dürfen, um ihrem Prinzen zu begegnen. In „Das Märchen von der Salzprinzessin“ fragt ein König seine Töchter, wie lieb sie ihn hätten. Die Antwort der Jüngsten „so lieb wie das Salz“ war nicht wirklich, was er hören wollte und so entspinnt sich ein liebevolles Familiendrama für Kinder ab 5 Jahren. Die Waldbewohner aus „Nur ein Tag“ warten bereits am längsten auf ihre Premiere. Aber gerade für die kleine Eintagsfliege vielleicht gar nicht so schlimm, denn am Ende des Tages und somit des Stückes stirbt sie, wie es für Eintagsfliegen normal ist.

So hat der Plan der Gruppe um Wildschwein und Fuchs doch noch mehr Zeit, der kleinen Fliege den schönsten Tag ihres Lebens zu bereiten. Für „Godow & Somorrha“ sitzen zwei Figuren in den Startlöchern: Mammoud und Elfriede stoßen in der Fortsetzung des Stücks „Warten in Godow“ zum bereits elfköpfigen Handpuppensensemble dazu. Finale unserer Feierlichkeiten zum 60. Jubiläum soll eine neue Open-AirInszenierung eines Stoffes sein, der an unserem Puppentheater in einer früheren Fassung sehr viele Jahr(zehnt)e lief und mehrere Generationen begeistert hat: Für „Kasper und das Wahrheitstuch“ gehen schon mal ebenjener nebst Krokodil in Stellung, der Rest des Ensembles entsteht gerade erst noch. ­Genau wie die Märchenfiguren aus „Wölfchenverschwörung – das GRIMMinalgericht“, welche in unserer nächsten Erwachseneninszenierung das Universum der Grimmschen Märchensammlung stark durchein­anderwirbeln wird ... Sollten also in 60 Jahren unsere Nachfolger mit einem zweiten Bildband anknüpfen wollen, der Grundstein für die ersten neuen Puppenvertreter ist gelegt!

10—11 AU F DAS, WA S DA N OCH KOM MT!

Auf das, was da noch kommt!


Das Ensemble der Spielzeit 2020/2021, v. l.: Moritz Trauzettel, Annekatrin Weber, Eva Vinke, Andreas Larraß, Stephan Siegfried (Leitung), Marie-Luise Müller, (abwesend, da in Elternzeit: Anna Taraszkiewicz).
Die Marionetten von Christian Werdin sind aus der Inszenierung „Die purpurrote Blume“ (2011).


FIGUR: Henriette INSZENIERUNG:

Das Märchen von der Salzprinzessin PUPPENART: Stabmarionette MATERIAL: Resin (2-Komponenten-Kunstharz) GESTALTER*IN: Beatrice Baumann Unsere aktuelle Puppengestalterin legt großen Wert auf Details und wollte, dass auch die Puppenspieler*innen, welche Marionetten ja prinzipiell nur aus der Vogelperspektive sehen können, ein paar schöne Accessoires begutachten können, und schmückte so auch die Marionettenkreuze mit feinen königlichen Verzierungen.

12—13 S T ECKBRIEF E 2021

2021


2020 FIGUR: Nora INSZENIERUNG: Arche Nora PUPPENART: Objekt MATERIAL: Wasserkocher plus Perücke GESTALTER*IN: Ensemble

Die Premierenkritik lobte, dass im Gegensatz zum postdramatischen Theater nicht sukzessive Chaos auf der Bühne entsteht, sondern Ordnung: Die Spielerinnen lassen aus unscheinbarem Müll Tiere entstehen und diese sich selbst in den Schrank aufräumen. Obwohl im Stück keine einzige gestaltete Puppe vorkommt, rief nach einer Vorstellung ein Kind „Das war das schönste Puppentheater, das ich je gesehen habe!“


FIGUR: Fischer Helmut Fischer INSZENIERUNG: Warten in Godow PUPPENART: Handpuppe MATERIAL: Gummimilch GESTALTER*IN:

Stephan Siegfried (Kopf), Nicole Schulz (Haare), Wladislav Wnuszinsky (Kostüm) In einer Vorstellung setzte sich der Spieler die Handpuppe falsch herum auf die Hand, so guckte Helmut mit dem Rücken zum Publikum, konnte aber dafür seine „Hände“ (Daumen und kleiner Finger des Spielers) auf dem Rücken verschränken – was für Handpuppen aufgrund der Anatomie der menschlichen Hand normalerweise nur schlecht möglich ist.

14—15 S T ECKBRIEF E 2019–2020

2019


2018 FIGUR: Claire Zacchanassian INSZENIERUNG: Der Besuch der alten Dame PUPPENART: Großpuppe MATERIAL: Schaufensterpuppe, zersägt und neu zusammengesetzt GESTALTER*IN: Marita Bachmaier

Die fast einzige Puppe der Inszenierung wird durch feine, zurückhaltende Animation im Gegensatz zur verzerrten Körperlichkeit der Maskenspieler*innen um sie herum zur menschlichsten Figur auf der Bühne. Dies führte selbst in der Stückpause oft zur Frage des Publikums, wieso überhaupt keine Puppe mitspiele. Claire wurde für eine Schauspielerin gehalten – und das, obwohl sie kurzzeitig Hand und Arm verliert!


FIGUR: Momotaro INSZENIERUNG: Das Pfirsichkind Momotaro PUPPENART: Schattenfigur MATERIAL: Holzpappe und Farbfolie GESTALTER*IN: Moritz Trauzettel

Die Schattenfiguren der Inszenierung kombinieren die virtuose Schattenspieltechnik Chinas und die kunstvolle Holzschnittästhetik Japans. Die Schattenfigur des jugendlichen Momotaro ist so beweglich und aufwendig gearbeitet, dass sie sogar Karate beherrscht, z. B. die fiktive Figur der „wackelnden Teetasse“. Momotaro gibt es noch als kleinen Knirps, der aus einem Pfirsich springt.

16—17 S T ECKBRIEF E 2017–2018

2017


2016 FIGUR: Philemon und Baucis INSZENIERUNG: Philemon und Baucis PUPPENART: Fadenmarionette MATERIAL: Holz (Linde) ENTWURF: Eberhard Keienburg

GESTALTER*IN: Udo Schneeweiß

Das alte Paar konnte nicht so bucklig gebaut werden, wie es die Entwürfe von Eberhard Keienburg vor­ gaben. Durch das Übergewicht der Köpfe hätte sich der Schwerpunkt der Marionetten so stark verlagert, dass diese nicht mehr aufrecht hätten laufen können. Für die Baucis ist sogar ein zweigeteiltes Fadenkreuz gebaut worden, um den Kopf unabhängig vom Körper führen zu können.


FIGUR: schwarzer Schwan INSZENIERUNG: Schwanensee PUPPENART: Stabpuppe MATERIAL: Holz, bezogen mit Nylon GESTALTER*IN: Peter Lutz

Die Inszenierung „Schwanensee“ in der Regie von Christian Fuchs ist eine ungewöhnliche Interpretation des Balletts von Tschaikowsky. Die Musik des bekannten Komponisten mischt sich mit modernem Hip-Hop, und drei Puppenspieler*innen „erzählen“ ohne Worte mit lebensgroßen Schwänen die alte Legende von der Schwanenprinzessin neu. Die Puppen können über Mechanismen die Flügel ausbreiten und schwingen.

18—19 S T ECKBRIEF E 2015–2016

2015


2014-II FIGUR: Gulliver INSZENIERUNG: Gullivers Reisen PUPPENART: Fadenmarionette MATERIAL: Styrodur (Kopf, Hände), Aluminium (Körper) GESTALTER*IN: Udo Schneeweiß (Kopf, Hände) Christian Werdin (Körper)

Die sieben Meter große Marionette hing an einem Baukran und wurde im Bautzener Theatersommer eingesetzt. Sie musste von sechs Puppenspieler*innen und einem Kranführer geführt werden. Es waren jeweils eine Person für einen Arm bzw. ein Bein zuständig, eine für die Hüfte und den Steiß-„Faden“, eine für den Kopf. Gulliver konnte nicht nur mit den Augen blinzeln, sondern mittels eines Schlauchs und echtem Wasser auch „Feuer löschen“.


FIGUR: Eisenring INSZENIERUNG: Herr Biedermann und die Brandstifter PUPPENART: Koruna-Puppe MATERIAL: Styrodur (siehe Seite 97) GESTALTER*IN: Udo Schneeweiß

Die Puppenköpfe werden wie Helme getragen, sodass man nicht mit den eigenen, sondern mit den Augen der Puppen, 30 Zentimeter über dem eigenen Kopf, schauen muss – sonst stimmt der Blick der Puppe nicht! Ein Spieler hatte sich an dieses Prinzip so gewöhnt, dass er einmal ohne Puppenkopf seine Wasserflasche auf der Höhe des nicht mehr vorhandenen Puppenmundes führte und sich somit mit Wasser begoss.

20—21 S T ECKBRIEF E 2014

2014-I


2013 FIGUR: Julia INSZENIERUNG: Die 8 Millionäre PUPPENART: Handpuppe mit Livehand MATERIAL: Gummimilch GESTALTER*IN: Thomas Klemm

Damit Julia rauchen konnte, wurde ein Schlauch eingebaut, der von ihrem Mund durch den Körper hindurch bis zum Mund des Spielers reichte. Während er die elektrische Zigarette an den Puppenmund führte, zog er am anderen Schlauchende, und so konnte Julia tatsächlich „selber“ rauchen. Der Versuch, sie durch diesen Schlauch auch Wasser spucken zu lassen, ­endete darin, dass der Spieler klitschnass wurde.


FIGUR: Wölfchen INSZENIERUNG: Rotkäppchen PUPPENART: Klappmaul MATERIAL: Schaumstoff, bezogen mit altem Bademantel GESTALTER*IN: Sigrid Schöneberg

Obwohl böse wurde Wölfchen schnell zum Publikumsliebling, spielte gar im Bautzener Bühnenball mit und begründete so ein ganzes Märchenuniversum, aus dem inzwischen nicht nur „7 Geißlein“ (2020), sondern auch das Abendprogramm „50 Shades of Red – Rotkäppchen P18!“ (2019) hervorging. Auch Jahre nach der ersten Vorstellung fanden sich noch Stecknadeln aus dem Bauprozess in der Puppe – aua!

