Theater der Zeit Spezial – France / Frankreich

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Theater der Zeit spezial EUR 8 / www.theaterderzeit.de

deutsch / französisch

France

Das Maul des Theaters: Schreiben für die Bühne / La gueule du théâtre: Écritures d’aujourd’hui Avec: Wajdi Mouawad, Joël Pommerat, Alexandra Badea... / Was macht das Theater, Philippe Quesne?


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Inhalt // Sommaire

positionen // prises de position

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Editorial // Éditorial

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Almuth Voß Uncool? // Pas cool ? Französische Stücke schaffen es kaum mehr auf deutsche Bühnen. Warum? // Les pièces françaises ne sont presque plus présentes sur les scènes allemandes. Pourquoi ?

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Guillaume Poix Böse Gedanken // Mauvaise foi

bestandsaufnahme // question d’actualité

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„Die Wirklichkeit hat das Theater eingeholt“ // « La réalité a rattrapé le théâtre » Wie macht man in einer Situation des permanenten Ausnahmezustands Theater? Alexandra Badea, Marie-José Malis und Wajdi Mouawad im Gespräch mit Lena Schneider // Comment faire du théâtre dans un état d’urgence permanent ? Table Ronde entre Alexandra Badea, Marie-José Malis et Wajdi Mouawad. Propos recueillis par Lena Schneider

handschriften // écritures

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Daniel Loayza Das Maul des Theaters // La gueule du théâtre Welche Formen des Schreibens kommen gegenwärtig in Frankreich auf die Bühne? Eine Annäherung in drei Schritten // Quelles formes d’écritures trouve-t-on sur les scènes en France aujourd’hui ? Essai de réponse en trois étapes

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Gerhard Willert Das Nachdenken vergiften // Empoisonner la réflexion Joël Pommerat und seine Compagnie Louis Brouillard // Joël Pommerat et sa compagnie Louis Brouillard

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Daniel Loayza Modelliermasse // Une masse à modeler Die Arbeit am Text aus Sicht des Autorenregisseurs Julien Gosselin // Le travail du texte selon Julien Gosselin, auteur-metteur en scène

Impressum / Empreinte Theater der Zeit Spezial Frankreich Verlag / Éditeur Theater der Zeit GmbH Winsstraße 72, 10405 Berlin, Germany Verlagsleiter / Directeur de publication: Harald Müller Geschäftsführung / Direction administrative: Harald Müller, Paul Tischler Herausgabe und Redaktion / Édition et Rédaction: Lena Schneider, Jean-Marc Diébold Redaktionelle Mitarbeit/ Assistante de rédaction: Diane Sinizergues Korrektorat (dt.) / Correction (all.): Anja Nioduschewski Gestaltung / Graphisme: Gudrun Hommers Übersetzung / Traduction: Frank Weigand (frz.-dt.), Alexandre Pateau (dt.-frz.) Transkription / Transcription: Hélène Payeur Printed in Germany

Abonnements / Abonnement Phone +49 (0)30 4435285-12 Fax +49 (0)30 4435285-44 abo-vertrieb@theaterderzeit.de Jahresabonnement / 10 Ausgaben + 1 Arbeitsbuch EUR 70,00 (digital), EUR 80,00 (print), EUR 90,00 (print + digital) Ein herzlicher Dank an das Goethe-Institut für die Bereitstellung der Gästewohnung in Paris und an Jean-Louis Besson für seine Impulse für diese Ausgabe. / Nous remercions l’Institut Goethe pour l’accueil dans sa chambre d’hôtes à Paris et Jean-Louis Besson pour ses impulsions. Titelbild / Couverture: Joël Pommerat: „Ça ira (1) Fin de Louis“ (2015). Photo Elisabeth Carecchio Umschlagseite / Verso: Pascal Rambert: „Clôture de l’amour“ (2011). Photo Marc Domage ISBN 978-3-95749-115-2

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spielarten der politik // dramaturgies et politique

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Olivier Neveux Die Unsichtbaren und Unhörbaren // Les invisibles et les inaudibles Spielarten politischen Schreibens auf Frankreichs Bühnen // Le champ des écritures politiques en France aujourd’hui

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Leyla-Claire Rabih / Frank Weigand Ein Erbe des Kolonialismus // Un héritage du colonialisme Wie schwer sich französische Theaterbühnen mit dem Begriff der Diversität tun // La notion de « diversité » donne du fil à retordre aux scènes françaises

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„Das Hauptproblem ist die Isolation der Autoren“ // « Le problème majeur en France, c’est l’isolement des auteurs » Laurent Muhleisen, Dramaturg an der Comédie-Française, über das Schattendasein zeitgenössischer Autoren – nicht nur am „Theater der Republik“ // Laurent Muhleisen, conseiller littéraire de la Comédie-Française, parle du manque de visibilité des auteurs contemporains en France – pas seulement au « théâtre de la République »

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Adieu, Dominanz // Bonjour, partage Caroline Marcilhac über die Repolitisierung der Dramatik und die Rückkehr der Kollektive // Caroline Marcilhac parle de la repolitisation de l´écriture dramatique et du retour des collectifs

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„Genauer werden, radikaler werden“ // « Préciser, radicaliser » Der deutsche Autor Claudius Lünstedt und der französische Autor Samuel Gallet unterrichten beide Szenisches Schreiben. Ein Gespräch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Systeme // Claudius Lünstedt, auteur dramatique allemand, et Samuel Gallet, auteur dramatique français, enseignent tous les deux l’écriture dramatique. Échanges sur les différences et les parallèles entre les deux systèmes

was macht das theater? // que devient le théâtre ?

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Philippe Quesne im Gespräch mit Jean-Marc Diébold // Philippe Quesne échange avec Jean-Marc Diébold sur le théâtre aujourd’hui

adressen // adresses

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Festivals, Produktionsorte, Residenzen, Informationszentren, Übersetzungsprogramme und Lese­ komitees, Theaterverlage, Förderprogramme // Festivals, Lieux de production, Résidences, Lieux de ressources, Dispositifs de traduction et comités de lecture, Maisons d’éditions, Financements

perspektiven // perspectives

Abonnieren Sie Theater der Zeit! Subscribe to Theater der Zeit! Das Jahresabo enthält 10 Monatsausgaben, das jährliche Arbeitsbuch im Juli / August sowie zahlreiche Extrabeilagen. The one year subscription includes 10 monthly issues, the yearbook in July / August and numerous supplements. Digital 70 € / Jahr Year. Print 80 € / Jahr Year. (Additional 25 € for delivery outside of Germany) Bestellung unter // Order today web www.theaterderzeit.de phone +49 (0) 30.44 35 28 5-12 fax +49 (0) 30.44 35 28 5-44

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„Make it Work. Le théâtre des négotiations“ war im Mai 2015 der Titel einer groß angelegten Simulation des Pariser Klimagipfels im Théâtre Nanterre-Amandiers. 200 Studenten diskutierten die Zukunft der Erde, das von Philippe Quesne geleitete Theater wurde zum Think Tank. // « Make it Work. Le théâtre des négotiations »: tel est le titre d’une simulation de grande envergure des négociations de la COP21, organisée en mai 2015 au Théâtre Nanterre-Amandiers. Dans ce théâtre dirigé par Philippe Quesne et transformé en think tank pour l’occasion, 200 étudiants débattaient de l’avenir de la planète. Photo Martin Argyroglo


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protagonisten

Olivier Py: „Les parisiens“ (Die Pariser), Festival d’Avignon 2017. // Olivier Py: « Les parisiens », Festival d’Avignon 2017. Photo Pierre Lebon

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editorial

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rankreich ist Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse 2017. Das ist erfreulich und willkommener Anlass für eine Momentauf­ nahme der französischen Gegenwartsdramatik. Diesem Theater der Zeit Spezial Frankreich liegt aber noch ein zweiter, weniger eupho­ risierender Impuls zugrunde. Zwei Jahre nach den islamistisch motivierten Attentaten in der Pariser Innenstadt erzielten die Rechtsextremen in Frankreich historische Wahlerfolge. Zwar konn­ te der Front National die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen nicht für sich entscheiden – was bleibt, ist jedoch eine politische Katerstimmung. Wie schreibt man in einem Land, das von immer tieferen sozialen Gräben durchzogen und von neuen Ängsten um die eigene Sicherheit geprägt ist, für das Theater? Die Stellung von zeitgenössischen Theatertexten in Frank­ reich ist paradox: Sie sind omnipräsent und unsichtbar zugleich. In jedem Buchladen finden sich neue Stücke – auf den Bühnen aber nur sehr selten. Die französischen Gegenwartsautoren schaffen es weder in Frankreich noch in Deutschland auf die Bühnen, stellen unisono der französische Autor Guillaume Poix und die deutsche Übersetzerin Almuth Voß fest. Was sind die Gründe hierfür? Ist diese Situation unumkehrbar? Was lässt darauf hoffen, dass sich das künftig ändert? Das Frankreich Spezial sucht anhand von Gesprächen und analytischen Texten Antwort auf diese Fragen. Die zahlreichen hier versammelten Beiträge geben begründeten Anlass zur Hoffnung auf einen Wandel: die kraftvolle Rückkehr des politischen Theaters; die spürbar ansteigende Präsenz von Autoren und Autorinnen mit Migrationshintergrund; die bedeutendere Position, die Autoren in nationalen und auch einigen regionalen Theatern innehaben; der Tatendurst, mit dem Orte wie das Pariser Théâtre Ouvert sich für neue Dramatik engagieren; die wiedererstarkte Dynamik von staat­ lichen Institutionen wie Artcena; die Ausbildung von Nachwuchs­ autoren an nationalen Theaterschulen – und nicht zuletzt die Kraft und Fantasie, mit denen Autoren und Autorinnen nicht müde wer­ den, die Welt, in der sie leben, neu zu erfinden. Anders als es der Ruf der oft als konventionell beschriebenen französischen Dramatik will, sind die Formen, die aus dieser Ent­ wicklung resultieren, äußerst vielfältig. Auch in Frankreich verwischt der Gegensatz zwischen Individuum und Kollektiv, Original und ­Zitat, Verbalem und Non-Verbalem, schreibt der Dramaturg Daniel Loayza in seinem Beitrag: „Der Begriff écriture (Schreiben) wird nach und nach zu einer ebenso praktischen wie ungenauen Metapher.“ Und er fügt den nicht unwesentlichen Nachsatz an: „Was vielleicht gar nicht so schlecht ist.“ Auch wenn diese Ausgabe in erster Linie untersucht, wie Theatertexte entstehen, spürt sie gerade deshalb auch Protagonisten nach, die andere Formen des Schreibens prakti­ zieren. Dem Regisseur Julien Gosselin etwa, der Romane für sein Theater adaptiert. Oder der Theaterleiterin M ­ arie-José Malis, die Menschen aus der Pariser Banlieue einlädt, das Wort zu ergreifen. Oder schließlich den Theatermachern Joël Pommerat und Philippe Quesne, die auf sehr unterschiedliche Art und W ­ eise Räume der Stil­ le für sich sprechen lassen. Möge dieses Frankreich Spezial dazu beitragen, dass franko­ fone Gegenwartsautoren mit aller Kraft auf unsere Bühnen zurück­ kehren. //

a France, invitée d’honneur à la Foire du livre de Francfort ! L’occasion est belle pour faire le point sur l’actualité de la dramatur­ gie française. Mais il existe aussi une deuxième impulsion pour ce numéro, bien moins euphorisante. Deux ans après les attentats is­ lamistes dans le centre-ville de Paris, l’extrême droite a obtenu des scores historiques lors des élections françaises. Le Front national n’a finalement pas gagné le deuxième tour de l’élection présiden­ tielle ; néanmoins il reste une sorte de gueule de bois. Cette situa­ tion pose la question de comment écrire pour le théâtre dans un pays profondément marqué par des divisions sociales grandis­ santes conjuguées à de nouvelles angoisses, sécuritaires notam­ ment. En France, les dramaturgies contemporaines sont paradoxa­ lement omniprésentes et absentes à la fois. Toutes les librairies pro­ posent des nouveaux textes théâtraux – mais ceux-ci sont rarement présentés sur scène. Les auteurs dramatiques contemporains fran­ çais peinent à être montés sur les plateaux de théâtre en France comme en Allemagne, constatent d’une même voix l’auteur fran­ çais Guillaume Poix et la traductrice allemande Almuth Voß. Quelles en sont les raisons ? Est-ce irrémédiable ? Quels sont les motifs d’espérer un changement? Ce numéro spécial tente de répondre à ces questions à l’aide d'entretiens et d'analyses. Les nombreuses contributions qui le composent laissent penser qu’il existe plusieurs raisons de croire à un possible changement : le retour en force du théâtre politique, la montée en puissance des auteurs issus de la diversité, la place plus importante accordée aux auteurs dans les théâtres nationaux et cer­ tains Centres Dramatiques Nationaux, l’action toujours militante de certains lieux comme Théâtre Ouvert, le dynamisme retrouvé de certaines institutions comme Artcena, l’attention portée à la forma­ tion des auteurs dans les écoles nationales – et enfin la force et la fantaisie avec laquelle les auteur(e)s travaillent et réinventent les mondes dans lesquels ils et elles vivent. Les formes résultant de ces efforts sont très variées, contrai­ rement à ce que laisse penser la réputation du théâtre français sou­ vent dit conventionnel. L’opposition entre individuel et collectif, original et citation, verbal et non-verbal a perdu de sa pertinence, écrit le conseiller littéraire Daniel Loayza dans sa contribution. « Le terme d’écritures tend à ne plus être qu’une métaphore aussi com­ mode qu’imprécise. Ce qui n’est d’ailleurs pas si grave, peut-être. » Même si ce numéro recherche d’abord des manières de créer des textes pour la scène, il explore également d’autres formes d’écritures. Celle du metteur en scène Julien Gosselin par exemple, qui adapte des romans pour son théâtre, celle de Marie-José Malis, qui invite les habitants de la banlieue parisienne à prendre la pa­ role, ou finalement, les espaces du silence qui sont diversement employés dans les spectacles de Joël Pommerat et de Philippe Quesne. Puisse ce numéro spécial de Theater der Zeit contribuer au retour en force des auteurs contemporains francophones sur nos plateaux. //

Lena Schneider und Jean-Marc Diébold

Jean-Marc Diébold et Lena Schneider


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Photo Arno Declair

Uncool? Pas cool ? Französische Stücke schaffen es kaum mehr auf deutsche Bühnen. Warum? // Les pièces françaises ne sont presque plus présentes sur les scènes allemandes. Pourquoi ?

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Almuth Voß

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ranzösisches Theater sei sprachlastig, handlungs­ arm, wenn nicht substanzlos boulevardesk, dann im Übermaß abstrakt und formverliebt. So alt und bestän­ dig die deutschen Klischees, so sehr verdienen sie Be­

n dit le théâtre français bavard, dénué d’intrigue. Quand il ne perd pas sa substance à force d’être boule­ vardier, il passe pour trop abstrait, obsédé par la forme. Ces vieux préjugés allemands ont la vie dure, et c’est jus­ tement pour ça qu’ils doivent être pris au sérieux. Car ils contiennent, comme on dit, une once de vérité ; plus en­ core, ils pèsent jusqu’à aujourd’hui sur la perception de la production dramatique française outre-Rhin et déter­ minent la manière dont un conseiller artistique ou un metteur en scène lira une pièce française. Enfin, ils en influencent les traductions. Cela dit, le théâtre français a toujours eu son im­ portance. Auréolés du charme de l’avant-garde artistique et de leur finesse rhétorique, des auteurs aussi différents que Claudel, Camus, Ioneco, Genet, Koltès, mais aussi Feydeau, Anouilh et jusqu’à Eric-Emmanuel Schmitt et Yamina Reza, ont porté l’étendard de la France avec suc­ cès pendant des décennies. Reste qu’aujourd’hui, en Allemagne, la confronta­ tion avec le voisin n’a plus lieu ; les pièces françaises ne trouvent quasiment plus le chemin des scènes. Les tra­ ductions se font de plus en plus rares, sans parler des mises en scène ; pire encore, le paysage théâtral français, tout comme le pays lui-même, passe pour ennuyeux, in­ capable d’innover. « Dieu ne vit plus en France 1 », comme l’avait déjà compris le Spiegel il y a des années. Plus per­ sonne ne fait le pèlerinage d’Avignon, Huppert et Piccoli ont pris un sacré coup de vieux, et les stars du calibre de Chéreau restent pour l’instant sans véritables descendants. Lorsque les producteurs allemands prospectent à l’étranger, c’est pour découvrir des signatures scéniques « fortes ». Soucieux avant tout du texte, le théâtre fran­ çais les laisse d’emblée sur leur faim. Ce qui explique que si peu d’auteurs aient pu s’exporter ces dernières an­ 1 «Wie Gott in Frankreich leben», littéralement : « Vivre tel Dieu en France. » L’expression trouve son équivalent français dans notre locution : «Vivre comme un coq-en-pâte.» (Note du traducteur.)


prises de position

nées. Parmi eux, Philippe Quesne et Joël Pommerat, hommes de théâtre doués d’une esthétique scénique clairement reconnaissable, et pour qui le texte – si texte il y a – reste au second plan. Dans le théâtre allemand contemporain, le texte lit­ téraire continue à perdre en signification. Les traditions de mise en scène dominantes sont beaucoup plus axées sur la théâtralité et la performance que chez nos voisins français. Même le festival « Stückemarkt » (littéralement, le « Marché des pièces ») des Rencontres théâtrales de Berlin, riche d’une longue tradition, s’inscrit désormais dans une nouvelle orientation : on voudrait y goûter « de nouveaux langages théâtraux et des auteurs ayant recours à des formes multiples », « des conférences, des perfor­ mances, des formats et installations in situ, etc. » ; des tex­ tes de théâtre, mais aussi des « projets dramatiques abou­ tis, dans lesquels » – tout de même – « le medium qu’est la langue constitue un aspect central. » Aujourd’hui, en Allemagne, un texte qui fait l’objet d’une mise en scène n’est pas forcément littéraire. S’il l’est, ce ne sera pas obligatoirement une pièce de théâtre. Les pièces à l’affiche sont souvent des classiques, le théâtre contemporain est absent. Quand il ne l’est pas, les pièces contemporaines sont majoritairement alle­ mandes. Les rares œuvres étrangères sont dues pour la plupart à des auteurs anglo-saxons, et c’est seulement dans le cas contraire qu’une pièce française aura excep­ tionnellement sa chance. Si le messager du roi apparaissait subitement pour nous venir en aide, comme chez Brecht, que devrait-il annoncer ? La découverte de pièces françaises majeures, chargées d’un fort potentiel de « coolitude », avec si pos­ sible une réalisation scénique capable d’ébranler les consciences : des textes à la fois « in », rebelles et exi­ geants littérairement, et « off » – comme autant de défis artistiques. //

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Exportgut – Yasmina Reza und Joël Pomme­ rat gehören zu den wenigen französischen Autoren, die auch in Deutschland viel gespielt werden. 2015 schrieb Reza mit „Bella Figura“ ein Stück für die Berliner Schaubühne (S. 6). Pommerats „Révolution # 1“ (l.) wurde 2017 u.a. vom Theater Münster nachgespielt. // Ils s’exportent bien – Yasmina Reza et Joël Pommerat font partie des rares auteurs français à être beaucoup joués en Allemagne. En 2015, Reza a écrit une pièce pour la Schaubühne de Berlin, « Bella Figura » (p. 6). La pièce « Ça ira » (à gauche), de Joël Pommerat, a été reprise en 2017 par le Théâtre de Münster.

Die Autorin // L’auteure

Photo privat / privé

achtung. Weil darin das viel zitierte „Körnchen Wahr­ heit“ steckt; mehr noch, weil sie die Wahrnehmung französischer Dramatik in Deutschland bis heute prä­ gen: Sie bestimmen, wie deutsche Dramaturgen und Regisseure französische Stücke lesen, sie beeinflussen auch die Übersetzungen. Dabei schien das französische Theater von Be­ lang. Umweht vom Flair künstlerischer Avantgarde und rhetorischer Raffinesse, reisten so unterschiedliche Au­ toren wie Claudel, Camus, Ionesco, Genet, Koltès, wie Feydeau, Anouilh oder Eric-Emmanuel Schmitt und Yas­ mina Reza bei uns jahrzehntelang erfolgreich mit dem Frankreichticket. Aber die Auseinandersetzung mit dem Nachbarn ist in Deutschland abgerissen; französische Stücke sind hier kaum mehr vermittelbar. Immer weni­ ger wird übersetzt, noch weniger aufgeführt; schlimmer: Die Bühnenlandschaft Frankreichs gilt, ähnlich wie das Land an sich, als unspannend, nicht innovativ. Gott lebt nicht mehr in Frankreich, wusste Der Spiegel schon vor Jahren. Niemand pilgert heute zum Festival nach Avi­ gnon, Isabelle Huppert und Michel Piccoli sind schwer in die Jahre gekommen, Stars wie Patrice Chéreau bis­ lang ohne Nachfolge geblieben. Wenn sich deutsche Programmmacher im Aus­ land umsehen, suchen sie „starke“ Regiehandschriften. Das französische, vorrangig dem Text verpflichtete The­ ater erscheint da per se als kaum ergiebig. Bezeichnend die raren Importe, die es in jüngerer Zeit aus Frankreich nach Deutschland schafften: Philippe Quesne und Joël Pommerat, Theatermacher mit einprägsamen Büh­ nenästhetiken, in denen Text, wenn denn vorhanden, eine untergeordnete Rolle spielt. Der Bedeutungsverlust des literarischen Textes im deutschen Gegenwartstheater schreitet fort. Es dominie­ ren Aufführungstraditionen, die viel theatralischer und performativer sind als die französischen. Selbst der tra­ ditionsreiche Stückemarkt des Berliner Theatertreffens steht inzwischen im Zeichen des Projekts: Gefragt sind nun „innovative Theatersprachen und vielfältige For­ men der Autorschaft“, „Lectures, Performances, SiteSpecific-Formate u. ä.“, Theatertexte ebenso wie „fertige Theaterprojekte, in denen“ – immerhin – „das Medium Sprache ein Hauptaspekt ist“. Wenn in Deutschland heute Texte auf die Bühne kommen, sind das nicht zwingend literarische. Wenn doch, nicht zwingend Theaterstücke. Werden Stücke ge­ spielt, dann häufig Klassiker, keine Gegenwartsdrama­ tik. Wenn Gegenwartsdramatik, dann meist deutsch­ sprachige. Ist sie fremdsprachig, dann überwiegend angelsächsisch; und gilt das ausnahmsweise einmal nicht, hat vielleicht ein französisches Stück eine Chance. Wenn der reitende Bote des Königs hier helfen könnte, was müsste er künftig melden? Die Entdeckung kapitaler französischer Dramatik mit Hipness-Potenzial, möglichst in aufsehenerregender szenischer Realisie­ rung: coole, widerständige, literarisch anspruchsvolle Texte – als künstlerische Herausforderung. //

Photo Oliver Berg

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Almuth Voß ist am Literaturhaus Bonn Referentin für Programm und Autoren- sowie Schreib­förderung, außerdem Lehrbeauftragte der Universität Bonn. Zudem publiziert sie zum französischen und deutschen Gegenwartstheater und übersetzt aus dem Französischen. // Almuth Voß est chargée de mission pour le programme et la promotion des auteurs et des écritures à la Maison de la littérature à Bonn ainsi que conférencière à l’Université de Bonn. Elle publie également sur le théâtre contemporain en France et en Allemagne et traduit du français vers l’allemand. almuth.voss@gmx.de


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Böse Gedanken

Aufgeführt, allerdings noch nicht in Frank­ reich – „Waste“ von Guillaume Poix, ein poetisches Stück über eine Müllhalde der westlichen Welt in Ghana. Die Uraufführung war 2016 am Théâtre de Poche in Genf. // Déjà créé mais pas encore en France – « Waste », de Guillaume Poix, pièce poétique sur une décharge de déchets numériques occidentaux au Ghana. La première a eu lieu en 2016 au Théâtre de Poche de Genève. Photo Jean-Louis Fernandez

Guillaume Poix

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ie schreiben. Sie sind sogenannte/r Dramatiker/in. Sie sind Französin/Franzose. Sie schreiben, was manche, nicht ohne Verachtung, ­Theaterstücke nennen; das heißt, Sie versuchen es zu­ mindest. Das aus der Mode gekommene, verächtlich gebrauchte Wort Stück verstehen Sie als Raum, Bruchstück, Ort, Fragment, Fetzen, Trümmer – Stückchen. Und seltsa­ merweise erscheint Ihnen das gar nicht so weit entfernt von dem, was Sie zu verfertigen versuchen. Doch es gibt Fallstricke: Den Leuten wäre es lieber, Sie würden Material produzieren – es wäre „zeitgenössi­ scher“, stärker dem Geschmack der Epoche entspre­ chend, und vor allem: weniger einschränkend, da verän­ derbar. Wenn Sie gespielt werden wollen, müssen Sie sich wohl oder übel den Erwartungen anpassen.

Mauvaise foi

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ous écrivez. Vous êtes auteur-e dit dramatique. Vous êtes français-e. Vous faites, tentez de le faire du moins, ce que certain-e-s nomment, non sans dédain, des pièces de théâtre. Dans le mot démodé dédaigné de pièce, vous entendez espace, morceau, lieu, fragment, lambeau, débris – bout. Et, curieusement, ça ne vous semble pas si éloigné de ce que vous vous efforcez de confectionner. Mais il y a des embûches : on préférerait que vous pro­ duisiez du matériau – plus « contemporain », plus adé­ quat à la sensibilité de l’époque, et surtout : moins contraignant puisqu’altérable. Si vous voulez être joué-e, il va falloir se conformer aux attentes. Vous voudriez bien dire que vous n’êtes pas capable d’un tel tour de force puisque le matériau vous sert justement à fabriquer l’objet lui-même, ladite pièce. Attend-on d’un maçon qu’il crée la pierre, le sable, la terre ou l’eau ? Vous ravalez cette remarque.


prises de position

Sie würden gerne sagen, dass Sie zu einem derartigen Kunststück nicht in der Lage sind, da das Material Ihnen doch genau dazu dient, das Objekt selbst herzustellen, das bereits erwähnte Stück. Erwartet man von einem Maurer, dass er den Stein erschafft, den Sand, die Erde, das Was­ ser? Sie schlucken diese Bemerkung wieder herunter. * Sie denken an das Paradox Ihres Landes. An das gute Dutzend der auf Theater spezialisierten Verlage, die es dort gibt. Sie stellen einen Vergleich zwischen der jährlichen Ver­ öffentlichung sogenannter Theatertexte und deren Auf­ führungen an. Sie finden das Verhältnis niederschmetternd. Sie fragen sich, warum man wohl viel mehr Texte veröf­ fentlicht als spielt. Warum die Bühne zum natürlichen Lebensraum des Ro­ mans geworden ist. Warum, außer zur Überlebenssicherung der Autor/in­ nen (ein relativ lobenswertes Ziel, sagen Sie zu Ihrer ei­ genen Beruhigung), weitaus mehr Stückaufträge verge­ ben als bereits veröffentlichte oder verfasste Texte gespielt werden. Warum mehr öffentliche Lesungen dieser Texte durch­ geführt werden als Inszenierungen ebendieser Texte. Warum diese Lesungen zu unmöglichen Uhrzeiten stattfinden. Warum die Schulen in Szenischem Schreiben ausbil­ den, wenn im Grunde innerhalb des Theaterapparats niemand mehr Dramatiker braucht. Sie fragen sich, ob alles, was Sie denken, nicht bereits den Großteil des Auftragsmaterials liefert. Unsinnig ge­ nug, um den Vertrag zu erfüllen. Bitter, wehleidig – fran­ zösisch.

* Vous pensez au paradoxe de votre pays. À la petite di­ zaine de maisons d’édition spécialisées dans le théâtre que celui-ci compte. Vous mettez en rapport le nombre de publications an­ nuelles de textes dits de théâtre et le nombre de spec­ tacles les mettant à l’honneur. Vous trouvez la proportion accablante. Vous vous demandez pourquoi on publie bien plus de textes que l’on en joue. Pourquoi la scène est devenue le lieu de vie naturel du roman. Pourquoi, hormis pour que survivent les auteur-e-s, ob­ jectif relativement louable tempérez-vous, on passe plus de commandes de textes inédits que l’on ne joue des textes déjà publiés ou écrits. Pourquoi on propose davantage de mises en lecture pu­ bliques des textes édités que de mises en scène de ces mêmes textes. Pourquoi ces mises en lecture publiques ont lieu à des horaires pas possibles. Pourquoi des écoles forment à l’écriture dramatique si personne au fond, dans le dispositif théâtral, ne désire plus les dramaturges. Vous vous demandez si tout ce que vous pensez n’est pas en train de fournir le gros du matériau commandé. Suf­ fisamment insensé pour remplir le contrat. Aigre, plain­ tif – français.

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Der Autor // L’auteur

Photo Sophie Bassouls

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Guillaume Poix, Jahrgang 1986, ist Autor und Regisseur. 2014 veröffentlichte er sein erstes Stück „Straight“. 2015/2016 war er Hausautor am Théâtre de Poche in Genf. Im August 2017 erschien sein erster Roman „Les Fils conducteurs“. // Né en 1986, Guillaume Poix est auteur et metteur en scène. En 2014, il publie son premier texte théâtral « Straight ». Il était dramaturge associé au théâtre de Poche à Genève en 2015/2016. Son premier roman « Les Fils conducteurs » est paru en août 2017. guillaumepoix@yahoo.fr

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* Atmen Sie tief durch. Atmen Sie die Luft ein, die gute Bergluft. Denken Sie an andere europäische Nachbarn, auch wenn sie nicht wirklich voll und ganz europäisch sind – denken Sie an die Schweiz.

Photo Jean-Louis Fernandez

Sie fangen wieder von vorne an. Sie bemühen sich, zu reflektieren. Sie betrachten die Situation Ihrer europäischen Nach­ barn. Sie stellen fest, dass in Deutschland zwar außer in Zeit­ schriften so gut wie keine Theatertexte mehr veröffent­ licht werden, dass jedoch trotzdem eine beträchtliche Anzahl der von hauptberuflichen Dramatikern/Drama­ tikerinnen für das Theater verfassten Texte aufgeführt wird. Im Grunde das Gegenteil Ihrer eigenen Lage.


