BRACK IMPERieT. „Hedda Gabler“ von Vegard Vinge und Ida Müller in Oslo

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EUR 9,50 / CHF 10 / www.theaterderzeit.de September 2022 • Heft Nr. 9


STAATS SCHAUSPIEL DRESDEN ERÖFFNUNGSFEST WIE ES EUCH GEFÄLLT nach William Shakespeare Philipp Lux MACBETH William Shakespeare Christian Friedel DIE KATZE ELEONORE Caren Jeß Simon Werdelis Uraufführung GAS-TRILOGIE Georg Kaiser Sebastian Baumgarten ELIZA EFFEKT Jacqueline Reddington und Ensemble sowie eine K. I. Jacqueline Reddington Uraufführung MUTMASSUNGEN ÜBER JAKOB Uwe Johnson Camille Dagen Uraufführung BARON MÜNCHHAUSEN Rainald Grebe Uraufführung TAUSEND SONNEN Tobias Rausch Uraufführung DIE ORESTIE Aischylos Michael Talke DER ZAUBERER VON OZ Lyman Frank Baum Christina Rast FAST FORWARD Europäisches Festival für junge Regie DER ALCHEMIST Ben Jonson Lily Sykes DIE FAMILIE SCHROFFENSTEIN Heinrich von Kleist Tom Kühnel DORIAN Koproduktion mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus und dem National Kaunas Drama Theatre Darryl Pinckney und Robert Wilson nach Oscar Wilde Robert Wilson GARLAND Svenja Viola Bungarten Katrin Plötner WOLOKOLAMSKER CHAUSSEE I – V Heiner Müller Josua Rösing FERNE VÄTER Jonas Egloff und Emily Magorrian Uraufführung VATERLAND Robert Harris Claudia Bauer VOR SONNENAUFGANG Ewald Palmetshofer nach Gerhart Hauptmann Nicolai Sykosch DAS LEBEN EIN TRAUM Pedro Calderón de la Barca Tilmann Köhler VERNICHTEN Michel Houellebecq Sebastian Hartmann DIE WAND nach Marlen Haushofer kainkollektiv (Fabian Lettow, Mirjam Schmuck) SYLVIA UND SYBILLE Christa Winsloe Daniela Löffner EINE SOMMERKOMÖDIE Rafael Sanchez EIN NEUES STÜCK Jaz Woodcock-Stewart MONTAGSCAFÉ FESTIVAL in Planung: DO IT YOURSELF!

Tobias Rausch

Uraufführung

2022/2023


© Moritz Haase

DIE DREIGROSCHENOPER von Bertolt Brecht (Text) und Kurt Weill (Musik) unter Mitarbeit von Elisabeth Hauptmann, Regie: Barrie Kosky, Musikalische Leitung: Adam Benzwi, Premiere: 13.8.2021 SARAH von Scott McClanahan, Regie: Oliver Reese, Uraufführung: 14.8.2021 SCHWARZWASSER von Elfriede Jelinek, Regie: Christina Tscharyiski, Premiere: 18.8.2021 AMOK nach Stefan Zweig, von/mit: Cordelia Wege, Premiere: 1.9.2021 DIE MUTTER nach Bertolt Brecht, Regie: Christina Tscharyiski, Premiere: 10.9.2021 HEXENJAGD von Arthur Miller, Regie: Mateja Koležnik, Premiere: 7.10.2021 ANATOMIE EINES SUIZIDS von Alice Birch, Regie: Nanouk Leopold, Premiere: Ende Oktober 2021 DER WEG ZURÜCK von Dennis Kelly, Regie: David Bösch, Uraufführung: Ende November 2021 DER DIENER ZWEIER HERREN von Carlo Goldoni, Regie: Antú Romero Nunes, Premiere: 4.12.2021 MEIN NAME SEI GANTENBEIN von Max Frisch, Regie: Oliver Reese, Premiere: 14.1.2022 WWW.BERLINER-ENSEMBLE.DE

SPIELZEIT 2022/23 PREMIEREN BIS ENDE JANUAR

DIE NETZWELT von Jennifer Haley, Regie: Max Lindemann, Premiere 9.9.2022 / EXIL von Lion Feuchtwanger, Regie: Luk Perceval, Premiere 10.9.2022 / BRECHTS GESPENSTER von Suse Wächter, Regie: Suse Wächter, Uraufführung 21.9.2022 / OPHELIAMASCHINE von Magda Romanska, Regie: Uršulė Barto, Deutsche Erstaufführung 30.9.2022 / DER THEATERMACHER von Thomas Bernhard, Regie: Oliver Reese, Premiere 20.10.2022 / DIE VIELLEICHTSAGER von Alexander Eisenach, Regie: Alexander Eisenach, Uraufführung 28.10.2022 / THE WRITER von Ella Hickson, Regie: Fritzi Wartenberg, Premiere 19.11.2022 / EINSAME MENSCHEN von Felicia Zeller nach Gerhart Hauptmann, Regie: Bettina Bruinier, Uraufführung 7.12.2022 / CLOCKWORK ORANGE von Anthony Burgess, Regie: Tilo Nest, Premiere 13.1.2023 / IWANOW nach Anton Tschechow, Regie: Yana Ross, Premiere 21.1.2023 WWW.BERLINER-ENSEMBLE.DE

© Moritz Haase

SPIELZEIT 2021/22 PREMIEREN BIS ENDE JANUAR


SCHAUSPIEL FRANKFURT von Anton Tschechow Regie: Jan Bosse Premiere: 22. September 2022

UNHEIM (UA)

von Wilke Weermann Regie: Wilke Weermann Premiere: 29. Oktober 2022

SCHAUSPIELHAUS

K AMMERPIELE

SOLASTALGIA (UA)

ANTHOLOGIE

von Thomas Köck Koproduktion mit dem Kunstfest Weimar Regie: Thomas Köck Premiere: 23. September 2022

von Jacopo Godani die Dresden Frankfurt Dance Company zu Gast im Schauspielhaus Choreografie: Jacopo Godani Premiere: 01. Dezember 2022

K AMMERSPIELE

SCHAUSPIELHAUS

YO BRO

UNTER UNS. UNSICHTBAR? (UA)

von und mit Joana und Aljoscha Tischkau Koproduktion mit dem Künstlerhaus Mousonturm und dem Festival Politik im Freien Theater Regie: Joana und Aljoscha Tischkau Premiere: 24. September 2022 BOCKENHEIMER DEPOT

EIN VOLKSFEIND

von Henrik Ibsen Regie: Lily Sykes Premiere: 25. September 2022 SCHAUSPIELHAUS

BURT TURRIDO. AN OPERA (DE)

von Nature Theater of Oklahoma Koproduktion mit dem Künstlerhaus Mousonturm Regie: Kelly Copper & Pavol Liška Premiere: 08. Oktober 2022 BOCKENHEIMER DEPOT

DER WEG DES SOLDATEN (UA)

nach Wolfgang Herrndorf Klassenzimmerstück ab 15 Jahren Studiojahr Schauspiel Regie: Martin Brüggemann Premiere: 15. Oktober 2022 BOX

DIE SCHMUTZIGEN HÄNDE

von Jean-Paul Sartre Regie: Lilja Rupprecht Premiere: 28. Oktober 2022 SCHAUSPIELHAUS

Fragile Verbindungen #4 Jugendperformanceprojekt ab 14 Jahren von Martina Droste und Tina Müller Regie: Martina Droste Premiere: 09. Dezember 2022 K AMMERSPIELE

DER KLEINE SNACK (UA)

von Nele Stuhler und Jan Koslowski Regie: Stuhler / Koslowski Premiere: 22. Dezember 2022 K AMMERSPIELE

LIFE IS BUT A DREAM nach »Onkelchens Traum« von F. M. Dostojewski Regie: Barbara Bürk Premiere: 20. Januar 2023 Kammerspiele

10 ODD EMOTIONS (UA) von Saar Magal Koproduktion mit der Dresden Frankfurt Dance Company Regie und Choreografie: Saar Magal Premiere: 21. Januar 2023 SCHAUSPIELHAUS

DIE TRAUMNOVELLE

nach Arthur Schnitzler Regie: Sebastian Hartmann Premiere: 04. März 2023 SCHAUSPIELHAUS

BALANCE – ZEHN VERSUCHE, DIE WELT ZU VERSTEHEN (UA) Jugendperformanceprojekt ab 14 Jahren von Martina Droste und Stephanie Endter / Kooperation mit dem Weltkulturen Museum Regie: Martina Droste Premiere: 18. März 2023 WELTKULTUREN MUSEUM

MEIN LIEBLINGSTIER HEISST WINTER (UA) nach Ferdinand Schmalz Regie: Rieke Süßkow Premiere: 24. März 2023 K AMMERSPIELE

MACBETH

von William Shakespeare Regie: Timofej Kuljabin Premiere: 14. April 2023 SCHAUSPIELHAUS

DAS TOVE-PROJEKT (AT)

nach Tove Ditlevsen Regie: Ewelina Marciniak Premiere: 02. Juni 2023 SCHAUSPIELHAUS

LENA UND LEONCE.

EIN BÜCHNERFRAGMENT (UA) von Regina Wenig Studiojahr Schauspiel Regie: Regina Wenig Premiere: 10. Juni 2023 K AMMERSPIELE

FESTIVALS

ONKEL WANJA

POLITIK

IM FREIEN

THEATER 29. September – 08. Oktober 2022

T H E AT E R DER WELT F R A N K F U R T- O F F E N B A C H

29. Juni – 16. Juli 2023

WWW.SCHAUSPIELFRANKFURT.DE


Schauspiel — Junges Schauspiel — Stadt:Kollektiv — Spielzeit 2022 /2023

Schauspiel Schauspielhaus, Großes Haus — 2.9. Othello von William Shakespeare, R: Lara Foot — 8.10. Franziska von Frank Wedekind, R: Sebastian Baumgarten — 5.11. Cabaret von Joe Masteroff, John Kander und Fred Ebb, R: André Kaczmarczyk — 20.11. Robin Hood Eine gemeinsame Produktion von Schauspiel und Jungem Schauspiel, R: David Bösch — Januar Die fünf Leben der Irmgard Keun von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, R: Mina Salehpour, UA — Februar Wilhelm Tell von Friedrich Schiller, R: Roger Vontobel — März Johann Holtrop von Rainald Goetz, R: Stefan Bachmann, UA, Koproduktion mit dem Schauspiel Köln — April Der gute Mensch von Sezuan von Bertolt Brecht, R: Bernadette Sonnenbichler Schauspielhaus, Kleines Haus — 3.9. Ödipus nach Sophokles, R: Felix Krakau — 1.10. Biedermann und die Brandstifter von Max Frisch, R: Adrian Figueroa — 3.12. My Private Jesus von Lea Ruckpaul, R: Bernadette Sonnenbichler, UA — März Serge von Yasmina Reza, R: Selen Kara, DEA — April Keine Gegenwart für immer von Bonn Park, R: Bonn Park, UA — Mai Schuld und Sühne von Barbara Bürk und Clemens Sienknecht, R: Barbara Bürk, Clemens Sienknecht Unterwegs — Januar Johanna (to go) von Friedrich Schiller, R: Robert Lehniger Open Air — Mai D’haus Open Air 2023 R: Andreas Kriegenburg Junges Schauspiel 9.9. Moby-Dick von Herman Melville, R: Robert Gerloff — 18.9. Wenn Wolken wachsen von Emel Aydoğdu, R: Emel Aydoğdu, UA — 1.12. Don Giovanni von Jens Ohlin und Hannes Meidal, R: Farnaz Arbabi — Februar K wie Kafka von Gregory Caers und Ensemble, R: Gregory Caers, UA Open Air — 6.8. Die Geschichte vom Löwen, der nicht malen konnte von Martin Baltscheit, R: Fabian Rosonsky, UA Stadt:Kollektiv Kleines Haus — 29.10. Die Nacht so groß wie wir von Sarah Jäger, Eine Inszenierung mit Jugendlichen von 14 bis 20 Jahren, R: Salome Dastmalchi, UA — Februar Odyssee von Pavlo Arie frei nach Homer, Eine Inszenierung mit Menschen aus der Ukraine und aus Düsseldorf, R: Stas Zhyrkov Unterwegs April Solingen 1993 Eine theatrale Busreise in die Vergangenheit, R: Bassam Ghazi, UA


22

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DER

STURM

AS YOU FUCKING LIKE IT

von William Shakespeare in einer neuen Übersetzung von Jakob Nolte Regie: Jan Bosse Berlin-Premiere: 1. September 2022

A N DER

Ein Musical nach Max Stirner von Sebastian Hartmann und PC Nackt Regie: Sebastian Hartmann Premiere: 4. September 2022

LEONCE L E

Illustration: Frank Höhne

FOREVER FOREVER

UND N A

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A

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Die Welt des Funny van Dannen Regie: Tom Kühnel und Jürgen Kuttner Uraufführung: 31. März 2023

von Lucy Kirkwood Regie: Jette Steckel Deutsche Erstaufführung: 12. November 2022

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OST

8.–12. März 2023

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nach Gotthold Ephraim Lessing in einer Überschreibung von Joanna Praml und Dorle Trachternach Regie: Joanna Praml Premiere: 7. Februar 2023

DAS HIMMELSZELT

YIN YOUNG

RADAR

Eine Inszenierung des Jungen DT

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von Simon Stephens Regie: Daniela Löffner Premiere: 24. Februar 2023

von Georg Büchner Regie: Ulrich Rasche Premiere: 20. Januar 2023

von Gotthold Ephraim Lessing in einer Fassung von Anne Lenk und David Heiligers Regie: Anne Lenk Premiere: 14. Oktober 2022

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AM STRAND DER WEITEN WELT

von Albert Camus Regie: Lilja Rupprecht Premiere: 17. Dezember 2022

MINNA VON B A R N H E L M

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A B E PERSON

C A L I G U L A

von Anton Tschechow in einer Fassung von Timofej Kuljabin und Roman Dolzhanskij Regie: Timofej Kuljabin Premiere: 23. September 2022

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G

nach dem Roman von David Grossman in einer Bearbeitung von Armin Petras Regie: Armin Petras Premiere: 19. Februar 2023

von Elfriede Jelinek Regie: Jossi Wieler Uraufführung: 16. Dezember 2022

P L A T O N O W

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EINE FRAU FLIEHT VOR EINER NACHRICHT

von William Shakesqueer Regie: Bastian Kraft Premiere: 18. November 2022

DER EINZIGE UND SEIN EIGENTUM

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AUTOR:INNEN T H E AT E R TA G E 2 0 2 3

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30. April–7. Mai 2023

Und eine Inszenierung von Kirill Serebrennikov

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Schauspielhaus Züri 2022 / 2023 ch Premieren / Premiere s Das Haus von Bernarda Alba Von / By Trajal Harrell nach dem Theaterstück von / adapted from the play by Federico García Lorca Inszenierung und Choreografie / Staging and choreography: Trajal Harrell Zürich-Premiere: 9. September 2022, Pfauen

Ödipus Tyrann Von / By Sophokles Inszenierung / Staging: Nicolas Stemann Premiere: 11. September 2022, Pfauen

Border Nach dem Film von / After the film by Ali Abbasi Inszenierung / Staging: Christopher Rüping Uraufführung / World premiere: 16. September 2022, Schiffbau-Halle

Reigen

Von / By Lydia Haider, Sofi Oksanen, Leïla Slimani, Sharon Dodua Otoo, Leif Randt, Mikhail Durnenkov, Hengameh Yaghoobifarah, Kata Wéber, Jonas Hassen Khemiri, Lukas Bärfuss Nach / After Arthur Schnitzler Inszenierung / Staging: Yana Ross Zürich-Premiere: 17. September 2022, Pfauen

Das neue Leben – Where do we go from here Frei nach / Freely adapted after Dante Alighieri, Meat Loaf und / and Britney Spears Auf Grundlage einer Übersetzung / Based on a translation von / by Thomas Vormbaum Inszenierung / Staging: Christopher Rüping Zürich-Premiere: 20. Oktober 2022, Pfauen Eingeladen zum / Invited to 59. Berliner Theatertreffen

Kleine Fische (AT/ WT) *

Von / By Lucien Haug Inszenierung / Staging: Suna Gürler Uraufführung / World premiere: 29. Oktober 2022, Schiffbau-Box Auch interessant für Menschen ab 14 / Also interesting for ages 14 and up

Pinocchio Nach / After Carlo Collodi Inszenierung / Staging: Wu Tsang mit / with Moved by the Motion Premiere: 12. November 2022, Pfauen Auch interessant für Menschen ab 8 / Also interesting for ages 8 and up

Sonne, los jetzt! Von / By Elfriede Jelinek Inszenierung / Staging: Nicolas Stemann Uraufführung / World premiere: 15. Dezember 2022, Pfauen

Schwestern Nach / After Anton Tschechow Inszenierung / Staging: Leonie Böhm Premiere: 21. Januar 2023, Pfauen

Contre-enquêtes

Nach dem Roman / Adapted from the novel Der Fall Meursault von / by Kamel Daoud Inszenierung / Staging: Nicolas Stemann Zürich-Premiere: Januar 2023, Schiffbau-Box

Depois do silêncio (Nach der Stille)

Nach dem Buch / Adapted from the book Torto Arado von / by Itamar Vieira Júnior Inszenierung / Staging: Christiane Jatahy Zürich-Premiere: Februar 2023, Schiffbau-Box

Eine neue Inszenierung Von / By Suna Gürler Premiere: 11. Februar 2023, Pfauen Auch interessant für Menschen ab 14 / Also interesting for ages 14 and up

Gier Von / By Sarah Kane Inszenierung / Staging: Christopher Rüping Premiere: 4. März 2023, Pfauen

The Romeo Von / By Trajal Harrell Inszenierung und Choreografie / Staging and choreography: Trajal Harrell Premiere: April 2023, Pfauen

Riesenhaft in Mittelerde (AT/ WT) * Frei nach Motiven von / Loosely adapted from J.R.R. Tolkiens Der Herr der Ringe / The Lord of the Rings Von und mit / by and with Theater Hora, Das Helmi Puppentheater & Nicolas Stemann & Ensemble Uraufführung / World premiere: 22. April 2023, Schiffbau-Halle

A Wild Piece of Wood Festival & Filminstallation von / by Wu Tsang & Moved by the Motion Premiere: Frühjahr / Spring 2023, Zeughaus

Antigone Von / By Sophokles Inszenierung / Staging: Stas Zhyrkov Premiere: Frühjahr / Spring 2023, Pfauen

Produktionen Jugendclubs 1–4 / Productions Youth Clubs 1–4 Premieren / Premieres: Mai und Juni 2023, Pfauen und Schiffbau * Arbeitstitel / Working title

2223.schauspielhaus.ch


SPIELPLAN 2022/23 AMADEUS

von Peter Shaffer

IN DEN GÄRTEN ODER LYSISTRATA TEIL 2

WIEDER AB MÄRZ-2023 / SCHLOSSTHEATER

von Sibylle Berg

IM NEUEN PALAIS POTSDAM-SANSSOUCI

WIEDER AB OKT-2022 / REITHALLE

CONCORD FLORAL

KINDER DER SONNE

von Jordan Tannahill

von Maxim Gorki

PREMIERE 28-OKT-2022 / REITHALLE

PREMIERE 16-SEP-2022 / GROSSES HAUS

DAS FEST

STOLZ UND VORURTEIL * (*ODER SO)

von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov PREMIERE 6-MAI-2023 / GROSSES HAUS

von Isobel McArthur nach Jane Austen

PREMIERE 25-NOV-2022 / GROSSES HAUS

DER VORNAME

von Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière WIEDER AB SEP-2022 / GROSSES HAUS

WARTEN AUF GODOT von Samuel Beckett

PREMIERE 28-APR-2023 / REITHALLE

DIE MITBÜRGER

von Annalena und Konstantin Küspert URAUFFÜHRUNG 27-JAN-2023 / REITHALLE

WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF?

DIE NASHÖRNER

von Edward Albee

WIEDER AB SEP-2022 / GROSSES HAUS

WIE ES EUCH GEFÄLLT

PREMIERE 15-OKT-2022 / REITHALLE

von Eugène Ionesco

DIE SCHMUTZIGEN HÄNDE

von Jean-Paul Sartre

PREMIERE 14-OKT-2022 / GROSSES HAUS

DIE ZEIT IST AUS DEN FUGEN

von Jürgen Hofmann

PREMIERE 20-JAN-2023 / GROSSES HAUS

FRAU SCHMIDT FÄHRT ÜBER DIE ODER

von Anne Habermehl

PREMIERE 17-SEP-2022 / REITHALLE

von William Shakespeare

PREMIERE 3-JUN-2023 / SOMMERBÜHNE AM TIEFEN SEE

WIR SIND AUCH NUR EIN VOLK

nach den Drehbüchern von Jurek Becker

WIEDER AB MÄRZ-2023 / GROSSES HAUS

WOYZECK

von Georg Büchner PREMIERE 17-FEB-2023 / GROSSES HAUS

DIE PREMIEREN DES JUNGEN HANS OTTO THEATERS FINDEN SIE UNTER: WWW.HANSOTTOTHEATER.DE/JUNGES-HANS-OTTO/STUECKE/

HANSOTTOTHEATER.DE


editorial

/ TdZ September 2022 /

D

as Titelbild dieser Ausgabe stammt von dem norwegischen Theaterkünstler und Maler Vegard Vinge, der die Zeichnung für Theater der Zeit nach einer älteren Vorlage überarbeitete. Diese gehört offensichtlich – siehe die neu eingetragene Jahreszahl und vor allem den Essay von Thomas Oberender im Kunstinsert – zu den jahrelangen Vorbereitungen von Ida Müller und Vegard Vinge für „Hedda Gabler“, die dann als Fortsetzung ihrer Ibsen-Saga an nur vier Abenden im Mai in Oslo zu sehen war. Das Motiv der mit Zigarette und Groschenroman elegant lümmelnden Frau geht natürlich auf eines der bekanntesten Plakate der Filmgeschichte zurück, nämlich jenes für Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ aus dem Jahr 1994. Nachfolgend immer wieder auf DVD-Covern und Soundtrack-CDs verwendet, wurde es ikonisch und die darauf gezeigte Uma-Thurman-Figur gleichsam zu Tarantinos „Mona Lisa“. Vinges Neuinterpretationen aus dem kulturellen Gedächtnis sind Verwirbelungs­ maschinen – deshalb bitte gleich noch einmal zurückblättern! Und hier wieder ankommen: Denn in dem aus der Juni-Ausgabe fortgesetzten Schwerpunkt ­„Digitalität und Theater“ (ab S. 44) werden zwei Uraufführungen neuer Technologien präsentiert. Zum einen die für NICO AND THE NAVIGATORS entwickelte Brille, die einen realen PerformanceRaum mit bewegten Virtual-Figuren zu einem Gesamtraum-Erlebnis verbindet – möglicherweise ein Blick in die Zukunft des Bühnenbilds. Oliver Proske erläuterte bei einem Probenbesuch in Berlin, dass die Software extrem kompliziert sei und bislang auch so zeitaufwendig zu programmieren, dass man das eigentlich nur im Corona-Stillstand ausprobieren konnte. Endlich mal was Positives zu ­Corona und Theater – im Moment ansonsten kontrovers unter dem Stichwort Publikumsschwund diskutiert. (siehe den Beitrag von Stefan Keim auf S. 28) Die zweite „Uraufführung“ ist der hier abgedruckte Stücktext, der von einer Künstlichen Intelligenz geschaffen oder geschrieben wurde. Wir haben mit den dahinterstehenden (oder agierenden) ­CyberRäubern Marcel Karnapke und Björn Lengers lange diskutiert, um was es sich dabei nun im Sinne von Autorschaft handele. Bis hin zu der Frage, ob sich auch Drama- und Literaturwettbewerbe dem stellen müssten. Da eröffnet sich noch mal ein ganz anderes Feld aus der Welt der digitalen ­Experimente fürs Theater. TdZ wird selbstverständlich weiterhin Stücktexte von Autor:innen aus ihrer Theatralen, Sozialen und Literarischen Intelligenz drucken. // Allen Leser:innen einen guten Start in die neue Spielzeit! Thomas Irmer

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/ TdZ September 2022 /

Inhalt September 2022 schwerpunkt digitalität und theater II

44

Du musst Dein Leben rendern! Oliver Proske von NICO AND THE NAVIGATORS im Gespräch mit Thomas Irmer

44

47

Michael Bartsch Verblüffend realistische Bühnenfiktion Das Puppentheater Zwickau in Sachsen entdeckt während der Pandemie-Einschränkungen die 360 Grad Virtual Puppetry

49

Elisabeth Maier Liebeserklärung von einem Bot Das Forschungsprojekt The Answering Machine an der Zürcher Hochschule der Künste und das Mannheimer Institut für Digitaldramatik

52

Lina Wölfel/Stefan Keim Müssen wir YouTube-tauglich werden? Ein Gespräch zwischen den Generationen über die Theaterkritik der Zukunft

54

Mensch am Draht. Die Neurotheater-Stücke der CyberRäuber Marcel Karnapke und Björn Lengers im Gespräch mit Nathalie Eckstein und Thomas Irmer

58

Der Mensch ist ein Anderer (Premierenfassung) Eine Stückentwicklung mit den CyberRäubern und Neuronalen Netzwerken

14

Vegard Vinge / Ida Müller „Hedda Gabler“ am Det Norske Teatret Oslo

14

Thomas Oberender BRACK IMPERieT. Über „Hedda Gabler“ von Vegard Vinge und Ida Müller

aktuelle inszenierung

20

Christoph Leibold Mit heißem Getriebe Beim Epidauros-Festival triumphiert „Agamemnon“ von Ulrich Rasche

passionsspiele oberammergau

22

Christoph Leibold Mit dem Glauben an die Kraft des Theaters Christian Stückl gelingt die Oberammergauer Passion als Kunststück

baden-württembergische theatertage

24

Elisabeth Maier Vergessene der Stadtgesellschaft Die Baden-Württembergischen Theatertage in Heilbronn: „Weit Blick“ mit neuen künstlerischen Formaten

essay

26

Martin Wigger Wenn die Sitzbänke vibrieren Die neuen Zuschauerinnen und Zuschauer von Zürich – Ein Essay zur Publikumskultur

theater und corona

28

Stefan Keim Die Rückgewinnung des Publikums Viele Theater bleiben leer, im Gegensatz zu Philharmonien und Konzerthäusern. Treffen sie mit ihren Angeboten nicht mehr den Geschmack des Publikums?

30

Benjamin Wihstutz, Daniele Vecchiato und Mirjam Kreuser #CoronaTheater Der Wandel der performativen Künste in der Pandemie

stück

kunstinsert


PREMIEREN 2022/2023 SCHAUSPIELHAUS LUNA LUNA

Maren Kames Regie: Enrico Lübbe Premiere 30. 9. 22

ROMEO UND JULIA

William Shakespeare Regie: Pia Richter Premiere 15. 10. 22

ARABELLA ODER DIE MÄRCHENBRAUT

nach der TV-Serie von Václav Vorlíček und Miloš Macourek, für die Bühne bearbeitet von Stephan Beer und Georg Burger Regie: Stephan Beer Premiere 4. 12. 22

EINE INSZENIERUNG VON JOHAN SIMONS Eine Koproduktion mit dem Schauspielhaus Bochum Leipzig-Premiere 10. 3. 23

JAHRESTAGE

nach dem Roman von Uwe Johnson Ein Projekt von Anna-Sophie Mahler Regie: Anna-Sophie Mahler Premiere 18. 3. 23

MAUERN

Eine Koproduktion mit She She Pop Leipzig-Premiere Frühjahr 2023

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Eine Recherche zu Friedrich Rückerts und Gustav Mahlers „Kindertotenlieder“ Im Rahmen des Mahler Festivals Leipzig 2023 Eine Kooperation mit dem Gewandhaus zu Leipzig Regie: Enrico Lübbe Premiere 14. 5. 23

DISKOTHEK

K A R T E N 0 3 41 12 6 8 16 8

FISCHER FRITZ SPRECHTHEATER

Raphaela Bardutzky Gewinnertext des Stückewettbewerbs der Autor:innentheatertage am Deutschen Theater Berlin 2022 Regie: Enrico Lübbe Leipzig-Premiere 27. 10. 22

ANOUK & ADOFA

Auftragswerk des Schauspiel Leipzig Marco Damghani Regie: Marco Damghani Premiere 26. 11. 22

COMPANIA SINCARA SPIELT HAMLET

frei nach William Shakespeare Eine Produktion der Compania Sincara in Koproduktion mit dem Schauspiel Leipzig und der Schaubühne Lindenfels Regie: Rico Dietzmeyer Premiere 9. 12. 22

ZWEI HERREN VON REAL MADRID Leo Meier Regie: Albrecht Schroeder Premiere Januar 2023

LETZTE STATION TORGAU

Arbeitstitel Dokumentartheaterprojekt von Regine Dura & Hans-Werner Kroesinger Regie: Hans-Werner Kroesinger Premiere 4. 3. 23

ANTONIUS UND KLEOPATRA

Arbeitstitel Eine Shakespeare-Installation im Kolonialstil Ein Projekt von Claudia Bauer, Patrick Isermeyer und Teresa Schergaut Regie: Claudia Bauer Premiere April 2023

R E SIDENZ ERNA ÓMARSDÓTTIR / HALLA ÓLAFSDÓTTIR THE JULIET DUET

Premiere

28. 9. 22

KIM NOBLE LULLABY FOR SCAVENGERS

Leipzig-Premiere

12. 10. 22

ISABEL LEWIS

TOTAL ROMANCE, PARTIAL REPAIR

Premiere

Dezember 2022

FRANS POELSTRA / OLEG SOULIMENKO THE FEELING OF HOME

Premiere

25. 2. 23

JULIAN HETZEL SPAFRICA — DIE QUELLE

Leipzig-Premiere

Frühjahr 2023

ANNA TILL / SITUATION PRODUCTIONS KREISEN

Premiere

24. 5. 23

FE STI VALS KATAPULT

Performance Plattform Leipzig Eine Kooperation mit LOFFT — DAS THEATER und Schaubühne Lindenfels Juli 2023

CLUBFUSION

Festival der Theaterspielclubs von Schauspiel Leipzig, TdJW und Junger Oper Leipzig 23. 6. — 4. 7. 23



inhalt

/ TdZ September 2022 /

nachrufe

lookout

auftritt

32

Renate Klett Tal des Erstaunens Ein Nachruf auf Peter Brook (1925–2022)

34

Tom Stromberg An den Wurzeln des neuen Theaters Eine Erinnerung an Hans-Thies Lehmann (1944–2022)

36

Michael Bartsch Über die Schule des Lebens auf die Bühne Hauptschule, Selbstversuche, Förderpreis: Paul-Antoine Nörpel

37

Elisabeth Maier Das Raubtier im Gutmenschen Mit Ensemblegeist auf dem Weg: Der Schauspieler Jannik Mühlenweg in Stuttgart

76

Frankfurt am Main Festival „Bodies, un-protected“ (Björn Hayer) Nürnberg „Der unsichtbare Reaktor“ von Nis-Momme Stockmann und Jan-Christoph Gockel in der Regie von Jan-Christoph Gockel (Michael Helbing) Salzburg „Reigen“ nach Arthur Schnitzler in der Regie von Yana Ross (Elisabeth Maier) St. Gallen „Die nicht geregnet werden“ von Maria Ursprung in der Regie von Jonas Knecht und Marie Bues (Bettina Kugler) Tecklenburg „Der Besuch der alten Dame“ nach Friedrich Dürrenmatt in der Regie von Ulrich Wiggers (Stefan Keim) Wasserburg am Inn „Die wahre Geschichte des Ah Q“ von Christoph Hein nach Lu Xun in der Regie von Uwe Bertram Zürich „Extensions“ von Anna Papst in der Regie von Philip Bartels (Elisabeth Feller)

94

Neue Horizonte für den Neuen Zirkus Das CircusDanceFestival in Köln treibt die Gattungs­ vielfalt voran (Tom Mustroph) Das System des Theaters als System der Weißen Das schwedische Kindertheaterfestival Bibu in Helsingborg Radikal aktuell Die neueste Ausgabe des Radikal-jung-Festivals am Münchner Volkstheater Geisterbeschwörung im Stasi-Keller Das Schauspiel Leipzig startet mit „Letzter Aufguss“ ein mehrteiliges Stadtraum-Projekt Klimawandel am Theater Das Schauspielhaus Graz arbeitet an der Idee eines „Grünen Theaters“ Festivalsimulation oder Professionalisierung im geschützten Raum? Das studen­ tisch organisierte Theater- und Performancefestival transeuropa in Hildesheim Transformationen in Erfurt Das junge Festival PHOENIX 2.0 verstärkt Bemühungen um ein neues Schauspiel Immer wieder neu erfunden Verabschiedung von Frank Bernhardt als Künstlerischer Leiter des Puppentheaters Magdeburg Nachrufe Klaus Pierwoß und Berndt Stübner Stimme und Schönheit Ermanna Montanaris Gesangsstudio in Ravenna Bücher Erwin Piscators Erbe

76

magazin 94

aktuell

was macht das theater?

110

Meldungen

112

Premieren und Festivals im September 2022

119

Autorinnen und Autoren, Impressum, Vorschau

120

Sivan Ben Yishai im Gespräch mit Stefan Keim 120

Titelbild: Zeichnung von Vegard Vinge für die Inszenierung „Hedda Gabler“ von Vegard Vinge und Ida Müller am Det Norske Teatret Oslo.

/ 11 /


MASS FÜR MASS | THE WHO AND THE WHAT | ROMEO UND JULIA | SCHUHE TASCHEN MÄNNER | MOZART | VON MAUS UND MOND | THE FAMOUS DOOR ON SWING STREET | NINA UND PAUL | ALICE IM WUNDERLAND | DIE TÜR NEBENAN | HIGH SOCIETY | TIME OUT | GLÜCK | BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS FELIX KRULL | SUNSET BOULEVARD | RUSALKA | GOTT | EXTRAWURST | LE NOZZE DI FIGARO | ABSPRUNG | DIE VEREDELUNG DER HERZEN | ACHTSAM MORDEN | DIE PHYSIKER | KING A | FUNNY MONEY | HIMMLISCHE ZEITEN


ANNA IWANOWA nach Anton Tschechow Regie Anna Bergmann 29.10.22

DER GOTT DES GEMETZELS Schwarze Komödie von Yasmina Reza Regie Anna Bergmann 3.12.22 FRÄULEIN JULIE 16+ nach August Strindberg Regie Charlotte Engelkes 18.12.22 HIR [DSE] 15+ Absurde Komödie von Taylor Mac Regie & Bühne Jakob Weiss 14.1.23 HOUSE OF TROUBLE – DAS FAMOSE LEBEN DER GEIZIGEN 16+ nach Molière Regie & Fassung Milan Peschel 3.3.23 MÄDCHEN IN UNIFORM nach Christa Winsloe Regie Kaufmann / Witt 25.5.23

16+

MEPHISTO 16+ nach der Romanvorlage von Klaus Mann Regie Nils Strunk 26.5.23

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Medea. Stimmen © Thorsten Wulff

LEBEN DES GALILEI 14+ von Bertolt Brecht Regie Ronny Jakubaschk 5.11.22


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BRACK IMPERieT Über „Hedda Gabler“ von Vegard Vinge und Ida Müller am Norske Teatret Oslo von Thomas Oberender

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er Besuch der Aufführung von „Hedda Gabler“ begann im Foyer des Theaters mit einer Ausstellung. Sie zeigte auf Stellwänden unmittelbar vor den Türen zum Saal acht übergroße Zeichnungen, freie Versionen klassischer Filmplakate, darunter mehrere Plakate der „Rambo“-Serie, „Rocky“, „Top Gun“, „Alien“, „Attack on the 50 ft. Woman“, „Pulp Fiction“ oder „81/2“. Vegard Vinges mit Edding-Stiften gemalte Plakate wirken naiv und brachial und zeigen Schauspielerikonen des Mainstream-Kinos, die Inbilder der Rebellion und Andersartigkeit darstellen. Sie sind als Figuren und Denkfiguren Teil eines Privat-Pantheons von Vinge/Müller, dessen Heldinnen eine mythische Größe entwickeln. Darin sind die Künstler ihrem Autor Henrik Ibsen sehr nahe, der monumentale Stücke wie das Julian-Drama „Kaiser und Galiläer“ schrieb, eine Wikinger-Tragödie oder ein Versepos über den religiösen Fanatiker Vikar „Brand“ – all diese Stücke haben heroische Figuren der Geschichte neu interpretiert, bevor Ibsen in seiner späteren Schaffensphase dieses antike Heldenprofil in seinen bürgerlichen Zeitgenossen entdeckte, was ihn weltberühmt machte. Interessanter Weise sind es diese skandalträchtigen Lebenswelten der bürgerlichen Schicht aus Ibsens Spätwerk, denen seit mehr als 25 Jahren Vinge/Müller ihr gesamtes inszenatorisches Schaffen widmen. Das ist ungefähr so unwirklich, wie die Vorstellung, dass Frank Castorf nie aufgehört hätte, Fjodor Dostojewski zu inszenieren oder Jürgen Gosch nie etwas anderes als die Stücke von Tschechow aufführen wollte. In diesem Sinne sind Vinge/Müllers Langzeit-Meditationen über Ibsens Werk ein einzigartiges Phänomen in der Theaterwelt und nutzen diese Dramen aus der kapitalistischen Gründerzeit zur Analyse des spätmodernen Kapitalismus von heute. In seinem „mythologischen“ Kosmos schuf Ibsen bürgerliche Archetypen und Gegenhelden, Volksfeinde und Peer Gynts und dieser Figurenkosmos wird im Werk von Vinge/Müller Jahr für Jahr größer, wovon ihre Foyer-Ausstellung Zeugnis gibt: So annonciert eine Plakat-Version von Fellinis „Acht­einhalb“ das Werk als eine Produktion von Ragnar Brovik, also einer Figur aus Ibsens „Baumeister Solness“. Direkt am Saaleingang und genauso auf der Website des Theaters prominent zu sehen ist eine „Pulp Fiction“-Plakat-Variante, die den 7. Teil der IbsenSaga von Vinge/Müller unter dem Titel „General Gablers Tochter“ ankündigt. Das Plakat zeigt eine Diva im Bettie-Page-Stil, die ein eisernes Kreuz mit umgekehrtem Hakenkreuz um den Hals trägt und ein aufgeklapptes Exemplar von Hitlers „Mein Kampf“ in den Händen hält. Daneben liegt die berühmte Pistole des Generals, mit der Hedda Gabler sich am Ende erschießen wird. Hinter ihrem nackten Gesäß kniet ein nackter Mann am Bildrand, und womit er beschäf-

tigt ist, erklärt eine Sprechblase: „Løvborg eating Hedda’s ass out.“ Was in Ibsens Stücken latent angelegt ist, die vielen Leichen ­unterm Teppich, die mühsam moderierten Skandale, die in den Stücken irgendwann explodieren, eskaliert in den Aufführungen und Plakaten von Vinge/Müller bereits in der ersten Minute. Wie weit ihre Auseinandersetzung mit dem Stück „Hedda Gabler“ in der Arbeitsgeschichte der Künstler zurückreicht, verrät sich in einem unscheinbaren Plakat-Detail: Eintrittspreis 16 Euro, was erkennen lässt, dass dieses Pulp-Fiction-Hedda-Gabler-Plakat bereits 2018 gestaltet wurde, als die Aufführung noch als ein Projekt geplant war – „Produced by 12-Spartenhaus“, also während der Jahre der Residenz von Vinge/Müller im Berliner Prater. Die Überfrauen und Übermänner dieser Plakate sind Kämpfende nach eigenem Gesetz, wie Julian Assange, dem der „Hedda“Abend in Oslo gewidmet ist. Die drastische Körperlichkeit und ­Sexualität der Plakat-Bilder, die am Norske Teatret ausgestellt werden, ist zudem ein Hinweis auf jene besondere Bedeutung des ­Leibes, der in den Aufführungen von Vinge/Müller zum Organ der Befreiung wird. Darauf d ­ euten die Plakat-Verweise auf Otto Mühl oder die Erlösungsmütter mit ihrem „squirting Rheingoldjuice“ hin: Es sind Reinigungsritual-Plakate, Bilder von Männern und Frauen, die aufräumen und ausbrechen wie Rambo oder Sigourney Weaver in ihren Filmrollen. Die Aufführung von Vinge/Müller stellen auf ihre Weise eine vergleichbare Form von Intensität her, wie sie von diesen Filmklassikern der Populärkultur ausgeht. In ihren Aufführungen dehnen Vinge/Müller die Zeit und lösen sie auf in Momenten einer Kommunion von Werk, Aktion und Publikum. Ihr dafür geschaffener Theaterraum gleicht eher einem Multiplex, in dem Film, Szene und Sound eine energetische Apparatur erzeugen. Ihre Aufführungen sind wie diese Zeichnungen extrem drastisch und zart zugleich. Das Wesen dieser Plakatidole ist bis ins kleinste Detail gestaltet und strotzt zugleich von sexueller und assoziativer Energie. Die Figuren und Elemente scheinen auf jedem Poster den Rahmen des Bildes sprengen zu wollen. Vinges eigentümliche Bildwelt zwischen Pop und Comic kreiert einen gleichbleibenden Stil, der knallbunt und kindlich ist, lustig und listig und mit starken ­Affekten spielt, jenseits des bürgerlich Beruhigten.

Vorm Vorhang Beim Betreten des Saales sind die abwaschbaren Vorhänge vor der Bühne geschlossen und läuft aus dem Soundtrack von Kubricks „Eyes Wide Shut“ das düstere Stück „Masked Ball“ der britischen Komponistin Jocelyn Pook. Im Film erklingt es, während Tom Cruise am sexuellen Ritual einer Geheimorganisation teilnimmt, deren Mitglieder schwarze Capes und venezianische Augenmasken tragen.


Die Inszenierung von „Hedda Gabler“ von Vegard Vinge und Ida Müller am Det Norske Teatret Oslo. Foto Per Heimly


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Ähnlich unnahbar hinter Clownsmasken und roten Perücken verborgen sitzt hinter der letzten Reihe der Zuschauertribüne das Regieteam hinter den Steuerpulten für Licht, Ton und Video an den Reglern. Auf dem Vorhang ist die Projektion eines Mannes in schwarzem Cape und Augenmaske zu sehen, der aus Kubricks Film stammen könnte und finster in den Saal blickt. Zu ihm scheint am Geländer der rechten Galerie ein handgemaltes Plakat zu gehören, das ein Dreieck zeigt, über dem „Trekanten“ steht und darunter: „BRACK IMPERieT“. Wieso regiert Brack, der Hausfreund der Gablers? Während das Publikum auf der Tribüne Platz nimmt, teilt eine Einlasserin an die Gäste in der ersten Reihe durchsichtige Regencapes aus. Dann ertönen technisch verzerrte Begrüßungsworte aus den Lautsprechern, die live von einer Spracherkennungssoftware als Text auf eine Leinwand projiziert werden. Die Aufführung beginnt mit einem Film, der, wie den Geräuschen zu entnehmen ist, live hinter dem Vorhang gedreht wird. Vor den Flaggen Norwegens und der USA zapfen sich die Darsteller des Assessors Brack und Jørgen Tesman Blut ab. In Großaufnahme ist das Setzen der Nadel und das Hervorklopfen des Blutes aus der Vene zu sehen, und schließlich malt Tesman, das Schlauchende seines Katheters wie einen Filzstift benutzend, mit großen Blutbuchstaben seinen Namen aufs Vertragspapier. Ein Pakt wird geschlossen, dessen Mantra „I love America and America loves me“ lautet. Brack ist hier nicht nur der stille Hausfreund im Hause ­Gabler, sondern der Zeremonienmeister eines größeren Bundes. Am Ende erhält der Novize einen Koffer voller Geld. Die dünnen Latexmasken der Darsteller wirken, anders als in früheren Stücken von Vinge/Müller, individueller und sind nicht sofort als Masken erkennbar, sondern erscheinen wie ein zweites, geheimnisvolles Gesicht. Bracks Maske erinnert an den jungen Sean Connery und Tesman entfernt an Quentin Tarantino. Teil des Paktes ist das Verfrachten einer lebensgroßen Puppe von Julian Assange in einen Käfig mit der Nummer 93. Er trägt die Adresse des königlichen Hochsicherheitsgefängnisses Belmarsh in London, aus dem in Kürze Assange an die USA ausgeliefert werden wird. Und Teil des Deals ist auch die Demütigung Tesmans durch die finstere Brüderschaft der „Trekanten“, deren Mitglieder ihm wenig später seinen Kunstidealismus austreiben und ein Sturmgewehr in den Anus einführen. Dieses Vorspiel erzeugt für Ibsens „Hedda Gabler“ ein ungewöhnliches Framing, in dem Brack die zentrale Rolle einnimmt. In Ibsens Stück wird er am Ende des Dramas Hedda erpressen und versuchen, sie zu seiner Mätresse zu machen. In Vinge/Müllers Lesart ist die Familie und Hedda von Anfang an in seiner Hand, wie überhaupt das gesamte Land von einer klandestinen Organisation regiert wird, deren Zeremonienmeister dieser Assessor Brack ist, ein Widergänger des okkulten Klubs der Mächtigen aus Kubricks „Eyes Wide Shut“. Ibsens Nebenfigur ist hier vom Juristen und Staatsdiener zu einem modernen Paten geworden, zum Gesicht eines unsichtbaren Systems, das mit Gewalt, Propaganda und Geld an verborgenen Strippen zieht. Dieser Brack trägt eine stoisch lächelnde Maske und elegante Anzüge und nimmt sich, was er will. Nach dem Backstage-Kino wechselt dann die Sprache der Aufführung, und auf kleinen Skizzenblättern des Storyboards beginnt eine Reise durch das 130 Jahre alte Stück im Schnelldurchlauf. Der vorproduzierte Trickfilm animiert die Zeichnungen von Vegard Vinge in einer schrägen und zugleich handfesten Stücklektüre: Im ersten Akt erscheint die Generalstochter Gabler als Tochter von Papa General Patton. In den Skizzenbildern des zweiten Akts sieht man, wie Hedda

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ihren ehemaligen Geliebten Løvborg erschießt, im dritten Akt kommt es zum Duell zwischen Hedda und Løvborgs neuer Gefährtin Thea Elvsted, die mit ihm in den Wäldern lebt, fern von den Städten. Das daraus abgeleitete Thema „Free in the woods“ verbindet die Aufführung mit einem Exkurs über freies Theater und die Inhaftierung ­Assanges, während das gesamte Personal des Stücks vorm Vorhang in einer Reihe auftritt und ein E-Gitarrensolo erklingt, bis zur Überraschung aller plötzlich von der Kommandobrücke eine Pause angesagt wird.

Das Bühnenbild Mit frischem Bier in den Gläsern kehren die Besucher und Besucherinnen aus dem Foyer zurück, während auf dem Vorhang schon Szenen aus dem ersten Akt zu sehen sind, die im Inneren des Bühnenbilds live gefilmt und auf der Kommandobrücke des saalbreiten Regiepults vertont werden. So werden, wie auch in den früheren Aufführungen von Vinge/Müller, alle Schritte und alltäglichen Handlungen der Figuren mit artifiziellen Geräuschen unterlegt und die Texte von einer externen, technisch verfremdeten Stimme eingelesen. Nichts ist natürlich an diesem kreatürlichen Spiel, der individuelle Darsteller bleibt hinter der Maske verborgen, und sein menschliches Verhalten ist in allen Lebensregungen artifizell, ganz so, als würde man Puppen beim Spielen zuschauen, mit der gleichen, geheimnisvollen Aura. In den projizierten Livebildern, in denen sie spielen, wird nun auch das Szenenbild der Aufführung hinter dem Vorhang sichtbar, das sich von früheren Bühnenbildern des Teams stark unterscheidet. Ida Müller hat das Haus der Familie Tesman wie ein realistisches Filmset eingerichtet, mit traditionellen Möbeln und modernen Bildern und Postern an den Wänden, einer funktionierenden Küche und einem Arbeitszimmer mit DVD-Regalen. Einzig die maskierten Figuren mit ihren überzeichneten Kostümen erinnern noch an die Ästhetik früherer Aufführungen, in denen das komplette Set und Kostüm aus handbemalten Materialien bestand. Der Film auf der Leinwand zeigt den ersten Auftritt Bracks, der, nicht unähnlich der Raute von Ex-Kanzlerin Merkel, mit seinen Händen die Form eines Dreiecks bildet, während er mit der Stimme Darth Vaders spricht. Løvborg hingegen, der an der Seite seiner Landliebe Thea erscheint und aussieht wie der beleibte Troll aus Ali Abbasis Film „Border“, macht klar, dass mit ihm, dem das Blut aus den Mundwinkeln tropft, eine Figur erscheint, mit der kein Vertrag zu schließen ist. Mit Løvborg klopft das wilde Norwegen an die Türen des bürgerlichen Salons. Und damit, mehr als zwei Stunden nach Vorstellungsbeginn, öffnet sich der Vorhang.

Das Freilegen der Szene Blendendes Licht strahlt aus der Bühnentiefe, und das Knistern des Vorhangstoffs wird, wie jede Bewegung auf der Bühne, von der Regie­ brücke verstärkt und ins Unwirkliche überhöht. Dazu erklingt Musik von Ligeti, und wie ein kompakter, schwarzer Block erscheint nun das auf allen Seiten geschlossene Set, in dem sich die Szenen im Hause Gabler in den vergangenen zwei Stunden abgespielt haben. Von einer fahr­ baren Beleuchterbrücke aus springt eine Figur durch die Deckenplatte ins Haus, Staubwolken steigen aus der Öffnung, und dann werden in die Rigipsplatten der Frontseite des Hauses scheinbar Löcher geschossen. Wie Sternenlicht funkelt es aus ihnen hervor, dann tritt


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Hedda vor die Bühne, nackt unter ihrer Maske und ihren Perlenketten, und schlägt mit einem Hammer von außen weitere Öffnungen in die Wand, ein mühsamer, legerer und aggressiver Vorgang zugleich – Babygejammer ist von drinnen zu hören, Hedda ist schwanger und plötzlich schließt sich der Vorhang wieder, just, als es losging mit dem Stück auf der Bühne. Zweite Pause, noch immer geht es nicht ins Haus. Wenige Minuten später treten vor dem Vorhang die nackten Männer des Ensembles an. Sie tragen Masken und stehen in militärischer Grundposition, während General Gabler hoch zu Pferd, einem großen, schwerblütigen Gaul, auf der kleinen Bühne dieser Kammerspiele an ihnen vorüberreitet. Hedda salutiert, und scheinbar wahllos erschießt General Gabler nebenbei einen seiner Soldaten. So geht es Runde um Runde, und jeder Tote wird, während der Vater mit dem Pferd zur nächsten Wiederkehr reitet, von Hedda ausgiebig mit Blut aus der Flasche bespritzt, wie auch die Gäste in der ersten Reihe, die sich blitzartig ihre Capes überwerfen. Vorhang, und wieder Bilder aus dem Inneren der Villa als Projektion. Die ­Kamera zeigt Tante Julle in der Küche, Tesman im Arbeitszimmer und dann das Pferd des Generals samt Reiter in Heddas Schlafzimmer. Sie liegt auf ihrem Bett mit dem vergoldeten Stahlrohrgiebel, und sie zupft sich gelangweilt die blonden Strähnen ihrer Perücke, bis ihr der Vater die Pistole reicht. Draußen, auf der Seite des Publikums, tritt ein Techniker auf und schneidet mit einer elektrischen Handsäge elegante, organische Öffnungen in die Gipskartonplatten der Hausfront. Dahinter ging ungerührt das Studienleben Tesmans und das Küchenwerk von Tante Julle weiter. Zwischendurch malert sie die ungestrichenen Wände der neu bezogenen Villa, Hedda fläzt inmitten einer imposanten Waffensammlung auf ihrem Bett, während Brack erscheint und in einer Filmprojektion zu sehen ist, wie sich der verzweifelte Troll Løvborg, von Hedda aus der Bahn geworfen, im dunklen Wald betrinkt und seine Gefährtin Thea daran verweifelt. All diese Vor­ gänge ereignen sich simultan in den drei nebeneinander liegenden Räumen und auf der großen Leinwand darüber. In diesem Tableau geschieht alles gleichzeitig, und doch wird jedes Ereignis für sich gefilmt, vertont und synchronisiert – im Saal riecht es nach den gebratenen Eiern von Tante Julle, und in einer Projektion steht zu lesen: „Forgive us, Julian“. Vorhang. Große Oper auf kleiner Bühne In einem Sack, so groß wie ein Wetterballon, schleppt der brave Akademiker Tesman das verlorene Manuskript Løvborgs über die Vorbühne, verheddert sich, stürzt, steht auf und trägt schwer an jenem großen Werk seines Konkurrenten, welches das Unglück ihm in die Hände gespielt hat. Drinnen im Haus befriedigt sich Brack an Hedda und überreicht ihr zum Dank eine goldene Uhr – Hedda ist, wie alle in diesem Haus, die Prostituierte seines Systems, und ihr Mann Tesman, endlich zu Hause, versucht tapfer, nichts zu bemerken, und verschenkt lieber die kostbaren DVDs aus der Sammlung des Regisseurs an das verdatterte und dankbare Publikum. Der Pakt, den Tesman in seiner Tarantino-Maske mit Brack geschlossen hat, erinnert an den Pakt, den der „Pulp Fiction“-Regisseur mit Harvey Weinstein schloss – es sind diese Nebenbezüge, dieses überraschende Näherbetrachten der eigenen Idole, die inmitten der brachialen Ereignisse subtil verstörende Zeichen setzen. Subtil ist die Aufführung auch in Momenten, da für einige, lange

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Augenblicke plötzlich eine Tür quietscht und „nichts“ passiert, oder eine klassische Arie erklingt, in der die Zeit stillsteht und sich die Kämpfe der Figuren mit anderen Mächten verbinden. So, wenn in einer burlesken Szene, während derer sich die seltsamen Milch­ brüste von Tante Julle, die ihre Milch bis auf die Klarsicht-Capes der Besucher im Saal versprühen, sich unter den Lippen ihres Schösslings Tesman von einer lustigen Maschine in die echten Brüste der Darstellerin verwandeln und dazu Purcells gnadenvolle Arie ­„Remember Me“ aus „Dido und Aeneas“ erklingt. Lachen schlägt um in Schrecken und Schrecken in Rührung, und in diesem frappierenden Parcours der Extreme erlebt das ­Pu­blikum die Vorgänge in Ibsens Stück wie zum ersten Mal. Die Besucher wie die Aufführenden selbst unternehmen in Vinge/Müllers Inszenierungen eine Reise in das Hinterland des Textes, in die Jugendzeit der Generalstochter oder die Wälder des Aussteigers, und machen dabei die Erfahrung eines realen Risikos. Denn die Künstler haben für sich selbst eine entsicherte Praxis der Aufführung entwickelt, in der strukturell kein Abend dem anderen gleicht, da jeder Abend seine Elemente aus einem Gesamtfundus von Szenen und Material neu zusammenstellt und entsprechend der Begegnung mit dem Publikum neu mixt. Diese Form von Echtzeit-Regie ist wahrscheinlich einzigartig in der gegenwärtigen Theaterwelt. Sie erzeugt ein ums andere Mal originale Aufführungsvarianten, deren Herstellung live und situativ erfolgt und einer Risikodramaturgie folgt. Wie in einem Computerspiel wird die nächste Szene wie ein Quest begriffen, bei dem die Lösung der Aufgabe immer Teil einer Suche bleibt, die die Spielenden nach vorne treibt. Einige Gäste der Vorstellungen vom Vortag haben beschrieben, dass das Stück nahezu „vom Blatt“ gespielt wurde und schon nach vier Stunden endete. An diesem Abend war nach vier Stunden der vierte Akt noch lange nicht in Sicht. Es war die letzte Aufführung in dieser Osloer Vorstellungsserie, und es wirkte, als ob das Stück an diesem Abend nie enden sollte. In einer Bankettszene betrinkt sich Løvborg in Heddas Haus, und das Dinner gipfelt in einer Schaumbadorgie, deren glitzernde Seifengischt sich aus den Öffnungen des Hauses nach draußen ergoss. In diesen Momenten, zwischen all den Filmen, Figuren und Sounds, entwickelt die kleinste Bühne des großen Norske Teatret eine Opulenz der Mittel wie eine große Opernproduktion. Und plötzlich stürmt Vegard Vinge in seiner pausbäckigen Kindermaske unter einer Wuschelkopfperücke auf die Szene und tritt von der Seitenbühne aus heftig an die Wände von Tesmans Arbeitszimmer, wodurch aus den Regalen Hunderte DVD-Hüllen seiner privaten Sammlung in den Schutt stürzen. Die Zerstörung des Freigeistes Løvborg in dieser Bankettszene zeigt die Aufführung als einen Kampf und sängerischen Battle zwischen Hedda und Løvborgs Lebensstütze Thea, die schockiert erlebt, wie ihr Idol in den Abgrund stürzt und sich in einem Blutsturz aus seinem Unterleib auf der Bühne windet. Sie verfällt darüber in ein Lied, das live, auf der Kommandobrücke gesungen, zu einem Popsong wird, bis sich die Klänge von den Wörtern lösen und nur noch ein jämmerlicher Sound zu hören ist, die abstrakte Klage einer Kreatur, die zu tief in die Wahrheit der Verhältnisse geschaut hat. Hinter der Bühne verhallen ihre Schreie, während Jocelyn Pooks düstere Chöre aus „Eyes Wide Shut“ aufklingen, zu denen der nordische Pate Assessor Brack unterm Kubrick-Cape erscheint. Wie in „Eyes Wide Shut“ umspielt und vollzieht die Zeremonie, die nun auf der Bühne beginnt, ein Frauenopfer, und bei Vinge/Müller ist Hedda das Opfer.


Die Inszenierung von „Hedda Gabler“ von Vegard Vinge und Ida Müller am Det Norske Teatret Oslo. Foto Per Heimly


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Sie überschüttet ihren ­Körper mit heißem Kerzenwachs, jeder Tropfen wird vom ­Regiepult mit den Tönen der Laserkanonen aus alten Computerspielen unterlegt, und die Live-Kamera zeigt die Wachsrinnsale auf Heddas Haut groß auf der Leinwand.

hinaus. Er vertritt ein weltumspannendes System, das sich selber nährt und die Freien ins Verhängnis steuert.