22—23 S T ECKBRIEF E 2012–2013

2012


2011 FIGUR: Mann INSZENIERUNG: Salto Mortale PUPPENART: Klappmaul MATERIAL: Holz GESTALTER*IN: Christian Werdin

„Mann“ und „Frau“ – andere Namen hatten die beiden einzigen Klappmaulpuppen in der eigentlichen Mario­ netteninszenierung nicht – wurden in der ­Varietéshow lediglich als alte, gnatzige Schimpfköppe gespielt, die sich wie Waldorf und Statler in der Muppet-Show über alles lustig machten. Die Arme waren nicht bespielbar, sondern bereits verschränkt gebaut.


FIGUR: Jekyll/Hyde INSZENIERUNG: Dr. Jekyll und Mr. Hyde PUPPENART: Stabpuppe MATERIAL: Holz GESTALTER*IN: Christian Werdin

24—25 Neben den zwei individuellen Stabpuppen für Jekyll und Hyde gab es diese Metamorphosenpuppe, die ­extra nur für den Prozess der Verwandlung genutzt wurde. In der Mitte des Kopfes befindet sich eine ­runde Scheibe, auf die zwei verschiedene Gesichts­ „mitten“ geschnitzt wurden, sodass mit einer schnellen Drehung aus Jekyll Hyde wurde und umgekehrt.

S T ECKBRIEF E 2010–2011

2010


2009 FIGUR: Königin der Nacht INSZENIERUNG: Die Zauberflöte PUPPENART: Flachfigur MATERIAL: Holz GESTALTER*IN: Eberhard Keienburg

Die Flachfigur besteht aus fünf einzelnen Teilen und wurde von vier Spieler*innen geführt. Keienburg, ­perfektionistischer Ausstatter, hat auch in den Endproben noch teilweise Figuren farblich neu gestaltet. Das führte dazu, dass manche Puppen zum Beginn der Premiere noch leicht feucht waren. Heute ist die Königin der Nacht Bestandteil der staatlichen Puppentheatersammlung Dresden.


FIGUR: Wilhelmine INSZENIERUNG: Casanova kommt! PUPPENART: Klappmaul mit Livehand MATERIAL: Schaumstoff, mit Stoff bezogen GESTALTER*IN: Matthias Hänsel

Die Bühne dieser Inszenierung war ein Boxring, und die Puppen wurden von den Spieler*innen in manchen Sequenzen tatsächlich wie Boxhandschuhe eingesetzt. Vermutlich ist daher die Wahl des Materials auf weiches Polster gefallen.

26—27 S T ECKBRIEF E 2008–2009

2008


2007 FIGUR: Připołdnica / Mittagsfrau INSZENIERUNG: Připołdnica / Mittags kommt die Mittagsfrau PUPPENART: Handpuppe mit Livehand MATERIAL: selbstaushärtende Modelliermasse GESTALTER*IN: Matthias Hänsel

In der Inszenierung kommen viele sorbische Sagen­ figuren vor, neben der Mittagsfrau zum Beispiel auch der Wassermann, welcher in der Teich- und Seenlandschaft der Oberlausitz zu Hause ist. Deshalb sind drei Inszenierungsfotos mit unseren Puppen auf einem großen Bilder-Puzzle auf einem Spielplatz in Brösa zu finden.


FIGUR: Hexe INSZENIERUNG: Hänsel und Gretel PUPPENART: Klappmaul MATERIAL: Schaumstoff, bezogen GESTALTER*IN: Peter Lutz

Die Inszenierung für Kinder löste unter manchen Erzieher*innen und Eltern einen kleinen Skandal aus und ist dadurch auch heute noch in vieler Munde. Doch der Grund ist nicht etwa, wie auf den ersten Blick zu vermuten, die sehr freizügige Darstellung der Hexe, die für Anstoß gesorgt haben könnte. Nein, es war die Darstellung der Kinder Hänsel und Gretel, als dürre Puppen aus Stöckchen gebaut – und das ohne Kleidung!

28—29 S T ECKBRIEF E 2006–2007

2006


2005 FIGUR: Orpheus / Arnošt Muka INSZENIERUNG: Orpheus in der Unterwelt / Za sydom durjemi (Sieben Türen) PUPPENART: Tischpuppe / Stabmarionette MATERIAL: Pappmaché, kaschiert GESTALTER*IN: Axel Jirsch

Die Puppen aus „Orpheus in der Unterwelt“ waren als Tischpuppen gebaut worden, und Orpheus selbst hatte extra einen Mechanismus, über den die Puppe vermeintlich eigenständig Geige spielen konnte. Als 2011 für die obersorbische Schauspielinszenierung „Za sydom durjemi“ („Sieben Türen“) kurzfristig Stabmarionetten nötig waren, wurden die Puppen umgebaut. Dieser ungewöhnliche Prozess polarisiert bis heute das Ensemble.


FIGUR: Die schöne Wassili INSZENIERUNG: Die Froschprinzessin PUPPENART: Handpuppe mit Stäben MATERIAL: Gummimilch GESTALTER*IN: Melanie Sowa

Bei der Puppen-Auswahl stießen wir auf das untere Inszenierungsfoto und wollten die Maske des Puppenspielers als „Puppe“ für 2004 auswählen. Allerdings erfuhren wir dann, dass diese nicht zur extra ­angefertigten Ausstattung gehörte, sondern in einem Berliner Maskenladen fertig gekauft wurde. Um jedoch trotzdem das Inszenierungsfoto verwenden zu können, wurde stattdessen Wassili erwählt.

30—31 S T ECKBRIEF E 2004–2005

2004


2003 FIGUR: Der Drache INSZENIERUNG: Der Drache PUPPENART: Fadenmarionette MATERIAL: Holz GESTALTER*IN: Rainer Schicktanz, Sigrid Schöneberg

Bei der zweiten Premiere ist einem Spieler das ­Marionettenkreuz im Schlussbild aus der Hand ge­ fallen, sodass diese wie von ihrem eigenen Kreuz erschlagen tot in sich zusammensackte! Der Horror für ­jede*n Puppenspieler*in. Und wer sich fragt, wo bei dieser Figur das Drachenhafte versteckt ist: Die ­Titelfigur kann sich in jedes Wesen verwandeln, hier gibt es sich das Aussehen eines alten Herrn.


Nach dreijähriger Bauzeit wurde das neue Burgtheater auf der Ortenburg am 1. Juli 2003 dem DeutschSorbischen Volkstheater übergeben. Nun musste das Puppentheater nur noch aus seiner alten Spielstätte ausziehen, um die neue zu beziehen. Dieser Umzug wurde wortwörtlich genommen: Das Puppentheaterensemble veranstaltete einen großen Umzug zum Umzug. Der damalige Oberspielleiter Peter Stahl schloss – in Kostüm und Maske seiner wohl kultigsten Rolle Egon Olsen aus der „Olsenbande“ – höchstpersönlich die alte Spielstätte in der Kaserne ab, um anschließend mit den Worten „Ich habe einen Plan“ mit seinem Ensemble, weiteren Theatermitarbeiter*innen aus allen Sparten und Gewerken und einigen Kindergartenkindern in einer Aufsehen erregenden PuppenParade aus der Käthe-Kollwitz-Straße bis zur Ortenburg zu ziehen. Alle hatten eine Puppe in der Hand, die durch die Straßen geführt wurde. Allerdings h­ aben

➝ Hildburg Zschiedrich mit Prinz (vgl. Seite 46)

32—33 PA R A D E IN S PARAD IES – D E R U M Z U G IN S BURG T HEAT E R

Parade ins Paradies – der Umzug ins Burgtheater


wir nur Fotos der Parade von der vernagelten Tür bis zum Eingangstor des Kasernengeländes, denn dort wechselte der Fotograf von Foto- zu Filmkamera. Da wir aber leider nicht in der magischen Welt von Harry Potter leben und wir das Filmmaterial schlecht hier abdrucken können, gibt es Ausschnitte der Parade auf dem YouTube-Kanal unseres Theaters. Der QRCode, der auf Seite 1 dieses Hefts abgebildet ist, führt direkt zu einer Playlist, die Zusatz- und Hintergrundmaterial zu den Inhalten der Festbroschüren zeigt.­ Auch Mitarbeiter*innen aus Verwaltung, Besucher­ service, Dramaturgie etc. nahmen am Umzug teil.

Puppentheaterleiter Peter Stahl und Intendant Lutz Hillmann vernageln die verlassene Spielstätte.


Bis 2003 hatte das Puppentheaterensemble seine Spielstätte im Kulturhaus der Volksarmee – einer ehemaligen Offiziersreithalle der Kaiserlichen Husaren –, das sich in der Kaserne in der Käthe-KollwitzStraße befand. Zehn Jahre probte es dort und empfing sein Publikum. Im Gegensatz zum Burgtheater, das auf alle Bedürfnisse eines Theaterbetriebs zugeschnitten war, gab es hier einige Unzulänglichkeiten. Zu­allererst herrschten aber beim Ensemble große Erleichterung und Freude, als es 1993 diese neue Spielstätte gefunden hatte und der drohenden ­Obdachlosigkeit entkommen war. Die erste Premiere am 23. April 1993 passte da wie die Faust aufs Auge: „Kasper baut ein Haus“, inszeniert von der Leiterin Irena Barkow. Das Haus hatte einen (zu) großen Saal, einen kleinen Saal, zwei Werkstatträume, einen Aufenthaltsraum für das Ensemble, einen Büroraum und Lagerräume. Die Isolation der Räume war so schlecht, dass die Raumtemperaturen in langen Kälteperioden kaum

erträglich waren und extrem hohe Heizkosten an­ fielen. Kasernenüblich standen dem Publikum und dem Personal nur eine Damen-, dafür aber sieben Herrentoiletten zur Verfügung. Duschen oder andere Waschgelegenheiten existierten nicht. Dennoch erlebte diese Spielstätte in den 10 Jahren 53 Premieren. Der Spielplan wurde weiter ausgebaut und umfassender, ein kleines Repertoire für Erwachsene versucht: Drei Inszenierungen für die „Großen Zuschauer*innen“ entstanden in diesen Jahren. Auch die schöne Pflicht, jährlich eine Neuinszenierung in obersorbischer Sprache herauszubringen, entstand hier. Insgesamt standen überwiegend Märchen, Kasperstücke, Tiergeschichten und Lausitzer Sagen in deutscher und sorbischer Sprache auf dem Programm. Es wurde außerdem ein Spielplan für Erwachsene aufgebaut: Drei Inszenierungen für die „Großen Zuschauer*innen“ entstanden in diesen Jahren. Das Ensemble, dem zunächst fünf Spieler*innen, ein Techniker für Licht und Ton, eine Puppengestalterin

34—35 D IE Z E IT IN D ER KAS ERN E

Die Zeit in der Kaserne


und eine Dramaturgin angehörten, erweiterte sich um einen weiteren Techniker und einen technischen Oberinspektor. 2000 inszenierte Barkow ihr letztes Stück und übergab die Oberspielleitung an Peter Stahl, der von nun an die Handschrift des Puppentheaters prägte. In ­seiner Ära wurde Volkmar Funke ein wichtiger Regisseur, dessen Inszenierung „Peter und der Wolf“ 2001 in niedersorbischer Sprache als „Pětr a wjelk“ zur ­Aufführung gebracht wurde und somit die erste niedersorbische Premiere in der Geschichte des Theaters darstellte. Seitdem wurde regelmäßig Puppentheater in drei Sprachen angeboten. Funkes überaus erfolgreiche Inszenierung befand sich in der deutschen Variante übrigens bis 2020 im Repertoire. Das Kulturhaus in der Kaserne aber konnte letztlich den baulichen Anforderungen und Ansprüchen des Publikums nicht mehr entsprechen. Die Sanierung wäre zu aufwendig geworden, sodass der Kreistag des Landkreises Bautzen 2000 den Bau eines neuen Puppen- und Jugendtheaters auf der Ortenburg beschloss. Die letzte Premiere in der Käthe-KollwitzStraße war „Morgens früh um 6“, wiederum in der Regie von Volkmar Funke.