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positionen

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Genauer gesagt an Genf. Sie tun es. Sie stellen fest, dass es dort ein Theater gibt, das sich auf zeitgenössische Texte spezialisiert hat. Wirklich spezialisiert. Sie sind beruhigt, es ist ein kleines Theater. Dies beweist bereits sein Name: Théâtre de Poche, Taschentheater. Sie träumen nicht: Dort finden alljährlich sechs bis neun Uraufführungen von Texten statt, die von lebenden Autor/innen verfasst wurden. Keine Lesungen, nein: ­ ­Inszenierungen. Natürlich, das ist die Schweiz, hören Sie sich selber sagen. Das stimmt, aber gut. Sie sind nicht ehrlich in Bezug auf die Schweiz: Sie ver­ gessen zu erwähnen, dass Sie an diesem Genfer Theater Dramaturg waren, als jener Autoren-Intendant seine ­Arbeit aufnahm. Sie sind dort sogar gespielt worden – es ist Ihnen also passiert. Aber, beruhigen wir uns: eben nicht in Frankreich. Sie erinnern sich daran, dass Autor/innen sich gegen­ seitig unterstützen: Wenn sie Entscheidungsgewalt haben, helfen sie einander, kämpfen dafür, dass das ­ Theater etwas mit der Gegenwart zu tun hat. Sales, ­ ­Melquiot, Mouawad, Rambert, Bertholet – hier und jetzt. Manchmal tut Bergluft richtig gut. * Sie sind, was Sie sind. Hören Sie auf, so zu tun, als wären Sie jedermann und jeder Beliebige. Mann, Franzose, sozusagen weiß, Absolvent einer der Schulen, die sogenannte Dramatiker professionell aus­ bilden. Alle Karten in der Hand, alles Glück auf Ihrer Seite. Sie sind privilegiert, das wissen Sie. Sie sagen Dinge, die leicht zu sagen sind, Sie rennen offene Türen ein. ­Außerdem erlauben Sie es sich, zu meckern, das ist überhaupt nicht angebracht. Sie fürchten sich davor, zu gutmenschelnd zu denken und haben Angst davor, schlecht zu denken. Sie tun, was Sie können. Sie schreiben. //

* Vous vous reprenez. Vous faites un effort de projection. Vous considérez la situation de vos voisins européens. En Allemagne, vous constatez que si l’on ne publie presque plus des textes de théâtre, sinon dans des re­ vues, on crée toutefois un nombre conséquent de ces textes contemporains écrits pour le théâtre par des dra­ maturges assumé-e-s. L’inverse, en somme, de votre condition. * Respirez. Prenez l’air, le bon air des montagnes. Pensez à vos autres voisins européens, quoique pas tout à fait européens – pensez à la Suisse. À Genève, plus précisément. Vous le faites. Vous constatez que là-bas, un théâtre est spécialisé dans l’écriture contemporaine. Vraiment spécialisé. Vous êtes rassuré-e, c’est un petit théâtre ; preuve en est : il s’appelle le Poche. Vous ne rêvez pas : il y a entre six et neuf créations an­ nuelles de textes écrits par des auteur-e-s vivant-e-s. Pas des mises en lecture, non : des mises en scène. Bien sûr, c’est la Suisse, vous entendez-vous dire. Certes, mais bon. Vous n’êtes pas honnête avec la Suisse : vous omettez de dire que vous avez été dramaturge pour ce théâtre gene­ vois au moment de la prise de fonction de cet auteur-di­ recteur, on vous y a même joué – ça vous est donc arrivé, mais rassurons-nous : pas en France. Vous vous souvenez que les auteur-e-s s’entraident : quand ils peuvent décider, ils s’aident, ils se battent pour que le théâtre ressemble à aujourd’hui. Sales, Melquiot, Mouawad, Rambert, Bertholet – ici et maintenant. L’air de la montagne fait parfois du bien. * Vous êtes ce que vous êtes. Arrêtez de prétendre être tout le monde et n’importe qui. Homme, français, dit blanc, diplômé de l’une de ces écoles qui forme au métier d’auteur dit dramatique. Toutes les cartes en main, toutes les chances de votre côté. Vous êtes un privilégié, vous le savez. Vous dites des choses faciles à dire, vous enfoncez des portes ou­ vertes. Vous vous permettez de râler en plus, c’est dépla­ cé. Vous redoutez de penser bien et vous avez peur de mal penser. Vous faites comme vous pouvez. Vous écrivez. //

Dies ist die gekürzte Version eines zuerst in Théâtre/Public 223

Ce texte est la version courte d’un texte d’abord publié dans

(2017) erschienenen Textes.

Théâtre/Public no. 223 (2017).


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„Die Wirklichkeit hat das Theater eingeholt“ « La réalité a rattrapé le théâtre » Wie macht man in einer Situation des permanenten Ausnahmezustands Theater? Ein Gespräch mit Alexandra Badea, die gesellschaftskritische Stücke schreibt, Marie-José Malis, die in der Banlieue Aubervilliers ein Theater leitet, und Wajdi Mouawad, dessen Stücke weltweit gespielt werden und der 2016 die Direktion des Nationaltheaters Théâtre de la Colline in Paris übernahm // Comment écrire pour le théâtre dans un état d’urgence permanent ? Table Ronde entre Alexandra Badea, auteure dramatique, Marie-José Malis, directrice du Théâtre de la Commune à Aubervilliers, et Wajdi Mouawad, auteur de pièces jouées dans le monde entier et depuis 2016 directeur du Théâtre national de la Colline à Paris Lena Schneider

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eit November 2015 befindet sich Frankreich im Ausnahmezustand. Wie haben die Anschläge in Frankreich von 2015 und 2016 Ihre Arbeit als Theaterautoren und Theaterleiter geprägt?

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epuis novembre 2015 la France vit dans un état d’urgence permanent. Comment est-ce que les attentats de 2015 et 2016 se sont inscrits dans votre travail comme auteurs et directeurs de théâtre ? Alexandra Badea : Pendant longtemps je n’ai pas pu écrire juste après les attentats. J’avais besoin de réagir

In „81 avenue Victor Hugo“ (2015 in Aubervilliers) berichten acht Immigranten von ihrer Ankunft in Frankreich. // Dans « 81 avenue Victor Hugo » (Aubervilliers 2015) huit migrants relatent leur arrivée en France. Photo Willy Vainqueur


bestandsaufnahme

Photo Alexandra Fleurantin et Olivier Monge / MYOP

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Alexandra Badea, 1980 in Rumänien geboren, lebt seit 2003 in Paris. Sie schreibt auf franzö­ sisch. Zahlreiche ihrer Stücke wurden ins Deutsche übersetzt. 2015 wurde sie mit „Zersplittert“ zum Stückemarkt des Theatertreffens nach Berlin eingeladen. Ihr zweites Stück „Ich schaue dich“ wurde 2015 in Freiburg uraufgeführt. // Alexandra Badea, née en 1980 en Roumanie, vit à Paris depuis 2003. Elle écrit en français. Plusieurs de ses pièces ont été traduites en allemand. En 2015 « Pulvéri­ sées » a été invitée au « Marché des pièces » du festival Theatertreffen à Berlin. Sa deuxième pièce « Je te regarde » a eu sa première en 2015 à Fribourg.

Alexandra Badea: Direkt nach den Anschlägen konnte ich lange Zeit nicht schreiben. Ich verspürte das Bedürf­ nis, zu reagieren, wusste aber nicht wie. In meinen Tex­ ten der letzten beiden Jahre habe ich mich nicht mit dem Thema auseinandergesetzt, doch die Ereignisse haben etwas vertieft, was ich ohnehin machte: Sie haben in mir das Bedürfnis geweckt, noch häufiger auf die Leute in der französischen Gesellschaft zuzugehen, die man ver­ gessen hat. Ich denke, ich stelle mir vor allem die Frage, was man heute im Theater erzählt und welche Personen darin kein Gehör finden. Das war bereits Teil meiner ­Arbeit, aber es hat sich noch verstärkt. Auch wurde mein Bedürfnis danach stärker, eine Verbindung mit den ­Gegebenheiten vor Ort aufrechtzuerhalten, Workshops in Gefängnissen oder an sozialen Brennpunkten zu ­geben, das Thema nicht unbedingt frontal anzugehen, sondern zu versuchen zu verstehen, was die Leute ­heutzutage brauchen. Und ich glaube, auch etwas ande­ res hat sich verändert: Ich verspüre das Bedürfnis, ein ­bisschen mehr Hoffnung zu schenken, in dieser Zeit, in der Nihilismus, Schwarzmalerei und Verzweiflung überhandnehmen. Wajdi Mouawad: Für mich hat das eigentlich am 13. April 1975 angefangen, als ich sah, wie ein Bus voller palästi­ nensischer Zivilisten vor meinem Elternhaus im Liba­ non von einer christlichen Miliz mit Maschinengeweh­ ren beschossen wurde. Ich war auf dem Balkon, spielte mit meinem Kinderfahrrad, hörte die Schreie, beugte mich hinunter und sah das. Ich verstand nicht, was los war; meine ­Mutter brachte mich nach drinnen in die Wohnung. ­Damit hat es angefangen. Bei allem, was ich geschrieben habe, geht es also nur darum, das ist ein Kontinuum. Ich habe nicht plötzlich angefangen, über dieses Thema zu s­ chreiben, denn ich schreibe darüber, seitdem ich angefangen habe, zu schreiben.

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mais je ne savais pas comment. Je n’ai pas abordé le sujet dans ce que j’ai écrit ces dernières années mais par contre cela a approfondi quelque chose que je faisais déjà. Ça m’a donné envie d’aller encore plus souvent à la rencontre des gens qu’on a oubliés dans la société française. Je pense que mon interrogation porte surtout sur ce qu’on raconte aujourd’hui au théâtre et quelles sont les personnes qu’on n’entend pas. C’est quelque chose qui faisait partie de ma démarche avant, mais ça l’a radicalisée encore plus et ça a radicalisé plus aussi mon envie de garder un lien avec les territoires, de continuer à faire des ateliers en prisons ou dans des zones d’éducation prioritaire, pas forcément pour aborder le sujet frontalement mais pour comprendre ce dont les gens ont besoin aujourd’hui. Et je pense que ça a changé autre chose aussi : un besoin de donner un peu plus d’espoir, dans cette période baignée dans le nihi­ lisme, la noirceur et le désespoir. Wajdi Mouawad : En fait pour moi cela a commencé le 13 avril 1975 par un autobus de civils palestiniens que j’ai vu se faire mitrailler par une milice chrétienne devant ma maison au Liban. J’étais sur le balcon, je jouais sur un petit vélo, j’ai entendu des cris, je me suis arrêté, je me suis penché et j’ai vu ça. Je n’ai pas compris, ma mère m’a fait rentrer dans l’appartement. Ça a commencé là. Donc tout ce que j’ai écrit ne parle que de ça, c’est dans une continuité. Je ne me suis pas mis à écrire sur le sujet parce que j’écris là-dessus depuis que j’écris. 2015 n’a donc pas eu d’impact sur votre théâtre ? La question que vous me posez me renvoie à deux ré­ flexions sur le théâtre. Après les attentats de Nice je me suis promis de faire quelque chose pour que les gens puissent exprimer leur peur. C’est pour cette raison que l’on a invité Salman Rushdie à La Colline début sep­ tembre 2017 avant d’ouvrir la saison. Sur la peur il y avait beaucoup de questions à se poser, notamment comment on libère la parole pour que les gens puissent exprimer leur peur d’aller à tel endroit, par exemple, ce simple fait est primordial. Mais il y a une continuité sur le travail d’écriture. Auparavant, quand il y avait la paix au Québec et en France, ce que j’écrivais pouvait apparaître comme un regard sur l’extérieur intéressant, mais tout à coup l’Orient est arrivé. Tout à coup, la réalité a rattrapé le théâtre et ce décalage n’existe plus. Marie-José Malis : Moi aussi je n’ai pas le sentiment que cela ait modifié grand-chose sur ma manière de faire du théâtre parce qu’elle comportait déjà en effet des élé­ ments de la recherche d’une positivité et le verdict qu’il fallait absolument sortir du nihilisme. À Aubervilliers on a vécu le moment des attentats du côté des gens qui étaient stigmatisés, qui étaient désignés comme devenus tout d’un coup des étrangers, des gens potentiellement dangereux. Chez nous ça a déclenché le départ de quelqu’un qui avait une fonction très importante au théâtre, parce qu’elle disait qu’elle pensait connaître un des auteurs des attentats du Bataclan qui avait conduit la navette du théâtre pendant des années. Et elle disait :« Ce


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2015 hatte also keine Auswirkungen auf Ihr Theater? Mouawad: Ihre Frage ruft bei mir zwei Überlegungen zum Theater auf. Nach dem Anschlag in Nizza hatte ich mir vorgenommen, etwas zu machen, damit die Leute ihre Angst zum Ausdruck bringen können. Deswegen haben wir Anfang September 2016 vor Spielzeitbeginn Salman Rushdie an das Théâtre national de La Colline eingeladen. Zum Thema Angst gab es eine Menge Fra­ gen, die man sich stellen musste, insbesondere, wie man eine Situation schafft, in der Leute öffentlich sagen können, dass sie zum Beispiel Angst haben, einen be­ stimmten Ort aufzusuchen. Diese simple Tatsache ist von entscheidender Bedeutung. Das Zweite war eine Verschiebung in Bezug auf das Schreiben. Früher, als in Québec und Frankreich Frieden herrschte, erschien das, was ich schrieb, möglicherweise als interessante Außen­ perspektive, aber auf einmal war der Orient da. Auf ein­ mal hat die Wirklichkeit das Theater eingeholt und die Kluft existiert nicht mehr. Marie-José Malis: Auch mir kommt es nicht so vor, als hätten die Ereignisse die Art und Weise, wie ich Theater mache, besonders verändert. Elemente der Su­ che nach etwas Positivem und die Feststellung, dass man unbedingt einen Ausweg aus dem Nihilismus fin­ den musste, waren bereits da. In Aubervilliers haben wir die Zeit der Anschläge auf Seiten der Leute erlebt, die stigmatisiert und auf einmal als Fremde angesehen wur­ den, als potenziell gefährlich. Bei uns führte das zur Kündigung einer wichtigen Mitarbeiterin, weil sie glaub­ te, einen der Urheber des Bataclan-Anschlags zu ken­ nen, jemanden, der jahrelang den Shuttlebus des Thea­ ters gefahren hatte. Sie sagte: „Was wir in den letzten 20 Jahren gemacht haben, war vollkommen nutzlos.“ Wir mussten ganz von vorne anfangen. Wie sah das aus? Wir fragten uns, welches nun die Funktion eines öffent­ lichen Ortes wie des unseren sein könnte. Was uns inte­ ressierte, war die Tatsache, dass eine gewaltige Asymme­ trie zwischen denjenigen herrschte, die einen Ort hatten, um sich zu äußern und die „Je suis Charlie“ sagten, und denjenigen, die keinen Ort hatten, um sich zu äußern und die dennoch begründen sollen, warum sie sich wei­ gerten, die Schweigeminute für die Opfer des 13. Novem­ bers einzuhalten. Diese Asymmetrie der Orte musste infrage gestellt werden, es galt, einen mutigen Ort zu schaffen, an dem die Gründe jedes Einzelnen gehört werden konnten. Deshalb habe ich im weiteren Verlauf innerhalb des Theaters mein Schulprojekt für gesell­ schaftlich Benachteiligte unter der Leitung von Alain Badiou aufgebaut, an dem rund 200 Migranten, Jugend­ liche, die nicht mehr zur Schule gehen, und andere be­ teiligt sind. Mouawad: Am Schluss von Jean Genets „Der Seiltänzer“ heißt es sinngemäß: „Es ging darum, dich zu entflam­ men, nicht, dich zu belehren.“ Ich finde diesen Satz wichtig, denn er erinnert daran, dass es nicht Aufgabe

question d’actualité

qu’on a fait pendant 20 ans n’a servi à rien .» Il fallait tout reprendre. Reprendre de quelle manière ? On se demandait quelle serait la fonction d’un lieu pu­ blic comme le nôtre. Ce qui nous intéressait c’était qu’il y avait une dissymétrie colossale entre ceux qui avaient un lieu pour s’exprimer et qui allaient dire « Je suis Char­ lie » et ceux qui n’avaient pas de lieu pour s’exprimer et qui pourtant devaient pouvoir dire leur raison, la raison pour laquelle ils refusaient de faire la minute de silence pour les victimes du 13 novembre. Cette dissymétrie des lieux devait être remise en question, il fallait qu’on constitue un lieu très courageux où la raison de chacun puisse être entendue. C’est pourquoi j’ai construit par la suite au sein du théâtre mon projet d’École pour les laissés pour compte, présidée par Alain Badiou, et qui concerne près de 200 migrants, des jeunes déscolarisés etc. Mouawad : À la fin du « Funambule » de Jean Genet, il est dit « Il s’agissait de t’enflammer, non de t’enseigner ». Je trouve cette phrase importante car elle rappelle que le rôle de l’art et de l’artiste n’est pas d’éduquer. Or on a de plus en plus de demandes de l’État de se suppléer aux enseignants. Être en lien avec les écoles et les élèves est formidable, il faut le faire, mais pas au détriment des spectacles, du temps nécessaire à la création, au mystère. Il y une sorte de tension au sein de la société française qui crée parfois des conflits dogmatiques. Entre ceux qui pensent que le théâtre doit avoir un écho direct auprès des spectateurs, parler leur langue, répondre à leurs préoccupations … et ceux qui souhaitent travailler dans l’obscurité de la salle de répétition, créer des œuvres qui ne vont pas forcément parler au spectateur d’aujourd’hui mais le dépasser, dans une sorte d’élitisme, d’exigence parce que l’art est lui-même exigeant. Alexandra Badea et Wajdi Mouawad, comment est-ce que vous ressentez cette tension entre l’artistique et le social dans votre travail d’auteur ?

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Europäischer Albtraum – „Europe Connexion“ von Alexandra Badea, ein Stück über den Einsatz von Pestiziden und Korruption im EU-Par­ la­ment, wurde 2016 in Paris uraufgeführt. // Cauchemar européen – « Europe Con­ nexion », d’Alexandra Badea, une pièce sur l’usage des pesticides et la corruption au Parlement européen, a été créée en 2016 à Paris. Photo Christophe Raynaud de Lage

Linke Seite: Globalisierungssplitter – Alexandra Badeas Stück „Zersplittert“ erzählt von vier Prota­ gonisten, die parallel in Shanghai, Dakar, Lyon und Bukarest einem ähnlichen Produktivitätswahn ausgesetzt sind. Hier die deutsche Erstaufführung am Staatsschauspiel Hannover 2016. // Page gauche : Éclats de globalisation – « Pul­vérisés », d’Alexandra Badea, montre quatre person­ nages à Shang­hai, Dakar, Lyon et Bucarest, tous éprouvés par la dure loi de la pro­duc­ tivité. La création allemande a eu lieu en 2016 au Staats­ schauspiel de Hanovre. Photo Klaus Lefebvre


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Shakespeare in der Banlieue – „Hamlet Kebab. Pièce d’actualité N°5“ ließ der argentinische Regisseur Rodrigo Garcia 2016 mit Laiendarstellern aus Aubervilliers als Telenovela in einem Imbiss filmen. // Shakespeare de l’autre côté du périph’ – dans « Hamlet Kebab. Pièce d’actualité n°5 », le réalisateur argentin Rodrigo Garcia filme une telenovela dans un bistro, avec des figurants originaires d’Aubervilliers. Photo Willy Vainqueur

Photo privat / privé

Die Autorin // L’auteure

Lena Schneider, 1981 in Berlin geboren, war Redakteurin, Lektorin und jüngst Paris-Korrespondentin für Theater der Zeit. Seit 2017 arbeitet sie als Kultur­ redakteurin für eine Tageszeitung in Potsdam und publiziert weiter zu französischem Thea­ ter. // Lena Schneider, née en 1981 à Berlin, a été rédactrice, lectrice et dernièrement corres­ pondante parisienne pour le magazine Theater der Zeit. Depuis 2017 elle est rédactrice culturelle pour un journal quotidien à Potsdam et continue à écrire sur le théâtre en France. malena.schneider@ outlook.com

der Kunst und des Künstlers ist, zu erziehen. Wir wer­ den jedoch vom Staat zunehmend dazu aufgefordert, die Lehrer zu ersetzen. Es ist großartig, in einer direkten Verbindung mit Schulen und Schülern zu stehen, aber nicht auf Kosten der Aufführungen, der Zeit, die für die künstlerische Arbeit, für das Geheimnis notwendig ist. Es herrscht eine Spannung innerhalb der französischen Gesellschaft, die manchmal zu dogmatischen Konflikten führt. Zwischen denjenigen, die der Meinung sind, dass das Theater von den Zuschauern unmittelbar verstan­ den werden soll, ihre Sprache sprechen, ihre Sorgen und Anliegen behandeln sollte ... und denjenigen, die lieber in der Dunkelheit des Proberaums arbeiten und Werke schaf­ fen, die dem Zuschauer nicht unbedingt etwas s­ agen, son­ dern mit einem elitärem Anspruch über ihn hinausweisen, dem Anspruch, den Kunst an sich selbst stellt. Herr Mouawad, Frau Badea, wie genau nehmen Sie diese Spannung zwischen dem Künstlerischen und dem Sozialen in Ihrer Arbeit als Autoren wahr? Mouawad: Ich habe das Gefühl, dass wir manchmal selbst beim Schreiben der Stücke in dieser Spannung befangen sind. Ich bin in der Lage, einen Monolog zu schreiben und in äußerst poetische Räume abzutau­ chen, die keinen bestimmten, keinen konkreten Sinn haben. Ich mag das sehr, aber ich gebe das sehr schnell auf, denke mir, dass die Leute es nicht verstehen werden. Also passe ich es neu an, und es wird realistisch und beinahe uninteressant ... Ich spüre von außen eine ständige Span­ nung zwischen dem Ästhetischen und dem Sozialen. Manchmal zwinge ich mich zum Schreiben, indem ich zum Beispiel an den jungen Araber denke, der sich nicht in die Gesellschaft integriert fühlt. Aber man muss wachsam sein, denn nicht alle im Saal sind dieser junge Araber! Badea: In der Regel sagt uns die Intuition, wir sollten ein théâtre populaire machen, ein Theater für das Volk. Aber was ist ein théâtre populaire? Ich denke, dass man teil­ weise die Tatsache verinnerlicht hat, dass manche Publi­

Mouawad : Je sens que parfois on est pris dans une sorte de tension dans l’écriture même des pièces. Je peux tout à fait être en train d’écrire un monologue et sombrer dans des espaces très poétiques, qui n’ont pas de sens précis, concret. J’aime beaucoup cela, mais très vite je renonce, je pense que les gens ne vont pas comprendre, donc je réajuste, puis cela devient réaliste, et presque inintéressant ... Je sens de l’extérieur une tension perma­ nente entre l’esthétique et le social. Il m’arrive de me forcer à écrire en pensant, par exemple, au jeune Arabe qui ne se sent pas intégré à la société, mais il faut être vigilant car tout le monde dans la salle n’est pas ce jeune Arabe ! Badea : En général l’intuition nous dit qu'il faut faire un théâtre populaire. Mais qu’est-ce qu’un théâtre populaire ? Je pense que parfois on intériorise le fait que certains pu­ blics ne sont pas prêts à entendre une parole politique, une forme particulière, mais je pense que c’est complète­ ment faux. Quand je vais dans des prisons ou des zones d’éducation prioritaire dans lesquelles je travaille, je viens avec des poètes, des formes hermétiques, exigeantes, poé­ tiques. Et je vois qu’ils écoutent. Je pense que tout public est prêt à ces formes tant que celles-ci sont nourries par une observation du monde dans lequel on est. Mouawad : Tu n’as pas l’impression que cette stigmatisa­ tion que l’on fait, avec toutes les questions identitaires qui sont posées en ce moment sur les élections, le Brexit que l’on n’a pas vu arriver, la vague Trump… que cette situation fait en sorte que tu t’arrêtes un peu plus souvent que si tu avais lu le même texte 5 ou 6 ans auparavant ? Badea : Je pense qu’au niveau de la forme, il faut que nous-mêmes on se décomplexe et qu’on ose des formes radicales, mais que ces formes soient nourries d’un dia­ logue avec des gens qu’on n’a pas forcément l’habitude de côtoyer. On peut parler d’amour, de séparation, de quelque chose d’universel à partir de rencontres faites en prison ou dans un village voué à la disparition. C’est vrai ce que tu dis, il ne faut pas se mettre à l’endroit du jour­


question d’actualité

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Begegnungen mit Leuten, die nicht ins Theater gehen: War das auch der Gedanke, der die „Pièces d’actualité“ (Aktuellen Stücke) in Ihrem Theater in Aubervilliers inspiriert hat, Frau Malis? Sie bewegen sich darin aus dem Theater raus, arbeiten wie in „81 avenue Victor Hugo“ mit Laien. Malis: Ja, aber am Anfang stand für uns eine ganz ein­ fache Frage: Ist die Frage nach dem Ort für das Theater wichtig? Bringt die Tatsache, dass wir hier kreativ arbei­ ten, besondere Formen hervor? Man kann sich nicht den ganzen Planeten vorstellen, aber man kann sich Situa­ tionen vorstellen. Wenn man sich Situationen ausdenkt, wenn man sich Rahmen oder Orte ausdenkt, dann kann man Aktion freisetzen. Wenn es Publikumsgruppen gibt, die Vorbehalte gegenüber neuen Formen haben, dann sind das diejenigen, die sich als die Repräsentan­ ten der anderen betrachten. Ich glaube, das ist das große Problem: Jeder spricht anstelle der anderen. Ich glaube, dass Kunst die Frage nach der Subjektivität stellt. Wir leben in einer Gesellschaft der Repräsentation. Die Kunst soll begehrende Subjekte, neue Subjektivitäten, in Bewegung setzen. Diese neue Subjektivität – die sich aus der Veränderung der Welt und somit aus der aktuellen Situation ergibt – betrifft jeden Einzelnen. Das Begehren ist universell, es ist das Streben des Herzens. Paradoxer­ weise denke ich, dass sich die Kunst nicht mit einer Ord­

naliste ou du sociologue ou de l’autocensure. Mais on peut se laisser nourrir par ses rencontres. Marie-José Malis, les rencontres avec les gens qui ne vont pas au théâtre : c’était aussi l’idée qui a inspiré les « Pièces d’actualité » à Aubervilliers ? Il s’agit des pièces souvent montées avec des Albertivillariens, comme dans « 81 avenue Victor Hugo ». Malis : Oui, mais au départ, c’était une question toute simple : est-ce que la question du lieu importe pour le théâtre ? Est-ce que le fait de créer ici génère des formes ? On ne peut pas penser la planète mais on peut penser les situations. Quand on pense des situations, quand on crée des cadres ou des lieux, là on peut libérer de l’action. Je pense que s’il y a des publics qui sont réticents aux nouvelles formes ce sont ceux qui se considèrent comme les représentants des autres. Je crois que c’est le grand problème, tout le monde parle à la place des autres. On est dans une société de la représentation. Moi je pense que la question de l’art c’est la subjectivité. L’art doit mettre en marche les sujets désirants, les nouvelles sub­ jectivités. Cette nouvelle subjectivité – produite par la transformation du monde et donc en situation – quand on y est, là tout le monde est concerné. Le désir est uni­ versel, c’est les aspirations du cœur. Je pense paradoxale­ ment que l’art ne peut pas s’accommoder d’un régime de la représentation. Il est un régime de la subjectivation. Vous avez donc abandonné l’idée que l’art doit avoir du recul par rapport à la réalité de tous les jours ? Malis : Dans le fil de l’actualité, il y a les deux. Il y a la réalité, mais telle qu’on est habitué à la symboliser, prise dans ses catégories disponibles et souvent en impasse, et

Photo Willy Vainqueur

kumsgruppen keine Texte mit politischer Aussage oder sehr spezielle Formen wollen; aber ich glaube, das stimmt überhaupt nicht. Wenn ich in Gefängnisse gehe oder an Schulen in sozialen Brennpunkten, an denen ich arbeite, bringe ich hermetische Lyrik mit, die anspruchs­ voll und poetisch ist. Und ich sehe, dass die Leute zu­ hören. Ich glaube, jedes Publikum ist bereit für diese Formen, solange diese aus der Beobachtung der Welt schöpfen, in der wir leben. Mouawad: Kommt es dir nicht so vor, bei all dieser Stig­ matisierung, bei all diesen Fragen nach Identität, die hier gerade gestellt werden, in Bezug auf die Wahlen, auf den Brexit, den wir nicht kommen sehen haben, die Welle der Politiker vom Kaliber eines Donald Trump ..., dass diese Situation dich bei einem Text ein bisschen häufiger innehalten lässt, als wenn du ihn vor fünf oder sechs Jahren gelesen hättest? Badea: Ich finde, dass wir in Bezug auf die Form selbst­ bewusster werden müssen, dass wir radikalere Formen ausprobieren sollten, aber dass diese Formen aus einem Dialog mit Leuten schöpfen sollten, mit denen wir nor­ malerweise nicht unbedingt Kontakt haben. Man kann über Liebe sprechen, über Trennung, über irgendetwas Universelles, ausgehend von Begegnungen, die man im Gefängnis gemacht hat, oder in einem Dorf, das zum Verschwinden verdammt ist. Es stimmt, was du sagst; man darf nicht den Platz eines Journalisten oder Sozio­ logen einnehmen und sich auch nicht selbst zensieren. Aber man kann auch aus dem Reichtum seiner Begeg­ nungen schöpfen.

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Marie-José Malis, geboren 1966 in Per­pignan, ist Regis­seu­ rin. Sie arbeitete als Lehrerin sowie als Dreh­buch­autorin für das Fern­sehen; 1994 bis 2013 leitete sie die Kompanie la Llevantina. Seit 2014 ist sie Leiterin des Théâtre de la Commu­ ne in Auber­villiers nördlich von Paris. // Marie-José Malis, née en 1966 à Perpignan, a été enseignante à l’étranger et en lycées et collèges en zones sensibles ainsi que scénariste pour la télévision. Elle a dirigé la compagnie la Llevantina de 1994 à 2013. Depuis 2014, elle dirige le Théâtre de la Commune à Aubervilliers.

Das Théâtre de la Commune in Aubervilliers. // Le Théâtre de la Commune à Aubervilliers. Photo Willy Vainqueur


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bestandsaufnahme

Photo Leméac

nung der Repräsentation abfinden kann. Sie ist eine Ordnung der Subjektivierung.

Wajdi Mouawad, 1968 im Libanon geboren, ist Autor, Regisseur und Schau­ spieler. Seine Stücke sind epische Tragödien der Gegen­wart. Sein erster auf Deutsch gezeigter Text („Ver­ brennungen“, 2006) wurde innerhalb von zwei Jahren 23 mal nachgespielt. Seit 2016 leitet Mouawad das Nationaltheater de la Colline in Paris. // Wajdi Mouawad, né en 1968 au Liban, est auteur, metteur en scène et comédien. Ses textes sont des tragédies épiques contemporaines. Son premier texte traduit en allemand (en 2006) est „Incendies“ ; il a été joué 23 fois en Allemagne dans les deux années suivan­ tes. Depuis 2016 Mouawad dirige le Théâtre national de la Colline à Paris.