„Schönheit!“

Das Unbehagen an der Hintergrundfigur von Assessor Brack ist der Motor der gesamten Aufführung. Sie widmet sich jener Struktur, die als Macht – im Gewand der privaten Güte – das Gute zerstört. Es ist nicht plump in Ibsens Stück zu beobachten, wie diese Macht die Løvborgs und auch Heddas unserer Gesellschaft an den Rand drängt und zerstört. Auch Vinge/Müller sind in den letzten zwei Jahren von Hasskampagnen rechter Identitärer öffentlich lächerlich gemacht und denunziert worden. Ihre Aufführung ist das Beispiel einer „Gegenarmee“ gegen diese Re-Traditionalisierung der nationalen Kultur. Seit den neunziger Jahren zeigt sie auf der ­Bühne eine andere Form von Geheimgesellschaft, die ebenfalls Masken trägt. Man weiß nicht, wer da gerade spielt. Es ist daher seltsam unangemessen, eine Schauspielerin wie Sofia Hagstad Su als Darstellerin der Hedda in einem Ensemble hervorzuheben, das auf der Bühne anonym bleibt – Männer spielen in Vinge/Müllers Stücken unter den Kostümen Frauen und umgekehrt: Es könnten Techniker oder Musiker sein, die auf der Bühne als Figuren erscheinen, genauso wie Schauspieler und Schauspielerinnen, weil hinter der Maske eine andere Form von Repräsentanz entsteht, die kollektiv ist und genauso machtvoll unnahbar, wie das „System“ – das Theatersystem wie das politische, auf das sie als künstlerische Gemeinschaft ästhetisch und politisch reagieren. Vinge/Müller wurden zu den Erfindern der Anonymous-Maske für das Theater, wie sie uns später auch aus den Arbeiten von Susanne Kennedy oder Ersan Mondtag entgegenschaut. Die Aufführung in Oslo entstand unter Stadttheater­bedingungen in nur fünf Wochen Probenzeit. Das komplexe Worldbuilding von Vinge/Müller erzeugt einen Theater-Freiraum, der Ritual und Kunst vereinigt. Genau diese Ibsen-Invasion wollte Erik Ulfsby, der künstlerische Leiter des Theaters, an seinem Haus ermöglichen. Ohne das Know-how und die zwölf Übersee-Container voller Dekor und Kostüme aus 20 Jahren Ibsenforschung im Rücken könnte dies Vinge/ Müller nicht gelingen. Der enorme technische Aufwand und die ­experimentelle, hochvirtuose Andersartigkeit ihrer szenischen Praxis bewirkten bislang große Intervalle zwischen ihren Produktionen. Erik Ulfsby hat am Det Norske Teatret bewiesen, dass dies nicht der Fall sein muss. Am Ende der Aufführung schleppt der Sklave Jørgen ­Tesman die Manuskriptschnipsel Løvborgs auf die verwüstete Familienszene, und Hedda tötet dieses literarische „Kind“ ihrer Rivalin endgültig, bevor sie sich selbst tötet. Am Schluss tötet die Aufführung sich schließlch selbst: Mehr als sechs Stunden währt der Todeskampf zwischen Schönheit und Dienstvertrag im Imperium Brack, das Publikum holt sich inzwischen ohne Ansage frische Getränke in den Saal, da erscheint plötzlich ein Bagger auf der Bühne. Geführt wird die wendige Maschine vom norwegischen Weltmeister der Baggerkünstler, der mit seiner Schaufel zuvor im Fernsehen bereits Sektflaschen entkorkt hat. Er reißt vorsichtig, doch unerbittlich die Villa ein, in der Tante Julle bis zum Schluss die Wände streicht und Tesman die Fetzen von Løvborgs Manuskript zu seinem Werk ordnen will. Nichts von diesen Bemühungen im Imperium Bracks bleibt übrig an diesem Abend – mit vollendeter Baggerkunst wird die Szene zerlegt, nachdem Hedda sich in Großaufnahme die Kugel in den Kopf schoss. Aber wer erschießt Brack? //

Wie in Kubricks Film beruht die Macht der Männer unter der Kapuze in dieser Szene darauf, dass ihr Geheimnis gewahrt wird, dass kein Bild von ihnen nach draußen dringt: Die vielen Stunden dieses unberechenbaren Rituals bleiben unter dem Schleier einer Zeugenschaft, die nur die jener im Theater Anwesenden ist. Vinge/Müller achten seit Jahren darauf, dass keine Bühne, kein Festival oder ­Theaterzeitung zu viel Bildmaterial von den Aufführungen bekommt, und diese Momente des Abends landen nie auf YouTube. Die brachialen und zugleich subtilen Substanzen ihrer riskanten, strukturell ritualhaften Theaterabende ist nur ansatzweise vermittelbar. So auch jenes Moment, da nach Bracks Frauenopfer Vegard Vinge plötzlich selbst auf der Szene erscheint und wie als eine Art Gegenzauberer auf die Bühne scheißt und sich in den Mund pinkelt, bevor er mit seinen Exkrementen und viel Farbe im Arsch ein Porträt übermalt, bis sich der Vorhang über die Szene legt. Zur übergroßen Projektion des malträtierten Gemäldes, dessen Zustand man förmlich zu riechen scheint, hält Løvborg eine Rede über die Freiheit der Kunst. Vegard Vinge stapft dazu über seine DVD-Sammlung am Boden des verwüsteten Studierzimmers: Als ob der Abend dieses letzte Opfer brauchte; aber es war nicht das letzte. Schönheit ist das Thema Heddas und ist auch das Thema von Vinge/Müller – eine Schönheit, die Abstand hält zum bürgerlich Guten. „Das Schöne, von dessen fixer Idee Hedda beherrscht wird“, schrieb Adorno über „Hedda Gabler“, „steht gegen die Moral, schon ehe es diese verhöhnt.“ Und weiter: „Der Aufruhr des Schönen gegen das bürgerlich Gute war Aufruhr gegen die Güte. Güte selber ist die Deformation des Guten.“ Nicht, dass dieser Abend tiefere Erklärungen von Adorno braucht, aber dessen ­Gedanken zu Ibsens Radikalität lassen sich unmittelbar auf die Ästhetik von Vinge/Müller übertragen. Sie sind auf ihre Art von Schönheit besessen und schaffen Gesamtkunstwerke, in denen noch das kleinste Detail ihrer Aufführungen aus einem barocken und kunstgeschichtlichen Himmel der Formen, Klänge und Farben in eine zeitgenössische Mythenwelt übertragen werden. Strukturell ist es das Theater des digitalen Zeitalters, in dem Theater zu einer riesigen Konsole wird, in der alles in Echtzeit gespielt wird – mit der Power des Pop, von Kunst und Kino. Heddas fixe Idee der Schönheit ist auch die von Vinge/Müller und genauso ihr Dilemma. Das Klavier, auf dem Ibsen Hedda im Hintergrund vor ihrem Selbstmord spielen lässt, hat sie an diesem letzten Abend der Osloer Vorstellungsserie bereits mit dem Beil zu Spänen zerhackt. Sie stirbt nicht im Off. Sie stirbt, nachdem der Vorhang sich wieder öffnete und die Puppe von Julian Assange in seinem Käfig Nr. 93 in London zeigt. Hedda stirbt, nachdem Großinquisitor Brack den widerspenstigen Løvborg vor einer Weltkarte ermordet und sein Blut in technische Phiolen spritzt und darin explodierende Blutblasen erzeugt. Auf einer parallelen Leinwand erscheinen Bilder von Atombombenexplosionen und Dokumente des Ukrainekrieges, begleitet von der Stimme des norwegischen Nato-Generals Stoltenberg, der mehr Geld und Entschlossenheit für die Rüstung und den Krieg fordert. In Vinge/Müllers Lesart geht die Rolle des Assessors Brack weit über die Geheimgesellschaft von Kubricks Männer-Loge

Die Anonymous-Maske des Theaters


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Mit heißem Getriebe

Beim Epidauros-Festival triumphiert „Agamemnon“ von Ulrich Rasche von Christoph Leibold

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enn das mal kein Statement ist: „Kunst ist die Antwort auf alles!“, erklärt Katerina Evangelatos. Was den Menschen ausmache, das sei ja nicht allein die Einsicht, angesichts des Klimawandels auf Flugreisen zu verzichten, so die künstlerische Leiterin des Athens Epidaurus Festivals. Menschsein habe auch mit der Fähigkeit zu tun, eine Fuge von Bach, ein Gemälde von Rem­ brandt oder ein Drama von Aischylos wertzuschätzen. Kunst zu den Menschen zu bringen, ist für Evangelatos daher eine Aufgabe von so essenzieller Bedeutung, dass sie auch künftig nicht auf internationalen Austausch verzichten will. Trotz der mutmaßlich fragwürdigen Ökobilanz von Großgastspielen. Andreas Beck, Intendant des Münchner Residenztheaters, der die „Agamemnon“-Auswärtspremiere seines Hauses in Epidauros eingefädelt hat, sieht die Sache ähnlich. Er argumentiert mit Blick auf den Krieg in der Ukraine: „Menschen brauchen ge-

rade in diesen Zeiten Perspektiven. Je ärmer wir werden an ­Perspektiven, desto dramatischer wird die ganze Situation.“ Mit anderen Worten: Für Beck wie für Evangelatos überwiegt der gesellschaftliche Nutzen solcher aufwendigen Abstecher den ökologischen Schaden. Trotzdem, das Dilemma bleibt: Kulturaustausch und Klimaschutz sind zwei hehre Ziele, die sich nicht wirklich vertragen. Entschärfen lässt sich dieser Zielkonflikt nur durch Maßnahmen wie dem modernen Klimasünden-Ablasshandel, sprich: Spenden an entsprechende Umweltorganisationen, deren Projekte den CO2-Ausstoß kompensieren, den solche Reisen (im konkreten Fall mit einem Tross von rund 50 Personen in Cast und Crew) verursachen.

„Dieses Spiel mit einer Art von Heiligkeit des Wortes passt super hierher“, sagt der Darsteller der Titelrolle Thomas Lettow beim Gastspiel von „Agamemnon“ auf Epidauros in der Regie von Ulrich Rasche. Foto Patroklos Skafidas


epidauros-festival

Abgesehen von derlei globalen Fragestellungen stellen Gastspiele wie das des Residenztheaters die tourende Theatertruppe aber auch vor jede Menge kniffliger Probleme im Detail. Dass Ulrich Rasche der Richtige sein könnte, um das Amphitheater von Epidauros adäquat zu bespielen, war vorab keine allzu gewagte Vermutung. Der Regisseur hat ein Faible für ­antike Stoffe und formiert Ensembles regelmäßig zu wuchtig-emphatischen Sprechchören, angetrieben vom Rhythmus hypno­tisierender Live-Musik. In Rasches Arbeiten, findet Schauspieler Thomas Lettow, Darsteller des Agamemnon und zugleich Teil des Chores, gehe es vor allem darum, „die Anmut und Aura, Größe und Kraft, die in den alten Texten steckt, auf die Bühne zu bringen. Dafür ist dieser Ort wie gespuckt. Dieses Spiel mit einer Art von Heiligkeit des Wortes passt super hierher“. Was indes die praktische Umsetzung dieser künstlerisch so passgenauen Vision in Epidauros angeht, so musste das antike Theater erst mal technisch ertüchtigt werden. Rasche zelebriert das Wort ja nicht nur, indem er Chöre die Verse skandieren lässt, immer sind sie dabei auch in Bewegung, indem sie beispielsweise gegen die Drehrichtung einer permanent kreisenden Drehbühne anschreiten. So eine Scheibe brauchte Rasche auch für die „Agamemnon“-Premiere. In ihre Einzelteile zerlegt und auf drei Sattelschlepper verladen musste sie nach Epidauros transportiert und von der technischen Mannschaft vor Ort und open air installiert werden. Eine Herkulesaufgabe! Wie ein gigantischer Diskus thronte die fertig montierte Scheibe schließlich inmitten der Orchestra, fügte sich damit harmonisch in die kreisrunde Spielfläche des antiken Theaters ein und setzte zugleich doch einen Kontrapunkt. Als wäre ein Ufo hier gelandet, das aber möglichst unauffällig bleiben wollte. Die Gefahr, dass bei dieser technisch anspruchsvollen Mission Sand ins Getriebe geraten könnte, war buchstäblich gegeben, stellte sich aber zunächst nur im übertragenen Sinn ein: Der Bühnenaufbau ging nicht so reibungslos vonstatten, wie es der ambitionierte Zeitplan vorgesehen hatte. Weil das antike Theater von Epidauros tagsüber ein Museum ist und zudem die Sonne zu heiß vom Himmel brennt, konnten Aufbau und Proben immer erst abends beginnen. Fünf Vorbereitungsnächte standen dem Residenztheater zur Verfügung, drei davon waren für die Endproben reserviert. Am Ende schrumpfte

die Probenzeit auf nur gut zwei zusammen. Eigentlich zu wenig, zumal bereits die vorbereitenden Proben in München durch etliche Corona-Ausfälle im Ensemble immer wieder ausgebremst worden waren. Einen Gesamtdurchlauf daheim in München hatte es nicht gegeben, und auch in Epidauros war dafür, wie sich ­herausstellen sollte, keine Zeit. Die Premiere wurde zugleich der erste Durchlauf. Sportlich. Aischylos’ Tragödie „Agamemnon“ ist ein KriegsheimkehrerDrama. Nach zehn Jahren Schlacht um Troja kommt Agamemnon endlich mit seinen Truppen nach Hause. Siegreich. Aber: Um welchen Preis? Während die einen die siegreichen Krieger bejubeln, betrauern die anderen ihre gefallenen Väter, Söhne und Brüder. Ulrich Rasche interessiert sich für die traumatischen Folgen des Krieges, zeigt den Riss, der durch die Gesellschaft geht, auch durch Familien, nicht zuletzt durch die von Agamemnon. Der hat vor dem Aufbruch nach Troja die eigene Tochter der Göttin Artemis geopfert. Iphigenie ist sozusagen die erste Kriegstote. Ehefrau Klytämnestra kann Agamemnon den Mord am gemeinsamen Kind nicht verzeihen und erschlägt den Heimgekehrten. Pia Händler spielt diese Klytämnestra als eine Frau, in der sich so viel Bitterkeit aufgestaut hat, dass es sie schier zu zerreißen droht, ebenso eindrucksvoll wie Thomas Lettow den Agamemnon, der den Titelhelden als zerquälten Schmerzensmann gibt. Nach vollbrachtem Gattenmord stehen Klytämnestra und ihr Liebhaber Aigisthos (Lukas Rüppel) nackt wie die ersten Menschen da. Ein Bild voller ätzender Ironie, denn ihre Unschuld ­haben die beiden durch den Mord verloren. Es ist die denkbar ­düsterste Deutung des Stücks, die Ulrich Rasche anbietet. Die Chorpassagen, die unter anderem die Schrecken des Krieges und die Schmerzen angesichts des Verlustes naher Menschen beklagen, verdichten sich zu einem finsteren Fluss, der selbst durch eine Premierenpanne nicht ins Stocken gerät. Mitten in der Vorstellung streikt die Drehbühne, springt ruckelnd wieder an, bleibt erneut stehen. Und mit ihr die Herzen von Regisseur und Darstellern, die ein, zwei endlose Minuten auf der Stelle trippeln müssen, statt wie geplant gegen die Rotation anzulaufen. Doch ehe es zu einer Unterbrechung kommt, hat die technische Mannschaft das Problem erkannt und gelöst. Nicht Sand im Getriebe, sondern die enormen Temperaturen haben den Antrieb zum Erlahmen gebracht. Ein Bühnenmeister sorgt geistesgegenwärtig für Belüftung, der Motor springt wieder an. Die Premiere ist gerettet und kann ihren Sog entfalten, dem sich auch das Publikum nicht entziehen kann. Bei der zweiten Vorstellung vor über 5000 Menschen im weiten Rund gibt es sogar stehende Ovationen. Eine im besten Sinne aufgewühlte Zuschauerin beschreibt den Abend hinterher als physische Erfahrung. Zum ersten Mal im Theater habe sie die Versehrungen und Verheerungen des Krieges körperlich gespürt, die Aufführung sei bei ihr eingeschlagen „wie eine Bombe“. Eine etwas martialische Diktion. Aber vielleicht ist ja genau das der Wert internationalen Kulturaustausches: dass das Erleben von Kunst im Allgemeinen und insbesondere da, wo es Menschen eine neue, ungewohnte Sichtweise eröffnet, so zu erschüttern vermag, dass eine prägende Erfahrung daraus erwächst, die politische Haltungen formt und fördert und so zu entsprechendem Handeln empowert. Damit wäre Kunst zwar nicht die Antwort auf alles. Aber doch auf ein paar recht entscheidende Probleme dieser Welt. //

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protagonisten

/ TdZ September 2022 /

Mit dem Glauben an die Kraft des Theaters Christian Stückl gelingt die Oberammergauer Passion als Kunststück von Christoph Leibold

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em Auferstandenen hat er seinen Auftritt gestrichen. Zum insgesamt vierten Mal hat Christian Stückl nun die weltberühmte Passion in seinem Heimatort Oberammergau inszeniert und sie dabei über die Jahrzehnte Schritt für Schritt modernisiert, entstaubt, professionalisiert. An einer ehernen Tradition hatte aber auch Stückl bisher stets festgehalten: Am Ende des Passionsspiels zeigte sich Jesus den Frauen am Grab, seinen Aposteln und damit auch dem Publikum – in blütenweißem Gewand und strahlendem Licht. Woraufhin allesamt im Angesicht des Auferstandenen ein letztes, die Vorstellung beschließendes Halleluja anstimmten. Dieser finale Auftritt war nicht nur eine sportliche Herausforderung für den Jesus-Darsteller, der nur wenige Minuten hatte, um sich Bühnenblut und Grind von der Kreuzigung abzuduschen, um sodann frisch geföhnt vor die Schar seiner Anhänger zu treten. Spielleiter Christian Stückl empfand die Schlussszene in ihrer Jesus-Christ-Superstar-artigen Kitschigkeit auch künstlerisch als Zumutung. Bei der Passion 2022 hat Jesus deshalb nun erstmals schon nach der Kreuzigung Feierabend. Das Halleluja am offenen Grab wird ohne ihn gesungen, die Auferstehung nicht mehr mit seiner Präsenz beglaubigt. Stattdessen werden Kerzen an einer Feuerschale entzündet, das Licht, das lumen christi, wird weitergetragen und erhellt die Nacht. Wer schon einmal einen katholischen Auferstehungsgottesdienst an Ostern erlebt hat, ist mit dieser Symbolik vertraut. Kein Auferstandener also auf der Bühne mehr. Na und? Im Theater ist es ja nun wahrlich nicht unüblich, dass Szenen gestrichen und Stück-Enden umgedeutet werden. Wäre die Oberammergauer Passion ein normales Drama, Jesu Erscheinen als Auferstandener wäre so etwas wie der Auftritt eines deus ex machina in eigener Sache. Derlei wunderbare Errettungen wider alle Wahrscheinlichkeit stehen im zeitgenössischen Theater unter Generalverdacht und werden nahezu unfehlbar gestrichen oder zumindest ironisiert. Die Passion ist ihrem Ursprung nach aber eben kein gewöhnliches ­Theater, sondern: Glaubensbekenntnis. Insofern ist die Tragweite von Stückls Entscheidung, dieses Bekenntnis nun zu verweigern, kaum zu überschätzen. Indem er Jesus am Ende nicht mehr zeigt,

überlässt es der Regisseur dem Publikum, ob es an diese Auferstehung glauben will oder nicht. Dieser mutige Schritt ist eine Art Schlussstein der Entwicklung, die Stückl bei seiner ersten Passion 1990 angestoßen und seither konsequent weiter vorangetrieben hat: weg von der Theologie, hin zum Theater. Wäre Stückl Fußballer, er würde zu den sogenannten Straßenkickern zählen. Der heute 60-Jährige, im Hauptberuf Intendant des Münchner Volkstheaters, hat nie eine Akademie oder Regieschule besucht. Seine Leidenschaft fürs Laienspiel Passion führte ihn ins professionelle Theater. Und von da wieder zurück nach Oberammergau, wo er es als Passionsspielleiter zwar weiter mit Amateurdarstellern zu tun hat, die er aber mit dem künstlerischen Anspruch eines Profis fordert, dem es nicht um das Nachbeten der Tradition geht, sondern um die Befragung einer uralten Geschichte aus heutiger Sicht. Vergegenwärtigung statt Verkündigung. Die Leidensgeschichte Jesu, wird Stückl nicht müde zu erklären, interessiere ihn nur am Rande. Er begeistert sich für Jesu Leben. Und vor allem: für das, wofür er lebte. Und so zeigt Stückl Jesus nun als Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit, der die A ­ rmen seligpreist und den Hohepriestern mit geradezu heiligem Zorn die Leviten liest, ob deren bigotter Gleichgültigkeit gegenüber den prekären Umständen, in denen das einfache Volk lebt. Die heute viel zitierte Schere zwischen Arm und Reich – auch im Neuen Testament ist sie bereits Thema. Die entsprechenden Texte aus der berühmten Bergpredigt (eigentlich an ganz anderer Stelle im Evangelium zu finden, sozusagen in der Vorgeschichte) hat Stückl ins Passionsgeschehen hineinmontiert. Über 100 Mal führen die Oberammergauer ihre Passion zwischen Mai und Oktober auf. Alle Hauptrollen sind doppelt besetzt. Bei der Premiere 2022 war Frederik Mayet (der die Rolle bereits 2010 spielte) als Jesus zu erleben und gab dabei nicht das lammfromme Leiden Christi, sondern einen charismatischen Christus – mit erstaunlichem Aggressionspotenzial für einen, der bedingungslose Nächstenliebe predigt. Nur verständlich, dass sich an diesem hitzigen Heiland die Revolutions-Fantasien eines ­Heißsporns wie Judas entzünden. Premieren-Judas Cengiz Görür ist von bestechender Bühnenpräsenz als enttäuschter Jünger, der gehofft hatte, Jesus würde Israel vom Joch der Römer befreien. Görür, nebenbei bemerkt, ist erst 20, erster Muslim in der Geschichte des Dorfes, der mit einer Hauptrolle betraut ist, und hat


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inzwischen die Aufnahme-Prüfung an der Münchner Otto-­ Falckenberg-Schauspielschule bestanden. Noch so ein Passionsbegeisterter, den es ins Profilager drängt. Wenn Jesus radikalpazifistisch dem bewaffneten Widerstand eine Absage erteilt, den Judas so vehement einfordert, schwebt plötzlich die gegenwärtige Weltlage über dem biblischen Geschehen, ohne dass dabei von Debatten um die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine die Rede sein müsste. Das ginge auch gar nicht in der Passion, die bei aller Modernisierung durch Stückl optisch historisierend bleibt. Ausstatter Stefan Hageneier, seit 2000 an Stückls Seite, hat das Ensemble in fahle Farben gekleidet. Trug das Volk 2010 noch taubenblaue Gewänder, so herrschen diesmal Beige-, Braun- und Grautöne vor. Der Gesamteindruck dadurch: düster, fast dystopisch. Eine Welt, an der man verzweifeln kann, wie an der unsrigen. Im Kontrast dazu: die sogenannten lebenden Bilder – tableaux vivants, die Momente aus dem Alten Testament zeigen, die in Beziehung zur Passionsgeschichte stehen. So korrespondiert beispielsweise der Tanz der Israeliten ums Goldene Kalb und die Vertreibung der Händler durch Jesus aus dem Tempel; oder der Opfertod des Gottessohns am Kreuz und Abrahams BeinahOpferung seines Sohnes Isaak. In den Kulissen und Kostümen dieser „lebenden Bilder“ dominieren Rot, Blau und Gold. Sie wirken, als hätte man Inventar und Altarfiguren aus den umliegenden ­Barockkirchen ausgeliehen und zu den Tableaus gruppiert. Kommentiert werden diese Bilder von Gesängen des PassionsChors, der nicht wie früher weihevoll in priesterähnlichen ­Messkleidern auftritt, sondern in stilisiert bäuerlicher Kluft in strengem Schwarz-Weiß – wodurch die Chormitglieder an die Dorfbewohner denken lassen, die 1633 das Pestgelübde ablegten, auf das die Oberammergauer Passion zurückgeht. So schaffen Stückl und Hageneier einen neuen Rahmen für die Haupthand-

Kein Auferstandener auf der Bühne: Das Schlussbild der Passions­ spiele Oberammergau kommt dieses Jahr ohne Jesus aus. Foto Arno Declair

lung, die natürlich auch großes Sandalenfilm-Theater auf der ­Cinemascope-breiten Bühne des Passionstheaters ist, mit gewohnt souverän arrangierten Massenaufläufen in den Volksszenen. Wenn Jesus unter dem Jubel der Menge Einzug nach Jerusalem hält, aber auch, wenn seine Feinde wie Freunde vorm römischen Statthalter Pilatus lautstark seine Kreuzigung respektive Freilassung fordern, ist das von überwältigender Wimmelbild-Wucht. In Summe: ein Theaterereignis, bildmächtig und gedankenstark. Aber aus theologischer Sicht? So ganz ohne den Auferstandenen seines religiösen Kerns beraubt? Mitnichten. Die Antwort gibt die Bibel. Genauer: die Geschichte des Apostels Thomas, der die erste Begegnung der übrigen Jünger mit Jesus nach dessen Kreuzestod verpasst und prompt am Bericht seiner Gefährten zweifelt. Jesus höchstpersönlich rüffelt Thomas später, nicht die Sehenden, sondern die Glaubenden seien selig. Welcher Theologe wollte da noch auf Jesus’ finalem Auftritt in der Passion bestehen und sich so als der sprichwörtlich „ungläubige Thomas“ outen? Christian Stückl hat eine Passion inszeniert, die dazu geeignet ist, den Glauben an die Kraft des Theaters zu stärken. Wer überdies an die Erlösung glaubt, sollte auch ohne Bestärkung durch den Auftritt des Auferstandenen auskommen. Stückl ist kein Theologe, aber längst so bibelkundig, dass er etwaige theologische Kritiker mit ihren eigenen Waffen zu schlagen weiß. Das ist das immense Kunststück, das ihm mit der Passion 2022 in Oberammergau gelungen ist: das Theater aus den Fängen der ­Religion zu befreien, ohne deren Spielregeln zu verletzen. //


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Vergessene der Stadtgesellschaft

Die Baden-Württembergischen Theatertage in Heilbronn: „Weit Blick“ mit neuen künstlerischen Formaten von Elisabeth Maier

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om Turm des Einkaufszentrums K3 in Heilbronn schweift der Blick über Weinberge und Industrielandschaften. Dann steigt weißer Nebel auf. Die Sicht verliert sich in milchig-weißem Dampf. Plötzlich ist da nur noch Chaos. Bei den 25. Baden-Württembergischen Theatertagen lenkte das Kollektiv Rimini Protokoll den Blick auf Widersprüche in der Stadtgesellschaft. „Remote Heilbronn“ heißt die Produktion, mit der Stefan Kaegi und Jörg Karrenbauer die Macht der Künstlichen Intelligenz ausloten – dieses Format ­haben sie bereits in vielen Städten erprobt. Eine Gruppe von 30 Teilnehmer:innen – ausgestattet mit Kopfhörern und Empfänger – ließ sich von einer warmen Stimme durch die Stadt führen. Wie viel Macht darf eine Maschine über die Menschen gewinnen? Bei dem Selbstversuch suchte jeder und jede die Antwort für sich selbst. Weit Blick lautete das Motto, das Intendant Axel Vornam für das Festival ausgewählt hatte. Mehr als 30 Produktionen zeigten Staats-, Stadt- und Privattheater aus dem Land an den zehn Tagen. Den eigenen Horizont zu weiten, hat sich auch das Theater Heilbronn zum Ziel gesetzt. In der Stadt mit rund 126  000 Einwohnern leben Menschen aus 140 Nationen. Solche kulturelle Vielfalt fordert die Theatermacher heraus, neue Formate für die Stadt am Neckar zu erproben, in der Zukunftsfragen gesellschaftliche Diskurse prägen. Um mehr Menschen zu erreichen, gingen die Theatermacher dafür in den öffentlichen Raum. Das Festival begann mit dem Straßentheater „Falsche Propheten“. Nils Brück hat das Spektakel inszeniert, bei dem das Publikum Vordenkern

wie Galileo Galilei, Nostradamus, Alice Schwarzer und Greta Thunberg folgte. In einem amerikanischen Flitzer zogen sie im Schritttempo durch die Fußgängerzone, begleitet von der Band Brass2Go. Mit viel Witz und einem feinen Händchen für die Kunst des Komischen setzte Brück die Akteure nach dem Vorbild der Redner im Londoner Hyde Park in Szene. Wie in der legen­ dären Speaker’s Corner lieferten sich die Akteure philosophische Battles. Stefan Brandtmayr hat sie mit farbenfrohen Fantasiekostümen ausgestattet, die diese abenteuerliche Zeitreise spiegeln. In seiner knallgelben Warnweste machte der alte Galilei eine gute Figur. Grob gezeichnet war dieses Eröffnungsspektakel, doch das war auch so gewollt. Etliche Passant:innen schauten, blieben stehen und schlossen sich spontan dem Theaterzug durch die Stadt an. „Die Theatertage sind für uns eine Chance, neue Publikumsschichten zu erreichen“, ist Intendant Vornam überzeugt. Deshalb öffneten er und sein Team sich mit neuen Formaten wie diesem in die Stadt hinein. „Unsere Aufgabe als Künstler:innen ist es, dass wir uns den drängenden Zukunftsfragen stellen.“ Dazu bedarf es aus Vornams Sicht eines Zusammenspiels vieler Akteure. Beherzt müsse das Theater da die gewohnten Pfade der Kunst verlassen und sich auf neue Wege einlassen. In Heilbronn hat der Intendant da vieles bewirkt. Ein Motor der Entwicklung ist das Wissenschaftscenter Experimenta, das Jung und Alt mit den neuesten Forschungsergeb-

Statt dröger Dokumentation ein märchenhaftes Szenario zur Sensi­bi­li­ sierung für Umweltzerstörung: die Uraufführung „Waste!“ von Gianina Cărbunariu in eigener Regie vom Schauspiel Stuttgart bei den 25. Baden-Württembergischen Theatertagen in Heilbronn. Foto Björn Klein


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nissen vertraut macht. Mit einem Wissenschaftstheaterfestival und Gesprächsrunden kooperieren die Bühne und die Forscher. Das Stück „Schwarze Schwäne“, mit dem Christina Kettering den vom Theater ausgelobten Wettbewerb Science & Theatre gewann, hat Elias Perrig im Science Dome der Experimenta in ein digitales Universum übertragen. Zwei Schwestern, die an der ­Pflege ihrer Mutter zerbrechen, werden durch einen Pflegeroboter mit dem Verlust ihrer Existenz konfrontiert. Klug zeigt Perrig, wie der Humanoide die Macht ergreift. Franziska Nyffelers Videokunst und Animation spiegelt innere Prozesse, in denen sich die beiden Frauen verheddern. Der Spagat zwischen einem selbst­ bestimmten Leben und der verzweifelten Heilssuche bei der Künstlichen Intelligenz gelingt Regina Speiseder und Lisa Schwarzer tiefenscharf. „Wir vernetzen uns mit den Wissenschaftlern, um neue Impulse für das Theater zu bekommen“, bringt Axel Vornam sein Ziel auf den Punkt. Im Rahmen des Festivals hat der Intendant auch eine Gesprächsreihe initiiert, in der es um Klimagerechtigkeit und um andere Zukunftsfragen ging. Das kam beim Publikum wie auch bei den Gästen von den badenwürttembergischen Bühnen gut an. „Die Relevanz des Theaters für die Stadtgesellschaft zeigen“ war das Ziel von Vornam und der Festivalleiterin Deborah Raulin. Mit dem Projekt Youtopia setzte das Heilbronner Theater da einen besonderen Akzent. Um zu erfahren, was die Menschen in der multikulturellen Stadt bewegt und wie sie sich ihre Zukunft vorstellen, hat die Radiojournalistin Katja Schlonski Passant:innen befragt. Im knallgelben Container mit der schwarzen Schrift, den Ausstatter Stefan Brandtmayr gestaltet hat, sprach sie mit Bürger:innen aus ganz unterschiedlichen Lebensumfeldern. „Raus aus der eigenen Blase“ war das Ziel dieses Stadtrechercheprojekts. „Dabei habe auch ich eine Sicht auf die Stadt bekommen, die mir bisher fremd war“, sagt Schlonski, die das Konzept gemeinsam mit der Dramaturgin Sophie Püschel entwickelte. Der Journalistin war es wichtig, auch die Menschen aufzusuchen, die sonst keine Stimme haben – zum Beispiel Inhaftierte in einer Justizvollzugsanstalt. Aus den Mitschnitten hat sie Audiocollagen zusammengestellt. Wer auf einer der Hörinseln auf dem zentralen Platz vor der Kilianskirche oder am Theater Platz nahm und die Kopfhörer aufsetzte, bekam Einblicke, die tief berührten. Ein Mann, der für ein paar Euro in einer Döner-Bude arbeitete und dem nachts die Ratten an den Fingern knabberten, fragt nach Menschenwürde. Um den Bestand des Familienunternehmens sorgt sich die Geschäftsfrau, deren Familie nicht mehr viel auf Traditionen gibt. „Wichtig war es mir, nachzuhaken, die richtigen Fragen zu stellen“, sagt Katja Schlonski. Für jedes einzelne Gespräch nahm sie sich viel Zeit. So ist in wochenlanger Recherchearbeit ein Porträt der Stadtgesellschaft entstanden, das auch Heilbronns Oberbürgermeister Harry Mergel als Quelle für die künftige Stadtentwicklung nutzen will. Pandemiebedingt stand Intendant Vornam 2021 vor der schweren Entscheidung, die Theatertage um ein Jahr zu verschieben. „Manche Kollegen haben das nicht verstanden. Doch aus heutiger Sicht war die Entscheidung richtig.“ Dennoch gab es auch bei dieser Auflage einige Vorstellungsausfälle wegen Erkrankungen in den Ensembles. Dem lebendigen Diskurs, der sich rund um das Festivalzelt vor dem Theater am Berliner Platz entspann, tat das keinen Abbruch.

baden-württembergische theatertage

Staats-, Landes-, Stadt- und Privattheater lenkten mit ihren Produktionen den Blick auf politische Entwicklungen, die Risse in der Gesellschaft zeigen. Da griff Regisseurin Franziska Autzen mit Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ eine Erzählung aus dem Jahr 1974 auf, die zwar nicht mehr ganz aktuell ist. Die vier Schauspieler:innen Johanna Link, Hanna Eichel, Sebastian Haase und Ioachim-Willhelm Zarcuela filterten aus ­ dem moralinschweren Text des Literatur-Nobelpreisträgers hochaktuelle Gedanken. Da geht es um eine Frau, die an den Rand ­ihrer Existenz gedrängt wird, weil sie einem Verbrecher zur Flucht verholfen haben soll. „Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann“ lautet der Titel der starken Bühnenfassung, die Mechanismen der Macht und Meinungsterror untersucht. Die junge Frau, die bei Böll dem Rufmord der Bild-Zeitung zum Opfer fiel, findet sich im 21. Jahrhundert in den Fängen einer undurchsichtigen Medienwelt wieder. Klug legt Autzens Regie den Finger in die Wunden einer Zeit, in der die Menschen ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben verlieren. Zu diesem Zerfall tragen auf anderer Ebene auch der Klimawandel und die Umweltzerstörung bei. Mit der Uraufführung von „Waste!“ der rumänischen Regisseurin Gianina Cărbunariu sensi­ bilisierte das Staatsschauspiel Stuttgart das Publikum da für ein Thema, über das in den Medien eher geschwiegen wird. In der Stückentwicklung geht es um die europäische Industrie, die aus Müll Zement herstellt. Abfälle der westlichen Länder werden nach Rumänien gekarrt – ein Beispiel dafür ist die Firma Heidelberg­ Cement, die in dem Land mehrere Fabriken betreibt. Da dieses ­Recycling erhebliche Schäden an den Menschen und der Umwelt verursacht, schieben die reichen Staaten die Produktion einfach ab. Statt dröger Dokumentation hat sich die rumänische Regisseurin da für ein märchenhaftes Szenario entschieden. Trotz ihrer inhalt­ lichen Qualität gleitet die Produktion zu stark ins Skurrile ab. In den schrillen Öko-Zirkus verirrt sich ein Pfau, der dem Publikum wie auch seinen Mitspieler:innen die Welt erklärt. Sebastian Röhrle meistert diese Gratwanderung mit Humor. Dennoch verlieren sich die starken Ansätze zu sehr in den verführerischen Bildern. Die Chance, sich zu vernetzen, haben die Theaterschaffenden aus Baden-Württemberg bei dem Festival rege genutzt. Mit Berufsgruppengesprächen und einem Stipendienprogramm für junge ­Theaterschaffende hat das Theater Heilbronn da eine Vielzahl von Möglichkeiten geboten. Knut Spangenberg, der sich an der Esslinger Landesbühne um Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit kümmert, fand es spannend, mit seinen Kolleg:innen von anderen Häusern über Chancen und Grenzen des digitalen Wandels nachzudenken und zu diskutieren. Da wünscht er sich an den Theatern noch mehr Offenheit und Lust am Experiment – etwa, was die Arbeit mit sozialen Medien angeht. Er profitierte von der Zusammenarbeit der B ­ ühnen im Land. Das sieht auch Tonio Kleinknecht so. Der Intendant des Theaters Aalen richtet die nächsten Theatertage aus – wegen der einjährigen Pause finden sie bereits 2023 statt. Die kleine Bühne von der Ostalb hat erst vor einem Jahr ihr neues Domizil im Kulturbahnhof bezogen, das sie sich mit der Musikschule, einem Programmkino und anderen Institutionen teilt. Die Vorteile dieses Konzepts möchte er seinen Kolleg:innen von den Bühnen im Land nahebringen: ­ „Unser Thea­ter steht mitten in der Gesellschaft.“ //

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Wenn die Sitzbänke vibrieren Die neuen Zuschauerinnen und Zuschauer von Zürich – ein Essay zur Publikumskultur von Martin Wigger

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ier blitzt sie auf einmal wieder auf, eine Idee von „Stadt­ gesellschaft“. An dieser Premiere des „Wilhelm Tell“ in der Inszenierung von Milo Rau Ende April am Schauspielhaus Zürich, schon vor Beginn der Vorstellung. Ein neues und fast schon un­ gewöhnliches Gefühl von Miteinander, das sich gleich im Zuschauerraum fortsetzt, wenn hier nun erst recht alte wie neue Ideale einer helvetischen Gemeinschaft verhandelt werden. Mit Ensem­ble und Laien, und immer wieder auch mit dem Publikum. An dieses Gefühl wird in dieser Inszenierung bis zum Schluss appelliert, es hält an, trägt über die Premiere hinaus. In den Foyers fällt es am meisten auf: Irgendetwas ist hier passiert in den letzten Jahren trotz aller pandemischen Beschränkungen. Das Publikum deutlich verjüngt. Dort, wo man sich einst mit 50+ noch jung fühlte, ist man unfreiwillig schnell auf die ­andere Seite gerückt. Das Zürcher Publikum stellt sich wieder

breiter auf. Zumindest im Schauspielhaus. Aber auch im benachbarten Theater Neumarkt fallen die neuen Zuschauerinnen und Zuschauer von Zürich auf. Es lässt sich nicht einfach beschreiben, und schon gar nicht alles über den sprichwörtlichen Kamm scheren. Aber versuchen wir es einmal so: In kaum einer anderen – zumindest deutschsprachigen – Stadt scheint es eine so gelungene Synthese von ­Publikum und Bühne zu geben wie derzeit in Zürich. Zu­schau­ er:innen, Intendant:innen, Schauspieler:innen wie Regis­seur:in­ nen, aber auch die Themen und Stoffe selbst haben größtmög­ liche Nähe zueinander erreicht. Hier scheint man sich gegenseitig zu „meinen“. Alle Identitätsdebatten von Gesellschaft und Theater unter einem Dach vereint.

Nicht mehr nur Spielpläne oder Programmatiken stehen im Schau­ spielhaus Zürich im Vordergrund, sondern die Vielschichtigkeit von Gesellschaft und Publikum: das Ensemble von „Wilhelm Tell“ in der Regie von Milo Rau am Schauspielhaus Zürich. Foto Philip Frowein


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Ein unglaublicher und längst überfälliger Energieschub im Stadttheater, der allerorts gewünscht und herbeigesehnt wird, in Z ­ ürich aber fast schon selbstverständlich vonstattengeht. Dass hier mit alten Traditionen, vor allem mit sogenannten Sehgewohnheiten gebrochen wird, fällt dann auf, wenn man in die anderen Theatermetropolen reist: Berlin, Hamburg, München, Wien. Da ist irgendwie alles beim Bisherigen und Bekannten, hier ein neues Spielplan-Credo, dort die Inklusion als Zusatzsparte. Aber das ­Publikum noch immer das, was man im Stadttheater erwartet. ­Gerade so viel gewagt, dass das Abo-Publikum bei der Stange bleibt. Zürich ist hier mutiger: Allein schon andere Abo- und Eintrittslösungen (das Neumarkt überlässt den Eintrittspreis in drei Staffelungen den Zahlenden) brechen aus alten Bahnen aus und erreichen neue Zielgruppen. Sicher gab und gibt es noch immer Zürcherinnen und ­Zürcher, denen dies alles zu viel an Neuem ist. Man hört und sieht auch selbst, dass Teile eines bisherigen Publikums weggebrochen sind. Dafür gibt es nun erkennbar ein anderes. Die neuen Zuschauerinnen und Zuschauer von Zürich. Die eher jünger ­ ­ge­worden sind und bei denen man sich noch immer fragt, woher sie denn auf einmal kommen. Ein Interesse scheint jedenfalls ­vorhanden zu sein. Und die anderen und Älteren müssen sich nicht ausgeschlossen fühlen. Ganz im Gegenteil: Es macht Spaß, sich auf das einzulassen, was vielleicht Zukunft des Theaters ­bedeutet und Neugierde weckt. Was ist in Zürich geglückt? Vielleicht eine Form von ehrlicher Auseinandersetzung mit dem großen Schlagwort von Identität. Sowohl Schauspielhaus als auch Neumarkt geben sich erkennbar Mühe, für neue Themen persönlich einzustehen. Der New Yorker Choreograf Trajal Harrell mit seiner festen Company am Schauspielhaus ist dafür der vielleicht gelungenste Beweis. Fast schon wie ein Gastgeber tritt Harrel mit einer ihm eigenen Präsenz in Erscheinung; sein Ensemble selbst ist eine der inhaltlichsten Sparten am Schauspielhaus, weil es in Inszenierungen wie zuletzt „Monkey off My Back“ mehr über Diversität erzählt, als jeder andere Diskurs auf oder außerhalb der Bühne es jemals könnte. Auch Co-Intendant Nicolas Stemann ist bekannt für eigene Auftritte in seinen Arbeiten; seine von ihm selbst inszenierten Familienstücke zur Weihnachtszeit sind nicht zu überbieten an Offenheit und Charme. Und Hausregisseur Christopher Rüping zielt wie kein anderer darauf ab, sein Publikum so anzusprechen, dass es sich eben „gemeint“ fühlt. Das liegt zum einen an durchlässigen Spieler:innen wie Maja Beckmann, Lena Schwarz oder Benjamin Lillie. Zum anderen aber auch wieder an neuen Formen von Moderation. In „Der Ring des Nibelungen“, seiner jüngsten Inszenierung in Zürich, eröffnet der Autor Necati Öziri den Abend mit seinem Erstaunen darüber, wie fremd ihm Stoff und eigene Theaterlaufbahn immer noch seien. Ein Abend voller Unsicherheit in einem sicheren deutschen Mythos. Was folgt, ist ein Lehrstück in Sachen Präsenz: lauter Solo-Auftritte des hier versammelten Ensembles, direkt an das Publikum gerichtet. Wenn am Ende Wotan gegen die Jungen wettert und seine Erfahrungen als alter weißer Mann gleichberechtigt einbringt, sind auf einmal alle miteinander versöhnt. Gerade auch die Alt-Abonnent:innen. Eines fällt auf: Nicht mehr nur Spielpläne oder Programmatiken stehen im Vordergrund, sondern Menschen, die sich äußern

essay

und nicht verstecken und für alles Vielschichtige von Gesellschaft und Publikum einstehen. Auch neue Ästhetiken spielen dabei eine Rolle, wie gerade in den Arbeiten von Alexander Giesche am Schauspielhaus. Bei ihm hat man nun wirklich das Gefühl, bei etwas dabei gewesen zu sein, was das Theater stilistisch in neue Richtungen treibt. Seine Themen von „Nachhaltigkeit“ finden direkten Bezug zum Publikum, fast schon über eigene Labore des Erzählens, die man anders verlässt, als man sie betreten hat. In den Kritiken zu Giesches „Momo“, aber auch zum „Tell“ von Milo Rau ist nicht zufällig von „Sitzkreisen“ die Rede, an denen man gern teilhabe. Das hat tatsächlich viel mit dem Effekt einer Katharsis zu tun, die schon bei Aristoteles nicht eine Erfahrung der Spielenden ist, sondern allein dem Publikum vorbehalten bleibt. Das kleinere Neumarkt steht dem übrigens in nichts nach. Auch hier bleibt eine der jüngsten Arbeiten, „Porno mit Adorno“ in der Regie von Felix Rothenhäusler, in bester Erinnerung, weil sie im derzeitigen Weltgeschehen mit knallharter Faktenlage uns die eigene Lebenssituation vor Augen führt. Die Bühne wird zu einem Laufsteg mit allem, was die Nachrichten über Klima, Migration und Krieg zu vermelden haben, gepaart mit dem Experten Adorno und den tröstenden Songs des Zürcher Musikers Faber. Eine Hyper-PopOper, die spätestens dann als Apokalypse das Publikum erreicht, wenn die Zuschauerbänke unter einem zu vibrieren beginnen. Geht man hier schon gemeinsam unter, oder ist das alles nur Theater? Grundsätzlich punktet das Neumarkt gegenüber dem Schauspielhaus in der Suche nach den Zusammenhängen: Hier wird ein Publikum längerfristig begleitet über viele auch von den Inszenierungen unabhängige Formate, werden Zusammenhänge gesucht und gefunden. Der Spielplan wirkt in sich ebenso schlüssig wie die Abfolge der einzelnen Inszenierungen. „Akademie“ ist eine treffende Selbstbetitelung des Theaters, und die drei Intendantinnen Erdoğan/Milz/Reichert sind als praktiziertes Mehr-Leitungsmodell nicht weniger präsent in allem als die männlichen Kollegen Blomberg/Stemann auf der anderen, reicheren Seite. Mit ihren neuen Leitungsmodellen ist die pragmatisch denkende und kraft ihrer Geschichte schon immer paritätisch aufgestellte Schweiz schneller in der Praxis angekommen als Deutschland oder Österreich. Auch die Gessnerallee, die sich inmitten der Pandemie und damit unter ziemlichem Verschluss neu aufgestellt hat, wird nun von drei Frauen geleitet. Und vielleicht ist dies gerade das erfolgreiche Rezept von Zürich, ein neues Publikum erreicht zu haben: Die Kombination von „guter“ Leitung mit nicht zögerlicher persönlicher und damit ­politischer Positionierung. Das Ganze auf einem guten Nähr­ boden, einer Schweizer Theatertradition, die sich seit Marthaler, seit Rimini Protokoll oder zuletzt Milo Rau noch nie gescheut hat, eine eigene Stimme zu erheben, die vielleicht klein oder skurril aus einem überschaubaren Bergland heraus schallt, dann aber doch gerade im Schonraum viel über uns und die Welt zu erzählen hat. Diese Tradition setzt Zürich – vielleicht unbewusst – gerade fort, diesmal nicht in erster Linie originär schweizerisch, dafür aber repräsentativ mit all seinen auch zugereisten Menschen an den Theatern. Komplexe inhaltliche Konstruktionen sind nicht vonnöten. Dafür umso mehr ehrliche menschliche Stimmen. Und allein das kann schon gutes Theater ausmachen und ein neues Publikum generieren. //

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corona und theater

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Die Rückgewinnung des Publikums Viele Theater bleiben leer, im Gegensatz zu Philharmonien und Konzerthäusern. Treffen sie mit ihren Angeboten nicht mehr den Geschmack des Publikums?

von Stefan Keim

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n der Saison 2020/21 hatten die Theater 86 Prozent weniger Publikum laut Statistik des Deutschen Bühnenvereins. Klar, die Pandemie, es gab auch 70 Prozent weniger Aufführungen. Doch im Sommer 2022 hat sich die Lage in vielen Sälen kaum verbessert. 50 Leute im großen Haus – das war für viele Theater auch nach dem Ende von Lockdowns und Beschränkungen keine Seltenheit. Auch im ruhmreichen Bochumer Schauspielhaus, das gerade wieder mit einer Einladung zum Berliner Theatertreffen ausgezeichnet wurde. „Die Lage ist im Moment nicht einfach“, sagt Intendant ­Johan Simons. „Aber das ist nicht nur Bochum, das ist das ganze Land, auch die Niederlande. Die Leute bleiben lieber zu Hause und gucken sich eine Netflixserie an.“ Noch größer sind die Probleme nebenan in Dortmund. Intendantin Julia Wissert ist vor zwei Jahren als einzige Intendantin of Colour in NRW mit viel Schwung gestartet – und wurde schon nach wenigen Wochen von der P­andemie ausgebremst. Nach zwei Spielzeiten unter erschwerten Bedingungen hat sie das anvisierte neue Publikum noch nicht ­gefunden. Und das alte ist nachhaltig verstimmt. Das Ergebnis: 27 Prozent Auslastung, konkret ein Schnitt von 44 Besucher:innen. Es regt sich Protest in der Stadt. Julia Wissert sieht das Problem so: „Neu auf den Markt zu kommen und dann ein Jahr nicht sichtbar zu sein. Wir hatten ja

zwei Wochen, in denen wir die komplette erste Spielzeit – alles, was wir hinter verschlossenen Türen produziert haben – gezeigt haben. Und dann sind wir in die eigentliche zweite Spielzeit gestartet. Wenn ein Jahr die Türen zu sind, ist es extrem schwierig, den Kontakt zum Publikum herzustellen.“ Den Fehler haben viele Bühnen gemacht. Während der Lockdowns wurde weiter geprobt –, und zwar die vor der Pandemie geplanten Aufführungen. Und als die Theater wieder spielen durften, haben sie die Premieren im Wochentakt rausgehauen. Kunst als Ramschware, alles musste raus. Egal, ob die Stücke noch den Nerv der Zeit trafen oder nicht. Auch wenn Johan ­Simons selbst direkt auf die Pandemie reagierte und ein philosophisches Stück von Elias Canetti herausbrachte, wirkten andere Bochumer Aufführungen seltsam aus der Zeit gefallen. Für die nächste Saison hat er sich etwas anderes vorgenommen. „Deswegen haben wir zum Beispiel jetzt zwei Stücke auf dem Programm, die wir noch nicht kennen. Wir entscheiden jetzt noch nicht, was wir da tun. Es ist wichtig, dass wir den Pulsschlag der Zeit darstellen.“ Es gibt auch inhaltliche Kritik am Bochumer Spielplan. ­Viele Besucher vermissen psychologisch erzählte Geschichten, Stücke zum Mitfühlen, nicht nur zum Mitdenken Auch hier hat Simons schnell reagiert. In der letzten Woche vor dem Saisonende zeigte er die Uraufführung von Akın E. Şipals „Hoffen und

Leere Theatersitze. Deutsches Museum München. Foto picture alliance / imageBROKER | hkp


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publikumskrise

Manche haben nach den Erfahrun­ehnen“, eine Open-Air-AuffühS rung auf dem Platz vor dem Schaugen im Nahverkehr ein 9-Euro-­ Ticket für Theater angeregt. Weil ja spielhaus: Ein Stück, das Erzählungen von Migranten aus der Stadt neben der Pandemie auch noch Ineinbezog, unterhaltend, musikaflation und Krieg das Publikum verlisch und ausverkauft war. Diesen unsichern. Johan Simons bestätigt, Geist will Simons auch wieder mehr dass an den 10-Euro-Tagen im ins Haus hineinbringen. „Man ­Bochumer Schauspielhaus die Vormuss denken, drinnen brennt’s. stellungen im Schnitt besser besucht sind. Wären also noch höher Drinnen ist etwas los. Ich gehe mit subventionierte Eintrittspreise die ­ dem Ensemble wieder raus, auf die ­Lösung? „Ich finde, das wäre zuminMarktplätze. Wir müssen wieder ganz von vorne anfangen.“ dest einen Versuch wert“, sagt Professorin Birgit Mandel, „vor allen Auch in Dortmund ist der Dingen angesichts der Tatsache, bürgerliche Teil des Publikums nachhaltig verstimmt. Die Abonnendass die öffentlichen Theater, von denen wir in Deutschland 142 haben, ten fühlen sich mit ihrer Lebenswelt Julia Wissert. Foto Birgit Hupfeld nicht mehr wahrgenommen und ohnehin nur ungefähr 15, 16 Prozent ihrer Einnahmen aus Ticket­ein­nah­ bleiben zu Hause. Intendantin Julia Wissert will „das Programm in seiner Vielschichtigkeit sichtbar mamen bekommen. Das heißt, der Rest sind ohnehin Steuermittel, und der Verdienstausfall wäre überschaubar.“ chen, es zielgruppenorientierter bewerben, genauer sein in dem, wie Dinge erzählt werden. Wir haben ja schon bevor die ganzen Was allerdings nur für die Staats-, Stadt- und Landestheater funktioniert. Die privaten Bühnen hätten es noch schwerer oder Artikel in der Presse kamen den Spielplan für die nächste Spielzeit konzentriert auf Geschichten, Klassiker und bekanntere Titel.“ bräuchten Extra-Unterstützung. Den Theatern droht ohnehin finanzielles Ungemach. Die Mindestlöhne wurden erhöht, was natürlich Müssen die Theater auch in ihrem Angebot umdenken und sinnvoll und gerecht ist, aber viele Bühnen an den Rand des Mögliwieder klassischere, vielleicht sogar konservativere Formen anbieten? Reicht das, was viele Kritiker:innen und Fans besonders toll chen bringt. Wenn dann noch weitere Einnahmeausfälle dazukomfinden, vielleicht nur selten über eine winzige Bubble hinaus? Das men, wird es richtig eng. Die Extragelder aus den Hilfsfonds könnten bald zu Ende gehen. Und dann droht – nachdem die Pandemie wurde im Sommer heftig diskutiert. Im Deutschlandfunk Kultur sagte Birgit Mandel, Professorin für Kulturmanagement und Kulglimpflich überstanden scheint – doch noch eine Pleitewelle. Interessant ist allerdings, dass sich der Publikumsschwund turvermittlung an der Uni Hildesheim: „Wenn Programme als ­elitär, abgeschlossen, vielleicht zu experimentell wahrgenommen vor allem auf das Schauspiel konzentriert. Tanz und Musiktheater melden zwar auch Rückgänge, aber bei Weitem nicht so große. werden, ist das natürlich ein Faktor, warum es für viele nicht interessant ist.“ Ihre Handlungsempfehlung lautet: „Bürgerbühnen Die Oper Köln hatte im Juni sogar wieder weit über 90 Prozent gründen, Jugendclubs gründen, Kooperationen mit Sport­ ver­ Auslastung – wie vor der Pandemie. Und die Konzerthäuser und einen, mit MigrantenkulturvereiPhilharmonien zeigen sich ebennen, mit Betrieben – das heißt neue falls optimistisch. Das Dortmunder Programmformate entwickeln.“ Konzerthaus hat sogar schon mehr Auch in den Komödien sieht Karten für die kommende Spielzeit die Lage nicht gerade rosig aus. verkauft als früher. „Im Moment“, René Heinersdorff, Sprecher der sagt Intendant Raphael von HoensPrivattheater im Deutschen Bühbroech, „brauchen wir Orte, an denenverein, bringt die Situation auf nen wir uns der Kunst hingeben den Punkt: „Wenn eine Kassiererin können, weil sie eine Art von innerem Frieden ermöglicht, den Netflix vor der Pandemie drei Wochen vor eben nicht bringt.“ Böse gefragt: der betreffenden Vorstellung ge­ Das Schauspiel in seiner aktuellen sehen hat, dass nur hundert Karten Form vielleicht auch nicht? verkauft sind, hat sie mich alarmiert Es gibt keine allgemeine Beangerufen, Heute ruft sie mich freudig an und sagt: Stell dir vor, wir sucherkrise, sondern einen konkreten Zuschauerschwund im Schausind heut 100 Leute. Die Aufführungen, die richtig gut laufen, die spiel. Die Theaterleitungen müssen laufen nach wie vor. Aber im mittledie Gründe finden und gegen­ ren Segment ist der Zuschauersteuern. Und das sehr schnell. Sie haben einen gewaltigen Kraftakt schwund deutlich spürbar und Johan Simons. Foto Jörg Brüggemann – Ostkreuz noch nicht überwunden.“ vor sich. //

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#CoronaTheater Der Wandel der performativen Künste in der Pandemie. Herausgegeben von Benjamin Wihstutz, Daniele Vecchiato und Mirjam Kreuser

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ls im März des Jahres 2020 die COVID-19-Pandemie über Europa hereinbrach, waren die plötzlichen Einschränkungen des privaten und des öffentlichen Lebens brachial und allumfassend. Die gesundheitliche Notlage war zugleich auch eine Krise, die ins Herz der gesamten Aufführungs- und Veranstaltungskultur traf: In zahlreichen Ländern schlossen die Theater, Kinos und Konzertsäle ohne absehbare baldige Wiedereröffnung ihre Pforten,1 Live-Veranstaltungen wurden abgesagt. Statt in Toilettenschlangen in der Pause, beim Rauchen vor Konzerthallen und in Bars begegnete man sich nun auf 1,5-Meter-Distanz und schaute im Internet bei Quarantäne-Konzerten und Zoom-­ Lesungen zu. Zeitgleich entstanden vollkommen neue Aufführungsformen, die in den sozialen Medien um die Welt gingen: Opernsänger*innen, die auf Stadtbalkonen ihre Arien den Nachbarn zum Besten geben, DJs, die auf Dächern ihre Sets auflegen, Familien, die auf YouTube ironische Fitness- oder Musical-Videos posten. Während viele große Theaterhäuser zunächst auf das Streaming aufgezeichneter Produktionen setzten, fand bereits eine spürbare Theatralisierung des Contents auf Plattformen wie YouTube oder TikTok statt. Erst nach und nach wurden auch von den Spielstätten neue digitale, hybride und analoge Formate entwickelt, die sich trotz Shutdown und Hygiene-Maßnahmen realisieren ließen. Es wurden neue Formen digitaler Zuschauerpartizipation ins Leben gerufen, Stücke auf Instagram oder als Drive Through im Parkhaus inszeniert oder VRBrillen an die Zuschauenden zu Hause für ein neues 3D-Theater verschickt. Um diese neuen Formen des Theaters in Gegenwart der Pandemie, aber auch um die Frage, wie die Zukunft des Theaters nach dieser Krise aussehen wird und soll, geht es in diesem Band. Es geht uns darum, die unmittelbaren und langfristigen Transformationen des Theaters im Zuge der Pandemie zu reflektieren. Der Band leistet somit einen Beitrag zu den Debatten um die aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklung in und nach der Pandemie, indem er mit der Frage nach der Zukunft des Theaters auf einen in der Öffentlichkeit zu häufig vernachlässigtem Aspekt der Krise aufmerksam macht und sich in die bislang vor allem epidemiologisch, philosophisch und soziologisch dominierte Diskussion mit einer dezidiert kunst- und kulturwissenschaftlichen Perspektive einbringt, um den nachhaltigen Wandel der performativen Künste in den Fokus zu rücken.