Kulturhaus der Volks­armee

Blick von der Hinterbühne in den Zuschauerraum


FIGUR: Diener Toni INSZENIERUNG: Rumpelstilzchen PUPPENART: Handpuppe MATERIAL: Holz GESTALTER*IN: Udo Schneeweiß

Die Inszenierung war ein Solo-Stück, und Lutz Patz spielte den Diener als Vorbühnenrolle, welche auch als Puppe in der Bühne auftauchte. Daher wurde der Puppenkopf nach seinem Vorbild geschnitzt. Der Spieler befindet sich auf dem unteren Bild rechts.

36—37 S T ECKBRIEF E 2002

2002


2001 FIGUR: Smjertnica / Gevatterin Tod INSZENIERUNG: Wjesoły tótka / Der fröhliche

Totengräber

PUPPENART: Handpuppe mit Livehand MATERIAL: Pappmaché, kaschiert GESTALTER*IN: Roswitha Stahl

In der Inszenierung gab es Szenen, in denen die Spieler*innen bis zu 25 Minuten ohne Unterbrechung mit beiden Armen über der Spielleiste – also über dem eigenen Kopf – spielen mussten, wodurch sie manchmal ihre Arme einfach nicht mehr spüren konnten.


FIGUR: Kaiser Nero INSZENIERUNG: Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung PUPPENART: Großpuppe mit Livehand MATERIAL: Schaumgummi, mit Gummimilch bestrichen ENTWURF: Udo Hesse

GESTALTER*IN: Sigrid Schöneberg

2000 waren Erwachseneninszenierungen im Puppentheater noch etwas seltener. Also wurde extra großer Aufwand betrieben, um ein fulminantes Werk auf die Beine zu stellen:. Viele große Puppen in einem beeindruckenden Bühnenbild, dazu eine gute Premierenkritik – all das nutzte nichts: Der Zufall ergab, dass durch verschiedene Krankheitsfälle die Inszenierung lediglich drei Mal gespielt werden konnte.

38—39 S T ECKBRIEF E 2000–2001

2000


1999 FIGUR: Holländermichel INSZENIERUNG: Das kalte Herz PUPPENART: Stabmarionette MATERIAL: Holz GESTALTER*IN: Axel Jirsch

Axel Jirsch ist in Kennerkreisen nicht nur für seine guten Puppen bekannt, sondern auch dafür, ausgeklügelte Mechanismen zu entwickeln (siehe Geige von Orpheus). So gab es in diesem Stück als Requisit einen kleinen Kohlewagen, der mittels eines Fadenzugs in Bruchteilen von Sekunden zum voll beladenen Tisch umklappte.


FIGUR: Tonda INSZENIERUNG: Hdyž wódny muž so zahlada … /
 Der verliebte Wassermann PUPPENART: Kaukautzky-Puppe MATERIAL: Schaumstoff, überzogen GESTALTER*IN: Rainer Schicktanz Sigrid Schöneberg

Bei dieser Puppenform wurde das Ensemble teilweise selber zu Puppen, zumindest mussten die Spieler*innen den Figuren ihr eigenes Gesicht zur Verfügung stellen. Der menschliche Körper verschwindet durch schwarze Kleidung völlig, und so entsteht in den Augen des Publikums eine kleine Puppe mit überproportional großem, doch dafür sehr lebendigem Kopf.

40—41 S T ECKBRIEF E 1989–1999

1998


1997 FIGUR: 1. Schneemütterchen INSZENIERUNG: Petruška a Baba Jaga / Petruschka und die Baba Jaga PUPPENART: Stabpuppe MATERIAL: kaschierter Nesselstoff GESTALTER*IN: Jürgen Popig

Diese Wendepuppe konnte in kürzester Zeit durch einfaches Umdrehen von einer alten Frau zum schönen jungen Mädchen verwandelt werden. Dies war möglich, weil das Kostüm sehr geschickt genäht war. Diese einfache Idee sorgte regelmäßig für Rätselraten im Publikum – das Mysterium des „Zaubertricks“ wird so fast größer, als es der Aufwand vermuten lassen würde.


FIGUR: Krokodil INSZENIERUNG: Der Teufel und die Pfannkuchen PUPPENART: Handpuppe mit Klappmaul MATERIAL: Stoff GESTALTER*IN: Matthias Hänsel, Sigrid Schöneberg

Dieses Stück ist eins der meistgespielten Puppentheaterstücke überhaupt und dürfte vielen älteren Generationen bekannt sein. Die Kultinszenierung nach dem berühmten Trickfilm sorgte teilweise für Entsetzen bei Lehrern und Eltern, wurden doch tatsächlich nach mancher Vorstellung ab und zu ­ Pfannkuchen verteilt, und die Kinder gingen marmeladenbekleckert und mit klebrigen Händen – dafür aber glücklich – nach Hause.

42—43 S T ECKBRIEF E 1996–1997

1996


1995 FIGUR: Lutk INSZENIERUNG: Pintlašk, lutki a złote jehnjo / Pintlaschk, die Lutken und das goldene Schaf PUPPENART: Stabpuppe MATERIAL: Holz GESTALTER*IN: Ivan Antoš

Weil ein Spieler ihm anfangs nicht komödiantisch genug war, sprach der tschechische Regisseur Pavel ­Polak irgendwann zu ihm: „Andreas, musst du machen mehr Lust auf Buhne!“ Daraufhin versuchte dieser erfolgreich, mehr das tschechische Bühnen-Froh­ gemut zu geben.


FIGUR: Die dreibusige Teufelin INSZENIERUNG: Georg Faust PUPPENART: Holz und Metall MATERIAL: Gummimilch GESTALTER*IN: Udo Hesse, Sigrid Schöneberg Ingeborg Kasper

Udo Hesse hatte die Angewohnheit, böse Frauen­ figuren mit drei Brüsten zu versehen, so auch bei der Hexe aus „Hans-Sachs-Abend“ (1997). Der FaustStoff wurde übrigens dreimal inszeniert, und so taucht auch der umtriebige Gelehrte in drei verschiedenen Puppenkörpern im Fundus auf: als Stabpuppe von Carl Schröder (1976), als Tischpuppe mit Stab von Udo Hesse (1994) und als Tischfigur von Christian Werdin (2012).

44—45 S T ECKBRIEF E 1994–1995

1994


1993 FIGUR: Prinz INSZENIERUNG: Dołhi, Tołsty a Wótrowočak / Der Lange, der Dicke und der Scharfsichtige PUPPENART: Stabmarionette MATERIAL: Holz GESTALTER*IN: Ivan Antoš

In der vom Ensemble liebevoll „Der Lange, der Dicke und der Schwachsinnige“ genannten Inszenierung ließ sich zur Freude des Publikums die Figur des Langen von 40 auf 80 Zentimeter ausziehen. Bei der Umzugsparade ins Burgtheater 2003 führte Dramaturgin Hildburg Zschiedrich den Prinzen zwei Kilometer über Asphalt durch die Stadt – seitdem sind die Schuhe der Marionette abgewetzt.


Die Spielstätte im Haus Lauengraben 12 begleitete das Ensemble die bisher längste Zeit: In 24 Jahren erlebte das Puppentheater eine aufregende AufbauZeit, wobei künstlerische und bauliche Entwicklung Hand in Hand gingen. Das ehemalige Kino „Film­ bühne“ am Lauengraben – in der Stadt als „Flohkino“ bekannt – genügte zunächst kaum den Bedürfnissen eines Theaterspielbetriebs, wurde aber nach den ­notwendigsten Renovierungsarbeiten am 1. Mai 1969 als Puppentheater eröffnet. Es gab einen Saal, die Bühne, den Kassenraum und hinter der Bühne zwei winzige Kämmerchen. Der Zuschauerraum war dunkel und heruntergekommen, die Bestuhlung uralt und abgenutzt. Die unverputzten Wände mussten von den Puppenspieler*innen mit Stoff verhängt werden. Es regnete immer wieder durchs Dach hinein. Duschen gab es keine, und ein einziges „Plumpsklo“ auf dem Hof musste für Publikum und Ensemble reichen. Der größte Mangel aber war das Fehlen einer Heizung. So konnte das Haus die meiste Zeit des Jahres allein für Proben genutzt werden und nur im Hochsommer als

Vorstellungsraum. Überwiegend war das Ensemble also unterwegs, unterhielt einen regen Gastspiel­ betrieb in der Oberlausitz sowie in den Bezirken Dresden und Cottbus. Neben der Spielstätte waren auch die künstlerischen Bedingungen unbefriedigend. Das Ensemble verfügte zwar über einen Disponenten, aber über keinen eigenen Techniker. Die Puppen­ spieler*innen trugen im wahrsten Sinne die gesamte Last des reibungslosen Spielbetriebs auf ihren Schultern: Auf- und Abbau sowie Licht- und Tonsteuerung. In den nächsten Jahren jedoch leistete das Team unter der Leitung von Bert Ritscher (1969–1970), Hans-Georg Stein (1971–1978; 1986–1989), Martin Schneider (sorb.: Měrćin Krawc 1978–1986, einziger sorbischer Leiter) und Irena Barkow (ab 1990) beachtliche Aufbauarbeit. Aus den Gastspiel-­ ­ Tourneen in der Tschechoslowakei und in Polen entwickelte sich eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Ausstatter*innen und Regisseur*innen. Zudem ermöglichte die Teilnahme an den jährlich stattfinden-