Auf den Spuren der Antike – In „Inflam­ mation du verbe vivre“ (Entzündung des Verbes leben) von 2016 überschreibt Wajdi Mouawad, der hier Autor, Regisseur und Darsteller in einem ist, „Philoktet“ für die Gegenwart. // Sur les traces des Anciens – avec « Inflammation du verbe vivre », Wajdi Mouawad, à la fois auteur, metteur en scène et comédien, ancre « Philoctète » dans le présent. Photo Pascal Gely

Haben Sie mit den „Pièces d’actualité“ bewusst etwas von der Vorstellung aufgegeben, dass die Kunst einen Abstand zur Alltagsrealität wahren sollte? Malis: Auch in der tagesaktuellen Berichterstattung der Medien gibt es beides. Es gibt die Realität, aber so, wie wir gewohnt sind, sie zu symbolisieren, in ihre verfüg­ baren Kategorien gefasst und häufig in einer Sackgasse. Gleichzeitig tritt ein massiver Effekt des Realen auf. Was für mich einen Künstler ausmacht, ist zunächst der Ver­ such, Wirklichkeit zu vermitteln, und zweitens ein neu­ er Prozess der Symbolisierung und Rekonfiguration, und vielleicht auch des Abstands, um aus der Realität ein Potenzial für Veränderung und Zukunft zu gewinnen. Es handelt sich um eine Arbeit der Poetisierung. Ich bin mir auf Anhieb nicht ganz sicher, ob es wirklich darum geht, zu entscheiden, ob man sich auf Seiten der Realität oder auf Seiten der Poesie befindet. Meiner Meinung nach ist jeder Künstler extrem besorgt um die Realität, und gleichzeitig besteht seine Arbeit darin, einen neuen Weg für sich zu finden, damit diese Realität uns nicht ängstigt und damit sie weiterhin Begehren, Sprache, Brüderlichkeit, gemeinsame Fremdheit vermittelt. Das ist die Arbeit des Künstlers ausgehend von der Realität. Mouawad: Damit bin ich überhaupt nicht einverstan­ den. Oder aber ich habe etwas falsch verstanden. Ich komme aus einem Land, wo die Leute nicht sprechen, also ist es notwendig, dass andere Leute an ihrer Stelle sprechen. Nehmen wir zum Beispiel an, dass dein Zwil­ lingsbruder, den du über alles liebst, vergewaltigt wurde und nicht reden kann. Eines Sonntags findest du dich bei einem Familienessen neben ihm sitzend wieder. Die Leute trinken ein bisschen und sagen zu ihm: „Warum hast du dich da rumgetrieben, du bist selber schuld!“ Wie soll er darauf antworten? Was tust du also? Wenn du ihn liebst, redest du, nicht bloß, um ihn zu verteidigen, sondern auch, um ausdrücken, was er in sich trägt, du sprichst für ihn, und genau das tut man, wenn man

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en même temps il y a l’arrivée d’un effet de réel massif. Pour moi ce que fait un artiste, c’est d’abord essayer de délivrer du réel, et deuxièmement, par un processus nouveau de symbolisation et donc de reconfiguration, et oui, peut-être, de recul, en tirer le potentiel de transfor­ mation et d’avenir. À cet égard, c’est un travail de poétisa­ tion. Je ne suis pas sûre du coup que la question est de décider si on doit être du côté de la réalité ou du côté du poème. Pour moi tout artiste est dans un souci extrême de la réalité, et en même temps son travail est de se trou­ ver un nouveau chemin pour que cette réalité ne nous angoisse pas et qu’elle continue à délivrer du désir, de la parole, de la fraternité, de l’étrangeté commune. Ça, c’est le travail de l’artiste à partir de la réalité. Mouawad : Je ne suis pas d’accord avec toi, pas du tout. Ou alors j’ai mal compris. Je viens d’un pays où les gens ne parlent pas et donc ont besoin que les gens parlent pour eux. Par exemple, mettons que ton frère jumeau, que tu aimes par-dessus tout, ait été violé et ne puisse pas parler. Tu te retrouves un dimanche assis à côté de lui, c’est un repas de famille, les gens boivent un peu et lui disent : « Pourquoi as-tu traîné là-bas, tu l’as cher­ ché ! » Comment veux-tu qu’il réponde ? Dès lors, que fais-tu ? Si tu l’aimes, tu parles, non seulement pour le défendre, mais aussi pour exprimer ce qu’il porte en lui, tu parles pour lui et là, il y a de l’écriture. Je ne suis abso­ lument pas d’accord avec l’idée qu’être porte-parole est une position qui n’aurait pas de place. Je pense qu’il est primordial de parler dans un état d’urgence et même dans une forme d’urgence, qui va se faire entendre, cre­ ver les tympans… Il y a là un instant de catharsis où l’on est obligé de reconnaître, même s’il l’on veut le nier, que quelque chose s’est déplacé en soi. Une question passionnante : Est-ce que le théâtre doit donc être le porte-parole des gens qui ne sont pas entendus – ou est-ce qu’il doit leur donner la parole ? Malis : C’est un point de désaccord. À mon avis, chaque travail est comme une décision dans la possibilité de l’art. Moi je ne porte pas l’accent sur le porte-parole, je ne


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question d’actualité

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schreibt. Ich bin überhaupt nicht mit dem Gedanken einverstanden, dass man nicht Sprachrohr für einen an­ deren sein kann. Ich denke, es ist von entscheidender Wichtigkeit, in der Situation des Ausnahmezustands zu sprechen, sogar mit einer Art Dringlichkeit, die sich in ohrenbetäubender Lautstärke Gehör verschafft ... Darin liegt ein kathartischer Moment, in dem man gezwungen ist, anzuerkennen, dass sich etwas in einem selbst ver­ schoben hat, selbst wenn man das verleugnen möchte. Eine spannende Frage: Soll das Theater in Zeiten wie diesen also das Sprachrohr der Leute sein, die nicht gehört werden – oder sollte es ihnen das Wort erteilen? Malis: In diesem Punkt sind wir uns uneinig. Meiner Meinung nach ist jede Arbeit eine Entscheidung inner­ halb der Möglichkeiten der Kunst. Ich lege keinen be­ sonderen Wert auf diese Sprachrohr-Funktion, ich bin dazu nicht in der Lage und ich ertrage sie nicht. Das ist nicht meine Vorstellung von Kunst. Vielleicht, weil ich nicht selbst schreibe. Mouawad: Uneinigkeit ist für mich nicht, zu sagen, was sein sollte, sondern sie entsteht, weil ich höre, wie man auf einmal sagt, was nicht sein sollte. In diesem Punkt sind die französische Gesellschaft und die französischen Künstler manchmal etwas unflexibel. In Quèbec hört man niemals: „Das Theater sollte so und so sein!“ Ich glaube, dass dogmatische Positionen mit zur Spaltung unserer Gesellschaft beitragen. Dabei sollte doch jeder mit seinen Möglichkeiten und auf seine Art und Weise handeln, auch wenn diese Arten und Weisen unter­ schiedlich oder entgegengesetzt sind. Als ich nach Frank­ reich kam, wurde mir vorgeworfen, das eigentliche Anlie­ gen des Theaters in den Hintergrund zu drängen, indem ich emotionale Geschichten erzähle ... Ich bin beinahe vom Stuhl gefallen ... Man hat mir erklärt, dass man neue Formen erfinden müsste, die nicht meinen großen epi­ schen Geschichten entsprechen würden, die zwar auf die Zustimmung des Publikums treffen, doch dieses von ei­ nem wahrhaft experimentellen Theater entfernen. Malis: Das habe ich nicht gesagt! Ich spreche hier kein all­ gemeines Dogma aus. Ich versuche Vorgehensweisen zu finden, die eher ästhetisch sind, eventuell Verfahren der Autorenschaft – doch das ist eigentlich sekundär –, brüchi­ gere, durchlässigere Verfahren, um die Sprache der ande­ ren in Bewegung zu versetzen. Ich beschäftige mich in meiner Arbeit mehr mit Verlangsamung und Brüchigkeit. Was mich interessiert, ist, dass jeder in seinem eigenen Namen sprechen kann. Mein Credo ist es, dass jeder Träger eines Begehrens ist, und dass wir die Methode liefern, das Vertrauen herstellen, damit dieses Begehren, dieses Streben, diese Formulierungen entstehen können. Mouawad: Das verstehe ich sehr gut. Wenn ich derartige Aufführungen sehe, gehe ich extrem bereichert nach Hause, aber ich könnte mich nicht damit begnügen. Ich will auch hören, dass jemand zum Sprachrohr einer Gruppe wird, denn das macht die Kraft des Theaters aus, die Kraft der Poesie. //

le peux pas et ne le supporte pas. Je n’ai pas cette vision. Peut-être parce que je n’écris pas. Mouawad : Le désaccord pour moi n’est pas de dire ce que ça devrait être mais vient parce que j’entends que, tout à coup, on dit ce qui ne devrait pas être. C’est là où je trouve que la société française et les artistes français sont parfois rébarbatifs. Au Québec on n’entend jamais ça : « Le théâtre devrait être ça ! ». Je crois qu’un des es­ paces de fracture est celui de la prise de position dogma­ tique alors que chacun devrait faire ce qu’il a à faire, dans l’addition des possibilités et des manières de faire, même si ces manières de faire sont différentes, ou opposées. En arrivant en France, on m’a reproché de faire reculer la cause du théâtre en racontant des histoires émotives… j’en suis tombé de ma chaise… on m’a expliqué qu’il fau­ drait inventer des formes nouvelles, qui ne correspon­ draient pas à mes grandes histoires épiques, narratives, qui trouvent pourtant le suffrage du public mais l’éloignent d’un théâtre de recherche. Malis : Moi je n’ai pas dit ça ! Je ne prononce pas une sorte de dogme général. Ce que j’essaie de faire, c’est de trouver des procédés éventuellement esthétiques, éven­ tuellement d’écriture – mais au sens second – qui sont des procédés beaucoup plus troués pour mettre en marche la parole des autres. Je suis en effet plus dans une espèce de travail ralenti ou troué et ce qui m’inté­ resse, c’est que chacun doit pouvoir parler en son nom. Mon credo c’est que chacun est porteur d’un désir et que nous, on doit donner la méthode, la confiance pour que ce désir, ces aspirations, ces formulations voient le jour. Mouawad : Je comprends très bien. Quand j’assiste à des spectacles comme ceux-là, j’en ressors extrêmement en­ richi mais je ne pourrais pas me contenter de ne voir que ces spectacles. J’ai aussi besoin d’entendre que quelqu’un devient porte-parole d’un groupe, parce que c’est la puis­ sance du théâtre, de la poésie.//

Verkörperter Mythos – Mouawads „La Chien­ ne“ war einer der vier Texte von „Phèdre(s)“ mit Isabelle Huppert, aufgeführt 2016 am Théâtre de l’Odéon. Mouawads Theater soll Sprachrohr für die sein, die selber sprachlos sind. // Incarnation d’un mythe – « La Chienne », de Mouawad, est l’un des quatre textes de « Phèd­re(s) », créé en 2016 au Théâtre de l’Odéon avec Isabelle Huppert. Le théâtre de Mouawad est pensé comme le porte-voix des laissés-pour-compte. Photo Pascal Victor


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Das Maul des Theaters

La gueule du théâtre

Welche Formen des Schreibens kommen gegenwärtig in Frankreich auf die Bühne? Eine Annäherung in drei Schritten // Quelles formes d’écritures trouve-t-on sur les scènes en France aujourd'hui ? Essai de réponse en trois étapes


écritures

Daniel Loayza

A

lles passt in das Maul des Theaters. Alles muss in das Maul des Theaters hinein“, erklärte einst der Autor, Schauspieler und Regisseur Georges Lavaudant. Die französischen Bühnen geben ihm Recht. Es ist schier unmöglich, die Diversität der gegenwärtigen Schreiban­ sätze für das Theater in Frankreich zusammenzufassen. Egal welche Unterscheidungen man versuchte vorzu­ nehmen, einen „neuen“ Bereich zu charakterisieren: Man kann sicher sein, dass irgendwo in der Theaterland­ schaft bereits ein äußerst lebendiges Gegenbeispiel exis­ tiert. Zu einem Zeitpunkt, da als „trans-“ oder „post-“ charakterisierte Praktiken (postmodern, postdramatisch, transdisziplinär, Genre übergreifend) quasi selbstver­ ständlich sind, haben die Gegensätze zwischen Indivi­ duum und Kollektiv, Original und Zitat, Verbalem und Non-Verbalem, vollendetem Werk und work in progress an Relevanz verloren. Der Begriff écriture („Schreiben“) wird nach und nach zu einer ebenso praktischen wie un­ genauen Metapher. Was vielleicht gar nicht so schlecht ist.

1. Genrefragen Hat die Bühne vollkommen die Macht über den Text übernommen? Zum besseren Verständnis sei daran erinnert, dass in Frankreich eine vom Staat beauftrag­ te Expertenkommission Fördergelder für Urauffüh­ rungen zeitgenössischer Theatertexte vergibt (Com­ mission nationale d’aide à la création d’œuvres dramatiques). Deren dreißig Juroren finden sich unter der Leitung von Artcena, dem ehemaligen Centre Na­ tional du Théâtre, zusammen, um zweimal pro Jahr mehr als zweihundert Anträge in drei Kategorien aus­ zuwerten: „dramatische Literatur“, „Übersetzung“ und „plurale Dramaturgien“. Alle technischen Mittel, alle ästhetischen Vorstellungen, alle nicht-literari­ schen Materialien sind in dieser letzten Klasse zuge­ lassen – Choreografie, Musik und Klangkunst, Video, Digital Art, Marionetten, Pantomime, Slapstick, Tran­ skripte von Interviews, Objekttheater, Musiktheater, Neuer Zirkus, bildende Kunst (von der Papierskulptur bis hin zum Comic), Verwendung von dokumentari­ schem Material. Bezeichnenderweise aber fällt es den „pluralen Dramaturgien“ schwer, einen Platz für Ad­ aptionen oder neue Schreibansätze im Kollektiv zu finden, die zum Beispiel erst während des Probenpro­ zesses entstehen. Die beiden ersten Kategorien umfassen bislang noch mehr als zwei Drittel der eingereichten Anträge. Diese Werke lassen sich relativ problemlos identifizieren oder einordnen. Eine große Anzahl von ihnen, einige davon brillant in ihrem Genre, gründen ihre Funktions­ weisen auf wohlbekannte Verfahren und Mechanismen. Was die Themen angeht, scheinen große und kleine

T

out peut entrer dans la gueule du théâtre. Tout doit entrer dans la gueule du théâtre », a déclaré un jour l’au­ teur, acteur et metteur en scène Georges Lavaudant. Les scènes françaises lui donnent raison. Impossible de rendre compte de la diversité des écritures théâtrales francophones d’aujourd’hui. Quelles que soient les dis­ tinctions qu’on serait tenté de poser pour caractériser les contours d’un territoire « nouveau », on peut être sûr qu’un contre-exemple bien vivant figure déjà quelque part dans le paysage. À l’heure où les pratiques « trans » ou « post » (postmodernes, transdisciplinaires, trans­ gressives, transgénériques, postdramatiques) vont quasi­ ment sans dire, l’opposition entre individuel et collectif, original et citation, verbal et non-verbal, œuvre achevée et work in progress, a perdu de sa pertinence. Le terme d’ « écritures » tend à ne plus être qu’une métaphore aussi commode qu’imprécise. Ce qui n’est d’ailleurs pas si grave, peut-être.

1. En tous genres Le plateau a-t-il tout à fait pris le pouvoir ? Rappelons pour fixer les idées que la Commission nationale d’aide à la création dramatique, dont la trentaine de lecteurs se réunit sous l’égide d’Artcena (ex-CNT, Centre Natio­ nal du Théâtre), doit examiner deux fois par an plus de deux cents dossiers répartis en trois catégories : « litté­ rature dramatique », « traduction », « dramaturgies plurielles ». Tous les recours techniques, toutes les conceptions esthétiques, tous les matériaux non litté­ raires sont admis dans cette dernière classe – chorégra­ phie, musique et son, vidéo, effets numériques, ma­ rionnettes, mime, slapstick, transcriptions d’interviews, théâtre d’objets, théâtre musical, nouveau cirque, arts plastiques (de la sculpture en papier à la bande dessi­ née), montages documentaires, etc. Et même ainsi, les « dramaturgies plurielles » ont du mal à faire place aux gestes adaptatifs ou aux écritures collectives non en­ core fixées, restant à produire en cours de travail au plateau. Les deux premières catégories, pour leur part, re­ groupent plus de deux tiers des œuvres présentées. Cellesci ne posent pas en règle générale de trop grands pro­ blèmes d’identification ou de classement. Un grand nombre d’entre elles, dont certaines réussites tout à fait brillantes dans leur genre, fondent leur fonctionnement sur des procédés et des mécanismes bien connus. Du point de vue thématique, les petites et grandes questions de société paraissent constituer des sources d’inspiration inépuisables (l’injustice sociale ; le chômage ; les pro­ blèmes migratoires ; l’horreur économique, etc.). Quant à la langue – et là encore, sans surprise –, le spectre princi­ pal s’étend du naturalisme scénaristique télévisuel à la stylisation à base de signes extérieurs de richesse littéraire (dont les formes les plus courantes, avec ou sans ponctua­ tion, sont le vers blanc laconique, la logorrhée ou le logo­

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Linke Seite: Grenzüberschreitend – „Au bord“ von Claudine Galéa ist nicht als Theatertext gekennzeichnet, erhielt aber 2011 dennoch den Grand prix de littérature dramatique. Das Stück thematisiert die Misshandlungen von Häftlingen in Abu Ghraib. Jean-Michel Rabeux inszenierte es 2014 am MC93 in Bobigny. // Page gauche : Transfrontalier – si « Au bord », de Claudine Galéa, n’a pas été présenté comme une pièce de théâtre, ce texte lui a valu le Grand prix de littérature dramatique en 2011. L’auteure y interroge les violences subies par les détenus d’Abou Ghraib. L’œuvre a été créée en 2014 par Jean-Michel Rabeux à la MC93 de Bobigny. Photo Ronan Thenadey


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handschriften

Grande dame – Die Philosophin Hélène Cixous (Jahrgang 1937) ist die Autorin der Stücke von Ariane Mnouchkines legen­ därem Théâtre du Soleil. Sie schreibt noch Theatertexte, die unmittelbar als solche erkennbar sind, zuletzt 2016 „Une chambre en Inde“. // Grande dame – les pièces de la philosophe Hélène Cixous, née en 1937, ont fait la légende du Théâtre du Soleil d’Ariane Mnouchkine. Cixous continue d’écrire des textes résolument théâtraux. Le dernier en date : « Une chambre en Inde », 2016. Photo Sophie Bassouls

Gesellschaftsfragen unerschöpfliche Inspirationsquel­ len darzustellen (soziale Ungerechtigkeit, Arbeitslosig­ keit, Migrationsproblematiken, ökonomische Abgrün­ de usw.). Auf sprachlicher Ebene – und auch dies ist nicht weiter überraschend – erstreckt sich das Spek­ trum in der Hauptsache vom Fernsehdrehbuch-Natu­ ralismus bis hin zu formaler Stilisierung, die aus dem Zeichenfundus literarischen Reichtums schöpft. ­Deren gebräuchlichste Formen sind, mit oder ohne Zeichensetzung, der lakonische Blankvers, der un­ gehemmte Redefluss oder das Wort- und Buchstaben­ rätsel. Doch letztendlich spielt dies kaum eine Rolle: Texte, die wirklich Qualität haben, fallen dadurch nur umso stärker auf. Wie Philippe Coutant, eines der Mitglieder der ge­ nannten Expertenkommission, früher einmal schrieb, „setzt sich nach und nach eine neue Autorengeneration mit ihrer Arbeitsweise, ihrem Stil und ihrem Anspruch durch. (…) Sie alle sind auf der Suche nach neuen For­ men, weit entfernt von einem altmodischen Klassizis­ mus. (…) Sie schreiben am Puls der Gesellschaft, unter­ halten alle eine, wie ich sagen würde, physische Beziehung zur Bühne. (…) Sie arbeiten nicht mehr allei­ ne und isoliert, sie kennen und schätzen einander.“ Zu Zeiten des „rhetorischen Imperiums“ (Roland Barthes) verstand es sich von selbst, dass ein Text im Vorfeld sei­ ner Bühnenproduktion verfasst wurde: Es galt, nachein­ ander seinen Inhalt (inventio), seinen Aufbau (dispositio) und den Stil (elocutio) festzulegen, bevor man ihn sich aneignete (memoria) und dann an ein Publikum über­ mittelte (actio). Diese Produktionsweise entspricht nicht mehr wirklich der Praxis einer großen Anzahl zeitgenössi­

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griphe). Mais finalement, cela importe peu : les textes de qualité n’en ressortent que plus nettement. Comme l’écrivait naguère l’un des membres de la commission, Philippe Coutant, « une nouvelle généra­ tion d’auteurs s’impose peu à peu avec sa manière, son style et son exigence […]. Ils sont tous à la recherche de nouvelles formes, loin d’un certain archaïsme classique. […] Ils écrivent au plus près de la scène, ils ont tous une relation, je dirais charnelle, avec le plateau. […] Ils ne tra­ vaillent plus en solitaires, ils se connaissent et s’appré­ cient.» Du temps de l’ « empire rhétorique » (Barthes), il allait de soi qu‘un texte précède sa performance : il fallait successivement en déterminer le contenu (inventio), l‘or­ ganisation (dispositio) et le style (elocutio) avant de l‘assi­ miler (memoria) pour le transmettre à un public (actio). Ce mode de production ne répond plus vraiment aux pratiques d’un grand nombre de créateurs de théâtre contemporains. La mémoire, par exemple, entendue comme ensemble des processus d’appropriation / inté­ riorisation d’une matière textuelle préexistante, peut aus­ si bien s’être évanouie (au moins en apparence) dans l’improvisation, que s’être indéfiniment dilatée, notam­ ment en nouant avec l’inventio ou avec l’actio des al­ liances nouvelles. Quand Sylvain Creuzevault et ses in­ terprètes s’intéressent aux enjeux politiques cruciaux de la Révolution française (« Notre Terreur », Théâtre natio­ nal de la Colline, 2009) ou aux analyses de Marx (« Le Capital et son singe », Nouveau théâtre d’Angers et Théâtre national de la Colline, 2014), ils s’imprègnent des textes assez profondément pour les remettre à chaque fois en jeu de façon apparemment aléatoire et spontanée, ce qui confère à leur surgissement en perfor­ mance une énergie très particulière, qui ne se laisse pas forcément noter (ni avant, ni après : ni anticiper, ni fixer) sous forme d’une œuvre unique.

2. Variétés textuelles de la (non) fiction Beaucoup d’auteurs français, et des plus grands (Michel Vinaver, Jean-Claude Grumberg, Philippe Minyana, ­Hélène Cixous, Enzo Cormann...) écrivent toujours des pièces qui sont immédiatement reconnaissables comme telles. Mais ni didascalies, ni indications rythmiques, ni attribution de portions textuelles définies à des person­ nages distincts (etc.) ne sont indispensables. La théâtra­ lité peut être désormais plus ou moins implicite, et ne se révéler qu’une fois mise en situation. À la limite, elle n’est plus texte, mais contexte. Rien ne permettrait par exemple de deviner qu’ « Au bord » de Claudine Galéa (Grand prix de littérature dra­ matique 2011) doive être approché comme un texte de « théâtre », si ce terme ne figurait pas sur la couverture de l’ouvrage (Éditions Espaces 34, 2010). Le « Je » qui s’y ­découvre n’y est identifié ni comme réel, ni comme fictif (ou autofictionnel) dans une note d’intention liminaire. « Au bord » n’est pas même désigné comme monologue, ce qui constituerait déjà une caractérisation d’ordre dra­ matique. Le « Je » n’est pas même forcément à entendre


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scher Theaterschaffender. Zum Beispiel wird das Text­ lernen als eine Gesamtheit von Verfahren zur Aneig­ nung/Verinnerlichung eines im Vorfeld existierenden Textmaterials verstanden, das sich auch (zumindest scheinbar) in der Improvisation auflösen oder sich ins Unendliche ausdehnen kann, vor allem durch neue ­Allianzen mit der inventio oder der actio. Wenn sich der Regisseur Sylvain Creuzevault und seine Akteure mit den Kernproblemen der Französischen Revolution („Notre Terreur“, auf Deutsch: Unser Terror, Théâtre national de la Colline, 2009) oder mit den Marx’schen Analysen beschäftigen („Le Capital et son singe“, auf Deutsch: Das Kapital und sein Affe, Nouveau théâtre d’Angers und Théâtre national de la Colline, 2014), set­ zen sie sich intensiv mit den Texten auseinander, um sie jedes Mal neu, scheinbar zufällig und spontan ins Spiel zu bringen. Dies verleiht dem Auftreten der Texte in der Performance eine ganz besondere Energie, die sich nicht unbedingt in Form eines geschlossenen Wer­ kes festhalten lässt – weder vor der Inszenierung noch danach: Sie lässt sich nicht antizipieren oder schriftlich fixieren.

2. Varianten der (Non-)Fiktion Viele französische Autoren, darunter auch einige der be­ deutendsten (Michel Vinaver, Jean-Claude Grumberg, Philippe Minyana, Hélène Cixous, Enzo Cormann ...) schreiben nach wie vor Stücke, die unmittelbar als sol­ che erkennbar sind. Doch sind Regieanweisungen und die eindeutige Zuteilung von Textanteilen an klar defi­ nierte Figuren heutzutage keineswegs unverzichtbar. Die Theatralität kann mittlerweile mehr oder weniger implizit sein und sich auch erst in der Praxis offenbaren. Im Extremfall ist sie nicht mehr Text, sondern Kontext. Nichts weist zum Beispiel darauf hin, dass man sich Claudine Galéas Text „Au bord“ (Am Rand, Grand prix de littérature dramatique 2011) wie einem Theater­ text nähern muss, stünde dieser Ausdruck nicht auf dem Umschlag der Buchausgabe (Éditions Espaces 34, 2010). Kein Vorwort der Autorin identifiziert das „Ich“, das dar­ in enthüllt wird, als real oder fiktiv (oder auto-fiktional). „Au bord“ wird nicht einmal als Monolog bezeichnet, was den Text bereits als dramatischen Text charakterisie­ ren würde. Das „Ich“ ist nicht zwangsläufig als ein ein­ zelnes zu verstehen und lässt sich nach Belieben verviel­ fachen. Selbstverständlich lassen sich Eigenschaften ausmachen, auf die sich eine effiziente dramatische Umsetzung stützen könnte, aber diese Eigenschaften begründen keinerlei Zugehörigkeit zu einem Genre. Dem Text von „Au bord“ ist die Reproduktion eines be­ rühmten Fotos vorangestellt, das keinen anderen Titel trägt als seine Quellenangabe: „Washington Post, 21. Mai 2004“. Es zeigt eine junge Reservistin der US-Armee, die im Gefängnis von Abu Ghraib einen am Boden lie­ genden Gefangenen an einer Leine hält. Diese Repro­ duktion, die den Text hin zu einer brutal realen Außen­ welt öffnet, lädt dazu ein, sich die Frage zu stellen, wie es

au singulier et se laisse librement pluraliser. Bien enten­ du, on peut y repérer des traits sur lesquels peut s’appuyer l’efficacité d’une mise en œuvre dramatique, mais ces traits ne sont pas constitutifs d’une appartenance géné­ rique. Le texte d’ « Au bord » est précédé de la reproduc­ tion d’une photo célèbre, sans autre titre que sa référence (Washington Post, 21 mai 2004), montrant une jeune ré­ serviste de l’armée américaine tenant au bout d’une laisse un prisonnier irakien gisant au sol dans la prison d’Abou Ghraib. Cette reproduction, ouvrant les mots sur un horstexte violemment réel, engage à se demander ce qu’il en est du réel à l’intérieur même du texte (donc de la lecture que nous en faisons) et de la représentation (visuelle ou non) qu’il convient d’en donner. Le théâtre serait donc ce qui est admis comme tel ? Ce nominalisme ne va pas sans risques. Si tout texte articulé dans un dispositif théâtral devient du coup texte de théâtre, suffira-t-il qu’un éditeur lui appose cette éti­ quette ou qu’un metteur en scène, un programmateur, un directeur de lieu (en France, ces trois positions de pouvoir sont souvent confondues) choisisse de le mettre à l’affiche en le désignant comme tel ? Ainsi décrétée, cette théâtrali­ té pourrait n’être pas reconnue, sanctionnée par un pu­ blic. Or celui-ci fait partie intégrante de cet appareil d’énonciation particulier qu’on appelle théâtre. À la déci­ sion énonciative doit répondre une décision de réception, et celle-ci peut toujours être négative (« ce n’est pas du théâtre »). Quand le théâtre touche à ses bords, la provoca­ tion, l’ennui, l’horreur sont inhérents à la transaction qui s’engage entre artistes et publics.