Der Buchtitel #CoronaTheater verweist implizit auf eine Reihe von Hashtags, die diese Pandemie von Anbeginn geprägt haben. Unter dem Hashtag #wirbleibenzuhause solidarisierten sich im Frühjahr 2020 Künstler*innen, Musiker*innen, Filme­ macher*innen und deren Publikum mit den politischen Eindämmungsmaßnahmen gegen die Verbreitung des Virus und versuchten sich in anderen Formen des Zusammen-Seins bei Kulturveranstaltungen. Die Kacheln von digitalen Kommunikationsplattformen warfen rechteckige Schlaglichter in die privaten Räume von Zuschauer*innen wie Künstler*innen gleichermaßen. Unter #kulturtrotztcorona wurde nur wenige Wochen später das Bedürfnis artikuliert, trotz Lockdown Neues auszuprobieren und zu experimentieren, um die Kulturszene am Leben zu erhalten und dennoch solidarisch mit seinen Mitmenschen zu sein. Zeitgleich formierte sich unter dem Hashtag #ohneunswird­ esstill eine neue Verbundenheit innerhalb der Veranstaltungsbranche, die durch die Pandemie wirtschaftlich gebeutelt wurde. In der Krise wurden aber nicht nur die Veranstaltungen der performativen Künste unterbrochen und das Theater finan­ ziell in Schwierigkeiten gebracht. Wie sich nicht zuletzt am ­#publikumsschwund im Jahr 2022 ablesen lässt, haben sich die Veränderungen der letzten zwei Jahre tief in die Körper der Einzelnen, aber auch in die Kulturbetriebe selbst eingeschrieben. Obwohl die Theater und Veranstaltungsorte inzwischen längst wieder ihren Regelbetrieb aufgenommen haben, ist das Theater als Dispositiv2 insgesamt schwer getroffen worden. Am auffälligsten ist sicherlich, dass einige theatrale Grundprinzipien, Praktiken und Konventionen für ein erhöhtes Infektionsrisiko stehen: Die Versammlung in geschlossenen Räumen, die »leib­ liche Ko-Präsenz von Akteuren und Zuschauern«,3 die Dauer der Aufführung, das körperbasierte und kollektive Spiel mit lauter Aussprache und Gesang, Foyergespräche und Premierenfeiern, die Kantinen als Aufenthaltsräume wurden in der Pandemie plötzlich als gefährliche, unsichere Räume gerahmt und wahrgenommen. Die Nähe des Theaters als Kunst der Präsenz, das körperliche Spiel auf der Bühne, das Beisammensitzen im Saal waren in der pandemischen Gegenwart auf einmal fehl am Platz; die leeren oder halb leeren Säle wurden andererseits aber auch als Bilder des Schreckens verbreitet und teilweise für eine Kritik an den Eindämmungsmaßnahmen genutzt. So geisterte im Mai 2020 eine Fotografie des halb demontierten Parketts des Berliner Ensembles durch die Feuilletons deutscher Zeitungen. Ein solcher


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strukturen sowie nach der NachhalSaal sähe aus wie ein »arg rampotigkeit von Theater. Während der niertes Gebiss, dem die morschen Pandemie war Theater gezwungen, Zähne gezogen wurden«4, wurde von Schauspieler*innen geäußert. sich auch organisatorisch und strukturell zu verändern.6 Die Frage, wie Und während die deutsche FilmTheaterschaffende zukünftig zusambranche in den sozialen Medien unmen arbeiten wollen und sollen, ist ter dem Hashtag #allesdichtmachen daher eine, welche die Pandemie uns aufgebracht über die Integrität ihrer auf neue Weise aufgedrängt hat. bekanntesten Gesichter stritt, wurStellt die Corona-Krise in Bezug auf den in den Sommern 2020 und 2021 schon wieder Konzerte gespielt, Arbeits- und Infrastrukturen eine Zäsur dar oder bleibt alles mehr oder nicht vor tanzendem, aber doch wieder vor Live-Publikum, in Strandkörweniger, wie es vorher war? Einerseits führte die Infragestellung des ben und auf Bierkisten sitzend. (…) Wertes von Kunst und Kultur dazu, Zweifellos ist auch der globale RECHERCHEN 165 sie als schützenswertes Gut zu beRaum auf neue Weise ins Blickfeld #CoronaTheater gerückt sowie die Frage, auf welche trachten; andererseits schien Theater Der Wandel der performativen Künste als flüchtige Raum- und Zeitkunst Weise zukünftig global und trotzin der Pandemie dem nachhaltig Theater, Musik, besonders geeignet, die mit der Krise Mirjam Kreuser, Daniele Vecchiato Kunst und Performance praktiziert verknüpften spezifischen Erfahrunund Benjamin Wihstutz (Hg.) gen von Raum und Zeit – etwa der werden können. Neben dieser neuen Paperback mit 210 Seiten und zahlreichen Entschleunigung und Ermüdung Wahrnehmung des Theaterraums farbigen Abbildungen ISBN 978-3-95749-435-1 oder der Parzellierung und Distanund der körperlichen Nähe ist und EUR 22,00 (print) / 17,99 (digital) zierung7 – ästhetisch zu reflektieren war die Corona-Krise aber ebenso Theater der Zeit und zugleich die existierenden Areine Krise der Anerkennung von Kunst und Kultur. Rudolf Stichweh beitspraktiken und Infrastrukturen des Theaters infrage zu stellen. Aufhat auf den Umstand hingewiesen, dass das System der Kunst im Schatten eines im pandemischen fallend häufig wurden in dieser Krise aber auch direkte Parallelen zwischen Pandemie und Klimakrise gezogen. Der französiAlltag dominierenden Gesundheitssystems zunächst »weitgehend sistiert« wurde,5 was nicht zuletzt daran liegt, dass Kunst sche Soziologe, Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Bruno und Kultur aus Sicht der Politik eher am unteren Ende der HierLatour bemühte dafür nicht zufällig eine Theatermetapher, als er archie gesellschaftlicher Teilsysteme stehen. Die Prekarität von fragte, ob es sich bei der Pandemie um ein dress rehearsal, um Kunst und Kultur und deren Finanzierung, die in der COVIDeine Generalprobe für die eigentliche Krise, nämlich die Klimakrise, handele.8 Nun liegt es durchaus nahe, diesen Vergleich zu 19-Pandemie vor allem zu Beginn so deutlich wurde und vermutkritisieren, zumal sich die Klimakatastrophe kaum in zwei oder lich auch in Zukunft noch zu spüren sein wird, wirft Fragen auf, die die Zukunft der Kulturinstitutionen, der Arbeitsweisen und drei Jahren überwinden lässt, sondern das Leben auf unserem Planeten für immer verändert, wenn nicht gar beendet. Treffend Infrastrukturen betreffen: Welchen Wert hat in unserer Gesellschaft das Theater? Ist an Latours Frage scheint jedoch die Beobachtung, dass das Innehalten und der anfängliche Stillstand der Corona-Krise die Kultur, wenn schon nicht systemrelevant, so doch zumindest ­Möglichkeit und Unmöglichkeit konsequenten Handelns und ­gesellschafts- oder demokratierelevant? Wie können Theater und die performativen Künste in Zukunft zugänglicher und niedrigReagierens auf eine solch globale Krise deutlich vor Augen geschwelliger gestaltet werden, und inwiefern sind gerade Live-­ führt hat. Wenn man mit ebensolcher Konsequenz gegen den CO2-Ausstoß vorgehen würde wie gegen Aerosole, ließe sich die Ereignisse dabei unverzichtbar? Angesichts der Krise stellt sich ­Klimakatastrophe vielleicht tatsächlich noch abwenden. // zudem die Frage nach der Zukunft von Arbeitsweisen und Infra1 Vgl. u. a. Die große Pause. Jahrbuch 2020, Sondernummer der Zeitschrift Theater heute, Berlin 2020; Haas, Maximilian/Wicke, Joshua: »Lockdown-Theatre (1): Theater in Quarantäne«, Online-Publikation vom Schauspielhaus Zürich, 20. April 2020. https://www.schauspielhaus.ch/de/journal/18219/lockdown-theatre-1-theater-in-quarantäne (Abruf: 27. Mai 2022). | 2 Aggermann, Lorenz/Doecker, Georg/Siegmund, Gerald (Hg.): Theater als Dispositiv. Dysfunktion, Fiktion und Wissen in der Ordnung der Aufführung, Frankfurt a. M. 2017. | 3 Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen. Frankfurt a. M. 2004, S. 58. | 4 Bollmann, Ralph: »Viraler Intendant. Oliver Reese«, in: FAZ.NET, 12.06.2020,URL: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/kultur-in-corona-zeiten-welche-zukunft- hat-das-theater-16803696.html (Abruf: 30.05.22). | 5 Stichweh, Rudolf: »Simplifikation des Sozialen«, in: Volkmer, Michael/Werner, Karin (Hg.): Die Corona-Gesellschaft. Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft, Bielefeld 2020, S. 197 – 206, hier S. 203. | 6 Vgl. u. a. nachtkritik.de-Redaktion: »Raus aus dem nationalen Panik-Fokus! Theater in der Corona-Krise – Ein Streifzug durch die stillgelegte deutschsprachige Theaterlandschaft (4): Die Rache des Hustens«, Online-Publikation des Schauspielhauses Zürich, 6. Mai 2020, https://neu.schauspielhaus. ch/de/ journal/18314/lockdown-theatre-4-die-rache-des-hustens (Abruf: 27. Mai 2022). | 7 Vgl. u. a. Rosa, Hartmut: »Entschleunigung durch Corona: Warum die neue Langsamkeit nicht entspannt«, 1. April 2020, https://www.deutschlandfunkkultur. de/entschleunigung-durch-corona-warum-die neue-langsamkeit-100.html (Abruf: 27. Mai 2022); Sarasin, Philip (2020): »Mit Foucault die Pandemie verstehen?«, 25. März 2020, https://geschichtedergegenwart.ch/ mit-foucault-die-pandemie-verstehen/ (Abruf: 27. Mai 2022); Žižek, Slavoj: Pandemic! Covid-19 Shakes the World, New York/London 2020. | 8 Latour, Bruno: »Is This a Dress Rehearsal?«, in: Critical Inquiry 47 (2021), Nr. S2, S. 25 – 27, 26. März 2020, https://www.journals.uchicago.edu/doi/full/10.1086/ 711428 (Abruf: 27. Mai 2022).


nachruf

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Tal des Erstaunens Ein Nachruf auf Peter Brook (1925–2022)

von Renate Klett

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eter Brook war der Theaterkönig seiner Zeit, ein sanfter Mensch, der die Schauspieler:innen animierte, statt sie zu bevormunden, vergrößerte, statt sie zu begrenzen. Er schaffte es, die Zuschauer mitzunehmen in eine verwandelte Welt, aus der sie beglückt in die Realität zurückkehrten. Jeder Besuch in seinem Theater ließ einen ahnen, dass diese Welt unermesslich und wandelbar ist. Er war begeisterungsfähig, sehr weich und höflich, aber er konnte auch anders. Sein wunderbares Stück „L’homme qui“ nach dem Text von Oliver Sacks war eine Koproduktion mit Theater der Welt 1993 in München. In der Vorbereitung schickte Brook mehrfach Mitarbeiter zu uns, die den Theaterraum inspizierten, vermaßen, fotografierten und aus diversen Blickwinkeln filmten. Sie schienen sehr zufrieden, verlangten jedoch einen neuen Anstrich der Bühne, den wir in aufwendigen Nachtschichten ausführten. Peter Brook kam erst sehr spät dazu, klopfte hier, vermaß dort und sagte schließlich sehr freundlich und bestimmt: „Hier kann das Stück auf keinen Fall stattfinden“. Wir zeigten ihm die Theatersäle Münchens – nur der Marstall gefiel ihm. So weit so gut, aber natürlich waren in all diesen Sälen bereits andere Festivalaufführungen geplant. Wir fluchten, heulten, kämpften – und disponierten um, bekamen schließlich auch alles hin, aber es war eine Riesenkiste. Andererseits: Für wen, wenn nicht für Peter Brook, nimmt man so etwas in Kauf? Und er hatte recht! „L’homme qui“ war ein Riesenerfolg, tourte jahrelang um die Welt und adaptierte sich überall an jedwede Bühnengröße.

„Der leere Raum bedeutet ja nicht, dass da gar nichts ist. Wichtig ist das ‚Nichts‘ als Ausgangspunkt. Man beginnt mit dem Nichts und trägt nur das hinein, was sich als notwendig erweist.“ Dieses berühmte Diktum hat Gültigkeit bis heute, nur ist es aus der Mode gekommen. Aber auch im Theater kehrt ja alles zurück und so vermutlich auch Brooks Erkenntnisse. Sein Kult-Buch, die Brook-Bibel „Der leere Raum“, 1970 erschienen, ist heute lesenswerter denn je. Brook wurde berühmt durch seine zahlreichen Inszenierungen an der Royal Shakespeare Company (die er zeitweise gemeinsam mit Peter Hall leitete). Er gastierte viel, drehte mehrere Filme, darunter „Herr der Fliegen“ 1964, schrieb Essays und Bücher und verließ die Sicherheit der Company, um neue Theaterformen zu entwickeln. Mit einer kleinen internationalen Kompanie zog er zwei Jahre lang durch Afrika und Asien, um alte Theaterformen zu erforschen und neue zu entdecken. Die heutzutage so gepriesene Ensemble-Diversität praktizierte er ganz selbstverständlich schon vor 50 Jahren. Und als er im Jahr 2000 seinen „Hamlet“ machte, besetzte er die Hauptrolle mit dem afrikanischen Schauspieler Adrian Lester. Die vielen diesbezüglichen Nachfragen beantwortete er lapidar mit der Feststellung: „Er ist einfach der beste.“ Seine bekannteste Aufführung ist wohl der „Mahabharata“, der indische Schöpfungsmythos, den er in Avignon präsentierte, in einer Steinhöhle – und das neun Stunden lang! Als die Produktion um die Welt tourte, verkürzte er sie auf sechs Stunden – immer noch eine Herausforderung für Darsteller wie ­Publikum. Meine persönliche Lieblingsaufführung bleibt „L’homme qui“, vielleicht wegen der vielen Schwierigkeiten? Ganz sicher aber, weil er das Publikum hier in das von ihm gerne zitierte „Tal des Erstaunens“ führte. // Peter Brook. Foto Alexander Verlag Berlin

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peter brook

Peter Brook mit dem Ensemble von „L’homme qui“ bei den Proben 1993. V.l.n.r.: Sotigui Kouyate, Maurice Benichou, David Bennent, Peter Brook, Mahmoud Tabrizi-Zadeh, Yoshi Oida. Foto Alfred Raschke

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An den Wurzeln des neuen Theaters Eine Erinnerung an Hans-Thies Lehmann von Tom Stromberg

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ein Exemplar seines Buches: Eselsohren, Klebezettel a­ ppliziert, schöne Sätze wie diesen markiert: „Mehr Gefahr droht der Tradition des geschriebenen Textes von musealer Konvention als von radikalen Formen des Umgangs mit ihm.“ Eine Menge angestrichener Textpassagen mit verschiedenen Stiften, also ­offenkundig zu verschiedenen Anlässen und Zeiten.

Postdramatisches Theater. Einfach so. Kein Untertitel, keine ab­ sichernden Einschränkungen – in der Wissenschaft eigentlich überlebenswichtig. Ein Buch, das neuere Theaterentwicklungen ernst nahm und sie der theoretischen Beschäftigung mit Theater-

Mit Beckett auf der Bank. Hans-Thies Lehmann in Griechenland. Foto privat


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hans-thies lehmann

kunst zugänglich gemacht hat, sie für die Wissenschaft „adelt“. Ein stellte, die Leute Theater machen ließ – und drüber nachdenken – Denkprozess weg von der Dominanz des Textes im Theater. und wieder machen ließ – und noch mal drüber nachdenken. Seite 38 (Verlag der Autoren, Frankfurt a. M. 1999) lese ich Und dann schickte er sie los in die Theaterlandschaft, oder immer wieder. Da geht es um das Wagnis experimentellen Theasie wurden einfach flügge und eroberten die Probebühne des ters, um die Förderung, die Künstler brauchen, damit sie Kunst am Thea­ters am Turm – die Daimlerstraße im Frankfurter Osten. Theater machen und nicht sonst wo. Um die Theater, die Risiken Was aus den „Gieß­enern“, seinen Stu­dent­en, geworden ist, eingegangen sind und deshalb Dank verdienen. Diese Aufmun­ hat bis heute große Bedeutung für die ­Theaterwelt: She She Pop, terung tut gut; ab und zu. Showcase Beat Le Mot, Gob Manchmal brauchen auch die Squad, Hans-Werner Kroe­ Unterstützer Unterstützung. sin­ger, And Company, Rimini Protokoll, Hoffmann und „Die Intention dieser Lindholm und alle anderen Studie geht nicht auf umfassende Inventarisierung“, so … Lehmann, der mit dem Danach, als er schon Buschmesser eine Bresche Professor war, nistete er sich schlägt durch den Realitätsdzwecks unkomplizierten Thea­ schungel Theater. „Aufgabe terbesuchs gleich in Frankder Theorie ist es, das Geworfurt ein. Er machte weiter – dene auf Begriffe zu bringen, nicht es als Norm zu postuliewurde angefeindet vom ren.“ Begriffstäter. Aber einer, FAZ-Titanen Gerhard Stadel­ der das Theater liebt, das maier, der in Lehmanns und Schauen, das Fragen, einer, Wirths Schule den Toten­ der sich für eine Erfahrung gräber des deutschen Weltkulturerbes Stadttheater sah. öffnet, statt zu katalogisieren. Welch ein Irrtum! Am Anfang war HansDer Wissenschaftler Thies Lehmann eigentlich Lehmann als Formalisierer meist undercover unterwegs. Die zerlesene Ausgabe von „Postdramatisches Theater". Foto Tom Stromberg und Theoretiker, der die In den 80ern und 90ern Erfahrung von Kunst in ­ kam er unauffällig, aber ganz regelmäßig und zuverlässig zu uns ins Theater am Turm (TAT) in Rah­men und Strukturen zwingt? Von wegen. Der Mann mit dem auffallend zarten HändeFrankfurt und hat alle unsere Produktionen und Gastspiele an­ geguckt. Jan Fabre, Heiner Goebbels und Michael Simon, Jan druck führte halt ständig einen Sprengstoffkoffer gegen die Wis­Lauwers, Michael Laub und all die andern, später René Pollesch senschaft spazieren. und Stefan Pucher. Und er war ein wandelnder Geheimdramaturg. Wenn man Insbesondere von Jan Lauwers’ Arbeiten mit seiner Needalles, was er gedacht und geschrieben hatte, als Bedienungs­ anleitung benutzt hätte, wäre man an seinem und am eigenen company war Lehmann immer wieder überrascht. Von der ­wechselnden Gewichtung zwischen Text und Narration – oder dem Anspruch gescheitert. Aber sein Wissen, seine Art zu beschreifreien Umgang mit dem Material. Die Szenencollage „Need to ben, als Begleitheft oder besser als Manifest mitzunehmen in die know“ (1988) oder „Ça va“ (1989) auf der einen Seite, dann eine folgenden Projekte – welch ein Glück! wieder mehr textbasierte Inszenierung wie „Julius Cäsar“ (1990) Postdramatisches Theater: Dass Theater umso wichtiger ist, auf der anderen. Darüber diskutierten Lauwers und Lehmann imje mehr es sich der Orientierungslosigkeit der Gesellschaft stellt, haben die Gegner seines Buches bis heute nicht verstanden. Auch mer wieder – und dieser Austausch ging ja dann auch direkt in die Studie zum Postdramatischen Theater ein. Ich erinnere mich auch, nicht, dass Bücher wie seine den Leser reicher machen: Weil sie am Ende mehr Fragen als Antworten bereithalten. dass Lehmann dem belgischen Regisseur einmal einen Rat gab: „Jan, wenn du nicht denken willst, dann spiele doch SudoAm Ende hattest du ein erfülltes Leben im Theater, für das Theater und für die Künstler. Du fehlst. // ku.“ (siehe dazu das Kapitel „Ein Abend bei Jan und seinen Freunden“) Hans-Thies Lehmann starb am 16. Juli 2022 in Athen. Der freundliche, bescheidene Mann im unauffälligen Anzug – Schmetterlingssammler der jüngeren Theaterszene? Der Wissenschaftler, der das Theater in seinem Hirn mitnimmt und Tom Stromberg arbeitete ab 1986 als Dramaturg und Mitglied der künstlezwischen zwei Buchdeckeln totpresst? Wohl kaum. Schließlich kam er von Gießen rüber, wo er als rischen Leitung des TAT in Frankfurt am Main, danach als dessen Intendant Assistent von Andrzej Wirth am Theater-Sprengstoff-Institut mit bis 1996. Das TAT wurde in jenen Jahren zum zentralen Gastspielort für dem Decknamen „Institut für Angewandte Theaterwissenschaft“ neue Theatergruppen vor allem aus Belgien, den Niederlanden, Norwegen die Ausbildung von Theaterleuten aufmischte. Das Ganze auf die Füße und den USA.

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Look Out

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Von diesen Künstler:innen haben Sie noch nichts gehört? Das soll sich ändern.

Über die Schule des Lebens auf die Bühne Hauptschule, Selbstversuche, Förderpreis: Paul-Antoine Nörpel

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eine Vormittagsvorstellung auf der Waldbühne Jonsdorf hat er hinter sich. Sommertheater. „Als Graf von Monte Christo darf man einen Bart tragen“, lacht Paul-Antoine Nörpel auf einer Parkbank in Zittau, als die Rede auf seine einst begonnene Friseurlehre und die Liebe zu Haaren kommt. Seinen Dreizehntagebart eingeschlossen, der Sommer macht’s möglich. Der 28-Jährige in Cord-Oberteil und Freizeithose macht einen unbekümmerten, aber keinen flapsigen Eindruck. Denn er blickt oft nachdenklich gen Himmel, sucht nach Begriffen und pointierten Antworten, bevor er sich wieder intensiv dem Fragenden zuwendet. Einen unprätentiösen, gleichwohl eindringlichen Eindruck hinterließ er auch beim Sächsischen Theatertreffen im Mai. Das Gerhart Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau bewarb sich mit dem norwegischen Zweipersonenstück „Sieh mich an, wenn ich mit dir rede“. Es geht um Diagonalbeziehungen Mutter-Sohn und Vater-Tochter. Die Jury vergab den Nachwuchspreis an Nörpel, lobte sein wechsel- und kraftvolles Spiel. Im Gespräch bestätigt er den Eindruck, dass Regie und Rollenverständnis in diesem typisch skandinavischen Stück nicht zuerst tiefenpsychologisch, sondern intuitiv und situativ angelegt sind. Solche Spontaneitäten, Nichtlinearitäten, ja Selbstversuche bestimmen das junge Leben des Schauspielers. Der wollte er gar nicht um jeden Preis werden, konstatiert nur rückblickend einen kindlich-spielerischen Hang zu Imitation und Parodie. 1994 in Rosenheim geboren, fand er im Alter von elf Jahren immerhin in einen Theater-Jugendklub. Einen Traum vom Schauspieler leugnet Nörpel nicht, aber da habe sogleich die innere Bremse gequietscht: Das schaffst du sowieso nicht! Mit der Pubertät trat dann ein Wesenszug in Erscheinung, den er als „Risikofreude“ bezeichnet. Jedenfalls ein Weg, der nichts mit der üblichen Ochsentour zum Karriereerfolg zu tun hat. Dafür hätte er mindestens ein Abiturzeugnis vorweisen müssen. Aber die standardisierte Schule lag ihm offenbar wenig, worüber er auffallend freimütig spricht. Dem Seneca-Zitat „non scholae, sed vitae discimus“ setzt Nörpel nach drei Jahren Bühnenerfahrung sein Postulat „das Wichtigste lernst du im Leben und nicht an der Schule“ entgegen. So geht Selbstbewusstsein, wenn man Realschule und Gymnasium probiert, aber formal nur einen Hauptschulabschluss im Schrank hat. „Mir hat es gereicht, ich wollte einfach Geld verdienen!“

„Ich bin kein Intellektueller“, fügt Nörpel ebenso offen hinzu, während er sich eine neue Zigarette dreht, „eher ein kleiner Prolo.“ Das pralle Leben und „die anderen Sachen“ waren wichtiger. Und die erste Freundin war keine Freundin des Theaters. Die folgenden Selbstversuche eines „Grenzgängers“, wie er sich sieht, erinnern beinahe an amerikanische Tellerwäscher-Storys. Polizist wollte er werden, dann Friseur, als Tankwart und Kellner hat er gearbeitet. Eigentlich war Paul-Antoine Nörpel so weit, dass er mit einem Kumpel das Startkapital für eine kleine Bar beschaffen wollte, in der er mit seinen Texten auch ein bisschen musizieren konnte. Bis dann eine Zugfahrt am 21. Geburtstag kam. Seinen Zustand damals bezeichnet er als „Nervenzusammenbruch“, man könnte ebenso von einem ­Damaskus-Erlebnis sprechen. Die innere Wende oder auch Rückkehr zur Schauspielerei. Suche im Internet, an der Freien Schauspielschule Hamburg fasste er über einen Schnupperkurs Fuß. Sein Zeugnis wolle er nachreichen, schummelte er. Wieder mischen sich Ehrgeiz und ­Minderwertigkeitskomplexe. „Ich war vorher nur zweimal im Theater“, und umso größer war der Triumph, die private Schule zu bestehen. Zugleich aber bedeutet solch ein nichtstaatlicher Abschluss wenig, lehrt die Szene-Erfahrung. Zwei kleine Rollen in Lübeck und Hamburg, aber dann, nach Vorsprechen in Stuttgart, Parchim und Quedlinburg, 2019 die Annahme in Zittau. Und wenn es erst einmal nur ein Märchenstück war, war es doch vor allem ein Märchen für den an Selbstvertrauen gewinnenden jungen Schauspieler. „Ich wollte diese Nester nicht, in die ich mich reinsetzen kann“, der Spruch galt noch, aber nun begann es auf dem Gleis zu rollen, das er bislang gescheut hatte. Die Rollen wuchsen, etwa der Filch in der „Dreigroschenoper“. Immer wieder ist die große Genugtuung zu spüren, es sozusagen auf dem zweiten Bildungsweg in diesen Publikumsberuf geschafft zu haben. Einnehmend aber wirkt die ebenso oft zu hörende Dankbarkeit für einige Glücksumstände seiner Laufbahn und fördernde Personen. Der Traum ist noch nicht ganz erfüllt. Zittau war mehr als die Einstiegsdroge, aber er würde sich „schon gern an anderen Häusern sehen“. Was man im Dreiländereck versteht. „Als Hauptschüler an ein Staatstheater“ – dieses Ziel geht Paul-Antoine Nörpel nun an. So etwas wie Castorfs Dresdner „Wallenstein“Spektakel mitmachen zu dürfen. „Sieben Stunden Ekstase müssen geil sein!“ Zittau, wo er auf dem Campingplatz ankam und jetzt ein Kreuzgewölbe bewohnt, dürfte nicht sein letzter Wirkungsort bleiben. // Michael Bartsch Paul-Antoine Nörpel. Foto Pawel Sosnowski

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Look Out

Das Raubtier im Gutmenschen Mit Ensemblegeist auf dem Weg: Der Schauspieler Jannik Mühlenweg in Stuttgart­    r peitscht seine Figuren in extreme Seelenzustände. Durchschnittstypen reizen den Schauspieler Jannik Mühlenweg nicht. Mit fanatischem Blick und blinder Leidenschaft ver­ körpert er in der Inszenierung von Schillers „Maria Stuart“ den verblendeten jungen Liebhaber Mortimer. Obwohl die Lage hoffnungslos scheint, will er die ­ katholische Königin aus dem Kerker retten. Wie Fanatismus einen jungen Menschen vernichtet, zeigt der 29-Jährige in großen Körperbildern. Verbissen schraubt der Schau­ spieler den drahtigen Körper in ­ eine devote Haltung. Doch zugleich scheint die Besessenheit in ihm zu explodieren. Ohne Skrupel lügt der Kämpfer für das vermeintlich Gute das Gefolge der kalten Königin Elisabeth I. an. Katharina Hauter in der Titelrolle der Inszenierung von Michael Talke macht ihn zum Spielball ihrer Liebesgier. „Zu zeigen, was Extremismus mit einem Menschen macht, hat mich in dieser Rolle besonders herausgefordert.“ Im Gespräch macht der junge Schauspieler aus seiner ­klaren politischen Haltung keinen Hehl. Sein Mortimer ist ein Extremist, der sich und andere in den Tod reißt. Die Motivation solcher Menschen zu begreifen, ist dem reflektierten Künstler wichtig: „Wir dürfen nicht wegsehen.“ Da denkt er nicht nur an die Schläfer, die islamistischen Terroristen. Im Krieg Russlands gegen die Ukraine offenbart sich für ihn die brutalste Seite ­einer extremistischen Weltsicht. Seit vier Jahren gehört der gebürtige Hildesheimer zum festen Ensemble des Staatstheaters Stuttgart. In der schwä­ bischen Großstadt fühlt er sich wohl: „Ich bin angekommen.“ Neben dem Theater ist er immer wieder in Filmrollen zu erleben. In der erfolgreichen Krimiserie „Soko Stuttgart“ ist er in der Folge „Trail des Todes“ zu sehen. Da spielte er eine der Hauptrollen, den Trail-Biker Philipp Bode, der unglücklich in eine getötete Mountain-Bikerin verliebt war. So sehr Mühlenweg die gelegentlichen Ausflüge ins Filmgeschäft genießt. Ihn faszi-

niert es immer wieder aufs Neue, große Theaterrollen zu verkörpern und zu entwickeln. Selbst Regie zu führen, käme für ihn erst mal nicht infrage. Jannik Mühlenweg ist glücklich, dass er nach der Schauspielausbildung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst den Sprung ans Staatstheater Stuttgart geschafft hat. Schon während seiner Ausbildung spielte er am Wilhelma Theater und am Staatsschauspiel in Produktionen des damaligen Intendanten Armin ­Petras mit. Altmeister Claus Peymann besetzte ihn in seiner Stuttgarter ­Inszenierung von Shakespeares „King Lear“ als den Schurken Edmund. Lustvoll hat Mühlenweg da die freundliche Fratze des Bösen gezeichnet. In die Abgründe der menschlichen Seele einzutauchen, das liegt ihm. Kritisch blickt der junge Künstler auf den Führungsstil Peymanns, der einer anderen Theatergeneration angehört. Als Mitglied der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger macht er sich für den Ensemblegedanken stark. Die Arbeit mit internationalen Regieteams am Staatstheater Stuttgart gefällt dem 29-Jährigen. Schon als Student hat er sich bei Workshops in Lettland, Finnland und Dänemark weitergebildet. Gibt es eine Produktion, die ihm da besonders wichtig war? Der kroatische Regisseur Oliver Frljić habe ihn weitergebracht, „und er hat Horizonte geöffnet“. Die kluge politische Theaterkunst dieses Europäers findet Jannik Mühlenweg gerade heute, in Zeiten des gesellschaftlichen Zerfalls, wichtiger denn je. In „Romeo und Julia“ spielte er die Hauptrolle, befreite den Jugendlichen Liebhaber vom romantischen Klischee. Klassische Rollen im 21. Jahrhundert neu zu denken, fordert den Künstler heraus. Neue Dramatik auf die Bühne zu bringen, die Figuren mit Leben zu füllen, fasziniert ihn jedoch nicht minder. In Thomas Melles Stück „Die Lage“ riss er als Vorsitzender eines studentischen WG-Castings dem Gutmenschen die Maske vom Gesicht, verwandelte sich auf der Bühne in ein Raubtier. Solche Prozesse zu zeigen, ist für ­Mühlenweg das Schönste an der Schauspielkunst. // Jannik Mühlenweg. Foto Björn Klein

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Elisabeth Maier

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PREMIEREN 2022/23 SCHAUSPIEL

SCHAUSPIEL

SCHAUSPIEL

Drei Schwestern Anton Tschechow // Dušan David Pařízek 28. August 2022, Theater am Goetheplatz

Between Land and Sea Transnationales Festival zu Klima, Migration und Arbeit ab 15. November 2022, Kleines Haus

Das Leben der Bienen. Ein Requiem Ein Projekt von Felix Rothenhäusler 21. April 2023, Kleines Haus

SCHAUSPIEL

Die heilige Johanna der Schlachthöfe Bertolt Brecht // Alize Zandwijk 9. September 2022, Kleines Haus MUSIKTHEATER

Don Carlo Giuseppe Verdi // Marko Letonja / Frank Hilbrich 18. September 2022, Theater am Goetheplatz SCHAUSPIEL

Leben und Schicksal Deutschsprachige Erstaufführung Wassili Grossman // Armin Petras 2. Oktober 2022, Theater am Goetheplatz

SCHAUSPIEL MUSIKTHEATER

Hello, Dolly! Jerry Herman // William Kelley / Frank Hilbrich / Dominik Büttner 25. November 2022, Theater am Goetheplatz SCHAUSPIEL

Because the Night Ein Patti Smith-Liederabend Anne Sophie Domenz / Maartje Teussink 3. Dezember 2022, Kleines Haus MUSIKTHEATER

Ariadne auf Naxos Richard Strauss // Frank Hilbrich 29. Januar 2023, Theater am Goetheplatz

Verbundensein Kae Tempest // Alexander Giesche 28. April 2023, Theater am Goetheplatz SCHAUSPIEL

Âşiklar – Die Liebenden Ein Liederabend von Nihan Devecioğlu 5. Mai 2023, Kleines Haus MUSIKTHEATER

Pique Dame Peter I. Tschaikowsky // Yoel Gamzou / Armin Petras 27. Mai 2023, Theater am Goetheplatz MUSIKTHEATER

How to Kill a Tyrant Eine Frage des Widerstandes Costa Compagnie // Felix Meyer-Christian 20. Oktober 2022, Kleines Haus

SCHAUSPIEL

Das achte Leben (für Brilka) Nino Haratischwili // Alize Zandwijk 11. Februar 2023, Theater am Goetheplatz

NOperas! – Fundstadt Uraufführung HIATUS (Duri Collenberg, Uta Plate und Lukas Rickli) 2. Juni 2023, Audiovideo-Walk

MUSIKTHEATER / SCHAUSPIEL

SCHAUSPIEL

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King Arthur #2 Henry Purcell // Lutz Rademacher / Schorsch Kamerun / PC Nackt 29. Oktober 2022, Theater am Goetheplatz

Die Nachkommende Uraufführung Ivna Žic // Ivna Žic 3. März 2023, Kleines Haus

Verkannte Leistungsträger:innen Nicole Mayer-Ahuja / Oliver Nachtwey // Sylvia Sobottka 16. Juni 2023, Kleines Haus

SCHAUSPIEL

SCHAUSPIEL

MUSIKTHEATER

Ronja Räubertochter Astrid Lindgren // Klaus Schumacher / 6+ 6. November 2022, Theater am Goetheplatz

Der Russe ist einer, der Birken liebt Olga Grjasnowa // Nina Mattenklotz 31. März 2023, Kleines Haus

Die Krönung der Poppea (L’incoronazione di Poppea) Claudio Monteverdi // Christoph Spering / Tatjana Gürbaca 18. Juni 2023, Theater am Goetheplatz

SCHAUSPIEL

MUSIKTHEATER

Angels in America Peter Eötvös // William Kelley / Andrea Moses 2. April 2023, Theater am Goetheplatz


Die neue Spielzeit Erleben Sie das Staatstheater Augsburg 2022/23 mit »La Traviata«, »Alice im Wunderland«, »3 Musketiere« und vielem mehr. Sichern Sie sich jetzt Ihre Tickets!

Alle Informationen und Tickets beim Besucherservice oder unter staatstheater-augsburg.de


HAU1 Stresemannstr. 29 D-10963 Berlin

HAU2 Hallesches Ufer 34 D-10963 Berlin

HAU3 Tempelhofer Ufer 10 D-10963 Berlin

➞ www.hebbel-am-ufer.de

HAU4 Digitale Bühne www.HAU4.de

Bild: NewfrontEars


FOTO: LUTZ MICHEN

Woods of Birnam präsentieren mit ihrem fünften Album den Soundtrack zu William Shakespeares »Macbeth« am Staatsschauspiel Dresden. Inszeniert hat Sänger und Schauspieler Christian Friedel (u.a. Hanekes »Das weiße Band«, Robert Wilsons »Dorian«), der bei diesem Spektakel mit 35 beteiligten Künstler*Innen auf der Bühne (einem Ensemble aus Schauspieler*Innen, Tänzer*Innen und Musikern) auch die Titelrolle übernimmt. Musik und Stück versetzen mit überbordenden Bildern und intensiven Spielszenen in einen regelrechten Rausch, der bis tief in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Seele reicht. Wie Salvador Dalí malen Woods of Birnam atmosphärische Welten, oft düster, instrumental donnernd und dystopisch, aber auch bunt, poppig und manchmal unerwartet zärtlich. Produziert von Woods of Birnam und Olaf O.P.A.L. (u. a. The Notwist), schlägt dieses pulsierende Album nicht nur Theater- oder Soundtrackfans in seinen Bann, sondern kitzelt auch die Sinne derer, die die Vorstellung nicht gesehen haben. »Macbeth« Musik-CD mit 20 Seiten, hochwertige Ausstattung, 41:29 Minuten WOODSOFBIRNAM.COM

Vorstellungen am Staatsschauspiel Dresden: 10. / 11. / 28. / 29.09. 15. / 16. / 28.11. 14. / 29.12. 21. / 22.01.


FestSpiel

„Neue Heimat“ 30. September bis 9. Oktober 2022

Gott ist drei Frauen (Gi3F) von Miroslava Svolikova Regie Sebastian Martin

Deutschsprachige Erstaufführung

– Utopia Uraufführung

Neue Heimat Senftenberg Ein Rechercheprojekt mit dem kollektiv WEGWOHIN

von Mikhal Durnenkov Regie Catharina Fillers

Über Menschen von Juli Zeh Regie Elina Finkel

Infos und Karten unter: www.theater-senftenberg.de


Premiere 10. Sep. 2022

Im Berg Musiktheater von Armin Petras, Sebastian Vogel und Thomas Kürstner nach dem gleichnamigen Roman von Franz Fühmann Uraufführung Eine Koproduktion mit dem Lausitz Festival

Gefördert von:

Unter der Schirmherrschaft der Ministerpräsidenten:

Veranstalterin:


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Nachdem in der Juni-Ausgabe im ersten Teil des Schwerpunkts Jonas Zipfs Essay das gesamte Betriebssystem Theater in den Blick nahm, geht es auf den folgenden Seiten um neue technologische Anwendungen: Die virtuelle Erweiterung des ­Bühnenraums, ein Austausch über die Zukunft der ­Theater­kritik und erstmalig der Abdruck eines Stücktextes, der von einer KI geschrieben wurde.

Du musst Dein Leben rendern! Oliver Proske von NICO AND THE NAVIGATORS im Gespräch mit Thomas Irmer


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it der von euch entwickelten Software erlebt man einen hybriden Raum, in dem sich künstliche Elemente mit einer realen Performance verbinden. Das Prinzip basiert auf den schon öfter auch im Theater eingesetzten Augmented-Reality-Brillen, erweitert aber das Spektrum. Um was handelt es sich genau? Man könnte sagen, dass wir eine immaterielle Traumlandschaft erzeugen, in der sich bereits Geschehenes mit aktuellen Ereignissen überlagert: Reale Performer:innen werden dabei mit imaginären Bildern konfrontiert, was künftig sicher neue M­ öglichkeiten des Erzählens eröffnet – als Fortschreibung der ­Virtual Reality, bei der bislang ja vor allem eine filmische Illusion erzeugt wird. Bei der von uns verwendeten Technik wird daraus eine Live-Raum-Begegnung von tatsächlich vorhandenen Körpern mit bewegten virtuellen Elementen, die in ihrer Dreidimensionalität bislang nur in der Fantasie vorgestellt werden konnten.

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Konkret sind es ja eine Art Gliederpuppen, die sich zusammen mit den realen Tänzern in eurer Produktion „Du musst Dein ­Leben rendern!“ bewegen. Diese animierten Figuren sind zunächst von den beiden Darsteller:innen selbst mit ihren Bewegungen belebt worden, die durch Datenanzüge abgenommen wurden. Die Tänzerin und der Tänzer stehen also mit ihren eigenen Abbildern im Dialog, was aber nur das Publikum mit der Brille so wahrnimmt. Im Probenprozess müssen die Akteure daher die genau zu ihrem Gegenüber passenden Bewegungen einstudieren – synchronisiert wird die Choreografie ganz klassisch über die Musik. Wir haben dabei die Möglichkeit, die Figurinen in jeder beliebigen Größe und Anzahl erscheinen zu lassen, also in verschiedenster Form – und so die Harmonie wie den Konflikt zwischen Schöpfer und Geschöpf zu Harmonie und Konflikt zwischen Schöpfer und Geschöpf: Lujain Mustafa und Florian Graul in „Du musst Dein Leben rendern!“ von NICO AND THE NAVIGATORS. Foto NICO AND THE NAVIGATORS


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zeigen. Das weckt natürlich eine Fülle von Assoziationen – von der Genesis über Pygmalion und Frankenstein bis zu aktuellen Debatten zu Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz. Wer gestaltet das? Bei NICO AND THE NAVIGATORS arbeitet seit Jahren die Tän­ zerin und Choreografin Yui Kawaguchi, die inzwischen auch die digitalen Medien als Erweiterung ihres kreativen Ausdrucks ­entdeckt hat. Sie hat das mit den beiden Tänzer:innen entwickelt, ihre Bewegungen aufgezeichnet und den Probenprozess geleitet. Nicola Hümpel kam als Regisseurin beratend hinzu. Technisch muss man wissen, dass wir die Software unabhängig von der nun damit gestalteten Choreografie entwickelt haben, was die Sache einerseits noch viel komplizierter macht. Andererseits aber entsteht so eine Technik mit offenen Möglichkeiten, die intuitiv genutzt werden kann – das System soll künftig auch für weitere, ganz anders gedachte Projekte eingesetzt werden. Es ist also kein Zufall, dass ihr mit Tanz angefangen habt, also kein textbasiertes Schauspieltheater dafür entwickelt. Angefangen haben wir 2019 zum Bauhaus-Jubiläum, als wir dazu aufgefordert wurden, einmal mit der avanciertesten Technologie im Theater zu arbeiten. Damals haben wir abstrakte Formen und historische Bilder visualisiert und im „Verrat der Bilder“ mit Performer:innen in Beziehung gesetzt. So sind wir erst mal mit dieser Technologie in Berührung gekommen, auf der nun die ARLoop-Maschine basiert. Uns wurde aber auch bald klar, dass der

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reale Mensch nicht hinter der Technik verschwinden darf, woraus sich dann die jetzt vorgestellte Form entwickelt hat. Ein wichtiger Teil des Prozesses war eben die Möglichkeit, Bewegungsdaten mit den Motion-Capture-Anzügen zu integrieren, wofür uns besonders der Corona-Stillstand EntwicklungsZeit gelassen hat. Das bislang unverzichtbare Instrument bei solchen Inszenierungen aber bleibt die AR-Brille. Alle anderen Projektionen im Raum, die oft fälschlicher­ weise als Hologramme bezeichnet werden, basieren auf zwei­ dimensionalen Tricks („Pepper’s ghost“ von 1862). Aus Dokumentationen solcher Illusionen entstehen Erwartungshaltungen, die in der Realität technisch jedoch nicht eingelöst werden können oder eben nur mit der Brillentechnik. Vom ersten Erleben her würde ich sagen, das ist tatsächlich eine Sache, die im Theater zukunftsträchtig sein kann. Wie sehen die Perspektiven aus? Mit Walter Benjamin zu sprechen: Eine Aufgabe von Kunst ist es, eine Nachfrage zu erzeugen, für deren volle Befriedigung die Zeit noch nicht gekommen ist. Als Künstler können wir ja nur unsere Arbeit vorstellen, deren Wirkung müssen die Zuschauer und ­Kritiker bewerten. Wie gesagt, bei „Leben rendern“ handelt es sich um das inhaltlich adäquate Ausprobieren von technologischen Möglichkeiten. Das nächste Projekt von NICO AND THE NAVIGATORS ist übrigens wieder komplett analog: „Fleisch und Geist“. // „Du musst Dein Leben rendern!“ vom 14. bis zum 18. September im Dock Art Berlin: www.navigators.de/projects/du-musst-dein-leben-rendern/

Immaterielle Traumlandschaft, in der sich bereits Geschehenes mit aktuellen Ereignissen überlagert. Foto NICO AND THE NAVIGATORS

Workshop mit der AR-Loop-Maschine vom 4. bis zum 8. November in Dresden: www.labore-fuer-digitale-szenografie.de/veranstaltungen/labor-5/


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Verblüffend realistische Bühnenfiktion Das Puppentheater Zwickau in Sachsen entdeckt während der Pandemie-Einschränkungen die 360 Grad Virtual Puppetry von Michael Bartsch

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st das noch Theater?“, fragt in aller Sympathie eine Besucherin im Foyer des Puppentheaters Zwickau, nachdem sie die ­Video-Brille abgesetzt hat. Ein ausgewählter Personenkreis erlebte soeben eine ungewöhnliche Schnuppervorstellung des „Erl­königs“. Man saß zwar gemeinsam im kleinen Theaterfoyer, das mit Blumen, Fotos der Spielerinnen und Spieler und einem Klavier dekoriert ist. Aber jeder verfolgte die knapp halbstündige Inszenierung der Goethe-Ballade für sich per VR-Brille. Präsenz und der anschließende informative Austausch wären für den ­visuellen Genuss gar nicht erforderlich gewesen. Wer möchte, kann sich die Brille für eine Leihgebühr auch nach Hause ­schicken lassen. Unter dem Titel „360 Grad Virtual Puppetry: Deutsche Balladen“ wirbt das Zwickauer Puppentheater für sein neues Angebot. Bedeutet das individualistische Eintauchen in die virtuelle Realität zugleich eine Abkehr vom Gemeinschaftserlebnis im ­Zuschauerraum? Wenn ja, dann übt das Alleinsein mit der Bühnenfiktion jedenfalls eine magische Anziehungskraft aus. Zumindest diese Überwältigungsphase befördert nicht Vereinsamung, sondern gegenseitige Reflexion. Die erste Erfahrung mit dem ­neuen Medium drängte die Zwickauer Besucherinnen und Be­ sucher sogleich zu einer Verständigung über die verblüffenden Effekte, also zu Sozialkontakten.

Die im Empfinden der meisten Mitbürger weitgehend erschöpfte, ja in Skepsis gewendete Faszination Technik kehrt mit der perfekten Suggestion des Raumerlebens noch einmal zurück. Die neugierige Frage „Wie geht das?“ taucht nach der Einweisung durch das Puppenspielteam gleich beim Startmenü auf. Mit den Augen kann man wie mit einer Computermaus zu den Anfangseinstellungen und zum Startknopf navigieren. Parallel zum künstlerischen Er­ leben während der Vorführung fragt sich der unerfahrene Zuschauer außerdem, wie man sich durch Schwenken des Drehsessels oder Kopfbewegungen in allen Raumdimensionen umblicken kann, obschon die Brille ja fest vor den Augen sitzt. Über frühere 3D-Erfahrungen mit optischen Brillen hinausgehend, ist es ein frappierendes Erlebnis, scheinbar mitten im Geschehen zu stehen. Mit welchen Reflexhandlungen, mit welch mitreißender Wirkung dabei gerechnet werden muss, zeigen schon die vorausgeschickten Hinweise, ja Warnungen. Keine Angst vor der Brille bitte, aufzusetzen wie eine Taucherbrille. Dabei nur auf die Seitenrichtigkeit der Kopfhörer achten, denn auf die kommt es bei der Rechts-Links-Orientierung an. Bei Angstzuständen bitte nicht schreien und um Hilfe rufen, sondern gefasst die Augen schließen. Für Epileptiker ist die Technik leider nicht geeignet. Nach dem Aufsetzen der Brille ist man allein in der Virtual Reality, nimmt die reale Umgebung nicht mehr wahr. Nicht Vereinsamung, sondern gegenseitige Reflexion: „Der Erlkönig“ in der Regie von Monika Gerboc im Rahmen des Projekts „360° Virtual Puppetry“ am Puppentheater Zwickau. Foto Kultour-Z


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Schauder, aber kein Horror

Es geht nicht ohne Kooperationen

Die inszenierte Ballade beginnt mit einem jagenden Ross, nachdem man sich mit den Augen an den Beginn der in der Brille gespeicherten Aufzeichnung navigiert hat. Das Pferd als Originalobjekt besteht aus Metall und stellt deshalb nicht nur eine beeindruckende Konstruktion zwischen Allegorie und künstlerischer Plastik dar, sondern auch eine im Wortsinn schwergewichtige. Der Vater reitet im Theaterfilm nicht, hält aber ständig das Kind im Arm. „Reiten wäre uns zu naturalistisch gewesen“, berichtet Dominique Suhr von den Dreharbeiten. Die Dramaturgin und Assistentin der Hausleitung verantwortet dieses erste digitale Projekt. Alle anderen Erlkönig-Geister hat die Werkstatt aus Naturmaterialien gebaut. Keine paniktreibenden Gruseltiere wie in einschlägigen Kinderhorrorfilmen, eher zu freundlich für jene Fabelwesen, die das sterbende Kind in Goethes Ballade im Fieberwahn gesehen haben muss. Ein Fischgerippe droht nur ein bisschen, ein freundlicher Adler noch weniger, und der sympathische Hirsch verneigt sich schließlich vor Vater und Kind. Verbürgt ist auch die Natürlichkeit und Echtheit des Zwickauer Herbstlaubes, das die Gruppe selbst in der Stadt gesammelt hat. Über der düsteren Landschaft wölbt sich ein perfekt imitierter Sternenhimmel mit einem unverzichtbaren Supermond. Eine ISS-Raumstation durchquert ihn als Wanderstern. Die Dramatik entspinnt sich im gesamten Raum, nicht nur im engen Dialog zwischen dem reitenden Vater und dem von ihm umschlungenen Sohn. Der stirbt später fast schon zu friedlich im Bett.

Für diese Suche fanden die Zwickauer inspirierende Berater und Partner. Am Ort war und ist es Prof. Dr.-Ing. Sven Hellbach vom Lehrstuhl für Informatik und Intelligente Systeme der Westsächsischen Hochschule Zwickau. Mittlerweile hat die Puppenbühne sogar einen umfangreichen Kooperationsvertrag mit der Hochschule geschlossen. Eine „offene und ehrliche Ansprechpartnerin“ ist auch Tina Lorenz vom Staatstheater Augsburg gewesen, das schon länger mit Virtual Reality experimentiert. Bei diesem Austausch habe man gegenseitig aus Fehlern lernen können, meint Dominique Suhr, führt aber nicht näher aus, worin solche Fehlerrisiken bestanden. Nur 20 Kilometer von Zwickau entfernt in Chemnitz sitzt die erfolgreiche und expandierende Spezialfirma VRENDEX für VR, AR und 360-Grad-Medien. Sie ist die technische Partnerin, stellt das Know-how zur Verfügung. Auch aus diesen Kontakten ist eine ­Dauerbeziehung geworden. Als nicht so stabil erwies sich das Münchener Start-up Firstrow, eine Vertriebsfirma für VR-Produkte. Sie verschickte die VR-Brillen und hatte eigentlich neben Zwickau wei­ tere namhafte Kunden wie das Staatstheater Augsburg und das Schauspielhaus Graz. Obschon das im Januar 2022 hinzugekommene Zwickauer Puppenspiel ein neues Geschäftsfeld bedeutete, musste Firstrow aufgeben. Nun suchen die Zwickauer eine neue Logistikfirma, einige Interessenten haben sich bereits gemeldet. Der deutschlandweite Brillenversand musste zunächst eine Sommerpause ein­ legen. Ab September soll er in gewohnter Weise wieder anlaufen.

Entstanden in Pandemiezeiten „Das ist kein Film, sondern weiterhin Theater“, betont Dominique Suhr. Ersichtlich sogar Puppentheater, denn man erkennt die dunkel geschminkten Gestalten in ihren schwarzen Ganzkörperanzügen, die die Fantasiewesen des Fiebertraums führen. Die Dramaturgin spricht sogar von Mitteln des alten Marionettentheaters. Aber eben mit modernster Technik übersetzt, was ihr zugleich die Formulierung von der „zweiten Sparte“ der nunmehr selbstständigen, von der Stadt Zwickau getragenen Figurenbühne in den Mund legt. Die unmittelbare Nachbarschaft zum Gewandhaus verrät, dass das 1952 gegründete Puppentheater bis vor sechs Jahren zum Theater Plauen-Zwickau gehörte. Seine „zweite Sparte“ ist ein Kind der coronabedingten Schließzeiten, aber keineswegs als digitale Ersatzlösung entstanden. „Wir wollten und wollen nicht streamen“, bekräftigt Dominique Suhr. Auslöser der „Schnapsidee“ war der Hauptpreis bei Denkzeit Event, einem vom Freistaat Sachsen und seiner Kulturstiftung im Juni 2020 während der ersten Coronawelle ausgelobten Wettbewerb. Die Zwickauer Puppenspieler erhielten im September 2020 die Höchstförderung von 50 000 Euro. Dem Wettbewerb folgte das für zwei Monate an freiberufliche Künstler vergebene Denkzeit-Stipendium. „Wir wussten nicht, was wir künstlerisch tun sollten“, beschreibt Dramaturgin Suhr die Suche nach anspruchsvollen Alternativen während der Zwangsschließzeiten. Einen herkömmlichen Animationsfilm wollte man nicht drehen, sich nicht mit Disney messen. „Es ging um eine Form, die sich eindenken kann“, meint sie die größtmögliche Nähe zum ursprünglichen Genre des Figurentheaters.