46—47 PU PPE N T HE AT ER IM „F LOHKIN O“

Puppentheater im „Flohkino“


den Leistungsvergleichen der staatlichen und städtischen Puppentheater der DDR einen bereichernden Austausch und erbrachte sogar manche Auszeichnung (u.a. „Geh – ich weiß nicht wohin, bring – ich weiß nicht was“, 1982). Als Nachwuchsförderung wurde in den 80er-Jahren eine Elevenausbildung am Puppentheater aufgebaut, die auch einen Zuwachs an Puppenspieler*innen mit sich brachte, denn die Auszubildenden wurden sofort als vollwertige Puppenspieler*innen in den Stücken besetzt. Durch die Schaffung weiterer Planstellen für Technik, Puppen und Dramaturgie verbesserten sich ab 1978 die Möglichkeiten künstlerischer Arbeit. Ab 1979 gelang es, kontinuierlich drei Neuinszenierungen pro Spielzeit herauszubringen. Koryphäe und ­Altmeister des sächsischen Handpuppenspiels Carl Schröder arbeitete von 1975 bis 1984 regelmäßig als Gastregisseur und Ausstatter am Haus und prägte so zusammen mit seiner Assistentin Brigitte Schiefelbein auch die Ästhetik. Vornehmliche Spieltechnik war das Hand- und Stabpuppenspiel, ab 1985 kamen auch Tischpuppen hinzu. Das Marionettenspiel war die Ausnahme. In den letzten Jahren prägte Irena Barkow als Hausregisseurin sowie die erfahrene Puppen­gestalterin Sigrid Schöneberg den Stil des Puppentheaters. ­Schöneberg hatte 1987 den verdienten Puppenbauer Steffen Kostorž in der Puppenwerkstatt abgelöst.

Blick in den Zuschauerraum (1981)

Diese künstlerische Entwicklung ging einher mit zahlreichen baulichen Maßnahmen an der Spielstätte. Ab 1974 konnte sie dank des Einbaus einer Heizung ganzjährig genutzt werden. Bald fanden mehr als die Hälfte der Vorstellungen im eigenen Haus statt, und es wurde mit dem Aufbau eines Theateranrechts für Grundschul- und Kindergartenkinder begonnen. 1977 wurde der Zuschauerraum mit Holz getäfelt und die Bestuhlung erneuert. Er bot nun Raum für 135 Zuschauer*innen. 1983 wurde die alte Kassengondel des Kinos abgerissen und die ehemalige Vorführkabine zu


Am Ende hatte sich das heruntergekommene „Flohkino“ zu einem kleinen und wirksamen Puppentheater gemausert. Aufgrund enorm gestiegener Mietkosten wurden die Räume für das Landratsamt jedoch nun unbezahlbar. Ein Umzug des Puppentheaters war ­unumgänglich. Am 31. Januar 1993 fand die letzte Vorstellung im Haus Lauengraben 12 statt: die sorbische Inszenierung „Kašpork twari dom“ („Kasper baut ein Haus“).

Außenansicht der Spielstätte (1990)

48—49 PU PPE N T HE AT ER IM „F LOHKIN O“

einem Raum für Beleuchtung und Ton umgebaut. Bis 1990 erhielt das Puppentheater noch weitere Räume dazu, wodurch es endlich eine eigene Puppenwerkstatt erhalten konnte. Zuletzt wurde auch die Fassade des Hauses renoviert und große Schau­ fenster zu Werbezwecken eingebaut. Nun konnte man in großen Lettern lesen: „Puppentheater – klankodźiwadło“, dazu das Logo mit der Puppenspielerhand, das noch heute genutzt wird.


1992 FIGUR: 7. Teufelchen INSZENIERUNG: Der Teufel mit den drei goldenen

Haaren

PUPPENART: Tischpuppe MATERIAL: Schaumstoff GESTALTER*IN: Marlit Mosler, Sigrid Schöneberg Ingeborg Kasper

Teufelchen eins bis sieben unterscheiden sich lediglich in der Länge ihrer Arme, die aus altem TelefonhörerKabel bestehen. Puppen können ja oft Dinge, die Schauspieler*innen auf der Bühne nicht können: ­fliegen, schweben, etc. Durch die Dehnbarkeit der Telefonkabel konnten die Teufelchen seeeeehr lange Arme bekommen – das macht ihnen so schnell kein Mensch nach!


FIGUR: Jakobs Mutter INSZENIERUNG: Zwerg Nase PUPPENART: Stabpuppe MATERIAL: Kaschur GESTALTER*IN: Jakoba Kracht, Sigrid Schöneberg

Die Figur des Jakob gab es zweimal, einmal mit und einmal ohne Nase. In einer späteren Aufführung musste der Puppenspieler ein Spiegelei braten. Der Duft regte ordentlich den Appetit des Publikums an, sodass dieses nicht wusste, was es lieber will: das schöne Stück zu Ende schauen oder doch lieber ­ schnell nach Hause und essen.

50—51 S T ECKBRIEF E 1991–1992

1991


1990 FIGUR: Prinzessin, Double INSZENIERUNG: Das Drachenmärchen PUPPENART: Handpuppe MATERIAL: Schaumstoff GESTALTER*IN: Angela Hillmann, Sigrid Schöneberg

Die Puppe der Prinzessin gab es in drei verschiedenen Versionen, wir haben uns hier für die „Schönste“ entschieden. Die Drachen sind im Puppenfundus auch noch vorhanden, allerdings löst sich das Material inzwischen auf, sodass wir sie lieber unberührt ließen.


FIGUR: Rumpelstilzchen INSZENIERUNG: Rumpelstilzchen PUPPENART: Tischpuppe MATERIAL: Holz GESTALTER*IN: Hans Ellerfeld

Die aus massivem Holz bestehende Puppe ist besonders schwer. Beim Schnitzen des Kopfes versuchte Ellerfeld, seine eigenen Gesichtszüge nachzuahmen. In dem Stück wurden außerdem erstmals abstrakte (Hand)Puppen gezeigt. Die daraus resultierende Sorge des Ensembles, die Inszenierung könnte deswegen vom Publikum nicht angenommen werden, war jedoch unbegründet.

52—53 S T ECKBRIEF E 1989–1990

1989


1988 FIGUR: König INSZENIERUNG: Schuster Zwirnchen PUPPENART: Tischpuppe MATERIAL: Kaschur GESTALTER*IN: Brigitte Mahr-Schiefelbein

Der ursprüngliche Kostümentwurf sah vor, das Ensemble mit enganliegenden Lycra-Kostümen zu „schmücken“. Allerdings waren diese nur bei einer einzigen Spielerin passgenau. Der Rest war entweder zu füllig oder zu dünn, sodass der Stoff herunterhing. Der Vorschlag wurde daraufhin schnell verworfen.


FIGUR: Kaspar INSZENIERUNG: Das Spiel vom Kaspar, der Königin Tausendschön und der noch tausendmal schöneren Prinzessin Schneewittchen PUPPENART: Handpuppe MATERIAL: Holz GESTALTER*IN: Rainer Schicktanz, Angela Hillmann

Der vermutlich längste Inszenierungstitel in der Geschichte unseres Puppentheaters. Es handelte sich um eine Schneewittchen-Bearbeitung von Franz Fühmann, die Produktion wurde nur unter strengen Parteiauflagen genehmigt.

54—55 S T ECKBRIEF E 1987–1988

1987


1986 FIGUR: Bauerntochter INSZENIERUNG: Die kluge Bauerntochter PUPPENART: Tischpuppe MATERIAL: Holz und Kaschur GESTALTER*IN: Steffen Kostorž, Margit Wimmer

Die Figur gab es in drei verschiedenen Versionen. Die Inszenierung war die Jubiläumsinszenierung zum 25. Geburtstag des Puppentheaters. Die Entwürfe der Puppen waren vom bekannten Trickfilmmacher ­Herbert Löchner und die Ästhetik beim Publikum sehr beliebt – im Gegensatz zu den Puppen beim Ensemble, da sie aus schwerem massivem Holz geschnitzt waren.


FIGUR: Blauer Höllenhund INSZENIERUNG: Das Feuerzeug PUPPENART: Stockpuppe MATERIAL: Kaschur GESTALTER*IN: Vitěslav Kuschmitz

Die Stückmusik stammte vom bekannten Komponisten Mario Peters und war – wenn auch meist eher für Umbauten genutzt – so gewaltig, dass das Stück völlig in den Hintergrund rückte. So wurde die Musik ab und zu zum Hauptwerk. Die Inszenierung war vor allem bei Schülern sehr beliebt.

56—57 S T ECKBRIEF E 1985–1986

1985


1984 FIGUR: Drache INSZENIERUNG: Vaklin und sein treues Roß PUPPENART: Schattenfigur MATERIAL: Polyacryl GESTALTER*IN: Brigitte Schiefelbein

Dieses Stück nach dem gleichnamigen bulgarischen Märchen von Georgi Russafow war die erste Schatten­ theaterinszenierung unseres Puppentheaters.


FIGUR: Rübezahl INSZENIERUNG: Rübezahls Wald PUPPENART: Stockfigur MATERIAL: Holz GESTALTER*IN: Ivan Antoš, Ulrich Lange,

Bärbel Brussel

Die Puppen sind original tschechische, traditionell handgeschnitzte Holzfiguren. Den Kopf vom Rübezahl, dem Berggeist des Riesengebirges, gab es auch noch einmal als eine um ein Vielfaches größere Variante, er entstand in der Kulisse aus einem großen Berg.

58—59 S T ECKBRIEF E 1983–1984

1983


1982 FIGUR: Väterchen Zar INSZENIERUNG: Geh – ich weiß nicht wohin, bring – ich weiß nicht was PUPPENART: Stabpuppe MATERIAL: Holz (Kopf), Styropor, kaschiert (Körper) GESTALTER*IN: Václav Kábrt (CSSR), Ralf Wagner

Das Stück gewann den Hauptpreis des dritten Internationalen Festivals der Berufspuppentheater der DDR in Magdeburg. Aufgrund gepolsterter Kostüme und fülliger Knieschützer wurde das Ensemble zum dicksten der DDR gekürt. Ralf Wagner, kurzzeitig Puppenbauer in Bautzen, ging bald nach Berlin und gründete seine eigene Puppenspieler-Dynastie. Das Theater Zitadelle ist regelmäßig zu Gast bei „Puppen, Wein und Kerzenschein“.