THEATER WORKSHOPS LIVE-HÖRSPIEL AUTORENGESPRÄCHE WERKSTATTINSZENIERUNGEN

Mit freundlicher Unterstützung des französischen Ministeriums für Kultur/DGCA

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Der Autor // L’auteur

Daniel Loayza, Jahrgang 1961, lehrt Sprachen der Klassi­ schen Antike und über­ setzt aus dem Alt­grie­ chischen, Englischen und Deutschen. Seit 1996 ist er Dramaturg am Odéon Théâtre de l’Europe in Paris. Seit 2014 steht er der nationalen Kommission für die Förderung von Theatertexten vor. // Daniel Loayza, né en 1961, est professeur de lettres classiques et traducteur du grec ancien, de l’anglais et de l’allemand. Depuis 1996, il est conseiller artistique à l’OdéonThéâtre de l’Europe. Il préside depuis 2014 la Commission nationale d’aide à la création de textes dramatiques. daniel.loayza@ theatre-odeon.fr


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Kein geschlossenes Werk – In den Arbei­ten des Regisseurs Sylvain Creuzevault lässt sich der Text schwer fixieren. „Angelus Novus Anti Faust“ von 2016 ist eine assoziations­reiche Variation des Faust-Materials. // L’œuvre ouverte – dans les travaux du metteur en scène Sylvain Creuzevault, le texte est volatil. « Angelus Novus Anti Faust », créé en 2016, propose une variation riche en associations sur le thème de Faust. Photo Compagnie

um die Wirklichkeit innerhalb des Textes steht (also un­ serer Lesart davon) und welche Darstellung (visuell oder nicht?) angebracht ist. Ist „Theater“ also das, worauf man sich geeinigt hat, es so zu nennen? Dieser Nominalismus birgt ein Risiko. Wenn jeder Text, der in einem Theaterrahmen artikuliert wird, sofort Theatertext wird – reicht es dann aus, dass ihm ein Verleger dieses Etikett anhef­ tet oder dass ein Regisseur, ein Programmgestalter, ein Intendant (in Frankreich gehen diese drei Macht­ positionen häufig ineinander über) sich dafür ent­ scheidet, ihn auf den Spielplan zu setzen und als sol­ chen auszuweisen? Denn es kann durchaus passieren, dass diese offiziell attestierte Theatralität von einem Publikum nicht ­erkannt, nicht gebilligt wird. Dabei ist das Publikum ­unverzichtbarer Bestandteil jenes ein­ zigartigen Enun­ zia­ tionsapparats, den man Theater nennt. Auf die Entscheidung zur Enunziation, zur ­Äußerung auf einer Bühne, muss eine Entscheidung zur Rezeption folgen, und die kann immer auch nega­ tiv ausfallen („Das ist kein Theater“). Wenn das Thea­ ter an seine Grenzen stößt, stecken in der Transaktion zwischen Künstler und Publikum auch Langeweile und Schrecken. Diese zuweilen brutale Aufforderung zur Ent­ scheidung bildet die Grundlage für das Theater von ­Mohamed El Khatib, der 2016 für seinen Text „Finir en beauté“ (In Schönheit sterben, Les Solitaires Intempes­ tifs, 2015) mit dem Grand prix de littérature dramatique ausgezeichnet wurde. Zu dem Stück wurde der Autor durch den Tod seiner Mutter inspiriert. Schon mit dem Untertitel „Einakter in Form einer Sterbeurkunde“ (pièce en un acte de décès) spürt man, dass man mit diesem Text – Logbuch, literarische Grabbeigabe, ironisches Selbstporträt – in eine undefinierbare Zone von Turbu­ lenzen gelangt. Vielleicht haben Trauer und Humor (ebenso wie die „spontane“ Sensibilität und die kritische

Cette mise en demeure de décider, parfois violente, que le théâtre adresse devant soi, sous-tend le travail de Mo­ hamed El Khatib, Grand prix de littérature dramatique 2016 pour « Finir en beauté », le texte que lui a inspiré la mort de sa mère (Les Solitaires Intempestifs, 2015). Dès le sous-titre, « pièce en un acte de décès », on sent qu’on entre avec ce texte – journal de bord, tombeau littéraire, autoportrait ironique – dans une zone de turbulences in­ définissable. Le deuil et l’humour (pas plus que la sensi­ bilité « spontanée » et la vigilance critique) n’ont peutêtre pas d’autres frontières que celles qu’on leur trace, soit passivement (comme le fait la plupart d’entre nous : nous croyons savoir, et donc il va sans dire, que ces états sont incompatibles et séparés par un abîme), soit active­ ment, en les déplaçant comme le font certains artistes, dont El Khatib. Son goût du réel est manifeste et mani­ festé. À la fois dans la nature des éléments du « maté­ riau-vie » (le terme est de lui) ici exhibés (captations vi­ déo, transcrites ou non ; fragments de journal datés ; reproductions de documents authentiques ; notes ex­ traites de carnets) et dans le dispositif général de leur montage, qui rend très incertaines les séparations entre le texte et le monde où il vient s’inscrire.

3. Après l’innommable Claudine Galéa, dans son texte, tourne autour de désirs indicibles, qu’elle reformule inlassablement. Mohamed El Khatib travaille sur les formes anonymes du deuil. Joël Pommerat met ses mots au service d’œuvres qui cernent le non-dit : « Je ne peux pas m’empêcher de pen­ ser que l’art théâtral doit être silencieux aussi et bête. Qu’au théâtre il est important de se taire aussi. Laisser parler autre chose que les mots. » Mohamed Rouabhi fait voir des êtres invisibles, entendre des paroles inaudibles – chômeurs, clowns, gitans, vigiles – dans une zone péri­ phérique, loin de tout centre, reconstituée au plateau où il lance une cinquantaine de personnages (« Jamais


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Wachsamkeit) keine anderen Grenzen als diejenigen, die man selbst zieht. Das kann entweder passiv gesche­ hen, wie bei den meisten von uns: Wir glauben zu wis­ sen, dass diese Zustände inkompatibel und durch ei­ nen Abgrund von einander getrennt sind – es versteht sich also von selbst. Oder es geschieht aktiv, indem man die Grenzen verschiebt, so wie es Künstler wie El Khatib tun. Seine Vorliebe für die Wirklichkeit ist dabei unübersehbar. Einerseits in Bezug auf das Wesen ele­ mentaren „Lebensmaterials“ (der Ausdruck ist von ihm), das hier ausgestellt wird, also Videoaufnahmen, transkribiert oder nicht, datierte Tagebuchfragmente, Reproduktionen authentischer Dokumente, Einträge aus Notizbüchern. Andererseits aber auch allgemein in der Art und Weise, wie diese Elemente zusammenge­ stellt sind – denn diese macht die Trennung zwischen dem Text und der Welt, in die er sich einschreibt, äu­ ßerst unscharf.

3. In der Tradition des Nicht-Nennbaren Claudine Galéa umkreist in ihrem Text unbeschreibli­ che Begierden, die sie unermüdlich neu formuliert. Mohamed el Khatib arbeitet an anonymen Formen der Trauer. Joël Pommerat stellt seine Worte in den Dienst von Werken, die das Ungesagte zu fassen versuchen: „Ich kann nicht umhin, zu denken, dass die Theater­ kunst auch still und dumm sein sollte. Dass es im ­Theater auch wichtig ist, zu schweigen. Etwas anderes sprechen zu lassen als Worte.“ Mohamed Rouabhi macht in „Jamais seul“ (Niemals allein) unhörbare Worte hörbar, zeigt unsichtbare Wesen – Arbeitslose, Clowns, Sinti und Roma, Wachleute –, und zwar in ei­ nem Peripheriegebiet weitab der Zentren, das auf der Bühne nachgebaut wurde, die er mit gut 50 Figuren bevölkert (Uraufführung im MC 93 Bobigny, 2017). ­Sogar David Lescot, der ein „transitives Theater, ein Theater, das von der Welt spricht“ fordert, gibt zu, dass es jenseits des offensichtlichen Themas seiner Stücke (Überschuldung, Finanzwelt, europäische Aufbauhilfe oder Klimaerwärmung) „ein latentes Thema gibt, das erscheint, wenn das Stück geschrieben wird, und viel­ leicht noch mehr, wenn es gespielt wird. Und während man es schreibt, weiß man noch nicht, was es ist. Man entdeckt es danach.“ Unsagbar, unformuliert, ungenannt, unaussprech­ lich, ungesagt, unhörbar, unausgedrückt, still, latent: Anders als man glauben könnte, umreißen all diese Be­ griffe ein Gebiet in der Tradition von Beckett – in der Tradition des Nicht-Nennbaren. All diese Arbeiten, sogar diejenigen, die ein bestimmtes Ziel verfolgen, sogar die­ jenigen, die sich vorgenommen haben, unsere Welt zu kritisieren oder zu beschreiben, erfinden sich im Zwi­ schenraum der Begegnung, der sie sich auf der Bühne und mit dem Publikum aussetzen, um daraus – ganz egal, ob reproduzierbar oder nicht, ganz egal, ob dazu bestimmt, ins Repertoire einzugehen oder nicht – etwas Unvorhersehbares zu gewinnen. //

seul » sera créé le 15 novembre 2017 à la MC 93 Bobigny). Même David Lescot, qui revendique « un théâtre transi­ tif, un théâtre qui parle du monde », reconnaît qu’au-de­ là du sujet manifeste de ses pièces (le surendettement, la finance, la construction européenne ou le réchauffement climatique), « il y a un sujet latent, qui apparaît lorsque la pièce est écrite, et peut-être plus encore lorsqu’elle est jouée. Et on ne sait pas ce que c’est au moment où on écrit, on le découvre après ». Indicible, informulé, innommé, inarticulable, non-dit, inaudible, inexprimé, silencieux, latent : contrai­ rement à ce qu’on pourrait croire, tous ces termes dé­ signent un territoire d’après Beckett – d’après l’innom­ mable. Toutes ces créations, même celles qui répondent à un objet, mêmes celles qui s’assignent une fonction critique ou descriptive de notre monde, s’inventent dans l’entre-deux de la rencontre auquel elles s’exposent (au plateau, avec le public) pour en tirer – reproductible ou non, destiné ou non à devenir répertoire, peu importe – de l’inanticipable. //

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Vorliebe für die Wirk­ lichkeit – Der AutorRegis­seur Mohamed El Khatib beackert „Lebensmaterial“: authentische Bio­gra­ fien. In „Moi Corinne Dadat“ berichtet er vom Alltag der Putzfrau Corinne Dadat. // Un petit penchant pour le réel – l’auteur et metteur en scène Mohamed El Khatib cultive les « matériaux de vie » : des biogra­ phies authentiques. Dans « Moi Corinne Dadat », il raconte le quotidien de Corinne, femme de ménage. Photo Marion Poussier


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Das Nachdenken vergiften Empoisonner la réflexion Joël Pommerat und seine Compagnie Louis Brouillard // Joël Pommerat et sa compagnie Louis Brouillard Gerhard Willert

I Radikal und explosiv – Joël Pommerats „La Révolution # 1“, uraufgeführt 2015, versetzt das histori­sche Material der franzö­ sischen Revolution ins Heute. // Radical et explosif – créée en 2015, « Ça ira (1) Fin de Louis », de Joël Pommerat, met en scène la Révolution française dans notre présent. Photo Elizabeth Carecchio

m Jahr 1990 gründete Joël Pommerat die Compagnie Louis Brouillard, zu Deutsch „Ludwig Nebel“. Dabei gab er seinen Schauspielern von sich aus das Versprechen, vorerst vierzig Jahre lang mit ihnen zu arbeiten. Er nennt das seinen „kleinen Vertrag“. In den ersten 16 Jah­ ren entstanden, immer ein wenig im Verborgenen, ab­ seits der großen Bühnen, 16 Produktionen. Dann, im Sommer 2006, zeigte das Festival d’Avignon gleich vier seiner Arbeiten. Das war sein Durchbruch. Die Presse schwelgt seither in höchsten Tönen, doch vor allem: sie ist überhaupt da. Das Publikum strömt, wo immer die Truppe in Frankreich spielt. Ein Molière-Theaterpreis für den besten frankofonen Dramatiker und ein Molière

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n 1990, lorsqu’il fonde la compagnie Louis Brouil­ lard, Joël Pommerat fait une sacrée promesse à ses ­comédiens : à compter de ce jour, il travaillera à leurs côtés pendant quarante ans. C’est ce qu’il appelle son « petit contrat ». Au cours des seize premières années, seize productions vont naître, toujours en marge des grandes scènes, presque sous le manteau. À l’été 2006, le Festival d’Avignon programme quatre de ses mises en scène d’un seul bloc. C’est la consécration. Depuis, la presse ne tarit plus d’éloges sur Pommerat – mais estimons-nous déjà heureux qu’elle évoque son nom. Le public se rue sur chaque représentation donnée en France. Après avoir récolté un Molière de l’auteur ­francophone vivant et un Molière des compagnies, il en glane trois autres pour « Ça ira », et un pour


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für die beste freie Gruppe folgten; 2016 erhielt er noch einmal drei Molières für „Ça ira (1) Fin de Louis“ (La ­Révolution # 1 – Wir schaffen das schon) und einen für „Pinocchio“. Die großen Verlockungen folgten darauf­ hin auch: Inszenierungsangebote an den angesagten Theatern und Opernhäusern dieser Welt. Pommerat aber sagte alles das ab. Er arbeitet stattdessen unbeirrt weiter mit seinen Leuten. Neun neue Produktionen sind in der Zwischenzeit entstanden. In Afrika sagt man, eine Bibliothek verbrennt, wenn ein alter Mensch stirbt. Ein bisschen ist das so mit meiner Truppe. Ginge ein Schauspieler weg, dann gingen Jahre der Erkenntnisarbeit verloren. Es gibt ein künstlerisches Kapital, das sich durch jeden Einzelnen bildet. [...] In diesem Sinne sind diese Schauspieler ein Kollektiv. Sie sprechen nicht den Text von Joël Pommerat, sie sind partiell dieser Text.

Pommerat erklärt nicht, er zeigt Pommerat bedient sich der unterschiedlichsten Drama­ turgien. Es gibt stringent erzählte Macht- und Familien­ geschichten wie „Mit einer Hand“. Es gibt streng sozio­ logisch recherchierte Textkondensate wie „Dieses Kind“. Es gibt im Brecht’schen Sinn des Wortes „Versuche“ wie „Die Händler“, wo der Niedergang einer kleinen Indus­ triestadt sinnlich fassbar gemacht wird durch die Kon­ frontation eines ausschließlich aus dem Off kommen­ den Textes einer Beteiligten mit ausschließlich stumm gespielten Szenen. Es gibt durch die Jahrhunderte sur­ fende fragmentierte Gebilde wie „Kreise/Visionen“. Es gibt in sich abgeschlossene Szenen kaleidoskop­ artig ­auf­fächernder Konstrukte wie „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“. Es gibt Adaptionen von Märchen wie „Rotkäppchen“ oder „Pinocchio“, die verblüffenderweise die Figuren und Situationen gänzlich gegenwärtig ­zeichnen, ohne dabei die Märchenwelt an die Gegenwart zu verraten. Seit Herbst 2015 gibt es mit „La Révolution # 1 – Wir schaffen das schon“ den radikalen und explo­ siven Ansatz, das historische Material der französischen Revolution ins Heute zu setzen. Pommerat verdichtet Situationen, die jede/r kennt, ob aus eigener Erfahrung oder durch kulturelle Prä­ gung, scheinbar unaufwändig und also unauffällig bis zum Siedepunkt, an dem sie schlackenlos werden. Er wertet nicht. Er erklärt nicht. Er zeigt. Und wirft uns da­ mit auf uns selbst zurück. Auf unsere je eigenen Erfah­ rungen, Hoffnungen, Wünsche, Ängste. Dabei kommen uns seine Geschichten immer irritierend bekannt vor. Wodurch sich unsere je eigenen Erfahrungen nicht mehr so eigen anfühlen, wie meist erhofft und oft be­ fürchtet. Wie er das macht? Er zapft unser kulturelles Gedächtnis an. Er schafft Echoräume. Er untersucht die alten Geschichten und setzt sie radikal und trocken dem Heute aus. Réécrire nennt Pommerat diesen Vorgang, zu Deutsch etwa „neu schreiben“ mit einem seman­tischen Hauch von Wieder-Holung. Womit er unser Gefühl der

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« Pinocchio ». Les belles tentations ne se font pas ­attendre : les propositions de mise en scène affluent des meilleures institutions théâtrales, des grands opé­ ras. Pommerat les décline toutes. Imperturbable, il préfère poursuivre son tra­ vail auprès de ses acolytes. Entre-temps, neuf nou­ velles productions ont été créées. À propos de l’Afrique, on dit que quand un vieillard meurt, c’est une bibliothèque qui brûle. C’est un peu ce qui se passe avec la compagnie. Quand un comédien s’en va, c’est quatre ou cinq années de travail de recherche qui partent dans la nature. Il y a un capital artistique qui se constitue avec des personnes. […] Ces comédiens – c’est en ce sens que c’est un collectif – font partie du poème. […] Ils ne disent pas un poème de Joël Pommerat, ils sont le poème en partie.

Plus urgent de montrer que d’expliquer Pommerat puise dans les courants dramaturgiques les plus divers. Il y a les histoires de famille sur fond de jeux de pouvoir, racontées avec une logique implacable, comme celle « D’une seule main ». Il y a les condensés textuels nés de recherches purement sociologiques, tel « Cet Enfant ». Il y a des « essais », au sens brechtien du terme, comme « Les Marchands », où le déclin d’une petite ville industrielle nous est rendu palpable grâce à la confrontation du texte, récité exclusivement par la voix off d’un des personnages, avec les scènes muettes jouées face au public. Il y a aussi « Cercles / Fictions », ensemble de pièces fragmentées qui naviguent entre les siècles, ou encore « La Réunification des deux Corées », présentant des scènes d’abord refermées sur elles-mêmes et qui se démultiplient comme un caléi­ doscope. Il y a enfin les relectures de contes célèbres, tels « Le Petit Chaperon rouge » et « Pinocchio », qui ancrent de manière sidérante personnages et situations dans un présent très actuel, sans pour autant trahir l’âme du conte en la rendant par trop contemporaine. Depuis l’automne 2015, il y a enfin « Ça ira (1) – Fin de Louis », d’un engagement radical et explosif, mettant en scène le matériau historique de la Révolution fran­ çaise dans le monde d’aujourd’hui.

Joël Pommerat, Jahrgang 1963, war zunächst Schauspieler, bevor er mit dem regelmäßigen Schreiben begann. 1990 gründete er die Compagnie Louis Brouillard. Von 2007 bis 2010 war er auf Einladung von Peter Brook Artist in Residence am Théâtre des Bouffes du Nord in Paris. Für „La Révolution #1 – Wir schaffen das schon“ erhielt er 2016 dreifach den wichtigsten franzö­ sischen Theaterpreis Molière. // Joël Pommerat, né en 1963, a suivi une formation d’acteur avant de commencer à écrire régulièrement. En 1990 il fonde la Compagnie Louis Brouillard. Entre 2007 et 2010 Peter Brook l’invite comme Artist in Residence au théâtre des Bouffes du Nord à Paris. En 2016 il obtient trois Molières pour « Ça ira (1) Fin de Louis ». Photo David Balicki


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Ins Dunkel – Pomme­ rats Texte und Insze­ nierungen klären nicht auf. Vielmehr werfen sie, wie das düstere Märchen „Pinocchio“ (2008), die Zuschauer auf sich selbst zurück. // Dans le noir – les textes et les mises en scène de Joël Pommerat n’éclairent pas. Au contraire, elles renvoient le specta­ teur à lui-même – comme dans le conte sombre « Pinocchio », créé en 2008. Photo Elizabeth Carecchio

historischen Einzigartigkeit untergräbt. Sein feiner la­ konischer Humor verstärkt diese Wirkung. Pommerat hat zu allem, was ihm auffällt, was ihn beschäftigt, was ihn quält, ausschließlich Fragen, die er über den Probenprozess sinnlich fassbar machen, aber nicht lösen will: Dahingehend denke ich auch, dass es dringender ist, zu zeigen als zu erklären. Dass darin sogar unsere einzige und wesentliche Aufgabe im Theater liegt: zeigen; etwas zeigen; und wie man es zeigt. Was den Text nicht ausschließt, denn auch die Sprache will gezeigt werden. Das Theater dient keinem Zweck, im Gegenteil, für mich muss es das Nachdenken vergiften und versuchen, uns aus uns selbst heraustreten zu lassen. Dadurch wird es, vielleicht, politisch.

Eine Finsternis, in die alles geht Bei aller Singularität des Schaffens von Joël Pommerat darf man nicht vergessen, dass es direkte Vorläufer oder, je nach Geschmack, Wegbereiter oder Inspirato­ ren gibt. Insbesondere ist diesbezüglich Michel Vina­ ver zu nennen, aber auch Jean-Luc Lagarce. Und als Geistesverwandte wären etwa Martin Crimp und, mit Stücken wie „Vorher/Nachher“ oder „Der Goldene ­Drache“, Roland Schimmelpfennig zu nennen sowie, in seiner Suche nach Synästhesien, durchaus auch Falk Richter. Wir bestehen aus Widersprüchen. Sie nicht sichtbar zu machen, hieße den Blick zu verstellen auf alles, was Schönheit in dieser Welt ausmacht. Aus dieser Überzeugung heraus kommt auch der Name meiner Kompanie, Louis Brouillard: Nebel in Opposition zur „Klarheit“, zum „französischen Geist“ mit seinen berühmten Dogmen wie „Was gut gedacht ist, lässt sich auch klar formulieren“.

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Joël Pommerat densifie des situations familières à cha­ cun d’entre nous, que ce soit par notre expérience propre ou nos marqueurs culturels ; avec ce qui semble à pre­ mière vue une grande économie de moyens – et donc sans effets trop flagrants –, il les porte jusqu’au point d’ébullition, les délivrant ainsi de toute scorie. Il ne juge pas. N’explique pas. Il donne à voir. Et nous renvoie du même coup à nous-mêmes. À nos expériences particulières, à nos espoirs, nos souhaits et nos an­ goisses. Ce qui fait que ses histoires ont toujours un petit air troublant de déjà-vu. Ainsi nos expériences propres perdent-elles ce qu’elles avaient de personnel à nos yeux – un sentiment que l’on souhaite autant qu’on le redoute. Comment fait-il ? Il se branche directement sur notre mémoire culturelle. Il crée des chambres d’écho. Il sonde les vieilles histoires et les oppose radicalement, sans détours, au temps présent. Réécrire, c’est le verbe qu’emploie Pommerat pour nommer son procédé. Qui lui permet de saper cette certitude que nous avons du caractère unique de l’Histoire. La finesse de son humour laconique accentue cet effet. Face à tout ce qui l’interpelle, l’occupe ou l’excède, Joël Pommerat n’oppose que des questions ; questions qu’il s’efforce de rendre sensibles au cours des répéti­ tions, sans néanmoins viser à les résoudre : En cela, je pense aussi qu’il est plus urgent de montrer que d’expliquer. Que c’est là, même, notre seul essentiel travail au théâtre : montrer, quoi montrer, comment montrer. Et sans exclure le texte, non, car la parole doit être montrée elle aussi. Le théâtre ne sert aucune cause, au contraire, pour moi il doit empoisonner la réflexion et tenter de nous faire sortir de nous-même. En cela, peut-être, il est politique.

Une noirceur dont tout émane En dépit de la profonde singularité qui caractérise les œuvres de Joël Pommerat, il ne faut pas oublier qu’il a des prédécesseurs en ligne directe, ou – choisissez l’ex­ pression – des précurseurs, des sources d’inspiration. Nommons tout particulièrement Michel Vinaver, mais aussi Jean-Luc Lagarce. Il faudrait y ajouter, pour ce qui est des affinités électives, Martin Crimp, et, avec des pièces telles que « Avant / Après » ou « Le Dragon d’or », Roland Schimmelpfennig. Falk Richter, dans sa quête de synesthésies, n’est pas non plus à négliger. Nous sommes composés de contradictions. En priver le regard, c’est lui dissimuler ce qui fait la beauté de chaque chose en ce monde. Louis Brouillard, le nom de ma compagnie, vient de ces convictions. J’ai pensé au terme brouillard en opposition avec « clarté », avec « l’esprit français », le fameux dogme du : « ce qui se pense bien s’énonce clairement. » Joël Pommerat ironise ici sur la phrase aujourd’hui pro­ verbiale tirée du « Discours sur l’universalité de la langue française », du comte de Rivarol, un essai qui fut d’ail­


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Letzteres ist eine ironische Attacke auf den sprichwört­ lich gewordenen Satz aus dem 1784 von der Berliner Akademie preisgekrönten Essay „Über die Universalität der französischen Sprache“ des Comte de Riverol: Was nicht klar ist, ist nicht französisch. Womit ich beim phi­ losophischen Ursprung von Pommerats Aufführungen angelangt bin. Auf diesem philosophischen Grund fin­ det sich, zwischen den jeweiligen Szenen, das unschein­ bare Wort Noir, zu Deutsch Schwarz. Es hat nichts mit dem branchenüblichen Black zu tun. Es bezeichnet viel­ mehr eine Finsternis, aus der alles kommt und in die alles geht. Thomas Bernhard hat davon geträumt. Genau dieses unermessliche Schwarz wirft uns auf uns selbst und unsere Ängste und Träume und Gedanken zurück, die die Rezeption der vorangegangenen wie der folgen­ den Szene prägen. Ein hochrationaler Topmanager wird plötzlich abergläubisch. Seine hochrationale ehrgeizige Frau steigt darauf ein. Schwarz. Ein allseits beliebtes, weil all­ zeit ausbeutbares Mädchen für alles in einem Super­ markt erfindet für sich in der Not ein ultrabrutales Bru­ derdouble. Schwarz. Eine wunderschöne Meerjungfrau lässt sich, um dem Schönheitsideal ihres Geliebten zu genügen, chirurgisch ihren Schwanz entfernen. Schwarz. Das jeweilige Verhalten charakterologisch zu be­ gründen, zeigt uns Pommerat, greift zu kurz. Jeder von uns kann sich je nach konkreter Situation so verhalten oder auch anders. Je nach den zumeist komplexen Um­ ständen reagieren wir so oder anders, und öfter, als uns lieb ist, anders als gedacht. Pommerat stößt einen auf diese zunächst unbehagliche Erkenntnis, die ich aller­ dings befreiend finde, zeigt sie doch, dass wir Möglich­ keitswesen sind, die jederzeit nach dahin oder nach dort­ hin kippen können. Man muss aufmerksam sein, lernt man bei Pommerat. Dabei erklärt er nichts. Er beschreibt nur unfassbar genau. „Erklärungen sind eigentlich Lü­ gen“, sagt der Lacanianer Avi Rybnicki. //

leurs distingué en son temps par l’Académie de Berlin et déclare en substance : ce qui n’est pas clair n’est pas français. Ce qui m’amène aux sources philosophiques du théâtre de Pommerat. On trouve, en analysant cette base philosophique, entre chaque scène, ce mot appa­ remment inoffensif qu’est noir. Et qui n’a rien à voir avec le terme de black, si rebattu dans le milieu théâtral. Car il renvoie bien davantage à une noirceur dont tout émane et à laquelle tout retourne. Thomas Bernhard en rêvait. C’est précisément cet incommensurable noir qui nous place de force devant notre propre moi, devant nos peurs, nos rêves et nos pensées qui vont déterminer la réception des scènes précédentes et de celles à venir. Un manager de haute volée, rationnel à l’extrême, devient brusquement superstitieux. Son ambitieuse de femme, elle aussi on ne peut plus rationnelle, se laisse envahir par le doute. Noir. Une jeune employée de super­ marché, bonne à tout faire très appréciée parce que trop influençable, finit en désespoir de cause par s’inventer un double masculin, un frangin ultraviolent. Noir. Afin de combler l’idéal de beauté rêvé par son amant, une su­ blime sirène recourt à la chirurgie esthétique pour faire enlever sa queue de poisson. Noir. Expliquer le comportement de l’une ou de l’autre en se fondant sur les caractères ? Trop facile, nous dit Pommerat. Chacun de nous se comportera de telle ma­ nière ou de telle autre, selon la situation. Les circons­ tances, souvent complexes, nous feront réagir comme ça ou autrement – et souvent, à notre grand dam, d’une ma­ nière inattendue. Joël Pommerat nous force à regarder en face cette découverte désagréable de prime abord, et que je trouve, pour ma part, libératrice ; car ne montre-telle pas que nous sommes des êtres ouverts à tous les possibles, toujours prompts à verser d’un côté ou de l’autre ? Pommerat nous apprend à ouvrir l’œil. Sans rien nous expliquer. Il se contente de décrire avec une terrible acuité. « Toute explication n’est au fond qu’un mensonge », dit le lacanien Avi Rybnicki. //

Der Text ist ein Auszug aus: Gerhard Willert: ‚Erklärungen sind

Ce texte est extrait d’un essai de Gerhard Willert intitulé

eigentlich Lügen‘, in: Joël Pommerat, „Die Wiedervereinigung

« Erklärungen sind eigentlich Lügen », accompagnant l’édition alle-

der beiden Koreas“, Merlin Verlag, Gifkendorf 2016.

mande de La Réunification des deux Corées (Merlin Verlag, 2016).