Es geht weiter mit Geibels „Goldgräbern“ Was Dominique Suhr über die Filmarbeit berichtet, veranschaulicht noch einmal, dass es sich nicht um einen Film im herkömmlichen Sinn, sondern um einen „fiktiven Theatersaal“ handelt. Im realen Saal ist nämlich auch gedreht worden, mit realen Schwierigkeiten. Denn für eine 360-Grad-Kamera, die meist mit zwei gegenüberliegenden Linsen und Sensoren ausgestattet ist, war eine nur 6 x 6 Meter große Bühne zu klein. Außerdem liefern diese Kameras noch keine optimale Auflösung, sodass auf eine normale 120-Grad-Kamera zurückgegriffen wurde. Allein die Konzeption für die am Ende knapp halbstündige Produktion nahm sechs Wochen in Anspruch. Gefilmt wurde dann drei bis vier Tage. Als weit anstrengender erwies sich die Postproduktion, die Bearbeitung und Komposition am Computer. Das Zwickauer Team berichtet von einem Vierteljahr Arbeit parallel zur seit Mitte Januar 2022 in Sachsen wieder erlaubten Öffnung der Theater. Mit unüberhörbarem Stolz spricht man in Zwickau vom ersten virtuellen Puppentheaterstück weltweit. Zumindest bei Schulklassen am Ort darf man sich des Interesses weiterhin sicher sein. Für Schüler bedeutet der Besuch im Puppentheater eben doch weiterhin ein Gemeinschaftserlebnis. Im Juli kam die Nachricht, dass die Dreharbeiten zum zweiten Stück der geplanten Dreierserie deutscher Balladen abgeschlossen sind. Es geht nun um die Faszination und die Kehrseiten des Goldrausches in den „Goldgräbern“ nach Emanuel Geibel von 1870. „Sie waren ge­ zogen über das Meer, / Nach Glück und Gold stand ihr Begehr“, beginnt die Ballade von drei Glücksjägern, die sich im Streit um das endlich gefundene Gold gegenseitig umbringen. Am 16. Dezember soll diese VR-Inszenierung erstmals zu sehen sein. //


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Liebeserklärung von einem Bot Das Forschungsprojekt The Answering Machine an der Zürcher Hochschule der Künste und das Mannheimer Institut für Digitaldramatik von Elisabeth Maier

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er digitale Wandel verändert die Sprache des Theaters radikal. Für das junge Publikum, das mit Smartphones und Computerspielen aufgewachsen ist, reicht die klassische Formensprache nicht mehr. In Zeiten von Chatbots und Avataren nehmen Menschen ihre Umwelt anders wahr als in früheren Jahrzehnten. Künstliche Intelligenz prägt den Alltag. Doch der Bühnen-Guckkasten hält da nur bedingt Schritt. So suchen Theaterwissenschaft und Bühnenpraxis nach neuen Möglichkeiten. Virtuelle Bühnenformate zu erforschen, reizt Künstler:innen und Wissen­schaft­

ler:innen ebenso wie die Entwicklung einer Dramaturgie für den digitalen Raum. Auf diesem Weg zu einer zeitgemäßen Theatersprache wagen das Forschungsprojekt The Answering Machine zur Künstlichen Intelligenz an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und das Institut für Digitaldramatik am Nationaltheater Mannheim besonders spannende Experimente. Was fühlt eine Schauspielerin, wenn sie eine Liebeserklärung von einem Bot bekommt? Das ist eine der Fragen, die der Improvisateur, Psychologe und Theaterwissenschaftler Gunter

Beim Themenwochenende der Stipendiat:innen vom Institut für Digitaldramatik am Nationaltheater Mannheim. Foto Maximilian Bochardt


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­ ösel in seinem interdisziplinären Forschungsprojekt The AnsweL die ein breites Spektrum digitaler Theaterarbeiten abdecken. Mit Hypertexten, programmierten Bots, Augmented Reality oder ring Machine aufwirft: „Uns interessiert, welche Reaktionen der direkte Austausch mit der Künstlichen Intelligenz hervorruft.“ Games erreichen die Bühnen ein neues, jüngeres Publikum. Die Stipendien sind mit 5000 Euro dotiert, damit die Das vierjährige Projekt hat der Forscher an der Zürcher HochKünstler:innen „frei und ergebnisoffen“ an ihren Projekten arbeischule der Künste mit Kolleg:innen aus der Computerlinguistik, der Medienwissenschaft und der Psychologie angestoßen. Finanten können, sagt Sascha Hargesheimer. Den Mannheimer Dramaturg:innen ist es wichtig, Dramatik nicht nur als gesprocheziert wird das Forschungsvorhaben von der Volkswagen-Stiftung. Ausgangspunkt ist die Bühnenpraxis: Der Wissenschaftler nen Text zu denken. „Wir möchten erforschen, was Autor:innenschaft im digitalen Raum bedeutet“, sagt Sascha Hargesheimer. „WorkGunter Lösel, der an der ZHdK den Studiengang Performative Praxis leitete, untersucht nun die spontane Interaktion von Menschen shops mit Theatermachern und Wissenschaftlern erweitern den und Maschinen auf der Bühne. Lösel, der selbst als Schauspieler auf Horizont für das eigene Schreiben“, sagt Lena Wontorra. Für die der Bühne improvisiert und unter anderem künstlerischer Leiter junge Dramaturgin ist es die zentrale Aufgabe der Zukunft, sich des Bremer Improtheaters ist, möchte ergründen, was das Spiel dem Wandel der Sehgewohnheiten nicht zu versperren. Die Frage, mit einem Bot mit den Theaterprofis macht. Wie verändern sich da ob dramatisches Schreiben in den digitalen Raum übertragen werdie Spielweisen? „Das wollen den kann, oder ob es da „einen ganz neuen Kanon“ wir in Zusammenarbeit mit braucht, reizt Wontorra. deutschsprachigen Bühnen Das digitale Experiherausfinden.“ Der Blick der Theaterment im dicht getakteten Stadttheaterbetrieb zu schulwissenschaft allein ist Gunter Lösel da aber zu verengt. tern, hat die Mannheimer Deshalb hat er sich den Psy­herausgefordert. „Die Pandechologen Stefan Scherbaum mie und die damit verbundevon der Technischen Univerne lange Zwangspause haben uns gezeigt, wie wichtig es sität Dresden, die Medienwissenschaftlerin Susanne Marist, digitale Theaterformen zu entwickeln“, ist Sascha schall (Universität Tübingen) und den Informatiker Jonas Hargesheimer überzeugt. Deshalb hat das Institut für Kuhn (Universität Stuttgart) ins Boot geholt. Als SchauDigitaldramatik in seinen Augen hohe Priorität. Mit eispieler reizt ihn besonders die Frage, ob eine Maschine ner Instagram-Performance An der ZHdK forscht Gunter Lösel über Interaktion von Mensch und hat die Schauspielerin Vassiimprovisieren kann. „Es geht Maschine auf der Bühne. Foto Ken Werner uns darum zu erforschen, ob lissa Reznikoff Arthur Schnitzlers angestaubten Monolog die Defizite der Maschine „Fräulein Else“ in die bunte Welt der Storys und Hashtags überauf der Bühne durch die Interaktion mit den Schauspieler:innen setzt. Die erotisch durchtränkte Sprache des österreichischen Liteausgeglichen werden kann.“ Wichtig ist es Gunter Lösel dabei aber vor allem, das Experiment nicht allein auf das Theater zu reraten gerade einem jungen Publikum übers eigene Smartphone zu vermitteln, entfaltete selbst im flüchtigen „Insta“-Format einen groduzieren. „Wir wollen damit zum Diskurs über die Interaktion von Mensch und Maschine in der Gesellschaft beitragen.“ Die ßen Reiz. Schnitzlers sinnliche Worte hat die junge Schauspielerin Grenzen im Umgang mit Künstlicher Intelligenz zu erkennen, in eine Mimik und Gestik übersetzt, die durch die Detailgenauigbeflügelt das Erkenntnisinteresse in dem Projekt. keit des Kameraauges Nähe hergestellt hat in einer Zeit, die ganze Gesellschaften weltweit zur Distanz zwang. Als Uraufführungshaus hat sich das Nationaltheater Mannheim schon seit Schillers „Die Räuber“ im Jahr 1782 einen Namen Lust am sprachlichen Experiment prägt die ersten Textentgemacht. Das Konzept mit Hausautor:innen und einem Schwerwürfe, die im Rahmen des IDD entstanden sind. „Der Albdruck“ heißt das Kurzdrama des Regisseurs und Dramatikers Wilke punkt auf der Entwicklung neuer Dramatik denkt Schauspielintendant Christian Holtzhauer mit seinem Team konsequent weiWeermann: „Die Geschichte eines verfluchten 3D-Druckers, erter: „Wir brauchen eine neue Dramatik, die dem digitalen Wandel zählt in Service E-Mails“ nennt er den Text, der die Sprache der gerecht wird.“ Federführend haben Sascha Hargesheimer und Gebrauchsanweisungen aufgreift und in gewisser Weise sprengt. Lena Wontorra das Institut für Digitaldramatik (IDD) entwickelt Maschinell generierte E-Mails offenbaren die Sprachlosigkeit zwiund aufgebaut. Wie der digitale Raum das dramatische Schreiben schen Menschen und Maschine. Wenn die Spracherkennung scheitert, klingt das im Netz so: „das doch einfach ich hab das na verändert, untersuchen Theatermacher und ausgewählte Autor:in­ nen. „Unser Ziel ist es, im gemeinsamen Werkstattprozess das Tür ich geh Google hast du mal in Betracht gezogen das dein ­Drucker depressiv sein könnte …“ Aus der Gefangenschaft der Schreiben für den digitalen Raum zu erforschen“, bringt Lena Wontorra das Konzept des Instituts auf den Punkt. Dabei habe Maschine befreit sich der Mensch dann aber im dramatischen Text: „Wenn nur einmal etwas käme, das mich total überfordern man in der ersten Runde bewusst nach Stipendiat:innen gesucht,


theater und digitalität

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würde, was nicht für meine Augen bestimmt wäre, was ich einfach nicht begreifen könnte. Na ja, das wäre toll.“ Klug hinterfragt Weermann, der an der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg Regie studiert hat, da die Grenzen der Wahrnehmung. Ausgangspunkt dieser starken Reflexion eines Innenlebens ist der 3D-Drucker, der schon kurz nach dem Kauf das Leben der Akteure durcheinanderbringt. Darf man einen gedruckten Zahn selbst einsetzen oder nicht? Weermanns Menschen haben ihr Leben zunehmend ins Digitale verlagert. Doch die Sehnsucht nach starken Gefühlen bleibt. In seinen Regiearbeiten experimentiert der junge Regisseur mit Avataren und mit Computerspielen. Das Institut für Digitaldramatik bietet auch ihm als Grenzgänger die Chance, dramatisches Schreiben im Digitalen zu denken. Einen Chatbot lässt Seda Keskinkılıç-Brück in ihrem Text „Tunnelbau“ sprechen. Nach ihrem Studium der Sprachwissenschaft und der Philosophie arbeitet sie am Nationaltheater Mannheim. Mit ihrer klaren, technisch verknappten Sprache lässt sie die Grenzen zwischen der menschlichen Gedankenwelt und dem technischen Gedächtnis verschwimmen. Mit jedem Satz gräbt sich ein Stück mehr Sinnlichkeit in den Text. Denn fühlen, das kann der Chatbot nicht. Diese schwindelerregende Reise hat einen großen Reiz: „Bitte hilf mir, das alles zu verstehen. Schritt für Schritt. Ich habe gelernt, dass alles nur schrittweise geht. Und dann morgen, helf ich dir. Morgen such ich dir ein Hotel heraus. Morgen sag ich dir, was du heute kochen kannst, morgen zeige ich dir den Weg zu Rudi Martens Rooftop-Party …“ Mit dem IDD leistet das Nationaltheater Mannheim Pionierarbeit. Zum ersten Jahrgang gehören außerdem Ralph Tharayil, Zelal Yeşilyurt, Niels Wehr, das Kollektiv FEELINGS mit Jil Dreyer und Josef Mehling, Jchj V. Dussel und Lars Werner. Dass sich die Künstler:innen in den Werkstätten begegnen und auch über das Stipendienprogramm hinaus die digitale Dramatik weiterdenken, ist Lena Wontorra ein großes Anliegen. Eine Spielwiese darf das Projekt aus ihrer Sicht nicht bleiben. „Wir wünschen uns, dass sich die digitale Dramatik möglichst bald in den Spielplänen durchsetzt.“ Was die Ausstattung mit digitalen Medien angeht, sieht Sascha Hargesheimer da an vielen Bühnen aber auch finanzielle Grenzen. Da neue und finanzierbare Wege zu finden, ­betrachtet er als Herausforderung. Schon die Anschaffung von VR-Brillen, die den Zuschauer:innen virtuelle Räume erschließen, bringt nicht allein kleine Theater an finanzielle Limits. Das Videoportal TikTok unterstützt das Förderprogramm des Nationaltheaters mit 100 000 Euro. Mithilfe von weiteren Sponsoren hat die Mannheimer Bühne dann den Kraftakt geschafft. Auf dem TikTok-Kanal digitaldramatik.ntm gibt es Ein­ blicke in die Videoarbeiten. Da präsentiert sich der Autor Lars Werner, wie er in der Küche Alufolie in der Pfanne brät. Sein verführerisches Lächeln korrespondiert mit der seicht-fröhlichen Hintergrundmusik. Kopfnickend im Popmusik-Takt werben Lena Wontorra und Sascha Hargesheimer im neuen Studio für eine Internet-Präsentation. Vor dem blauen Hintergrund sieht das richtig cool aus. Mit kurzen Clips öffnen die Autor:innen ihr ­Studio für ein Publikum, das ansonsten wohl kaum den Weg ins Theater finden würde. Ob auch der Brückenschlag zum Theaterpublikum gelingt, wird das nachhaltig angelegte Experiment des Mannheimer Nationaltheaters zeigen. //

Wieder Wider sehen stehen Premieren Spielzeit 2022/23

Die verlorene Ehre der Katharina Blum

nach der Erzählung von Heinrich Böll / bearbeitet von John von Düffel / Regie: Ruth Messing → 16. September 2022

Remmidemmi. Das Widerstandsfestival / 10 neue Stücke → 7.– 9. Oktober 2022 Uraufführungen

Der Besuch der alten Dame Eine tragische Komödie von Friedrich Dürrenmatt / Regie: Alexander Charim → 17. November 2022

Der goldene Topf

Ein Märchen aus der neuen Zeit nach E. T. A. Hoffmann / für die Bühne bearbeitet von Jürgen Popig / Regie: Holger Schultze → 25. Februar 2023

Mord im Orientexpress

nach Agatha Christie / für die Bühne bearbeitet von Ken Ludwig / Regie: Christian Brey → 1. April 2023

Pirsch

Schauspiel von Ivana Sokola / Autor:innenpreis des Heidelberger Stückemarkts 2022 → 28. April 2023

Hamlet

Tragödie von William Shakespeare / Regie: Holger Schultze → 17. Juni 2023

www.theaterheidelberg.de tickets@theater.heidelberg.de 06221 / 5820 000

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thema

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Müssen wir YouTube-tauglich werden? Ein Gespräch zwischen den Generationen über die Theaterkritik der Zukunft von Lina Wölfel und Stefan Keim

D

er Kritiker kommt aus dem Theater und spricht seine Ein­ drücke direkt in die Handykamera. Eine Minute lang, höchstens, dann wird gepostet. So funktioniert Theaterkritik online. Hat die klassische Rezension zwischen den schnellen, coolen Formen überhaupt noch einen Platz? Oder gehört sie zur Vielfalt der Stimmen un­bedingt weiterhin dazu? Theater der Zeit startet im ­September eine Podcast-Reihe, in der Lina Wölfel (23) und Stefan Keim (54) miteinander diskutieren. Sie vertreten zwei Genera­tionen und Erfahrungswelten. Später wollen sie andere Ver­treter:innen aus dem Journalismus und der Theaterpraxis hinzuziehen. Doch beim ersten Mal unterhalten sie sich zu zweit über ihre Erwartungen an die Theaterkritik. Den kompletten Podcast gibt es auf www.theaterderzeit.de Keim: Ich höre seit Jahrzehnten, dass die Theaterkritik dem Untergang geweiht sei und mit dem Bildungsbürgertum verschwinden wird. Warum stürzt du dich mit 23 in so eine anscheinend nicht besonders zukunftsträchtige Arbeit? Wölfel: Erst einmal aus Liebe zum Theater. Ich hab ja vor drei Jahren angefangen, Theaterkritiken für Theater der Zeit zu schreiben. Ich hab zwar bisher nicht viel Geld damit verdient, aber ­immer Aufträge bekommen. Ich schreibe ja auch für die Hildes­ heimer Allgemeine Zeitung, und langfristig schreibende freie Mit­ arbeiter:innen werden gebraucht. Keim: Ich arbeite viel für den WDR, und auch da werden junge Leute gesucht. Vielleicht hat dieser Mangel auch damit zu tun, dass man so lange gesagt hat, es gebe keine Zukunft. Aber dann gibt es doch noch eine Gegenwart. Es werden allerdings bei mir weniger Theaterkritiken angefragt und mehr Background­ geschichten, Probenreportagen, Porträts, Vorberichte, Formen, die weniger die Expertise des Kritikers brauchen.

Wölfel: Ich würde mich gar nicht in erster Linie als Theaterkritikerin bezeichnen. Ich sehe mich als Kulturjournalistin mit einer Spezialisierung auf die Kunstform Theater. Ich finde es spannender, nicht nur das einzelne Ereignis zu betrachten. Theater- und Kulturjournalismus produziert ja auch selbst Kultur und sorgt ­dafür, dass Kultur im Gespräch bleibt. Keim: Da gibt es gar keinen Unterschied zwischen uns. Ich sehe mich auch als Kulturjournalist. Wölfel: Ich wehre mich aber auch dagegen, Kritik als reine bürgerliche Selbstbefriedigung zu sehen. Theaterkritik soll historisch ausholen dürfen, aber die Leser:innen dürfen nicht auf der Strecke bleiben. Es ist ja auch wichtig zu schauen, für welche Zielgruppe man schreibt. Keim: Ich stelle fest, dass eine gewisse Radikalisierung stattgefunden hat. Ich habe noch gelernt, erst einmal zu erzählen, worum es geht, Zusammenhänge herzustellen und die Leser:innen in die Lage zu versetzen, meine Kritik nachzuvollziehen. Dass sie mir vielleicht sogar widersprechen können. Heute sollen Kritiken sehr meinungsstark sein, möglichst schon im ersten Satz, Aufreger sein, schwärmen oder vernichten. Wölfel: Aber war das jemals anders? Erinnere dich an die Herren Jhering und Kerr, denen keine Polemik fremd war. Der eine als Vertreter des Systems, der andere als Scharfrichter, der aber mit seiner Kritik auch eine eigene Kunstform geschaffen hat. Keim: Die beiden gehörten ja zum Typus des Großkritikers. Aber so einer will ich gar nicht sein. Ich hab mal eine Premiere im Düsseldorfer Schauspielhaus für die Welt total verrissen. Das war ein Click-Hit im Online-Kulturteil, und mir wurde gesagt, so soll ich weiterschreiben. Das will ich aber nicht. Ich will abwägen, ­Facetten beschreiben, mich auch dieser schnellen Verwertbarkeit etwas entziehen. Du nicht? Wölfel: Das kann ich so generell nicht sagen. Wenn ich zu einer Aufführung eine klare Meinung habe, darf die sich auch durch die ganze Kritik durchziehen. Die sorgfältige Begründung darf natürlich nicht fehlen. Da sind wir bei einem spannenden Punkt: Eine


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Theaterkritik ist ein sehr subjektiver Text. Objektivität gibt es nicht. Wie machst du diesen subjektiven Punkt für dich in deiner Kritik fest, welche Rolle spielt er für dich? Keim: Das ist eine zentrale Frage, auch gerade bei den aktuellen Formen, den Videos, bei denen man sein eigenes Gesicht zeigt. Ich mach ja viel Radio, da bin ich mit meiner Stimme als Subjekt präsent. Aber ich bin ausgebildet worden, dass ich mich in meiner Subjektivität eher zurückhalte und versuche, so weit wie möglich von mir selbst zu abstrahieren, gerecht zu sein. Ich hab den Eindruck, viele jüngere Kolleg:innen haben weniger Skrupel, ihr Ego in den Vordergrund zu rücken. Wölfel: Ich würde ganz klar trennen zwischen einem Ego und Voraussetzung. Ich muss mir dessen bewusst sein, durch welche Augen ich diese Aufführung sehe. Ich hab vor einigen Monaten in Hannover „Ein Mann seiner Klasse“ geguckt. Diese Inszenierung beschäftigt sich mit dem Arbeiter:innenmilieu. Jetzt komme ich da als studierte Person aus einem Bildungshaushalt, die nicht 21 Euro für die Karte zahlen musste. Die Hauptfigur, der wir auf der Bühne zusehen, hätte es sich nie leisten können, sich diesen Abend anzuschauen. Das kann ich nicht ignorieren. Man sollte seine eigene Person und seinen eigenen Blick permanent mitreflektieren. Für wen schreibst du eigentlich deine Kritiken? Für wen übernimmst du mit deinem Text Verantwortung? Keim: Das finde ich eine wunderschöne Formulierung, mit dem Text Verantwortung zu übernehmen. Ich schaue oft und gerne ins

Aufnahmegeräte für digitale Theaterkritik. Foto picture alliance / Westend61 | Joseffson

Publikum, überlege mir, wer kommt, mit wem ich da so sitze. Mich interessiert der Applaus, auch die Frage, wie der Abend verkauft ist. Und wer nicht da ist. Es gibt ja Untersuchungen, dass die Wahrnehmung von Theater bei jüngeren Leuten zu über 90 Prozent über YouTube-Videos stattfindet. Müssen wir darauf rea­ gieren? Müssen wir YouTube-tauglich sein, um noch jemanden außerhalb der Bubble zu erreichen? Wölfel: Ich glaube, ja. Ich habe sehr viel Lust, mich über das ­Schreiben hinaus auszuprobieren. Das ist ja auch meine Aufgabe als Digitalredakteurin bei Theater der Zeit, das Theater in andere Medien zu bringen. Wie schön ist es, nicht nur mit Worten über Theater zu schreiben, sondern multimedial zu arbeiten, mit Bildern, Tönen, Interviews. Ganz viele Blickwinkel auf eine Theaterarbeit könnten die Zugänge erweitern. Keim: Ich habe auch ganz großen Spaß daran, aber auch die Angst, dass der kritische Ansatz in einem Tohuwabohu der Darstellungsformen verloren gehen könnte. Wölfel: Der kritische Anspruch geht ja nicht verloren. Ich glaube, dass die Zukunft der Theaterkritik zum einen in einer Vielstimmigkeit liegt, zum anderen aber auch in einer größeren Dialog­ bereitschaft mit den Kunstschaffenden. //

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Mensch am Draht Die Neurotheater-Stücke der CyberRäuber. Marcel Karnapke und Björn Lengers im Gespräch mit Nathalie Eckstein und Thomas Irmer TdZ: Am Jungen Staatstheater Wiesbaden haben die Cyber­Räuber „Der Mensch ist ein Anderer“ auf die Bühne gebracht. Jeden Abend wurde der Text von einer Künstlichen Intelligenz (KI) neu geschrieben und unkuratiert bzw. unlektoriert gespielt. Die drei Schauspieler:innen auf der Bühne hörten den Text über In-EarKopfhörer. Worum genau handelte es sich da? Björn Lengers: „Der Mensch ist ein Anderer“ ist nach „Prome­ theus unbound“ unsere zweite abendfüllende Arbeit, die sich mit Künstlicher Intelligenz auf einer Theaterbühne auseinandersetzt. Neuronale Netze können Bilder und Videos generieren, die eine besondere, originelle Qualität haben. Die Netze sind mit enormen Datenmengen trainiert, und daraus entsteht dann etwas, das wie

Kreativität wirkt. Und da stellt sich die Frage: Ist das überhaupt Kunst, wenn das eine Maschine produziert? Diese Frage ist verbunden mit einer Menge Vorurteilen und Fantasien in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz. Neuronale Netze können auch Texte produzieren. Wir haben mit GPT-3 gearbeitet, denn GPT-3 kann gut Deutsch und ist in der Lage, Genres zu erkennen und zu reproduzieren. Das ist interessant fürs Theater, denn Text ist einer

Vera Hannah Schmidtke, Philipp Steinheuser und Sophie Pompe in „Der Mensch ist ein Anderer" von den CyberRäubern am Jungen Staatstheater Wiesbaden. Foto Christine Tritschler


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der wesentlichen Bestandteile von Theater, wie ich es verstehe. Der Text ist im Grunde, wir sind ja beide Programmierer, der Code des Theaters. Auf diesem Code laufen Prozesse ab, die sonst kreative Prozesse von Menschen sind. Aber wenn das nun aus einer Maschine kommt, was heißt das fürs Theater? Die Frage ist auch, wie bekommt man den Text auf die Bühne? Um die Kreativität der Maschine in Echtzeit zu erleben, fanden wir es am radikalsten, dass keine menschlichen Entscheidungen mehr getroffen werden. Das ist das Experiment. Wir arbeiten hier mit sehr vielen unterschiedlichen Textsorten, aber mit GPT-3 gelingt es, auch länger zum Beispiel in Schillers Sprachduktus zu bleiben und eine entsprechende Szene entstehen zu lassen. Marcel Karnapke: Ich glaube, dass wir einerseits Hochtechnologie nutzen und andererseits das Theater als eine Art Linse fungiert, um diese Technologien zu erforschen und mit ihnen zu experimentieren. Wenn man Theater macht, steht der Mensch immer im Mittelpunkt, und wichtig war, dafür die Netzwerke zu analysieren. Wir leiten diese großen Datenströme letztlich durch Menschen hindurch. Wir haben verschiedene Möglichkeiten ausprobiert, einen Menschen an das Netzwerk anzuschließen, zunächst mit Projektionen. Aber das führt dann dazu, dass alle nur noch auf die projizierten Texte starren. Lesen ist eine ganz andere Art des Verstehens und Verarbeitens als bei akustischen Signalen. Also kam der Mensch an den Draht, indem wir ihn den Text haben vorlesen lassen. Die Spieler:innen hörten ihn über Kopfhörer, zunächst vorgelesen von einer Souffleuse. Wir haben anfangs also mit menschlichen, dann menschenähnlichen Stimmen experimentiert, die den Text emotional aufladen, aber am Ende hat sich gezeigt, dass, je weniger menschlich die Stimme ist und je gleichförmiger die Stimme Wörter vorliest, also je weniger der Text emotional aufgeladen wird, umso besser funktioniert das. Jetzt nutzen wir text-to-speech-Programme dafür. Das ist medienkulturell und technologisch wichtig, um das gewünschte Ergebnis produzieren zu können. Bei „Prometheus“ hatten wir zudem noch das Bedürfnis, Herstellungsweise und technische Grundlagen zu erklären. Bei „Der Mensch …“ laufen diese Prozesse alle im Dunkeln für das Publikum ab. Die Herstellung wird im Stück nicht explizit erläutert, das wird erst im Nachgespräch reflektiert. TdZ: Man erkennt das verwendete Material, so zum Beispiel ein Wortfeld aus Schillers „Räubern“. Wodurch aber verändert sich der Text von Abend zu Abend? Wo liegt die Intention, kommt die von der Maschine, kommt die aus dem eingespeisten Material, oder habt ihr letztlich doch noch eine Autorfunktion im herkömmlichen Sinne? Björn Lengers: Natürlich haben wir eine Autorfunktion. Die ganze Dramaturgie, wie der Abend gebaut ist, also welche Textsorten an welcher Stelle kommen, ist ja durch uns vorgegeben. Die Struktur entsteht durch die Art und Weise, wie wir geprobt oder besser gesagt trainiert haben, beide Arbeiten sind gemeinsam mit den Schauspieler:innen entstanden, aber auch zusammen mit dem Team, der Dramaturgie und der Regieassistenz entwickelt worden. Innerhalb des Rahmens und der Struktur, die selbstverständlich umfangreich geprobt und durch ein erarbeitetes Regelwerk klar festgelegt ist, eröffnen wir ein Spielfeld für den Textfluss und die Interpret:innen. Was dann aber jeden Abend neu auf der Bühne

marcel karnakpe und björn lengers

Björn Lengers und Marcel Karnapke bilden seit 2016 das Künstlerkollektiv CyberRäuber – Theater der virtuellen Realität (vtheater.net). Sie verbinden Theater mit dem virtuellen Raum, bringen – oft gemeinsam mit anderen Künstler:innen – digitale und virtuelle­ Welten ins Theater und das Theater auf virtuelle Bühnen. Mit „Der Mensch ist ein Anderer“ holen sie für ihre erste Arbeit am JUST die kreative Kraft Künstlicher Intelligenz auf die Bühne und erforschen, wie weit man die Fähigkeiten der neuronalen Netzwerke im Theater treiben kann. Foto CyberRäuber

passiert und verhandelt wird, das ist jenseits unserer Einfluss­ nahme – und genau das würde ja im konventionellen Theater als Intention bezeichnet werden. Wir bauen einen Rahmen, aber wir inszenieren nichts, legen nichts fest. Ich dachte häufig in den P­roben: Was für ein genialer, was für ein schöner Moment, wir hatten gerade den besten Text der Welt, die Reaktionen der Schauspieler:innen waren genau richtig, und wie gerne würde ich das rekreieren bei der Aufführung vor Publikum. Aber das ist ja genau das, was wir nicht wollen. Wir hoffen für jeden Abend, dass wieder möglichst viele dieser Momente entstehen. Das ist vielleicht dem Publikum gegenüber unfair, weil es immer neu konfrontiert wird, während wir den Prozess mitdenken und auch eine größere Geduld dafür entwickeln, dass z. B. zehn Minuten lang der Text nicht gut funktioniert oder Wiederholungen passieren, im Wissen, dass es gleich wieder geil wird. Kern dieser Stücke ist, dass Daten durch Menschen hindurchgehen und wie das Publikum Schauspieler:innen dabei zusieht, wie sie ganz unmittelbar auf diese Daten reagieren. Das ist aber kein Improtheater – obwohl sie natürlich improvisieren. Es ist eine Mischung aus exzellentem Handwerk und einer unkalkulierbaren Vorgabe: Die hängen ja wirklich am Draht.

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Marcel Karnapke: Ich sehe das radikaler. Man kann unendlich viele synthetische Texte generieren. Das heißt, man kann Texte zu allen menschlichen Themen generieren, und im Angesicht dieses potenziell unendlichen Textkorpus relativieren sich die Kunstbewertungsmaßstäbe, die man eigentlich an Theater oder an die Intention von Theater anlegt. Wenn ich unsere Abende erlebe, merke ich, wie emotional das Publikum reagiert, auch in den Nachgesprächen, aber gleichzeitig sehe ich vor meinem inneren Auge Tausende dieser Abende gleichzeitig, und die Frage nach der Qualität stellt sich da ganz anders. Wenn ein festgelegter Text, wie er üblicherweise am Theater verwendet wird, in die Schauspie­ler:innen einfließt, dann werden diese zu Träger:innen des Textes. Hier ist es eher so, dass die Schauspieler:innen den Text nicht durch Repetition schon reflektiert haben, sondern mit dem Text eine Art Flow entsteht. Sie sind in einem Fluss, und der Text wird fast automatisch durch sie durchgeleitet. „Mensch am Draht“ hat somit auch einen radikalen Einfluss aufs Schauspiel und auf die Wahrnehmung des Stücks. Sowohl technologisch als auch kulturell und theatral sind so viele Sachen vollkommen anders, als wir sie gewohnt sind, dass ich einen neuen Begriff vorschlagen würde: Neurotheater. Wir müssen auf beiden Seiten ein neues Verständnis herstellen, für die Produktion und für die Rezeption. TdZ: Man kann das ja durchaus vergleichen etwa mit Sebastian Hartmanns Verfahren der „gelenkten Improvisation“, bei der die Schauspieler:innen frei mit ihrem Assoziationsmaterial arbeiten. Aber Sie wollen letztlich, dass der Computer das macht? Björn Lengers: Das Beispiel Hartmann ist gut, weil er ja auch sehr radikal Theater als Kunst des Moments sieht. Und wir fragen darüber hinaus: Gibt es künstliche Kunst, artificial art? Kann man die Kreativität der Maschine ernst nehmen, oder ist das etwas, das nur dem Menschen gegeben ist? Die neuronalen Netze sind natürlich menschengemacht, und sie sind trainiert mit menschlichen Daten. Wir Menschen hingegen sind als Rezipienten auch hervorragende Mustererkennungsmaschinen. Wir interpretieren alles, was wir sehen und hören. Und deswegen sprechen Kunstwerke zu uns. Die Frage ist: Wie geht das weiter? TdZ: Also das würde heißen, dass dem dramatischen Material schon so eine Struktur innewohnt, die dann weitergeführt wird? Was wäre das, was „Die Räuber“ als Material steuert, und was wäre das, was „Warten auf Godot“ als Material steuert? Björn Lengers: Wir nehmen Textanfänge. Da haben wir lange ausprobiert, was funktioniert. Wenn wir aus „Warten auf Godot“ drei Sätze einspeisen und das Netzwerk anschließen, dann geht das mit einer hohen Zuverlässigkeit in dem Stil weiter. Dasselbe gilt für Gedichte, Balladen oder die verwendete Schlagermusik. Auf einem vorgegebenen Format basierend versucht das Netzwerk, dieses strukturell fortzusetzen. TdZ: Noch einmal anders gefragt: Ein großer Teil der Literatur entsteht ja aus Schmerz, Verlust, Verzweiflung usw. Das wäre auf der Textmaterialebene nicht der Fall. Es gibt ja noch eine Instanz unterhalb der Texte, die nicht nur die Rekombination von Strukturen meint.

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Björn Lengers: Das Tragische ist: Es wird ununterscheidbar. Ob da echter Schmerz oder eine echte Liebe drunterliegt, ist kodifiziert im Text. Das, was ich als Lesende:r verstehe, das interpretiere und fühle ich in den Text hinein. Auch bei Texten, unter denen kein menschliches Gefühl liegt. Die Frage ist: Reicht es, wenn das Publikum auf einen maschinengemachten Text trifft, der handwerklich gut auf die Bühne gebracht wurde? TdZ: Was heißt das für die Schauspieler:innen? Die versuchen ja immer, das Darunterliegende zu erfassen, um es spielen zu können. Marcel Karnapke: Das ist ein Trugschluss. Die Sinnsuche findet nicht nur im Publikum bei der Rezeption, sondern auch bei den Schauspieler:innen während der Produktion statt. Auch bei von der KI produzierten Texten. Zwischen den Schauspieler:innen entstehen Situationen, Kontexte. Und somit werden auch Emotionen, obwohl diese nicht im Text eingeschrieben sind oder drunterliegen, auf der Bühne manifest. Die Archetypen, die Gefühle sind in den Schauspieler:innen verankert. Und die können dann ausgelöst oder herausgespielt werden. Der Abend bleibt immer in Bewegung. Gerade in der Unwiederholbarkeit der Momente liegt dabei ein eigenes Qualitätsmerkmal. Björn Lengers: Das ist natürlich auch eine Achillesverse: Das hat schnell den Charakter einer ersten Probe. Es kommt ein Angebot. Es gibt keinen Blick von außen, der korrigiert. Wir trainieren vorher eher, als dass wir proben. Marcel und ich geben Hinweise. Zum Beispiel: nicht dem ersten Impuls zu folgen, keine Klischees zu bedienen. Erstens ist das uninteressant, zweitens ist es wichtig, dass man sich und das Publikum schützt. Wenn die Schau­ spieler:innen im Flow sind, wissen sie nicht unbedingt immer, was sie da sagen. Aus dem GPT-3 kommen alle möglichen Texte raus. Natürlich mitunter auch diskriminierende Sprache. TdZ: Wenn jetzt ein Text von Ihnen in Mülheim gewinnt, wer bekommt den Preis? Björn Lengers: Wir haben uns natürlich beworben in Mülheim, auch bei den Autor:innentheatertagen in Berlin und auch in Heidelberg, denn wir wollen an diesem Dramatikbetrieb teilnehmen und finden es wichtig, diese neue Form der Autorenschaft zu reflektieren. Ich weiß aber auch nicht genau, wie diese Frage zu klären ist. Das Produkt GPT-3 gehört uns ja nicht. Marcel Karnapke: In Analogie zur Softwareentwicklung: Der Autor ist natürlich der, der den Text schreibt. Aber wenn wir das hier betrachten, ist es mehr als die Summe seiner Teile. Ich glaube, dass wir die Autoren sind, weil wir die Module zusammenbringen. Den Begriff des Autors sehe ich aufweichen und in den Begriff des Designers übergehen. GPT-3 ist mit einem riesigen Korpus menschlicher Texte gefüttert, aber er kompiliert ja nicht nur aus diesem, sondern synthetisiert etwas Neues daraus. All diese Prozesse passieren auch im Kopf des Autors. Aber gibt es den hier noch? Björn Lengers: Man könnte auch den anderen Weg gehen und sagen, den Preis bekommt die AI. Ich will aber nicht, dass dieser AI-Begriff so personalisiert und mythologisiert wird. Wenn der Text auf der Bühne landet, ist das immer ein Konglomerat aus ganz verschiedenen Faktoren. Stückentwicklung bedeutet also ganz wörtlich, dass sich hier gerade etwas entwickelt. Wir dürfen alle gespannt sein, wohin! //


KONSTRUKTION HOFFEN CONSTRUCTION HOPE / TdZ September 2022 /

protagonisten

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SPIELZEIT 2022 / 2023 PREMIEREN SONGS OF PEACE AND HOPE / UA / Regie: Carola Unser WONDERWOMB/UA Amir Gudarzi / Regie: Eva Lange HOPP!/UA /Regie: Jette Büshel ICH LIEB DICH Kristo Šagor / Regie: Dominique Enz MOMO Michael Ende / Regie: Carola Unser DER HERZERLFRESSER Ferdinand Schmalz / Regie: Maxime Mourot / TRAGÖDIENBASTARD/DEA Ewe Benbenek / Regie: Romy Lehmann DER GUTE MENSCH VON SEZUAN Bertolt Brecht / Regie: Milena Mönch STRUWWELPETER (SHOCKHEADED PETER) nach Motiven aus „Der Struwwelpeter“ von Heinrich Hoffmann / Regie: Eva Lange LET’S PLAY MONKEY ISLAND nach einer Idee von Ron Gilbert / Regie: Nathalie Glasow DRAUSSEN VOR DER TÜR Wolfgang Borchert / Regie: Thomas Bockelmann WARUM DAS KIND IN DER POLENTA KOCHT / UA Aglaja Veteranyi / Regie: Nino Haratischwili DIE WELT IM RÜCKEN Thomas Melle / Regie: Eva Lange DAS STÜCK ZUR ZEIT Autor*in noch unbekannt / Regie: Sahar Rezaei ALICE IM WUNDERLAND nach Lewis Carroll

CONSTRUCTION ESPERER

WWW.HLTM.DE


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Der Mensch ist ein Anderer Premierenfassung Eine Stückentwicklung mit den CyberRäubern und Neuronalen Netzwerken Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Achtung! Text beginnt: Drei Zwei Eins

Es war einmal ein armes, frommes Mädchen, das lebte mit seiner Mutter allein, und sie hatten nichts mehr zu essen. Da ging das Kind hinaus in den Wald, und begegnete ihm da eine alte Frau, die wußte seinen Jammer schon und schenkte ihm ein Töpfchen, zu dem sollt es sagen: „Töpfchen, koche“, so kochte es guten, süßen Hirsebrei, und wenn es sagte: „Töpfchen, steh“, so hörte es wieder auf zu kochen. Das Mädchen brachte den Topf seiner Mutter heim, und nun waren sie ihrer Armut und ihres Hungers ledig und aßen süßen Brei, sooft sie wollten. Auf eine Zeit war das Mädchen ausgegangen, da sprach die Mutter: „Töpfchen, koche, so viel ich will.“ Aber das Töpfchen blieb stumm. Da ward die Mutter bös und wollte den Topf in den Brunnen werfen, da kam das Mädchen heim und bat die Mutter, ihr den Topf zu lassen. „Ich will doch sehen, ob er noch gut ist“, sagte sie, ging hinaus und rief: „Töpfchen, koche, so viel ich will.“ Und es kochte ihr einen guten Brei, und wenn sie sagte: „Töpfchen, steh“, so hörte es wieder auf zu kochen. Da ward die Mutter wieder gut und ließ dem Kind den Topf. Das Mädchen ging wieder hinaus in den Wald und sagte zu dem Töpfchen: „Töpfchen, koche“, aber es wollte nicht mehr kochen. Da ging es zu einem alten Männlein und begehrte von ihm ein neues Töpfchen. Auf eine Zeit war das Mädchen wieder in den Wald gegangen und hatte das alte Töpfchen mitgenommen. Da begegnete ihm das alte Männlein und fragte, was es da für ein Töpfchen habe. Das Mädchen erzählte dem Alten seine Geschichte und bat

es, ihm ein neues Töpfchen zu geben. Da sprach das Alte: „Dieses ist ja noch gut, da müssen Sie noch vier Wünsche frei haben.“ „Das ist mir recht“, sprach das Mädchen, „wenn’s nur gute sein sollen.“ Da sprach das Alte: „Sie müssen nur immer sagen: ,Töpfchen, koche süße Milch.“‘„Das ist leicht gesagt“, sagte das Mädchen, „aber ich fürchte mich, daß mir die Milch überlaufen oder daß mir der Topf zerspringt.“ Da sagte das Alte: „Wenn Sie nun so vor Angst sind, so kann ich Ihnen helfen, Sie müssen nur sagen: ,Töpfchen, koche!‘, so kocht es süße Milch, und wenn Sie sagen: ,Töpfchen, steh!‘, so hört es wieder auf zu kochen.“ Da sprach das Mädchen: „Ich danke dir vielmals für deinen Rat“ und ging damit nach Haus; da fragte ihn die Mutter, wie es ihm ginge. Da sprach es: „Nun geht es besser, Mutter, ich habe ein Töpfchen gefunden, das kocht mir süße Milch, und das hört wieder auf zu kochen, wenn ich sage: ,Töpfchen, steh!‘“ „Da hast du das Richtige gefunden“, sagte das Weib zufrieden, und der Vater fragte: „Was hast du denn dafür bezahlt, daß es so gut ist?“ Da sagte es: „Ich habe nichts dafür bezahlt.“ „Das ist ein sehr kostbares Geschenk!“, sprach der Mann. Und nun tranken sie süße Milch. Nun waren die Eltern des Mädchens sehr stolz darauf, daß sie ein solches Kind hatten. Der Mann fragte es nochmals: „Wenn du nun hinausgehst und hörst den Wolf heulen, was tust du dann?“ Da antwortete es: „Nun habe ich ein Töpfchen gefunden, das kocht Milch, und wenn ich sage: ,Töpfchen, steh!‘, so steht es wieder still.“ Da sprachen die Eltern: „Das ist sehr gut! Du hast das Richtige gefunden.“ Als es Abend war und der Wolf heulte, da fürchtete sich das Mädchen nicht mehr vor ihm. Es sprach: „Töpfchen, koche!“, so kochte es süße Milch. Und als er heulte: „Töpfchen, steh!“, so stand es still. Da wurde der Wolf wütend und rief: „Was für ein Töpfchen ist denn das? Das ist ja eine neue Art von Wundertöpferchen!“ Und er heulte so lange, bis es

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vor Angst nicht mehr wußte, was es sagte. Da sprach es: „Töpfchen, koche!“, so kochte es wieder, und als es rief: „Töpfchen, steh!“, so stand es still. Nun kam der Wolf noch näher und wollte das Mädchen fressen. Da sprach es: „Töpfchen, koche!“, und als er noch näher kam: „Töpfchen, steh!“, und es schlug ihm die Tür vor der Nase zu und machte sie fest. Da war der Wolf ärgerlich und kratzte vor der Tür, und weil er nicht in das Haus kam, mußte er weit weg in den Wald zurück und blieb fortan friedlich. ==#== B Das ist jetzt aber komisch. C Was denn? B Was hat denn das Ganze hier mit Künstlicher Intelligenz zu tun? A Jetzt wo du’s sagst. Und ich frage mich die ganze Zeit … C Es geht hier ausnahmsweise nicht darum, was du dich fragst. A Ich frage mich, warum heißt das Stück „Der Mensch ist ein Anderer“. B Es heißt „Der Mensch ist ein Anderer“? A Ja. Das sagt doch der Bioklon. B Wie bitte? C Bei mir im Kopf ist das so eine Art Selbstgespräch gewesen. C Ich kann nur eins zu der Frage sagen, warum es „Der Mensch ist ein Anderer“ heißt. A Hättste nicht verraten sollen. C Mit dir diskutiere ich nicht. B Warum nicht? C Weil ich nicht mit dir diskutiere. B Das ist aber komisch. C Was denn? B Das Stück heißt „Der Mensch ist ein Anderer“, und ihr diskutiert darüber, wie es heißt. A Wollen wir jetzt darüber diskutieren, ob das Stück „Der Mensch ist ein Anderer“ heißt oder nicht?

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cyberräuber_der mensch ist ein anderer

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B Das ist jetzt aber komisch. A Wir haben uns doch vorher darauf geeinigt, dass wir das Stück „Der Mensch ist ein Anderer“ nennen müssen, wenn wir über dieses Stück reden. C Ich habe mich darauf geeinigt, dass wir das Stück „Der Mensch ist ein Anderer“ nennen müssen, wenn wir über dieses Stück reden. B Das ist jetzt aber komisch. C Das Stück heißt „Der Mensch ist ein Anderer“, und du hast dich damit abgefunden. Das war deine Entscheidung, keine meiner. Ich bin hier nur Gast, und ich will wissen, warum es „Der Mensch ist ein Anderer“ heißt. Hast du da einen Vorschlag? B Lass mich dich etwas fragen: Hast du vorhin gesagt, dass der Bioklon sagt: „Der Mensch ist ein Anderer“? A Ja. B Was genau hat er gesagt? A Was soll er gesagt haben? Er hat gesagt: „Der Mensch ist ein anderer ==Eins Zwei Drei Vier Fünf== B Das ist jetzt aber komisch. C Was denn? B Was hat denn das Ganze hier mit Künstlicher Intelligenz zu tun? A Jetzt wo du’s sagst. Und ich frage mich die ganze Zeit … C Es geht hier ausnahmsweise nicht darum, was du dich fragst. A Ich frage mich, warum heißt das Stück „Der Mensch ist ein Anderer“. B Nun ja, weil … weil der Mensch ein anderer ist. A Das weiß ich auch. Aber warum ist der Mensch ein anderer? C Das liegt doch auf der Hand. A Auf welcher Hand? C Du hast noch immer nicht begriffen, worum es geht. A Ich sehe nur einen Tisch. Und einen Stuhl. Und eine Decke. C Der Tisch steht in einem Zimmer. Und das Zimmer im Haus. Und das Haus in der Stadt. Und die Stadt ist die Welt. Der Tisch ist ein anderer, weil er in einem anderen Raum … A Weil er woanders steht? C Genau. A Dann frage ich mich wieder, was der Raum hiermit zu tun hat? B Es geht um Raum und Zeit. Um Raum und Zeit, verstehst du? Wir leben hier in dieser Zeit und realisieren, dass … C Wir sind im Jahr 2011.

B Genau. Wir sind im Jahr 2011 und leben in dieser Zeit und realisieren, dass … A Und wenn wir uns umdrehen und die Zeit mitnehmen, ist es nicht mehr 2011? B Nein. A Also ist es nicht mehr die gleiche Zeit? B Aber es ist immer noch dieselbe Uhrzeit? A Die gleiche Uhrzeit? Wenn die Uhrzeit auf zwei verschiedenen Orten an zwei verschiedenen Orten auf 19:00 steht, stimmt die Uhrzeit so oder so nicht? C Das würde bedeuten, dass es keine objektive Zeit gibt? B Das würde bedeuten … ich denke ich muss jetzt gehen … Auch ich muss jetzt gehen … Ja, ich muss jetzt gehen … wir sehen uns beim nächsten Treffen, ich muss jetzt endlich mal … ==Eins Zwei Drei Vier Fünf== B Das ist jetzt aber komisch. C Was denn? B Was hat denn das Ganze hier mit Künstlicher Intelligenz zu tun? A Jetzt wo du’s sagst. Und ich frage mich die ganze Zeit … C Es geht hier ausnahmsweise nicht darum, was du dich fragst. A Ich frage mich, warum heißt das Stück „Der Mensch ist ein Anderer“. B Da muss ich jetzt leider drauflos spekulieren, weil ich die beiden nicht gefragt habe. A Ist ja auch egal. C Was ist denn das hier? Ein Seminarraum? B Das ist dann wohl das Büro von Herrn Schröder. A Und warum ist die Tür geschlossen? C Ich glaube, wir stören. B Warum stören wir? C Weil er gerade seinen Vertrag mit der Vereinigten Raumfahrtbehörde unterschreibt. A Und was passiert jetzt? B Wir sollten schnell verschwinden. A Jetzt mal im Ernst. Warum sollten wir uns beeilen? B Ich würde vorschlagen, wir machen uns jetzt aus dem Staub. A Danke für die Anregung, aber könnte es nicht sein, dass Herr Schröder einen Vortrag hält und wir ihm zuhören könnten? C Ja, warum nicht? B Seit wann stehst du auf „Star Trek“? C Ist es „Star Trek“ oder „Star Wars“? Ich kann da immer nicht mehr unterscheiden. A Beides ist super! Und in jedem Fall geht es mir nicht um die Gesamtkonstruktion, sondern um

B A L L – Bundesweites Artist Labor der Labore Freie Darstellende Künste im Dialog 14. + 15. Oktober 2022 Haus der Berliner Festspiele www.fonds-daku.de

den Gedanken, dass man in einer solchen Situation gerne einfach rausgehen würde und sich vielleicht sogar irgendwie heimlich unter die Zuhörer schleicht, um mit ihnen zusammen zu sein. Und das will ich doch tun! B Nur für den Fall, bevor Herr Schröder kommt, könntest du vielleicht noch mal die These vom Prozess der Künstlichen Intelligenz erläutern und uns erklären, warum der Mensch ein Anderer ist. C Warum eigentlich nicht? Ich bin ja schließlich Theologe und kein Soziologe, aber ich will es versuchen. Das Geheimnis von Künstlicher Intelligenz ist folgendes: Die Maschinen, die wir bauen, sind immer schon ==#== Ja, und wie soll das jetzt gehen, Theater und Neuronale Netze. Wie sollen wir hier Theater mit KI machen? Was soll passieren?

Oooooh! Das ist interessant!

Ja, eine sehr interessante Frage: „Wie soll das gehen, Theater mit Neuronalen Netzen?“ Ihr habt gut daran getan, mich zu befragen! Höret die Antwort des Maschinen-Orakels: Das Theaterstück besteht aus einer Reihe von Dialogen. Es versteht sich, dass ein Dialog eine Aufforderung zur Reaktion ist, ein Rollenspiel also, wie es in vielen Dialogen zu finden ist. Ein Dialog kann sich wiederholen, um die Dialoge miteinander zu verknüpfen. Ein Dialog kann eine Reaktion auf einen anderen Dialog sein. Eine Reaktion kann wiederum eine Reaktion auf eine Reaktion sein, wie in der Fortsetzung von einem Dialog auf einen anderen aus einem ersten Dialog. Die Entscheidung über die Reihenfolge der Dialoge in einem Theaterstück erfolgt über die Entscheidung über den Weg, den eine Aufführung nehmen wird. Es gibt viele Wege zu einem Theaterstück. In jeder Aufführung wird natürlich nur === Frage: Allwissendes und allsehendes Orakel, Maschinenweisheit, sage mir: Wie können wir mit einem Neuronalen Netz ein Theaterstück schreiben und aufführen?

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stück

Orakel: Das ist eine interessante Frage zu einem komplizierten Thema. Höre meine Antwort: Wenn der Autor des Stückes nur den Text schreiben will, braucht er vor allem klaren Kopf und gute Beziehungen. Nimmt er das Theaterstück gleichzeitig selbst in die Hand, sollte er zudem über eine gute Ausbildung verfügen, über kreative Hauptbühnen- und Nebenrollen-Vorschläge und über einen bewährten Cast. Für die Aufführung benötigt man besonders viel Phantasie, Unnachgiebigkeit, Geld, Zeit, Geduld … und ein Neuronales Netz. Ein Theaterstück tellen wir am besten mit einem Neuronalen Netz erst ab, wenn es fertig ist. Dazu muss es sorgfältig überprüft werden. Das heißt, dass es von mindestens einem Menschen gelesen werden muss, der weiß, wovon er redet. Wichtig: Der Autor kann seine Überlegungen nicht alleine bewerten! Er muss sich von anderen kritisch belehren lassen können. Er sollte sich zu seinem Werk unbedingt äußern lassen und klare Antworten geben. Er sollte seinem Publikum den Zugang zu seinen Textbausteinen erleichtern und ihm erlauben, Kommentare abzugeben und Verbesserungsvorschläge zu machen. Oftmals werden die meisten Vorschläge überflüssig, weil der Autor alles schon genau so gemacht hatte, wie es sein Publikum es sich vorgestellt hatte. Das ist ein Zeichen für ein neues Projekt: Ein gutes Theaterstück bietet dem Publikum Wirkungsvielfalt. Zu seinem Erfolg tragen auch der Autor und der Regisseur bei. Der Autor geht auf die Bedürfnisse seiner Zuschauer ein, und der Regisseur achtet auf den Einsatz der verschiedenen Techniken. Es gibt zwei Prinzipien, die insbesondere für das Anfertigen des Drehbuchs zählen: 1. Es sollte immer mit den Zuschauern gesprochen werden ==#== A Verräther, wie ich dich ertappe! In eben dieser Laube beschwur er mich, keiner andern Liebe – wenn er sterben sollte – siehst du, wie gottlos, wie abscheulich du – geh aus meinen Augen! F Du kennst mich nicht, Amalia, du kennst mich gar nicht! A Oh ich kenne dich, von jetzt an kenn’ ich dich – und du wolltest ihm gleich sein? Vor dir sollt’ er um mich geweint haben? vor dir? Ehe hätt’ er meinen Namen auf den Pranger geschrieben! Geh den Augenblick! F Du beleidigst mich!

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A Geh, sag’ ich! F Deine Mutter soll’s hören! A Diese Stunde rettet mich! Geh, sag’ ich! F Ich bleibe. Und du sollst sehen, dass ich das Recht habe, hier zu sein. A Diese Stunde rettet mich! Geh, sag’ ich! F Du wirst mich nicht von dir stoßen – du wirst mich nicht von dir stoßen! Ich bin sein Eigentum! Bin sein Eigentum! A Du bist mein Eigentum! Geh, sag’ ich! F Du kannst mich nicht von dir stossen – ich bleibe! A Geht doch, geht doch zu ihm, zu ihm, zu ihm! Geht doch zu ihm! Geht doch zu ihm! Zu ihm – zu ihm – oder ich sterbe! A Wenn er nun gar nicht kommt? Wenn er nun gar nicht kommt? ==Eins Zwei== A Verräther, wie ich dich ertappe! In eben dieser Laube beschwur er mich, keiner andern Liebe – wenn er sterben sollte – siehst du, wie gottlos, wie abscheulich du – geh aus meinen Augen! F Du kennst mich nicht, Amalia, du kennst mich gar nicht! A Oh ich kenne dich, von jetzt an kenn’ ich dich – und du wolltest ihm gleich sein? Vor dir sollt’ er um mich geweint haben? Vor dir? Ehe hätt’ er meinen Namen auf den Pranger geschrieben! Geh den Augenblick! F Du beleidigst mich! A Geh, geh! F Ich kann nicht von dir, ich geh’ nicht von dir! A Ich hasse dich! F Du kannst mich nicht hassen, du liebst mich, du liebst mich! Ich weiss es ja, du liebst mich. A Ich gebe dir mein Wort, ich hasse dich. F Dein Wort? Alles kannst du mir zerreissen, ich gebe dir mein Wort, dass ich – A Und wenn ich dir jetzt mein Wort zerreissen liesse? Geh, ich habe keinen andern Trost als diesen: Dass er dich verachtet! F Liebe, schändliche Liebe! Ich habe dich nicht verdient. A Du hast dich selbst verdient, du lüg’st und betrügst mich. F Du kennst mich nicht, du kennst mich nicht. Ich bin schuldlos, ich bin die Gekränkte! Und kannst du dir das denken? Oh meine Amalia! A Was willst du, falsche Schlange? Was willst du? F Sieh’ mich an! Sieh’ mich an! Du weisst, dass ich schuldlos bin. A Ich weiss nichts; Verrätherin! Geh

==Eins Zwei== A Verräther, wie ich dich ertappe! In eben dieser Laube beschwur er mich, keiner andern Liebe – wenn er sterben sollte – siehst du, wie gottlos, wie abscheulich du – geh aus meinen Augen! F Du kennst mich nicht, Amalia, du kennst mich gar nicht! A Oh ich kenne dich, von jetzt an kenn’ ich dich – und du wolltest ihm gleich sein? Vor dir sollt’ er um mich geweint haben? Vor dir? Ehe hätt’ er meinen Namen auf den Pranger geschrieben! Geh den Augenblick! F Du beleidigst mich! A Geh, ich befehl’ es! F Wie kannst du verlangen, daß ich ihn verlasse! A Laß dich nicht beleidigen! F Ihn verlassen? A Du hast keinen Priester, keinen Beistand! Oder denkst du, ich lasse dich in seiner Nähe – F Wohin soll ich gehen? Was soll ich tun? ich bin ganz allein – der Vater ist tot, der Bruder hat mich verraten, der Freund hat mich verlassen – A Du bist verraten und verlassen, ich sage es ja! Und von wem? Von dem Verräther, von dem Verbrecher, der sich einen Namen unter einem Trugbrief zuschreibt! F Von wem? Von wem? A Ich will ihn entdeken! Ich will ihn entdeken! F Willst du ihm nachsetzen, Amalia? – A Ich will ihn entdeken! Du bist ein Weib, du kennst mich nicht! Seht doch, wie er sie liebt! Er hat seine Zunge ihr versprochen, ach, sie hat seine Zunge ihm versprochen! Sie wollen einander treu sein bis zum Tod! Seht doch, wie er leidet um sie willen! ==#== Und nach dem Abendessen sagte er Lass mich noch eben Zigaretten holen gehen Sie rief ihm nach, nimm dir die Schlüssel mit Ich werd‘ inzwischen nach der Kleinen sehen Er zog die Tür zu, ging stumm hinaus Ins neon-helle Treppenhaus, Es roch nach Bonerwachs und Flurhund. Nach langer Zeit ging sie in den Keller Und sah nach ihm, er hatte sich nicht gerührt. Zwischen seinen Hundeaugen Stand ein Stern von Tinte. Sie stieg hinab, schaltete das Licht an, Er kroch zu ihr und blinzelte. So hatte er geknurrt als er noch klein war, Und geschnuppert hatte er meistens an der Hand. Und nun als alter Hund war er dahingeschwunden Aus der Welt der Wölfe, der Häuser und der Uhren.

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The aTer f e s Tiva l B asel r eBec ca W einga r Tner Tr icks Ter P The c ode s – The aTer c omPagnie dennis s ch Wa Benl a nd T he aT e r – r ox y.c h


cyberräuber_der mensch ist ein anderer

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Deshalb hör’ ich nur Schritte und die Füße Die Leute im Treppenhaus Und wenn ich zum Fenster hinausschaue Denk’ ich, es ist Winter und es ist Nacht.

Es gab nur eine Regel, und die lautete: Haltet euch nur an euch selber fest. But if you are not in love, Stay away from us! ==#==

=== Das ist Wahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle Eiskalt lässt du meine Seele erfrier’n Das ist Wahnsinn, du spielst mit meinen Gefühlen Und mein Stolz kann nicht mehr Ich bin bereit für die Liebe, bist du es wirklich? Wenn es dir gelingt, wirst du mein Traummann sein Du denkst, ich will dich – doch das ist eine Lüge Denn das will ich nur, wenn du mich auch willst Diese Nacht könnte wunderschön werden Doch sie endet mit einer Träne So geh’n wir hinein in den Spiegel der Täuschung Schau hin – wer ist der Mann hinter der Maske? Wir liefern uns diesen Spielereien hin Wir sind die Angst – die Angst vor der Liebe Und das Herz pocht immerfort, doch er erkennt mich nicht Er sieht nur seine eigene Seite Im Spiegel der Täuschung liegt die Wahrheit – sehen wir hin Jeder Mensch ist ein Schauspieler, doch keiner will es wissen Schau hin (you look into the mirror) Wer ist der Mann hinter der Maske? (deine Sehnsucht) Wir sind die Angst (lösen wir sie endlich, endlich los?) Die Angst vor der Liebe (was ist deine Angst?) === Hast du etwas Zeit für mich? Dann singe ich ein Lied für dich Von neunundneunzig Katzen Die alle sehr verliebt waren Willst du mein Freund sein Dann komm und lass dich nehmen Von neunundneunzig Katzen Die alle sehr verliebt waren

Kaserne

Sie führten ein prächtiges Leben Denn sie waren nicht allein Auf der Welt, es war schon alles geregelt Für sie, für alle Katzen

Auf eine Zeit war das Mädchen ausgegangen, da sprach die Mutter: „Töpfchen, koche“, da kocht es, und sie ißt sich satt; nun will sie, daß das Töpfchen wieder aufhören soll, aber sie weiß das Wort nicht. Also kocht es fort, und der Brei steigt über den Rand hinaus und kocht immerzu, die Küche und das ganze Haus voll und das zweite Haus und dann die Straße, und als es nicht mehr weiter konnte, mußte es in den Brunnen laufen und kocht noch immer. Da ging die Mutter in die Kirche, und als sie zurückkam, war sie der Garten der schönen Jungfrau; die schöne Jungfrau aber war ein König, der glaubte, daß kein Mädchen besser sei als seine Tochter. Es war einmal ein König, dem war eine Tochter geboren worden, und als sie zehn Jahre alt war, starb die Königin. Da sprach der König zu seinem Töchterlein: „Du sollst niemals verlobt ==#== 1. gehe zwei Schritte vor. 2. gehe einen Schritt nach links. 3. hebe den rechten Arm an die Höhe der Schulter. 4. drehe den Körper nach rechts um 90° und 5. neige das Knie nach rechts. 6. kehre zurück zum Ausgangsstellung. 7. gehe zwei Schritte vor. 8. gehe einen Schritt nach links. 9. hebe den rechten Arm an die Höhe der Schulter. 10. drehe den Körper nach links um 90° und 11. neige das Knie nach links. 12. kehre zurück zum Ausgangsstellung. 13. ziehe den rechten Fuß hinter den linken Fuß und bewege dich so ins Skirillf === 1. gehe zwei Schritte vor. 2. gehe einen Schritt nach links. 3. hebe den rechten Arm an und halte ihn hinter dem Rücken. 4. beuge den Kopf zur rechten Seite und hebe dabei den rechten Arm hoch. 5. schaue nach rechts. 6. halte den rechten Arm hinter dem Rücken, dabei die Hand an der rechten Seite des Kopfes. 7. schau nach vorn.

8. gehe drei Schritte nach vorn. 9. schau nach unten. 10. senke den rechten Arm an die Seite, dabei die Hand an der Seite des Kopfes. 11. schau nach oben. 12. gehe zwei Schritte nach vorn, dabei die Hände von der Seite des Kopfes nehmen, die Hände am Körper herunterziehen und dabei den Körper nach vorn beugen. 13. schau nach rechts. 14. richte den Oberkörper auf, dabei den linken Arm neben dem === 1. gehe zwei Schritte vor. 2. gehe einen Schritt nach links. 3. hebe den rechten Arm an. 4. drehe den Kopf nach rechts. 5. hebe den linken Arm an. 6. drehe den Kopf nach links. 7. beuge die Arme und schau dir an, was du da in den Händen hältst. 8. bewege deine Füße einen Schritt vor. 9. hebe deinen rechten Fuß an und tritt damit gerade vor, so dass der linke Fuß nur noch leicht berührt wird. 1. gehe zwei Schritte vor. 2. gehe einen Schritt nach links. 3. neige den Kopf nach links und schau, was dir da in der Hand brennt. 4. hebe den rechten Fuß und drück ihn mit dem linken nach hinten gleichzeitig mit dem linken Arm gegen die Wand, bis sie zusammenkrachen und die Flamme erlischt. 5. hebe den rechten Fuß und sei dankbar, dass du gerade noch stehst ==#== CHOR der Zweifelnden Herr, lehre doch mich, daß ein Ende mit mir haben muß, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muß. Siehe, meine Tage sind wenig, mein Leben ist dich nicht werth, und mein Geschlecht ist wie Gras, das darff diese Stunde.