FIGUR: Fuchs INSZENIERUNG: Familie Gelbschnabel PUPPENART: Handpuppe MATERIAL: Holz (Kopf),

Flaschenbürste (Schwanz) GESTALTER*IN: Annemarie Fritzsche Ein Spieler hat in einer Vorstellung die Puppen verwechselt, und so sprach der Kasper zur Verwunderung des Publikums plötzlich mit der Stimme des Fuchses. Außerdem sorgte das Haarnetz eines Spielers, welches ab und zu über der Spielleiste auftauchte, für Rätselraten, was es im Stück wohl darstellen soll.

60—61 S T ECKBRIEF E 1981–1982

1981


1980 FIGUR: Pumpot INSZENIERUNG: Es war einmal ein Pumpot PUPPENART: Stabpuppe MATERIAL: Kaschur GESTALTER*IN: Kazimierz Samołyk (VR Polen), Puppentheater Wałbrzych

Die Sage um die Figur des Pumpot (dt.: Martin Pumphut) ist sorbischen Ursprungs. Der Müllerbursche mit spitzem Hut verfügte über magische Kräfte, wanderte von Mühle zu Mühle und verteilte, je nach Behandlung, Belohnung oder Strafe. Das trug ihm den Beinamen „Hexenmeister der Oberlausitz“ ein.


FIGUR: 1. Schmetterling INSZENIERUNG: Vom Maler, der einen glücklichen Schmetterling malen wollte PUPPENART: Handpuppe MATERIAL: Styropor, kaschiert GESTALTER*IN: Brigitte Schiefelbein

Dies war die erste Inszenierung, in der Eleven mitspielten. In den Probenpausen gab es oft ausgedehnte Mittagsmahle, was dazu führte, dass ein Spieler, der den Schmetterling im Stück aus einem Eimer holen muss, sich aufgrund des vollen Bauchs kaum danach bücken konnte.

62—63 S T ECKBRIEF E 1979–1980

1979


1978 FIGUR: Rotkäppchen INSZENIERUNG: Herr Märchen spielt Märchen PUPPENART: Stabpuppe MATERIAL: Kaschur mit Sägespänen GESTALTER*IN: Brigitte Schiefelbein

Herr Märchen „spielte“ zu einem Playback Gitarre und sang live dazu. In einer Vorstellung setzte sich Erna Ritscher unbemerkt auf das Tonband, wodurch die Aufnahme immer langsamer wurde, Herr Märchen schließlich das Singen aufgab und die Gitarre weghängte. Als Tochter Heide Schneider „Mensch Mutti!“ rief und Erna vom Tonband wegzog, spielte dieses wieder in voller Geschwindigkeit, während die Gitarre am Haken hing.


FIGUR: Wassermann INSZENIERUNG: Kasper und das Wahrheitstuch PUPPENART: Koruna-Puppe MATERIAL: Kaschur mit Sägespänen GESTALTER*IN: Carl Schröder, Brigitte Schiefelbein

Eine der legendären Inszenierungen von Carl ­Schröder, der gegen Ende seiner Regie-Laufbahn im fortgeschrittenen Alter oft beim Proben einschlief, was das Ensemble hinter der Spielleiste oft erst nach einer ganzen Weile merkte – wenn verdächtig lange keine Kritik kam.

64—65 S T ECKBRIEF E 1977–1978

1977


1976 FIGUR: König INSZENIERUNG: Der Teufel mit den drei goldenen

Haaren

PUPPENART: Stabpuppe MATERIAL: Kaschur mit Sägespänen GESTALTER*IN: Carl Schröder

Regisseur Carl Schröder war Harmonie im Ensemble sehr wichtig. Dazu gehörte für ihn unter anderem auch, dass dem Ensemble ein Mal pro Woche ein verabredeter Knoblauchtag gegönnt wurde. Als dieser jedoch einmal nicht verabredet auf den Tag der Generalprobe fiel, sich also der Vorhang öffnete und ihm eine Duftwolke entgegenkam, war Schröder sehr sauer.


FIGUR: Muck INSZENIERUNG: Der kleine Muck PUPPENART: Fadenmarionette MATERIAL: Textilkaschur GESTALTER*IN: Woldemar Jurisch

Der Puppe fehlen Marionettenkreuz und Fäden. Früher war es nicht unüblich, diese oder ganze Marionettenkörper für spätere Stücke wiederzuverwenden. Es gab besondere Wechselmechanismen, die das Tauschen der Köpfe vereinfachten, aber auch (mindestens) ein Mal dafür sorgten, dass der Kopf während der Vorstellung herunterfiel. Ein betroffener Spieler rettete sich aus der Misere mit dem improvisierten Text: „Die Situation macht mich ganz kopflos!“

66—67 S T ECKBRIEF E 1975–1976

1975


1974 FIGUR: 1. Amme INSZENIERUNG: Die feuerrote Blume PUPPENART: Stabpuppe MATERIAL: Balsaholz GESTALTER*IN: Jürgen Hochmuth

Heide Schneider musste für eine kranke Spielerin einspringen und dachte, die zarte Prinzessin läge ihrem robusten Naturell nicht. Um im Spiel mit dem Kollegen, welcher den Prinzen gab, nicht in Lachen auszubrechen, schloss Schneider die Augen und spielte blind.


FIGUR: Karli INSZENIERUNG: Der gestohlene Ball PUPPENART: Fadenmarionette MATERIAL: Ekazell GESTALTER*IN: Jan Hempel /Artur Gaitzsch

Diese Marionette gehört eigentlich in das Jahr 1963. Hier wurde das Stück des tschechischen Autors Bedřich Svatoň erstmalig von Bert Ritscher inszeniert und sogar ausgezeichnet. Zehn Jahre später feierte das Stück eine zweite Premiere, allerdings in einer anderen Inszenierung mit Stabpuppen von Svatoň selbst. Diese befinden sich aus ungeklärten Gründen aber nicht mehr im Fundus – vielleicht hat der Autor sie mitgenommen.

68—69 S T ECKBRIEF E 1973–1974

1973


1972 FIGUR: Šerjenje / Vogelscheuche INSZENIERUNG: Šerjenje / Die Vogelscheuche PUPPENART: Stabpuppe MATERIAL: Kaschur GESTALTER*IN: Annemarie Fritzsche

Als wäre die Puppe der Vogelscheuche nicht schon groß genug (teilweise doppelt so groß wie andere ­Figuren der Inszenierung), konnte der Hals über einen Mechanismus auch noch verlängert werden. Auch bei diesem Exemplar fehlen bereits Führungsmechanismen, in diesem Fall die Stäbe, über die die Hände der Puppe geführt wurden.


FIGUR: 1. Hahn INSZENIERUNG: Tipp a Tapp / Tipp und Tapp PUPPENART: Stabpuppe MATERIAL: Ekazell, mit Stoff bezogen GESTALTER*IN: Jochen Baron

Manche Puppen und Inszenierungen waren bei Kindern und Erzieher*innen besonders beliebt, so auch die Teddy-Handpuppen aus „Tipp und Tapp“. Aus diesem Grund wurden diese Puppen nach der letzten Vorstellung dem Katharinenhof in Großhennersdorf gestiftet.

70—71 S T ECKBRIEF E 1971–1972

1971


1970 FIGUR: 2. Tänzerin INSZENIERUNG: Tonga und die Räuber PUPPENART: Stockpuppe MATERIAL: Zeitungspapier, kaschiert GESTALTER*IN: Annemarie Fritzsche

Die Tänzerin, die ursprünglich nur der Untermalung und nicht der Geschichte diente, kam zu unverhoffter Karriere, als eine Spielerin eine wichtige Puppe zu Hause vergaß – was natürlich erst zu Vorstellungsbeginn auffiel. Also wurde die Tänzerin eilig mit Tüchern verziert und durfte eine große Rolle übernehmen – sehr zur Belustigung der Spieler*innen.


FIGUR: Bulli, der einohrige Hund INSZENIERUNG: Der hellblaue Peter PUPPENART: Maske MATERIAL: Zeitungskaschur, mit Stoff bezogen GESTALTER*IN: Kazimierz Samołyk

Die Besetzungsliste dieser Inszenierung (letzte Regiearbeit des ersten Leiters Bert Ritscher) macht großen Spaß: Weitere Figuren neben Bulli (dem einohrigen Hund) waren Peter (der hellblaue Hund), Nuss (der braune Hund), Tüffel (der gescheckte Hund), Fräckie (der schwarz-weiße Hund) und Jack (der einäugige Hund). Bei so vielen Hunden durfte natürlich einer nicht fehlen: der Würstchenverkäufer!

72—73 S T ECKBRIEF E 1969–1970

1969


Puppentheater ohne feste Spielstätte In den ersten sieben Jahren seines Bestehens verfügte das Bautzener Puppentheater, als Marionettenbühne des „Sorbischen Volkstheaters“ gegründet, über keine feste Spielstätte. Das aus vier Personen bestehende Gründungsensemble gab ausschließlich Gastspiele und neben dem ersten Premierenstück „Mištr Krabat“ nur Stücke aus dem privaten Repertoire Bert Ritschers (u.  ­ a. „Rotkäppchen“, „Rumpelstilzchen“, „Robinson“). Bald wurde das Repertoire modernisiert und die Ausstattung den neuen Gegebenheiten angepasst. Dabei nutzte Ritscher seine im traditionellen Theater erworbene Kunstfertigkeit und baute Marionetten als Kabinettstückchen in die neuen Inszenierungen ein. 1963 wurde das Puppentheater mit dem „Sorbischen Volkstheater“ Bestandteil des Deutsch-Sorbischen Volks­ theaters. Pro Jahr gab es nun ein bis zwei Neuinsze-

nierungen in deutscher und obersorbischer Sprache. Das Ensemble nahm Kontakte zu polnischen und tschechischen Puppentheatern auf, es wurden gegenseitige Gastspiele gegeben, und tschechische und polnische Ausstatter*innen über­ nahmen Arbeiten für Bautzener Inszenierungen. Der Spielplan bestand nun zu großen Teilen aus übersetzten tschechischen Stücken. Ende des Jahres 1968 wurde dem Ensemble das „Flohkino“ als erste eigene Spielstätte übergeben. Diese konnte Bert Ritscher nur ­ noch kurze Zeit erleben. Er starb 1970 – hatte 15 Inszenierungen am Bautzener Puppentheater geschaf­ fen und den Grundstein für ein Ensembletheater gelegt, das in der Lage war, sich weiterzuentwickeln. Sein Grabstein steht heute im Bert Ritscher mit Kellergewölbe des Burgtheaters Krabat zur Uraufführung ­ und erschreckt bei Führungen regelmäßig Zuschau- von „Mištr Krabat“ er*innen. (1961)


FIGUR: Storch INSZENIERUNG: Parlički wódneho muža / 
 Die Perlen des Wassermanns PUPPENART: Fadenmarionette MATERIAL: Holz, Schaumstoff (Hals) ENTWURF: Zora Vrbatová GESTALTER*IN: Annemarie Fritzsche

Neben den Tieren und sorbischen Sagenfiguren trat auch der zuvor eingeführte Nitka Witka (siehe Seite 78) wieder auf.