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Der Autor // L’auteur

Photo privat / privé

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Gerhard Willert, 1957 nahe Regensburg geboren, ist Regisseur. Von 1998 bis 2016 war er Schauspieldirektor am Landestheater Linz. 2014 inszenierte er dort in eigener Über­ setzung die deutsch­ sprachige Erstauffüh­ rung von Joël Pommerats „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“. // Gerhard Willert, né en 1957 près de Regens­ burg, est metteur en scène. Entre 1998 et 2016 il dirige le département théâtral au Landes­theater Linz où en 2014 il a mis en scène sa propre traduction de « La Réunification des deux Corées » de Joël Pommerat (première en langue allemande). willert@posteo.de

Traurig-komisches Kaleidoskop – „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“, uraufgeführt 2013 am Théâtre de l’Odéon in Paris, wurde in Deutschland mehrfach nachgespielt. Hier Stefan Ottenis Inszenierung in Potsdam 2015 // Caléidoscope tragi­ comique – créée en 2013 au Théâtre de l’Odéon, « La Réuni­­ fication des deux Corées » a connu plusieurs mises en scènes outre-Rhin – par example celle de Stefan Otteni à Potsdam en 2015. Photo Elizabeth Carecchio


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Modelliermasse Une masse à modeler

Die Arbeit am Text aus der Sicht des Autorenregisseurs Julien Gosselin // Le travail du texte selon Julien Gosselin, auteur-metteur en scène Daniel Loayza

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n Frankreich gibt es wie anderswo seit einigen Jah­ ren nicht mehr zwangsläufig eine substanzielle Einheit von Autor und Werk. Möglicherweise ist diese mittler­ weile weniger wichtig als früher. Ist der Autor (nur) so etwas wie ein Bewusstsein hinter dem Text? Spätestens seit Artaud kann man sagen: nein, nicht mehr. Sollte er der Einzige sein, dessen Name unter einem Werk steht? Noch einmal nein. Auf einmal ist die Grenze zwischen dem Verfassen eines Textes und der anschließenden Ad­ aption zuweilen unmöglich feststellbar. Für den Regisseur Julien Gosselin, Jahrgang 1987, der für bemerkenswerte Aufführungen auf der Basis zeitgenössischer Romane verantwortlich zeichnet („Ele­ mentarteilchen“ von Michel Houellebecq und „2666“ von Roberto Bolaño), ist die Arbeit des Adaptierens „bei­ nahe eine Art des zweiten Schreibens – zumindest ver­ stehe ich es so“, sagt er. Und erklärt weiter: „Natürlich mit einer absoluten Bescheidenheit: Houellebecq und Bolaño sind gewaltige Autoren. Doch wenn ich an einer Adaption arbeite, kann man sagen, dass ich versuche zu schreiben. Das Ergebnis ist ein Stück, ein Theaterstück (...) Ich versuche, einen Text zu produzieren, der stand­ hält, wenn man ihn in die Hand nimmt. Etwas, das man lesen kann und das bereits bei der Lektüre einen Ein­ druck vom Rhythmus dessen vermittelt, was die Auffüh­ rung sein könnte.“ Wie man sieht, handelt es sich um eine doppelte Arbeit. Zunächst besteht sie nicht nur darin, kleine Ver­ änderungen am Ausgangstext durchzuführen, um dar­ aus eine bereits vertraute theatrale Form zu extrahieren, zum Beispiel, indem man ihm die dialogischen Passa­ gen entnimmt. Es geht vielmehr darum, eine völlig neue Textform zu komponieren, die in erster Linie für die Bühne gedacht ist und trotzdem dicht genug, um auch unabhängig davon geschätzt zu werden. Anschließend und im umgekehrten Sinne besteht diese Arbeit auch nicht darin, beim Kontakt mit einem Werk, das als bloßer Vorwand behandelt wird, eine écriture de plateau, ein Generieren von Textmaterial im Pro­ benprozess, auszulösen, innerhalb dessen die ursprüng­

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epuis quelques années, en France comme ailleurs, il n’y a plus nécessairement – ou cela n’importe plus au­ tant qu’autrefois – de permanence/unicité « substan­ tielle » ni de l’auteur, ni de l’œuvre. L’auteur (n’)est-il (que) conscient ? Pas depuis Artaud (au moins). Doit-il être seul à signer ? Pas davantage. Du coup, la frontière entre écriture originelle et adaptation seconde devient parfois impossible à tracer. Pour Julien Gosselin, qui a signé de remarquables spectacles à partir de romans contemporains (« Les Particules élémentaires » de Mi­ chel Houellebecq ; « 2666 » de Roberto Bolaño), le tra­ vail d’adaptation « est presque une sorte de seconde écri­ ture – du moins je l’assume comme ça. Et dans une modestie absolue, évidemment : Houellebecq et Bolaño sont des auteurs immenses. Mais quand je travaille sur une adaptation, disons que ce que j’essaie d’écrire, c’est une pièce, une pièce de théâtre (...). J’essaie de produire un texte qui se tienne dès qu’on l’a en main, quelque chose qu’on puisse lire en sentant dès la lecture le rythme de ce que pourrait être le spectacle. » Ce travail, comme on voit, est double. D’abord, il ne consiste pas seulement à retoucher le texte de départ de façon à en extraire une forme théâtrale déjà familière, par exemple en y prélevant les passages dialogués, mais bien à composer une forme textuelle inédite, pensée sur de nouveaux frais pour la scène et cependant assez dense pour être appréciée dans son autonomie. Ensuite, et en sens inverse, ce travail ne consiste pas non plus à déclen­ cher, au contact d’une œuvre traitée comme simple pré­ texte, une « écriture de plateau » au sein de laquelle la


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liche Textualität verdünnt, ja sogar radikal aufgelöst würde. Stattdessen geht es darum, das Bühnengeschehen selbst durch die Konfrontation mit einer grundlegenden Eigenschaft der Romanvorlage – ihrer hartnäckigen Nicht-Theatralität – zu transformieren. Dieses gegensei­ tige Hinterfragen der literarischen und theatralischen Ebene kulminiert im vierten Teil der elfstündigen Pro­ duktion „2666“, der nach Gosselins Aussage „das Herz des Textes und auch der Aufführung darstellt“: Mehr­ mals wird in diesem „Teil der Verbrechen“ der Roman­ text projiziert und dem Publikum „einfach“ zum Lesen vorgesetzt. Der so hervorgerufene Effekt ist schwierig zu beschreiben, doch zahlreiche Zuschauer haben ihn ge­ spürt: Mittels „einer gewissen Form des Verschwindens des Schauspielers hinter der Literatur“ wird eben gerade die Literatur „in einer Art kollektivem Zwiegespräch“ herausgehoben, als würde die intime Erfahrung der ­ ­individuellen Lektüre durch das Ausstellen der Worte des Werks auf der Bühne vervielfacht. Gosselin lehnt es also ab, sich in die Ahnenreihe der interpretierenden oder adaptierenden Regisseure einzureihen. Denn trotz des Anscheins ist sein Ansatz ein vollkommen anderer: „Meine Arbeitsmechanik ist es, ein Objekt zu konstruieren.“ Und er fügt hinzu: „Die Textmasse garantiert mir irgendwann, dass dieses Ob­ jekt vollkommen modellierbar ist, dass ich damit ma­ chen kann, was ich will, wie ein bildender Künstler.“ Für ihn ist der Text also eher etwas „Textuelles“: kein von vornherein gegebener Sinn und keine vorgegebene Form, die es nun zu verändern oder zu transformieren (oder sogar zu zerbrechen) gilt, sondern: eine Modellier­ masse. //

textualité de départ serait diluée, voire radicalement dissoute, mais plutôt à contraindre l’énon­ ciation scénique à se transfor­ mer dans sa confrontation avec cette donnée de départ : la non-théâtralité résistante du texte romanesque. Cette mise à l’épreuve mutuelle des plans lit­ téraire et théâtral culmine dans la quatrième étape du spectacle « 2666 », qui constitue selon Gosselin « le cœur du texte, ce­ lui de la représentation aussi » ; à plusieurs reprises dans cette « partie des crimes », le texte du roman est projeté, « simple­ ment » donné à lire au public. L’effet ainsi produit est difficile à décrire, mais nombreux sont les spectateurs qui l’ont éprouvé ; à travers « une certaine forme de la disparition de l’acteur derrière la littérature », c’est bien la litté­ rature qui s’expose « dans une sorte de tête-à-tête collectif », comme si cette expérience intime entre toutes, la lecture, était elle aussi pluralisée par l’exposition à la scène des mots mêmes de l’œuvre. Gosselin refuse donc de se situer dans la lignée des metteurs en scène « interprètes » ou « adaptateurs ». Malgré les apparences, son approche est très différente : « Ma mécanique de travail à moi, c’est de construire un objet. » Et il ajoute : « la masse textuelle, à un moment, me garantit que cet objet est complètement modelable, que je peux en faire ce que je veux, comme un plasti­ cien. » Pour lui, le texte serait plutôt « du textuel » : non pas une forme-sens préalablement donnée qu’il s’agirait de modifier ou de transformer (voire de briser), mais une masse à modeler. //

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Gewaltige Vorlage – Roberto Bolaños Roman „2666“ brachte Julien Gosselin in einer elfstündigen Inszenierung auf die Bühne. Teile des Textes setzte er dem Publikum einfach als Lektüre vor. // Monstre sacré – le roman « 2666 » de Roberto Bolaño a inspiré à Julien Gosselin une version scénique dans laquelle des extraits du texte sont lus directement face au public. Un spectacle qui dure onze heures. Photo Simon Gosselin

Julien Gosselin, Jahrgang 1987, gründete 2009 seine Kompanie Si vous pouviez lécher mon Coeur. 2013 adap­ tierte er „Elementarteilchen“ von Michel Houellebecq, derzeit ist er assoziierter Künstler am Théâtre national de Stras­ bourg. // Né en 1987, Julien Gosselin a créé sa compagnie Si vous pouviez lécher mon cœur en 2009. En 2013, il a adapté les « Particules élémentaires » de Michel Houellebecq. Il est actuellement artiste associé du Théâtre national de Strasbourg. Photo Jean-Louis Fernandez


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eux constats s’imposent à qui suit l’évolution de l’écriture dramatique en France et de ses liens avec la politique. Le premier est l’intense production actuelle de pièces et de poèmes dramatiques, le second tient à la forte prégnance de l’actualité, de la réalité, des questions sociales dans les inspirations des auteurs contempo­ rains. Ce second point ne peut être envisagé sans être rapporté à la vie politique. Il est notable en effet que la dégradation du climat social, les conséquences effectives du néolibéralisme — et la précarisation généralisée des conditions de vie qui touche aussi les auteurs —, son tournant autoritaire, la déliquescence des institutions de la Vè République, le climat prégnant d’islamophobie et l’existence d’une extrême droite offensive se retrouvent, sous des formes diverses, dans les œuvres. De même que l’espérance, parfois ténue, issue des mouvements sociaux de ces dernières années.

C’est quoi, un théâtre politique ?

Die Unsichtbaren und Unhörbaren Les invisibles et les inaudibles Spielarten politischen Schreibens auf Frankreichs Bühnen // Le champ des écritures politiques en France aujourd’hui

Olivier Neveux

La difficulté, cependant, est grande dès lors qu’il s’agit de désigner la part politique d’une écriture. Que désigne une telle dénomination : les processus de production et de fabri­ cation ? Les modalités de la réalisation ? La fable ? Le maté­ riau dramaturgique ? Les formes convoquées ou expéri­ mentées ? Les finalités (que se donnent-t-elles pour tâches : édifier, révéler, formaliser, déplacer, alerter, décrire, obser­ ver) ? Chacune de ces questions comprend, en puissance, des enjeux politiques. Et peut-on, en outre, conclure sans réserve à l’apolitisme de pièces, il est vrai, sans contenu ni signes explicites mais qui participent au maintien de l’ordre tel qu’il est, à la perception du monde à l’identique de ce que les dominations avalisent et naturalisent ? On le voit, l’inter­ rogation en apparence simple (« le théâtre politique au­ jourd’hui ») s’avère bel et bien complexe. Une possibilité serait d’énoncer quelques-uns des noms qui composent cette hétérogène constellation (en âges, en statuts, en reconnaissances) : Baptiste Amann, Marine Bachelot Nguyen, Vincent Bady, Guillaume Cayet, Céline Champinot, Enzo Cormann, Samuel Gallet, Lance­ lot Hamelin, Kevin Keiss, Nicolas Lambert, Lazare, David Lescot, Sylvain Levey, Philippe Malone, Magali Mougel, Mariette Navarro, Dieudonné Niangouna, Joël Pommerat, Jean-Yves Picq, Guillaume Poix, Olivier Py, Olivier Sacco­ mano, Michel Simonot, Pauline Sales, Carole Thibaut… Mais énumération n’est pas raison. Il faut tenter de sérier les questions qui se posent. À titre d’hypothèses, on relè­ vera, parmi d’autres, trois enjeux majeurs qui semblent structurer le champ de ces écritures.

Des formes du théâtre documentaire Le premier tient aux « documents » et aux divers types de travaux qui peuvent s’en déduire. Les œuvres rendent compte de lectures, d’enquêtes, montent et collent des données de diverses natures. Elles ont, massivement,


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erfolgt man die Entwicklung von Bühnentexten in Frankreich und deren Bezüge zur Politik, drängen sich zwei Feststellungen auf. Die erste betrifft die intensive Produktion zeitgenössischer Stücke und dramatischer Gedichte, die zweite hängt mit dem starken Interesse der zeitgenössischen Autoren am Tagesgeschehen, an Realität und gesellschaftlichen Fragen zusammen. Dieser zweite Punkt lässt sich nicht ohne einen di­ rekten Bezug zum politischen Leben betrachten. In der Tat finden sich die Verschlechterung des gesellschaftli­ chen Klimas, die spürbaren Auswirkungen des Neolibera­ lismus und die allgemeine Prekarisierung der Lebensbe­ dingungen – von der auch Autoren betroffen sind –, die Hinwendung zu autoritären Ideologien, die Auflösung der Institutionen der Fünften Republik, das stark von Isla­ mophobie geprägte Klima und die Existenz einer offensiv agierenden extremen Rechten, in unterschiedlichster Form in den Werken wieder. Inspiriert von den sozialen Bewegungen der letzten Jahre findet auch ein (manchmal nur schwaches) Gefühl der Hoffnung darin Platz.

Was ist das eigentlich, politisches Theater? Wirklich schwierig allerdings wird es, wenn es darum geht, den politischen Anteil einer Autorenschaft auszu­ weisen. Was rechtfertigt eine derartige Bezeichnung? Die Prozesse von Produktion und Fabrikation? Die Be­ dingungen ihrer Realisierung? Die Fabel? Das dramatur­ gische Material? Die zitierten oder erprobten Formen? Der Zweck? (Was nehmen sich die Autoren als Aufgabe vor? Unterhalten, offenbaren, systematisieren, verschie­ ben, warnen, beschreiben, beobachten?) Jeder einzelne dieser Aspekte enthält potenziell politische Fragestellun­ gen. Kann man aber im Umkehrschluss dazu uneinge­ schränkt auf den unpolitischen Charakter von Stücken schließen, wenn sie weder expliziten Inhalt noch explizi­ te Zeichen aufweisen, sondern zum Erhalt der bestehen­ den Ordnung beitragen? Wenn sie die Welt und die Herrschenden als natürlich gegeben wahrnehmen und bekräftigen? Eines wird deutlich: Die scheinbar einfache Fragestellung („Das politische Theater heute“) erweist sich als reichlich komplex. Eine Möglichkeit wäre nun, einige der Namen auf­ zuzählen, die die in Bezug auf Alter, Status und Aner­ kennung heterogene Konstellation zeitgenössischer Au­ torschaft in Frankreich bilden: Baptiste Amann, Marine Bachelot Nguyen, Vincent Bady, Guillaume Cayet, Céline Champinot, Enzo Cormann, Samuel Gallet, Lancelot Hamelin, Kevin Keiss, Nicolas Lambert, Lazare, David Lescot, Sylvain Levey, Philippe Malone, Magali Mougel, Mariette Navarro, Dieudonné Niangouna, Jean-Yves Picq, Joël Pommerat, Guillaume Poix, Olivier Py, Olivier Saccomano, Pauline Sales, Michel Simonot, Carole Thi­ baut … Doch eine solche Aufzählung erklärt nichts. Viel­ mehr sollte man versuchen, die Fragen, die sich stellen, systematisch aufzugliedern. In Form von Hypothesen

dramaturgies et politique

v­ aleur de contre-information : ce que les médias domi­ nants ne disent pas, le théâtre le met en scène ; les « in­ visibles » ou les « inaudibles » trouvent sur les plateaux des espaces propices à l’expression d’une parole tue ou déformée... Le document atteste l’authenticité des réfé­ rents du plateau. L’œuvre assume un substrat qui lui est extérieur. De là, se repèrent des approches contradic­ toires de la « fable », de sa nécessité et de sa stabilité et il est notable que le théâtre contemporain déploie un spectre passionnant d’options quant au devenir du drame. Documenter : telle serait une des missions que se donne le théâtre dans toute l’ambivalence du terme. Sera-t-il théâtre documentaire, théâtre documenté, docu­ mentaire théâtral (au sens des documentaires radiopho­ niques), ou document théâtral (lorsque le théâtre devient à son tour le document) ? La question, ouverte, ne peut s’appréhender à l’aune d’une histoire pourtant dense : ce théâtre est irréductible, par exemple, aux recommanda­ tions rigoureuses de Peter Weiss dans ses « notes sur le théâtre documentaire » — et notamment à son orienta­ tion marxiste.

Fétichisme de la réalité vs. utopies Un deuxième enjeu tient à la « réalité ». Elle est désor­ mais omniprésente, échelle et destination des projets critiques, au point qu’on serait tenté d’emprunter, pour décrire la situation, le titre du bel essai de la poète Annie Le Brun : « Du trop de réalité ». Un tel fétichisme de la réalité se heurte à toute une tradition théâtrale politique qui a longtemps fait prévaloir ce qui devait être sur ce qui était. Ce point se double d’un questionnement lancinant mais relancé depuis quelques années : il tient au degré

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Der Autor // L’auteur

Photo privat / privé

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Olivier Neveux lehrt Theatergeschichte und -ästhetik an der Universität in Lyon. 2013 erschien von ihm ein viel beachtetes Buch über politisches Theater heute. Er ist zudem Chefredakteur der renommierten Theaterzeitschrift Théâtre/Public. // Olivier Neveux est professeur d’histoire théâtrale et d’esthétique à l’Université de Lyon. Il est l’auteur de « Politiques du spec­tateur : Les enjeux du théâtre politique aujourd’hui » (2013) et rédacteur en chef de Théâtre/Public. olivier. neveux@ens-lyon.fr

Schöne Geste – „La Beauté du geste“ heißt eine Trilogie von Olivier Saccomano (l.), die die Beziehung zwischen politischer und theatraler Aktion untersucht. „L’Instant décisif“ (S. 30) ist der erste Teil (2017). // Dans sa trilogie « La Beauté du geste », Olivier Saccomano (à gauche), sonde les relations entre l’action politique et théâtrale. « L’Instant décisif » (p. 30) en constitue la première partie (2017). Photo Jean-Louis Fernandez


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Sehen, was ist – Michel Vinaver gehört zu den Autoren, die die Realität beschreiben. In „La Demande d’emploi“ erzählt er von Arbeitslosigkeit. Der 1973 entstandene Text wurde 2016 von Gilles David an der Comédie-Française in Paris inszeniert. // Scruter ce qui est – Michel Vinaver fait partie de ces dramaturges qui décrivent le réel. Sa pièce « La Demande d’emploi » a pour thème le chômage. Écrite en 1973, elle a été mise en scène en 2016 par Gilles David à la ComédieFrançaise. Photo Brigitte Enguerand/ collection de la Comédie-Française

sollen hier daher drei Hauptaspekte festgehalten wer­ den, die den Bereich der Textproduktion zu strukturie­ ren scheinen.

Formen von Dokumentartheater Der erste Aspekt hat mit den „Dokumenten“ und den unterschiedlichen Arbeitsweisen zu tun, die sich daraus ableiten lassen. Die Werke zeugen von literarischer und faktischer Recherche, häufen Informationen unter­ schiedlicher Art an und fügen sie zusammen. Vor allem verstehen sie sich als eine Art Gegen-Information: Was die Massenmedien nicht berichten, bringt das Theater auf die Bühne. Die „Unsichtbaren“ oder „Unhörbaren“ erobern dort Räume, in denen es möglich ist, eine totge­ schwiegene oder deformierte Sprache zu entwickeln. Das Dokument bezeugt die Authentizität der Bezugs­ punkte der Bühne. Das Werk transportiert ein Substrat, das außerhalb seiner selbst liegt. Davon ausgehend las­ sen sich widerstreitende Herangehensweisen an die „Fa­ bel“ feststellen, an ihre Notwendigkeit und ihre Stabili­ tät. Es ist erwähnenswert, dass das zeitgenössische Theater in Bezug auf die nähere Zukunft des Dramas ein spannendes Spektrum an Optionen entfaltet. Eine der Aufgaben, die sich das Theater in der gesamten Viel­ deutigkeit des Ausdrucks stellt, ist die, zu dokumentie­ ren. Wird es dabei Dokumentartheater sein, dokumen­ tiertes Theater, theatrale Dokumentation (im Sinne einer Radiodokumentation) oder theatrales Dokument (wenn das Theater selbst zum Dokument wird)? Diese offene Frage lässt sich nur vor dem Hinter­ grund der bereits äußerst ereignisreichen Theater­

d’extériorité et de neutralité qu’entend observer l’auteur par rapport au « monde ». On ne saurait, à cet égard, ignorer l’apport de deux nonagénaires inspirants : ­Michel Vinaver et Armand Gatti. Leurs œuvres dessinent toutes deux comme les polarités d’un champ qui se ­réinventent, pour l’un passionné par le réel, pour l’autre par ce qui ne l’est pas encore, l’un constatif et elliptique, l’autre avant-gardiste et inflationniste, l’un oblique, l’autre vertical.

La catégorie de politique Le troisième enjeu tient à la catégorie de politique. Elle ne saurait en effet se confondre sans dommage avec le « social », l’« éthique », l’ « économique » : elle suppose une spécificité —fût-elle changeante. Il ne suffit pas à une œuvre d’être influencée, de façon explicite, par la réalité pour être politique. Il y a là un objectif majeur : importer dans le champ conflictuel de la politique (qui possède ses propres rythmes, ses paradigmes, son histo­ ricité) cet intérêt ou ce souci pour le présent. Il se trouve, en effet, que si « tout n’est pas politique » (une telle affir­ mation dissout le propre de la politique), en revanche « tout peut être politisé ». En conséquence, les œuvres oscillent, par-delà leurs thématiques et même leurs formes, entre opération de politisation et substitution à cette dimension, au risque parfois de sombrer dans des catéchismes vertueux ou des proclamations consen­ suelles. Cela n’est pas sans indiquer, en retour, le jeu des orientations qui animent, plus ou moins souterraine­ ment, mais de façon décisive, toute tentative de pratique politique. //


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geschichte betrachten: Ein solches Theater lässt sich zum Beispiel nicht auf die strengen Vorgaben eines ­Peter Weiss reduzieren, die dieser in seinen „Notizen zum dokumentarischen Theater“ festgehalten hat – und vor allem nicht auf deren marxistische Maxime.

Wirklichkeitsfetischismus und Utopie Ein zweiter Aspekt hat mit der „Wirklichkeit“ zu tun. Sie ist nunmehr als Maßstab und Zielsetzung kritischer Projekte dermaßen allgegenwärtig, dass man in Versu­ chung gerät, den Titel eines überaus gelungenen Essays der Lyrikerin Annie Le Brun zu entleihen, um die Situa­ tion zu beschreiben: „Du trop de réalité“ (Vom Übermaß an Wirklichkeit). Ein derartiger Wirklichkeitsfetischis­ mus prallt mit einer langen Tradition des politischen Theaters zusammen, die das, was sein sollte, über das stellte, was war. Dieser Punkt wird von einer bohrenden Frage begleitet, die seit einigen Jahren dennoch immer wieder gestellt wird: der Frage nach dem Grad an Ab­ stand und an Neutralität, die der Autor in seiner Bezie­ hung zur „Welt“ einhalten möchte. In Bezug darauf ist der Beitrag zweier inspirierender 90-Jähriger nicht zu vernachlässigen: Michel Vinaver und Armand Gatti. Ihre Werke bezeichnen gewissermaßen die entgegengesetz­ ten Pole eines Feldes, das sich gerade neu erfindet: der eine mit seinem leidenschaftlichen Interesse an dem, was wirklich ist, der andere mit seiner Leidenschaft für das, was noch nicht wirklich ist; der eine feststellend und elliptisch; der andere avantgardistisch und inflatio­ när; der eine schräg, der andere vertikal.

Die Kategorie des Politischen Der dritte Aspekt der Textproduktion hat mit der Katego­ rie des „Politischen“ zu tun. Diese kann nicht mit dem „Gesellschaftlichen“, „Ethischen“ oder „Ökono­mischen“ verwechselt werden, ohne dabei Schaden zu nehmen: Sie setzt nämlich eine, wenn auch veränderliche, Beson­ derheit voraus. Nicht allein die Tatsache, dass ein Werk explizit von der Wirklichkeit beeinflusst ist, macht es zu einem politischen Werk – sondern sein Ziel, das Interes­ se an oder die Sorge um die Gegenwart in den um­ kämpften Bereich der Politik zu importieren, die ihre eigenen Rhythmen, Paradigmen und ihre eigene Ge­ schichtlichkeit besitzt. In der Tat lässt sich feststellen, dass zwar „nicht alles politisch ist“ (eine derartige Behauptung löst das spezifische Merkmal des Politischen auf), doch dass im Gegenzug „alles politisiert werden kann“. Folglich oszillieren die Werke auf Frankreichs Bühnen jenseits ihrer Thematiken und sogar ihrer Formen zwischen politisierender Aktion und dem Versuch, diese Dimen­ sion zu ersetzen – zuweilen auf die Gefahr hin, in Moral­ predigten oder Konsensbekundungen zu verfallen. Doch gleichzeitig ist es dieses Spiel der ideologischen Ausrich­ tungen, das mehr oder weniger im Verborgenen aber doch ganz entscheidend jeglichen Versuch politischer Praxis beseelt. //

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Pauline Sales, Jahrgang 1969, ist Ko-Direktorin des regionalen Theaters Le Préau in der Normandie, wo 2018 von ihr „66 Pulsations par minute” urauf­ geführt wird. Ihr Stück „Im Bau“ erschien in „Scène 17“ im Verlag Theater der Zeit. // Pauline Sales, née en 1969, est co-direc­ trice du Préau, théâtre national de Normandie, qui accueillera en 2018 la création de son « 66 Pulsations par minute ». Sa pièce « En travaux » a été publiée par les éditions Theater der Zeit dans la collection « Scène 17 ». Photo Cedric Baudu

Michel Vinaver, Jahrgang 1927, arbeitete 30 Jahre in einem privaten Unter­ nehmen, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine Stücke thematisieren die Funktionsweisen der marktorientierten Arbeitswelt. // Michel Vinaver est né en 1927. Il a travaillé pendant 30 ans dans une entreprise privée avant de se consacrer pleinement à l’écri­ ture. Ses pièces s’intéressent princi­ palement au monde du travail à l’ère du marché roi. Photo Ted Paczula

David Lescot, Jahrgang 1971, arbeitet als Autor, Musiker und Regisseur. Zuletzt veröffentlichte er 2015 mit „Les Glaciers grondants“ (Die grum­ melnden Eisberge) ein Stück über den Klima­ wandel, in dem er auch selbst auf der Bühne stand. // David Lescot, né en 1971, est auteur, musicien et metteur en scène. Pour sa dernière pièce, « Les Glaciers grondants » (2015), qui aborde le change­ ment climatique, il est également interprète. Photo David Lescot


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Ein Erbe des Kolonialismus Un héritage du colonialisme Wie schwer sich französische Theaterbühnen mit dem Begriff der Diversität tun // La notion de « diversité » donne du fil à retordre aux scènes françaises


dramaturgies et politique

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ls Olivier Py, der Leiter des Festival d’Avignon, im März 2017 sein Programm vorstellt, lässt eine heftige Re­ aktion nicht lange auf sich warten: „Einen Kontinent ohne seine Sprache einzuladen, ist, als würde man einen Toten einladen. Als würde man behaupten, dass Afrika nicht spricht und kein theatrales Denken hervorbringt“, schreibt der kongolesische Dramatiker, Schauspieler und Regisseur Dieudonné Niangouna wenig später in einem offenen Brief. Worum ging es Niangouna? Nachdem Olivier Py 2016 vollmundig versprochen hatte, die nächste Festival­ ausgabe besonders dem Kulturraum der Subsahara zu widmen, beschränkten sich die 2017 eingeladenen Pro­ duktionen lediglich auf die Genres Tanz und Musik. Da­ bei hat sich seit einigen Jahren eine neue Generation von Theatermachern aus den ehemaligen Kolonien auch in Europa durchgesetzt. Künstler wie Aristide Tarnagda aus Burkina Faso oder Julian Mabiala Bissila aus der Republik Kongo spielen anarchisch mit Theatercodes und erschüt­ tern dabei häufig die Gewohnheiten eines europäischen Publikums.

Brüche in der Gesellschaft Dieudonné Niangouna ist einer der wenigen subsahari­ schen Künstler, die den Sprung in das System der gro­ ßen Theater und Festivals geschafft haben. 2013 war er als erster afrikanischer Künstler artiste associé des Festi­ val d’Avignon (damals noch unter der Intendanz des Kuratorenduos Hortense Archambault und Vincent ­ Baudriller) und verstörte mit seiner Kreation „Shéda“ das Publikum. Der 1976 in Brazzaville geborene Künst­ ler ist der Superstar unter den Dramatikern des franko­ fonen Afrika. Er veröffentlicht seine Texte in Frankreich, produziert zwischen Afrika und Europa und gründete vor 13 Jahren das Festival Mantsina sur scène in Brazza­ ville. Als Regisseur, Schauspieler, Vielschreiber und politisch engagierter Künstler zieht er keine Grenze ­ ­zwischen den Kontinenten, sondern zeigt gemeinsame Problematiken und Verstrickungen auf. In seinen ­Stücken verbinden sich die unterschiedlichsten künstle­ rischen Einflüsse zu mäandernden Textflächen, die in ihrem epischen Furor die Narration in den Hintergrund drängen. Im Geiste seines Vorbilds, des kongolesischen Dramatikers und Romanciers Sony Labou Tansi, der seit den 1970er Jahren durch seine anarchische Sprache das Standardfranzösisch mit Einsprengseln afrikanischer Lokalsprachen zum Explodieren brachte und zu einem neuen theatralen Selbstbewusstsein in Westafrika bei­ trug, betont Niangouna die Brüche in der zeitgenös­ sischen Gesellschaft und hält dem dekadenten Westen in seinem Theater immer wieder den Spiegel vor. Einer seiner direkten Nachfolger ist der 1987 gebo­ rene Hakim Bah, ein junger Autor aus Guinea, der nach

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n mars 2017, quand Olivier Py, directeur du Festival d’Avignon, présente son programme, la réaction ne se fait pas attendre et elle est ulcérée : « Inviter un conti­ nent sans sa parole est inviter un mort. C’est une façon (…) de déclarer que l’Afrique ne parle pas, n’accouche pas d’une pensée théâtrale (…) », écrit le dramaturge, comé­ dien et metteur en scène congolais Dieudonné Niangou­ na dans une lettre ouverte. Pourquoi cette colère ? Bien qu’Olivier Py ait pro­ mis, en 2016, de placer la prochaine édition du festival sous le signe de l’espace culturel subsaharien, les pro­ ductions invitées en 2017 se cantonnent exclusivement à la musique et à la danse. Et ce alors même qu’une nou­ velle génération de femmes et d’hommes de théâtre ve­ nus des anciennes colonies s’est imposée en Europe de­ puis quelques années. Des artistes tels que le Burkinabé Aristide Tarnagda ou Julien Mabiala Bissila du Congo-Brazzaville, secouent les codes théâtraux de fond en comble, ébranlant souvent les habitudes du public eu­ ropéen.