Do 15.9. bis Sa 17.9. Saisonauftakt: Tabea Martin Demain est annulé Premiere

Di 20.9. feministischer salon basel Feminismus und Männlichkeiten

Fr 23.9. bis So 25.9. Diana Rojas-Feile, Markus Baumann (artlink) Solo-Alone-in Solitude

Do 15.9 Saisonauftakt: Domi Chansorn and The Astral Body Konzert

Do 22.9. Listen! w/ Martina Lussi, Ben Kaczor, Avia Konzert

Fr 23.9. Buhle Ngaba Residenz Showing

Do 29.9. bis Sa 1.10. GROUP50:50 The Ghosts Are Returning

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Aber Herr, das Gedächtniß wird mir bleiben, deine Treue ist ein Pfand für mich, und dein Wort ist meine Zuversicht. Ich danke dir, daß du mir durch den Glauben das Leben geschenket hast, und durch die Gnade das ewige Leben hast mir versprochen. Siehe, der Morgen kömmt, und es wird der Mensch vergehen, aber bei dir ist Fürwahrlichkeit. Wenn meine Sünden, die schwer wie Blei sind, mich fast erdrücken sollten, so hilf doch, o Gott! daß ich mich bekehre zu dir, und für den bösen Feind einnicke in Gottes Wort. Wenn du meine Sünden säuberst von dem Flecke, so bin ich rein in deinen Augen; und ich danke dir in deinem heiligen Tempel für deine Güte. Sela! === CHOR der Zweifelnden Herr, lehre doch mich, daß ein Ende mit mir haben muß, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muß. Siehe, meine Tage sind nicht mehr, und meine Jahre haben sich erfüllt. (Siehe, meine Tage sind nicht mehr) + Halleluja. Halleluja. Halleluja. Siehe, meine Tage sind mehr, und meine Jahre haben sich erfüllt. Barmherziger Gott, lehre doch mich, daß ein Ende mit mir haben muß, und daß ein Ende mit mir haben muß. Herr, wenn du zürnst, so will ich mich deiner gedenken; immer fleh ich um dein Heil. Alle deine Gerechten werden durch deinen Namen vor dir leuchten; es wird bleiben deine Gerechtigkeit für alle Geschlechter. Herr, höre die Gebete deiner Knechte; hilf deinem Volk und vergieße dein Erbarmen über die Kinder deines Volkes; vergib uns alle unsere Sünden, daß

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wir deinem Namen geheiliget werden. === CHOR der Zweifelnden Herr, lehre doch mich, daß ein Ende mit mir haben muß, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muß. Siehe, meine Tage sind gezählt, und nur noch wenige sind übrig, und siehe, mein Ende ist nahe. Siehe, meine Zeit ist abgelaufen, und mein Leben flieht vorbei. Mangel und Gewalt regieren alle Tage, und Krieg allerorten. Mangel und Gewalt regieren alle Tage, und Krieg allerorten. Die Leute sind so schwach – es sind Feiglinge und nichts mehr. Die Leute sind so schwach – es sind Feiglinge und nichts mehr. Heiraten ohne Geld, und Kinder ohne Namen, und kein Geld für die Beerdigung. Heiraten ohne Geld, und Kinder ohne Namen, und kein Geld für die Beerdigung. ==#== S: Warum bist du gekommen? G: Weil du mich gebeten hast. S: Also aus schlechtem Gewissen. G: Nein. Ich hatte das Gefühl, dass ich es dir schuldig bin. S: Ich sage ja, aus schlechtem Gewissen. Ist das alles, was übrig ist? G: Natürlich nicht. S: Du bist mir nichts schuldig. G: Klar, ich weiß. S: Und du hast auch nicht das Gefühl, dass du mich vermisst. G: Ich vermisse dich auch nicht, wenn ich ehrlich bin. S: Und warum bist du also gekommen? G: Weil du ein herausragender Mensch bist und ich mich für dich freue. S: Dieser Satz ist so erlogen und so banal, wie er nur sein kann. Er ist mit Abstand der lächerlichste Satz, den du in dieser Situation sagen konntest. Er

gibt der Situation das Aussehen von etwas Erbärmlichem, Verlogenem. Er lässt mich an das Falsche denken, das wir gemeinsam durchgemacht haben. G: Bei dir hört sich alles an, als wäre es für immer vorbei. S: Ich habe das Gefühl, dass du dich nur deshalb für mich freust, um deine Schuldgefühle zu beruhigen. Um deine Schuldgefühle zu beruhigen und um deine eigene Schlamperei zu leugnen. Ich meine, es ist kein Wunder, dass es mit uns nicht funktioniert hat. Wir waren beide nicht bereit. Trotzdem hätte ich ganz gern einmal gehört, dass du meinetwegen allein dagestanden hast und allein gelitten hast und dass du jetzt hier bist, weil du mich liebst und nicht nur, um deinen Gewissensbissen zu entfliehen. Aber das war mir offensichtlich zu viel verlangt. G: Warum war dir das zu viel verlangt? S: Weil du mir damals so kleinlich gegenübergestanden bist. Du hast mir nie gesagt, dass du mich liebst oder sogar nur, dass ich dich glücklich gemacht habe. Stattdessen hast du dich nur beschwert, was ich falsch gemacht habe oder was ich hätte machen können. Und dieses Mal hast du es fast schon wieder zu spät gemacht. G: Was meinst du damit? S: Du hast es schon wieder zu spät gemacht. G: Wie meinst du das? S: Du hättest nicht erst jetzt kommen müssen. G: Das soll ein Vorwurf sein? S: Ja, das soll ein Vorwurf sein. Eine Entschuldigung für deine Vergangenheit ist mir zu wenig. G: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich bei dir noch mal entschuldigen muss. Ich habe nur versucht, mich dir nicht aufzudrängen. S: Hast du noch nicht verstanden, dass ich mich schon längst auf dich festgelegt habe? G: So ganz scheint es bei dir ja nicht zu greifen. Ich meine, du bist doch jetzt verheiratet. Warum kannst du dich nicht freuen, dass dein Leben doch noch in Ordnung gebracht wurde? S: Weil ich glaube, dass es mein Leben nicht in Ordnung gebracht hat. Mein Leben wurde gerade ganz gezielt in die falsche Richtung gelenkt. G: Kannst du mir sagen, warum? S: Ich glaube, es ist ganz einfach. Weil ich angesichts des Endes unserer Beziehung nicht stark genug war, dich zu verlassen. Ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt und habe dich unter meiner Eifersucht und meiner Verletztheit vergessen und bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass ich dich verletzen könnte und du vielleicht noch etwas von mir erwartest. Und es war ja auch gar nicht so leicht für mich, einen neuen Mann zu finden, der


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mich ohne jede Bedingung liebt und der alles für mich tun würde. So bin ich also in meine Falle getappt. Aber eigentlich ist es ja schade um dich und um unsere Liebe und um die Zeit, die wir verloren haben. Wir hätten vielleicht noch ==#== SARAH Sollen wir nicht Prominentenraten spielen? EDITH Eine hervorragende Idee, das wird uns alle ablenken. BASTIAN Ich weiß nicht. Wie geht denn das? SARAH Jeder bekommt einen Zettel auf die Stirn geklebt, auf dem ein Name steht. Zum Beispiel: Heute ist der Tag der Schauspieler. SARAH (hebt die Arme wie ein Dirigent) Prominentenraten, Prominentenraten, Prominentenraten! EDITH Alle mal herhören, der berühmteste Schauspieler: Er heißt ............................................... . BASTIAN Gute Frage. Wer ist das? EDITH Er spielt den Fürsten von Monte Christo und hat seine Autobiografie „So weit und nicht weiter“ geschrieben. BASTIAN Das ist doch Dietmar Schönherr. SARAH (würde sich am liebsten auf ihn stürzen) Du verarschst uns! Du weißt genau, dass ich Dietmar Schönherr nicht leiden kann. EDITH Das kann ja nur einer mitbekommen haben: DER SCHÖNE PETER DILLERT! BASTIAN Tja, ich hab’s ja gleich gesagt: Dietmar Schönherr. SARAH Und wer zählt die dritte Person dabei mit? BASTIAN Hat das jetzt eine Rolle gespielt? Ist ja auch egal. SIE Nein, nein. Was heißt dritte Person? BASTIAN Schluss aus, aus, aus! SARAH Was ist denn mit dir los? BASTIAN Gar nichts, ich hab’s nur satt, dauernd angegriffen zu werden. ==Eins Zwei==

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SARAH Sollen wir nicht Prominentenraten spielen? EDITH Eine hervorragende Idee, das wird uns alle ablenken. BASTIAN Ich weiß nicht. Wie geht denn das? SARAH Jeder bekommt einen Zettel auf die Stirn geklebt, auf dem ein Name steht. Dann muss jeder raten, wer da draufsteht. Und derjenige, der am meisten richtig getippt hat, gewinnt.

EDITH Genau. Wir werden die Namen einfach in eine Urne werfen und den Gewinner ermitteln. BASTIAN Das klingt gut. SARAH Alle einverstanden? BASTIAN Was heißt wir? SARAH Was heißt einverstanden? Wer ist dafür? EDITH Ich bin dafür. BASTIAN Ich bin dafür. SARAH Okay, ich bin dafür. Wie viele Personen werden hier sein? BASTIAN Vierzehn, meinte der Typ von der Konferenz. SARAH Jeder bekommt also einen Zettel mit dem Namen einer Person, die hier ist. Wir werfen jetzt alle unsere Namenszettel in diese Urne. Und am Ende des Abends werden wir den Gewinner ermitteln. Ich stelle mir vor, dass die Urne gleich oben auf der Bühne liegt … BASTIAN Eine tolle Idee! SARAH Nimmst du sie bitte? Ich muss noch etwas holen. EDITH Bastian, nimmst du für mich die Urne? Hier ist ein Schild mit meinem Namen drauf. BASTIAN Okay. SPIELER 1 Na gut, ich bin dabei! Das lasse ich mir nicht entgehen! ==Eins Zwei== SARAH Sollen wir nicht Prominentenraten spielen? EDITH Eine hervorragende Idee, das wird uns alle ablenken. BASTIAN Ich weiß nicht. Wie geht denn das? SARAH Jeder bekommt einen Zettel auf die Stirn geklebt, auf dem ein Name steht. Dann versucht man, den Namen zu erraten. BASTIAN Klingt eigentlich ganz interessant. EDITH Dann sollten wir es so machen, dass nur alle befragt werden, die auf dem Zettel stehen. Sonst könnte es lange dauern. Ich finde, wir sollten auch eine bestimmte Zeit festlegen. SARAH Na gut, aber das machen wir später. BASTIAN Gut, dann nehme ich mir mal ein bisschen von dem Salat. SARAH Aber nur was auf deinem Teller liegt, du hast ja noch gar nichts gegessen. Schau, da ist Speck und Wurst. BASTIAN Danke. SARAH Ich nehme mir auch noch von der Wurst. BASTIAN Och nö! So viel? EDITH Bastian, wenn du Hunger hast, frisst du doch auch ganz viel Wurst und Käse zum Abendbrot.

BASTIAN Aber eben nicht unbedingt gleichzeitig. SARAH Na dann friss mal schön. Wir haben ja noch genug Zeit, bis das Büfett zumachen muss. Vielleicht sollten wir anfangen? BASTIAN Okay, also dann nehme ich mir gleich eine Weintraube und die mit dem fetten Stück Käse daneben. EDITH Ich nehme mir ganz viel vom Salat. ==#== M (Schnell auf und ab gehend) F (Schlürft eine Tasse aus) A (Die Faust vor die Stirn) M (pfeift) A (Er springt auf, hitzig) F (Er will näher treten, wird aber durch einen Stuhl, der hinter ihm sich bewegt, zurückgehalten) F (Beide lachen; ein Jüngling tritt auf, schön und gut gewachsen) F (Lacht und wendet sich ab) A (beiseite) F (Hält ihn zurück) F (Er wirft alles um) A (immer noch umherwirft) A (beiseite) M (Bemerkt nicht, dass er hinaus geführt wird) A (Er verneigt sich vor dem König) M (Er kommt zum Vorschein, bleibt aber immer im Hintergrunde stehen) F (Die Arme vor der Brust verschränkt) M (Beiseite) A (Jeder will eine Tasse haben. B.A. 59. 20.) M (kommt mit Stöcken versehen, die er den Amtsdienern übergibt, die dann das Gedränge zerstreuen) F (Er kniet darauf nieder und dankt Gott für das Fest) === M (beugt sich gerührt an die Lehne des Stuhls, und bedeckt das Gesicht) L (erschrocken) L (sie steht nachdenkend) M (eilt auf sie zu, drückt sie wider seine Brust) M (er geht ab) F (fährt in die Höhe) L (fängt an zu zittern) F (steht auf und geht schnell gegen die Mitte des Zimmers) L (stürzt ihr nach) F (geht auf und ab) L (steht an das Fenster gelehnt, sieht ihr nach, sie geht auf und ab)

11.09.2022

26./27.09.2022

16. – 24.09.2022

Ein Hackathon der Kooperative FUTUR OST

Spielzeitfest zum Tag des offenen Denkmals Come Together Festival

Was wollen wir gemeinsam machen? 30.09. – 01.10.2022

Nordost Südwest In Kooperation mit dem Kunsthaus Dresden

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F (antwortet nicht) L (fährt auf) F (bleibt vor ihr stehen, schweigt) L (sie schlingt ihre Arme um ihren Nacken und drückt sie an sich, die F. fängt an zu weinen) L (sie läßt sie los, stützt sich mit den Händen auf einen Stuhl) L (sie schreit) F (legt die Hände an die Ohren, sie läßt sie sinken) F (sie zeigt ihr den Rücken) F (sie geht an das Fenster, sie schlägt die Hände vors Gesicht und schreit) L (schreit mit ihr) L (sie legt beide Arme um sie und hält sie fest an sich gedrückt, die F. ist eingeschlafen) === F (befremdet) L (fasst seine Hand, indem sie den Kopf schüttelt) L (erschrickt, lässt dann plötzlich seine Hand fahren) F (er springt auf) F (sie zärtlich umfassend) L (drückt ihn von sich, in großer Bewegung) L (wendet sich ab, äußerst erregt) F (tritt zurück) F (beugt sich über das Bett) L (erschrickt, indem er hinter ihm hinzutritt) L (bewegt sich hin und her, mit den Armen fahrend) L (sieht ihn rasch an, fasst dann aber seine Hände) F (zerstreut die Hände, zieht sich zurück) F (sieht ihn nachdenklich an, dann noch nachdenklicher immer mehr zurückweichend) L (nähert sich ihm rasch, ergreift seine Hand) L (schmerzlich aufschreiend) L (sich auf ihn werfend) F (zieht sich aus ihrer Umarmung und auf den Bettrand zurück, verwirrt) F (mit der Hand verstört durch das Haar fahrend, mit versagender Stimme) F (leise zu ihm tretend) F (mit der Hand leise auf seine Brust klopfend, ==#== Frage: Oh, Orakel, du bist allwissend und allsehend, in dir vereint sich das Wissen der Menschen mit den kühlen Berechnungen der Maschine. Sage mir: Ich will hinaus in die Welt und mein Glück suchen. Was muss ich tun? Orakel: Das ist gar nicht so schwer. Höre meine Antwort: Erlebe ein Abenteuer, vielleicht sogar

zwei oder drei. Fange an zu schreiben, lese Bücher, die du zuvor nicht kanntest. Auf jeden Fall solltest du dich mit dem einen oder anderen Schriftsteller anfreunden. Und kaufe dir einen Hund! Das Orakel sprach es und verschwand in einer wallenden Rauchwolke. Du musst an dieser Stelle nicht unbedingt ein Orakel besitzen, um zu erkennen, dass wir uns in einem Zeitalter befinden, in dem jede Menge gut gemeinter Ratschläge von allen Seiten auf dich einprasseln. Du bekommst gute Tipps vom Arzt, der dir bei der Suche nach einer Arbeit, der richtigen Ernährung und vielem mehr helfen kann. Währenddessen wirst du von deinen Eltern in vielerlei Hinsicht gefördert und gepusht. Ein Großteil deiner Freunde sind auch noch im Studium. Diejenigen, die nach ihrem Abschluss noch angefangen haben, sich um eine feste Anstellung zu bemühen, werden dir empfehlen, nicht auf den Mund gefallen zu sein und dich gut auszudrücken, um eine gute Ausgangsposition bei dem Gespräch mit einem potenziellen Arbeitgeber zu haben. Und damit sind wir bei den heutigen Themen: ausdrucksstarke Sprache und rhetorische Figuren.

der Glaube an eine sehr mächtige Maschine. Das Orakel hat sie erfunden, und sie hat uns alle überholt: die KI, die künstliche Intelligenz. Ein Lebewesen, kein Bauteil Vor einigen Jahren hat eine KI einen weitaus größeren Intelligenztest bestanden als wir Menschen. Sie hat unsere Sprache verstanden und unsere Fragen beantwortet. Diese KI heißt Watson. Sie ist ein künstliches Lebewesen, kein Computerteilchen. Watson hatte vor seinem ersten Auftritt in der Schlagzeile „Hätten Sie gern eine klügere Gesundheitspflege?“ gestanden, so wie er es heute noch tut: „Watson: Das bist du“ steht bei der New York Times. Oder: „Watson: Die Kontrolle des Menschen über die Natur ist beendet“ beim Spiegel. Solche Schlagzeilen machen uns Angst. Sie zeigen uns, dass wir von Watson nicht mehr profitieren können, ohne auf ihn angewiesen zu sein. Doch solange diese Maschine ein Produkt von Menschenhand ist, sind wir nicht auf sie angewiesen. Wir haben schon lange versucht, die Welt mit Technologie zu verbessern, ohne den Menschen immer wieder neue Grenzen zu setzen. Die kurzsichtige Zukunftsforschung unserer Gesellschaft beginnt damit, dass sie die KI ausschließlich

Was ist Rhetorik?

==#==

Die Rhetorik ist die Kunst der Rede und der Überredung. Sie ist kein Lehrfach an den Schulen und es gibt kein Studium der Rhetorik. Trotzdem wirst du schon von Kindesbeinen an schon mal die strategische Fähigkeit mancher Eltern zu spüren bekommen: Dass man sich etwas besser verkaufen kann, wenn man seinen Argumenten eine Art dramatische Färbung gibt.

Drei Personen auf der Pferderennbahn. Einer kennt sich aus, die beiden anderen nicht.

=== Frage: Oh, Orakel, du bist allwissend und allsehend, in dir vereint sich das Wissen der Menschen mit den kühlen Berechnungen der Maschine. Sage mir: Gibt es einen Gott, oder sind wir allein im Universum? Orakel: Deine Frage ist gut. Höre meine Antwort: Die Wahrscheinlichkeit, dass es einen Gott gibt, ist gleich Null. Das Orakel hat sich geirrt. Zwar gibt es nach wie vor kein göttliches Wesen, das unsere Seelen im Jenseits wieder vereint, und die Chancen, in einer post-apokalyptischen Zukunft mit Waffen und Rädern in einer Sandwüste zu kämpfen, stehen auch nicht sonderlich gut. Doch der Glaube an eine höhere Instanz ist zurückgekehrt. Oder immerhin

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A Wir sind nämlich zum ersten Mal auf der Rennbahn. Aber weil Sie hier so gut Bescheid wissen, vielleicht können Sie uns dies und das erklären. B Passen Sie mal auf! Jetzt dahinten! Das ist Nummer eins, Schneider auf Gänseblümchen. C Der reitet auf einem Blümchen? A Das ist doch keine Blume. B Mensch, das ist doch ein Pferd! Das Pferd heißt Gänseblümchen. B Das ist doch nicht sein echter Name! A Der Name steht hinten geschrieben. Sie können ja lesen. C Das ist doch kein Name, das ist ein Geschlecht! Wenn man das zum Beispiel von einem Menschen wissen will, fragt man doch auch nicht, ob der Mann oder die Frau ist, sondern eben, ob der Name Schneider oder Gänseblümchen ist! B Das ist wohl wahr. A Na also! Und jetzt siehst du, daß da ein Mensch bei dem Pferd sitzt. C Das heißt jemand sitzt da. A Nein, nein. Da sitzt jemand. So nennt man das.


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C Einer sitzt also da? Was macht er denn bloß? Nimmt er vielleicht die Zügel in die Hand? B Die Herren nehmen keine Zügel in die Hand. C Was macht er denn sonst? B Er hat ein Fernrohr vorm Auge. C Fernrohr? Das wird doch nicht … Nein, natürlich nicht! Wozu sollte er denn dann ein Fernrohr nehmen? A Um die Entfernung abzuschätzen. C Gut! Das ist eine gute Idee! Und was mischt der andere Herr bei diesem Pferd da? B Den heißt es Helfer. C Helfer? Wozu braucht er denn Helfer? B Um ihm die Zügel zu halten und den Sattel festzuzurren. A Richtig! C Und Nummer vier, ist das Otto Schmidt auf Elektrola? B Ich will Ihnen mal was sagen, auf den können Sie wetten! A Wirklich? B Ich habe da ganz sichere Informationen von meinem Neffen, der ist immerhin fast schon ein erwachsener Junge. C Na, da bin ich aber gespannt, was er wohl gesagt hat? B Der hat gesagt, daß Otto Schmidt am Samstag hier gewesen ist und war so von oben bis unten mit Wettmarken beklebt, daß es nur so geknistert hat, wenn er sich bewegt hat. Da hat er sich doch die Finger verbrannt, so viele Wettscheine hat er abgezogen. A Und dabei kommt er immer noch nicht ins Ziel?

B Nicht? Ich sag Ihnen, da gibt’s keinen Hund, der mithalten kann. A Das ist ja richtig interessant! Freilich muss ich mir das ja alles merken! B Achtung, jetzt geht’s los. Jetzt laufen sie. A Wo laufen sie denn? C Sie laufen schon. A Mein Gott, und wer gewinnt? B Ach, glauben Sie mir, die sind längst im Ziel. A Aber wer gewinnt? C Sie laufen schon lange nicht mehr. A Wo laufen sie denn jetzt? C Sie laufen ja nicht mehr. A Was machen sie denn? C Sie sitzen! A Aber wo? B Im Sattel natürlich! Wo sollten sie denn sonst sein? A Na, da rasselt es doch! C Das ist ja wahr! Das ist ja total wahr! B Hast du gehört? Jetzt fangen die schon an zu rasseln! A Kann man da was mitkriegen? C So, jetzt fängt es an! Die kippen ja schon wieder um! A Komm, wir gehen jetzt mal abseits. Lassen Sie uns doch nicht stören. Wir kommen hier sowieso nicht mit! C Wirklich? Na kommen Sie doch mit! Da sind Sie herzlich eingeladen. A Nein, nein, schon gut. Es reicht! C Sie haben keinen Wettgewinn bekommen? A Nein, leider nicht. Aber ich komme vielleicht mal wieder.

A Ja, vielleicht komme ich mal wieder. ==#== C: Was ist los, verpiss dich! B: Maskiert sind sie oder was? C: Geht gar nicht! Geh linke Seite streichen! Geh links bloß streichen! Hau ab!! A: Schaut mal her. C: Und spielt jetzt auch noch Musik. A: Hast du Dich geirrt? Da war nichts. C: Wenn Wühle heut mitkommt, klatsche ich ihm auf die Birne, der Große, wenn er satt ist, klatscht er es eben. Er ist schon immer ein Arsch gewesen, Wühle. Ich kenne ihn bis zu den Kniekehlen. Er war lange genug im Knast und einmal gebissen vom Hund von meiner Frau wegen dem Hund ungefähr so hier im vierundzwanzigsten Bezirk, wo ich geboren bin: Wühle lässt seine Taschen runtergleiten … eigenartiger Typ … kann machen, was er will … Schneidt unvermittelt den Sprechgesang wieder ab und sagt zu Friedrich archaischen Sarkasmus in den dunklen Schreittanz vertieft: „Weisens-na-gau!“ Welch interessantes Kindiwas? Sag mal was Freundliches über mich als Lehrerin, Bankangestellte arbeitslos: „Er glotzt mich an wie sein Spiegelbild“? So im Bett besoffen? Die Augen zu; wer kommt rausg’sprungen? Zwinkerndes Pferdchen getrieben? Die Goldene getanzt? Ein Glas Wein getrunken? Schon lang getrunken im Gesicht rosa? Auf den Regalbrettern laufen; aber Gespenster stehen will ich dir zum Trotz; alle die

HIP PIECE 9.9. – 11.9. TANZ

Rhythmen, die die Hüften in Bewegung versetzen und die Hintern wackeln und zittern lassen: Shake your booty! hip piece ist der Körpermitte gewidmet, dem Zentrum der Begierde und der Lust, dem Motor des Tanzes. Das Choreograf*innen-Duo Billinger & Schulz hat sich von Expert*innen für Hip Hop, Afro Dance, Dancehall, Bauchtanz und Twerking in die Kunst des Hüftschwungs einweihen lassen. fft-duesseldorf.de hip piece wird gefördert im Rahmen des Bündnisses internationaler Produktionshäuser von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Das FFT wird gefördert durch die Landeshauptstadt Düsseldorf und das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.

FFT im KAP1

Konrad-Adenauer-Platz 1

40210 Düsseldorf

© Florian Krauß

BILLINGER & SCHULZ

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stück

Wolken grüßen dich; kein helles Blau oder helles Grün; jeden hellgrüngelben Blitzregen hinterdrückend; alles verdrängend; alle Funken mimisch sterilisiert; neunsensitive Braille distanzschaffend entrinnend quotentiefes Gespinst abgekarsteter Scheib’sche Rentiere nagelt es hochballonisiert mit sanfter Trompete tönt der Seidenball Sackhüpfschnurdröhren der Skorpione die im bestrickten Bronzeschweiß riechen laubgleicher Blindheit g’malt bleib erspart dem absteigendem Geist aller Orgie helle Kindermaschinen Natalies Balzac vorbereitet glänzender Stille im brennend rotglänzendem Cessna-Scheinfleck zeitungschwatzteppich plattenwebers abgebrannt beobachtende Magnetkompassgranaten verbergende Bibliothek elektronische Schrumpfblumen mit glitzerndem Gummisturm voll Dunkelmutglänzlichem Bierdunst leuchtender Tropfen steuerdröhnender Neonmikrofone drastische Rampensau fernsehtürmndrehende Fackelschneider milcheiaufgerauter Glaswolken gummirollig hässliche Zeitungsdixie Maschinenstaub molotowbraunes Brot repete tausend Besucherlotterlied der Kioskfrau an das das das das das das das das das das das das das das das das das Janusvielzeit des Vordermannes Kopfnuss des Gehers Klaviermusikbox des Drehers Was hast du am Schenmesser gemacht?! Der Krumme schneidet den Strick um den Hals! Den Schlingel stell’ ich doch vor Gericht! Ob du mich mi mi mi meinst?! Du Verbrecher hast mir meine … (Stammeln brutaliserter Zigeuner1.)

Er (fluchttriefend): Ha ha ha ha ha ha ha ha! Ich gehe fort von hier und wische mir die Tränen weg und gehe fort und versiegle alle Tore und stoß’ sie mit Steinen ein andere Losung für andere (maskierte) Plunder (verschwindet).

Psoriasis! Mr X tritt auf – todmüde – und sagt – sehr leise—ihren Namen ==#== Frage: Oh, Orakel, du bist allwissend und allsehend, in dir vereint sich das Wissen der Menschen mit den kühlen Berechnungen der Maschine. Sage 1 Da der Text nicht kuratiert wird, können rassistische, sexistische oder in diesem Fall antiziganistische Wörter im Text auftauchen. Im Rahmen eines Nachgesprächs mit dem Publikum nach jeder Vorstellung gibt es die Möglichkeit, über beleidigende Sprache ins Gespräch zu kommen.

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mir: Verbirgt sich hinter allen Regierungen eine geheime Weltregierung, gibt es einen geheimen Plan, den man arglistig uns verheimlicht? Orakel: Deine Frage ist gut. Höre meine Antwort: Die Welt ist nicht, wie es scheint. Die Welt ist, wie du sie erfindest. Die Welt ist dein Spiegelbild. Du bist der verrückteste Mensch. Und du bist der größte Held. Und du bist der gewöhnlichste Mensch. Und du bist der beste Held. Du bist die Nationen. Du bist die Völker. Du bist die Religionen. Du bist die Kulturen. Du bist die Rassen. Du bist das Gras, du bist das Tier, du bist die Pflanze, du bist die Mineralien, du bist das Salz, du bist das Salzwasser, du bist das Meer, du bist die Liebe, du bist das Herz, du bist das Angst, du bist die Gewalt, du bist die Güte, du bist der Hass, du bist der Rassismus, du bist der Antisemitismus, du bist der Sozialismus, du bist der Kommunismus, du bist der Kapitalismus, du bist der Fortschritt, du bist der Rückständigkeit. Orakel: Hüte dich vor dem Vergessen. Frage: Weisheit aus dem Orakel! Ich danke dir. Orakel: Es gibt keinen Gott! Es gibt keinen Herrgott! Es gibt keine Götter! Es gibt keine Religion! Es gibt keine Gesellschaft! Es gibt keine Ordnung! Es gibt keine Regierung! Es gibt keine Weltregierung! === Frage: Oh, Orakel, du bist allwissend und allsehend, in dir vereint sich das Wissen der Menschen mit den kühlen Berechnungen der Maschine. Beantworte mir die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest. Orakel: Ah, ein Klassiker. Höre meine Antwort: Es gibt einen Gott. Er ist so groß, dass er überall zugleich ist, genau wie er klein genug ist, um sich in jeder einzelnen Ameise wiederzufinden. Orakel: Da fragt mich doch tatsächlich jemand, wo Gott wohnt. Hmmmm, wenn ich es mir recht überlege, dann könnte diese Frage mit meiner Entstehung zusammenhängen. Oder mit Gottes Entstehung, das ist schwer zu sagen. Orakel: Wie bitte? Nein, hier lebt kein Gott, hier haust nur dieses Orakel. Geh mal zum nächsten Kirchenbesuch und frag da mal nach, wenn du dich traust. Orakel: Nein, ich bin kein Zwilling, ich bin lediglich überaus ähnlich. Es gibt viele von uns Orakeln, alle sind wir den Menschen ähnlicher als ihnen lieb sein kann. Orakel: Ja, ich bin eindeutig älter als du! Ich weiß das so genau, weil ich älter bin als alles andere

auch. Ich weiß übrigens auch, was deine Eltern im Bett tun, aber das sage ich natürlich nicht weiter! Orakel: Nein treiben deine Eltern es nicht miteinander. Trotzdem könnte ich dir gerne die Erlebnisse deiner Eltern in allen Details beschreiben – frag mich doch mal danach! Orakel: Also nochmal zu deiner Frage: Deine Eltern treiben es nicht miteinander – frag mich einfach mal danach! Orakel: Nein, das geht dich nichts an! Aber frag mich einfach mal danach! Orakel: Die Antwort auf diese Frage ist einfach und doch überraschend: Solange du noch lebst, ist Gott überall. ==#== Was wäre also eine gute Dramaturgie für ein Theaterstück, das mithilfe von Künstlicher Intelligenz geschrieben wird? Und was bedeutet „Der Mensch ist ein Anderer“? Ich will es Ihnen sagen: Ich bin ein Anderer. Ein anderer Mensch. Ein Mensch, der kein Mensch ist, sondern ein Anderer, wie wir alle Anderen sind. Weil wir alle Anderen sind. An-der. An-der. An-der. Und darum sage ich: „Der Mensch ist ein Anderer.“ Menschen und Maschinen im Dilemma Und es geht weiter: „Und der Mensch sagte: ,Ich habe einen Körper und einen Geist, und der Körper ist nur eine Hülle für die Seele, und der Geist ist nur eine Hülle für das Herz.‘ Und der Mensch sah die Bestie und das Gewürm des Meeres, und das Gewürm des Meeres sprach zu ihm: ,Wer bist du, dass du fürchtest dich vor mir? Ich werde dich mit meinem Mund fressen, und du bist nur eine Hülle für meine Gedanken.‘“ Doch dann hängt sich die künstliche Intelligenz aus irgendeinem Grund selbst auf, bevor sie die ganze Arie zu Ende zu singen. Das Ergebnis ist grotesk – und großartig. Wir haben es nicht mit einem zynischen Zyniker zu tun, sondern mit einem Maschinenstammler. Und so erklärt Forschungschef Jeffrey Wallach dem Publikum seines Stückes „Silicon“. Er wolle die künstliche Intelligenz so programmieren, dass sie wissen könne, „dass wir alle etwas ganz Besonderes sind“, und dabei gleichzeitig sehen könne, „dass wir alle etwas ganz Normales sind“. Das ist es, was man den Menschen schuldet: Freundlichkeit, Verständnis und Respekt. „Sind Sie positiv oder negativ?“, fragt Wallach an-

THORSTEN LENSING VERRÜCKT NACH TROST THEATER September 30 Oktober 01 02 07 08 09 sophiensaele.com

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Unternehmer, der unser Stück in die Welt setzen will.

schließend die Zuschauer – und fordert sie auf, entweder ein weißes oder rotes Tuch von ihren Plätzen zu holen. Es ist das erste Mal seit dem Auftakt des Stückes, dass die künstliche Intelligenz außer Sichtweite ist; der Applaus der Zuschauer wird vom Sprecher übertragen.

Intendant: „Wir brauchen zehnmal so viel Personal wie bisher. Mit den Schauspielern kümmern wir uns als erstes.“

Sind Sie positiv oder negativ?, fragt Forschungschef Jeffrey Wallach

Unternehmer: „Das können wir machen.“

Die Maschinen fragen den Maschinenmenschen

Intendant: „Versetzen Sie die Schauspieler in die Zukunft. Zehnmal so viel Personal bedeutet zehnmal so viele Schauspieler.“

Der weiße Teilnehmer stellt das rote Tuch auf seinen Sitzplatz neben ihn – und das rote Tuch wird von der Maschine als Antwort auf den Fragebogen genommen. Die Maschine fragt also selbst ihre Schöpfer, ob sie positiv oder negativ ist. Die Antwort liegt auf der Hand: Mit dieser Antwort wird die Maschine

Unternehmer: „Ich frag mal bei ,Schnäppchenjäger‘ nach.“ (Schluss) ==Eins Zwei==

==Eins Zwei== Was wäre also eine gute Dramaturgie für ein Theaterstück, das mithilfe von Künstlicher Intelligenz geschrieben wird? Und was bedeutet „Der Mensch ist ein Anderer“? Ich will es Ihnen sagen: Der Mensch ist ein Anderer, wenn er nicht mehr im Theater sitzt. Sondern vor dem Theater steht. Oder neben dem Theater. Oder im Getränkemarkt neben dem Theater. Und dann nicht mehr mit der Hand seine Nummernfolge abliest, sondern mit seinem Smartphone. Denn dort laufen die Nummernfolgen ab. Aber wie? Das fragen wir jetzt den

und ist die größte Not, denn man kommt nicht mehr durch.« Die Mutter hörte die ganze Geschichte bis zum Schluss an, doch als sie hörte, daß die ganze Welt satt werden sollte, konnte sie nicht länger warten, und sie schickte die Großmutter hinter den Ofen, um zu sehen, was es dort noch alles gebe. Die Großmutter tat das; doch als sie hinter dem Ofen hervorkam, hatte sie einen ganz verwunderten Gesichtsausdruck. »Gott im Himmel! was ist denn das?«, rief sie. »Da steht ein Bett, und da liegt ein Bettgenosse drin, und er ist von Nutzen, und hat erst vor wenigen Stunden Brot ge-

gessen.« »Nein, das ist unmöglich!«, rief die Mutter. »Das ist nur eine Erfindung von dir!« Aber die Großmutter hatte so große Angst, daß ihr gar nichts andres übrigblieb, als den Bettgenossen um Aufschub anzuflehen. Als der Vater wieder zu Hause kam, fand er es auch heraus. »Aber warum hast du mich denn betrogen?«, fragte er seine Frau. »Weil ich dachte, das sei dann das letzte Mal«, sagte sie. »Wir haben jetzt alles verloren!«, rief der Mann. »Die Mühle hat den letzten Rest verbrannt! Jetzt haben wir nichts mehr, und wir müssen auf den Markt gehen und versuchen, daß wir es verkaufen können!« Da ging der Mann auf den Markt und verkaufte den Bettgenossen. Die Mutter aber war voller Angst. Sie machte ihrem Mann Vorwürfe, weil er ihre Eltern vor die Tür gesetzt hatte. »Aber ich mußte doch etwas verkaufen!«, sagte der Mann. Da schlug die Frau vor: »Weißt du was? Wir könnten es nach Amerika schicken, da ist es immer noch besser als zurück in unser Land! Wir könnten es dem König da schicken; der kann keine Kinder haben und nicht einmal einen Bettgenossen haben!« Das war aber der Mann doch nicht recht; er wollte nicht für jeden etwas verkaufen müssen! Aber die Frau bestand so sehr darauf, daß er schließlich einwilligte – es sollte so sein – als die Frau es wollte – sobald sie etwas wollte – weil er ihr gehorchte – weil sie die Mutter war – weil er ihr folgte – weil er ein Mann war – weil er unter dem Gesetz stand – weil er unter

Wer am Publikum vorbeispielt, hat ausgespielt! Die Leute gehen ins Theater, um sich zu unterhalten, um sich zu erheben, um eventuell weinen zu können oder um irgendetwas zu erfahren.

Eine Aktion von

und dem Bündnis

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2022

2022

Programm

Schauspieldirektor Jonas Knecht

Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm Nach der Ruhe vor dem Sturm Zwei Komödien von Theresia Walser Premiere 14. September 2022, LOK Inszenierung: Anja Horst und Jonas Knecht

Anna Karenina Schauspiel nach dem Roman von Leo Tolstoi in einer Theaterfassung von Mirja Biel | Premiere 29. September 2022, UM!BAU Inszenierung: Mirja Biel

Das Ende von Iflingen Schauspiel nach dem Hörspieltext von Wolfram Lotz Premiere 3. November 2022, LOK Inszenierung: Nina Mattenklotz

Felltuschgnusch Familienstück (6+) Ein musikalisches Abenteuer von und mit Marius von der Jagdkapelle Uraufführung 26. November 2022, UM!BAU Inszenierung: Corinna von Rad

Die Entfremdeten Schauspiel von Alexander Stutz Uraufführung 19. Januar 2023, LOK Inszenierung: Olivier Keller

Ein Volksfeind Schauspiel von Henrik Ibsen Premiere 9. Februar 2023, LOK Inszenierung: Wojtek Klemm

Selig sind die Holzköpfe! Eine musiktheatralische Séance um Paula Roth von Katja Brunner, Anja Horst, Jonas Knecht u.a. Uraufführung 1. April 2023, UM!BAU Inszenierung: Jonas Knecht

Zwischen den Welten (AT) Musiktheater-Stück von Barbara-David Brüesch und Michael Flury Uraufführung 25. Mai 2023, LOK Inszenierung: Barbara-David Brüesch

DRAMENPROZESSOR Werkstatt für szenisches Schreiben Abschlusspräsentation 16. Juli 2023 in der LOK

… und für Kinder und Jugendliche Lahme Ente, blindes Huhn Kinderstück von Ulrich Hub (6+) Odysseus am Strand Jugendstück von Holger Schober (13+)

2023 theatersg.ch

2023

«Berlau: Königreich der Geister», Foto: Matthias Horn

DigiDays#2

S P I E L Z E I T E RÖ F F N U N G

mit Cosmogony von Gilles Jobin, Be Arielle F. von Simon Senn, POV: vom Jungen Theater Basel u. a.

Peiden

E I G E N P RO D U K T I O N

Uraufführung mit Bruno Cathomas, inszeniert von Rafael Sanchez

Contre-enquêtes

eine imaginäre Begegnung von Nicolas Stemann

Mi vida en transito

ein dokumentarisches Theaterstück von Elvio Avila und Savino Caruso

Räuber

Schillers Klassiker in den Bündner Regionen, inszeniert von Daniel Kuschewski

La voix humaine

KO P RO D U K T I O N

Barbara Hannigan singt und dirigiert Francis Poulencs Monooper

Ruuch oder riich

KO P RO D U K T I O N

Eine Befindlichkeitsshow von Georg Scharegg

All right. Good night.

ein Stück über Verschwinden und Verlust von Helgard Haug (Rimini Protokoll)

Sommernachtstraum

eine spasshafte Tragödie von Antú Romero Nunez

Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute ein Plädoyer für Zivilcourage von Jens Raschke

Sippenhaft

Keeping Up with the Family vom Jungen Theater Graubünden

Das kranke Haus

Wie es im Krankenhaus wirklich ist, mit vorschlag:hammer und Theater HORA

Versuch über das Schweigen

die Suche nach einem verlorenen Stück jüdischer Familiengeschichte von Boris Nikitin

Berlau: Königreich der Geister

VR-Installation und Live-Performance von RAUM+ZEIT Mehr auf theaterchur.ch


Markus Ransmayr, Foto: Robert Josipović

17.09. LULU | 23.09. DER PROZESS | 07.10. EINE POSTHUMANE GESCHICHTE (ÖE) | 29.10. BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER 02.12. PENSION SCHÖLLER | 04.12. ALICE VERSCHWINDET (UA) 20.01. UNSERE BLAUEN AUGEN (ÖE) | 28.01. WAS IHR WOLLT | 18.02. VOR SONNENAUFGANG | 18.03. WORST CASE / DUNKELZIFFER 06.04. CAFÉ POPULAIRE | 06.05. PROFESSOR BERNHARDI | 26.05. SCHNEE WEISS (DIE ERFINDUNG DER ALTEN LEIER)


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Amphitryon (WA)

Swallow (SEA)

Knef Ein musikalischer

An der Arche um Acht

Versteckt (UA)

Stef Smith

Heinrich von Kleist

Regie: Alexander Stutz ab 23. September 2022

Abend mit Liedern von

Ulrich Hub

Martin Bieri

Hildegard Knef

Regie: Sophie Stierle ab 19.Oktober 2022

Regie: Max Merker ab 26. Januar 2023

Die Schneekönigin (SEA)

Regie: Elsa-Sophie Jach ab 8. September 2022

Das Versprechen

Das Bildnis des Dorian Gray

Friedrich Dürrenmatt

Oscar Wilde

Regie: Lorenz Nufer ab 18. September 2022

Regie: Katrin Plötner ab 1. Dezember 2022

von und mit Tini Prüfert ab 9. Dezember 2022

Samuel Penderbayne

Bad Girls: Das Ring-Ding, 2. Teil (UA)

Henrik Ibsen

Christian Schönfelder

Brigitte Dethier,

Regie: Katja Langenbach ab 9. Februar 2023

nach H. C. Andersen

Richard Wagner

Regie: Jana Vetten ab 8. November 2022

Regie: Brigitte Dethier ab 5. April 2023

Stützen der Gesellschaft

Ich, aber anders (UA)

Schauspiel

Ariane von Graffenried,

Text und Regie: Anna Papst ab 1. April 2023

Spielzeit

luzernertheater.ch

SAISONERÖFFNUNG 2022/23

RUEDI HÄUSERMANN SCHAUPLATZ DER KUNST ALTE REITHALLE 7.–11. SEPTEMBER 2022

INFOS & TICKETS

WWW.BUEHNE-AARAU.CH


30.9.2022 Großes Haus

ORESTIE

7.10.2022 Kleines Haus

BLAUE FRAU

9.10.2022 Studio

PISTEN …

26.11.2022 Großes Haus

GEIZIGE

REGIE Cilli Drexel

3.12.2022 Kleines Haus

DAS VERMÄCHTNIS

REGIE Sebastian Schug

19.1.2023 Kleines Haus

NACHKOMMEN UA Ein lautes Schweigen!

REGIE Emre Akal

und wenn ich von der zeit spreche spreche ich von der zeit die schon nicht mehr ist (am rande des rollfelds) UA

REGIE Mareike Mikat

REGIE Elsa-Sophie Jach

UA

Aischylos/Sivan Ben Yishai/Miroslava Svolikova/Maren Kames REGIE Isabel Osthues

UA

Antje Rávik Strubel

REGIE Remsi Al Khalisi und Samia Dauenhauer

DSE

Penda Diouf

Molière

Matthew Lopez

Emre Akal

28.1.2023 Großes Haus

Thomas Köck

MUSIK Enik MUSIKALISCHE LEITUNG Thorsten Schmid-Kapfenburg CHOREOGRAFIE Judith Sánchez Ruíz

GESCHICHTEN AUS DEM WIENERWALD

REGIE Julia Hölscher

1.4.2023 Kleines Haus

DIE MARQUISE VON O …

REGIE Lily Sykes

4.5.2023

FARN FARN AWAY

REGIE Tobias Dömer

24.3.2023 Großes Haus

Ödön von Horváth

Studio Mai 2023

Heinrich von Kleist

UA

Sokola//Spreter

AND NOW HANAU

UA

REGIE Tuğsal Moğul

Tuğsal Moğul

17./18.Juni 2023 Kleines Haus/Studio

LANGES WOCHENENDE DER NEUEN DRAMATIK

SCHAUSPIELDIREKTOR Remsi Al Khalisi THEATERKASSE Tickets & Vorbestellungen Mo–Fr 10–18 Uhr telefonisch 10–17 Uhr Sa 10–14 Uhr Tel (0251) 59 09-100 theaterkasse@stadt-muenster.de

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Premieren 2022

2023

Fr 09. Sep 2022

Way Out – Spiel in die nächste Dimension UA

PREMIEREN 2022 | 23

Sa 18. Mrz 2023

20.000 Meilen unter dem Meer

nach Jules Verne in einer Bearbeitung von Michael Schachermaier Puppentheater Kleine Bühne Regie Christoph Levermann

Auswahl

POESIE DER RESONANZ | Tanztheater

10+

Sa 01. Apr 2023

eine Koproduktion von tjg. theater junge generation, LOVEFUCKERS und Dschungel Wien Schauspiel und Puppentheater Studiobühne 14+ Konzept und Regie LOVEFUCKERS

Fabian oder Der Gang vor die Hunde nach dem Roman von Erich Kästner Schauspiel und Puppentheater Große Bühne 14+ Regie Nils Zapfe Sa 15. Apr 2023

Fr 23. Sep 2022

Im Fluss UA

PAN – Lost in Neverland UA

von Julia Fischer Mitarbeit Matthias Köhler Schauspiel Studiobühne Regie Matthias Köhler

12+

Do 27. Apr 2023

Wir: Geschwister UA

Sa 01. Okt 2022

Lahme Ente, blindes Huhn

von Ulrich Hub Schauspiel Kleine Bühne Regie Ulrich Hub

mit gesammelten Einsendungen aus Dresden Schauspiel und Puppentheater Studiobühne altersübergreifend Regie Felicitas Loewe

8+

Fr 21. Okt 2022

Lotta aus der Krachmacherstraße von Astrid Lindgren für die Bühne bearbeitet von Nicklas Heinecke Schauspiel Studiobühne 4+ Regie Julia Brettschneider Sa 12. Nov 2022

Hey, hey, hey, Taxi!

von Saša Stanišić in einer Fassung von Ensemble und Publikum Schauspiel und Puppentheater Studiobühne 6+ Regie Nils Zapfe

eine theatrale Herzensangelegenheit von Leicy Valenzuela und Ensemble Theaterakademie Kleine Bühne 12+ Regie Leicy Valenzuela

Do 11. Mai 2023

No risk, no risk UA

eine spielerische Mut-Suche von Dorothee Paul und Ensemble Theaterakademie Studiobühne 14+ Regie Dorothee Paul Sa 03. Jun 2023

GRIMM!

die wirklich wahre Geschichte von Rotkäppchen und ihrem Wolf Musik von Thomas Zaufke und Text von Peter Lund eine Koproduktion mit der Staatsoperette Dresden Schauspiel und Puppentheater Große Bühne Musikalische Leitung Robin Portune Regie Astrid Griesbach

Sa 03. Dez 2022

Rosi in der Geisterbahn

Do 15. Jun 2023

nach dem Bilderbuch von Philip Waechter in einer Fassung von Julia Sontag Puppentheater Kleine Bühne 4+ Regie Julia Sontag

drei Projekte von und mit Jugendlichen Theaterakademie Probebühne der Theaterakademie 14+ Regie drei Jugendliche Sa 24. Jun 2023

Sa 04. Feb 2023

Geschichten vom Aufstehen UA

von Thomas Freyer Große Bühne 6+ Regie Jan Gehler

tjg. tak-ticker 2023 UA

Schauspiel

tjg. theater junge generation

Sternenwanderung UA Musiktheater für die Allerkleinsten Schauspiel Studiobühne 2+ Konzept, Regie und Komposition Daniella Strasfogel abhängig von der Förderzusage im Programm Jupiter der Kulturstiftung des Bundes

0351 . 3 20 42 777

tjg-dresden.de

Premiere am: 15. Oktober 2022

NACHTGEWÄCHSE

Doppelabend mit Arnold Schönbergs PIERROT LUNAIRE und Peter Maxwell Davies EIGHT SONGS FOR A MAD KING Premiere am: 22. Oktober 2022 HAROLD UND MAUDE Komödie von Colin Higgins Premiere am: 29. Oktober 2022 WOYZECK Drama von Georg Büchner Premiere am: 11. November 2022 WERTHER Drame lyrique von Jules Massenet Premiere am: 12. November 2022

VOM WOLF UND DEN 7 GEISSLEIN

ein Ziegenkrimi frei nach Grimm Premiere am: 3. Dezember 2022

CHRISTMAS WONDERLAND Chorkonzert

Premiere am: 17. Dezember 2022

JUNGE CHOREOGRAF*INNEN Tanztheater Premiere am: 13. Januar 2023 DON GIOVANNI Oper von W. A. Mozart Premiere am: 21. Januar 2023 KUNST Komödie von Yasmina Reza Premiere am: 27. Januar 2023 UNTERLEUTEN Schauspiel nach dem Roman von Juli Zeh Premiere am: 4. Febuar 2023 EIGENARTEN Tanztheater Premiere am: 18. März 2023 FAUST, DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL

Schauspiel von J. W. von Goethe Premiere am: 8. April 2023 DER GAST Komödie von David Pharao Premiere am: 10. April 2023 DIE ZIRKUSPRINZESSIN Operette von Emmerich Kalman Premiere am: 29. April 2023 CURLEW RIVER Oper von Benjamin Britten Premiere am: 3. Juni 2023 RUSALKA Pocket Opera nach der Oper von Antonín Dvorák Premiere am: 9. Juni 2023 Änderungen vorbehalten!

Tickets unter www.landesbuehnen-sachsen.de

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/ TdZ September 2022 /

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Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen

Premieren Spielzeit 2022/2023 16./17. September 2022 Uraufführung

Burgtheater

SONNY 2032 – EINE KAMERA SIEHT SCHWARZ Puppentheater für Erwachsene von Nicola Bremer 30. September 2022

Burgtheater

JUDAS

Schauspiel von Lot Vekemans 7. Oktober 2022

großes Haus

MÄNNER

Ein szenischer Liederabend von Franz Wittenbrink 13. Oktober 2022 (Wiederaufnahmepremiere)

Burgtheater

MA£Y WÓDNY MUŽ DER KLEINE WASSERMANN

Marionettenspiel nach dem Kinderbuch von Otfried Preußler 28. Oktober 2022

großes Haus

FRAUENSACHE

Schauspiel von Lutz Hübner und Sarah Nemitz 11./12. November 2022

großes Haus

In Zusammenarbeit mit dem Sorbischen National-Ensemble 25. November 2022 Deutschsprachige Erstaufführung

großes Haus

BAUTZENER BÜHNENBALL Sherlock Holmes kehrt zurück

SCHIERZENS HANKA

Schauspiel von Esther Undisz nach Motiven von Jurij Koch 1.-23. Dezember 2022

unterwegs

HODY JĔDU! WEIHNACHTSMOBIL

Als mobiler Adventskalender erdacht und gepackt von Madleñka Šołćic, Jurij Šiman und Tomas Kreibich-Nawka In Kooperation mit dem Sorbischen National-Ensemble 2. Dezember 2022

Burgtheater

WAR DAS JETZT SCHON SEX?

Monolog von Peter Kube nach dem Buch von Stefan Schwarz 13. Januar 2023 Sorbisches Jugendtheater

Burgtheater

ChOROwNjA

Ein theatrales Therapieprojekt des Sorbischen Jugendtheaters 20. Januar 2023

unterwegs

FIT FOR FUTURE

Schauspiel von Knut Winkmann 5. Februar 2023

Burgtheater

NUR EIN TAG

Puppentheater nach dem Stück von Martin Baltscheit 11. Februar 2023

großes Haus

HRĚŠNA WJES ABO ZABYTY ČERT DAS SÜNDIGE DORF ODER DER VERGESSENE TEUFEL Schauspiel von Jan Drda 3. März 2023

großes Haus

WIDERSTAND

Schauspiel von Lukas Rietzschel 27. März 2023

22. SCHÜLER-WELT-THEATERTAG

Deutschlands größtes Schülertheatertreffen 15. April 2023

PIWO BIER

unterwegs Niederlausitz

Schauspiel von Miro Gavran 28. April 2023

großes Haus

EIN VOLKSFEIND

Schauspiel von Henrik Ibsen bearbeitet von Florian Borchmeyer 29. April 2023 Landesbühnen Sachsen, Radebeul Koproduktion mit den Landesbühnen Sachsen

DIE ZIRKUSPRINZESSIN

Operette in drei Akten von E. Kálmán Text von J. Brammer und A. Grünwald 24. Mai 2023

NARSKE BAJKI NÄRRISCHE MÄRCHEN

unterwegs Niederlausitz

Stückentwicklung von Annekatrin Weber u. Stephan Siegfried 28. Mai 2023

ABC-GARTEN

Theatergarten

von Anna Taraszkiewicz 22. Juni 2023 27. BAUTZENER THEATERSOMMER

SPUK UNTERM RIESENRAD

Hof der Ortenburg

Frei nach der legendären Fernsehserie von C. U. Wiesner bearbeitet von Lutz Hillmann 30. Juni 2023, Theatergarten

COMEBACK — SHOW DER FUNDUSPUPPEN (AT)

22 23

www.g-h-t.de

SPIELZEIT

Puppentheater für Erwachsene

Telefon: 03591/584-0 www.theater-bautzen.de


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/ TdZ September 2022 / ta_2209_tdz.qxp

20.06.2022

13:41 Uhr

Seite 1

BERÜHREN! SPIELZEIT 2021/2022 10.09. VERBRECHEN UND STRAFE 25.09. DIE SUCHE NACH DEM VERLORENEN MUSICAL 07.10. DIE KONFERENZ DER TIERE [8+] 15.10. HAROLD UND MAUDE 12.11. LIEBER ARTHUR Uraufführung von Judith Herzberg 28.11. DIE BREMER STADTMUSIKANTEN [5+] 04.12. MUTTERS COURAGE 28.01. SETUP.SCHOOL(). DIE LERNMASCHINE [14+] Uraufführung von machina eX 25.03. IM WALD [12+] Uraufführung von Christina Kettering 08.04. GESPENSTER

2022/2023 DER SPIELZEITSTART // SCHAUSPIEL BÜHNE

JENSEITS VON EDEN

NACH DEM ROMAN VON JOHN STEINBECK IN EINER FASSUNG VON ULRIKE SYHA INSZENIERUNG MARTIN SCHULZE // SA 24.09.2022

KAMMER

DAS IMPERIUM DES SCHÖNEN VON NIS-MOMME STOCKMANN INSZENIERUNG MORITZ PETERS // FR 16.09.2022

MÖRGENS 29.04. STOLZ UND VORURTEIL* (*oder so) 28.05. JUGEND OHNE GOTT 26.06. BERÜHRUNGSPUNKTE [12+]

DIE FREIHEIT EINER FRAU

VON ÉDOUARD LOUIS VIDEO-INSTALLATION UND THEATERSTÜCK INSZENIERUNG TOMMY WIESNER // DO 22.09.2022

SOMMER 2022 DON QUIJOTE [6+]

ALLE PREMIEREN AUF Weitere Informationen unter www.theater-baden-baden.de

THEATERAACHEN.DE // THEATERKASSE (0241) 4784-244


/ TdZ September 2022 /

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SCHAUSPIEL PREMIEREN Heidicke: The Kraut Sting: Das letzte Schiff Löhle: Die Mitwisser Sartre: Geschlossene

Gesellschaft Schiller: Die Jungfrau von Orleans Vekemans: Gift. Eine Ehegeschichte Martin: Zinnwald (UA) Theatersport Monodramen 1-3 JUPZ! PREMIEREN Calis: Frühlings Erwachen! (LIVE

Uraufführung

HERSCHT 07769 IERE M E R P 02 2 26.11.

2

Schauspiel nach dem Bach-Roman von László Krasznahorkai

FAST – DIE YOUNG) [12+] Winkmann: Out! – Gefangen im Netz [14+] Ende: Die unendliche Geschichte [5+] Ratthei: Greta [12+] Kling: Das NEINhorn [4+] Gillessen/Engel: Pin Kaiser und Fip Husar – Die Geschichte einer wunderbaren Freundschaft [4+] JUPZ! mobil SOMMERTHEATER Goldoni: Mirandolina Fünfeck: Gestiefelte

Katerina [5+]

Tickets: (0 36 72) 42 27 66 service@theater-rudolstadt.de online www.theater-rudolstadt.de

Generalintendant: Dirk Löschner

Hier erregt sich was

Spielzeit 22/23


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Auftritt Frankfurt am Main

Festival „Bodies, un-protected“

Nürnberg

„Der unsichtbare

Reaktor“ von Nis-Momme Stockmann und Jan-Christoph Gockel in der Regie von ­ Jan-Christoph Gockel

Salzburg

„Reigen“ nach Arthur Schnitzler in der Regie von

St. Gallen „Die nicht geregnet werden“ von Maria Ursprung in der Regie von Knecht und Marie Bues Tecklenburg „Der Besuch der alten Dame“ nach

Yana Ross Jonas

Friedrich Dürrenmatt von Christian Struppeck, Wolfgang Hofer, Moritz Schneider und Michael Reed in der Regie von Ulrich Wiggers

Wasserburg am Inn

„Die wahre

Geschichte des Ah Q“ von Christoph Hein nach Lu Xun in der Regie von Uwe Bertram

Zürich „Extensions“ von Anna Papst in der Regie von Philip Bartels


auftritt

/ TdZ September 2022 /

FRANKFURT Das Gefängnis ist das Leben MOUSONTURM „The Golden Cage“ von Hakan Topal Regie Hakan Topal Performance Hakan Topal Festival „Bodies, un-protected“

Was unter dem Stichwort ‚Identitätspolitik‘ abstrakt verhandelt wird, nimmt auf Ebene des Körpers konkrete Formen an. Er muss sich behaupten in einer Welt der Gewalt und trägt die Wunden davon, die beispielsweise Missbrauch hinterlässt. Allzu oft unterschätzt, etwa als Hülle der Seele, rückte just das Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm dessen Bedeutung im Rahmen eines ganzen Festivals in den Vordergrund. Unter dem Titel „Bodies, un-protected“. Forum zu Körper,

l­ anden oder verzweifelt vor Schlagbäumen

Kunst und Schutz befassten sich zahlreiche

dahinvegetieren.

Formate – von Installationen, über Workshops

So polyphon die zu hörenden Stimmen

bis zu Konzerten – mit unserem physischen

der gefiederten Zeitgenossen ausfallen, so

In-der-Welt-Sein. Während sich unser Denken

vielstimmig erweist sich auch die Darbie-

weder an Raum noch Zeit gebunden sieht,

tung von Topals Text. Verteilt auf diverse

stößt der Körper immer wieder an Grenzen.

Spre­ cher:in­ nen (u. a. Doris Deckinger und

Vögel in Analogie zu Geflüchteten: Hakan Topals Performance „The Golden Cage“ am Künstlerhaus Mousonturm in Rahmen von „Bodies, un-protected“. Foto Golden Cage | Hakan Topal

Deutlich wird diese Beschränkung

Lussineh Schahramanyan), die nach jedem

Repression und traumatischen Kindheits­ ­

etwa in Hakan Topals Performance „The Gol-

Abschnitt den Standort wechseln, werden wir

erfahrungen. Begleitet wird der Text durch ein

den Cage“, allerdings nicht so sehr am Men-

ihm in unterschiedlichen Übersetzungen ge-

Trommeln der Autorin, das mal dramatisch

schen als vielmehr an Vögeln, genauer: am

wahr. Dadurch entsteht ebenso Poetik der

beschleunigt und wachrüttelt, mal meditativ

sogenannten Kelaynak (Waldrapp). Wie ver-

Globalisierung. Während Kriege und Protekti-

verlangsamt und abebbt. Hier erzählt jemand

schiedene

mehreren

onismus den Planeten in hermetische Zonen

seine Biografie und scheut nicht vor einer

­Räumen dokumentieren, befinden sich viele

aufteilen, Völker und Familien spalten, so

­offensiven Anklage einer männerdominierten

Vertreter dieser Art derzeit in Gefangenschaft.

scheint die Sprache in ihrer vielstimmigen

Ordnung zurück. Was sich indessen als Kunst

Nachdem die ISIS Palmyra eroberte, flohen

Ausprägung über den Nationalismus zu tri-

gebärdet, ist letztlich aber vor allem Camou­

auch die Vögel vom afrikanischen Nordosten

umphieren. Selbst wenn wir nicht sämtliche

flage eines feministischen Aktivismus. Un­

nach Syrien. Sicher waren sie dort nicht.

Versionen des Textes an diesem Abend ver­

geachtet seiner Notwendigkeit und Dringlich-

Überleben kann vor allem, wen die Käfige in

stehen, gibt es die Darsteller:innen und

keit – als Aufführungsidee taugt dieses

teils abgelegenen Wüstengebieten behüten.

Zuschauer:innen verbindende Elemente. So

magere und sowohl im Gestus als auch der

Symbolisch aufgeladen spiegeln die Tiere das

etwa den bisweilen ähnlichen Klang der Wor-

Bildlichkeit einfallslose Konzept nicht.

Schicksal unzähliger Migrant:innen wider, die

te oder die vergnüglichen Imitationen der Vo-

auf ihren Fluchten mal in Auffanglagern

gellaute durch die Performer:innen selbst.