74—75 S T ECKBRIEF E 1968

1968


1967 FIGUR: Frau Schwein INSZENIERUNG: Das Katzenhaus PUPPENART: Stabpuppe MATERIAL: Stoff ENTWURF: Hans-Joachim Löchelt GESTALTER*IN: Annemarie Fritzsche

Das Kostüm von Frau Schwein war gehäkelt. Da die Puppen nach der letzten Vorstellung im damaligen Lager in der Gerberstraße unter der Feuchtigkeit ­litten und der Zerfall drohte, wurden sie 1976/77 auf einem Soli-Basar versteigert. Erhalten sind uns heute nur noch einzelne Fotos.


FIGUR: Onkel Langbein INSZENIERUNG: Bimbo, der kleine Elefant PUPPENART: Stabpuppe MATERIAL: Holz, Schaumstoff GESTALTER*IN: Annemarie Fritzsche

In dieser Inszenierung kam der Illusion einer Wasserspiegelung am Horizont eine besondere Rolle zu, da die Handlung am Fluss spielt. Eine drehbare, 30 Zentimeter große Kugel, mit Spiegelsplittern beklebt, musste angefertigt werden, zwei kleine Scheinwerfer von links und rechts brachten durch die Spiegel­ reflexion den entsprechenden Effekt, und schon wähnte sich das Publikum am Fluss mitten im Urwald.

76—77 S T ECKBRIEF E 1966–1967

1966


1965 FIGUR: Nitka Witka INSZENIERUNG: Kak sej Nitka Witka radu da / Die Vogelhochzeit PUPPENART: Fadenmarionette MATERIAL: Holz GESTALTER*IN: Jan Hempel, Annemarie Fritzsche, Steffen Kostorž (neuer Kopf)

Nitka Witka, die sorbische Kasperfigur, trat in vielen Inszenierungen als eine Art Erzähler auf, konnte sich aber aufgrund der schwer zu handhabenden Technik nicht als Stückfigur bewähren. Seit 2001 wurde Nitka Witka als Identifikationsfigur für unser Puppentheater genutzt, und er hing auch bis vor Kurzem noch im Kassenhäuschen des Burgtheaters.


FIGUR: Nachbar Keifer INSZENIERUNG: Wie die Hadersdorfer den Drachen besiegten PUPPENART: Stabpuppe MATERIAL: Kaschur GESTALTER*IN: Jörg Scheffel, Artur Gaitzsch

Der Nachbar Keifer ist die einzige Puppe, die aus dieser Inszenierung noch vorhanden ist. Eigentlich hat er auch nur noch ein Bein – vielleicht wurde das andere vom Drachen gefressen? Unser Fotograf hatte aber solches Mitleid, dass er ihm per Photoshop ein zweites Bein verpasste.

78—79 S T ECKBRIEF E 1964–1965

1964


1963 FIGUR: Esel INSZENIERUNG: Bremjenjanscy muzikanća / Die Bremer Stadtmusikanten PUPPENART: Fadenmarionette MATERIAL: Holz, Kaschur GESTALTER*IN: Walter Jahn, Artur Gaitzsch

Diese älteste noch vorhandene Puppe stammt vermutlich aus Bert Ritschers privatem Fundus. In der Inszenierung wurde sie – die Spieler*innen hatten keine Hand mehr frei – vom Disponenten gespielt, der sich aufgrund fehlender Puppenspiel-Erfahrung kaum auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren konnte: So schrie es manches Mal von oben „IIIIAAA“, ohne dass sich die Marionette bewegte – zum großen Amüsement der Spieler*innen.


FIGUR: Lizka / Ziege Lieserl INSZENIERUNG: Lizka / Das Lieserl PUPPENART: Fadenmarionette MATERIAL: Holz, Kaschur GESTALTER*IN: Jan Hempel, Artur Gaitzsch

Während historische Marionetten bis zu 1,20 Meter hoch sein konnten, massiv gearbeitet und schwer waren, hatte die Ziege zumindest schon einen ­ ­kaschierten, leichten Kopf – sehr zur Freude der ­jungen ­Puppenspielerin Heide Schneider. Allerdings war der Marionettenkörper komplett aus Holz und klapperte bei jedem Schritt. Von den Puppen ist nichts mehr vorhanden, lediglich eine Handvoll Fotos.

80—81 S T ECKBRIEF E 1962–1963

1962


1961 FIGUR: Der Schwarze Müller INSZENIERUNG: Mištr Krabat / Meister Krabat
 PUPPENART: Fadenmarionette MATERIAL: Holz GESTALTER*IN: Kollektiv

Diese Inszenierung war die erste, die die neugegründete Puppentheatersparte am Sorbischen Volkstheater aufführte. Und die zweite – erst auf Sorbisch, dann auf Deutsch. Die Puppen stammten vermutlich aus dem bereits existierenden Puppenfundus von Bert Ritscher. Neben der Neuinszenierung wurden aber auch Stücke aus dem privaten Repertoire ­Ritschers gespielt.


S T ECKBRIEF E 1961

82—83

Das Ensemble um 1965 v. l.: Měrćin Krawc / Martin Schneider, Erna Ritscher, Dorothea Richter, Siegfried Otto, Herbert Ritscher (Leitung), Heide Schneider, Gustav Ernst Schebera (Disponent). Die Puppen von Jan Hempel und Artur Gaitzsch stammen aus der Inszenierung „Der gestohlene Ball“, die 1963 beim Leistungsvergleich der staatlichen Puppentheater der DDR in Magdeburg mit dem Ehrenpreis der Stadt Magdeburg und dem Preis des Ministeriums für Kultur für die beste Puppenführung ausgezeichnet wurde.


Das fahrende Volk wird sesshaft! Zwar feiern wir 2021 die Gründung des Bautzener Puppentheaters vor 60 Jahren, die Wurzeln dieser Bühne reichen aber viel weiter zurück. Der Gründer und erste Leiter Bert Ritscher (28.12.1920  – 02.11.1970) gehörte einer sächsischen Puppenspielerdynastie an. Sein Großvater hatte 1878 in eine Marionettenspielerfamilie eingeheiratet und später das Unternehmen übernommen. Sein Vater und drei seiner Onkel hatten ebenfalls eigene Theater. 1946 eröffnete Bert sein eigenes Theater und reiste zunächst vorwiegend im Gebiet Chemnitz-Leipzig, später übernahm er das Spielgebiet seines Großvaters und spielte vor allem in der Ober- und Niederlausitz. Sein Repertoire setzte sich, wie bei fast allen traditionellen Marionettenspielern, aus bekannten Märchen für Kinder und aus alten Volksstücken und dramatisierten Ereignissen aus der sächsischen Historie (z. B. „Karl Stülpner“, „Gräfin Cosel“, „Faust“) zusammen. Dazu kam nach jeder Vorstellung ein aus mehreren artistischen Nummern bestehendes Nachspiel mit dafür besonders hergestellten Marionetten. Ritscher versuchte auch immer wieder, das Marionettenspiel zu modernisieren, die komische Wirkung der Puppen

für Kabarett und Ähnliches zu nutzen. Ein Höhepunkt Der Packwagen seines Schaffens war ein dreiwöchiges Gastspiel im (Zustand 1994) Herbst 1957 im Alten Rathaus zu Leipzig, das seinem Ensemble – das aus ihm, manchmal einem zweiten Spieler und seiner Lebensgefährtin bestand – große Anerkennung einbrachte. Daneben versuchte Ritscher


Puppenspiel hat im Sorbischen eigentlich keine lange Tradition, aber mit dem Maler und Schriftsteller Měrćin Nowak-Njechorński einen leidenschaftlichen Fürsprecher. Dieser hatte nach dem Ersten Weltkrieg mit Hilfe tschechischer Freunde und des sorbischen „Sokols“ ein Puppentheater aufgebaut und einen Kašpork in altsorbischer Tracht geschaffen. In den 30er-Jahren griff dieser immer mal wieder in die ­Geschichten ein, um Böses aufzudecken und zu bekämpfen. Das Theater wurde – wie fast alle sorbischen kulturellen Aktivitäten – 1937 verboten. Im Jahr der Gründung des Bautzener Puppentheaters hatte Nowak-Njechorński in einem Artikel noch einmal lautstark nach einem sorbischen (Berufs-)Puppentheater verlangt. Darauf mag die Domowina direkt reagiert haben, als sie den Beschluss fasste, dem Sor-

bischen Volkstheater, das nur für erwachsenes Publikum spielte, eine Marionettenbühne für die jungen Zuschauer*innen anzugliedern. Ritscher nahm das Angebot an und feierte nur wenige Monate später die Premiere des Marionettenspiels „Mištr Krabat“. Puppen und Ausstattung entstammten seinem Fundus. Das Stück wurde, wie auch die folgenden, sowohl in sorbischer als auch in deutscher Sprache gespielt. Diese Neugründung brachte das 11. staatliche bzw. städtische Puppentheater der DDR hervor. Seit 1950/51 waren die ersten kommunalen Puppen­ theater nach dem Vorbild des Zentralen Staatlichen Moskauer Puppentheaters von Sergej Obraszow als hochspezialisierte arbeitsteilige Betriebe entstanden. Dessen Gastspielreise im selben Jahr präsentierte Puppenspiel als „hochkulturelle“ Theaterform und hatte großen Einfluss auf die Entwicklung des Puppentheaters im 20. Jahrhundert. Obraszow war der Erste, der den bescheidenen Rahmen puppenspielerischer Auftritte technisch und personell sprengte: Er erschien an seinen Auftrittsorten mit einem mehr als 50 Mann starken Mitarbeiterteam und mehreren Eisenbahnwaggons voller Bühnenausstattung.