Linke Seite: Epischer Furor – Der kongolesische Autor, Regisseur und Schau­ spieler Dieudonné Niangouna hält mit Stücken wie dem apokalyptisch-dionysischen „Nkenguégi“ (2016) dem dekaden­ ten Westen den Spiegel vor. // Page gauche : Fureur épique – dans ses pièces apocalyptico-dionysiaques, telle « Nkenguégi » (2016), l’auteur, metteur en scène et comédien congolais Dieudonné Niangouna montre à l’Occident décadent son propre reflet. Photo Christophe Raynaud de Lage

Ces fêlures qui traversent la société Dieudonné Niangouna est l’un des rares artistes sub­ sahariens à s’être durablement installés dans le paysage des grands théâtres et festivals français. En 2013, il fut le premier dramaturge africain invité en tant qu’« artiste associé » par le Festival d’Avignon (alors codirigé par Hortense Archambault et Vincent Baudriller), et déran­ gea le public avec la création de son « Shéda ». Né en 1976 à Brazzaville, Niangouna est la superstar des théâtreux d’Afrique francophone. Si ses textes sont publiés en France, ses productions sont créées entre l’Afrique et l’Europe, et il a fondé il y a 13 ans le Festival Mantsina sur scène à Brazzaville. À la fois metteur en scène, comédien, écrivain (prolixe) et artiste au fort enga­ gement politique, Dieudonné Niangouna, plutôt que de tracer des frontières entre les continents, préfère en sou­ ligner les problématiques et les implications communes. Dans ses pièces s’enchevêtrent les influences artistiques les plus diverses, s’épanouissant en surfaces textuelles ramifiées où la narration est reléguée à l’arrière-plan par la fureur épique. Son modèle, le dramaturge et roman­ cier congolais Sony Labou Tansi, a contribué depuis les années 1970 à l’émergence d’une nouvelle conscience théâtrale en Afrique de l’Ouest, au moyen d’une langue anarchisante qui fait imploser le français standard en y injectant divers idiomes africains. Dans le sillage de La­ bou Tansi, Niangouna fait ressortir les fêlures qui tra­ versent la société moderne, tendant infatigablement, au fil de ses pièces, le miroir à un Occident en pleine déca­ dence. L’un de ses successeurs en ligne directe est le poète Hakim Bah, né en 1987 et originaire de Guinée. Après des études d’informatique à Conakry et de théâtre à Paris, Bah s’est installé en France pour de bon. Le jeune

Die Autorin // L’auteur e

Photo Vincent Arbelet

Leyla-Claire Rabih & Frank Weigand

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Leyla-Claire Rabih arbeitet als Regisseurin in Frank­reich und Deutschland. Mit ihrer Kompanie Grenier Neuf in Dijon inszeniert sie vorwiegend zeitgenössische Dramatik. Seit 2011 ist sie Ko-Heraus­ geberin der Reihe „Scène – neue franzö­ sische Theaterstücke“ im Verlag Theater der Zeit. // Leyla-Claire Rabih travaille comme metteuse en scène en France et en Allemagne. Avec sa compagnie Grenier Neuf à Dijon elle monte surtout des textes contemporains. Depuis 2011 elle est, avec Frank Weigand, directrice de la publication annuelle « Scène », anthologie de pièces de théâtre contemporain francophones. leylarabih@gmx.de


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Theatrale Soap-Opera – Die franco-vietname­ sische Autorin und Regisseurin Marie Bachelot-Nguyen (r., Foto Thierry Laporte) ist eine der Wortführerinnen der Vereinigung Décoloniser les Arts. Ihre Komödie „La Place du chien“ nimmt sich die Beziehung einer Französin und eines Kongolesen vor – und die Literatur zum Postkolonialismus. // Soap-opera théâtral – l’auteure et metteuse en scène francovietnamienne Marie Bachelot-Nguyen (à droite) est l’une des porte-parole de l’association Décolo­ niser les Arts. Sa comédie « La Place du chien » se penche sur la relation entre une Française et un Congolais, à la lumière de la littérature postcoloniale. Photo C. Albain

einer Informatikerausbildung in Conakry und einem Dra­ maturgiestudium in Paris mittlerweile dauerhaft in Frank­ reich lebt. Bah gelingt es, den wilden Sprachfluss zeit­ genössischer afrikanischer Dramatik mit einer stringenten Dramaturgie zu verbinden. Seine Texte sind kürzer, ge­ ordneter und übersichtlicher als die von Niangouna. In ­Stücken wie „Sur la pelouse“ (Auf dem Rasen) und „La Nuit porte caleçon“ (Die Nacht trägt Shorts) schafft er den Sprung von typisch afrikanischen Themen wie dem Geno­ zid in seiner Heimat hin zu formalen Fragen und allge­ meiner Globalisierungsproblematik. In seinem neuesten Text „Convulsions“ (Krämpfe) greift er Figuren aus der griechischen Mythologie auf, um sie als Erklärungsmodell für die unübersichtliche Gegenwart heranzuziehen.

Frankofonie und positive Diskriminierung Obwohl es vordergründig um Afrika zu gehen scheint, berührt die Debatte um das Festival d’Avignon einen sen­ siblen Nerv in der französischen Gesellschaft. Deren sprichwörtliche Diversität ist nämlich vor allem ein Erbe des Kolonialismus. Nachkommen der Kongolesen, Ma­ rokkaner, Algerier, Sudanesen und Vietnamesen, die noch vor 100 Jahren Teil des französischen Imperiums waren, leben längst als Inhaber der Staatsbürgerschaft im Mutterland. Doch so groß der Anteil der postkolonia­ len Franzosen an der Bevölkerung auch sein mag, weder in der Politik noch in der offiziellen Hochkultur sind sie angemessen repräsentiert. Auch in Frankreich geborene Autoren mit Migrati­ onshintergrund haben große Schwierigkeiten, als fran­ zösische Autoren anerkannt und sichtbar zu werden. Die institutionelle Kultur neigt dazu, sie aus dem künst­ lerischen Bereich in den soziokulturellen Bereich zu drängen. Festivals wie die Francophonies in Limoges

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auteur parvient à soumettre le flot torrentiel du nouveau théâtre africain aux lois d’une dramaturgie solide et co­ hérente. Ses textes sont plus concis, ordonnés et acces­ sibles que ceux de Niangouna. Dans des pièces telles que « Sur la pelouse » ou « La Nuit porte caleçon », il consacre le mariage entre des thèmes purement africains, comme le génocide qui a meurtri son pays, avec des questions formelles ou des problématiques plus larges, liées à la globalisation. Son dernier texte en date, « Convulsions », convoque des personnages tirés de la mythologie grecque, que Hakim Bah transforme en symboles éclai­ rant les troubles de la société contemporaine.

« Francophonie » et discrimination positive Si le débat autour du Festival d’Avignon semble se polari­ ser avant tout sur la question de l’Afrique, il touche en fait un nerf sensible de la société française. Car sa « di­ versité » proverbiale est avant tout un héritage de la colo­ nisation. Voilà longtemps que les descendants des Congolais, des Marocains, des Algériens, des Soudanais et des Vietnamiens qui faisaient partie de l’Empire fran­ çais au siècle dernier, vivent avec la nationalité française dans un pays qui est devenu leur patrie. Pourtant, mal­ gré la très grande part des Français aux origines « postco­ loniales » dans la population du pays, ceux-ci ne sont dûment représentés ni dans la politique, ni dans la grande culture officielle. Même constat pour les auteurs d’origine étrangère nés en France : ils ont toutes les peines du monde à être reconnus comme auteurs français, et à jouir de la même visibilité. La culture institutionnelle a tendance à les sor­ tir du champ artistique pour les cantonner au champ socioculturel. Certains festivals, comme les Francopho­ nies de Limoges, et des salles comme Le Tarmac, à Paris,


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Hakim Bah, Jahrgang 1987, schafft in seinen Stücken den Spagat zwischen typisch afrikanischen Themen und Globalisierungsproblematik. // Né en 1987, Hakim Bah réalise dans ses pièces le grand écart entre des thèmes typiquement africains et des problématiques liées à la globalisation. Photo Alexandre Gouzou

Aristide Tarnagda, Jahrgang 1983, ist Autor, Regisseur und Schauspieler. Seit 2014 ist er Ko-Leiter des Festivals Les Récréâtrales in Ouagadougou. // Aristide Tarnagda, né en 1983, est auteur, metteur en scène et comédien. Il codirige depuis 2014 le Festival Les Récréâtrales à Ouagadougou. Photo Émile Lansman

Dieudonné Niangouna, Jahrgang 1976, wurde 2013 als erster Afrikaner artiste associé des Festival d’Avignon. // Né en 1976, Dieudonné Niangouna a été le premier artiste associé africain du Festival d’Avignon en 2013. Photo Patrick Fabre

und Spielstätten wie Le Tarmac in Paris präsentieren die Produktionen von Autoren mit Migrationshintergrund auf der gleichen Ebene wie die subsaharischer oder ma­ ghrebinischer Theaterkünstler und subsumieren beides unter dem Begriff Frankofonie. Wie Dieudonné Niangouna zornig ausführt, ist Oli­ vier Pys Programmgestaltung umso ärgerlicher, als in Frankreich derzeit eine Diskussion über Diversität auf den Bühnen stattfindet. Renommierte Intendanten wie Stanislas Nordey und Arnaud Meunier haben zu Diskus­ sionsrunden auf ihre Bühnen geladen, die zu einem Ver­ fahren der positiven Diskriminierung geführt haben: An den staatlichen Theaterschulen soll es nun Sonderklassen für „der Diversität entstammende“ Studierende geben.

présentent les productions d’auteurs issus de l’immigra­ tion sous le même dénominateur que celles de drama­ turges subsahariens ou maghrébins : pour eux, les uns et les autres appartiennent à la « francophonie ». Comme le souligne Dieudonné Niangouna avec rage, la programmation d’Olivier Py est d’autant plus malheureuse que certains théâtres français accueillent en ce moment des débats sur la diversité. Des directeurs dont la renommée n’est plus à faire, tels Stanislas Nordey et Arnaud Meunier, ont invité des cercles de discussion à investir leur scène, initiative qui a favorisé la discrimina­ tion positive : les écoles nationales de théâtre devraient ouvrir des classes spéciales pour étudiants « issus de la diversité ».

Entkolonisierung der Kunst

Décoloniser les arts

Gleichzeitig äußert sich die Kritik an der weißen jü­ disch-christlichen Dominanz im Kulturbereich zuneh­ mend besser organisiert: Die Vereinigung Décoloniser les Arts (Für eine Entkolonialisierung der Kunst), die aus Schauspielern, Autoren, Regisseuren, bildenden Künst­ lern, Filmemachern und Kulturjournalisten besteht, setzt sich für eine stärkere Präsenz von Minderheiten im Kulturleben ein – und dafür, dass in der Kunst die Ge­ schichte aller Franzosen in ihrer gesamten Widersprüch­ lichkeit Platz findet. 2017 waren Vertreter der Vereini­ gung maßgeblich an den Protesten gegen die Verleihung des Theaterpreises Molière beteiligt, bei dem keine der Diversität entstammenden Künstler ausgezeichnet wur­

Dans le même temps, on observe que la critique des ins­ titutions culturelles largement dominées par les élites judéo-chrétiennes s’organise de mieux en mieux : com­ posée de comédiens, auteurs, metteurs en scène, plasti­ ciens, réalisateurs et journalistes culturels, l’association « Décoloniser les arts » s’engage pour une présence ac­ crue des minorités dans la vie culturelle – et pour que les histoires de tous les Français trouvent leur place dans une grande et joyeuse contradiction. En 2017, les repré­ sentants du collectif ont apporté un soutien déterminant au mouvement de protestation contre la cérémonie des Molières, qui n’incluait aucun artiste issu de la « diversi­ té ». Les membres de « Décoloniser les arts » passent


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spielarten der politik

Photo Dalia Castel

Der Autor // L’auteur

Frank Weigand lebt als freiberuflicher Kultur­ journalist und Über­ setzer in Berlin. Seit 2011 gibt er gemein­ sam mit Leyla-Claire Rabih die Anthologie „Scène – neue franzö­ sische Theaterstücke“ im Verlag Theater der Zeit heraus. // Frank Weigand est journaliste culturel et traducteur. Il vit et travaille à Berlin. Depuis 2011 il est, en collaboration avec Leyla-Claire Rabih, directeur de la publi­ cation « Scène », anthologie de pièces de théâtre francophones traduites en langue allemande et publiée chez Theater der Zeit. frankweigand@gmail.com

den. Décoloniser les Arts analysieren landesweit die Spielpläne der Theater und prangern in Aktionen die Ausgrenzung migrantischer Künstler an. Eine ihrer Wortführerinnen, die Franko-Vietnamesin Marine Ba­ chelot Nguyen, hat unter dem Titel „La Place du chien“ (Der Platz des Hundes) eine urkomische theatrale Soap-­ Opera über die Beziehung zwischen einer Französin und einem Kongolesen geschrieben, die ganz nebenbei die gesamte kritische Literatur des Postkolonialismus abarbeitet. Die Produktion des Kollektivs Lumière d’août war 2017 auch im Off des Festival d’Avignon zu sehen. Viel getan für den Erfolg und die Sichtbarkeit von Migranten im und auf dem Theater weltweit hat der frankokanadische Libanese Wajdi Mouawad, der mittler­ weile in Paris das Théâtre national de la Colline leitet und zahlreiche Autoren mit ähnlicher Biografie in sein Programm aufgenommen hat. Besonders unter den zur Frankofonie gerechneten Dramatikern hat er zahlreiche Epigonen. Auch Hortense Archambault, die ehemalige Ko-Leiterin des Festival d’Avignon, setzt sich in dem von ihr geleiteten Kulturzentrum MC93 im Pariser Vorort Bobigny für ein kulturelles Miteinander ein: „Ich will da­ ran glauben, dass es möglich ist, eine neue Art von Ge­ meinschaft zu schaffen, ohne in ein Lagerdenken zu verfallen. Die Zukunft des Theaters liegt in der Vermi­ schung unterschiedlicher kultureller Hintergründe.“ Eine der erfolgreichsten Theaterautoren nichtfranzösischen Ursprungs ist die Rumänin Alexandra Badea, die seit 1998 in Frankreich lebt und ausschließ­ lich in der Sprache ihres Gastlandes schreibt. Ihre zu­ meist monologisch aufgebauten Texte schöpfen häufig aus dokumentarischem Material und beschäftigen sich mit den Verheerungen der Globalisierung im Arbeitsund Gefühlsleben ihrer Protagonisten. Dagegen hat sich der nach Österreich ausgewanderte Franko-Iraner Aiat Fayez auf das Genre der Well-Made-Farce spezialisiert. In Texten wie „Corps étrangers“ (Fremdkörper), „La place des minorités“ (Der Platz der Minderheiten) oder dem äußerst gelungenen Jugendstück „Éveil du prin­ temps“ (Frühlingserwachen) setzt er sich mit dem Gefühl von Fremdheit in unterschiedlichen Kontexten – und vor allen im Konflikt mit der französischen Bürokratie – aus­ einander. Den exotisierenden Blick auf den im Westen lebenden Afrikaner behandelt der Togoer Gustave Akak­ po und reagiert darauf mit einer Vervielfachung der Per­ spektiven oder grotesker Übertreibung. Interessanterweise schreiben oft gerade die Auto­ ren jenseits des französischen Mainstreams in stilistisch makellosem Französisch – was uns noch einmal zu Di­ eudonné Niangouna zurückbringt und seinem Wutaus­ bruch über das, was er als „Verleugnung“ empfindet: „Ihr ladet uns lieber ohne unser Französisch ein? War­ um zum Teufel haben wir es denn dann gelernt? Nach­ dem ihr uns die Sprache Molières mit der Nilpferdpeit­ sche eingeprügelt habt, wollt ihr uns jetzt verbieten, sie auf der Bühne zu benutzen? Was ist das für ein Witz?“ //

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ainsi au crible les programmes de toutes les scènes fran­ çaises et fustigent l’exclusion d’artistes migrants par le biais d’actions revendicatrices. L’une de leurs porteparole, la Franco-Vietnamienne Marine Bachelot Nguyen, qui a écrit un soap-opéra absolument tordant : dans « La Place du chien », elle raconte la relation entre une Française et un Congolais, revisitant au passage toute la littérature critique de l’ère postcoloniale. Cette production du collectif Lumière d’août est inscrite au programme off du Festival d’Avignon en 2017. Autre personnalité ayant grandement contribué au succès et à la visibilité des migrants sur les planches du monde entier : le Libanais d’origine canadienne Wajdi Mouawad, qui dirige aujourd’hui le Théâtre de la Colline à Paris et a accueilli dans son programme un grand nombre d’auteurs au parcours comparable. Mouawad compte beaucoup d’épigones, surtout parmi les artistes associés à la francophonie. Hortense Ar­ chambault, ancienne co-directrice de Festival d’Avignon, s’engage elle aussi pour un melting-pot culturel, à la tête de son centre MC93 à Bobigny : « Je veux croire qu’il est possible de créer une communauté d’un genre nouveau sans tomber dans une forme d’esprit partisan. L’avenir du théâtre réside dans le mélange des terreaux culturels ». L’une des auteures dramatiques les plus appré­ ciées du moment est la Roumaine Alexandra Badea, sans origines françaises, vivant dans l’Hexagone depuis 1998 et écrivant exclusivement dans la langue de son pays d’élection. Se déclinant principalement sous forme de monologues, ses textes, qui puisent souvent dans des travaux documentaires, se penchent sur les ravages provoqués par la globalisation sur la vie profes­ sionnelle et affective de ses personnages. À l’opposé, le Franco-Iranien Aiat Fayez, émigré en Autriche, s’est spécialisé dans le genre de la « well-made-blague ». Dans des textes intitulés « Les Corps étrangers » et « Place des minorités », ou dans son œuvre de jeunesse « Éveil du printemps », Fayez ausculte le sentiment d’étrangeté qui peut nous envahir dans différents contextes – et notamment les démêlés avec la bureau­ cratie française. Quant au Togolais Gustave Akakpo, il dissèque le regard fantasmé que ses compatriotes peuvent porter sur les Africains vivant en Occident, et lui oppose la multiplication des perspectives, quand il ne force pas le trait jusqu’au grotesque. Il est intéressant de constater que ce sont souvent les auteurs en marge du « mainstream » francophone qui écrivent un français stylistiquement impeccable – ce qui nous ramène à Dieudonné Niangouna et son coup de sang face à ce qu’il appelle un « reniement » : « Vous préférez nous inviter sans notre français ? Mais diable, pourquoi l’a-t-on appris, alors ? Après nous avoir forcé d’apprendre la langue de Molière à la chicotte, on nous interdit en plus de la prononcer sur scène ? Mais de qui se moque-t-on ? » //


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„Das Hauptproblem ist die Isolation der Autoren“ « Le problème majeur en France, c’est l’isolement des auteurs » Laurent Muhleisen, Dramaturg an der Comédie-Française, über das Schattendasein zeitgenössischer Autoren – nicht nur am „Theater der Republik“ // Laurent Muhleisen, conseiller littéraire de la ComédieFrançaise, parle du manque de visibilité des auteurs contemporains en France – pas seulement au « théâtre de la République » Lena Schneider

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aurent Muhleisen, als Dramaturg der ComédieFrançaise leiten Sie deren Lesekomitee, das aus Schauspielern und Mitarbeitern besteht und über die Stücke berät, die gespielt werden sollen. Sie lesen mehrere Hundert Texte pro Jahr. Was muss ein Text haben, damit er Sie interessiert?

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aurent Muhleisen, en tant que conseiller littéraire de la Comédie-Française vous lisez plusieurs centaines de textes par an. Qu’est-ce qu’il faut à un texte pour qu’il soit intéressant pour vous ? Les gens nous envoient beaucoup de textes du fait que nous sommes « la Comédie-Française », le « théâtre de la Répu­ blique » en somme. Parmi ces auteurs, certains ont une


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Photo privat / privé

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Laurent Muhleisen, 1964 in Straßburg geboren, ist Über­ setzer von Theater­ stücken und Drama­ turg an der ComédieFrançaise. Sein Spezialgebiet ist deutsche Gegenwartsdramatik. Seit 1999 leitet er die Maison Antoine Vitez, ein internationales Zentrum für die Übersetzung von Theaterstücken. // Laurent Muhleisen, né en 1964 à Stras­bourg, est traducteur de pièces de théâtre en français et spécia­ liste du théâtre allemand. Depuis 1999, il dirige la Maison Antoine Vitez, Centre inter­ natio­nal de la traduc­tion théâtrale à Paris. Depuis 2006, il est conseiller littéraire et théâtral à la Comédie-Française.

Foto S. 39: Spielregeln – Die Adap­tion des JeanRenoir-Films „La Règle du jeu“ war ein Erfolg an der Comédie-Française. Zeitgenössische Thea­tertexte haben es hier hingegen schwer. // Photo p. 39 : L’adap­tation théâtrale du film de Jean Renoir « La Règle du jeu » a récolté un franc succès à la Comédie-Française. Mais les pièces contemporaines y ont encore la vie dure. Photo Christophe Raynaud de Lage/Collection Comédie Française

Weil wir „die Comédie-Française“ sind, also gewisserma­ ßen das „Theater der Republik“, schicken uns viele Leute Texte zu. Manche dieser Autoren haben eine relativ kon­ ventionelle Theaterauffassung und glauben, weil wir ei­ nen Repertoirebetrieb haben, sei es vor allem ange­ bracht, so klassisch wie möglich zu sein. Dabei legen wir im Lesekomitee vor allem ein Augenmerk auf neue Schreibansätze, in Bezug auf Stil, Konstruktion, die Art und Weise, wie mit Sprache gespielt wird, und Themati­ ken, die mit unserer Gegenwart zu tun haben. Man kann eine äußerst poetische Sprache verwenden und trotz­ dem zeitgenössische Probleme behandeln. Genau dies haben Lyriker ja schon immer getan. An der ComédieFrançaise gibt es ein Ensemble von 60 Schauspielern, die begierig nach neuen dramatischen Ansätzen und nach schönen Rollen sind. Wenn das, was ich ihnen vor­ schlage, ihnen nicht gehaltvoll genug erscheint, jagen die mich zum Teufel! Das ist ein weiteres Kriterium für unsere Auswahl. Es gibt regelmäßig Lesungen von neuen Texten an der Comédie-Française, jedoch nur sehr selten Inszenierungen. Warum? Die öffentlichen Lesungen an der Comédie-Française sind für uns gewissermaßen die erste Etappe der Beziehung zum Publikum. Ein erster Eindruck davon, wie das Stück funktioniert, ein erstes Ausloten der Mög­ lichkeit, es tatsächlich zu produzieren. In einem Reper­ toiretheater wie dem unseren gibt es grob gesagt Platz für eine zeitgenössische Produktion pro Spielzeit an jedem unserer drei Spielorte. Das Besondere an der ­ Spielzeit 2016/17 war, dass wir mit Ivo van Hove eine Inszenierung nach Viscontis Film „Die Verdammten“ erarbeitet haben, und eine andere Inszenierung ausge­ hend von der zeitgenössischen Bearbeitung eines fran­ zösischen Filmklassikers, Jean Renoirs „Die Spielregel“. Doch wir haben auch einen Stückauftrag an Pascal Ram­ bert erteilt. Das ist ein Autor, der bereits mit dem Haus oder zumindest mit seinen Schauspielern gearbeitet hat. In Frankreich sind die Autoren in den Theatern noch wenig präsent und ein Stückauftrag wie dieser ist wich­ tig. Dieses Arbeitsprinzip funktioniert besser, als das „Risiko“ einzugehen, einen noch relativ unbekannten zeitgenössischen Autor zu inszenieren, außer wenn ihn etwa ein bekannter Regisseur vorschlägt. In diesem Fall zieht dessen Name das Publikum an. Meine gesamte Ar­ beit besteht darin, im richtigen Moment die richtigen Texte vorzuschlagen, die dann der „Administrateur“, wie hier der Intendant heißt, den „richtigen“ Regisseuren vorschlagen kann. Gibt es noch andere Gründe für das Schattendasein, das zeitgenössische Texte am „Theater der Republik“ fristen? Ein weiteres Problem ist, dass wir nicht unbedingt über Spielorte verfügen, die für zeitgenössische Theaterfor­ men interessant sind. Räume, in denen man Bühnenbil­ der und eine Beziehung zwischen Bühne und Publikum

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idée du théâtre relativement conventionnelle et pensent que parce que nous faisons du « répertoire », il convient avant tout d’être classique. Or, ce que nous mettons en avant, au Bureau des lecteurs, c’est un nouveau rapport à l’écriture, dans le style, la construction, la façon de jouer avec la langue, ainsi que des sujets en prise avec le monde d’aujourd’hui. On peut avoir une langue très poétique et parler des problèmes de notre époque. C’est ce que les poètes ont toujours fait, d’ailleurs. À la Comédie-Française, il y a une troupe de 60 acteurs, avides de nouvelles écritures et de beaux rôles. Si ce que je leur propose n’est pas assez nourrissant, ils m’envoient promener ! C’est un autre cri­ tère que nous mettons également en avant. Il y a régulièrement des lectures de nouveaux textes à la Comédie-Française, mais très rarement de mise en scène. Pourquoi ? À la Comédie-Française, nous organisons des séances de lecture publique qui sont en quelque sorte, pour nous, la première étape du rapport au public. Une première idée de comment fonctionne la pièce, prélude à la possibilité d’envisager une mise en production. Dans un théâtre de répertoire comme le nôtre, il y a en gros la place pour faire un spectacle contemporain par saison dans chacune de nos trois salles. La particularité de la saison 16/17 était que nous avons monté un spectacle avec Ivo van Hove à partir d’un scénario de film, « Les Damnés » de Visconti, et un autre à partir de l’actualisation d’un autre grand film, français celui-là : « La Règle du jeu » de Jean Renoir. Mais nous avons aussi passé commande d’une pièce à Pascal Rambert. C’est un auteur qui a déjà travaillé avec la mai­ son ou avec ses acteurs. Les auteurs, en France, sont en­ core peu présents dans les théâtres et une commande comme celle-ci est importante. Ce genre de principe fonc­ tionne mieux que de « prendre le risque » de monter un auteur contemporain encore relativement inconnu, sauf si c’est, par exemple, un metteur en scène très connu qui vient proposer de le monter. C’est son nom qui attirera alors le public. Tout mon travail est de proposer de bons textes au bon moment, et susceptibles d’êtres proposés, par l’Administrateur, aux « bons » metteurs en scènes. Est-ce qu’il y a d’autres raisons pour la marginalisation de textes contemporains au « théâtre de la République » ? Un autre problème est que nous n’avons pas forcément de salles très intéressantes pour toutes les formes de théâtre contemporain. Des salles où l’on peut imaginer des scénogra­ phies et un rapport « scène / public » qui correspondraient au champ d’exploration des écritures contemporaines. Avec nos deux nouvelles salles modulables prévues pour 2021, nous pourrions nous rapprocher de ces conditions, ce qui change­ rait la donne. Ce que je rappelle toujours dans cette maison et parfois je suis obligé de le rappeler assez fort, c’est que jusqu’à la fin du 19ème siècle la Comédie-Française produisait 90 % d’auteurs contemporains. Il faut promouvoir les auteurs contemporains aujourd’hui parce que ce sont eux qui vont constituer le répertoire de demain.


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entwickeln kann, die dem Forschungsfeld zeitgenössi­ scher Dramatik entsprechen würden. Mit unseren zwei neuen, vielseitig bespielbaren Sälen, die bis 2021 fertig­ gestellt werden sollen, könnten wir uns diesen Bedin­ gungen annähern und ganz andere Voraussetzungen schaffen. Dabei erinnere ich in diesem Haus immer wie­ der an die Tatsache – und manchmal bin ich gezwungen, es ziemlich laut und deutlich zu tun –, dass die Comé­ die-Française bis Ende des 19. Jahrhunderts zu 90 Pro­ zent zeitgenössische Autoren produzierte. Man muss heute die zeitgenössischen Autoren fördern, denn genau sie werden das Repertoire von morgen bilden. Was müsste man tun, um zeitgenössische Autoren in Frankreich stärker sichtbar zu machen? Man müsste ihnen verstärkt die Türen der Theater öff­ nen. Es wäre beispielsweise nötig, dass sie wie manche Autoren in Deutschland für ein, zwei, drei Spielzeiten als Dramaturgen arbeiten könnten, dass sie an den Ak­ tivitäten des Theaters teilnehmen und gleichzeitig Raum bekommen, um dort zu schreiben. Das Haupt­ problem in Frankreich ist die Isolierung der Autoren in Bezug auf die Produktionswege. Auch wenn sie viel von Theaterverlagen veröffentlicht werden, haben sie den Nachteil, dass diese Verlage beinahe nie wie in Deutschland auch als Agenturen auftreten. Es ist schön, wenn ein Autor von einem Ort entdeckt wird, der sich ganz besonders der zeitgenössischen Drama­ tik widmet, wie das Théâtre Ouvert, wenn er gelesen wird und dabei sogar eine kleine Produktion entsteht. Was jedoch in Frankreich fehlt, ist die Möglichkeit, ein solides Netzwerk zu schaffen, das es diesen Autoren ermöglichen würde, anschließend an andere Orte wei­ terzuziehen. Man müsste auch mehr in der Presse über sie berichten, die Kritik müsste in der Lage sein, ihre Arbeit wirklich zu beurteilen. Ein System von Autoren­ residenzen innerhalb der Theater wäre eine gute Idee. Ist eine solche Residenz an der Comédie-Française vorstellbar? Wir arbeiten daran. Ich habe bereits ein derartiges For­ mat über den Zeitraum von einer Spielzeit vorgeschla­ gen. Der Endpunkt einer solchen Residenz könnte das Verfassen eines Stücks für das Ensemble sein. Dieses Stück würde dann zunächst als öffentliche Lesung eingerichtet, dann zur Werkstattinszenierung ausge­ weitet und schließlich produziert werden. Doch dafür müsste man in der Lage sein, mit dem Problem der Verfügbarkeit der Schauspieler umzugehen und mit den Einschränkungen, die mit den unterschiedlichen Spielstätten verbunden sind. Die Bühnenräume der Comédie-Française und ihre jeweilige Programmge­ staltung stellen Einschränkungen dar, mit denen man umgehen können muss. Diese aufzuheben, erfordert einen gewissen Willen. Ich wäre froh, wenn ich mei­ nen Beitrag dazu leisten könnte, dass diese „Sache“ an Boden gewinnt! //

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Ausnahme – Pascal Rambert, der bis Ende 2016 das Theater T2G in Gennevilliers leitete, durfte 2017 ein Stück („Une Vie“) für die ComédieFrançaise schreiben und es auch inszenieren. // Un cas à part – Pascal Rambert a été le directeur du Théâtre T2G de Gennevilliers jusqu’en 2016. En 2017, la ComédieFrançaise lui a commandé la pièce « Une Vie », dont il a également été le metteur en scène. Photo Marc Domage

Qu’est-ce qu’il faudrait faire pour rendre les auteurs contemporains plus visibles en France ? Il faudrait leur ouvrir davantage les portes des théâtres. Il faudrait par exemple, comme pour certains auteurs en Alle­ magne, qu’ils soient dramaturges une, deux ou trois sai­ sons, qu’ils participent aux activités du théâtre et qu’ils aient en même temps l’espace pour y écrire. Le gros problème en France est l’isolement des auteurs par rapport aux circuits de production. Même s’ils sont beaucoup publiés ils ont le désavantage de ne presque jamais être représentés par des agences, les fameux « Verlage » allemands. C’est très bien qu’un auteur soit repéré par un lieu spécifiquement dédié aux écritures contemporaines comme Théâtre Ouvert, qu’il soit lu et qu’il y ait même une petite production mais ce qui manque en France, c’est la capacité de créer un réseau solide qui permettrait à ces auteurs-là de continuer leur route dans d’autres lieux. Il faudrait aussi qu’on parle davantage d’eux dans la presse, que la critique soit capable de rendre compte de leur travail. Un système de résidence d’auteurs dans des théâtres serait une bonne chose. Peut-on imaginer une telle résidence à la Comédie-Française ? On y travaille. J’ai déjà proposé une formule de ce genre sur une saison, en préparant l’arrivée de l’auteur en amont; l’issue d’une telle résidence pourrait être l’écriture d’une pièce pour la troupe ; elle serait d’abord mise en lecture publique, puis travaillée sous forme de laboratoire, pour être enfin mise en production. Mais il faudra savoir conju­ guer avec le problème de la disponibilité des acteurs et des contraintes liés aux différents plateaux. Les salles de la Co­ médie-Française et leurs programmations présentent des contraintes dont il faut savoir tenir compte. Lever ces contraintes demande une certaine volonté. Je serais content de contribuer à faire gagner du terrain à cette « cause » ! //


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Adieu, Dominanz Bonjour, partage Caroline Marcilhac, die Künstlerische Leiterin des Théâtre Ouvert, über die Repolitisierung der Dramatik und das Schreiben in Kollektiven // Caroline Marcilhac parle de la repolitisation de l’écriture dramatique et du retour des collectifs Lena Schneider

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Photo Christophe Raynaud de Lage

aroline Marcilhac, das Théâtre Ouvert in Paris ist einzigartig in Frankreich: ein Theater, das vollständig der Förderung von Dramatikern gewidmet ist. Die Idee dazu entstand 1970 in Avignon, auf Einladung von Jean Vilar. Wie arbeiten Sie heute? Wir sind ein Ort zur Erforschung und Entwicklung neuer Schreibansätze. In unserem Theater gibt es Räume, in de­ nen neue Arten des Schreibens in enger Beziehung zu den Zuschauern erarbeitet und erprobt werden können, denn unsere Experimentierlabore stehen dem Publikum offen. Wir sind in der Lage, unsere Autoren auf unter­ schiedliche Arten und Weisen praktisch zu unterstützen, einschließlich der Veröffentlichung ihrer Texte, denn wir besitzen eine Verlagsreihe mit dem Titel Tapuscrit. Die Entwicklung neuer Schreibansätze geschieht durch das Lesen von Texten, durch Diskussionen mit den Autoren und Autorinnen, durch Arbeitssitzungen in den Räumen und auf der Bühne, durch den Übergang vom Schreiben zur Bühne in Beziehung zu den Zuschauern.