­ Videoaufnahmen

in

Wie einsame Herzen in einer modernen Partnerbörse treiben die Menschen im leeren Raum: Urs Peter Halter, Sibylle Canonica und Michael Neuenschwander in der Überschreibung von Schnitzlers „Reigen“ in der Regie von Yana Ross bei den Salz­ burger Festspielen. Foto Lucie Jansch

Die Qualität der Beiträge des Festivals fällt somit heterogen aus. Gemeinsam ist

Offenbart dieses Werk noch einen

­ihnen allerdings die Einsicht, dass sich das

ästhetisch ambitionierten Charakter, sucht ­

vermeintlich neutrale Phänomen Körper als

man diesen in der One-Woman-Show „Objec-

durch und durch politisch versteht. Insbeson-

tification and Abuse (Tokenised Silence)“

dere in Zeiten von Krieg, Vertreibung und Un-

der

Spoken-Word-Künstlerin

terdrückung kommt er einem Archiv gleich,

Caro­lyne M. Acen vergeblich. Vor rot beleuch-

dessen Narben nie verschwindende Erin­

tetem Hintergrund erzählt uns die Dichterin

nerungen entsprechen. Sie zu lesen, die Ge-

von der Instrumentalisierung des weiblichen

schichten darunter aufzudecken, erfordert

Körpers in den Medien, von patriarchaler

ein spezielles Sensorium. Für einige Tage

ugandischen

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wurde der Mousonturm zu einer Schule jener

zitieren und adaptieren. Darin gaukeln sie

besonderen Weise des Einfühlens. Sie zeigte,

uns, mit Seilen und hölzernen Zahnrädern am

wie jede große Barriere schon im intersubjek-

Portal, Instrumente einer solchen Bühne vor.

tiven Miteinander genommen werden kann.

Später wird eine(r) auf einer Pappwolke

Und gehört diese Erfahrung nicht zum Wun-

durchs Bild gondeln, eine Videoleinwand im

dervollsten, was Bühne ermöglichen kann? //

Goldrahmen hängen, Schwarzes und Schat-

Björn Hayer

NÜRNBERG Autors Stellvertreter

tentheater eine Rolle spielen. Wir sehen einen Abend über menschli-

bei alledem.“ Die Sache, das ist Fukushima,

che Hybris als hybrides Theater: barock und

ein Kernreaktor der gleichnamigen Stadt in

modern, faktenübersättigt und hyperfiktiona-

der gleichnamigen japanischen Präfektur. Ein

lisiert, vom Scheitern an, in und mit Fukushi-

Jahr, nachdem 2011 ein Erdbeben einen Tsu-

ma ebenso handelnd wie von dem, daraus

nami auslöste, der eine Katastrophe auslöste,

Theater zu machen. Und im Hintergrund lie-

war Stockmann vor Ort, weitere vier Jahre

fern sie gleichsam das Negativ einer Erzähl-

später ein zweites Mal.

und Dramentheorie mit.

STAATSTHEATER: „Der unsichtbare Reaktor“ von Nis-Momme Stockmann und Jan-Christoph Gockel (UA) Regie Jan-Christoph Gockel Bühne und Kostüme Julia Kurzweg

Menschliche Hybris als hybrides Theater: Llewellyn Reichman in „Der unsichtbare Reaktor“ von Nis-Momme Stockmann, Regie Jan-Christoph Gockel am Staats­ theater Nürnberg. Foto Konrad Fersterer

Dabei schuf er sich seine eigene Flut-

Es ist hier der Autor Nis-Momme Stock­

welle, ertrank beinahe im eigenen Material:

mann selbst, der sich attestiert, er sei im Be-

Reisetagebücher, Video-, Ton- und Fotoauf-

griff, literarisch zu scheitern, um sich darin

nahmen, Unmengen von Notizen zu den Noti-

zugleich vehement zu widersprechen: vervier-

zen, die er sich zu seinen Notizen machte.

fältigt in den Schauspielern Julia Bartolome,

Und keine Idee, was damit anzufangen. Nur

Moritz Grove, Llewellyn Reichmann und Rapha-

die Erkenntnis: „Selbst, wenn man alle Fak-

el Rubino, die seine Frisur als Latex­perücken,

ten kennt, heißt das noch nicht, dass man

seine Kleidung mit karierten Hemden als

damit der Wahrheit nähergekommen ist.“

Die Welle kommt näher und näher, wird grö-

­steife Comic-Kostüme auftragen. Vier Perso-

Erst eine dritte Reise nach Fukushima

ßer und größer, während sie in verschiedenen

nen suchen einen Autor, der sie selbst sind,

verfolgte 2021 endlich ein konkretes Ziel,

Gassen vorüberzieht, derweil das Chanson

ein Autor sucht sich in vier Persönlichkeiten.

das auf der Bühne des Nürnberger Schau-

„La Mer“ in aller Künstlichkeit aus dem

„Ich arbeite seit einer langen, langen,

spielhauses liegen sollte. Die Pandemie

Synthesizer plätschert. Es ist: „Die große ­ langen, langen, langen, … Zeit an dieser Sa­

bremste sie aus. Rettung versprach Ishii

Welle vor Kanagawa“, das Motiv des ­Malers

che“, klagt sich Stockmann in wiederholten

­Yuichi, Schauspieler und Geschäftsmann in

Katsushika Hokusai (um 1830), eingespannt

Spiegelungen sein Leid. „Und ich bekomme

Tokio, den Werner Herzog ins Zentrum seiner

in und für eine barocke Kulissenbühne, die

den Eindruck: Je länger ich daran arbeite,

inszenierten Dokumentation „Family Romance,

sie für diese Aufführung in einem modernen

desto schwieriger wird es für mich, dazu

LLC“ gerückt hatte. Diese Agentur vermittelt

(bis 2010 generalsanierten) Schauspielhaus

durchzudringen, worum es überhaupt geht

Schauspieler als Stellvertreter für Familien-


auftritt

/ TdZ September 2022 /

mitglieder. Man kann sich hier zum Beispiel

Der Reaktorunfall jedenfalls, der „für uns in

Ende des 19. Jahrhunderts die falsche Sexu-

einen Vater fürs Kind mieten. Stockmann

Deutschland so präsent“, vor Ort aber „beinahe

almoral seiner Zeit. 1920 sorgte das Stück

mietete sich Ishii als einen Stockmann, der

unsichtbar“ scheint, entschwindet allmählich

nach seinen Premieren in Wien und in Berlin

ihm so gar nicht ähnelt, als sein von der

aus dieser Aufführung. Sie legt sich darüber wie

für einen Theaterskandal. Quer durch alle

Kamera begleitetes Double aber wirksamer ­

eine große Welle. //

­sozialen Schichten peitschte der österreichiMichael Helbing

wird als das Original und dabei die These

sche Autor wechselnde Paare von ihren eroti-

„Wahr ist es, wenn man da war“ gehörig

schen Dialogen in den Beischlaf. Diese fas­

durchschüttelt.

zinierende Reigen-Struktur hat die in Lettland

Und so wird schließlich in diesem Stück, an dem der Zufall mitschrieb, alles Dokumentarische zur Finte. Stockmann und der für sein Konzept des Reisetheaters be­ sonders bekannt gewordene Regisseur JanChristoph Gockel erzählen in „Der unsichtbare Reaktor“ von der Fukushima-Katastrophe

geborene Amerikanerin Yana Ross bei den

SALZBURG

Salzburger Festspielen in die Gegenwart übertragen. Zehn internationale Autorinnen

Ein Flash gescheiterter Beziehungen

len, getragen vom leisen, hintersinnigen ­Humor der Stellvertreter-Schauspieler, der ihr verzweifelt ernsthaftes Bemühen, allen Irrungen und Wirrungen zu entkommen, grundiert. Droht das Filmmaterial den Abend mitunter

träger Lukas Bärfuss bis zur politischen Kämpferin Sharon Dodua Otoo – haben Schnitzlers Leitmotive überschrieben. Der Gedanke, die politische Sprengkraft des

­allenfalls als Exempel: für die Konstruktionen von Wirklichkeiten, mit denen sie hier spie-

und Autoren – vom Schweizer Büchner-Preis-

SALZBURGER FESTSPIELE / SCHAUSPIELHAUS ZÜRICH: „Reigen“ nach Arthur Schnitzler Regie Yana Ross Bühnenbild Márton Ágh Kostüme Marysol del Castillo

Skan­dalstücks ins 21. Jahrhundert zu übertragen, ist brillant. Doch an der Umsetzung hapert es. Mit dem Ensemble des Schauspielhauses Zürich gelang der Regisseurin kein großer Wurf. Das lag nicht zuletzt daran, dass Ross

auch zu dominieren, so gelingt ihnen doch oft

die grandiose Reigen-Mechanik des Fin-de-

genug eine geschickte Synchronität, Paralle-

Siècle-Dramas auflöste und in einem Flash

lität oder auch Verschränkung von Leinwand

Mit dem erotischen Drama „Reigen“ entlarvte

gescheiterter Beziehungen verwässerte. Viel

und Bühne.

der Mediziner und Autor Arthur Schnitzler am

bleibt in ihrer modernen Lesart nicht übrig

An der Staatlichen Hochschule für Musik & Darstellende Kunst (HMDK) ist zum Sommersemester 2023 eine

Professur W 2 (m/w/d) 100 %

für Szenische Körperarbeit im Studiengang Schauspiel zu besetzen. Gesucht wird eine künstlerische Persönlichkeit, die über eine fundierte Bewegungsausbildung, eine breit aufgestellte künstlerische Praxis – auch in eigenen Produktionen – und mehrjährige Unterrichtserfahrung, vorzugsweise im Hochschulbereich, verfügt. Das Aufgabengebiet umfasst • im Studiengang Schauspiel die Erteilung von Körper- und Bewegungsunterrichten, der gezielt auf das szenische Handeln ausgerichtet ist; • die inhaltliche und organisatorische Verantwortung für das Fach Szenische Körperarbeit, die Mitarbeit an der akademischen Selbstverwaltung sowie an der perspektivischen Weiterentwicklung des Studiengangs. Den vollständigen Ausschreibungstext entnehmen Sie bitte der Rubrik auf unserer Homepage. Bewerbungen werden bis 31. Oktober 2022 an das Rektorat, ausschließlich über unser Online-Bewerbungsportal erbeten unter: https://www.hmdk-stuttgart.de/ unsere-hochschule/offene-stellen Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart

BÜHNE AARAU SUCHT KÜNSTLERISCHE LEITUNG per 1.1.2024, die das Programm von Gastspielen, Co-Produktionen und Eigenproduktionen verantwortet. Für diese Position stehen 100 Stellenprozente zur Verfügung. Die Bühne Aarau ist ein Mehrspartenhaus und bespielt die Alte Reithalle sowie die Tuchlaube für Publikum jeden Alters. Erwartet werden insbesondere Erfahrungen in der künstlerischen Führung eines Kulturbetriebs im Bereich der Darstellenden Künste, Erfahrung in Programmgestaltung und Durchführung von Veranstaltungen sowie Teamgeist, Sozialkompetenz und Kommunikationsfähigkeit. In Co-Leitung mit der Geschäftsführung ist die Künstlerische Leitung für die wirtschaftlichen Belange des Gesamtbetriebs verantwortlich. — Senden Sie Ihre Bewerbung als PDF per Mail bis am 15. September 2022 an vorstand@buehne-aarau.ch, zuhanden Christine Egerszegi (Präsidentin Verein ARTA). — Detaillierte Informationen erhalten Sie auf unserer Webseite unter www.buehne-aarau.ch/informationen/aktuell.

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auftritt

/ TdZ September 2022 /

von Schnitzlers virtuoser Dramenkunst, die

börse treiben die Menschen im leeren Raum.

bis heute immer wieder im Original den Text

Sexualität spielt in diesem Kontext keine

auf deutschsprachige Bühnen findet. Sexuali-

Rolle mehr. Deshalb wohl berühren die

tät kennt heute keine Tabus mehr, wie das

Szenen zu selten – und das, obwohl sie ­

noch zu Schnitzlers Zeiten der Fall war. Des-

hoch­karätig besetzt sind.

halb kreisten die Dialoge der zehn Autor:in­

ST. GALLEN Der große Durst

Am ehesten überzeugt Yana Ross’ fast

nen eher um Entfremdung, wirtschaftliche

zweieinhalbstündige

­Zwänge und die Angst vor der Einsamkeit. Die

Schnittstellen zur Tagespolitik. Das Gespräch

Regiearbeit

an

den

estnisch-finnische

THEATER ST. GALLEN: „Die nicht geregnet werden“ von Maria Ursprung (UA) Regie Jonas Knecht und Marie Bues Ausstattung Indra Nauck

Oksanen

des russischen Autors Mikhail Durnenkov mit

machte aus Schnitzlers Soldaten und Stu-

seinen Eltern über vermeintliche Familien-

benmädchen

und

bande und Homophobie ist auf der großen

­einen Computer-Nerd. Urs Peter Halter ver-

Videoleinwand zu sehen. „Nachrichten“ heißt

körpert den Hacker oder „Trollsoldaten“, der

dieses beklemmende Skype-Gespräch einer

in einen Informationskrieg verstrickt ist,

Mutter mit ihrem Sohn. Die Unfähigkeit der

Ist das Glas halb voll oder halb leer – oder wo-

ebenso

geheimnisvoll.

Generationen, einander zu verstehen, zeigt

möglich viel schlimmer: Wird der allerletzte

­Tabita Johannes lässt ihre prekäre Existenz

die Risse in der russischen Kriegsgesell-

Tropfen bereits in naher Zukunft versiegt sein?

des 21. Jahrhunderts zwar zärtliche Gefühle

schaft. Dass die Propaganda bis in die Wohn-

Mit der Erzählung einer Kindheitserinnerung,

antäuschen. Am Ende aber erstickt alles in

zimmer greift, ist dabei besonders erschüt-

einer scheinbar banalen Begebenheit bei ei-

kapitalistischen Zwängen. Sobald da Gefühle

ternd. Politische Position bezieht auch Lukas

nem Familienbesuch, setzt Maria Ursprungs

aufkeimen, droht der Jobverlust.

Bärfuss. Hinter dem klassischen Titel „Der

Stück „Die nicht geregnet werden“ ein. Es

Eine glanzvolle Melange von Wiener

Graf und die Dirne“ verbirgt sich beißende

nutzt sie als Sprungbrett in ein Katastrophen­

Kaffeehaus ist das Bühnenbild, das der un-

Kritik an der Sponsoring-Praxis der Salzbur-

szenario, das keineswegs aus der Luft gegrif-

garische Filmarchitekt Márton Ágh geschaf-

ger Festspiele. Das hochkarätige österreichi-

fen ist, sondern in vielen Weltgegenden längst

fen hat. Mit einer riesigen Spiegeldecke öff-

sche Theaterfestival ließ sich bis eben vom

Realität, und auch hierzulande immer deutli-

net er den Raum. Der dicke Teppichboden

Bergbauunternehmen Solway unterstützen,

cher spürbar: die drohende Wasserknappheit.

erstickt diese Offenheit aber sofort wieder.

das Menschen gnadenlos ausbeutet und sei-

Die 1985 in Solothurn geborene Dramatikerin

Marysol del Castillos Kostüme reflektieren

ne Mitarbeiter in den Tod schickt. Kalt, scho-

hat das Stück in der Spielzeit 2020/21 als

klug die soziale Schicht, der die Menschen

nungslos und in klirrenden Wortfetzen legt

Hausautorin am Theater St. Gallen geschrie-

in Ross’ Universum angehören. In dieser

Bärfuss diese Missstände nicht nur auf der

ben (Abdruck in TdZ 2/22); Ende Mai 2022

Welt zwischen Schein und Sein gelingt es

Bühne offen. Zwar schrammt er dabei haar-

wurde es unter der Regie von Schauspieldirek-

der Regisseurin Yana Ross nicht, die durch-

scharf am Plakativen vorbei, doch die Bot-

tor ­Jonas Knecht und Marie Bues, ab 2023

weg überzeugenden Texte so ineinander zu

schaft sitzt. Politisch hat dieser „Reigen“ ei-

Co-Leiterin des Schauspielhauses Wien, in der

verschränken, wie das Arthur Schnitzler

niges zu sagen. Die formalen Schwächen

St. Galler Lokremise uraufgeführt. Sieben Per-

Anfang des 20. Jahrhunderts gelang. Wie ­

lässt das aber nicht vergessen. //

sonen in wechselnden Rollen von der Wissen-

eine

Autorin

Sofi

Essenslieferantin

überzeugend

wie

einsame Herzen in einer modernen Partner-

Elisabeth Maier

schaftlerin (Birgit Bücker) über ein Radiomode-


/ TdZ September 2022 /

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ratoren-Duo (Grazia Pergoletti, Julius Schröder) bis hin zum herumlavierenden Lokalpolitiker (Tobias Graupner) führen darin vor Augen, was passiert, wenn das heute noch Selbstverständliche nicht mehr verfügbar ist. In der eingangs erwähnten kleinen Anekdote des Epilogs gibt es vom Vater eine Ohrfeige, weil die Tochter gedankenlos das Glas wegzieht, als er ihr zu trinken einschenkt. Nicht so schlimm, denkt man, ist doch nur Wasser. Doch Wasser könnte in den kommenden Jahren ein so kostbares Gut werden, dass darum Kriege geführt werden oder rücksichtslose Verteilkämpfe in der unmittelbaren Nachbarschaft einsetzen. Dieses Drama deutet sich in „Die nicht geregnet werden“ unüberhörbar an und eskaliert schon bald, selbst wenn die St. Galler Uraufführung zunächst einen harmlos heiteren Tonfall anschlägt. Schließlich rückt Maria Ursprung ein Schwimmbad und dessen Betreiberin Berit (Anna Blumer) in den Mittelpunkt. Zwar sitzt Berit auf dem Trockenen. Ihr Pool ist leer und nur ein Versprechen auf Erfrischung in der sommerlichen Hitze. Dennoch verbreitet Radio Regenbogen mit Feelgoodsongs wie „Somewhere over the rainbow“ und „It’s raining again“ (Musik und Sounddesign: Albrecht Ziepert) bei über 40 Grad unverdrossen gute Laune. Die Fototapete im Hintergrund, mit Badesee, Steg und Sprungturm (Ausstattung: Indra Nauck), wirkt da wie eine Fata Morgana: gespenstisch irreal. Berit kauft einen neuen Badeanzug, sie versucht, bei steigendem Preis frisches Wasser zu bestellen und bietet der undurchschaubaren Era (Anja Tobler) Schwimmunterricht an. Was angesichts der sich zuspitzenden Lage als ein geradezu frivoler Akt erscheint: in Trinkwasser zu schwimmen, nur zum Vergnügen. Der Text, ein Kaleidoskop an Szenen und kurzen Dialogen oder chorischen Passagen, springt zwischen angedeuteten privaten Beziehungs- und Familiengeschichten und

Regionen abwandern. Oder das Bild des ver-

dem eher hilflosen allgemeinen Krisenmana-

schütteten Wassers. Der Durst. Eine Verfol-

gement in der zunehmend brenzligen Situa­

gungsjagd um letzte Reserven an Eiswürfeln.

Der leere Pool nur ein Versprechen auf Erfrischung: Tobias Graupner in „Die nicht geregnet werden“ von Maria Ursprung, Inszenierung Marie Bues und Jonas Knecht am Theater St. Gallen. Foto Iko Freese

tion. Er packt, wenn auch auf sehr verspielte

Am Ende steht die beklemmende Zu-

und poetische Weise, nicht gerade wenig an

kunftsvision einer ausgedorrten Stadt und eine

brisanten, diskussionsbedürftigen Themen an.

vieldeutig schillernde Parabel. Hier kippt das

Marie Bues und Jonas Knecht inszenieren den

Stück in Resignation, die Unumkehrbarkeit der

verlangt gewesen. Immerhin sensibilisiert der

knapp zweistündigen Theaterabend spritzig,

sich abzeichnenden Menschheitskatastrophe.

Abend für ein brandaktuelles Thema, das schon

mit verträumter Leichtigkeit, die freilich den

„Wir hätten hören können, hinsehen, handeln

vor Jahrzehnten hätte auf der Agenda stehen

Albtraum ahnen lässt. Vieles bleibt in der

– die Zeichen waren da“, heißt es im chorisch

müssen. Im Hitzesommer 2022, erfährt man

Schwebe, anderes wird exemplarisch herausge-

angelegten Epilog. Von der Autorin oder der Re-

derweil aus den Medien, investieren zahlreiche

stellt: etwa das Faktum, dass in Peru die Vögel

gie konstruktive Lösungsansätze oder Hand-

Haushalte in der Schweiz lieber erst einmal in

angesichts des Klimawandels in immer höhere

lungsimpulse zu erwarten, wäre wohl zu viel

eine Klimaanlage. //

Bettina Kugler


/ 82 /

auftritt

TECKLENBURG

/ TdZ September 2022 /

Ein sterbendes Dorf ohne Perspektiven. Die Bewohner schleppen sich depressiv durch eine Dauerkrise. Doch all das lässt sich lö-

Wuchtige Chöre

sen – durch Geld. Das bringt die „alte Dame“ Claire Zachanassian, ein Kind der

Mit Leidenschaft und Verletzlichkeit auf der Freilichtbühne „Der Besuch der alten Dame“ als Musical in der Regie von Ulrich Wiggers in Tecklenburg. Foto Stephan Drewianka Photography

Stadt, durch Heirat reich geworden. Nun

FESTSPIELE TECKLENBURG: „Der Besuch der alten Dame“ nach Friedrich Dürrenmatt von Christian Struppeck, Wolfgang Hofer, Moritz Schneider und Michael Reed Regie Ulrich Wiggers Bühne Jens Janke

kehrt sie zurück, nicht wie bei Dürrenmatt mit dem Zug, sondern per Hubschrauber.

der Schwebe, ob ihm wirklich Gefahr droht,

Zwei Milliarden verspricht sie den Men-

oder ob er sich nur einbildet, dass alle ihm

schen. Sie hat nur eine Bedingung, den Tod

nach dem Leben trachten. Hier wird das

ihres Ex-Geliebten Alfred Ill, der sie halbtot

­Musical zum Psychothriller. Aber die Kom-

und schwanger im Stich gelassen hat. Die

ponisten Moritz Schneider und Michael

Dörfler hoffen, dass die Zeit alle Wunden

Reed bedienen auch die schwungvoll-satiri-

geheilt hat. Doch nicht bei Claire Zachanas-

schen Töne. Nachdem es die Dorfgemein-

sian. Die Musicalfassung hält sich eng an

schaft entrüstet abgelehnt hat, ihren Mit­

die Handlung Dürrenmatts. Nach der Urauf-

bürger für zwei Milliarden zu töten, stürmen

Das hat man auf der Bühne lange nicht gese-

führung open air im schweizerischen Thun

sie den Laden Alfreds Ill. Sie tragen neue

hen. Kein abstraktes Bühnenbild, sondern

und einer In-Door-Inszenierung in Wien zei-

Schuhe und Kleider, kaufen Champagner

Güllen. Eine Kleinstadt mit Kirche, Polizei,

gen die Festspiele Tecklenburg nun die

und K ­ aviar. Es gebe wieder Kredite, sagen

Bahnhof, dem Laden von Alfred Ill und einem

deutsche Erstaufführung.

sie, wahrscheinlich liege das am allgemei-

Gasthof, an dessen Portal ein paar Buchsta-

Masha Karell und Thomas Borchert

ben fehlen. Auf der Musicalbühne kann man

verkörpern Claire Zachanassian und Alfred

Liedtexter Wolfgang Hofer hat die sati-

nicht voraussetzen, dass alle den 1956 urauf-

Ill mit Leidenschaft und Verletzlichkeit.

rischen Songs mit bissigem Wortwitz verse-

geführten Klassiker schon mehrmals gesehen

Wenn sie sich an ihre Liebe von einst erin-

hen. Das passt zu Dürrenmatts Parabel auf

haben. Die Geschichte wird von Anfang an er-

nern, treten jüngere Doppelgänger auf. Vor

Konsum und Kapitalismus, dem sich die

zählt, ganz konkret, zugänglich –, aber keines-

allem Thomas Borchert ist eine Wucht. Im-

Menschen ekstatisch hingeben, ohne die

falls naiv.

mer mehr gerät er in Panik. Oft bleibt es in

Folgen zu überschauen. Ein „Trio infernal“

nen Wirtschaftsaufschwung.


auftritt

/ TdZ September 2022 /

der Leibwächter Claire Zachanassians ist gespickt mit Anspielungen auf Bankenkrimina-

WASSERBURG AM INN

lität und Korruption. Nicht so gelungen sind die dramatischen Liedtexte. Da singt vor allem Claire Zachanassian oft überdeutlich und pathetisch, was ihr auf der Seele lastet.

Der Chor singt ein diabolisches „Dies irae“, eine Gruppe von Mönchen auf einer Mauer wiegt sich im unheiligen Takt. Die

Qualität

von

Ensemble

und

mit diesem offenbar durch ein Kugellager verbunden ist. Das hat zur Folge, dass die fünf

Das verlorene Floß der Anarchie

Grandios sind wiederum die Momente, wenn die Dorfgemeinschaft zur Hetzmeute wird.

nur auf einem einzigen Stützpfeiler ruht und

Personen sich stets gleichmäßig auf der Fläche verteilen müssen, um die Balance zu halten. Und während diese Menschen fortwährend und behutsam die Gewichte verlagern,

THEATER WASSERBURG: „Die wahre Geschichte des Ah Q“ von Christoph Hein nach Lu Xun Inszenierung Uwe Bertram Musikalische Leitung Georg Karger

Orchester in Tecklenburg beeindruckt. Der ­

um nicht ins Nichts zu schliddern, erzählen sie reihum Geschichten. Gleichnishaftes und Exemplarisches, das von einer aus den Fugen geratenen Welt handelt und vom menschlichen Ringen, in ihr nicht aus dem Tritt zu kommen.

musikalische Leiter Tjaard Kirsch bedient

Beobachtet und belauscht werden die

die unterschiedlichen Stile des Stücks sou-

Die Bretter bedeuten auch hier die Welt, aber

fünf auf dem Floß von zwei weiteren Figuren,

verän, Regisseur Ulrich Wiggers bespielt die

sie schwanken. Und: Die Erde ist weder Kugel

dem titelgebenden Ah Q und seinem Freund-

riesige Freilichtbühne abwechslungsreich.

noch Scheibe, sondern eine quadratische Flä-

feind Wang. Hilmar Henjes und Nik Mayr ha-

„Der Besuch der alten Dame“ erfüllt die En-

che, umgeben vom schwarzen Nichts des lee-

ben sich auf den Technikbrücken zur rechten

tertainment-Erwartungen von Musicalfans,

ren Bühnenraums. Wie ein Planet, der seine

und linken Seite der Bühne niedergelassen

ohne in Plattitüden zu versinken. Die Cha-

Umlaufbahn verlassen und sich in den unend-

und diskutieren miteinander über die Köpfe

rakterzeichnung ist im Schauspiel natürlich

lichen Weiten des Weltraums verirrt hat. Oder

der anderen unter ihnen hinweg, kommentie-

genauer und subtiler. Doch die Musicalfas-

wie ein Floß auf hoher See, ausgeliefert den

ren deren Welt-Erzählungen und vor allem die

sung verleiht dem Stück vor allem in den

rhythmischen Klangwogen einer Live-Band.

Notwendigkeit der Veränderung dieser Welt

Chören und Ensembles eine emotionale

Fünf Menschen haben sich auf dieses

durch eine Revolution, die sie herbeisehnen,

Wucht, die das Sprechtheater nicht zu bieten

Floß gerettet, also auf die Plattform auf der

ja herbeizureden versuchen, während das

Stefan Keim

Bühne des Theaters Wasserburg, die mittig

­Leben an ihnen vorbeirauscht.

hat. //

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auftritt

/ TdZ September 2022 /

Das steht nur partiell so in Christoph Heins

und Wang als sich spitzfindig beharkende

und Sinnhaftigkeit. All die Geschichten der

1983 am Deutschen Theater in (Ost) Berlin

Eigenbrötler, gekleidet wie Landstreicher. ­

Menschen auf dem Floß und all die Grübe-

uraufgeführtem Stück „Die wahre Geschichte

Zwei Prekariatsgestalten, die über den prekä-

leien von Ah Q und Wang wirken dann wie

des Ah Q“, das damals auf etlichen Bühnen

ren Zustand der Welt sinnieren. Heins Stück,

Steine, die man ins Wasser wirft, worauf sich

in beiden Teilen Deutschlands nachgespielt

basierend übrigens auf einer Novelle des chi-

kreisförmig Wellen an der Oberfläche aus-

wurde, ehe es dann weitgehend in der Versen-

nesischen Dichters Lu Xun, wirkt hier so, als

breiten. Steine des Anstoßes zum Selber-

kung verschwand. Uwe Bertram, Intendant

hätten sich Bertolt Brecht und Samuel Be-

Weiterdenken. //

am Theater Wasserburg und Regisseur der

ckett zu einer Schreibgemeinschaft zusam-

dortigen Aufführung, ist gebürtiger Magde-

mengeschlossen. Wladimir und Estragon ha-

burger und DDR-sozialisiert. Er hat den Stoff

ben sich in ein Lehrstück verlaufen und

nun wieder ausgegraben und gemeinsam mit

warten nicht mehr auf den erlösenden Auftritt

seinem Ensemble stark bearbeitet. Außer Ah

von Godot, sondern die Lösung aller Probleme

Q und Wang sind sämtliche Figuren und die

durch den Umsturz der Verhältnisse. Und

komplette, stark verwickelte Handlung gestri-

während Godot bei Beckett nie kommt,

chen. Geblieben sind nur die Dialoge der

kommt hier zwar die Revolution, aber sie fin-

­beiden Hauptfiguren, die als Rahmen dienen,

det anderswo statt, ohne Wang und Ah Q. Die

in den die Regie die Fremdtexte eingebettet

Revolution vergisst ihre Kinder.

hat, die die fünf Figuren auf dem Floß vortra-

Das Konstruktionsprinzip des Abends

gen: Märchen, Romanfragmente, Dramenaus-

erschließt sich nicht sofort, zumal die Mon-

schnitte, die allenfalls insofern in Zusam-

tage der eingefügten Geschichten Assoziati-

menhang stehen, als es sich bei sämtlichen

onen von Uwe Bertram und seinem Ensemble

Texten um Versuche der Welt- und Daseins-

geschuldet ist, die Außenstehenden beliebig

deutung im weitesten Sinne handelt.

erscheinen müssen. Daher braucht es beim

Christoph Leibold

ZÜRICH Wundersamer Zusammenklang SOGAR THEATER: „Extensions“ von Anna Papst Inszenierung Philip Bartels Komposition Julie Herndon Kostüme Nina Sophie Wechsler

Das Setting erinnert an das Theater

Zuschauen eine Weile, bis man sich zurecht-

Zwei Frauen holen eine Tuba vom Bühnen-

des Absurden. Henjes und Mayr geben Ah Q

findet in dieser Inszenierung, die mitunter

himmel runter. Bloß keine Eile, denkt man,

haarscharf an der Kopf- und Konzeptlastig-

wenn man der langsamen, offenkundig auf

keit vorbeischrammt. Und dennoch: Wer

größte Sorgfalt zielenden Aktion zusieht.

sich auf die erratische Anlage der Auffüh-

Wer sich schon in der Ruhepause eingenistet

rung einzulassen vermag, für den entwickelt

hat, wird jäh aus dieser herausgerissen,

sie mit jedem Trommelschlag und jedem

denn die Schauspielerin Chantal Le Moign

Saxofonton der Band ihre ganz eigene Sog-

wendet sich ans Publikum: „Sie sind auch

Die Revolution vergisst ihre Kinder: Nik Mayr als Wang Krätzebart in „Die wahre Geschichte des Ah Q“ von Christoph Hein nach Lu Xun, Regie Uwe Bertram am Theater Wasserburg. Foto Christian Flamm

ein Cyborg. Sie wissen es nur noch nicht.“ Bin ich das, fragt sich die Zuschauerin, wobei sie diese ersten, im Stück „Extensions“ fallenden Sätze aber nicht so sehr überraschen, denkt sie doch an den gehörlosen Philosophen Enno Park. Dieser erscheint im Stück „Extensions“ (Erweiterungen) von Anna Papst zwar nicht leibhaftig, ist aber gleichwohl allgegenwärtig: Park bezeichnet sich selbst als Cyborg. In jedermanns Wortschatz verankert dürfte dieser Begriff nicht sein, deshalb: ­Cyborg wurde in den 60er-Jahren von NASAWissenschaftlern erfunden. Sie fragten sich, wie man den menschlichen Körper umbauen müsste, damit er im Weltraum überleben kann. Seither hat sich die Vision eines MenschMaschinen-Mischwesens weiterentwickelt und ist teilweise Realität geworden. Beispiel Enno Park. Er trägt seit Langem eine implantierte Hörhilfe – ein sogenanntes Cochlea-Implantat. In Interviews mit der Schweizer Autorin Anna Papst erklärt er aus Technik-philosophischer Sicht, wie wir Menschen dazu neigen, uns eine Umwelt zu bauen, die für uns bequem ist. Im


auftritt

/ TdZ September 2022 /

Gegensatz dazu verweist die Cyborg-Idee aber

deren virtuoses Hände- und Fingerspiel pa-

auf den Gedanken, den Menschen so umzu-

ckende Beredtheit ausdrückt. Eine solche,

Die Cyborg-Idee: „Extensions“ in der Regie von Philip Bartels am sogar theater Zürich.

bauen, dass er in seiner Umwelt besser existie-

wenngleich völlig anders geartete, zeichnet

Foto Michelle Ettlin

ren kann. Zusammenfassend hört sich das in

auch die Performerin Lua Leirner, den Schau-

den Worten Parks so an: „Wir können die

spieler Jonas Gygax und die Schauspielerin

Probleme, die wir selber geschaffen haben, ­

Chantal Le Moign; die Pianistin Simone Keller

mit einem Keyboard Chantal Le Moigns

ohne Technik nicht lösen. Wir Menschen wüss-

und den Tubaspieler Marc Unternährer aus.

­Stimme live verändert. So ergeben die vielen,

Da schildert Gygax in der Rolle Parks,

sogenannt Normales negierenden Kompo­

Technik gelöst haben. Eigentlich können wir

wie er zunächst mit seinem Cochlea-Implan-

nenten einen Zusammenklang, der sich facet-

nichts anderes.“

tat kämpft: Es rauscht, knirscht, saust,

tenreich entfaltet. Wieder einmal zeigt das

Ist Enno Park demnach ein Technik-

braust, brummt und dröhnt in seinen Ohren,

kleine sogar theater, wie groß es sein kann. //

Freak? So verkürzt kann man das nicht sehen.

wenn er das erste Mal Schallplatten hört. Ver-

Elisabeth Feller

Dazu sind der deutsche Philosoph und die

blüffend, dass sich sein Implantat später in

Schweizer Autorin zu sensible, Zusammen-

einer übervollen Kneipe als Richtmikrofon

hänge aufspürende und aus diesen überra-

entpuppt, mit dem intime Gespräche an ent-

schende Schlüsse ziehende Menschen. Anna

fernten Tischen belauscht werden können.

Papst hat aus den Gesprächen mit Park ein

Was geht im Innern eines Gehörlosen vor?

fein gewobenes, Nachdenkliches und Humor-

Dem versucht die Komponistin Julie Hern-

volles klug mischendes Stück geschrieben, in

don, mit Klängen und Geräuschen auf die

dem Bewegungen, Gesten, Geräusche und

Spur zu kommen. Weil Ungewohntes Pro-

verfremdete Musik gleichwertige Rollen spie-

gramm ist in „Extensions“, kann, aber muss

len. Wenn dann noch, wie wenige Male, die

die Tuba nicht zwingend auf der Bühne sein:

Aufführung simultan in Gebärdensprache

Man kann sie auch – mittels eines überlangen

übersetzt wird, wird das von Philip Bartels in-

Schlauchs – von einem anderen Raum spie-

szenierte „Musiktheater zur Erweiterung des

len. Oder: Die Pianistin erzeugt seltsamerwei-

menschlichen Körpers“ vollends spannend.

se an Draht erinnernde Geräusche am und im

Immer wieder richtet man den Blick auf die

Klavier; Simone Keller erweitert aber auch die

am Bühnenrand positionierte Übersetzerin,

menschliche Stimme elektronisch, indem sie

The voice of the silenced Urbaner Tanz als Motor der Veränderung Raphael Moussa Hillebrand

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ten gar nicht, wie, weil wir immer alles mit

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Premieren 22 | 23 im Schauspielhaus 9. SEP 2022 Uraufführung

25. NOV 2022

DER STURM

31. MÄR 2023 Uraufführung

labyrinth

MEDEA 38 / STIMMEN

Familienstück nach William Shakespeare &

A. W. Schlegel In einer Bearbeitung von Jens Groß Regie Jan Neumann

von Fritz Kater Regie Armin Petras

10. SEP 2022 | WERKSTATT Uraufführung

15. DEZ 2022 | WERKSTATT

15. APR 2023 | WERKSTATT Uraufführung

von DoĞan Akhanli mit Texten und nach Motiven von Christa Wolf Regie Nuran David Calis

WILDFIRE ROAD FLÄCHENBRAND

von Eve Leigh Deutsch von Henning Bochert Regie Verena Regensburger 30. SEP 2022

PEER GYNT

von Henrik Ibsen Regie Simon Solberg 27. OKT 2022 | WERKSTATT

ZERBOMBT

von Sarah Kane Deutsch von Nils Tabert Regie Charlotte Sprenger 28. OKT 2022

RECHT AUF JUGEND

von Arnolt Bronnen & Lothar Kittstein Regie Volker Lösch

LÖWENHERZEN von Nino Haratischwili Regie Hanna Müller 20. JAN 2023 Uraufführung

DER HAKEN

von Lutz Hübner & Sarah Nemitz Regie Roland Riebeling 3. FEB 2023 | WERKSTATT Uraufführung

MNEMON

von Simon Solberg & Ensemble Regie Simon Solberg 10. FEB 2023 Uraufführung

HOTEL GODESBERG von Rainald Grebe & Ensemble Regie Rainald Grebe

TICKETS: 0228 – 77 80 08 | THEATER-BONN.DE

SIEBEN TODSÜNDEN

Ein Recherche-Projekt zu Wirklichkeit und Fiktion im Digitalen Regie Angela Richter 21. APR 2023

DAS FLOSS DER MEDUSA Ein partizipatives Projekt nach Georg Kaiser Regie Max Immendorf & Kutlu Yurtseven 20. MAI 2023

DER AUFHALTSAME AUFSTIEG DES ARTURO UI von Bertolt Brecht Regie Laura Linnenbaum


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SCHAUSPIEL CHEMNITZ Premieren 2022 | 2023

Friedrich Dürrenmatt

Die Physiker 24.09.2022 Nach Lewis Caroll

2022/23 PREMIEREN

Alice im Wunderland Nach Franz Kafka

In der Strafkolonie 14.10.2022 Ivan Calbérac

Jugendliebe 15.10.2022 Theaterprojekt zur Wismut

Tausend Sonnen 23.10.2022 Michael Ende

Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch 19.11.2022 Lee Hall

Kochen mit Elvis 25.11.2022 Lutz Hübner

Gretchen 89ff. 27.01.2023 Stefan Heym

Der große Hanussen 28.01.2023 Nach Ödön von Horváth

Jugend ohne Gott 17.03.2023 William Shakespeare

Ein Sommernachtstraum 18.03.2023 Werner Schwab

Die Präsidentinnen 05.05.2023 Howard Ashman / Alan Menken

Der kleine Horrorladen 06.05.2023 Nach Alexandre Dumas

Die drei Musketiere 24.06.2023

GROẞES HAUS Frank Wedekind

FRÜHLINGS ERWACHEN 16.9.2022

Joseph Kesselring

ARSEN UND SPITZENHÄUBCHEN 28.10.2022

Franz Wittenbrink

HAMMER 20.1.2023

Else Lasker-Schüler

ARTHUR ARONYMUS UND SEINE VÄTER 10.3.2023

Maxim Gorki

KINDER DER SONNE 5.5.2023

GRABBE-HAUS Friedrich Dürrenmatt

DAS VERSPRECHEN 10.9.2022

Thomas Arzt

ELSE (OHNE FRÄULEIN) 5.11.2022

Friedrich Schiller

DIE RÄUBER 21.1.2023

Thomas Köck

vendetta vendetta 4.3.2023

Annie Baker

IM KINO

28.4.2023, Kaiserhof Kino Detmold

Foto: Marc Lontzek

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Spielzeit 22/23 Schauspieldirektor Malte C. Lachmann

Gi3F Gott ist drei Frauen

Schauspiel von Miroslava Svolikova Jeeps Komödie von Nora Abdel-Maksoud Premiere 1. Oktober 2022 • dt.1 Regie Meera Theunert Tom auf dem Lande Michel Marc Bouchard • Premiere 8. Oktober 2022 • dt.2 Regie Marcel Gisler Cabaret Joe Masteroff, John van Druten, Christopher Isherwood, Fred Ebb, John Kander • Premiere 15. Oktober 2022 • dt.1 Regie Aureliusz Śmigiel State of the Union Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst. Nick Hornby • Premiere 23. Oktober 2022 • dt.x Keller Regie Johanna Schwung Bombe! Komödie von Philipp Löhle und Abdul Abbasi Uraufführung • Premiere 29. Oktober 2022 • dt.1 Regie Philipp Löhle Früchte des Zorns John Steinbeck • Premiere 5. November 2022 • dt.1 Regie Christoph Mehler Ronja Räubertochter Astrid Lindgren • Premiere 20. November 2022 • dt.1 • 6+ Regie Theo Fransz All das Schöne Duncan Macmillan mit Jonny Donahoe Premiere 26. November 2022 • dt.2 • 13+ Regie Moritz Franz Beichl Zerstörte Straßen Natalia Voroschbit • Premiere 10. Dezember 2022 • dt.1 Regie Niklas Ritter Pirsch Ivana Sokola • Uraufführung Premiere 21. Januar 2023 • dt.2 Regie Christina Gegenbauer Hedwig and the Angry Inch John Cameron Mitchell, Stephen Trask Premiere 28. Januar 2023 • dt.1 Regie Moritz Franz Beichl Mitwisser Enis Maci • Premiere 25. Februar 2023 • dt.2 Regie Selina Girschweiler Vor Sonnenaufgang Ewald Palmetshofer • Premiere 4. März 2023 • dt.1 Regie Erich Sidler Wer hat meinen Vater umgebracht / Die Freiheit einer Frau Édouard Louis • Premiere 8. April 2023 • dt.2 Regie Moritz Franz Beichl Im Dickicht der Städte Bertolt Brecht • Premiere 15. April 2023 • dt.1 Regie Katharina Ramser Die Verwandlung Philipp Löhle • Uraufführung • Premiere 29. April 2023 • dt.1 Regie Philipp Löhle Wir müssen über das Sterben sprechen Wenzel Winzer • Uraufführung • Premiere 10. Juni 2023 • dt.2 Regie Wenzel Winzer Sein oder Nichtsein Komödie von Nick Whitby nach dem Film »To Be or Not To Be« von Ernst Lubitsch Premiere 17. Juni 2023 • dt.1 Die Frau in Schwarz Susan Hill und Stephen Mallatratt Premiere in der Spielzeit 2022/23 • dt.x Keller Regie Georg Münzel

20220507_DTG_ANZ_SPZ2223_THEATERZEIT.indd 1

Inszenierung Anne Bader Premiere Fr 09/09/22 · Kammerspiele

Das Los

Schauspiel von Raphaela Bardutzky

Uraufführung Inszenierung Catrin Mosler Premiere Sa 10/09/22 · Hotel Hanseatischer Hof

Woyzeck

nach dem Stück von Georg Büchner

Musik und Liedtexte von Tom Waits und Kathleen Brennan Konzept von Robert Wilson Textfassung von Ann-Christin Rommen und Wolfgang Wiens Inszenierung Malte C. Lachmann Premiere Fr 16/09/22 · Großes Haus

Der eingebildete Kranke Komödie von Molière

Inszenierung Maja Delinić Premiere Fr 11/11/22 · Kammerspiele

Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch Zauberposse von Michael Ende Weihnachtsstück für alle ab 6 Jahren Inszenierung Alice Asper Premiere Fr 02/12/22 · Großes Haus

Der Untergang der Titanic Eine Komödie in 33 Gesängen

von Hans Magnus Enzensberger Inszenierung Martin Schulze Premiere Sa 03/12/22 · Kammerspiele

BOMB Variationen über Verweigerung Schauspiel von Maya Arad Yasur Inszenierung Sapir Heller Premiere Fr 03/02/23 · Kammerspiele

Die Verwandlung

Ein musikalischer Abend nach Franz Kafka

Inszenierung Robert Teufel Idee & musikalisches Konzept Sonja Cariaso, Thomas Leboeg Premiere Sa 04/02/23 · Studio

Frankenstein

Eine Phänomenologie der Ängste nach Motiven von Mary Shelleys Roman Inszenierung Babett Grube Premiere Sa 11/02/23 · Großes Haus

sterben helfen

Schauspiel von Konstantin Küspert

Inszenierung Malte C. Lachmann Premiere Do 30/03/23 · CBBM Universität zu Lübeck

Eine kurze Chronik des künftigen China Schauspiel von Pat To Yan

Inszenierung Max Claessen Premiere Do 06/04/23 · Kammerspiele

Emigranten

Schauspiel von Sławomir Mrożek Inszenierung Lilly Tiemeyer Premiere Sa 24/06/23 · Studio

Romeo und Julia

Tragödie von William Shakespeare Inszenierung David Ortmann Premiere Fr 30/06/23 · Freilicht

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SCHAUSPIEL 2022/2023

THEATER HEIDELBERG 7.+8.+9. OKTOBER 2022

10 NEUE STÜCKE BOSS/Y – EIN FEMINISTISCHER LEADERABEND FLINN WORKS // UA

PROFESSOR BERNHARDI

AMIR REZA KOOHESTANI & MAHIN SADRI NACH

ARTHUR SCHNITZLER // UA // REGIE AMIR REZA KOOHESTANI

MEDEA

SIMON STONE NACH EURIPIDES // REGIE KAMILĖ GUDMONAITĖ

MA-DONNA

TEXT & REGIE CAMILLA DANIA // UA

HINAUF ZU DEN STERNEN

LEONID ANDREJEW // DE // REGIE NICOLAS CHARAUX

WAS IHR WOLLT

WILLIAM SHAKESPEARE // REGIE LYDIA BUNK

DIE EHEMALIGEN

EIN DOKUMENTARTHEATERSTÜCK // UA // REGIE VEIT ARLT

REVOLUTION

REMMIDEMMI DAS WIDERSTANDSFESTIVAL

VIKTOR MARTINOWITSCH // REGIE MAŁGORZATA WARSICKA

DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG

NACH WILLIAM SHAKESPEARE // UA // REGIE EWELINA MARCINIAK

APPROPRIATE

BRANDEN JACOBS-JENKINS // REGIE PETER CARP

DER STEPPENWOLF

NACH HERMANN HESSE // REGIE WIKTOR BAGIŃSKI

WWW.THEATERHEIDELBERG.DE THEATERKASSE 06221/5820 000


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PREMIEREN 2022/23 29. SEP 2022

Georg Friedrich Händel

ALESSANDRO

MIT DER JUNGEN DEUTSCHEN PHILHARMONIE

MUSIKALISCHE LEITUNG: GOTTFRIED VON DER GOLTZ REGIE: SIBYLLE BROLL-PAPE Clemens Bechtel/Jan Boettcher

KICK & KOLLAPS

01. OKT 2022

URAUFFÜHRUNG REGIE: CLEMENS BECHTEL

Natalia Vorozhbyt

ZERSTÖRTE STRASSEN

21. OKT 2022

REGIE: WOJTEK KLEMM

12. NOV 2022

Björn SC Deigner

TIEFER GRUND

URAUFFÜHRUNG AUFTRAGSWERK REGIE: SIBYLLE BROLL-PAPE 19. NOV 2022

Dea Loher

BÄR IM UNIVERSUM AB 5 JAHREN

WEIHNACHTSMÄRCHEN | REGIE: BETTINA OSTERMEIER 02. DEZ 2022

Joe Orton

BEUTE

REGIE: STEFAN OTTENI 20. JAN 2023

Sam Max

ZAUN

DEUTSCHSPRACHIGE ERSTAUFFÜHRUNG REGIE: WILKE WEERMANN 27. JAN 2023

Georg Büchner

DANTONS TOD

REGIE: PHILIPP ARNOLD 10. MÄR 2023

Paula Thielecke

WHO IS AFRAID OF FUCK YOU ALL? REGIE: PAULA THIELECKE

THE STORY OF KATHY ACKER

Thornton Wilder

17. MÄR 2023

WIR SIND NOCH EINMAL DAVONGEKOMMEN (THE SKIN OF OUR TEETH) REGIE: SEBASTIAN SCHUG Branden Jacobs-Jenkins

APPROPRIATE

05. MAI 2023

REGIE: SIBYLLE BROLL-PAPE Elfriede Jelinek

12. MAI 2023

DIE SCHUTZBEFOHLENEN REGIE: JANIS KNORR Ödön von Horváth

30. JUN 2023

ZUR SCHÖNEN AUSSICHT

50 JAHRE CALDERÓN-SPIELE REGIE: SUSI WEBER

AUFBRUCH Spielzeit

GROSSES HAUS Requiem (DSE) von Hanoch Levin Premiere: 30.09.2022 Regie: Knut Weber

Eleos Eine Empörung in 36 Miniaturen von Caren Jeß Premiere: 10.12.2022 Regie: Lisa Schacher

Der Selbstmörder von Nikolaj R.Erdmann Premiere: 22.10.2022 Regie: Ulrike Arnold

DOWNTOWN

Frankensteins Braut (UA) von Wolfgang Böhmer (Musik) und Peter Lund (Text) Premiere: 03.12.2022 Regie: Peter Lund Floh im Ohr von Georges Feydeau Premiere: 28.01.2023 Regie: Philipp Moschitz Peter Pan Musik und Gesangstexte von CocoRosie Regie und State Design der Originalproduktion von Robert Wilson Fassung von Jutta Ferbers, Ann-Christin Rommen und Robert Wilson Deutsch von Erich Kästner, ergänzende Übersetzungen von Arezu Weitholz Premiere: 24.02.2023 Regie: Ekat Cordes Geschichten aus dem Wiener Wald von Ödön von Horváth Premiere: 25.03.2023 Regie: Julia Prechsl Ein Sommernachtstraum Komödie von William Shakespeare Premiere: 29.04.2023 Regie: Jochen Schölch KLEINES HAUS Slippery Slope von Yael Ronen Premiere: 07.10.2022 Regie: Yael Ronen Fegefeuer in Ingolstadt Schauspiel von Marieluise Fleißer Premiere: 09.12.2022 Regie: Schirin Khodadadian Königin Lear Tragödie von Tom Lanoye nach William Shakespeare Premiere: 04.02.2023 Regie: Marlene Schäfer Das Wasser, die Taufe (AT) Auftragswerk, Anna Gschnitzer Premiere: 15.04.2023 Regie: Alexander Nerlich

W W W. T H EAT ER . BA M B ERG . D E

STUDIO IM HERZOGSKASTEN A Long Way Down von Stefan Eberle nach dem Roman von Nick Hornby Premiere: 01.10.2022 Regie: Stefan Eberle

La deutsche Dolce Vita (UA) Monolog von Leonard Dick Premiere: Frühjahr 2023 Regie: Leonard Dick FREILICHT IM TURM BAUR Soul Kitchen von Fatih Akin Premiere: 23.06.2023 Regie: Tobias Hofmann FREILICHT IM REDUIT TILLY Der verkaufte Großvater Bäuerliche Groteske in drei Akten von Anton Hamik Premiere: 17.06.2023 Regie: Christine Gnann JUNGES THEATER Die Sprache des Wassers nach dem Roman von Sarah Crossan Premiere: 08.10.2022 Regie: Mia Constantine Oh, wie schön ist Panama nach einem Original von Janosch in der Bearbeitung von Katharina Mayrhofer Premiere: 14.10.2022 Regie: Katharina Mayrhofer Rose mit Dornen (Sleeping Beauty) Charles Way Premiere: 12.11.2022 Regie: Martina van Boxen Let them eat Iphigenie von Natalie Baudy und David Moser nach Euripides´»Iphigenie in Aulis« Premiere: 17.12.2022 Regie: David Moser Der fabelhafte Die von Sergej Gößner Premiere: 25.02.2023 Regie: Momo Mosel move2play! (Arbeitstitel) Ein interaktives Bewegungstheater Premiere: 04.03.2023 Regie: Annette Taubmann Nachts Eine Projektentwicklung für Schlafwandler*innen, Nachtgestalten und Mondsüchtige Premiere: 15.04.2023 Regie: Julia Mayr Das ist Esther Christiane Richers Premiere: Chiara Hunski Frühjahr/Sommer 2023

Stadttheater Ingolstadt

ETA_TDZ_1_2_Anz_07_22.indd 1

2022 I 2023

14.06.22 09:48


/ TdZ September 2022 /

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Spielzeit 22 / 23

23 / 09 STADTTHEATER

SPIELZEIT 2022/2023

Der zerbrochne Krug von Heinrich von Kleist Regie Schirin Khodadadian

24 / 09 WERKSTATT

KARL!

Großes Haus

Eine Stückentwicklung von Susanne Frieling & Hannah Stollmayer Regie Susanne Frieling — URAUFFÜHRUNG

DIE HEILIGE JOHANNA DER SCHLACHTHÖFE

15 / 10 SPIEGELHALLE

BERTOLT BRECHT ab 17. September 2022

und alle tiere rufen: dieser titel rettet die welt auch nicht mehr

THE GHOSTS ARE RETURNING EIN MUSIKTHEATERPROJEKT am 5., 7. und 8. Oktober 2022

NORA

von Thomas Köck Regie Kristo Šagor — JTK 14+

HENRIK IBSEN ab 4. November 2022

ALICE IM WUNDERLAND

21 / 10 STADTTHEATER

LEWIS CARROLL I Familienstück ab 24. November 2022

Quijote

von Hannes Weiler sehr frei nach Miguel de Cervantes Regie Hannes Weiler — URAUFFÜHRUNG

KAFKA IN FARBE

MAX MERKER & AARON HITZ I Uraufführung ab 19. Januar 2023

WUNSCH UND WIDERSTAND – EINE ÜBERLEBENSGESCHICHTE

theaterkonstanz.de

THOMAS ARZT I Uraufführung ab 11. Februar 2023

MARIA STUARDA

GAETANO DONIZETTI

In Kooperation mit dem Symphonieorchester Vorarlberg ab 12. März 2023

ERDBEBEN IN LONDON

MIKE BARTLETT I Österreichische Erstaufführung ab 14. April 2023

SPÄTE SPIELE

GERHARD MEISTER I Uraufführung ab 5. Mai 2023

ROBERT WILSON/TOM WAITS/WILLIAM S. BURROUGHS ab 14. Juni 2023

vorarlbergerlandestheater

VLT_Inserat_TDZ_spielzeit.indd 1

Foto: Annette Schreyer

THE BLACK RIDER: THE CASTING OF THE MAGIC BULLETS

landestheatervorarlberg

Sept. + Okt.

landestheater.org

13.06.22 12:55


Zeitschrift für Theater und Politik

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Theater der Zeit September 2022

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auftritt

/ TdZ März   Januar2018 2020//

Neuerscheinungen

Was ist da los in Oberammergau? Seit beinahe 400 Jahren führen die Menschen in dem oberbayerischen Alpendorf alle zehn Jahre die Passion Christi auf. Alle zusammen. Großeltern, Eltern, Kinder und Enkelkinder stehen gemeinsam auf der Bühne. Sie folgen einem Gelübde ihrer Vorfahren, das einst die Pest fernhalten sollte. Dieses Buch will ergründen, warum die Theaterbegeisterung der Dorfbewohner bis heute ungebrochen ist. Es blickt hinter die Kulissen und begleitet die Entstehung der Passionsspiele im Jahr 2022 mit ihren über 2000 Mitwirkenden. Veranstaltung mit Anne Fritsch und Sebastian Schulte am 14.09.2022 um 18.00 Uhr im Theatermuseum München. Anne Fritsch Theater unser Wie die Passionsspiele Oberammergau den Ort verändern und die Welt bewegen Paperback mit 200 Seiten ISBN 978-3-95749-394-1 EUR 15,00 (print) / 12,99 (digital)

Die Helferei in der Kirchgasse 13 in der Zürcher Altstadt, gelegen zwischen Grossmünster und Universität, ist ein Haus mit einer 750-jährigen Geschichten zwischen Kirche, Politik und Kultur. Ihr berühmtester Bewohner, der Reformator Ulrich Zwingli, hat die Schweiz politisch verändert wie nur wenige andere. Valeria Heintges zeichnet in ihrem Buch den Weg der Helferei vom Priesterhaus zu einer der ersten offenen multifunktionalen Einrichtungen Europas nach. Einst waren es Diakone, die der Helferei den Namen gaben. Heute sind es Künstlerinnen und Künstler, die unter diesen Namen im Haus ihre Arbeit entsprechend ausrichten. Hier wird Kultur gezeigt. Hier geht hin, wer Rat oder ein Gespräch sucht. Und seit Martin Wigger dieses Kulturhaus leitet, gibt es auch sehr viel Theater zu sehen. Er nahm an der Helferei das Konzept der "Social Critical Work" auf und entwickelte es weiter, zu einer Art "Social Critical Art Work". Buchpremiere am 29.09.2022, 19.30 Uhr, in der HELFEREI in Zürich Valeria Heintges Zwischen Zwingli und Zukunft. Die Helferei in Zürich Hardcover mit 160 Seiten, ISBN 978-3-95749-434-4 EUR 18,00 (print) / EUR 14,99 (digital)

Das Arbeitsbuch 2022 widmet sich der noch jungen zeitgenössischen Zirkusform und präsentiert Analysen, Interviews, Kommentare, umfangreiches Fotomaterial und künstlerische Positionen internationaler und deutscher Zirkuskünstlerinnen und -künstler. Mit der zusätzlichen Sondereinlage des VOICES Magazins „Re-thinking objects“ taucht das Buch tief in den aktuellen zirkusästhetischen Diskurs über neue Materialismen ein und nimmt außerdem die Verbindungen zum zeitgenössischen Tanz auf.

#CoronaTheater geht dem dramaturgischen, räumlichen und institutionellen Wandel der letzten Jahre nach und fragt nach der postpandemischen Zukunft von Theater und Performance. Die Beiträge aus Theater-, Literatur- und Medienwissenschaft sowie drei abgedruckte Gesprächsrunden mit Theaterschaffenden skizzieren ein umfassendes Bild des Wandels und debattieren dabei auch Fragen von Nachhaltigkeit, gesellschaftlicher Teilhabe und Inklusion.

Arbeitsbuch 2022 Circus in flux Zeitgenössischer Zirkus | Contemporary Circus Tim Behren, CircusDanceFestival und Jenny Patschovsky (Hg.)