84—85 DA S FA H R E N D E VO LK WIRD S ES S HAF T!

aber auch immer wieder, aus den traditionellen Bahnen auszubrechen, das Marionettenspiel zu modernisieren, die komische Wirkung der Puppen für Kabarett und Ähnliches zu nutzen. Doch seine finanziellen Mittel ­waren sehr begrenzt, und so traf es sich gut, als im Jahre 1961 die Domowina (Organisation der Lausitzer Sorben) ihm das Angebot machte, mit seinem Ensemble und einigen dazu zu engagierenden Mitgliedern Teil des Serbske ludowe dźiwadło, des 1948 in Bautzen als einziges deutsches Berufstheater einer nationalen Minderheit gegründeten Sorbischen Volkstheaters zu werden.


Ein Puppentheater, zwei Kulturen, drei Sprachen Die Gründung des Bautzener Puppentheaters ging von dem Bundesvorstand der Domowina aus, die nach 1945 danach strebte, „die sorbische Sprache und das sorbische künstlerische Wort zu beleben“. Obwohl Bert Ritscher im Gegensatz zu seiner Lebensgefährtin und späteren Frau Erna Pfeiffer von Hause aus kein Sorbisch sprechen konnte, gewann man ihn und seine Marionettenbühne für dieses Unternehmen. Bald schon tauchte als Nachfahre des Kašpork Nitka Witka auf, der ähnlich aussah, sich nicht Kasper nannte, aber ein gewitzter Lausbub (=witka) am Faden (=nitka) war. Seinen ersten Auftritt hatte er 1965 in der sorbischen Inszenierung zur Vogelhochzeit „Kak sej Nitka Witka radu da“. Im Laufe der Jahre wurden aus Mangel an original sorbisch-sprachiger Dramatik eigene Stücke entwickelt oder übersetzt und die sorbisch inszenierten Stücke auch in Deutsch gespielt. Bis heute. So bereichert und vermittelt das Puppenspiel sowohl die sorbische Sprache als auch sorbische Traditionen, Sagen und Märchen an Kinder beider Kulturen und ihre Familien.

Pan Dietrichs Gehilfe Grabb hat Kitos Fiedel gestohlen: „Kito husličkar“ (Obersorbisch) – „Fidlaŕ Kito“ (Niedersorbisch) – „Kito und die Tanz­fiedel“ (2018)

In „Stella Luna – Mały njetopyr“ – „Stella Luna – die kleine Fledermaus“ (2011) werden ein deutsch sprechender Spatz und eine sorbische Fledermaus Freunde.


86—87

2015 erlebte „Cowboy Tom abo dyrdomdej ze zaka“ – „Cowboy Tom oder das Abenteuer aus der Hosentasche“ (2013, v.l. Stephan Siegfried und Annekatrin Weber) ein Gastspiel bei der Wendish Heritage Society in Texas.

­ erständigung und ein besonderes Aushängeschild für V das dreisprachige Deutsch-Sorbische Volkstheater! Die jüngste sorbische Neuinszenierung „Kito husličkar“ brachte den Kindern wiederum die sorbische Sagenwelt um den wilden Jäger Pan Dietrich und die sor­ bische Festkultur näher: Dank der Kooperation mit dem Sorbischen Nationalensemble erklang in jeder Vorstellung live die sorbische dreisaitige Fiedel. So, und weil man sich natürlich immer weiterent­ wickeln und Neues erkunden will und weil wir ­Geburtstag haben, können wir uns doch auch etwas wünschen: eine Erwachsenenproduktion in sorbischer Sprache wäre doch einen Versuch wert, oder? Wjele zboža = Viel Glück!

E IN P UP P EN T HEAT E R, ZWE I KU LT U R E N, D REI S P RACHE N

Besonderer Fokus liegt allerdings darauf, Kindern ihre zweite Muttersprache – sei es Obersorbisch oder Niedersorbisch – spielerisch erlebbar zu machen. Dafür werden Gastspielreisen auf die obersorbischen Dörfer und in die Niederlausitz rund um Cottbus unternommen. Die Puppenspieler*innen selbst lernen mit großem Engagement, teils mit viel Mühe das Sorbische eigens für die Inszenierungen – es befindet sich seit Längerem kein*e sorbische*r Muttersprachler*in mehr im Ensemble. Anders als in früheren ­Jahren, als in sorbisch-sprachigen Vorstellungen der Text vom Band kam – eingesprochen von sorbischen Schauspielern –, verpflichten sich heutzutage die Puppenspieler*innen vertraglich dazu, in allen drei Sprachen zu sprechen und zu spielen. Im letzten Jahrzehnt sind verstärkt zwei- oder sogar dreisprachige Stücke zur Aufführung gelangt, sodass die Begegnung zwischen sorbischer und deutscher Kultur im Zentrum steht. Exemplarisch sind hierfür die deutsch-sorbische Kindergeschichte „Stellaluna – die kleine Fledermaus“ sowie das Stück „Ferkel, hunčo a prosetko“ nach dem Kinderbuchklassiker „Zilli, Billi und Willi“ von Elizabeth Shaw (2016). In letzterem erkennen ein obersorbisches, niedersorbisches und deutsches Schwein trotz ihrer sprachlichen Differenzen, wie ähnlich sie einander sind, und bauen gemeinsam ein stabiles Haus als Schutz gegen den bösen Wolf – ein sinnfälliges Bild und Plädoyer für die friedliche interkulturelle


„Bremenske muzikanty“ – „Die Bremer Stadtmusikanten“ (2010/2011) Die einzige aufwendigere niedersorbische Inszenierung, die, da nicht abstechertauglich, allein in der Spielstätte des Burgtheaters gezeigt werden konnte und damit den niedersorbischen Kindern ein einmaliges Theatererlebnis in ihrer kaum noch gesprochenen zweiten Muttersprache schenkte.


Um all die verschiedenen Puppenarten handwerklich gut zu beherrschen und wirklich lebendig werden zu lassen, braucht es neben Talent vor allem viel Übung und Training. Für Interessierte gibt es durchaus Möglichkeiten, mal hineinzuschnuppern oder gar den Berufsweg einzuschlagen! Eleven-Studio: Am Deutsch-Sorbischen Volkstheater haben Sor­ bische Muttersprachler*innen die Möglichkeit, im Eleven-Studio alle Abteilungen eines Theaterbetriebs kennenzulernen und auch auf der Bühne sowohl im Schau- als auch im Puppenspiel Erfahrungen zu ­sammeln und sich so z. B. auf ein Studium an einer Hochschule für Darstellende Kunst vorzubereiten. Workshops: Es gibt einige Zentren, die Workshops für verschie­ dene Puppenbau- oder Puppenführungstechniken anbieten, so zum Beispiel das Figurentheaterkolleg in Bochum, in welchem erfahrene Kolleg*innen ihr ­Können an Wissbegierige weitergeben.

Studium: Die Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin bietet den Studiengang „Zeitgenössische ­Puppenspielkunst“, welchen man nach vier Jahren zur/zum Diplompuppenspieler*in und Darstellende*n Künstler*in abschließt. An der Staatlichen Hochschule für Musik und ­Darstellende Kunst Stuttgart ist es möglich, einen Bachelor Figurentheater zu absolvieren. Auch hier lernen Studierende in vier Jahren traditionelle und zeitgenössische Animationstechniken. Studieninhalte beider Hochschulen sind Grundlagen Schauspiel, Animation von Objekten, Sprecherziehung, Körper-Stimm-Training, Fechten, Akrobatik, Dramaturgie, Puppenführungstechnik, Pantomime, Puppentheatergeschichte, Gestaltungslehre und vieles mehr.

88—89 WIE WIR D M A N P U P P EN S P IELER*IN?

Wie wird man Puppenspieler*in?


Unsere Puppenwerkstatt Einer der magischsten Orte eines jeden Puppentheaters ist und bleibt die Werkstatt. Hier beginnt das Leben einer Puppe. Der Gedanke an Gepetto, der liebevoll seinen Pinocchio schnitzt, kommt auf, doch nicht immer geht es hier so romantisch zu. Je nach Puppenart und Materialauswahl müffelt es auch schon mal heftig nach Sprühkleber, ist die Luft voll Staub nach Schleifarbeiten, werden sich die Finger wundgenäht. Im Burgtheater liegt die Werkstatt gleich rechts von der Eingangstür des Hauses 7. Die Mitarbeiter*innen, die ihre Büros da­ rüber haben, schleichen oft vor der Arbeit noch mal hinein, um einen Blick darauf zu erhaschen, wie die Puppen während des Bauprozesses entstehen. Dabei hebt sich durchaus auch des Öfteren die eine oder andere Augenbraue, denn nicht jedem ist vergönnt, was unsere Puppengestalter*innen dringend brauchen: Bei jedem Arbeitsschritt im Kopf zu haben, wie die fertige Puppe einmal aussehen soll ... Wenn der „Tag der offenen Tür“ mal wieder im Burgtheater stattfindet, schauen Sie doch auch mal vorbei! Von den circa fünf Neuinszenierungen, die wir pro Spielzeit produzieren, werden zwei bis drei von der

1985, Steffen Kostorž arbeitet in der ersten Puppenwerkstatt in der Spielstätte am Lauengraben an der hüpfenden Prinzessin.

2021, Beatrice Baumann arbeitet in der heutigen Puppenwerkstatt des Burg­theaters an einem Wolfskopf für die „Wölfchenverschwörung“.

festangestellten Puppenbauerin ausgestattet, zwei von Gästen. Früher war es durchaus üblich, dass Ausstatter*innen für Bühne und Kostüm verantwortlich zeichneten und lediglich Entwürfe für die Puppen zeichneten, welche dann von Puppengestalter*innen gefertigt wurden. Heute sind teils schmalere Budgets der Grund, dass Puppenbauer*innen neben dem Bau der Figuren auch die Entwürfe fürs Bühnenbild und die Kostüme übernehmen müssen.


Geheimnisse des Puppenfundus Bekannte Gesichter im Kellergewölbe des Burgtheaters

Nach vielen Vorstellungen vor lachenden Kindern oder auch staunenden Erwachsenen fristen Theaterpuppen oft ein trauriges Dasein in Kisten oder verstauben im Fundus – für Puppenspieler*innen eine herzzerreißende Vorstellung. Also hat sich Ensemblemitglied Annekatrin Weber auf die Suche nach einer geeigneten Räumlichkeit gemacht, ihren Favoriten ein zweites Leben in der Öffentlichkeit zu bescheren. Gefunden hat sie diese im Keller des Hauses 7 des Burgtheaters, welches bis vor reichlich hundert Jahren noch ein Gefängnis war. In circa 25 Minuten werden die schönsten Figuren der vergangenen 60 Jahre vorgestellt und Geschichten über die verschiedenen Puppenarten erzählt, außerdem gezeigt und erklärt, wie sie gespielt werden – das alles zu Musik von Camille Saint-Saëns.