Caroline Marcilhac ist die Leiterin des Théâtre Ouvert in Paris. Von 2003 bis 2011 war sie Produktionschefin beim Festival d’Avignon, danach Ko-Intendantin des Festivals Actoral in Marseille. // Caroline Marcilhac dirige le Théâtre Ouvert depuis 2014. Elle a été directrice de produc­ tion au Festival d’Avignon entre 2003 et 2011 et codirec­ trice du Festival Actoral à Marseille.

Wie hat sich Ihrer Meinung nach die Art und Weise des Schreibens verändert? Ist es zum Beispiel ein neues Phänomen, dass viel in Kollektiven gearbeitet wird? Ich würde sagen, dass dies erst seit relativ kurzer Zeit der Fall ist, seit ungefähr zehn Jahren. Ich habe den Ein­ druck, dass die Künstler ihre Arbeitsweise verändert ha­ ben, sowohl was ihre Beziehung zum Regisseur angeht, der innerhalb der Gruppe eine dominante Rolle ein­ nimmt, als auch in Beziehung auf die dominante Rolle des Textes oder Autors. Das Prinzip dieser Kollektive ist nämlich nicht unbedingt, dass es keine Autoren mehr gibt, sondern dass die Autoren einen stärker untergeord­ neten Platz einnehmen: Es handelt sich um Organisati­ onsformen, in denen nicht auf der einen Seite ein Text steht und auf der anderen ein Regisseur und dann Schauspieler, die diesen Text sprechen werden. Deshalb ist eines der Ziele unserer Arbeit mit den Schulen, dafür zu sorgen, dass die Schauspielschüler und die zukünfti­ gen Träger von Theaterprojekten Texte entdecken und lesen, aber ebenfalls den Autoren begegnen, um die Lust

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aroline Marcilhac, Théâtre Ouvert est unique en France : un lieu dédié à la diffusion des auteurs dramatiques, né à Avignon à l’invitation de Jean Vilar en 1970. Comment travaillez-vous ? Nous sommes un lieu de recherche et de développement de nouvelles écritures. Dans notre théâtre à Paris il y a des espaces de travail et des processus de développement de nouvelles écritures, en lien avec les spectateurs puisque nos laboratoires sont ouverts au public, et en lien avec les différents modes d’action qu’on peut mettre à disposition des auteurs, y compris la publication, puisque nous avons une collection qui s’appelle Tapus­ crit. Théâtre Ouvert, c’est donc une plateforme de déve­ loppement de nouvelles écritures qui passe par la lecture des textes, par des discussions avec les auteurs pour dé­ velopper leur écriture, par des sessions de travail dans les espaces pour travailler au plateau, par le passage de l’écriture au plateau en lien avec des spectateurs. D’après vous, comment la manière d’écrire a-t-elle changé ? Par exemple, le fait qu’il y ait beaucoup de collectifs, est-ce un phénomène récent ? Je dirais que c’est relativement récent, une dizaine d’an­ nées. J’ai l’impression que les artistes ont changé leur manière de travailler tant dans le rapport au metteur en scène dominant dans le groupe que dans le rapport au texte ou à l’auteur dominant. En fait le principe de ces collectifs ce n’est pas forcément qu’il n’y ait plus d’au­ teurs mais que les auteurs aient une place plus horizon­ tale : ce sont des organisations où il n’y a pas d’un côté un texte, de l’autre côté un metteur en scène puis des acteurs qui vont dire le texte. C’est pourquoi un des en­ jeux du travail que nous menons avec les écoles, c’est de faire en sorte que les élèves comédiens et les futurs por­ teurs de projets théâtraux découvrent des textes, les lisent, mais rencontrent également des auteurs pour avoir envie de travailler avec eux. D’une certaine ma­ nière, cela développe un métier qui n’existait pas en France il y a 10 – 15 ans, le métier de dramaturge. Vous lisez autour de 500 manuscrits par an. Observez-vous un retour du politique dans l’écriture ?


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darauf zu wecken, mit ihnen zu arbeiten. So entwickel­t sich ein Beruf, den es vor 10 bis 15 Jahren in Frankreich noch nicht gab: der Beruf des Dramaturgen. Sie lesen rund 500 Manuskripte pro Jahr. Stellen Sie eine Rückkehr des Politischen fest? Das ist der Eindruck, den ich habe. Allerdings geschieht das in vielen äußerst unterschiedlichen Formen und ist nicht mit dem explizit politisch engagierten Theater der 1960er und 1970er Jahre vergleichbar. Ich glaube, es hängt mit der Desillusionierung der Jüngeren in Bezug auf kollektive Organisationsformen und Ideologien und auf das Politische im Allgemeinen zusammen. Es scheint, als bestünde ihre Art und Weise, sich mit der Welt zu beschäftigen, nicht zwangsläufig darin, eine Bot­ schaft und eine Anleitung zum konkreten Handeln zu vermitteln. Heutzutage ist das weitaus komplizierter, die Verknüpfung zwischen dem Privaten und der gesell­ schaftlichen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Geschichte ist gewissermaßen subtiler. Die Forschungs­ arbeit ist nicht im strengeren Sinne formal. Ein Text wie „Des territoires. Nous sifflerons la Marseillaise“ (Territori­ en. Wir pfeifen die Marseillaise) von Baptiste Amann ist zum Beispiel nicht diskursiv, es gibt dort sprachlich nichts Überflüssiges. Trotzdem wird deutlich, dass hinter dieser Geschichte ein echter Autor steckt. Ende 2016 haben wir auch den Text einer jungen Autorin namens Marylin Mattei veröffentlicht, der vom Alltag in einer Schule ­ ­erzählt, nachdem ein Jugendlicher zum Dschihad nach Syrien aufgebrochen ist. Die Sprache ist äußerst knapp und trocken, überhaupt nicht surreal oder lyrisch und spricht extrem konkret von der Welt, in der wir leben. Wird neue Dramatik ausreichend gefördert? In der Tat sehen die öffentlichen Institutionen die ­Notwendigkeit einer Erneuerung der literarischen Pro­ duktion für die Bühne und beglaubigen ihre Unterstüt­ zung, auch wenn die Subventionen für Théâtre Ouvert bereits seit einigen Jahren stagnieren. Doch geht es nicht nur um unmittelbare öffentliche Unterstützung, sondern auch um die Art und Weise, Netzwerke zu schaffen, die es mehreren Akteuren ermöglichen, die Arbeiten von Nach­ wuchskünstlern und Nachwuchsautoren gemeinsam zu koproduzieren und vielerorts zu präsentieren, damit sie ein zahlenmäßig möglichst großes Publikum erreichen können. Dies ist jedoch das Ergebnis einer anderen Pro­ blematik: Was spielen Theater und warum? Natürlich ist es wesentlich einfacher, Produktionen von Autoren auf den Spielplan zu setzen, die in der Schule durchgenom­ men werden, da dadurch viele junge Zuschauer in die Säle kommen. In Frankreich sind die jüngsten zeitgenös­ sischen Autoren, die in den offiziellen staatlichen Lehr­ plänen stehen, Valère Novarina (Jahrgang 1942) oder JeanLuc Lagarce (1957 – 1995). Das ist schade, denn wir stellen fest, dass Jugendliche mit großem Vergnügen unsere Auf­ führungen besuchen, wenn es um Texte geht, die ihnen von der Welt erzählen, in der sie leben. //

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C’est ma sensation. Mais cela prend beaucoup de formes différentes et ce n’est sans doute pas comparable au théâtre militant et politique des années 60 ou 70. Je pense que cela est lié aux désillusions des jeunes générations quant aux organisations collectives, aux idéologies, au poli­ tique. Il apparaît que leur manière d’aborder le monde ne consiste pas forcément à donner un message de ce qu’il faudrait faire. Aujourd’hui c’est plus compliqué que cela : l’articulation entre l’intime, l’his­ toire sociétale, sociale, politique, économique, est d’une certaine manière plus « subtile ». C’est une recherche qui n’est pas strictement formelle. Dans « Des terri­ toires, nous sifflerons la Marseillaise » de Baptiste Aman par exemple, nous ne sommes pas en présence d’une écriture discursive mais, pourtant, il y a clairement un vrai auteur dans cette histoire. Fin 2016, nous avons a aussi publié le texte d’une jeune autrice, Marylin Mattei, qui raconte la vie dans un lycée après le départ d’un jeune pour le Djihad en Syrie. C’est une écriture très ser­ rée, très sèche, pas du tout onirique et lyrique, et qui parle très précisément du monde actuel. Dans votre expérience, est-ce qu’il existe assez de soutien pour les nouveaux textes ? Effectivement l’institution publique affirme la nécessi­ té d’un soutien au renouvellement des écritures pour la scène, même si les subventions de Théâtre Ouvert stagnent depuis plusieurs années. Mais la promotion des nouveaux textes, ce n’est pas qu’une question de soutien public direct. C’est aussi la manière dont les professionnels du théâtre arrivent à créer des réseaux qui permettent de coproduire à plusieurs de jeunes ar­ tistes et auteurs, afin de les diffuser et de les faire par­ venir au plus grand nombre de spectateurs. Mais nous nous retrouvons face à une autre problématique : qu’est-ce que les directeurs de théâtre programment dans leur théâtre et pourquoi ? Cela semble en effet plus facile de programmer des spectacles d’auteurs qui sont étudiés à l’école, parce que cela permet de remplir la salle avec des jeunes spectateurs. Malheureusement, en France, les ­auteurs contemporains qui sont inscrits dans les programmes scolaires de l’Education Natio­ nale s’arrêtent à Valère Novarina ou Jean-Luc Lagarce. C’est dommage car nous pouvons constater que les jeunes assistent avec grand plaisir aux représentations que nous proposons, avec des textes qui leur parlent d’ici et maintenant. //

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Unterm Dach – Das Théâtre Ouvert hat seinen derzeitigen Sitz über den Räumen des legendären Moulin Rouge in Paris. // Sous les toits – les locaux du Théâtre Ouvert se trouvent actuellement au-dessus du légen­ daire Moulin Rouge. Photo Christophe Raynaud de Lage


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„Genauer werden, J radikaler werden“ « Préciser, radicaliser »

Der deutsche Autor Claudius Lünstedt und der franzö­ sische Autor Samuel Gallet unterrichten beide Szenisches Schreiben. Ein Gespräch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Systeme // Claudius Lünstedt, auteur dramatique allemand, et Samuel Gallet, auteur dramatique français, enseignent tous les deux l’écriture dramatique. Échanges sur les différences et les parallèles entre les deux systèmes

ohn von Düffel à la UdK à Berlin, Enzo Cormann à l’ENSATT à Lyon – les deux départements d’écriture sont dirigés par deux artistes exceptionnels pourvus de grands réseaux professionnels. À quel point la conception et la structure des études sont-elles marquées par ces personnalités ? Samuel Gallet: Enzo Cormann a fondé en 2003 ce cur­ sus d’écriture dont le premier principe est que l’on n’ap­ prend pas à écrire. L’enseignement est pensé comme un accompagnement critique. Chaque étudiant est invité à singulariser son geste, à inventer son esthétique propre. Accueillir pendant trois ans de jeunes écrivains pour le théâtre permet également de favoriser la solitude néces­ saire à l’écriture, tout en brisant l’isolement. Les étudi­ ants se confrontent, dès leurs premiers travaux, au col­ lectif artistique pour lequel ils se proposent d’écrire. Claudius Lünstedt: C’est un grand avantage que John von Düffel soit aussi proche de la pratique et qu’il con­ naisse le théâtre de l’intérieur. Il apporte une multitude de casquettes différentes, en tant qu’auteur et drama­ turge. C’est un auditeur et lecteur extrêmement précis qui représente la pratique d’un des plus grands théâtres en Allemagne, le Deutsches Theater à Berlin. Paul Bro­ dowsky, le co-directeur du département, contribue à ses expériences complexes en tant qu’auteur. L’essence des études est que les étudiants soient accompagnés pen­ dant la genèse de leurs textes, et qu’on leur offre pendant quatre ans un espace protégé où tout ce qu’ils apportent et écrivent est discuté et relu, par des professeurs et par les autres étudiants. À quel point ces études sont-elles en lien avec la pratique ? Gallet: Outre la pratique intense de l’écriture, le cursus implique un certain nombre d’ateliers transversaux : un « laboratoire dramatique », avec les acteurs et les met­ teurs en scène, nourri des textes en cours d’écriture ; un « comité de lecture » qui regroupe les écrivains, les ac­ teurs et les metteurs en scène ; des ateliers communs avec les scénographes, les concepteurs sonores. Enfin les ateliers-spectacles de 3è année réunissent la totalité des départements, une cinquantaine d’artistes, de techniciens, d’administrateurs, sous la direction d’un metteur en scène invité. Les écrivains dramaturges ont alors l’opportunité d’écrire pour leurs camarades, et participent également aux différents spectacles comme conseillers dramatur­ giques, assistants, traducteurs, adaptateurs, etc. Lünstedt: Nos auteurs ne sont pas formés pour être des personnalités théâtrales intégrales, par exemple ils n’ont pas de cours de jeu. Mais nos études sont quand même reliées à la pratique : il y a des coopérations entre les étudiants en écriture et les étudiants en jeu de l’UdK et avec les étudiants en mise en scène de l’école Ernst Busch. En automne aura lieu le « Werkstatt Neue Stücke » (Atelier nouvelles pièces), où les textes de nos étudiants seront mis en scène par les étudiants en mise


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Frank Weigand

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it John von Düffel an der UdK in Berlin und Enzo Cormann an der ENSATT in Lyon werden beide Schreibstudiengänge von hochkarätigen, bestens vernetzten Künstlern geleitet. Wie groß ist der Einfluss dieser Persönlichkeiten auf Konzept und Struktur des Studiums? Samuel Gallet: Das erste und wichtigste Prinzip des von Enzo Cormann gegründeten Schreibstudiengangs ist die Tatsache, dass man Schreiben nicht lernen kann. Der Unterricht versteht sich als kritische Begleitung von Ar­ beitsprozessen. Die Studierenden werden dazu ange­ regt, ihren spezifischen Ansatz, ihre eigene Ästhetik zu entwickeln. Die drei Jahre Studium bieten den jungen Autoren die Möglichkeit zur notwendigen Einsamkeit in ihrem Schaffen, brechen diese Isolation aber auch im­ mer wieder auf. Bereits mit ihren ersten Arbeiten setzen sich die Studierenden mit dem künstlerischen Kollektiv auseinander, für das sie schreiben wollen. Claudius Lünstedt: Es ist ein großer Vorteil, dass John von Düffel so nah an der Praxis ist und das Theater von innen heraus kennt. Er bringt sich in einer Vielzahl von Rollen ein, als Autor und Dramaturg. Er ist ein sehr ge­ nauer Zuhörer und Leser, der für die Praxis eines der größten A-Theater in Deutschland steht, die des Deut­ schen Theaters in Berlin. Kern des Studiums ist, dass die Texte der Studierenden im Entstehungsprozess begleitet werden, und wir ihnen dabei über die Dauer von vier Jahren einen Schutzraum bieten, in dem das Mitgebrach­ te, ­Geschriebene ausprobiert und besprochen und von ­Lehrenden wie auch Mitstudierenden lektoriert wird. Wie stark ist die Anbindung an die Theaterpraxis? Gallet: Neben der intensiven Schreibpraxis schließt das Studium eine Reihe transversaler Workshops ein: ein „dramatisches Labor“ mit Schauspielern und Regisseu­ ren auf der Basis der parallel entstehenden Texte, ein Lesekomitee, das sich aus Schreib-, Schauspiel- und Re­ giestudierenden zusammensetzt, und gemeinsame Workshops mit Bühnenbildnern und Sounddesignern. Im dritten Jahr wird gemeinsam unter Anleitung eines Gastregisseurs eine Aufführung erarbeitet, an der alle Studiengänge beteiligt sind, das heißt rund 50 Künstler, Techniker und Kultur­ manager. Die Studierenden des Schreibstudiengangs erhalten so die Gelegenheit, für ihre Kommilitonen zu schreiben und sind außerdem als Dramaturgen, Assistenten, Über­setzer, Bearbeiter usw. an den unterschiedlichen Aufführungen beteiligt. Lünstedt: Unsere Autoren werden eher nicht als ganzheit­ liche Theaterpersönlichkeiten ausgebildet, bekommen also keinen Schauspielunterricht. Trotzdem gibt es ein intensives Andocken an die Praxis, zum Beispiel in Ko­ operationen zwischen den Schreibstudierenden und den Schauspielstudierenden der UdK und den Regiestudie­ renden der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst

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en scène de la Ernst Busch et joués par les étudiants en jeu de l’UdK. Une sélection de ces textes sera même présentée dans la petite salle du Deutsches Theater. En plus, il y a très tôt des modèles de coopération avec des théâtres institutionnels choisis. Comment les cours d’écriture se déroulent-ils ? Lünstedt: Idéalement, il s’agit de reconnaître l’âme de chaque texte et de guider la pièce vers ce qu’elle veut au fond, et de ne pas travailler contre elle. Je crois que tous les professeurs sont de cet avis. Le grand capital de notre département est la diversité à l’intérieur de chaque classe. Gallet: L’instance centrale du département est ce que nous appelons entre nous le « studio ». Elle réunit deux fois par mois les écrivains étudiants et plusieurs écrivains confirmés et actifs, de générations et d’esthétiques dif­ férentes. On s’efforce d’expliciter, voire de clarifier les projets d’écriture de chacun, et de confronter les écri­ tures en cours à leurs différentes réceptions. Nous par­ lons volontiers d’un accompagnement critique et contra­ dictoire des écrits en cours. Qu’est-ce que vous attendez de vos étudiants ? Comment est-ce que vous mesurez leur succès ? Gallet: L’objectif est que l’étudiant développe, pense et affirme un territoire d’écriture propre. Il est certain que l’inscription dans le paysage théâtral professionnel est un critère important de « réussite » mais quand l’écrivain continue après l’école à développer un projet singulier fort, il se passe toujours des choses. Lünstedt: Dans le cas idéal, les étudiants sont capables de profiter de cet espace protégé de quatre ans. Pour es­ sayer des choses, pour évoluer tout en restant euxmêmes. Ils tiennent compte de la critique qui leur sem­ ble utile et l’utilisent de manière productive. En même temps, ils se rendent compte du fait que leurs études ont une fin, c’est-à-dire qu’ils devraient être capables de se construire une perspective personnelle. La première an­ née est l’année où tout le monde reste « en quaran­ taine ». Afin de renforcer la cohésion au sein de la classe, on évite que les étudiants participent à des concours ou à des appels à écriture. Ceci change à partir de la deuxième année, et souvent les étudiants gagnent des prix. Et il y a aussi des projets supplémentaires et des commandes d’écriture. De préférence, en coopération avec des théâtres plus petits. Car normalement, ils ne seront pas tout de suite joués au Deutsches Theater, mais dans des théâtres municipaux. Que deviennent les étudiants après avoir obtenu leur diplôme ? Lünstedt: Il est évident que ces études ne sont pas une garantie et que tous les diplômés ne vont pas survivre dans le système théâtral. On ne devient pas auteur parce qu’on a obtenu un diplôme – on est auteur par ce qui est monté sur scène. D’autant plus qu’il y a une grande fluc­ tuation sur le marché théâtral.

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Linke Seite oben: Claudius Lünstedt, 1973 in München geboren, ist Drama­ tiker und Übersetzer aus dem Französischen. Er studierte Dramaturgie in Leipzig sowie Regie, Dramaturgie und Bühnenbild in Paris. Seit 2003 schrieb er rund zwei Dutzend Theaterstücke. Er lehrt an der Univer­ sität der Künste Berlin Szenisches Schreiben. // Page gauche en haut : Claudius Lünstedt, né en 1973 à Munich, a a suivi une formation de dramaturge à Leipzig et un D.E.T.S. à Paris. Depuis 2003, il a publié plus d’une douzaine de textes théâtraux. Il enseigne l’écriture dramatique à l’Université des arts à Berlin. Il est égale­ ment traducteur de pièces de théâtre du français vers l’allemand. Photo Verlag der Autoren

Linke Seite unten: Samuel Gallet, geboren 1981, schreibt für das Theater und kompo­ niert dramatische Gedichte. Seit 2015 leitet er gemeinsam mit Enzo Cormann das Institut für Autoren und Dramatiker der Theaterschule ENSATT in Lyon. // Page gauche en bas : Samuel Gallet, né en 1981, écrit pour le théâtre et compose des poèmes dramatiques. Il est co-responsable depuis 2015 avec Enzo Cormann du départe­ment Écrivain drama­turge de l’École Natio­nale Supérieure des Arts et des Techniques du Théâtre (ENSATT) à Lyon. Photo Caroline Gonin


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perspektiven

Busch“. Im Herbst findet die „Werkstatt Neue Stücke“ statt, wo Stücke aus einem Jahrgang von Regiestudieren­ den der Ernst-Busch-Schule inszeniert und von UdKSchauspielstudierenden gespielt werden. Eine Auswahl daraus kommt dann später sogar in die Box des Deut­ schen Theaters. Außerdem gibt es frühzeitig Kooperati­ onsmodelle mit ausgewählten Stadttheatern. Wie funktioniert der Schreibunterricht? Lünstedt: Im Idealfall geht es darum, im gemeinsamen Lektorat sozusagen die Seele eines jeden einzelnen Textes frühzeitig zu erkennen, um das Stück gemeinsam dorthin zu führen, wohin es eigentlich will und nicht etwa gegen den Text zu arbeiten. Ich denke, das sehen alle Dozenten so. Der Studiengang lebt von der Vielfalt jeder Klasse. Gallet: Der Kern des Studiengangs ist das, was wir als das „Studio“ bezeichnen. Hier treffen sich zweimal pro Monat Schreibstudierende und praktizierende Dramatiker un­ terschiedlicher Generationen und mit unterschiedlichen Ästhetiken. Es geht darum, die Logik der einzelnen Schreibprojekte nachzuvollziehen und manchmal auch klarer und deutlicher zu machen und die entstehenden Texte mit unterschiedlichen Rezeptionen zu konfrontieren.

Enzo Cormann, Jahrgang 1953, ist Autor von über 30 Theaterstücken und Gründer des Stu­dien­gangs für Autoren und Dramatiker in Lyon. // Enzo Cormann, né en 1953, est l’auteur de plus de 30 pièces de théâtre et le créateur de la formation Écrivain dramaturge à Lyon. Photo Juan Robert

Was erwarten Sie von Ihren Studierenden? Was werten Sie als Erfolg? Gallet: Ziel ist es, dass die Studierenden ihre eigene Praxis entwickeln, durchdenken und auch verteidigen lernen. Sicherlich ist die Verankerung in der professionellen The­ aterlandschaft ein wichtiges Kriterium für Erfolg, doch erst wenn die Autoren auch nach der Schule weiterhin an einem starken unverwechselbar persönlichen Projekt ar­ beiten, führt das auch zu Erfolgen. Es geht darum, in der Arbeit genauer und radikaler zu werden. Lünstedt: Im Idealfall sind die Studierenden in der Lage, den vierjährigen Schutzraum für sich gut zu nutzen. Um sich auszuprobieren, zu entwickeln, aber dabei möglichst bei sich selbst zu bleiben. Sie haben bestenfalls gelernt, diejenige Kritik, die ihnen nützlich scheint, produktiv auf­ zunehmen und umzusetzen, und werden sich gleichzei­ tig bewusst, dass ihr Studium endlich ist, das heißt: Alle sollten in der Lage sein, sich innerhalb der vier Jahre eine persönliche Perspektive aufzubauen. Im Übrigen gilt das erste Jahr als Quarantäne-Jahr. Um den Klassenverbund zu stärken, nimmt möglichst niemand aus der Gruppe an Wettbewerben oder an Einreichungen teil. Ab dem zwei­ ten Jahr ändert sich das dann, und oft gewinnen die Stu­ dierenden dann auch Ausschreibungen. Zusätzlich gibt es Projekte und Stückaufträge, bewusst auch mit kleine­ ren Theatern. Normalerweise wird man ja nicht am Deut­ schen Theater gespielt, sondern eben an kleineren Stadt­ theatern unserer Theaterlandschaft. Was wird hinterher aus den Absolventen? Lünstedt: Natürlich garantiert das Studium nichts, und nicht alle Absolventen überleben als Autoren im Thea­ terbetrieb. Man ist ja nicht Theaterautor, weil man ein

/ TdZ -Spezial  Frankreich /

Gallet: La plupart de nos anciens étudiants travaille de manière très régulière mais dans des situations parfois différentes. Certains ont développé des activités de tra­ ducteurs, de conseillers littéraires ou de directeurs ou directrices de troupes. Contrairement au système allemand, où les textes des jeunes auteurs dramatiques entrent dans le répertoire des théâtres subventionnés, cela ne se produit pratiquement pas en France... Gallet: Il y a énormément de dispositifs pour accompagner les auteurs : bourses d’écriture, mises en lecture, festivals d’écritures contemporaines où l’on peut lire des textes des auteurs, les mettre en espace. Mais mettre en scène le texte d’un jeune auteur dans de bonnes conditions reste com­ plexe. Une certaine frilosité est toujours à l’œuvre dans le théâtre français envers les écritures nouvelles. Quel est l’avantage de vos étudiants par rapport aux auteurs « extérieurs » ? Lünstedt: Ils sont mieux préparés à ce qui les attend dans la réalité pratique. Cette vitesse effrénée avec laquelle des auteurs sont portés aux nues et jetés tout de suite après. Souvent, ils sont déjà plus habitués à être critiqués et à affirmer leur position dans des coopérations avec des théâtres. Nous leur ouvrons de nombreuses portes et souvent les plus importantes agences suivent de près le travail des diplômés. Mais en fin de compte cela ne veut pas dire qu’ils auront forcément plus de succès que des gens qui n’ont pas fait les mêmes études qu’eux. Gallet: Le département Écrivain dramaturge a permis à beaucoup de gens de préciser et de radicaliser leur projet artistique, plus vite qu’ils ne l’auraient fait sans ce dis­ positif d’accompagnement. Est-ce qu’il y a une définition du métier d’auteur propre à vos écoles ? Gallet: Aujourd’hui, un écrivain pour le théâtre écrit en­ core pour la scène, naturellement, mais il assume aussi bien d’autres fonctions : rédacteur (dossiers péda­ gogiques, présentations de programmes et de specta­


perspectives

/ TdZ-Spezial  Frankreich /

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Studium abgeschlossen hat, sondern durch das, was man auf die Bühne bringt. Außerdem wird der Betrieb immer schnelllebiger – auf dem Markt herrscht eine ex­ trem hohe Fluktuation. Gallet: Die meisten der Absolventen arbeiten regelmä­ ßig. Doch manchmal in unterschiedlichen Funktionen. Manche sind als Übersetzer, Dramaturgen oder auch als Leiter von Kompanien tätig. Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Texte junger Dramatiker im normalen Stadttheaterbetrieb gespielt werden, kommt so etwas in Frankreich kaum vor ... Gallet: Es gibt eine Menge Werkzeuge zur unterstützen­ den Begleitung von Autoren: Schreibstipendien, Lesun­ gen, Festivals für zeitgenössische Dramatik, wo Texte szenisch gelesen werden usw. Doch ist es immer noch ein komplexes Unterfangen, bis Texte junger Autoren unter annehmbaren Bedingungen inszeniert werden. In der französischen Theaterlandschaft herrscht eine ge­ wisse Scheu vor junger zeitgenössischer Dramatik. Welchen Vorteil haben die Studierenden im Vergleich zu den Autoren „draußen“? Lünstedt: Sie sind auf das, was sie in der Praxis erwartet, besser vorbereitet. Zum Beispiel auf die Schnelllebigkeit, dass man hochgeschossen und wieder fallen gelassen wird. Oft können sie auch besser mit Kritik umgehen und sich in der Zusammenarbeit mit Theatern behaupten. Es werden zahlreiche Türen geöffnet, und häufig haben auch die wesentlichen Theaterverlage immer ein Auge auf un­ sere Absolventen. Aber natürlich bedeutet das unterm Strich nicht, dass man zwingend erfolgreicher ist als je­ mand, der dieses Studium nicht absolviert hat. Gallet: Der Studiengang hat es vielen Autoren ermög­ licht, ihr künstlerisches Projekt für sich selbst deutlicher zu formulieren, als es ohne diese Art der Begleitung ge­ schehen wäre. Gibt es einen schulinternen Autorenbegriff? Gallet: Heutzutage schreibt ein Dramatiker zwar selbstver­ ständlich noch für die Bühne, doch übernimmt er auch andere Funktionen: als Redakteur – indem er p ­ ädagogisches Begleitmaterial und Programmtexte erstellt –, als Leiter von Schreibworkshops, Spielplan­gestalter, Dramaturg, Pädago­ ge ... Die Tätigkeit ist extrem vielseitig geworden. Lünstedt: Ich denke, wir verstehen den Autorenbegriff noch relativ klassisch, bereiten uns aber auch auf Verän­ derungen im Betrieb vor. Häufig geben die Studierenden dabei selbst Impulse. Der Autor wird wieder mehr Teil des Produktionsprozesses und sitzt nicht mehr nur zu Hause am Tisch. Ansonsten aber steht im Studium zu­ nächst der Autor im Mittelpunkt, der ein Stück schreibt, das eine gewisse Robustheit entwickelt und mit dem man ein Theater dann möglichst erfolgreich konfrontie­ ren kann. Inhaltlich lässt sich feststellen, dass es wieder ein stärkeres Interesse an gesellschaftspolitischen Zu­ sammenhängen und sozialen Realitäten gibt. //

cles), animateur d’ateliers d’écriture, conseiller de pro­ grammation, dramaturge, pédagogue... L’activité s’est ainsi beaucoup diversifiée. Lünstedt: Je pense que nous avons une compréhension de la notion d’auteur qui reste relativement classique, mais nous nous préparons également à des change­ ments structurels. Souvent ce sont les étudiants euxmêmes qui se font moteurs de ces changements : par exemple l’auteur tend à faire à nouveau partie du proces­ sus de production au lieu de rester à la maison, seul à son bureau. Toutefois, nous restons concentrés princi­ palement sur les auteurs qui écrivent des pièces suffis­ amment solides pour être proposées avec succès aux grands théâtres d’ensemble. En ce qui concerne les con­ tenus, nous pouvons constater à nouveau un grand in­ térêt porté sur les contextes socio-politiques. //

Schutzraum – Die Ber­­ liner Universität der Künste beherbergt den Studiengang Sze­ni­sches Schreiben seit 1990. // Lieu protégé – depuis 1990, l’Université des Arts de Berlin accueille le cursus d’Écriture scénique. Photo Daniel Nartschick

Ausbildungsorte für Szenisches Schreiben in Frankreich // Lieux de formation écriture dramatique en France Afdas (Assurance Formation des Activités du Spectacle)

Paris

www.afdas.com

École du Nord – section Auteur dramatique

Lille

ecoledunord.theatredunord.fr

École Nationale Supérieure d’Arts et Techniques du Théâtre (ENSATT) – département Écrivain dramaturge

Lyon

www.ensatt.fr

Ausbildungsorte für Dramaturgie in Frankreich // Lieux de formation conseiller dramaturgique en France École du Théâtre National de Strasbourg – section Mise en scène et dramaturgie

Strasbourg

www.tns.fr

Université Paris X – Nanterre – Master Mise en scène et dramaturgie

Nanterre

www.u-paris10.fr


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was macht das theater?