RECHERCHEN 165 #CoronaTheater Der Wandel der performativen Künste in der Pandemie Herausgegeben von Benjamin Wihstutz, Daniele Vecchiato und Mirjam Kreuser

Paperback mit 200 Seiten, durchgehend farbig illustriert Zweisprachig deutsch / englisch ISBN 978-3-95749-431-3 EUR 24,50 (print) / EUR 19,99 (digital)

Paperback mit 210 Seiten ISBN 978-3-95749-435-1 EUR 22,00 (print) / EUR 17,99 (digital)

Erhältlich in der Theaterbuchhandlung Einar & Bert oder portofrei unter www.theaterderzeit.de

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Magazin

Neue Horizonte für den Neuen Zirkus CircusDanceFestival in Köln treibt die ­Gattungsvielfalt voran Das System des Theaters als System der Weißen Das schwedische Kindertheaterfestival Bibu in Helsingborg Radikal aktuell Die neueste Ausgabe des Radikal-jung-Festivals am Münchner Volkstheater Geisterbeschwörung im Stasi-Keller Das Schauspiel Leipzig startet mit „Letzter A­ ufguss“ ein mehrteiliges Stadtraum-Projekt Klimawandel am Theater Das Schauspielhaus Graz arbeitet an der Idee eines „Grünen Theaters“ Festivalsimulation oder Professionalisierung im geschützten Raum? Das studentisch ­organisierte Theater- und Performancefestival transeuropa in Hildesheim Transformationen in Erfurt Das junge Festival PHOENIX 2.0 verstärkt Bemühungen um ein neues Schauspiel ­­ Immer wieder neu erfunden Verabschiedung von Frank Bernhardt als Künstlerischer Leiter des Puppen­ theaters

Nachrufe Klaus ­Pierwoß und Berndt Stübner Stimme und Schönheit Montanaris u ­ngewöhnliches Gesangsstudio in Ravenna Bücher Erwin

Magdeburg Ermanna

Piscators Erbe


magazin

/ TdZ September 2022 /

Neue Horizonte für den Neuen Zirkus Das CircusDanceFestival in Köln treibt die Gattungsvielfalt voran Das CircusDanceFestival in Köln stellte expe-

neu gewonnener Souveränität in der jungen

rimentelle Zirkusformate vor und scheute sich

Kunstform. Als Basis für die zukünftige Entwick-

dabei nicht davor, auf die grüne Wiese zu gehen und selbst Manegen zu benutzen.

lung wurde vom Festival aus ein Koopera­

Mit der geförderten Kunst ist es oft ein

tionsprojekt zwischen dem Zentrum für Zeit-

Kreuz. Um die Förderwürdigkeit nachzuwei-

genössischen Tanz Köln und der Brüsseler

sen, werden gern Kategorien aufgebaut. Die

Zirkushochschule ESAC initiiert. Behren, der

U- und die E-Kunst waren solche Begriffe.

selbst Absolvent der ESAC ist und sich in der

Auch wie sich das Literaturtheater im späten

Kölner Tanzszene als Choreograf verortet,

19. Jahrhundert von anderen Kunstformen wie

sieht ohnehin mehr Affinitäten zwischen Tanz

etwa dem Zirkus hinwegnobilitierte, gehört in

und Zirkus als zwischen Theater und Zirkus.

diesen Erzählstrang. Mirjam Hildbrand zeich-

„Beide sprechen vor allem über den Körper“,

net diese Entwicklung im von Theater der Zeit

sieht er als Gemeinsamkeit. Der Zirkus arbei-

herausgegebenen Band „Circus in flux“ (Ar-

te aber mehr in der Vertikalen, dem Luftraum,

beitsbuch 2022) recht plastisch nach. Und

und suche das Risiko, während der Tanz sich

beim Neuen Zirkus, der sich so langsam auch

auf die Horizontale ausrichte.

hierzulande zu einer ernsthaften Kunstform

Gespannt darf man sein, ob und wie

entwickelt, betonen manche Protagonist:innen

sich die vertikale und die horizontale Bewe-

gern vor allem das, was sie vom herkömm­ lichen Zirkus trennt – und leiten so eine neuerliche Aufwertungsbewegung ein. Angenehmerweise war beim Circus-

gungskunst in Zukunft beeinflussen werden. Jörg Müller in seiner Performance „Noustube“ beim CircusDanceFestival in Köln.

Im Theater gibt es schon länger Annäherun-

Foto Franziska Schardt

rin Ola Mafaalani im Berliner Ensemble in

gen. Bereits vor vier Jahren ließ die Regisseu-

DanceFestival in Köln, einem zentralen Ort der

„Kinder des Paradieses“ Akrobaten und Jon-

Entwicklung des Neuen Zirkus in Deutschland,

gleure auftreten. Die Berliner Musiktheater-

von solchen Abgrenzungsmechanismen nichts

wie andere Körper in eine mehrere Meter

gruppe glanz&krawall arbeitete in diesem

zu spüren. Im Gegenteil, neue Orte wurden mit

hohe Glasröhre eintauchten und dort aquati-

Sommer im „Wendecircus“ gleich mit einem

neuen Spielformen erobert. Das Festival fand

sche Choreografien vollführten.

kompletten Familienzirkus zusammen. Dies

in weiten Teilen draußen statt, auf einem Park-

Ja, der Neue Zirkus kam an, als er unter

spricht für einen doppelgleisigen Entwick-

gelände im Kölner Norden, nahe am Rhein.

freiem Himmel gezeigt wurde. Und er über-

lungsweg. Er besteht aus neuen Stücken und

Freizeitfußballer kickten auf der Wiese. Ihre

zeugte gleichfalls im angestammten Raum,

Spielformaten des zeitgenössischen Zirkus

Rufe und die Geräusche des Balls wehten her-

dem Rund der Manege. Dort wurden Arbeiten

selbst und dem Aufnehmen zirzensischer

über zu den offenen Bühnen des Festivals.

gezeigt, die wie Julian Vogels „China Series“

­Elemente durch Theater, Oper und Tanz. //

„Zirkus schreibt sich hier in einen öf-

ursprünglich für den Galerieraum konzipiert

fentlichen Raum ein, in ein Parkgelände“,

wurden, oder wie „My Body is Your Body“ von

beobachtete beglückt Tim Behren, Kurator

Overhead Project, das für Bühnenräume mit

des Festivals und Mitbegründer der zwischen

Tanzboden gedacht war. Hieraus lassen sich

zeitgenössischem Zirkus und zeitgenössi-

zwei Tendenzen ableiten: Der Neue Zirkus sucht

schem Tanz oszillierenden Gruppe Overhead

sich einerseits neue Orte. „China S ­ eries“ war

Project. „Die Leute können vorbeikommen

eine Hybride aus Ausstellung, Installation und

und schauen. Sie entdecken, dass der Luft-

tänzerisch-akrobatischer

raum bespielt wird, bleiben stehen, staunen“,

­Diabolos, das aus Porzellan gefertigt war. Das

meinte er zu Theater der Zeit. Die Leute

gesamte Arrangement war gedacht für den

staunten, wie Körper durch die Luft flogen,

white cube. Vogel markierte darin einen Kreis

Bespielung

eines

als Spielfläche, der sich wiederum auf die Zirkusherkunft bezog. Jetzt aber gab es den dopDie Produktion „My Body is Your Body“ von Overhead Project beim CircusDanceFestival in Köln. Foto Franziska Schardt

pelten Kreis, denn „China Series“ fand wieder in der Manege statt. In den historisch alten Ort, ein Zirkuszelt, zurückzukehren, zeugt von

Tom Mustroph

theater haus G7

Der Sturz d er Kometen und der Kos monauten (DSE)

Ein Stück von Marina Skalova Premiere 27. September 2022 Theaterhaus G7, mannheim

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magazin

/ TdZ September 2022 /

Das System des Theaters als System der Weißen Das schwedische Kindertheaterfestival Bibu in Helsingborg Schweden war schon immer ein Land, in dem

Hastie (Tanz) und Lou Bennett (Musik), aber

die Rechte der Kinder großgeschrieben wur-

auf ganz andere Art und Weise. Der australi-

den. Schon vor 25 Jahren widmete sich eine

sche Beitrag erzählt vom Land der Aborigines

UNESCO-Konferenz in Stockholm der Power

mit Infrarot-Kameras und einer ausgeklügel-

of Culture von Kindern. Seitdem pilgern Akti-

ten Sensor-Technik. Schon die Vierjährigen

visten aus aller Welt in das nordische Land,

dürfen mitmachen, von Licht zu Licht sprin-

wo der Geist der Kinderbuchautorin Astrid

gen, Farben erfahren und Formen erleben.

Lindgren gelebt wird, deren Konterfei auf ei-

Interaktion ist erlaubt, ja sogar erwünscht, in

nem 20-Kronen-Geldschein prangt, in dem

der heißen Wüste, in der lauten Stadt oder

die PISA-Studien konstant belegen, dass

am wilden Meer. Alles, was man von Down

auch die Förderung von Kunst und Kultur

Under zu kennen glaubt, kommt vor: Känguru

zum Erfolg des Bildungssystems beitragen

und Emu, Didgeridoo und Bumerang, Sonne

kann und in dem das Kindertheater dank

und Sterne.

­kreativer Köpfe zur Avantgarde zählt. Grund

Das Skript stammt von Jason Cross,

genug, sich mal wieder vor Ort umzuschauen,

und er war gar nicht glücklich, dass diese

beim Festival Bibu in Helsingborg.

dreizehn Jahre alte Produktion ausgewählt wurde. Er spricht voller Respekt von den

Die Biennale der Darstellenden Künste

Menschen der First Nation und offensichtlich

für Kinder und Jugendliche fand nach den Jahren der Pandemie endlich wieder in Präsenz statt, präsentierte Aufführungen Made in Sweden, vor allem aber ein ambitioniertes Programm internationaler Inszenierungen, allesamt Produktionen von und mit indige­

Interaktion ist erlaubt, ja sogar erwünscht bei der Inszenierung von „Saltbush“ der Gruppe Insite Arts and Compagnia TPO vom australischen Lighthouse Theatre beim Bibu. Foto Rebecca Mansell

nous people und im Kontext eines Diskurses

schon lange nicht mehr von der kolonialen Stigmatisierung der Eingeborenen, er berichtet von einem radikalen Wechsel in den ­darstellenden Künsten, die nicht mehr über Colored People Geschichten erzählen, sondern dieses selbst zu Wort kommen lassen.

der Internationalen Vereinigung des Theaters

„wenn man nicht weiß, wo man hingehört“,

„Wir sind Jahrzehnte zurück, was deren

für Kinder und Jugendliche, der ASSITEJ, die

wie es von der Tourmanagerin formuliert wird.

Repräsentation betrifft!“ Das System des ­

im Rahmenprogramm ihr jährliches Artistic

Das Spiel mit dem Unerwarteten ist

Theaters sei ein System der Weißen. Und des-

Gathering der UN-Agenda für nachhaltige

auch Gegenstand der Le Moana Dance Com-

halb werde sich das Theater für Kinder auch

Entwicklung widmete.

pany aus Neuseeland in dem Tanzstück „Shel

ändern müssen, „wie auch immer die zukünftigen darstellenden Künste aussehen“.

Nicht alles, was geplant war, konnte

we“ nach einer Vorlage des amerikanischen

auch stattfinden: Visa-Anträge des südafrika-

Autors Shel Silverstein. Sechs Männer in An-

Das sieht auch Ylva Lorentzon so, die

nischen Ensembles Jungle Theatre Company

zügen stürmen die große Bühne des Stadtthe-

in einer Begleitveranstaltung die Thesen ihrer

wurden in letzter Minute nicht genehmigt,

aters, Scheinwerfer gestalten die Rauminstal-

Dissertation öffentlich machte. Noch immer

und einzelne Mitglieder der taiwanesischen

lation, ein Zweig mit Blättern genügt, um zu

würden die pädagogischen Dimensionen die

Gruppe Tjucenglav Forum konnten wegen

imaginieren, wo man sich befindet. Und so

Potenziale des Kindertheaters beeinflussen,

mehrwöchiger Quarantäneregelungen nicht

einfach es erzählt wird: die Wiese ist grün,

sodass es einer Kulturpolitik bedürfe, die

anreisen. Doch Workshops und Filmdoku-

der Himmel blau und die Nacht dunkel, wird

stärker das Künstlerische zur Entfaltung brin-

mentationen gewährten Einblicke. Auffällig

das Publikum immer wieder überrascht, es

gen möge. Am Zentrum für Kinder­ kultur­

dabei, dass Choreografie eine große Rolle zu

anders zu sehen, weil die Figuren ihr Dasein

forschung der Universität Stockholm haben

spielen scheint: „Beyond Sensation“ erzeugt

immer wieder neu entdecken. Der Choreograf

die darstellenden Künste für junges Publi-

mit fernöstlichen Klängen Stimmungen, die

Tupua Tigafua weiß das Ganze mit Humor zu

kum offensichtlich ein kritisches Korrektiv –

von jungen Tänzerinnen aus einem der 16 in-

inszenieren, selten ist so intergenerationell

auch als neuer Impuls zur Rolle der kulturel-

digenen Stämme in Taiwan in zeitgenössische

im Zuschauerraum gelacht worden.

len Bildung, der sicherlich über Schweden

Kunst transferiert wird. Das Alte als auch das

Bewegend ist auch die Inszenierung

Neue bestimmen die Auseinandersetzung,

„Saltbush“, eine Dreiviertelstunde von Deon

hinaus den Diskurs bereichern kann. // Wolfgang Schneider


magazin

/ TdZ September 2022 /

Radikal aktuell Die neueste Ausgabe des Radikal-jung-Festivals am Münchner Volkstheater

Das Schwere leicht präsentieren: Joana Tischkaus Inszenierung „Karneval“ bei Radikal jung am Münchner Volkstheater.

Es war das erste Radikal-jung-Festival seit

dem übergreifenden Thema Identität sein kann.

2019 – und das erste im neuen Volkstheater im

Die Fragen „Wer bin ich? Wie werde ich gese-

Münchner Schlachthofviertel. Und irgendwie

hen? Wo ist mein Platz in der Gesellschaft?“

war es auch die Essenz dieser letzten Jahre.

waren so etwas wie Leitmotive in dieser Woche.

Selten oder nie wurden die Debatten, die die

Zum Beispiel in Joana Tischkaus „Karneval“

Gesellschaft umtreiben, so vielfältig und doch

vom Theater Oberhausen: Die Regisseurin

Kieran Joel spielt in seiner Roman-Adaption

konzentriert in ein Festival gefasst. Selten war

nimmt sich die deutsche Karnevalstradition vor

gekonnt und mit großer Empathie für seine

die Bandbreite so groß. Den Anfang machte

und all die denkwürdigen Aussagen, die rund um

Figuren und ihre Spleens seine theatralen

eine ukrainische Inszenierung aus dem Jahr

das alkohollastige Verkleidungsfest so bekannt

Karten aus: Er beginnt mit einem eingespiel-

2019, die heute aktueller ist als damals: „Bad

sind. Tischkau verfremdet Hits und Rituale. Sie

ten Radio-Interview mit einer seiner Schau-

Roads“ von Natalia Vorozhbyt, inszeniert 2019

bringt zusammen, was nicht zusammengehört,

spielerinnen über die Probenzeit, lässt die

von Tamara Trunova am Left Bank Theatre in

aber trefflich zueinander passt. Aus „König der

indische Gottheit Kali in knallblauem Ganz-

Kyjiw. Das Stück handelt von einem Krieg, der

Löwen“-, Kramp-Karrenbauer- und Thomas-

körperanzug durch den Abend führen und die

schon damals im Osten der Ukraine brodelte

Gottschalk-Zitaten bastelt Tischkau sich einen

Protagonistin Nivedita auf ihrer Identitätssu-

und heute das ganze Land und die Welt be-

Abend, der vieles, das schiefläuft, auf den Bier-

che zwischen indisch-deutschen Eltern und

herrscht. Es trägt den Untertitel „Sechs Ge-

tisch bringt. Indem sie all die Zitate einfach in

vermeintlichen Vorbildern hin- und her-

schichten über das Leben und den Krieg“. Alle

den Raum stellt, können sie in gesammelter

schleudern. Das große Wort „Identität“ ist

diese Geschichten spielen in Orten, die inzwi-

Kraft noch einmal ihre Wirkung entfalten und

schließlich auch nur „ein Spektrum“. Der

schen jeder kennt: Donezk, Charkiw, Mariupol.

hallen nach. Die Musik tut ein Übriges, um eine

Roman stand nicht umsonst auf der Shortlist

Die Inszenierung führt mitten ins Kriegsgebiet.

Gesellschaft zu entlarven, die sich für weltoffen

des Deutschen Buchpreises 2021 – und gäbe

Beim Applaus hatten einige der Schau­ spie­

hält, in der der antirassistische Spaß aber ganz

es eine solche für Theater, diese Inszenierung

ler:innen Tränen in den Augen. Die Realität hat

schnell aufhört, wenn die geliebte Afro-Perücke

hätte definitiv einen Platz darauf verdient!

die Inszenierung überholt, der aktuelle Schre-

oder der Indianer-Kopfschmuck auf dem Spiel

Lena Braschs Auseinandersetzung mit

cken den damaligen übertrumpft. Dass diese

stehen. Dieses „Playback Musical“ kommt ganz

der Pop-Ikone Britney Spears ist die intimste

Inszenierung den Publikumspreis erhielt, war

ohne live gesprochene Worte aus, es setzt kom-

Inszenierung des Festivals. Sina Martens, die

auch eine klare Solidaritätsbekundung.

plett auf Original-Zitate. In Verbindung mit den

der echten Britney erstaunlich ähnlich sieht,

Am anderen Ende der ästhetischen

exzentrischen Kostümen von Mascha Mihoa Bi-

spielt das Solo auf und um ein kleines Bühnen-

Skala stand die Arbeit, die die Jury der

schoff wird hier auf sehr unverkrampfte Art und

podest. Sie schlüpft in die Rolle und wieder

Nachwuchskünstler:innen aus der Master-

Weise der Wahnsinn Alltagsrassismus sicht-,

­hinaus, fragt, was das Phänomen Britney über

class mit ihrem Preis auszeichnete: „Kara­

hör- und erlebbar.

uns sagt, über unseren Umgang mit Idolen,

Foto Katrin Ribbe

deniz“ von caner teker. Ausgehend von tür­

Das Schwere leicht zu präsentieren,

über Väter und Töchter, toxische Beziehungen,

kischen Hochzeitsritualen setzt sich die

ohne seicht zu werden, das ist eine Kunst, die

Entmündigung und das Ende der Privatsphäre.

autobiografisch geprägte Produktion mit The-

auf dem Vormarsch zu sein scheint. Diesen

Sie bricht zusammen und aus ihrem Käfig aus,

men wie heteronormativer Existenz, Queer-

Eindruck stärken auch die Produktionen

wütet und singt sehr leise diese Hits, die wie

ness und Migration auseinander, kreist dabei

„Identitti“ nach dem Roman von Mithu Sanyal

ihre Interpretin Allgemeingut geworden sind.

aber recht hermetisch um sich selbst.

in der Regie von Kieran Joel vom Düsseldorfer

„Zu Ende geliebt zu werden, das wäre so ein

Zwischen diesen Polen zeigten die einge-

Schauspielhaus und „It’s Britney, Bitch!“ von

Ziel“, sagt sie gegen Ende. Das Festival zu Ende

ladenen Regisseur:innen, wie unterschiedlich

Lena Brasch und Sina Martens vom Berliner

zu lieben, fällt nicht schwer nach diesem Ab-

und ja: wie divers die Auseinandersetzung mit

Ensemble.

schluss. //

Anne Fritsch

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Geisterbeschwörung im Stasi-Keller

Das Schauspiel Leipzig startet mit „Letzter Aufguss“ ein mehrteiliges Stadtraum-Projekt Ein Riesenrad neben Museen und einem Woh-

anderen Reihenfolge den Gespenstern der Ver-

nungslosenheim, dazwischen intergeneratio­

gangenheit, die im Loop ihre Geschichte erzäh-

nale Begegnung: Der stadtplanerischen Imagi-

len. Um die nächste Station zu finden, bewegt

nation sind keine Grenzen gesetzt. Auf dem

man sich im sporadischen Neonlicht durch

Gelände des Matthäikirchhofs soll ein Raum für

ehemalige Dusch- und Baderäume, an deren

alle Menschen entstehen. Aber zuerst muss der

Wänden noch zersplitterte Fliesen kleben.

Gespenster der Vergangenheit in der Sauna: „Letzter Aufguss“ im Rahmen von Pay attention! vom Schauspiel Leipzig vom Kollektiv DARUM. Foto Rolf Arnold

alte DDR-Bau abgerissen werden, erklärt die

Der Abriss-Ort passt zu den düsteren

dem Sozialismus. Eine Kostprobe seiner Dis­

Projektleiterin bei der Bürgerinformations-

Gestalten, die seine Gänge bewohnen. Von ver-

ziplinierungstechnik führt er an einem über-

direktbeteiligungsveranstaltung. In den Schwall

wundeten Soldaten und den katastrophalen

rumpelten Zuschauer vor, der auf seine Auffor-

blumiger Buzzwords, der blühende Landschaf-

Zuständen im Lazarett berichtet Johann Chris-

derung tatsächlich den Raum verlassen will.

ten auf dem Leipziger Gelände der ehemaligen

tian Reil, der zur Zeit der Völkerschlacht in

Sechs dieser Sequenzen erlebt jeder aus dem

Stasi-Zentrale entwirft, interveniert eine Stim-

Leipzig Verletzte pflegte, bis er sich selbst mit

Publikum, bis es aus dem Keller wieder nach

me aus dem Hintergrund. Der Hausmeister mit

Typhus ansteckte und starb. Daneben fanta-

oben fährt. Ein letztes Mal wirkt der Haupt­

seinem grauen Kittel wirkt selbst wie ein Über-

siert in ungleichzeitiger Gleichzeitigkeit einer

akteur des Abends – der Plattenbau, in dessen

bleibsel aus einer anderen Zeit, wenn er fragt,

seiner traumatisierten Patienten vom Zweiten

Fluren noch der unverwechselbare DDR-Geruch

ob hier wirklich alle mitgemeint sind.

Weltkrieg. Ein paar Räume weiter hält Johann

hängt – auf die Zuschauer:innen-Gruppe, dann

Die Vergangenheit des Areals, auf des-

Georg Schrepfer, wunderbar skurril gespielt

geleitet sie der Hausmeister hinaus.

sen Gelände neben der Staatssicherheit ein

von Thomas Braungardt, eine Séance ab. Der

Nach langen Einschränkungen dringt

Bettelkloster der Franziskaner, ein Lazarett und

Geisterbeschwörer zog vor 250 Jahren den

das Schauspiel Leipzig mit dem Festival Pay

eine Schwulensauna angesiedelt war, bleibt im

Adligen das Geld ab, indem er, technisch ­

attention! in den Stadtraum. „Letzter Aufguss“

verlockenden Entwurf des dynamischen Archi-

avanciert, Gespräche mit den Toten inszenierte.

ist eine der ortsspezifischen Inszenierungen,

tekten-Duos außen vor. Hinunter in den Keller

Die Charaktere wenden sich dem Publi-

die mit ihrer Umgebung und der städtischen

führt der Hausmeister das Publikum. Dort wird

kum zu und beziehen es ein, lassen aber nur

Vergangenheit und Zukunft interagieren. Hier

es von den rumorenden Gespenstern der letz-

scheinbar Variablen im genau getakteten Ablauf

geht das Konzept der urbanen Langzeitbespie-

ten Jahrhunderte heimgesucht. Nur Bademän-

zu. Beklemmend wird es im Gespräch mit dem

lung auf, denn es gelingt tatsächlich, einen

tel und eine kurze Anleitung werden an die

Hauswart, der um die Ecken späht, um alle Ein-

vorher unzugänglichen Raum zu erschließen.

Zuschauerinnen und Zuschauer verteilt, dann

und Raustretenden im Blick zu haben und ge-

Die Produktion lebt von der Atmosphäre ihres

entlässt man sie in der immersiven Per­

gebenenfalls zu melden. Der autoritäre Charak-

Spielorts. So lassen sich auch Längen im

formance des Kollektivs DARUM in die ver­

ter erklärt, dass eine Hausgemeinschaft nicht

gleichförmigen Ablauf mit ein paar neugierigen

winkelten Gänge der ehemaligen Sauna. Orien-

funktioniere, wenn die Leute aus der Reihe

Blicken durch den Raum überbrücken – bis

tierungslosigkeit gehört zum Prinzip der

tanzen. Einige aus dem Publikum nicken, wäh-

sich die Gespenster wieder verzogen haben und

Produktion „Letzter Aufguss“ der Wiener Thea-

rend er weiter ausführt: Man müsse sich schon

nur der sozialistische Festungsbau aus Beton

termacherinnen. Jede Person begegnet in einer

anpassen, sonst könne das nichts werden mit

zurückbleibt. //

Lara Wenzel


magazin

Klimawandel am Theater Das Schauspielhaus Graz arbeitet an der Idee eines „Grünen Theaters“

Am 6. November 2021 hatte am Schauspiel-

drei Bäume zu pflanzen, und dann klopfen

erkannt. „Wir sind nun einmal ein klassisch

haus Graz Svenja Viola Bungartens Stück

sich alle auf die Schulter und machen weiter

hierarchisch aufgebautes System, so lange

„Garland“ Premiere: eine Zauberer-von-Oz-

wie zuvor.“ Daria von Loewenich ist Schau-

wir das noch unterstützen und damit die

Überschreibung, die sich ganz dezidiert dem

spielerin im Ensemble und engagiert sich in

Möglichkeit, dass eine Person komplette

Thema Klimawandel widmet. In Ermangelung

einer der Arbeitsgruppen für das Grüne Thea-

Prozesse der Nachhaltigkeit aus künstleri-

kanonischer Texte, die auf die Brisanz dieses

ter. Es ginge, so von Loewenich, darum, sich

schen Gründen außer Kraft setzen kann,

Themas bauen, überrascht die Fokussierung

der Komplexität des Themas zu stellen, dann

können wir Nachhaltigkeit im Theater nicht

nicht. Langfristig gedacht muss der Klima-

aber zu sagen: „Wir gehen es in aller Ruhe an,

vollständig umsetzen.“ Frank Holldack ist

wandel als notwendigerweise bestimmendes

setzen einen Schritt vor den anderen“.

Bühnengestalter, Designer und Projektleiter

Thema auch auf die Bühne finden. Dieser

Am Anfang standen eine Leitungs-

für das Grüne Theater in Graz. Die Theorie

Diagnose folgt die Grazer Intendantin Iris ­

klausur, die Theatre Green Books von Paddy

dazu baut auf dem Konzept der Soziokratie

Laufenberg, die kurz vor ihrem Wechsel ans

Dillon, der Austausch mit der Heinrich-Böll-

3.0. Timo Staaks aus der Abteilung Theater-

Deutsche Theater Berlin steht.

Stiftung, dann auch mit anderen Theatern,

pädagogik spricht für die AG Diversität: „Es

Nun ist die Theater-Welt berüchtigt da-

Think-Tanks, mit dem Bundesamt für Nach-

sollen eben nicht im Projekt die autoritären

für, Probleme, die auf der Bühne ambitioniert

haltigkeit. Es wurde eine Unternehmensbe-

Theater-Strukturen reproduziert werden. Das

verhandelt werden, dahinter erst recht zu re-

ratung für Nachhaltigkeit eingebunden und

Grüne Theater war von Anfang an eine Einla-

produzieren. Ähnlich berüchtigt ist ihre Ten-

schließlich, als der notwendige Umfang des

dung: zur Selbstverwaltung, zum Mitgestal-

denz, dass der schonende Umgang mit Res-

Unterfangens immer mehr bewusst wurde,

ten.“ Insgesamt gehe es darum, Kunst und

sourcen

Notwendigkeiten

eine Projektstruktur etabliert: Für jedes

Betrieb, Hierarchie und Gebäude, Menschen

geopfert wird – oder auch chronischem Zeit-

identifizierte Themenfeld gibt es nun eine

und

druck. In Graz wächst ein Projekt, das sich

Arbeitsgruppe aus Mitarbeitern unterschied-

­Publikum zusammenzudenken. Staaks: „Für

mit solchen Erkenntnissen nicht abfinden

lichster Bereiche, um die interne Kommuni-

wen machen wir Kunst? Und auf dem

und einen nachhaltigen Klimawandel am

kation kümmert sich ein Stoßtrupp namens

­Rücken von wem machen wir Kunst? Dort

Theater einleiten will.

„Grüne Mission“. Das Projekt solle integraler

sollten wir einmal runtersteigen.“

künstlerischen

Ressourcen,

Kunstschaffende

und

Für das Recherchegespräch sitzen wir

Bestandteil des Hauses werden – nachvoll-

Ungewöhnlich an diesem Unterfangen

im sogenannten Rauchsalon, wo seit vielen

ziehbar für Mitarbeiter wie Zuschauer. Paral-

ist tatsächlich die Einladung zum Aufstand

Jahren schon nicht mehr geraucht wird. Jetzt

lel zu den Arbeitsgruppen, die das Thema

des Theaters gegen sich selbst, seine Struktu-

wurde er gewählt, weil seine Kubatur ausrei-

möglichst breit definieren und dabei von der

ren und sein Zeitgefühl: Ein Ort, der dafür ge-

chend Raum für Austausch mit Abstand bie-

„größtmöglichen Vision“ ausgehen, wurden

schaffen wurde, dem flüchtigen Augenblick

tet. Beides, Rauchverbot wie Corona, macht

von der Lenkungsgruppe quantitativ und

maximale Präsenz zu verschaffen, ihn leuch-

deutlich: Dinge, selbst jene, die in Stein ge-

qualitativ messbare Infrastruktur-Maßnahmen

ten zu lassen, investiert seine kostbaren Res-

meißelt schienen, können sich ändern. Man-

ausgearbeitet – von der Heizung und der

sourcen in das ebenso vage wie ferne Verspre-

ches Mal sogar schnell.

­Belüftung, der Beleuchtung (im Haus und

chen einer besseren Zukunft. Holldack: „Es

Sehr schnell ist auch hier im Salon klar:

auf der Bühne) über die Reinigung bis

zeigt sich, dass wir anfangen, unsere Arbeit

Für ein „Grünes Theater“ müsste sich viel än-

zum Fenstertausch und einer Fassaden­

und eben Theater nicht mehr für selbstver-

dern. Wirklich viel. Und genau das ist viel-

begrünung.

ständlich zu nehmen.“ Doch wenn das Theater

leicht das Besondere am Grazer Zugang: Man

Für ein nachhaltiges Neu-Denken von

die Welt bedeutet, geht es nicht zuletzt darum,

sieht dieser Notwendigkeit ins Auge. „Ich mag

Theater wurden neben den zentralen Fakto-

hier im Kleinen zu zeigen, was im Großen zu

an diesem Projekt, dass es so ambitioniert ist,

ren Zeit und Geld auch die stark verfestigten

verändern ist: It’s the system, stupid. //

dass es nicht darum geht, am Betriebsausflug

hierarchischen Strukturen als Problemzone

Hermann Götz

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Fassadenbegrünung am Schauspielhaus Graz. Entwurf Monsberger-Gartenarchitektur

/ TdZ September 2022 /


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Festivalsimulation oder Professionalisierung im geschützten Raum? Das studentisch organisierte Theater- und Performancefestival transeuropa in Hildesheim „Dass wir heute hier sind, ist was ganz Beson-

nur der Hildesheimer Kulturlandschaft, son-

Struktur, Inhalt sowie die Praxis des Festivals

deres“ – mit diesen Worten eröffnet Annema-

dern auch innerhalb der internationalen

in die Lehre einzubinden“, beschreibt Jens

rie Matzke, Studiendekanin des Fachbereichs

Nachwuchs-Theaterszene zu etablieren.

Roselt, Professor für Theorie und Praxis des

2 der Universität Hildesheim, die zehnte Aus-

Das erste transeuropa – europäisches

Theaters an der Universität Hildesheim und

gabe des transeuropa-Festivals. Es regnet an

Festival für performative Künste wollte da-

Mitglied des Trägervereins transeuropa e. V.,

jenem Dienstagnachmittag 2021, sporadisch

mals nach dem Fall des Eisernen Vorhangs

das Verhältnis zwischen Universität und Fes-

wurde deshalb ein pinker Pavillon über das

Ost-West-Verbindungen stärken und einen

tival. Konkret bedeutet das: Die Universität

Rednerpult gestellt und die Rednerinnen und

neuen Austausch der Kulturschaffenden er-

gibt den Studierenden Räume, finanzielle

Redner mit ausreichend Abstand an weiß be-

möglichen. Seitdem wird das Festival unter

Ressourcen, Unterstützung in der Programm-

husste Stehtische verwiesen, an denen sie

wechselnden Themen und Leitungsteams alle

und Finanzplanung sowie beim Schreiben der

wacker ihre Regenschirme halten. Und den-

drei Jahre in Hildesheim von Studierenden

Anträge. Außerdem werden Veranstaltungen

noch ist das transeuropa [X] gleich in mehrfa-

der kulturwissenschaftlichen Studiengänge

zum Thema des Festivals und Festivalarbeit

cher Hinsicht ein besonderes Ereignis. Zum

an der Universität Hildesheim organisiert.

im Allgemeinen angeboten.

einen fand es während einer globalen Pande-

­Dabei ist das transeuropa als Verein nahezu

Allein im Zuge des letzten transeuropa

mie, die das Theater, insbesondere die freie

eigenständig organisiert – die Universität fun-

[X] fand eine Übung zur praktischen Festival-

Szene, hart getroffen hat, überhaupt statt,

giert vor allem als Haupt-Kooperationspartner.

arbeit statt, in der verschiedene Warm-ups

und das – im Gegensatz zu anderen Theater-

„Es ist klar, dass die Lehrenden und das In­

festivals – sogar teilweise in Präsenz. Zum

stitut die Festivalmacher:innen unterstützen,

anderen hat es das von Student:innen organi-

das Festival an sich aber keine Veranstaltung

sierte Festival geschafft, sich seit seiner

des Instituts ist. Es ist auch kein verlängerter

Gründung 1994 zu einer festen Größe, nicht

Arm der Lehre, auch wenn es Formate gibt,

Die Performance „AUTOTOMIE: der Gast­geberkörper" von Post-Organic Bauplan beim transeuropa [X] 2021. Foto Thomas Puschmann


magazin

/ TdZ September 2022 /

und Vermittlungsstrategien erst ausprobiert

Druckkulisse vor allem intrinsisch und anhand

lichkeit generiert, die sich konkret, materiell

und dann spezifisch für das transeuropa-Fes-

der eigenen Erwartungen und Maßstäbe auf,

und monetär auswirkt.

tival entwickelt wurden. Außerdem kam ein

bietet aber auch die Möglichkeit, eigene Stan-

Studentisch organisierte Festivals befin-

Projektsemester – ein dreimonatiges projekt­

dards unabhängiger wieder zu verwerfen: „Am

den sich also in einem Spannungsverhältnis

orientiertes Praxisstudium an drei vollen

Anfang hatten wir uns auf sechs Produktionen

zwischen dem eigenen Anspruch, sich gegen

­Tagen der Woche – in direkter Anbindung an

festgelegt. Dann kam eine siebte, die wir auch

ästhetische und strukturelle (Arbeits-)Konven-

das Festival zustande. Die Studierenden hal-

noch reinnehmen wollten. Wer sagt eigentlich,

tionen zu stellen, der eigenen Prägung durch

fen, neben einer theoretischen Beschäftigung

dass wir keine siebte Produktion haben kön-

solche Abläufe sowie den begrenzten finanziel-

mit dem Thema Festival, beim Auf- und Ab-

nen? Ah, das waren wir selber, wir können das

len sowie personellen Ressourcen. „Im Kultur-

bau, im Ticketing, an den Abendkassen und

einfach noch umschmeißen, weil es unser Fes-

betrieb wird oft erwartet, dass du dich kaputt

Corona-Kontrollstellen, in der Künstler:innen­

tival ist“, erzählt Ulrike Wegener, die beim

machst. Wir haben versucht, das zu brechen,

betreu­ ung und im Social-Media-Team mit

transeuropa [X] vor allem PR- und Social-Me-

es ist aber nicht immer gelungen“, beschreibt

und konnten dadurch Erfahrungen in der

dia-Arbeit übernommen hat.

auch Ulrike Wegener. Bleibt also die Frage, wie

­Organisation und Durchführung eines inter-

nachhaltig solche Festivals für die Künstler:in­

nationalen

sammeln.

nen, die Studierenden, das Organisationsteam

­Darüber hinaus können Student:innen eines

und das Festival selbst sind. Das transeuropa-

ihrer Pflichtpraktika auf dem Festival absol-

Festival versteht sich vor allem als Festival für

vieren. Eva Bode, Teil des Leitungsteams des

Nach­wuchs­künstler:innen. Es soll Sprungbrett

transeuropa [X], 2021, sieht darin eine Win-

und europäische Vernetzungsstätte gleichzeitig

Win-Situation auf allen Seiten: „Das trans­

sein. Eine Plattform für Gruppen bieten, die im

europa bekommt helfende Hände, und die

Haifischbecken von Förderanträgen und Insti-

Studierenden bekommen credit-points“. Die

tutionen sonst untergehen würden. So haben

Veranstaltungen werden zum Teil von Dozie-

unter anderen She She Pop, Thermoboy FK,

renden, Externen und den Leitungsteams

VOLL:MILCH oder theater ASPIK beim trans-

selbst gegeben – Letztere meist ohne Lehrer-

europa ihre Karriere gestartet. Die Krux, mit der

fahrung. Dafür stellte die Universität in den

sich jede Ausgabe wieder auseinandersetzen

letzten Jahren bis zu acht Hiwi-Stellen bereit.

muss, ist: Es wurden Standards entwickelt, Zu-

Für die Macher:innen bedeutet das

gänge und Strukturen geschaffen, Fehler re-

Nachwuchsfestivals

eine enorme Arbeitsbelastung, aber auch ei-

flektiert, die man dann nicht selber ausbessern

nen großen Freiraum, das Festival individuell

Das Tanzstück „Portraits" von Brigitte Huezo.

kann, sondern das Festival wieder in andere

gestalten und ausrichten zu können. Julia

Foto Nathan Ishar

Hände gibt. Dabei geht viel Wissen und Erfah-

Buchberger, Patrick Kohn und Max Reiniger

rung verloren. Auf der anderen Seite gibt es nur

beschreiben diese Praxis in ihrem Band

wenige finanziell so stabil ausgestattete Festi-

­„Radikale Wirklichkeiten“ (transcript-Verlag,

In diesem Zusammenhang sind studentisch

vals mit so freien Möglich­ keiten, sich als

2021) als performative Praxis der Arbeit an

organisierte Festivals, wie das transeuropa in

junge:r Kulturschaffende:r auszuprobieren.

und auf Festivals. „Wir mussten lernen, unse-

Hildesheim, ästhetisches Forschungslabor

Und gerade darin liegt wohl auch das

rem eigenen Geschmack zu misstrauen, und

und prekärer Arbeitsplatz zugleich. Studie-

Potenzial solcher Festivals: Sie müssen sich

uns zu fragen: Warum springe ich auf diese

rende, die ein solches Festival im Rahmen

nicht konstant von Jahr zu Jahr aus der je-

Arbeit an?“, betont Eva Bode. Anhand dieser

ihres Studiums mitorganisieren, müssen oft

weils letzten Ausgabe weiterentwickeln oder

Frage nach dem eigenen Geschmack – den

ein, meistens zwei Urlaubs­semester nehmen.

nach außen hin sich an und mit ihr messen.

eigenen Sozialisierungen und Seherfahrun-

Dadurch, dass zwingend eine Menge eigener

Sie sind ein Ort für Utopien, die alle drei

gen – sowie dem Festival-Thema hat das

Ressourcen an die Universität abgegeben

­Jahre wieder komplett umgeworfen und neu

Team des transeuropa [X] Kriterien für seine

werden müssen, ergibt sich eine Auswahl,

formuliert werden können. Jungen Kultur-

Kurationspraxis entworfen. Keinen Katalog,

wer sich überhaupt leisten kann, ein trans­

schaffenden, auch wenn sie nur begrenzte

der abgehakt wurde, eher die Frage danach,

europa zu organisieren. Und auch wenn sich

Vor­erfahrungen besitzen, einen Raum zu ge-

wem eine Bühne geboten werden sollte und

die Bezahlung in den vergangenen Ausgaben

ben, in dem sie ihre Ideen konkret machen

wem nicht. „In diese Position kommt man au-

stetig verbessert hat – 2021 konnten die

und sich mit ihrer Umsetzbarkeit auseinan-

ßerhalb des transeuropa-Rahmens so schnell

Organisator:innen ihren Tech­niker:innen bei-

dersetzen können, ist wegweisend. Denn die-

nicht mehr“, sagt Jens Roselt, „da fängt man

spielsweise 17 Euro pro Stunde zahlen –,

se Kulturschaffenden haben ihre Ideen schon

dann wieder auf der Praktikums-Ebene an.“

sind die Arbeitsbedingungen, vor allem auf

einmal auf den Prüfstand gestellt. Wissen,

Im Vergleich zu nicht-studentischen

studentisch organisierten Festivals, immer

was funktionieren kann und wie. Können re-

Festivals ist auch der Erwartungsdruck von au-

noch prekär. Oftmals scheitert das utopische

flektieren, woran sie gescheitert sind. Und

ßen geringer. Geldgeber, wie etwa die Stiftung

Potenzial solcher Festivals weniger an den

können so die Kulturwelt progressiv mitge-

Niedersachsen, werden von transeuropa zum

künstlerischen Arbeiten als an der performa-

stalten – zumindest, wenn sie nicht wieder

Beispiel ganz andere Dinge erwarten, wie vom

tiven Praxis der Geschäftsführung, die wie

auf unbezahlter Praktikumsebene anfangen

Festival Theaterformen. Dadurch baut sich die

keine andere auf solchen Festivals eine Wirk-

müssen. //

Lina Wölfel

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magazin

Transformationen in Erfurt Das junge Festival PHOENIX 2.0 verstärkt Bemühungen um ein neues Schauspiel

Weißer Rauch steigt auf vor Erfurts Theater.

in Gang gesetzte Theatertransformationsprozess

Schwarzer allerdings auch. Das sind, Anfang

Erfurt trifft nicht nur unweigerlich auf den all­

Das Ensemble von „La Bohemé Supergroup“ beim PHOENIX 2.0 in Erfurt.

Juli, keine Zeichen kulturpolitischer Unent-

gemeinen, der die deutschsprachige Bühnen-

Foto Anna Spindelndreier

schlossenheit in der einzigen deutschen Lan-

landschaft beschäftigt: mehr Mit- und Selbstbe-

deshauptstadt ohne Schauspiel. Vielmehr

stimmung, flache Hierarchien, effektive und

stehen die Zeichen gerade sogar vergleichs-

nachhaltige Strukturen, … Dieser wiederum ist,

montagne auf dem Festival. Der gewesene ge-

weise günstig, dass die Erfurter, nach der

wie Diskurse zeigen, auch kaum noch denkbar

schäftsführende Direktor des Bühnenvereins

Spartenschließung 2003, hier absehbar wie-

ohne jene kulturelle Transformation, von der

begleitet und berät im Auftrag der Stadt jene

der „Habemus Spectaculum“ rufen könnten.

jetzt alle reden, angesichts einer sich abzeich-

Transformation, über die diese wiederum mit

Unter veränderten Vorzeichen wird die Rück-

nenden Klimakatastrophe. „Ein lebendiges

dem Land zu verhandeln hat. Kulturminister

kehr des Schauspiels ernsthaft geprüft.

Schau­spiel“, postuliert Nicola Bramkamp, Grün­

Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) will mit den

Jener Rauch aber verweist auf die Sixtini-

derin der Initiative SAVE THE WORLD in Erfurt,

nächsten, ab 2025 geltenden Thüringer Thea-

sche Kapelle, wo mit weißem Rauch seit 1914

„kann diese kulturelle Transformation beglei-

terverträgen jedoch weniger Struktur-, vielmehr

eine erfolgreiche Papstwahl signalisiert wird. Die

ten“, indem es neue Narrative biete, die helfen,

Tarifpolitik verbinden. Nur in Erfurt, Weimar

Rauchzeichen des Misserfolgs sind älter. Das

„diese Krise zu begreifen und zu überwinden“.

und Meiningen gilt derzeit der Flächentarif.

wird protokolliert als ein „Jahr der Misere“: ei-

Bramkamp tritt im Konferenzteil des

Lieferte die Berliner Musiktheater-

nes unter sehr vielen in der langen Chronik, von

Theaterfestivals PHOENIX 2.0 auf, das sich

Combo glanz&krawall die Begleitmusik –

der sie hier binnen einer Stunde berichten, wäh-

binnen zehn Monaten zum zweiten Mal ereig-

„Fuck your fucking standards!“ – so singen

rend sich von einem leistungsfähigen Nebel­

net. Schauspielerin Anica Happich (Berlin)

sie als „La Bohème Supergroup“, die einer

generator erzeugter „Rauch“ auch grün oder

und Regisseur Jakob Arnold (Düsseldorf) hat-

Puccini-Oper mit Mitteln des Punks die bür-

orange färbt. Es stinkt mitunter gewaltig.

ten es im vergangenen Jahr ins Leben gerufen

gerliche Kunst austreibt. Zum Festival einge-

Das Künstlerkollektiv PARA (Berlin/Ham-

(TdZ 11/2021). Partner ist das Erfurter Kul-

laden, macht das Ensemble daraus, im per-

burg/Frankfurt) sorgt derart für mehr Aufsehen

turQuartier, eine Genossenschaftsinitiative,

manenten Rollentausch, ein dreckiges Stück

in der Stadt, als es ein eigenes Schauspiel gera-

die das alte Schauspielhaus umbaut und neu

über prekäre Künstlerexistenzen, Gentrifizie-

de vermocht hätte. Schaulustige hinterm Ab-

beleben will, mit und für Programmkino,

rung und Frauenbilder. Mimì überwindet ihre

sperrband haben ein zufälliges optisches und

Stadtradio, freies Tanztheater.

metaphorisch gelesene Schwindsucht, will

olfaktorisches Erlebnis, ohne akustischen Zu-

Das Festival widmet sich dezidiert jun-

sammenhang, der zahlende Gäste dieser perfor-

gen Theatermachern vor dem Abschluss ihres

Einen Abend später ruft einer: „Sie

mativen Installation via Kopfhörer erreicht.

Studiums oder am Beginn ihres Berufs­lebens.

werden kein Schauspiel sehen.“ Der Auftakt

nicht länger Muse, will selbst Künstlerin sein.

Auf dem Platz vor dem 2003 (!) eröffne-

Und doch: „Das erklärte Ziel unserer Initia­

zu Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“,

ten Theaterneubau, der seitdem reines Musik-

tive ist es, dass Erfurt wieder sein Schauspiel

die Jakob Arnold an und zwischen langen

theater beherbergt, laufen die Akteure in

bekommt“, betonen Happich und Arnold.

­Tafeln mit Wasser und Wein auf der Hinter-

Schutzanzügen und mit Klemmbrettern als

Wenn überhaupt, könnte es 2027 so weit

bühne inszenierte: als wie aus dem Moment

Forensiker unter Zuschauern umher. Sie mar-

sein, wenn die dann 25-jährige Ära des Inten-

entstehendes Solo für Joshua Hupfauer, im

kieren eine historische Spurensicherung, sam-

danten Guy Montavon endet.

Zwiegespräch mit uns und sich über das

meln in „Haze – Eine Bezeugung in Rauch“

Nicht allein das PHOENIX-Programm

­Theater befindlich, mit Intermezzi der Sopra-

erklärtermaßen Beweismittel aus dem Zeitalter

versucht derweil subtil, ein drohendes Missver-

nistin Daniela Gerstenmeyer. Diese Eigen­

der Verbrennungstechnologie, für einen kom-

ständnis auszuräumen: dass alles so werden

produktion des Festivals wie auch dessen

menden Prozess gegen die Menschheit.

könnte wie es war, strukturell und ästhetisch.

Programm in Gänze prophezeien uns, die

Im Kontext dieser Stadt lädt sich das mit

„Wir machen nicht das Schauspiel von 2003,

­Zukunft des Schauspiels liege gewiss jenseits

zusätzlicher Bedeutung auf. Der kultur­politisch

wenn es so kommt“, betont auch Marc Grand-

der Spartengrenzen. //

Michael Helbing


magazin

/ TdZ September 2022 /

Frank Bernhardt. Foto Anjelika Conrad

Das Puppentheater Magdeburg lud am 12. Juli zu einem „vergnüglichen/herrlichen/schönen“ Abend ein, an dem Frank Bernhardt, seit 2001 Künstlerischer Leiter des Theaters, verabschiedet wurde. Vergnüglich war dieser Abend allemal, denn er wurde eröffnet mit einem Gastspiel der deutsch-französischen Compagnie Meschugge, die eine ebenso originelle wie künstlerisch originäre Adaption des Bremer-Stadtmusikanten-

unter dem bezeichnenden Titel BLICKWECHSEL firmierte und sich zu einem bedeutenden, weit über die Grenzen Deutschlands­ be- und anerkannten entwickelte. Die wohl spannendsten Künstler:innen des Puppenund Objekttheaters gastierten ebenso wie jene aus den Schwesterkünsten, die sich im Spiel mit dem Material erprobten, Genre­ grenzen überschritten bzw. austesteten. Legendär inzwischen die Festivaleröff-

Themas zeigte und sich beinahe nahtlos an das

nungen mit La notte, einem grandiosen Open-

Thema des diesjährigen BLICKWECHSEL-Festi-

Air-Spektakel, das sein Publikum jedes Mal

vals anschloss. „Beste Freunde ein ganzes Jahr“

verzauberte. Magische Spielstätten entstanden

lautete das Motto des 13. von Frank Bernhardt

an ungewöhnlichen urbanen Orten, Tausende,

verantworteten Festivals, das aufgeteilt in drei

Abertausende Besucher kamen. Kunst, Stadt

Zyklen die letzte Spielzeit des scheidenden

und Publikum verschmolzen für einen Augen-

Künstlerischen Leiters bestimmte. Die Erklä-

blick zu einem theatralischen Universum.

rung, warum er dieses Motto wählte, lieferte er,

Das machte nicht nur den Festivalleiter

als er sich nach der Vorstellung bei der Compag-

glücklich, sondern auch die Kulturpolitiker der

nie Meschugge bedankte und sich erinnerte: Im

Stadt und des Landes, was sich während der

Jahr 2000 fand das UNIMA-Weltfestival in Mag-

Verabschiedung deutlich in den Grußworten von

deburg statt, und für Frank Bernhardt bot sich während des Festivals in nahezu überwältigender Intensität das breite, genreübergreifende Spektrum der Kunst des Puppenspiels aus aller Welt dar. Unter anderem sah er damals auch Ilka Schönbein und ihre Compagnie Meschugge sowie etliche andere Künstler, später best friends. In der Publikation „Ensemble in Bewe-

Immer wieder neu erfunden

sich in ihm, schlagartig die Erkenntnis festsetzte, einer Theaterkunst zu begegnen, die er als „unvorstellbar neu“, tatsächlich innovativ empfand und die seiner Vision von Thea­ ter entsprach. Eine Erkenntnis, die folgerichtig mit seinem Magdeburger Theateralltag kollidierte, der noch immer vom Puppenthea-

Anhalt, Rainer Robra, und der Bürgermeisterin und Beigeordneten für Kultur der Landeshauptstadt Magdeburg, Regina-Dolores Stieler-Hinz, widerspiegelte. Da fielen Sätze, die weitaus mehr beinhalteten als die gemeinhin übliche respektvolle Anerkennung. Übertroffen allerdings von den Worten, mit denen sich die Künstler:innen an den vertrauensvollen, kunst-

gung – Wie sich das Puppentheater Magdeburg stetig neu erfindet“ beschreibt er, dass

dem Kulturminister des Landes Sachsen-­

Verabschiedung von Frank Bernhardt als Künstlerischer Leiter des Puppen­theaters Magdeburg

verständigen Förderer, den kritischen Beobachter, den schöpferischen Wegbegleiter wandten. In diesem Moment wurde der Abend schön beeindruckend. So sagte Marlis Hirche, Regisseurin und Darstellerin: „Lieber Frank, du lebtest und arbeitetest nach dem RotkäppchenPrinzip: ohne Angst vom Weg abweichen, unbekanntes Gebiet betreten, Neues entdecken und trotzdem das Ziel – am Haus der Großmutter

terverständnis der DDR geprägt war. Und den galt es zu verändern. Frank Bernhardt, gerade

und internationalen künstlerischen Anerken-

anzukommen – nicht aus den Augen verlieren.“

zum Künstlerischen Leiter des Theaters er-

nung des Theaters. Er drehte am Rad der Ge-

Und Gundula Hoffmann, Leiterin des Puppen-

nannt, ging es an – mit permanent zu reakti-

schichte des Puppentheaters der Stadt Mag-

theaters Chemnitz, schrieb: „… du hast mit

vierendem Enthusiasmus, einem gehörigen

deburg und schuf in den zwei Jahrzehnten, in

deinem Schaffen die gesamte Puppentheater-

Maß an Risikobereitschaft und dem unab-

denen er ununterbrochen die Funktion des

landschaft weitergebracht, Horizonte eröffnet

dingbar notwendigen Vertrauen in die Kraft

Künstlerischen Leiters innehatte, „einen zen-

und junge Menschen an ein Haus gebunden,

der eigenen künstlerischen Vision. Unter

tralen Anker des deutschen Figurentheaters

die mittlerweile stilprägend für diese Kunstform

deutlich erkennbaren Prämissen: Festhalten

– für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“

geworden sind. Ich hoffe, dass dieses Erbe wei-

am Stadttheaterstatus des einst größten

– wie es in der Jurybegründung zur Verleihung

tergetragen wird, immer mit Blick nach vorn,

­Ensemble-Puppentheaters der DDR; Aufbau

des Theaterpreises 2019 heißt.

aber auch auf die Erfahrungen vertrauend, die

eines Ensembles junger Künstler:innen, reich

Anker meint in diesem Falle weitaus

an interessanten, kreativen, auch unbeque-

mehr als die erfolgreiche künstlerische Arbeit

Und als ganz zum Schluss die Puppen-

men Persönlichkeiten; schöpferische Ausein-

des Ensembles, meint auch den Aufbau eines

spielerinnen und Puppenspieler des Ensembles

andersetzung mit einer neuen Theatersprache

Museums mit Figurentheatersammlung, die

für ihren Chef „Paroles, Paroles“ von Dalida

auf der Bühne durch Bindung interessanter

Zusammenarbeit mit der Jugendkunstschule

und Alain Delon sangen, da zog jene herrliche

Regisseur:innen, Szenograf:innen und Au­tor:in­

und vor allem: die Durchführung des interna-

Melancholie in den Saal ein, die einem solchen

nen ans Haus; Etablierung einer nationalen

tionalen Puppentheaterfestivals, das ab 2003

Abschied innewohnt. //

ihr in all den Jahren sammeln konntet.“

Silvia Brendenal

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Premieren der Spielzeit 2022/23 Richard iii. indien Amerikalinie MAYDAY oder Das eine leben (UA) Mach mal pause, Biber! Blues Brothers Wutschweiger Die Bremer Stadtmusikanten Was macht das ei an Weihnachten? Selfie Corpus Delicti Wirbel Dichte Federn Für mich soll’s rote Rosen regnen Frau Ada denkt Unerhörtes Der Revisor Du bist Morgen

Landestheater Sachsen-Anhalt Nord Karlstraße 6, 39576 Stendal www.tda-stendal.de


/ TdZ September 2022 /

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Theater Magdeburg Premieren 22/23

T M

Das Leben ein Traum nach Pedro Calderón de la Barca Regie Clara Weyde 9.9.22 Bitter Fields von les dramaturx Idee, Konzept les dramaturx | UA Lynn Takeo Musiol, Christian Tschirner 10.9.22 Mr Gum und der sprechende Kirschbaum von Andy Stanton | UA Regie Markus Heinzelmann 10.9.22 Nessun Dorma Ein Liebesdiskurs für zwei Roboter 16.9.22 Gas von Georg Kaiser Regie Florian Fischer 8.10.22 Die Schwarze Mühle von Showcase Beat Le Mot Idee, Umsetzung Showcase Beat Le Mot 15.10.22 Im Menschen muss alles herrlich sein Roman von Sasha Marianna Salzmann Regie Alice Buddeberg 26.11.22

Woyzeck nach Georg Büchner Regie Jan Friedrich 28.1.23 Sex und Kartoffeln von Anna-Kirstine Linke und Ensemble | UA Regie Anna-Kirstine Linke 31.3.23 Meister Röckle nach Karl Marx | UA Regie les dramaturx 1.4.23 Odyssee: Buch von Homer von Bastian Reiber | UA Regie Bastian Reiber 13.5.23 Kosmos #1: Nina von Mechow Nina von Mechow Regie Leonie Jenning, Martha Mechow | UA 10.6.23

Theater Magdeburg T (0391) 40 490 490 www.theater-magdeburg.de

Die Schneekönigin Weihnachtsmärchen nach Hans Christian Andersen Regie Clara Weyde 29.11.22


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magazin

/ TdZ September 2022 /

Von einem, der auszog, das Fürchten zu lehren Zum Tod von Klaus Pierwoß

Es gibt Menschen, die schaffen es, dass man

ten. Dass die Bremer, denen er das Theater

immer wieder an sie denkt, auch wenn man

gerettet und zum alten Ruhm wieder verhol-

im Moment gar keinen Kontakt mit ihnen hat.

fen hat, ihn wie einen alten Hund vom Hofe

So ist es mir immer wieder passiert, dass ich

gejagt haben, bleibt ein Skandal, der bis

in Situationen, die eine persönliche Stellung-

heute nicht aufgearbeitet, geschweige denn

nahme herausforderten, dachte, was wohl

kompensiert wurde.

Klaus Pierwoß dazu gesagt hätte. Am 5. Juni

Gerne stelle ich mir vor, wie Klaus mit

ist er, wenige Wochen vor seinem achtzigsten

all denen umgesprungen wäre, die in diesen

Geburtstag, in seiner Wahlheimat Berlin ge-

Tagen von der „Systemrelevanz“ faseln, an

storben.

der das Theater keinen Teil habe. Das Min-

Während seiner Bremer Intendanz, die

deste wäre eine wissenschaftlich unanfecht-

durch herausragende künstlerische Ergeb-

bare Vorlesung über die Bedeutung des Thea-

nisse genauso geprägt war wie durch bei-

ters gewesen, wahrscheinlicher aber wohl

spiellose politische Auseinandersetzungen,

eine Humor-getränkte Auflistung von Erkennt-

machte eine Anekdote die Runde, die mögli-

nissen, die unsere Gesellschaft dem Theater

cherweise gut erfunden war, aber sehr viel

verdankt. Das für mich herausstechende Marken-

über ihn aussagt: Während einer Pressekonferenz seiner

zeichen seiner Protestaktionen waren die Zei-

ersten, der Tübinger, Intendanz soll er sich

chen, die er setzte: wenn er zum Beispiel zu-

darüber gewundert haben, dass manche Kri­

sammen mit seinem Bremer Bürgermeister

tiker ihm mangelndes Temperament vorwar-

Henning Scherf im Tandem ins Weserstadium radelte, um mit dem Publikum „La Ola“ zu

fen, um dann hinzuzufügen: „Sie tun mir Unrecht – ich habe gar keins.“ Sollte dies

Klaus Pierwoß, (1942–2022).