Termine gibt’s nach Vereinbarung für Gruppen bis maximal 20 Personen, am besten per Mail an dispo.puppentheater@theater-bautzen.de

P UP P ENWERKS TADT P UP P EN F UN D U S

Wer nach Sichtung dieses Bildbandes neugierig ist auf weitere Schätze unseres Puppenfundus – es war oft gar nicht so leicht, zwischen verschiedenen Inszenierungen und Puppen zu wählen – hat die Gelegenheit, unsere inszenierte Führung „Geheimnisse des Puppenfundus“ live im Kellergewölbe des Burgtheaters zu erleben.

90—91


Fragen über Fragen – auch diese müssen wir ertragen! Basteln Sie Ihre Puppen auch selber? Nein. Wir „bauen“ sie. In jede professionelle Theaterpuppe fließen viele Dutzend Arbeitsstunden, und eine Menge handwerklicher Kenntnisse sind gefordert. Das rechtfertigt doch durchaus die Eitelkeit, sich den Begriff „bauen“ zu wünschen. Puppengestalter*innen sind mit dem Bau vieler Puppen außerdem Vollzeit beschäftigt, sodass die Spieler*innen meist gar nicht die Zeit hätten, neben dem Proben auch noch Puppen selbst zu bauen – Ausnahmen bestätigen die Regel. Und was machen Sie tagsüber? Wir proben! Die Regelprobenzeit einer Inszenierung beträgt circa sechs Wochen. Zwei Probeneinheiten am Tag à drei bis vier Stunden sieht der Normal­ vertrag Bühne für Solospieler*innen vor. Wochenendarbeit gehört natürlich auch dazu. Auch wenn das Publikum uns meist nur eine bis zwei Stunden zu sehen bekommt, sind wir Vollzeit beschäftigt, und ja, wir können davon leben, denn wir sind fest angestellt.

Dann lassen Sie mal die Puppen tanzen! Sollten Sie diese Floskel benutzen, wundern Sie sich nicht, wenn Puppenspieler*innen sich kommentarlos umdrehen und gehen. Nicht nur, dass diese Formulierung die Puppenspielkunst auf einen Vorgang reduziert, der selten tatsächlich ausgeführt wird – sie geht inhaltlich tatsächlich gegen unsere Philosophie. Damit die Puppe in den Augen des Publikums lebendig wird, muss sie auch für uns beim Spielen lebendig werden, also „lassen“ wir sie keine Dinge tun, sondern die Puppe tut es einfach – und Spieler*innen hören in der Geschichte auf zu existieren. Langer Rede kurzer Sinn: Wir lassen sie nicht, die Puppen tanzen eben einfach selbst. Das war fast schöner als richtiges Theater! Achtung vor Begrifflichkeiten: Oft wird „Schauspiel“ mit „Theater“ gleichgesetzt, doch das ist falsch. Die Darstellende Kunst hat viele verschiedene Sparten, unter den Begriff Theater fallen somit neben Schauspiel und Puppentheater zum Beispiel auch Ballett und Musiktheater wie Oper oder Musical.


F R AG EN Ü BE R F RAGEN – AUCH D IE S E M Ü S S E N WIR ERT RAGE N!

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Annekatrin Weber und Andreas Larraß in „Orest aus Stein“ (2009)


Auch Puppen haben Paten! Um den Geburtstag und alle unsere puppigen Geburtstagskinder gebührend zu feiern und im ­ ­Stadtraum Bautzens sichtbar zu machen, haben wir uns etwas Besonderes einfallen lassen. Jede der in die­sem Bildband abgebildeten Figuren wird jewei­ ligen P ­ at*innen als Plakat vermacht. Diese sollen neben öffent­lichen Institutionen vor allem Kinderund Jugend­einrichtungen sein, um uns so bei unserem

u­ nverzichtbaren Publikum zu bedanken. Um diese Plakate zu finanzieren, übernehmen die hier auf­ geführten fünf Unternehmen des BVMWs jeweils eine Patenschaft für ein ganzes Jahrzehnt und ­dessen Puppen und ermöglichen so mit finanziellen Mitteln den Druck der Plakate. Dafür möchten wir uns – auch im Namen der Einrichtungen – ganz herzlich bedanken!


Ein Dankeschön! Diese Seite widmen wir den vielen Menschen, die die Arbeit an dieser Broschüre bereichert, erleichtert, ja in manchem Fall erst möglich gemacht haben. Für jeden Schritt, den dieses Puppentheater dank seiner Mitarbeiter*innen bis heute gegangen ist, sind wir ­unglaublich dankbar! In ihrem Sinne und in ihrem Gedenken wollen wir ­weitermachen und viele weitere Schritte gehen. Wir bedanken uns bei unseren Interview-Part­ner*in­ nen Heide Schneider, Měrćin Krawc / Martin Schnei­ der, Ulrike Mětšk, Sigrid Schöneberg, ­ Raimund ­Backwinkel, ­Andreas Larraß, Lutz Patz, Annekatrin Weber und Moritz Trauzettel, die uns mit lustigen ­Geschichten, Anekdoten und teilweise sogar noch ­alten Fotos ­versorgten. Ein besonderes Dankeschön gilt der guten Seele unseres Puppentheaters. Hildburg Zschiedrich war 1973 bis 2006 unsere Dramaturgin und besuchte auch bis kurz vor ihrem Tod 2019 jede Premiere.

DAN KES CHÖN!

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Heide Schneider, Hildburg Zschiedrich, Erna Ritscher, Pumpot, Irena Barkow, Ulrike Mětsk

Ohne ihre vielen Aufzeichnungen, korrekt geführten Inszenierungslisten und Fotoarchive wäre die Arbeit an diesem Bildband in dieser Form kaum möglich ­gewesen. Ihre gewaltige Büchersammlung vermachten ihre Hinterbliebenen unserem Puppentheater – den Raum, in dem diese aufbewahrt wird, nennen wir liebevoll „Hildburg-Zschiedrich-Bibliothek“. Doch all diese Fachbücher wiegen längst nicht das Wissen auf, das mit Hildburg verloren ging. Dank einiger Interviews als Tonaufnahmen konnten wir glücklicherweise auch ein paar Anekdoten über sie einstreuen. Danke für alles, liebe Hildburg!


Impressum Herausgeber: Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen Seminarstraße 12 | 02625 Bautzen Tel.: 03591/584-0 | Fax: 03591/584-200 Mail: kontakt@theater-bautzen.de www.theater-bautzen.de Intendant: Lutz Hillmann Redaktion: Stephan Siegfried Texte: Karoline Wernicke, Stephan Siegfried, Madleńka Šołćic, Heide-Simone Barth Daumenkino: Manuela Mrohs Fotos: Archiv Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen; Miroslaw Nowotny, Uwe Söder (S.16), Robert Michalk (S.18), Martin Schneider (S.74), Heide Schneider (S. 84) Lektorat und Korrektur: Karoline Wernicke, Sybill Schulte, Harald Müller Gestaltung: Gudrun Hommers ISBN 978-3-95749-366-8 (Taschenbuch) ISBN 978-3-95749-377-4 (E-PDF) Printed in EU

Das Deutsch-Sorbische Volkstheater Bautzen dankt dem Förderverein des Deutsch-­Sorbischen Volkstheaters sowie allen Unternehmen und Firmen dafür, dass sie dieses Buch ermöglichten. Das Deutsch-Sorbische Volkstheater ist ein kommunaler Eigenbetrieb des Landkreises Bautzen und wird anteilig aus Mitteln des Kulturraumes Oberlausitz-Niederschlesien und der Stiftung für das sorbische Volk gefördert. Die Stiftung erhalt jährlich Zuwendungen aus Steuermitteln auf der Grundlage der beschlossenen Haushalte des Deutschen Bundestages, des Landtages Brandenburg und des Sächsischen Landtages. www.kulturwegweiser-on.de Němsko-Serbske ludowe dźiwadło je samostatny zawod wokrjesa Budyšin, kiž so podźělnje ze srědkow Kulturneho ruma Hornja Łužica/Delnja Šleska a Załožby za serbski lud spěchuje, kotraž dostawa lětnje přiražki z dawkowych srědkow na zakładźe hospodarskich planow, wobzamknjenych wot zapósłancow Němskeho zwjazkoweho sejma, Krajneho sejma Braniborskeje a Sakskeho krajneho sejma.

Nimsko-Serbske ludowe źiwadło jo samostatny komunalny zawod wokrejsa Budyšyn, kótaryž se późělnje financěrujo ze srědkow Kulturnego ruma Górna Łužyca/Dolna Šleska a Załožby za serbski lud, kótaraž dóstawa lětnje pódpěru z dankowych srědkow na zakłaźe góspodarskich planow, wobzamknjonych wót wótpósłańcow Nìmskego zwězkowego sejma, Krajnego sejma Bramborskeje a Sakskego krajnego sejma.

Ebenfalls bei Theater der Zeit erschienen:

Bautzener Theater Geschichten von Michael Lorenz

600 Jahre Theatergeschichte Paperback mit 600 Seiten, Format: 230 x 270 mm ISBN 978-3-943881-63-9


Text aus der Inszenierung „Herr Biedermann und die Brandstifter“ (2014).

Biedermann: „Aber meine Freunde! Wir sind doch alle aus demselben Holz geschnitzt. Naja, zumindest die Köpfe.“

Eisenring: „Styrodur, Herr Biedermann, kaschiert und die Schultern aus Schaumgummi.“


„Verfitzt und zugenäht!“ – das Bautzener Puppen­ theater wird 60 und ist doch noch so jung und ent­ deckungsfreudig. Nähte müssen zum Glück nicht ­aufgetrennt werden, aber für die Fest-Broschüre so manche verstaubte Kiste geöffnet und mancher Faden entfitzt werden – zuletzt der rote Faden der eigenen bewegten ­ ­ Geschichte wieder aufgenommen und in ­gestrafften Schnüren aufgehängt werden. 60 Puppen durften für ein Foto-Shooting der besonderen Art noch einmal ihre letzte Ruhestätte – den Fundus – verlassen und ins Scheinwerferlicht vor die Kamera treten. Ihre ausdrucksvollen Porträts, garniert mit lustigen Anek­ doten und informativen Anmerkungen, erzählen bildstark und unterhaltsam die 60-jährige Geschichte des Puppentheaters des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters.

ISBN 978-3-95749-366-8

www.theaterderzeit.de


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