/ TdZ -Spezial  Frankreich /

Was macht das Theater, Philippe Quesne? Que devient le théâtre, Philippe Quesne ? Philippe Quesne, l’art peut-til réconcilier la société française, dont la fracture s’est passablement élargie depuis l’attentat contre Charlie Hebdo ? Ces dernières années en France, avec cet oppressant et absurde « état d’urgence » et cette atmosphère du tout sécuritaire, les théâtres eux-mêmes – en tant que lieux publics – , ont eu une mission nouvelle me sem­ ble-t-il. Plus que jamais, ils sont les espaces de rassem­ blement, de croisements des populations, lieux d’échanges et de vrais débats, voire de fêtes. Mais l’art ne peut pas être le sauveur de la fracture so­ ciale. Le rôle des artistes est plutôt de rester éveillés, d’alerter pour proposer des chemins de traverse et d’autres façons de voir le monde, de continuer de croire au pouvoir poétique pour regarder différem­ Philippe Quesne, Jahrgang 1970, gehört zu den international bekanntesten ment la vie sur terre, sans Theatermachern Frankreichs. Er studierte bildende Kunst, visuelle Gestaltung oublier de partager avec und Bühnenbild in Paris und gründete 2003 die Gruppe Vivarium Studio, mit der er weltweit tourt. Seit 2014 leitet er das Théâtre Nanterre-Amanles humains-spectateurs. Le diers in Paris. 2016 inszenierte er an den Münchner Kammerspielen théâtre est de tout temps „Caspar Western Friedrich“. // Né en 1970, Philippe Quesne compte parmi resté un art qui s’est réin­ les hommes de théâtre français les plus connus internationalement. Après des études d’arts plastiques et de scénographie à Paris, il fonde en 2003 venté grâce à la transposi­ la compagnie Vivarium Studio, avec laquelle il tourne dans le monde entier. tion directe, métaphorique Depuis 2014, il dirige le Théâtre Nanterre-Amandiers. En 2016, il a mis ou esthétique des enjeux en scène « Caspar Western Friedrich » aux Kammerspiele de Munich. Photo César Vayssié sociaux et politiques, des conflits ou des guerres. Au théâtre il est parfois possi­ Die zeitgenössischen Theaterautoren beklagen sich, zu Recht wie ble de croire à un « vivre ensemble », au moins le temps d’un mir scheint, darüber, dass sie in Frankreich nicht genug inszeniert spectacle… werden. Welchen Stellenwert haben Autoren am Théâtre NanterreLes auteurs dramatiques se plaignent, à raison me semble-t-il, de ne Amandiers? Diese Frage erscheint mir ein bisschen überholt. Ich glaube, dass pas être assez montés en France. Quelle est la place des auteurs au sich der Begriff des Theaterautors seit mehreren Jahren beträchtlich Théâtre Nanterre-Amandiers ? Philippe Quesne, kann die Kunst die französische Gesellschaft versöhnen, deren Spaltung sich seit dem Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo massiv vertieft hat? In den letzten Jahren, seitdem in Frankreich dieser bedrückende und absurde Ausnahmezustand und die­ se Atmosphäre der absoluten Unsi­ cherheit herrschen, haben die Thea­ ter eine neue Aufgabe bekommen, scheint mir. Mehr denn je sind sie Orte, an denen sich Menschen ver­ sammeln, unterschiedliche Bevölke­ rungsgruppen einander begegnen, Orte, an denen Austausch und wirk­ liche Auseinandersetzung stattfin­ den können, aber auch Feste. Aber die Kunst kann die Gesellschaft nicht vor dem Riss retten, der sie durchzieht. Die Rolle der Künstler ist es eher, wach zu bleiben und wachzurütteln, andere Wege und Perspektiven auf die Welt anzubie­ ten, weiterhin an die Macht der Poe­ sie zu glauben, um das Leben auf der Erde neu zu betrachten – ohne zu vergessen, dies mit den Zuschau­ er-Menschen zu teilen. Das Theater war schon immer eine Kunst, die sich dank der unmittelbaren metaphorischen oder ästhetischen Aus­ einandersetzung mit gesell­ schaft­lichen oder politischen Proble­ matiken, Konflikten oder Kriegen, ständig neu erfunden hat. Im Thea­ ter ist es manchmal möglich, an ein „Zusammen-Leben“ zu glauben. Wenigstens für die Dauer einer Auf­ führung ...


/ TdZ-Spezial  Frankreich /

erweitert hat. Dieser Begriff ist äußerst lebendig und deckt eine ­große Anzahl unterschiedlicher Formen ab. Das ist jedenfalls das Arbeitsfeld, das wir ihm in Nanterre-Amandiers schon seit drei ­ Spielzeiten einräumen: mit dem etwas schwammigen Begriff „Auto­ ren von Aufführungen“. Wenn man den Begriff so versteht, kann ich sagen, dass es in unserem Spielplan so gut wie nur Autoren gibt, Künstler oder Regisseure also, die sich eine eigene Handschrift erfin­ den und in Zusammenarbeit mit treuen Mitstreitern, mit Inter­ preten, Dramaturgen, Bühnen­ bildnern, Lichtdesignern und manchmal auch Schriftstellern Aufführungen entwerfen, die erst im Verlauf der Proben „ge­ schrieben“ werden. Gisèle Vi­ enne, Vincent Macaigne und Jo­ nathan Capdevielle arbeiten zum Beispiel so. Und natürlich gibt es zahlreiche Aufführungen, bei denen das Bühnenbild oder das künstlerische Universum un­ trennbar mit dem Text und der Inszenierung zusammenhän­ gen. Manche geben ihren Text im Nachhinein als Buch heraus, aber erst, nachdem sie ihn auf der Bühne erprobt haben. So wie beispielsweise Joël Pommerat mit „Ça ira (1) Fin de Louis“.

que devient le théâtre ?

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Cette question me semble un peu datée. Depuis plusieurs années je pense que la notion d’auteur de théâtre s’est considérablement élargie. Cette notion est en pleine vitalité et revêt une grande di­ versité des formes. C’est en tout cas la place que nous lui accor­ dons à Nanterre-Amandiers depuis quatre saisons déjà ; c’est à dire celle très claire « d’auteurs de spectacles ». Pris dans cette acceptation, je peux dire qu’il n’y a pratiquement que des auteurs dans notre programmation, c’est à dire des artistes ou metteurs en scène qui s’inventent une écriture propre, entourés de collaborateurs fidèles (inter­ prètes, dramaturges, scéno­ graphes, éclairagistes, et par­ fois écrivains), composant des spectacles qui s’écrivent en répétant (Gisèle Vienne, Vin­ cent Macaigne, Jonathan Cap­ devielle, etc.). Et bien sûr, nombreux sont ces spectacles pour lesquels la scénographie ou l’univers plastique est in­ dissociable du texte et de la mise en scène. Certains édi­ tent parfois leur texte a poste­ riori, mais après l’avoir éprou­ vé sur les plateaux (tel Joël Pommerat par exemple avec « Ça ira (1) Fin de Louis »).

Quel regard portez-vous sur les Wie sehen Sie die deutsch-französischen Beziehungen im Thea­ relations franco-allemandes terbereich? dans le domaine théâtral ? Ich glaube, dass es seit langer Je crois que c’est une influence Zeit gegenseitigen Einfluss gibt. réciproque depuis longtemps. Seit einigen Jahren habe ich Depuis quelques années, j’ai den Eindruck, als hätte das be­ l’impression qu’en France c’est stimmte Auftreten der deutschen le geste fort des metteurs en Regisseure, Bühnenbildner und scène, scénographes et acteurs Schauspieler die Arbeit neuer allemands qui a fortement in­ fluencé le travail des nouvelles ­Generationen und Kompanien in générations et compagnies. Et Frankreich stark beeinflusst. Und du coté allemand, c’est la sin­ auf deutscher Seite stößt die Ein­ zigartigkeit der Schreibweisen, gularité des écritures, des cul­ Über Tage – Das erste Mal tauchten Maulwürfe bei Philippe Quesne in „Swamp tures et des auteurs venus de Kulturen und Autoren aus Frank­ Club“ (2013) auf. 2015 geisterten sie durch das kollektive „Pre-enactment“ reich auf Interesse. Was sich nie­ France qui suscite de l’intérêt. des Pariser Klima-Gipfels in Nanterre (oben). 2016 entstand beim Kunstenfestivaldesarts kurz nach den Attentaten auf die Brüsseler Innenstadt „La Nuit mals zu ändern scheint, ist die Ce qui semble ne jamais bou­ des taupes“ (Die Nacht der Maulwürfe). // La première fois que les taupes font frappierende Verschiedenheit der ger c’est la différence frappante leur apparition dans une pièce de Philippe Quesne, c’est en 2013, dans Systeme. Auf der einen Seite die des systèmes, avec d’un côté le « Swamp Club ». Elles creusent à nouveau leurs galeries en 2015, lors de la simulation de la COP21 à Nanterre (ci-dessus). En 2016, peu après les Landschaft des Ensembletheaters paysage du théâtre d’ensemble attentats de Bruxelles, sa « Nuit des taupes » est présentée au Kunstenfestiund seinen dauerhaft engagier­ en Allemagne et ses acteurs valdesarts. Photo Martin Argyroglo ten Schauspielern in Deutsch­ permanents, sans équivalent land, wofür es in Frankreich en France, où l’on tente de faire keine Entsprechung gibt. Dort ­ perdurer une scène éclatée versucht man, den Fortbestand einer zersplitterten Szene von „unab­ d’artistes et compagnies « indépendantes », qui doivent se relier à hängigen“ Künstlern und Kompanien zu sichern, die sich mit Thea­ des théâtres pour monter leurs productions. // tern zusammenschließen müssen, um produzieren zu können. // Die Fragen stellte Jean-Marc Diébold. Propos recueillis par Jean-Marc Diébold.


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Alpes de Haute Provence

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CORSE Ajaccio

Corse du Sud

Festivals für Neue Dramatik // Festivals autour des écritures contemporaines Hauts-de-France - Lille

Hauts-de-France - Lille

Grand-Est - Strasbourg

Normandie - Rouen Écrire et mettre en scène aujourd’hui, (Panta Théâtre), Caen, www.pantatheatre.net Bretagne - Rennes

Normandie - Rouen

Écritures dans la ville – Lynceus Festival, Pays de la Loire - Nantes Île-de-France - Paris (Lynceus theatre), Binic, www.lynceustheatre.com

Île-de-France - Paris

Écritures partagées, (CDN de Normandie – Comédie de Caen), Hérouville-Saint-Clair, www.comediedecaen.com

Centre Val-de-Loire - Orléans

Centre Val-de-Loire - Orléans

En Acte(s), (La Corde Rêve), Lyon, www.enactes.fr

Auc

Tarbes

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Pyrénées Orientales

ActOral, Marseille, www.actoral.org

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Caen

Saint Lô

Occitanie - Toulouse

Bourgogne Franche-Comté - Dijon Hauts parleurs, (À Mots Découverts), Vitry-sur-Seine + Paris, www.amotsdecouverts.fr

Auvergne-Rhône-Alpes - Lyon

Bourgogne Franche-Comté - D

Nouvelle-Aquitaine - Bordeaux Jamais Lu Paris, (Jamais Lu), Paris, www.jamaislu.com

Provence-Alpes -Côte d’Azur - Marseille

Nouvelle-Aquitaine - Bordeaux

Journées de Lyon des auteurs de théâtre, (Journées de Lyon des auteurs de théâtre), Lyon, www.auteursdetheatre.org

Corse - Ajaccio

La Cour aux Ados, (Théâtre du Pélican), Clermont-Ferrand, www.theatredupelican.fr

lululataupe.com

Corse - Ajaccio

La Mousson d’été, (La Maison Européenne des Écritures Contemporaines (MEEC)), Pont-à-Mousson + Nancy, www.meec.org Le Printemps des Inédits, (Influenscènes), Fontenay-sous-Bois, www.influenscenes.com Nouvelles zébrures, (Francophonies en Limousin), Limoges, www.lesfrancophonies.fr Odyssées en Yvelines, (CDN Théâtre de Sartrouville et des Yvelines), Sartrouville, www.odyssees-yvelines.com Regards Croisés, (Troisième Bureau), Grenoble, www.troisiemebureau.com Scenic Youth, (CDN Comédie de Béthune), Béthune, www.comediedebethune.org Terres de Paroles, Rouen, www.terresdeparoles.com Text’Avril, (Théâtre de la Tête Noire), Saran, www.theatre-tete-noire.com Textes en l’air, Saint-Antoine-l’Abbaye, www.textesenlair.net Die Zusammenstellung der Adressen wurde durch die Mithilfe von Artcena – Centre national des Arts du cirque, de la rue et du théâtre ermöglicht. Ein herzlicher Dank dafür. // Les pages Adressen / Adresses ont été réalisées grâce aux données frounies par Artcena – Centre national des Arts du cirque, de la rue et du théâtre, que nous tenons à remercier chaleureusement.


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adresses

Produktions- und Aufführungsorte // Lieux de production et diffusion Centre dramatique national d’Orléans / Loiret / Centre, (Centre dramatique national), Orléans, www.cdn-orleans.com Comédie de Béthune d’Orléans, (Centre dramatique national), Béthune, www.comediedebethune.org Comédie de Caen, (Centre dramatique national), Hérouville-Saint-Clair, www.comediedecaen.com La Comédie-Française, (Théâtre National), Paris, www.comedie-francaise.fr Espace 600, (Scène régionale), Grenoble, www.espace600.fr La Baignoire – lieu des écritures contemporaines, Montpellier, www.labaignoire.fr La Colline – Théâtre national, (Théâtre National), Paris, www.colline.fr La Comédie de Saint-Etienne, (Centre dramatique national), Saint-Étienne, www.lacomedie.fr La Fabrique, (Scène conventionnée pour les écritures du monde et les musiques), Guéret, www.lafabrique-gueret.fr La Nacelle, (Scène conventionnée pour la création jeunes publics et les écritures contemporaines), Aubergenville, www.theatredelanacelle.fr Le Grand R, (Scène nationale), La Roche-sur-Yon, www.legrandr.com Le Préau, (Centre dramatique Régional de Normandie), Vire, www.lepreaucdr.fr Le Tarmac – La scène internationale francophone, Paris, www.letarmac.fr MC2: Grenoble, (Scène nationale), Grenoble, www.mc2grenoble.fr Montévidéo / Actoral, Marseille, www.montevideo-marseille.com Panta Théâtre, Caen, www.pantatheatre.net SortieOuest, (Scène conventionnée pour les écritures contemporaines, Béziers, www.sortieouest.fr Théâtre 95, (Scène conventionnée aux écritures contemporaines), Cergy-Pontoise, www.theatre95.com Théâtre de l’Ephémère, (Scène conventionnée pour les écritures théâtrales contemporaines), Le Mans, www.theatre-ephemere.fr Théâtre de la Tête Noire, (Scène conventionnée pour les écritures contemporaines), Saran, www.theatre-tete-noire.com Théâtre des Ilets, (Centre dramatique national), Montluçon, www.theatredesilets.com Théâtre du Cloître, (Scène conventionnée), Bellac, www.theatre-du-cloitre.fr Théâtre du Nord, (Centre dramatique national), Lille, www.theatredunord.fr Théâtre du Pélican, Clermont-Ferrand, www.theatredupelican.fr Théâtre du Rond-Point, Paris, www.theatredurondpoint.fr Théâtre Joliette-Minoterie, (Scène conventionnée pour les expressions contemporaines), Marseille, www.theatrejoliette.fr Théâtre National de Strasbourg, (Théâtre National), Strasbourg, www.tns.fr Théâtre Ouvert, (Centre National des Dramaturgies Contemporaines), Paris, www.theatre-ouvert.com

Residenzen // Résidences Académie de France à Rome – Villa Medici, Rome, www.villamedici.it/fr Amathea, Orcet, www.amathea.fr Association culture, arts et lettres des îles (C.A.L.I), Ouessant, www.livre-insulaire.bzh Association Nova Villa, Reims, www.nova-villa.com Atlas (Association pour la promotion de la traduction littéraire) – CITL (Collège International des Traducteurs littéraires), Paris + Arles, www.atlas-citl.org Centre Intermondes, La Rochelle, www.centre-intermondes.com Château de La Napoule, Mandelieu-La Napoule, www.lnaf.org Écritures théâtrales en chantier (ETC), Comédie Poitou-Charente, Poitiers, www.comedie-pc.fr Espace Pandora, Vénissieux, www.espacepandora.org Fondation des Treilles, Paris, www.les-treilles.com Institut Français – Cité internationale des Arts, Paris, www.institutfrancais.com/fr/residences-la-cite-internationale-des-arts Institut Français – Résidences Hors les murs, Paris, www.institutfrancais.com/fr/residences/residences-hors-les-murs La Chartreuse – CNES (Centre national des écritures du spectacle), Villeneuve-lès-Avignon, www.chartreuse.org La maison De Pure Fiction, Calvignac, www.depurefiction.fr La Pensée Sauvage, Bouxurulles, www.pensee-sauvage.fr Le Quai des Arts, service culturel municipal de la ville d’Argentan, Argentan, www.quaidesarts.fr Les Francophonies en Limousin, Limoges, www.lesfrancophonies.fr Livre passerelle, Tours, www.livrepasserelle.wordpress.com Maison des Écritures & des Écritures Transmédias (MEET) – Hypolipo, Orcet, www.hypolipo.com Maison des Écritures de la Scène – Textes en l’air, Saint Antoine l’Abbaye, www.textesenlair.net Maison des Écritures Lombez Midi-Pyrénées, Lombez, www.maison-ecritures.fr Maison des Écrivains Étrangers et Traducteurs de Saint-Nazaire (meet), Saint-Nazaire, www.meetingsaintnazaire.com Maison Jules Roy, Vézelay, www.lyonne.com Maison Julien Gracq, Saint Florent le Vieil, www.maisonjuliengracq.fr Montevideo, Marseille, www.montevideo-marseille.com Programme régional de résidences d’écrivains Conseil régional Île-de-France, Paris, www.iledefrance.fr Relais Culturel Régional Usine Utopik, Centre de création contemporaine, Tessy-sur-Vire, www.usine-utopik.com Théâtre du Cloitre / Association Bellac sur Scène, Bellac, www.theatre-du-cloitre.fr Villa La Brugère, Arromanches, www.villa-la-brugere.com

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/ TdZ -Spezial  Frankreich /

Dokumentations- & Informationszentren // Lieux ressources ARCADI Île-de-France, Paris, www.arcadi.fr Association Beaumarchais-SACD, Paris, www.beaumarchais.asso.fr Bibliothèque nationale de France (BNF) / Département des Arts du spectacle, Paris, www.bnf.fr Centre national des arts du cirque, de la rue et du théâtre (ARTCENA), Paris, www.artcena.fr Centre National du Livre (CNL), Paris, www.centrenationaldulivre.fr Ministère de la Culture / Direction générale de la création artistique (DGCA), Paris, www.culturecommunication.gouv.fr Écrivains Associés du Théâtre (EAT), Paris, www.eatheatre.fr Maison Antoine Vitez – Centre international de la traduction théâtrale (MAV), Paris, www.maisonantoinevitez.com Maison des Auteurs de la SACD, Paris, www.sacd.fr Maison des Écrivains et de la Littérature (MEL), Paris, www.m-e-l.fr Société des Auteurs et Compositeurs Dramatiques (SACD), Paris, www.sacd.fr

Übersetzungsprogramme und Hauptlesekomitees // Dispositifs de traduction et principaux comités de lecture Atlas (Association pour la promotion de la traduction littéraire) + CITL (Collège International des Traducteurs littéraires), (Residenzen // Résidence, Workshops // Ateliers, Preise, Stipendien // Prix, « Printemps de la Traduction »), Paris + Arles, www.atlas-citl.org Centre national du Livre (CNL), (Aufenthaltsstipendien für ausländische Übersetzer // Bourses de séjour aux traducteurs étrangers, Übersetzungsstipendien für Übersetzer aus dem Französischen // Bourses aux traducteurs des langues étrangères vers le français, Aufenthaltsstipendien // Bourse de résidence, Paris, www.centrenationaldulivre.fr CDN d’Orléans, Orléans, (Lesekomitee // Comité de lecture), www.cdn-orleans.com Commission nationale d’aide à la création de textes dramatiques, Paris, www.cnt.asso.fr Comédie de l’Est de Colmar, Colmar, (Lesekomitee // Comité de lecture), www.comedie-est.com Comité de sélection pour l’attribution d’aides à l’écriture, Paris, www.beaumarchais.asso.fr Entr’Actes, Paris, www.entractes.sacd.fr Eurodram – Réseau européen de traduction théâtrale, Paris + Saint-Pierre-de-la-Fage, www.sildav.org La Mousson d’été, Pont-à-Mousson, www.meec.org Le Tarmac Paris, Paris, (Lesekomitee // Comité de lecture), www.letarmac.fr Journées de Lyon des Auteurs de Théâtre, Lyon, www.auteursdetheatre.org Maison Antoine Vitez – centre international de la traduction théâtrale (MAV), (Übersetzungsförderung // Aide à la traduction), Paris, www.maisonantoinevitez.com Maison d’Europe et d’Orient, (Eurodram – Übersetzernetzwerk // Réseau de traduction), Paris + Saint-Pierre-de-la-Fage, www.sildav.org Société des auteurs et compositeurs dramatiques (SACD), (Entr’Actes), Paris, www.entractes.sacd.fr Théâtre du Rond point, Paris, (Lesekomitee // Comité de lecture), www.theatredurondpoint.fr TNS Strasbourg, Strasbourg, (Lesekomitee // Comité de lecture), www.tns.fr Théâtre National de Toulouse, Toulouse, (Lesekomitee // Comité de lecture), www.tnt-cite.com Théâtre ouvert, Paris, (Lesekomitee // Comité de lecture), www.theatre-ouvert.com

Theaterverlage // Maisons d’édition Actes-Sud Papiers, Paris, www.actes-sud.fr Écritures théâtrales du Grand Sud-Ouest, Benquet, www.etgso.com Éditions de la Librairie Théâtrale (Art & Comédie, L’Œil du Prince, Librairie théâtrale), Paris, www.librairie-theatrale.com Éditions Espaces 34, Les Matelles, www.editions-espaces34.fr Éditions Koïnè, Bagnolet, www.edition-koine.fr Éditions La Fontaine – Librairie Dialogues Théâtre, Lille, www.dialoguestheatre.fr Éditions La Maison Brûlée, Saint Maurice Saint Germain, www.editionslamaisonbrulee.fr Éditions Les Cygnes, Paris, www.editionlescygnes.fr Éditions Les Mandarines, Brech, www.lesmandarines.free.fr Éditions Les Solitaires intempestifs, Besançon, www.solitairesintempestifs.com Éditions Théâtrales, Montreuil-sous-Bois, www.editionstheatrales.fr Éditions Théâtre Ouvert-Tapuscrits, Paris, www.theatre-ouvert.com L’Arche Éditeur, Paris, www.arche-editeur.com L’Avant-scène-Théâtre, Paris, www.avantscenetheatre.com L’Espace d’un Instant, Paris, www.sildav.org L’Œil du Souffleur, Massat, www.oeildusouffleur.com Lansman Éditeur, Manage (Belgique), www.lansman.org Les Cahiers de l’Égaré, Le Revest-les-Eaux, www.lescahiersdelegare.com Les Éditions de l’Amandier, Paris, www.editionsamandier.fr Quartett Éditions, Le Perreux-sur-Marne, www.quartett.fr


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Förderprogramme // Financements Centre national des arts du cirque, de la rue et du théâtre (ARTCENA), (Förderung von dramatischen Texten // Aide à la création de textes dramatiques), Paris, www.artcena.fr Centre national des arts du cirque, de la rue et du théâtre (ARTCENA), (Preis für Dramatik und Preis für Jugenddramatik // Grand Prix de Littérature dramatique et Grand Prix de Littérature dramatique Jeunesse), Paris, www.artcena.fr Association Beaumarchais-SACD, (Schreibförderung // Aides à l’écriture), Paris, www.beaumarchais.asso.fr Centre régional des lettres Midi-Pyrénées, (Schreibstipendien, Residenzen // Bourses d’écriture, Coups de pouce Auteur, Résidences), Toulouse, www.crl-midipyrenees.fr Centre national du Livre (CNL), (Schreib- und Übersetzungsstipendien, Residenzen // Bourse d’écriture, Bourse de traduction, Bourse de résidence), Paris, www.centrenationaldulivre.fr Collectivité territoriale Corse, (Schreibstipendien, Residenzen // Bourse d’écriture, Aide à la résidence), Ajaccio, www.corse.fr Direction Générale de la Création Artistique (DGCA), (Förderung für die Zusammenarbeit von Autor und Kompanie // Aide au compagnonnage), Paris, www.culturecommunication.gouv.fr/Nous-connaitre/Organisation/Directions/La-direction-generale-de-la-creation-artistique DRAC / Région Auvergne – Rhône-Alpes, (Autorenstipendien // Bourses aux auteurs d’ouvrages), Lyon + Clermont-Ferrand, www.auvergnerhonealpes.fr DRAC / Région Centre – Val de Loire, (Autorenresidenzen // Soutien aux résidences d’auteur), Château-Renault, www.ciclic.fr/actualites/dispositif-de-soutien-aux-structures-pour-les-residences-d-auteur-2017 DRAC Bretagne, (Literaturförderung // Soutien à la vie littéraire), Rennes, www.culturecommunication.gouv.fr/Regions/Drac-Bretagne Maison Antoine Vitez – centre international de la traduction théâtrale (MAV), (Übersetzungsförderung // Aide à la traduction), Paris, www.maisonantoinevitez.com Office Artistique de la Région Aquitaine (OARA), (Schreibstipendien // Bourses d’écriture), Bordeaux, www.oara.fr/bourses-ecriture Région Bourgogne – Franche-Comté, (Residenzen und Produktionsstipendien // Bourses de résidences et bourses de création), Besançon, www.bourgognefranchecomte.fr/Aides-aux-auteurs-bourses-de-residence-et-bourses-de-creation,1131,gda:265,gdadep:25,gdabfc:fc Région Bretagne, (Reiseförderung // Mobilité des artistes professionnels à l’international (Convention Région Bretagne / Institut Français)), Rennes + Paris, www.bretagne.bzh/jcms/l_22036/fr/mobilite-des-artistes-professionnels-a-l-international-convention-region-bretagne-/-institut-francais; (Autorenresidenzen // Aide à la résidence d’auteur), (Conseil Régional de Bretagne), www.bretagne.bzh/jcms/preprod_162741/fr/aide-a-la-residence-d-auteur Région Champagne-Ardenne, Direction de la culture, (Literaturförderung // Aide à la création littéraire), Châlons-en-Champagne, www.champagne-ardenne-guide-des-aides.fr/lesaides/Pages/CULT-creation-litteraire.aspx Région Occitanie, (Autoren- und Übersetzungsstipendien, Autorenresidenzen // Programme de bourses individuelles aux auteurs et traducteurs, Programme de soutien aux résidences d’auteurs), www.laregion.fr/Livre-Lecture-publique-Litterature-orale-Soutien-aux-bourses Région Pays-de-la-Loire, (Autorenresidenzen // Résidences d’écrivains), www.paysdelaloire.fr/services-en-ligne/aides-regionales/aides-regionales-themes/ culture-et-sports/actu-detaillee/n/residences-decrivains SACD / DGCA, Écrire pour la rue, (Residenzen für Arbeiten im öffentlichen Raum // Résidences d'auteurs pour l’espace public) Paris, www.sacd.fr

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Tel. 04137 - 810529

info@merlin-verlag.de

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www.merlin-verlag.com


www.theaterderzeit.de

ISBN 978-3-95749-115-2


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