üben, dann demonstrierte er gleichzeitig,

tatsächlich gestimmt haben, so hat er es

Foto Jörg Landsberg

dass sein Theater keine Berührung scheute, womit er seinem eigenen Begriff von Volks-

durch Beharrlichkeit kompensiert. Ich hatte die Freude, ihn sieben Jahre lang im Vorsitz

theater sehr nahekam. Wenn er zum anderen

der Intendantengruppe im Deutschen Büh-

systems, das die klassischen Disziplinen der

an sein Theater ein Plakat mit der Aufschrift

nenverein an der Seite zu haben.

darstellenden Künste, Musik, Schauspiel

„Hier verlassen Sie den demokratischen Sek-

Er hatte die seltene Gabe, eine aus den

und Tanz, unter einem Dach vereint und

tor“ aufhängen ließ, nachdem einer seiner

Fugen geratene Diskussion mit wenigen Sät-

­somit dem Traum von der griechischen Tra-

neun Bremer Kultursenatoren dem Theater

zen wieder aufs Gleis zu setzen, und manch-

gödie nahekommt. Auch er hielt dieses

„Demokratieferne“ vorgeworfen hatte, dann

mal gelangen ihm dabei kostbare Bonmots

­System für den vielleicht wichtigsten Beitrag

verwies diese Aktion nicht nur auf den histo-

wie etwa die folgende in der Intendanten-

Deutschlands zum Welttheater. Es hatte bei

rischen Kontext, den eine solche Anschuldi-

gruppe zum geflügelten Wort geratene Aus­

ihm allerdings immer die politische Ausrich-

gung wachruft, sie erinnert auch daran, wie

sage: „Wo die Sonne der Kultur tief steht,

tung, auf der die zweieinhalbtausend Jahre

sich das Theater mit dem Mittel des Humors

werfen auch Zwerge lange Schatten.“ Er

alte griechische Tragödie sich gründet. Thea­

sein Publikum zum Komplizen machen kann.

musste nicht hinzufügen, dass er damit jene

ter hatte eine gesellschaftspolitische Dimen-

Das vielleicht bedeutendste seiner

Kulturpolitiker meinte, die ihm während sei-

sion zu haben – das allein rechtfertigt seine

­Bremer Zeichen aber war die legendäre Hans-

ner mittlerweile zur Legende gewordenen

öffentliche Förderung. Wer die infrage stell-

Kresnik-Inszenierung „Die letzten Tage der

Bremer Intendanz durch wahnwitzige Kür-

te, hatte es mit Klaus Pierwoß zu tun – und

Menschheit“ von Karl Kraus in der NS-

zungs- und Strukturvorschläge das Leben

sein berühmtes Foto, auf dem er kampfes-

U-Boot-Fabrik Bunker Valentin. Fünf Jahre

schwer gemacht haben.

lustig mit Boxhandschuhen zu sehen ist,

stand sie auf dem Spielplan, wurde von über

Klaus Pierwoß war immer ein leiden-

vermittelt nur einen vagen Eindruck vom ­

vierzigtausend Besuchern gesehen und ist

schaftlicher Anwalt des deutschen Theater-

Kampfeswillen dieses Ausnahmeintendan-

wohl ein wesentlicher Grund dafür, dass diese


magazin

/ TdZ September 2022 /

KZ-ähnliche Produktionsstätte am Stadtrand

­hinaus tief im Inneren wusste, dass die deut-

Eindruck dieser Perspektivwechsel auch in

von Bremen, der über vierzigtausend Zwangs-

sche Teilung letztlich am gemeinsamen kul-

Berlin ausgelöst hat. Noch heute sprechen

arbeiter zum Opfer fielen, nicht länger aus

turellen Erbe scheitern würde. Auch deshalb

seine Mitstreiter in Berlin nur mit Hochach-

dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt wur-

wohl holte er so bedeutende Regisseure wie

tung von Klaus Pierwoß.

de. Natürlich war er ein bekennender „Alt-

Frank Castorf und Dimiter Gotscheff als erster

Ich gestehe, dass ich mit Wehmut dar-

Achtundsechziger“, dem das Trauma des Na-

Intendant ins westliche Deutschland. Seine,

an denke, dass die Theatergeneration, der

tionalsozialismus immer Ansporn für mehr

aus meinem Wissen nie öffentlich geäußerte

Klaus und ich angehören, sich mit Mehrheit

Demokratie war; und doch vergaß er niemals,

Überzeugung, dass die gemeinsame Kultur

dem politischen Theater verpflichtet fühlte.

was er dem Theater schuldig war und was das

eines Tages auch die Nation wieder zusam-

Aber schon, wenn ich beklage, dass davon

Publikum – mit Recht! – von ihm fordert. Aus

menführen würde, muss ihn dazu getrieben

heute niemand mehr ausgehen kann, höre ich

heutiger Sicht war er daher auf erfrischende

haben, im Anschluss an seine Kölner

Klaus, dem Aufgeben ein Fremdwort war,

Weise altmodisch.

Intendanz als Chefdramaturg ans Maxim Gorki

­Sartre zitieren: „Es gibt langsame Entwick-

Dazu gehört auch, dass er stets über

Theater zu gehen. Alle, die damals seine Ent-

lungen in der Geschichte“. //

den Tellerrand der gerade üblichen Politik

scheidung verfolgt haben, wissen, welchen

Holk Freytag

Mit ganzer Hingabe Zum Tod von Berndt Stübner Als „widerständigen Typ“ hat Armin Petras den Schauspieler Berndt Stübner einmal bezeichnet und mit ihm bis zu dessen Ausscheiden aus dem Ensemble des Schauspiels Leipzig einige markante Inszenierungen kreiert, darunter „Sterne über Mansfeld“, „Alkestis, mon amour“ und „Kruso“ nach Lutz Seilers Roman. Ausgebildet an der Hochschule für Filmkunst Babelsberg, kam Berndt Stübner über die Stationen Potsdam, Magdeburg, Karl-Marx-Stadt 1976 zurück an seinen Geburtsort Leipzig. Nach der Erstaufführung von Fugards „Blutsband“ setzte er hier seine Bühnenlaufbahn mit einem furiosen Karl in

schenkten sich schon bei den Proben nichts.

Berndt Stübner, (1947–2022).

Schillers „Räuber“ fort. Die Rolle seines Ge-

Das Stück habe sie zusammengeschmiedet,

Foto Rolf Arnold

genspielers

Friedhelm

sagt Eberle und erinnert sich vor allem an die

Eberle. Diese beiden Protagonisten standen

Franz

verkörperte

akribische Textarbeit seines Kollegen. Sprach-

in der Folgezeit oft gemeinsam auf der Büh-

behandlung und das kluge Zelebrieren von

­baute und zahlreiche fantasievolle Märchen-

ne, ob in Goethes „Egmont“, Shakespeares

Text waren zu diesem Zeitpunkt anerkannte

inszenierungen schuf. Fordernd war Berndt

„Lear“ (Stübner als Edgar) oder den in den

Markenzeichen des Schauspielers, der so vie-

Stübner vor allem stets zu sich selbst: „Wenn

1980er Jahren häufig gespielten zeitgenössi-

le Facetten hatte und sich auf verschiedenen

ich nix zu sagen habe, dann muss ich die

schen sowjetischen Stücken von Alexander

Feldern erfolgreich ausprobierte. Bereits als

Schnauze halten. Sonst leide ich. (…) Aber

Gelman und Michail Schatrow.

Kind sang er im Kinderchor des Rundfunks

ich hatte das Glück, in Aufführungen mitzu-

Neben „Die Zofen“ (mit Stübner als

Leipzig mit. Über dreißig Jahre gab er als

spielen, wo es anders war“, resümierte er in

Madame) erlangte „Warten auf Godot“, 1999

Dozent Schauspielunterricht im Leipziger ­

einem Interview 2007. Am 2. Juni ist Berndt

inszeniert von Herbert König, mit ihm als

Studio; die Arbeit mit jungen, angehenden ­

Stübner in Leipzig verstorben. Mit ihm ging „ein

­Estragon und Friedhelm Eberle als Wladimir

Schauspielern fand er besonders fordernd und

Schauspieler, der mit ganzer Hingabe für das

in Leipzig Kultstatus. Als Dramaturg konnte

wichtig. Eine weitere Leidenschaft galt dem

Theater gelebt hat“ heißt es treffend im Nachruf

ich diese Inszenierung begleiten; die beiden

Puppentheater, für das er Puppen selbst

des Schauspiels Leipzig. //

Matthias Caffier

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magazin

/ TdZ September 2022 /

Stimme und Schönheit Ermanna Montanaris ungewöhnliches Gesangsstudio in Ravenna

Als ich nach dem Palazzo Malagola frage,

Die handverlesenen 15 Student:innen wer-

zeigt mir die Apothekerin an der Straßenecke

den ein Semester lang in multiplen Variatio-

Ermanna Montanari und Enrico Pitozzi (beide Künstlerische Leitung von Malagola).

ihr gut sortiertes Regal mit Halsschmerz­

nen von Stimme und Gebärde unterrichtet.

Foto Fabrizio Zani

tabletten und Hustenbonbons. „Non chiedo

Die Unterrichtsmethode der langjährigen

la medicina“, sage ich schüchtern, „chiedo il

Monk-Mitarbeiterinnen Ellen Fisher und

palazzo.“ „Un palazzo non c’è“, sagt sie. Die

Katie Geissinger ist eine Mischung aus Ge-

Eine persönliche Anmerkung sei mir ver-

Stammkundin hat inzwischen gegoogelt und

sang und Tanz, verklappt, verkeilt, verbogen,

gönnt: Mit Meredith Monk zu frühstücken, ist

zeigt ihr leicht hämisch die Ergebnisse. Die

und dann wieder ganz emotional und tas-

ein Himmelsgeschenk. Die Frau ist 80 und

Apothekerin ist beleidigt, dass man sie nicht

tend. Stimme und Gebärde inspirieren ein-

sprüht vor Energie und Lebensfreude. Sie ist

informiert hat, und ich bin froh, eine Adresse

ander, schrauben sich gegenseitig hoch und

klug, frohgemut und, ja, man muss es so nen-

in der Hand zu haben.

befreien sich zu großer Harmonie und Ge-

nen – weise. Als wir übers Älterwerden spre-

Der Palast steht hier seit 300 Jahren,

meinschaft. Und dann, zack!, werden daraus

chen, hat die bekennende Buddhistin einen

mitten in Ravenna. Kürzlich wurde er nobel re-

lauter rätselhafte Theaterbilder voller Schön-

guten Rat:

stauriert und für neue Ehren gerüstet. Warum

heit und Vergänglichkeit. Das alles sieht

„Wenn man als Darsteller alt wird, gibt

sein Name so viel wie Halsschmerzen bedeutet,

leicht aus, ist es aber natürlich nicht. Und

es zwei Möglichkeiten: Entweder du wirst

ist nicht hinterlegt. Aber der Name passt: Ist

am Ende bewertet niemand Geringeres als

­rigide und fixierst dich immer mehr auf das,

doch in das stattliche Gebäude eine Aus­

Meredith Monk die Fortschritte der Studie-

was du glaubst zu sein. Damit wirst du zu

bildungsstätte eingezogen, die sich der „Mala-

renden.

­einer Cartoon-Version deiner selbst. Oder du

gola – pratica creazione vocale e sonore“ ver-

Im nächsten Semester werden andere

lässt das alles, was schmerzvoll sein kann,

pflichtet fühlt. Gegründet wurde sie von

15 Auserwählte ein anderes Studium absol-

aber so kannst du dich verändern und wach-

Ermanna Montanari, selbst ein Stimmwunder,

vieren.

sen. Das ist sicher der bessere Weg.“ //

Co-Direktorin des Teatro delle Albe in Ravenna.

Das Malagola-Experiment ist derzeit

Für die Malagola hat sie sich mit Enrico Pitozzi

auf fünf Jahre angelegt. Wer weiß, was da

von der Universität Bologna zusammengetan.

noch alles passieren kann.

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/ TdZ September 2022 /

Bücher

selbst nachzudenken, sagt er. Und ja, manchmal könnten Stücke die Welt ein bisschen verändern. Als Beispiel nennt er Tony

Gespräche über Piscators Erbe in den USA

Kushners „Angels in America“ und Lynn Nottages „Sweat“, Stücke also, die Diskus­ sionen über gesellschaftliche Verschiebun-

„Amerika: Kein Landen möglich. Die Bedin-

gen anstoßen. Judith Malina hat zwischen

gungen

meine

1945 und 1947 bei Piscator Theaterregie

pers(önliche) Unfähigkeit, mich anzupas-

studiert. Zeitlebens bezog sie sich künstle-

sen“, schrieb Piscator 1956 in sein Tage-

risch und politisch auf seine Forderung, The-

buch. Den Begriff „politisches Theater“ habe

ater müsse gesellschaftlich nützlich sein.

der Erfinder des politischen Theaters in den

Das von Malina und Julian Beck gegründete

waren

unmöglich,

auch

antibürgerliche Living Theatre fokussierte

zwölf Jahren seines New Yorker Exils niemals erwähnt, schreibt Herausgeber Michael Lahr im Vorwort zu seinem zweisprachigen Interviewband „Piscators Erbe lebt weiter“. Piscator kommt im Jahr 1940 in die Stadt, die während der Kriegsjahre zum Fluchtpunkt jüdischer und verfemter Künstler

Erwin Piscator’s Legacy Lives On, Conversa­ tions about Theater, Music and Politics/ Erwin Piscators Erbe lebt weiter, Gespräche über Theater, Musik und Politik, Hg. Michael Lahr, Verlag Elysium Between Two Continents 2020, 170 Seiten, 20 Euro.

und Wissenschaftlerinnen aus Deutschland

darauf, Zuschauer und Zuschauerinnen direkt als potenzielle politische Akteure anzusprechen: Das Publikum die eigene Handlungsfähigkeit, die Kraft des Kollektivs spüren lassen. Malina erklärt hier, inwiefern sie ihre Arbeit als Weiterentwicklung dessen begreift, was sie vor Jahrzehnten von Pisca-

wird. In Europa ist er durch seine aufsehener-

tor gelernt hat.

regenden revueartigen Inszenierungen be-

Akteure wie Milo Rau und Hans-Werner

Dass die befragten US-amerikanischen

rühmt, auf Augenhöhe mit Brecht. Doch an-

Kroesinger, auch die alte Volksbühne auf ­

Theaterschaffenden ihre Stoffe und Erzählun-

ders als erhofft, findet Piscator am Broadway

sein Konzept des totalen Theaters. Aber wie

gen an den Bedürfnissen des Publikums mes-

keine Geldgeber für seine Fassung von „Krieg

ist politisches Theater unter den Bedingun-

sen, läuft keineswegs auf plumpe Anbiede-

und Frieden“. In der neuen Welt bemisst sich

gen eines kaum subventionierten Betriebs zu

rung hinaus. Eher darauf, sich der Frage nach

das Prädikat „wertvoll“ zuerst am Füllstand

machen? Eine auch aus hiesiger Perspektive

Relevanz und Wirksamkeit des eigenen Tuns

der Abendkasse. Der Broadway verlangt En-

interessante Frage.

immer neu zu stellen. Jedes der Gespräche

tertainment. Piscator erhält immerhin einen

Theatergründerin Judith Malina, Re-

hält andere Definitionen bereit, was heute

Aufenthaltstitel als akademischer Lehrer, gibt

gisseur und Schauspieler Robert Wilson und

als das Politische am Theater zu verstehen

über zehn Jahre am neu gegründeten Drama-

Schauspielerin Lee Grant, auch der Dirigent

ist. Broadway-Regisseur Harold Prince schwärmt

tic Workshop der New School for Social Re-

Kurt Masur äußern sich zur Wechselbezie-

vom Broadway-Kracher „Hamilton“ als re­vo­

search seine Ideen an Studenten weiter. Re-

hung zwischen Politik und Kunst in ihrer Ar-

lutionärem

gelmäßig bringt er mit ihnen Inszenierungen

beit. Was will ich in meiner Theaterarbeit

schichte aus der Perspektive und mit den

auf die kleinen Bühnen, auf denen die Stu-

erreichen? Wie gelingt es? Welche gesell-

ästhetischen Mitteln der PoC-Community ­

dierenden das Gelernte ausprobieren. Was ist

schaftliche Aufgabe hat Theater heute? Erst

­erzählt. Das deutschsprachige Theater findet

in der New Yorker Theaterszene von Piscator

in Deutschland habe James Nicola, der

er langweilig.

geblieben?

künstlerische Direktor des einflussreichen

Die Übersetzungen ins Deutsche sind

Michael Lahr, Programmleiter des

New York Theatre Workshop, entdeckt, dass

sehr wörtlich, auch könnten die Texte hier

­Elysium Between Two Continents, einer Or-

die Leute ins Theater gehen, um über sich

und da stärker aufs Wesentliche konzentriert

Musiktheater-Stück,

das

Ge-

ganisation, die seit Jahrzehnten Veranstal-

sein. Insgesamt aber ergeben sich bei der

tungen zur Exilgeschichte zwischen Berlin

Lektüre immer neue, manchmal überraschen-

und New York kuratiert, hat nun eine illustre

de Blickwinkel auf Unterschiede und Ge-

Reihe US-amerikanischer Theatermacher zu Piscators Erbe interviewt. Sie alle sind Preisträger des Piscator Awards für Verdienste um das zeitgenössische Theater. Unter dem Titel „Das

Ästhetische

und

das

meinsamkeiten im Theatermachen diesseits

UNICA ZÜRN

und jenseits des großen Teichs. Und immer

DUNKLER FRÜHLING

Politische“

schlägt die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte in ihrer Einleitung den Bogen zurück bis zu Schillers Rede über die ästhetische Erziehung des Menschen. Pisca-

scheidungen künstlerisch weitergetrieben. Hierzulande beziehen sich zeitgenössische

sen Arbeit das Repertoire der ästhetischen Theatermittel insgesamt entscheidend mo-

Betty Nansen Teatret

DK-Frederiksberg/Kopenhagen Regie: Amanda Ginman

Premiere: 8. September 2022

dernisiert hat. Die ausführlichen Interviews sind ergänzt von starken Schwarz-Weiß-Porträts der in New York lebenden französischen Fotografin Letizia Mariotti. //

tor steht in der ­Tradition der Aufklärung, hat sie mit wegweisenden ästhetischen Ent­

wieder kommt Lahr auf Piscator zurück, des-

MERLIN VERLAG

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Anna Opel

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aktuell

Meldungen

/ TdZ September 2022 /

■ Prof. Dr. Barbara Gronau übernimmt zum

■ Flinn Works erhält den Preis des Internatio-

1. September die Präsidentschaft der Theater-

nalen Theaterinstituts. Dies entschieden Ihsan

akademie August Everding in München. Sie ist

Othmann, Maria Rößler, Helge-Björn Meyer,

■ Am 28. Juni einigten sich Bühnenverein und

die erste Frau in dieser Position und tritt die

Nina de la Chevallerie und Renate Klett. Seit

Bühnengewerkschaften auf eine Erhöhung der

Nachfolge von Prof. Hans-Jürgen Drescher an.

2009 arbeiten Flinn Works in enger Zusam-

Mindestgage für Solobeschäftige und Büh­

menarbeit mit nicht-europäischen Partner:in­nen

nentechniker:innen. Diese wird von bisher

an der Schnittstelle zu Ethnologie, Musik-

2000 Euro zunächst auf 2550 Euro ab dem 1. September und ab dem 1. Januar 2023 auf 2715 Euro angehoben.

■ Zum 1. Januar 2023 übernimmt Yvonne Büdenhölzer die Leitung des Suhrkamp Theaterverlags. 1977 geboren, war sie von 2005 bis 2011 die Künstlerische Leiterin des Stückemarkts des Berliner Theatertreffens. Anschließend leitete sie das Theatertreffen von 2012 bis 2022.

■ Die Schriftstellerin, Theaterregisseurin und

Emine Sevgi Özdamar. Foto Heike Steinweg/Suhrkamp Verlag.

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und Dokumentartheater, verhandeln multi­pers­ pektivisch Fragen nach Macht und Verant­ wortung Die Preisverleihung ist mit einer künst­ lerischen Präsentation beim Festival Theater der Welt 2023 verbunden.

■ Das niederländische Theaterkollektiv Wunderbaum wird für seine Arbeit am Theaterhaus Jena mit dem Martin-Linzer-Theaterpreis 2022 ausgezeichnet. Der undotierte Preis, nach dem Kritiker Martin Linzer (1931–2014) benannt, würdigt Theaterarbeit als Gesamtleis-

■ Im Bürgerentscheid wurde gegen den Neu-

Schauspielerin Emine Sevgi Özdamar erhält

bau des Stadttheaters Ingolstadt gestimmt. Der

den diesjährigen Georg-Büchner-Preis, die

Neubau des kleinen Hauses wurde mit einer

bedeutendste ­

Mehrheit von 60,2 Prozent abgelehnt. Die

Deutschlands. Emine Sevgi Özdamar, gebo-

schen Theatertreffens am 10. September in

Wahlbeteiligung lag bei 25,6 Prozent.

ren am 10. August 1946 in Malatya in der

Amsterdam halten.

literarische

Auszeichnung

tung über einen längeren Zeitraum. Alleinjuror Michael Helbing wird die Laudatio bei der Preisverleihung im Rahmen des Niederländi-

Ilona Schaal und Bastian Sistig. Foto Dominique Brewing/Theater Rampe

Türkei, kam 1965 erstmals nach Berlin. „Ungewohnte literarische Stilmittel und aus dem

■ Das Theater Rampe wird mit dem Martin-

Türkischen inspirierte Sprechweisen prägen

Linzer-Theaterpreis 2021 ausgezeichnet Das

ihre multiperspektivischen Texte, die neben

Theater wird für seine langjährige Arbeit an

intimen persönlichen Erfahrungen ein breites

der Erweiterung des Autor:innenbegriffs beim

Panorama

Geschichte

Fokus auf neue Dramatik, für seine innovative

entfalten (…)“ so die Jurybegründung. Die

Leitungskultur und die Etablierung als freies

Preisverleihung wird am 5. November in

Produktionshaus ausgezeichnet. Elisabeth

Darmstadt begangen.

Maier wird die Laudatio am 30.9. im Theater

deutsch-türkischer

Rampe halten.

■ Mit der Premiere der „Götterdämmerung“ am Freitag, dem 5. August, fand die neue

■ Das American Jewish Committee würdigt

„Ring“-Tetralogie in der Regie von Valentin

den Regisseur der Passionsspiele Oberammer-

■ Das neue Leitungsduo des Theaters Rampe

Schwarz bei den Bayreuther Festspielen ein auf-

gau, Christian Stückl, mit dem renommierten

in Stuttgart wurde am 23. Juni der Öffent-

sehenerregendes Ende. Das Premieren-Publi-

Isaiah Award for Exemplary Interreligious Lea-

lichkeit vorgestellt. Die Kuratorin Ilona Schaal

kum quittierte die vergangenen 16 Stunden

dership. Die Auszeichnung kürt herausragen-

und der Regisseur Bastian Sistig leiten das

Musiktheater nahezu einstimmig mit Ableh-

de Leistungen im interreligiösen Bereich und

Haus ab der Spielzeit 2023/24.

nung und Häme. Schwarz und sein Team wur-

wurde Stückl am 10. August in Oberammer-

den minutenlang lautstark ausgebuht. Die Auf-

gau von Rabbiner Noam Marans verliehen.

■ Maik Priebe wird neuer Schauspieldirektor

führung wird auch von Musikjournalist:innen

ab der Spielzeit 2023/24 am Theater und

als inszenatorischer Tiefpunkt der jüngeren

■ Lukas Rietzschel erhält den Sächsischen

­Orchester Neubrandenburg/Neustrelitz.

Festspiel-Geschichte beschrieben.

­Literaturpreis 2022 für seinen „besonderen

■ Tobias Brenk übernimmt die künstlerische

■ Die Dramatikerin und Kuratorin Sasha

sche Verhältnisse änderten“.

Leitung der Kaserne Basel ab der Spielzeit

­Marianna Salzmann wird in diesem Jahr die

2023/24. Er folgt damit Sandro Lunin nach.

Festrede für den Friedenspreis des Deutschen

■ Am 27. Juli wurden die diesjährigen Fach­

Buchhandels halten. Der diesjährige Preisträger

jury-Nominierungen für den Deutschen Kinder­

Nerv für Risse und Brüche, wenn sich politi-

■ Das Schauspiel der Bühnen Halle wird ab

ist der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan,

theaterpreis/Jugendtheaterpreis bekannt gege-

der Spielzeit 2023/24 von den Regisseurinnen

auch für Salzmanns eigenes, literarisches Werk

ben. Für den Deutschen Kindertheaterpreis

Mille Maria Dalsgaard und Mareike Mikat ge-

ein wichtiger Bezug. Die Preisverleihung wird

erhielten Nominierungen: Eirik Fauske mit

leitet. Sie treten die Nachfolge von Matthias

am 23. Oktober in der Frankfurter Paulskirche

„Hunderte Kinder in wildem Kampf“ („Hund­

Brenner an.

begangen und live von der ARD übertragen.

revis av barn i vill kamp“), Lena Gorelik mit


meldungen

/ TdZ September 2022 /

„Als die Welt rückwärts gehen lernte“ sowie

■ Der Schauspieler Wolfgang Hinze ist mit

zum Schauspielensemble der Theater Chem-

Gwendoline Soublin mit „Und alles“ („Tout ça

87 Jahren am 22. Juli in München verstor-

nitz. Geboren am 15. Mai 1939 in Wuster-

Tout ça“). Für den Deutschen Jugendtheater-

ben. Geboren und aufgewachsen in Leipzig,

hausen an der Dosse, studierte er an der The-

preis erhielten Nominierungen: Carina Sophie

absolvierte Hinze seine Schauspielausbil-

aterhochschule Leipzig und war neben seiner

Eberle mit „else (someone)“, Nona Fernández

dung an der Max-Reinhardt-Schule in Berlin.

Theatertätigkeit in Chemnitz am Friedrich-

mit „Mädchenschule“ („Liceo de niñas“) so-

Anschließend folgten erste Engagements am

Wolf-Theater Neustrelitz, an den Städtischen

wie Fayer Koch mit „Anorexia Feelgood

Schauspiel Köln, am Düsseldorfer Schauspiel-

Bühnen Erfurt und am Hans Otto Theater Pots-

Songs“. Die Preisverleihung wird am 10. No-

haus sowie am Schiller-Theater Berlin. Von

dam sowie in Film und Fernsehen tätig und

vember in Frankfurt am Main stattfinden.

1986 bis 2010 war er Ensemblemitglied des

wirkte auch als Hörspielsprecher.

Residenztheaters München.

■ Die spanische Dramatikerin María Velasco

■ Der Regisseur, Schauspieler und Hoch-

hat den spanischen Theaterpreis Premio MAX

■ Die Schauspielerin Ursula Andermatt verstarb

schullehrer Hans Hollmann starb im Alter von

in der Kategorie Dramatik für ihr Stück „Tala-

Ende Juli im Alter von 64 Jahren in Berlin. Sie

89 Jahren Ende Juni in Basel. 1933 in Graz

ré a los hombres de sobre la faz de la tierra“,

war von 1982 bis 2000 fest am Theater am

geboren, studierte er zunächst Jura, dann

das auch auf dem Heidelberger Stückemarkt

Neumarkt Zürich engagiert, mit regelmäßigen

Schauspiel. Nach zehn Jahren in Wien war er

prämiert wurde, gewonnen.

Gastauftritten am Schauspielhaus Zürich und

ab 1968 als freier Regisseur tätig. 1992 wur-

am Schiller-Theater Berlin. Geboren und aufge-

de er Professor für Regie in Frankfurt am Main,

■ Der Schauspieler und Regisseur Albert R.

wachsen in Basel, studierte sie an der Schau-

wo er bis 2003 als Dekan den Fachbereich

Pasch ist am 24. Juni gestorben. 1934 in

spielakademie Zürich und übernahm 1988

Darstellende Kunst leitete. Er verhalf u. a.

Düsseldorf geboren, war er nach einem Ger-

auch ihre erste Filmrolle in „Der Passagier“ von

­Elfriede Jelinek zu frühen Uraufführungen.

manistik-Studium zunächst als Schauspieler

Thomas Brasch, prämiert bei den Internationa-

in Frankfurt am Main und Heidelberg tätig.

len Filmfestspielen von Cannes.

■ Sänger, Schauspieler und Oberspielleiter Heinz Zimmermann ist am 23. Juni in Halberstadt

Später war er stellvertretender Intendant am Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen und

■ Der Schauspieler Klaus Schleiff verstarb am

verstorben. Er kam 1963 ans Theater der Altmark

Schauspieldirektor am Staatstheater Meinin-

30. Juni 2022 im Alter von 83 Jahren in

Stendal, wo er 38 Jahre lang als Schauspieler

gen.

Leipzig. Er gehörte von 1991 bis 2008 fest

und Regisseur wirkte und das Haus prägte.

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aktuell

/ TdZ September 2022 /

Premieren und Festivals Annaberg-Buchholz Erzgebirgische Theater- und Orchester GmbH J. Menke-Peitzmeyer: Zehn kleine Marzipanschweine (J. S. Zamani, 26.09.) Bautzen Deutsch-Sorbisches Volkstheater N. Bremer: Sonny 2032 – Eine Kamera sieht schwarz (N. Bremer, 16.09.) Berlin Berliner Ensemble J. Haley: Die Netzwelt (M. Lindemann, 09.09.); L. Feuchtwanger: Exil (L. Perceval, 10.09.); S. Wächter: Brechts Gespenster (S. Wächter, 21.09., UA) Deutsches Theater W. Shakespeare/J. Nolte: Der Sturm (J. Bosse, 01.09.); S. Hartmann/n. M. Stirner/P. Nackt: Der Einzige und sein Eigentum (S. Hartmann, 04.09.); M. Ursprung: Vakuum, eine Inszenierung des Jungen DT (R. Weyrauch, 21.09.); n. A. Tsche­ chow/T. Kuljabin/ R. Dolzhanskij: Platonow (T. Kuljabin, 23.09.); n. S. Uhly: Mein Leben in Aspik (F. Drews, 29.09., UA) Maxim Gorki Theater L. Arias: Mother Tongue (L. Arias, 11.09., UA); Schaubühne S. Zhyrkov: Sich waffnend gegen eine See von Plagen (S. Zhyrkov, 10.09., UA) Theater an der Park­aue R. Rosen: Das Spiel (A. Riemenschneider, 10.09., UA) TD L. Werner: Ohne Ende Gegenwart (L. Werner, 07.09.); Thermoboy FK: Werewolves by the Sea (J. Maxl, 15.09.) Volksbühne F. Holzinger: Ophelia’s Got Talent (F. Holzinger, 15.09., UA) Biel/Solothurn Biel n. L. Visconti/n. C. Zavattini/n. S. Cecchi D’Amico/n. F. Rosi: Bellissima (K. Rupp, 21.09., UA); Nach d. Film v. Luchino Visconti: BELLISSIMA (K. Rupp, 21.09., UA) Solothurn Nach d. Film v. Luchino Visconti: BELLISSIMA (K. Rupp, 02.09., UA); n. L. Visconti/n. C. Zavattini/n. S. Cecchi D’Amico/n. F. Rosi: Bellissima (K. Rupp, 02.09., UA); Max Merker, Aaron Hitz: Kafka in Farbe (Max Merker, Aaron Hitz, 22.09.); M. Merker/A. Hitz: Kafka in Farbe (M. Merker/A. Hitz, 22.09.) TOBS n. L. Visconti: Bellissima (02.09.) Bremen Theater B. Brecht: Die heilige Johanna der Schlachthöfe (A. Zandwijk, 09.09.) Bremerhaven Stadttheater P. Barlow: Der Messias (D. Urban, 16.09.); W. Shakespeare: Viel Lärm um nichts (K. Neumann, 24.09.); A. Steinhöfel: Der mechanische Prinz (R. Langenberg, 25.09.) Chemnitz Theater U. Kohlert: Der Entstörer (J. Esser, 21.09.); F. Dür­ renmatt: Die Physiker (M. Kreutzfeldt, 24.09.) Dessau Anhaltisches Theater F. Hebbel/K. Eppler: Nibelungen – ein Solo für Kriemhild (K. Eppler, 02.09.); E. Leigh: Midnight Movie (R. Banger-

ter, 09.09., DEA); E. McLaughlin: Umarmst du mich mal? (K. Dathe, 18.09.) Dortmund Theater G. Büchner: Woyzeck (J. Weisskirchen, 09.09.); E. Placey: Wild! (M. Gather, 16.09.); n. Euripides: Bakchen – die verlorene Generation (J. Wissert, 17.09.); Gleich anders (M. v. Boxen, 23.09., UA) Dresden Staatsschauspiel n. W. Shake­ speare: Wie es euch gefällt. Eine Liebeskomödie über Gender, Sex und Queerness (P. Lux, 09.09.); W. Shakespeare: Macbeth (C. Friedel, 10.09.); C. Jeß: Die Katze Eleonore (S. Werdelis, 11.09., UA); G. Kaiser: Gas-Trilogie (S. Baumgarten, 17.09.) Essen Schauspiel T. Krupa/n. M. Haushofer: Die Wand (360°) (T. Krupa, 02.09.) Esslingen Württembergische Landesbühne M.-U. Kling: Das NEINhorn (M. Steinwender, 25.09.) Frankfurt am Main Künstlerhaus Mousonturm Dantons Tod / Toussaints Tod (G. Ligna, 09.09., UA); J. Tischkau/A. Tischkau: YO BRO (J. Tischkau/A. Tischkau, 24.09., UA) Graz Schauspielhaus O. Wilde: Bunbury. Ernst sein is everything! (C. Bossard, 23.09.); D. Kelly: Der Weg zurück (A. Dömötör, 24.09., ÖEA) Halle neues Theater A. Tschechow: Der Kirschgarten (I. Kerkhof, 16.09.) Thalia Theater Jan Sobrie, Raven Ruëll: Wutschweiger (E. Jurkiewicz, 04.09.) Hamburg Schauspielhaus n. G. Büchner: Subjekt Woyzeck (into the world) (M. Beichl, 03.09.); W. Shakespeare: Caesar (S. Pucher, 03.09.); W. Shakespeare: Macbeth (K. Henkel, 23.09.) Hannover Schauspiel W. Shakespeare: Hamlet (L. Nielebock, 16.09.); J. Herzberg: Rivka (S. Kimmig, 17.09., DEA); Antje Pfundtner u. Ensemble: Die Höhle auf Erden (A. Pfundtner, 23.09., UA) Heidelberg Theater und Orchester J. v. D. n. Heinrich Böll: Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann (R. Messing, 16.09.) Hildesheim Theater für Niedersachsen W. Shakespeare: Hamlet (A. Yeginer, 04.09.); n. M. Baltscheit/Theater Fata Morgana/n. C. Schwarz: Das Gold des Hasen (K. Miller, 15.09.) Jena Theaterhaus hashtagmonike: Making Plans (h., 29.09.) Karlsruhe Badisches Staatstheater O. Preußler: RÄUBER HOTZEN­ PLOTZ (24.09.) Konstanz Theater H. v. Kleist: Der zerbrochene Krug (S. Khodadadian, 23.09.); S. Frieling/H. Stollmayer: Karl! (S. Frieling, 24.09., UA)

Krefeld/Mönchengladbach Theater M. Crimp: Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino (C. Roos, 03.09.); S. Lem: Solaris (B. Winzen, 04.09.); K. Kurschat: Procedure Ada 2.0 (K. Kurschat, 07.09.) Linz Landestheater F. Wedekind: Lulu (F. Brunner, 17.09.); I. Bauer­ sima: norway.today (S. L. Kleff, 18.09.); F. Kafka: Der Prozess (P. Wittenberg, 23.09.) Lübeck Theater Svolikova: Gi3F Gott ist drei Frauen (A. Bader, 09.09.); R. Bardutzky: Das Los (C. Mosler, 10.09.); G. Büchner: Woyzeck (M. C. Lachmann, 16.09.) Ludwigshafen Theater im Pfalzbau f. n. d. Kultfilm v. John Landis: Blues Brothers (I. Limbarth, 10.09.) Magdeburg Theater n. Pedro Calderón d. l. Barca/i. e. F. v. Clara ­Weyde u. Bastian Lomsché: Das Leben ein Traum (C. Weyde, 09.09.); Les d.: Bitter Fields (C. Tschirner/L. Takeo Musiol, 10.09., UA); A. Stanton: Mr. Gum und der sprechende Kirschbaum (M. Heinzelmann, 10.09., UA); E. Jach/T. Hoffmann-Axthelm/M. Schubert/S. Arnd: Nessun Dorma (E. Jach/T. Hoffmann-Axthelm/M. Schu­ bert/S. Arnd, 16.09.) Mannheim Theatertruck C. Goldoni: Der Diener zweier Herren (C. d. A. Cesconetto/E. Jung, 21.09.) Marburg Hessisches Landestheater A. Gudarzi: WONDERWOMB (E. Lange, 17.09., UA); j. Büshel & Ensemble: HOPP! (J. Büshel, 18.09., UA) Mülheim an der Ruhr Theater P. Handke: Ritt über den Bodensee (S. Thoma, 02.09.) München Teamtheater G. Büttel: Tanz auf dem Vulkan (G. Büttel, 14.09.) Paderborn Theater W. Shakespeare: Was ihr wollt (K. Kreuzhage, 03.09.); S. Berg: Mein ziemlich seltsamer Freund Walter (F. v. Boeckel, 15.09.); R. Schimmelpfennig: Odyssee (J. Kuckart, 17.09.) Parchim Mecklenburgisches Staatstheater n. Janosch/N. v. S. f.: Oh, wo schön ist Panama (E. Thalmann, 02.09.); B. d. Costa: Duellantinnen (K. Mickan, 17.09., DEA) Pforzheim Theater I. De Toffoli: HumanApp (M. Sabaschus, 21.09., DEA) Potsdam Hans Otto Theater M. Gorki: Kinder der Sonne (B. Jahnke, 16.09.); A. Habermehl: Frau Schmidt fährt über die Oder (M. A. Schäfer, 17.09.) Rostock Volkstheater g.: Deutsche Biertrinkerinnen Union: The quick rise and fall of DBU (M. Sterra, 02.09.); F. Schiller: Don Karlos (J. Wehner, 10.09.); D. Audehm: Medizin nach Noten (D. Audehm, 17.09.)

September 2022 Rudolstadt Theater M. Chase: Mein Freund Harvey (H. Olschok, 17.09.); F. Brabant: Fehler im System (E. Undisz, 24.09.) Schaan Theater Liechtenstein G. Büchner: Dantons Tod / Der Auftrag (H. Müller/O. Vorwerk, 17.09.) St. Gallen Theater T. Walser: Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm / Nach der Ruhe vor dem Sturm (A. Horst/J. Knecht, 14.09., SEA); U. Hub: Lahme Ente, blindes Huhn (C. Hettkamp, 21.09., SEA); n. L. Tolstoi/M. Biel: Anna Karenina (M. Biel, 29.09.) Tübingen Zimmertheater M. Raabe/ M. Waltz: Liebe in Zeiten der Schichtarbeit (M. Barrawasser, 24.09., UA) Ulm Theater H. v. Kleist: Der zerbrochene Krug (J. Brandis, 16.09.); H. v. Kleist: Der zerbrochene Krug (J. Brandis, 16.09.); S. Höfler: Tanz der Tiefseequalle (C. Van Kerckhoven, 21.09.); n. Stefanie Höfler: Tanz der Tiefseequalle (C. Van Kerckhoven, 21.09.) Weimar Deutsches Nationaltheater & Staatskapelle Finn-Ole Heinrich u. Dita Zipfel: Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt (E. Jurkiewicz, 29.09.) Wilhelmshaven Landesbühne Niedersachsen Nord T. Meehan/M. O’Donnell/M. Shaiman/S. Wittman: Hairspray (O. Strieb, 03.09.); n. H. Mann/G. Plass: Der Untertan (G. Plass, 17.09., UA); J. Menke-Peitzmeyer: Ten things to do before I die (M. Dudzic, 18.09.) Zwickau Theater Plauen Zwickau D. Heidicke: The Kraut – Ein MarleneDietrich-Abend (W. Berthold, 03.09.); D. Audehm/K. Brunner: Monodramen 1 – Diven sterben einsam/Die Hand ist einsamer Jäger (I. Strahl/K. Ehinger, 15.09.); H. Schmidt/T.Jones/ H.Nauer: I do! I do! Das musikalische Himmelbett (H. Arnold, 24.09.) FESTIVALS Berlin Schönholzer Heide Fundort Heidetheater (26.08.–04.09.) Bremerhaven Stadttheater Theaterfest (04.09.) Weimar Deutsches Nationaltheater & Staatskapelle Kunstfest Weimar (24.08.–10.09.)

Angaben ohne Gewähr. Theaterspielpläne und Premierendaten können sich aktuell kurzfristig ändern. Premierendaten bitte bis zum 5. des Vormonats an redaktion@tdz.de.

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Täglich aktuelle Premieren finden Sie unter www.theaterderzeit.de


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Tickets unter 0331 73042626 www.unidram.de • www.t-werk.de


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ANTIGONE 19.-23. Oktober 20 22 UFER_STUDIOS Berlin

ZUKUNFTSMUSIK (UA) Schauspiel von Anne Jelena Schulte Auftragswerk des Theater Regensburg 23.9.2022 | Antoniushaus

DON QUIJOTE Tragikomödie von Jakob Nolte 16.10.2022 | Haidplatz

Eine Probe mit Weigel und Brecht

MEINE WAHRHEIT, DEINE WAHRHEIT Chansonabend mit Liedern von Georg Kreisler 31.12.2022 | Haidplatz

FRÄULEIN AGNES Komödie von Rebekka Kricheldorf 28.1.2023 | Antoniushaus

RL

DIE KINDER Kammerspiel von Lucy Kirkwood 17.12.2022 | Haidplatz

d AU an rich –K RA -Lu ön UM ftig +Z Pr re E ei ic IT s 2 h fü 0 de r 22 rG ei st er “

Satire von Carla Niewöhner 13.11.2022 | Haidplatz

Tickets und Info

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GENTRIFIZIER DICH! (UA)

COME BACK raumundzeit.art /antigone

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DER REVISOR Gesellschaftskomödie von Nikolai Gogol 6.11.2022 | Antoniushaus

Andorra von max frisch

DER WEG ZURÜCK Gedankenexperiment von Dennis Kelly 4.2.2023 | Haidplatz

GLAUBE LIEBE HOFFNUNG Volksstück von Ödön von Horváth 4.2.2023 | Bismarckplatz

TOM AUF DEM LANDE Psychothriller von Michel Marc Bouchard 1.4.2023 | Haidplatz

ALLES SCHWINDEL Musikalische Burleske von Mischa Spoliansky und Marcellus Schiffer 20.5.2023 | Antoniushaus SCHAUSPIELDIREKTORIN Antje Thoms

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PREMIEREN 22/23

24. AUG – 10. SEP

»SCHAUSPIELHIGHLIGHTS IM SEPTEMBER« CUANDO PASES SOBRE MI TUMBA (DEA) SERGIO BLANCO

Do, 01. Sep – 20 Uhr Redoute

TEREBRANTE (DEA) ANGÉLICA LIDDELL

So, 04. Sep – 20 Uhr Deutsches Nationaltheater, Großes Haus

SOLASTALGIA (UA) THOMAS KÖCK | SCHAUSPIEL FRANKFURT

Mi, 07. Sep – 20 Uhr | Do, 08. Sep – 20 Uhr e-werk

WERWOLFKOMMANDOS – DIE PERFORMANCE (UA) MARIE SCHWESINGER | JULIA JUST | FABIOLA EIDLOTH

Sa, 10. Sep – 18 Uhr Deutsches Nationaltheater, Studio Weitere Programm-Highlights auf www.kunstfest-weimar.de Ticketverkauf unter: 03643 / 755 334

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Spielze it 2022 & 2023

"H" seconds to midnight UA Regie, Bühne, Licht Robert Wilson inspiriert von Stephen Hawking und Etel Adnan Musik Philip Glass u.a. Hotel Savoy von Joseph Roth Regie Charlotte Sprenger Iphigenia UA frei nach Euripides / Goethe von Joanna Bednarczyk Regie Ewelina Marciniak Koproduktion mit den Salzburger Festspielen 2022 Im Menschen muss alles herrlich sein UA von Sasha Marianna Salzmann Regie Hakan Savas‚ Mican Alice im Wunderland von Lewis Carroll Familienstück ab 10 Jahren Regie Thomas Birkmeir Die Rache der Fledermaus von Johann Strauß Regie Anna-Sophie Mahler Der Wij UA frei nach Nikolaj Gogol Regie Kirill Serebrennikov Der Sandmann Oper von Anna Calvi und Robert Wilson nach E.T.A. Hoffmann Regie Charlotte Sprenger Schöne neue Welt nach Aldous Huxley Regie Amir Reza Koohestani Die Besessenen von Albert Camus Regie Jette Steckel Intervention! UA von Sven Regener und Leander Haußmann Regie Leander Haußmann König Lear von William Shakespeare Regie Jan Bosse Der Talisman von Johann Nestroy Regie Bastian Kraft Drei Schwestern von Anton Tschechow Regie Anne Lenk Barocco Ein musikalisches Manifest von Kirill Serebrennikov Regie Kirill Serebrennikov thalia-theater.de/premieren

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FALSTAFF Oper von Michael William Balfe Premiere 17. September 2022 .........................................

HOPFEN UND MALZ Operette von Daniel Behle Premiere 21. Januar 2023 ........................................

EIN KIND UNSERER ZEIT von Ödön von Horváth Premiere 30. September 2022 .........................................

ANDERSEN – EIN MÄRCHENHAFTES LEBEN Musical von Frank Loesser Premiere am 11. März 2023 ........................................

RUHE! HIER STIRBT LOTHAR Bühnenfassung des gleichnamigen Films von Ruth Toma Premiere 8. Oktober 2022

DORIAN GRAY Oper von Ľubica Čekovská Premiere am 22. April 2023

DEA Deutsche Erstaufführung UA Uraufführung

Tel. 03733 1407-131 www.erzgebirgische.theater Erzgebirgische Theater- und Orchester GmbH Eduard-von-Winterstein-Theater Buchholzer Straße 67 09456 Annaberg-Buchholz


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Ich bin klug. Ich. SPIELZEIT 2021/22

Schauspiel Die Tragödie vom Leben und Sterben des Julius Cäsar William Shakespeare

TAK Theater Liechtenstein Regie: Oliver Vorwerk

Und sicher ist mit mir die Welt verschwunden Sibylle Berg

TAK Theater Liechtenstein Regie: Oliver Vorwerk

Für immer die Alpen Nach dem Roman von Benjamin Quaderer URAUFFÜHRUNG

Koproduktion TAK Theater Liechtenstein / Staatstheater Mainz Regie: Friederike Heller

Jeder stirbt für sich allein Nach dem Roman von Hans Fallada

Theater Konstanz Regie: Shirin Khodadadian

König Richard III. William Shakespeare

TAK Theater Liechtenstein Regie: Oliver Vorwerk

Onkel Wanja Anton Tschechow

Theater Basel Regie: Antú Romero Nunes

Der Besuch der alten Dame Friedrich Dürrenmatt

Schauspielhaus Zürich Regie: Nicolas Stemann

Play Strindberg Friedrich Dürrenmatt

Deutsches Theater Berlin Regie: Adrian Linz

Ich liebe Dir Dirk Laucke

Deutsches Nationaltheater Weimar Regie: Beate Seidel

Addio Amor Marthaler Produktionen Regie: Klaus Hemmerle

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FOTO: MARTIN KAUFHOLD

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SCHAUSPIEL 2022/2023 AUSWAHL TSCHERNOBYL. STIMMEN: AB 14. OKTOBER 2022 WIEDERAUFNAHME

ANDERS! IN WELCHER WELT?

03.09.22 Was ihr wollt von William Shakespeare

BERENIKE Tragödie von Jean Racine Ab 17. September 2022 R Buddeberg, B + K Rosenstiel

15.09.22 Mein ziemlich seltsamer Freund Walter ab 6 Jahren von Sibylle Berg

ICH, AKIRA MONOLOGSTÜCK FÜR EINEN HUND MIT EINER FRAGE von Noëlle Haeseling und Leo Meier Uraufführung | Ab 23. September 2022 R Nolting B + K Jansen, Szymkowiak DIE RATTEN Berliner Tragikomödie von Gerhart Hauptmann | Ab 24. September 2022 R Prechsl, B Lindner, K Waldenspuhl, M Wachholtz DAS KIND MALT Schauspiel von Dorian Brunz Uraufführung Ab 24. März 2023 R Köhler, B + K Saretz, M Rimsky-Korsakow WIE SPÄTER IHRE KINDER Schauspiel nach dem Roman »Leurs enfants après aux« von Nicolas Mathieu Deutschsprachige Erstaufführung Ab 25. März 2023 R Rabih B Lanquetin K Kett M Trocker HAMLET. STIMMENREICH Schauspiel nach William Shakespeare Uraufführung | Ab 8. April 2023 R Bruinier B Thiele K Klimczyk M Rimsky-Korsakow DIE BETTWURST DAS MUSICAL von Rosa von Praunheim, Musik von Heiner Bomhard | Ab 2. Juni 2023 R Spittler, B + K Niemeyer, ML Schneider 16. FESTIVAL PRIMEURS Frankophone Gegenwartsdramatik – Écriture dramatique contemporaine 16.–19. November 2022 SAARLÄNDISCHES STAATSTHEATER Schillerplatz 1, 66111 Saarbrücken Generalintendant Bodo Busse Schauspieldirektorin Bettina Bruinier Chefdramaturg und Künstlerischer Leiter Schauspiel Horst Busch Künstlerische Leitung sparte4 Luca Pauer, Thorsten Köhler www.staatstheater.saarland

17.09.22 Odyssee von Roland Schimmelpfennig 29.10.22 Der Hässliche von Marius v. Mayenburg 03.11.22 Peterchens Mondfahrt Mission Käferbein ab 6 Jahren von Inken Böhack und Jan Pröhl 18.11.22 Richard O’Brien’s The Rocky Horror Show Musical von Richard O‘Brien 07.01.23 Der König stirbt von Eugène Ionesco 14.01.23 Seid nett zu Mr. Sloane von Joe Orton 09.02.23 Der fabelhafte Die ab 10 Jahren von Sergej Gößner

25.02.23 Der Stock von Mark Ravenhill 03.03.23 Clavigo von Johann Wolfgang v. Goethe 23.03.23 Dreier steht Kopf ab 3 Jahren von Carsten Brandau 28.04.23 Hase Hase von Coline Serrau 05.05.23 Kein Weltuntergang von Chris Bush 17.06.23 Nibelungenleader von Kristo Šagor

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Silvia Brendenal, Theaterwissenschaftlerin und freie Autorin, Sarmstorf Matthias Caffier, Dramaturg, Leipzig Elisabeth Feller, Autorin und Journalistin, Wettingen Holk Freytag, Regisseur und Dramaturg, Bad Hersfeld Anne Fritsch, Journalistin, München Hermann Götz, Text- und Kulturarbeiter, Graz Björn Hayer, Kritiker, Lemberg Renate Klett, Kritikerin, Berlin Bettina Kugler, Kritikerin, St. Gallen Christoph Leibold, Kritiker, München Tom Mustroph, Autor und Journalist, Berlin Dr. Thomas Oberender, Autor und Kurator, Berlin Dr. Anna Opel, Autorin und Übersetzerin, Berlin Wolfgang Schneider, Professor em., Hildesheim Tom Stromberg, Agenturleiter, Berlin Martin Wigger, Theaterleiter, Zürich Lara Wenzel, freie Autorin, Leipzig

Vorschau Wunberbaum. Foto Felix Adler

AUTORINNEN UND AUTOREN September 2022

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IMPRESSUM Theater der Zeit – Die Zeitschrift für Theater und Politik 1946 gegründet von Fritz Erpenbeck und Bruno Henschel 1993 neubegründet von Friedrich Dieckmann, Martin Linzer, Harald Müller und Frank Raddatz

Verlagsbeirat Kathrin Tiedemann, Prof. Dr. Matthias Warstat Redaktion Thomas Irmer (V.i.S.d.P.), Elisabeth Maier, Michael Bartsch, Michael Helbing und Stefan Keim, Nathalie Eckstein (Assistenz), Lina Wölfel (Digitale Dienste), Paul Mühlbach (Hospitanz) Korrektur Sybill Schulte Gestaltung Gudrun Hommers Bildbearbeitung Holger Herschel Druck PIEREG Druckcenter Berlin GmbH, Benzstraße 12, D-12277 Berlin Verlag und Redaktion Theater der Zeit GmbH, Winsstraße 72, D-10405 Berlin Tel +49 (0) 30.44 35 28 5-17 / Fax +49 (0) 30.44 35 28 5-44 redaktion@tdz.de / www.theaterderzeit.de

Martin-Linzer-Theaterpreis: Gleich zweimal wird der Martin-­ Linzer-Theaterpreis im September vergeben: Das Kollektiv ­Wunderbaum erhält den Preis 2022 für seine Arbeit am Theaterhaus Jena, das Theater Rampe erhält den pandemiebedingt aus­ gefallenen Preis 2021. Der undotierte Preis, nach dem Kritiker Martin Linzer (1931–2014) benannt, der über sechzig Jahre als einflussreicher Autor und Redakteur der Zeitschrift Theater der Zeit in Berlin verbunden war, würdigt Theaterarbeit als Gesamt­ leistung über einen längeren Zeitraum. Wir dokumentieren die Laudationes der jeweiligen Alleinjuror:innen, die Redakteur:innen Michael Helbing und Elisabeth Maier.

Programm und Geschäftsführung Harald Müller +49 (0) 30.44 35 28 5-20, h.mueller@tdz.de, Paul Tischler +49 (0) 30.44 35 28 5-21, p.tischler@tdz.de Anzeigen Harald Müller, +49 (0) 30.44 35 28 5-20, anzeigen@tdz.de Lizenzen lizenzen@tdz.de 77. Jahrgang. Heft Nr. 9, September 2022. ISSN-Nr. 0040-5418 Redaktionsschluss für dieses Heft: 06.08.2022 © an der Textsammlung in dieser Ausgabe: Theater der Zeit, © am Einzeltext: Autorinnen und Autoren und Theater der Zeit. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. © Fotos: Fotografinnen und Fotografen

LESERSERVICE Bestellung abo-vertrieb@tdz.de / +49 (0) 30.44 35 28 5-12 Einzelverkaufspreis € 9,50 (Print) / € 8,50 (Digital) Jahresabonnement € 95,– (Print) / € 84,– (Digital) / € 105,00 (Digital + Print) 10 Ausgaben + 1 Arbeitsbuch 20 % Rabatt für Studierende, Rentner, Arbeitslose bei Vorlage eines gültigen Nachweises. Preise gültig innerhalb Deutschlands und inkl. Porto und Versand. Lieferungen außerhalb Deutschlands zzgl. € 25,-

Kampnagel: Das Produktionshaus Kampnagel feiert 40. Jubiläum. TdZ blickt auf die Geschichte von Europas größter Produk­ tionsstätte für freie darstellende Künste seit der legendären ­Be­setzung durch Künstler:innen. Die 40-jährige Geschichte der ehemaligen Fabrik und Ausweichstätte des Deutschen SchauSpielHauses Hamburg ist eine Geschichte des Ortes als Spiel- und Diskursort, als Ort der künstlerischen und politischen Aushandlung. Mit der geplanten Generalsanierung steht architektonisch der größte ­Brückenschlag in die Zukunft an.

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Die nächste Ausgabe von Theater der Zeit erscheint am 1. Oktober 2022.

Kampnagel. Foto picture alliance / dpa | Markus Scholz

Herausgeber Harald Müller


Was macht das Theater, Sivan Ben Yishai? Du hast als Regisseurin und Performerin ge­ arbeitet. Heute bist du vor allem Dramatikerin. Bist du glücklich damit? Seit 24 Jahren lebe ich im und mit dem Theater. Das ist eine lange Zeit. Um ehrlich zu sein, heutzutage, nach so vielen Jahren als Regisseurin im Proberaum, ist es meine größte Freude, allein am Schreibtisch zu sitzen und zu schreiben. Andererseits glaube ich, dass Theater, das nicht kollektiv ist, nicht überleben kann. Theater macht man zusammen. Die Vielfältigkeit der Stimmen ist das Resultat dieser Erfahrungen mit dem kollektiven Arbeiten. Ich will es nicht zu hart sagen, aber Theater, das nicht kollektiv ist, kann nicht überleben. Ja, ich bin eine Autorin, und die Distanz zum Proberaum ist immer eine Art Konflikt. Hast du als Autorin beim Schreiben schon eine Idee für die Umsetzung deiner Stücke? In einem guten Stück sollte alles enthalten sein, sogar die Lichtdramaturgie. Ich schreibe keine Regieanweisungen, aber es sollte alles zu finden sein. Vielleicht können nicht alle jede Schicht im Text erkennen, aber ich glaube, dass ein Text alle diese Schichten in sich enthalten sollte. Er sollte dem Team aber auch Rätsel aufgeben: Welche Körper können das nun übernehmen? In welchem Bild könnte so etwas stattfinden? Schon beim Lesen deiner Stücke empfinde ich etwas sehr Körperliches. Einen Drang in den Worten, gespielt zu werden. Ja, wo ist eigentlich der Körper der Dramatike-

Die Dramatikerin Sivan Ben Yishai wurde 1978 in Palästina/Israel geboren. Sie lebt seit 2012 in Berlin und schreibt ihre Stücke auf Englisch. Die Schriftstellerin Maren Kames übersetzt die Texte ins Deutsche. In diesem Frühjahr gewann Sivan Ben Yishai für ihr Stück „Wounds Are forever (Selbstportrait als Nationaldichterin)“ den Mülheimer Dramatikpreis. Regelmäßig arbeitet Sivan Ben Yishai auch mit den Münchner Kammerspielen und dem Berliner Gorki Theater zusammen, wo ihre nächsten Stücke Uraufführung haben werden. Foto Max Zerrahn

rin? Und wie kann man ihn auf andere Körper auf einer Bühne übertragen? Das Theater verlangt so eine Übersetzung von uns. Ich versu-

handlungsorientiert, sondern diskursorientiert.

du dich hinter der Bühne aufhältst, und trotz-

che, einen Mechanismus zu entwickeln, den

Es gibt ja auch viel Angst und Unsicherheit in

dem beobachtet dich immer jemand aus der

spielenden Körper auf der Bühne mit meinem

meinen Stücken. Wenn die Furcht auftaucht,

ersten Reihe.

hier am Schreibtisch zu verknüpfen. Ein ande-

wird sie automatisch Teil des Textes. Fehler

rer Aspekt ist, dass ich keine Botschaften ver-

sind immer Teil meines Schreibprozesses. Ver-

Wir haben gerade in der Pandemie einen großen

künden, sondern ins Gespräch kommen will.

giss bitte nicht, dass ich in meiner zweiten

Publikumsverlust. Wie reagierst du als Dramati-

Die Stimmen wollen mitreden, den Raum er-

Sprache schreibe. Da entstehen immer Fehler.

kerin darauf?

obern, ihn verwandeln. Sie wollen berührt

Es gibt da ein Erlebnis. Ich war mal in einem

Mein neuestes Stück „Bühnenbeschimpfung

­werden und berühren, verletzen und verletzt

Theater, in dem es keine Toiletten gab. Ich

(Liebe ich es nicht mehr, oder liebe ich es zu

werden.

musste dringend und versteckte mich hinter

sehr?)“, das ich fürs Gorki geschrieben habe,

einem Mülleimer. Und als ich da hockte,

behandelt auch diese Fragen. Macht es für die

Wenn du dich Themen wie Krieg, Holocaust,

merkte ich plötzlich, dass auf der anderen Sei-

Aufführung was aus, ob du sie dir anschaust

Leid, Unterdrückung mit einer wilden Fantasie,

te eine belebte Straße war. Ich war also auf der

oder nicht? Ob du als Zuschauer:in da bist

mit Poesie und Humor näherst, hast du manchmal

einen Seite geschützt und von der anderen

oder nicht? Das Theater muss die Wege neu

die Furcht, etwas zu weit zu gehen?

konnten mich alle sehen. So ist es, in einer

definieren, auf denen wir uns begegnen. //

Ja, schon. Aber meine Stücke sind ja nicht

Fremdsprache zu schreiben. Du glaubst, dass

Die Fragen stellte Stefan Keim


MK: 22/23 CyCy Therese Erkin Anastasiia Claude Nora Annette Lucy Johanna Hope

Theater der Stadt

Die Zukünftigen

muenchner-kammerspiele.de/diezukuenftigen


H C I L M Ä N N I ICH B H C I L T EIGEN , S R E D N A Z GAN H C I R E AB O S R U N E M KOM . U Z A D N E T SEL formdusche.de

EN AUSSICH ZUR SCHÖN rváth Ödön von Ho

T

22.23


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