TdZ 9/2023 – Queeres Theater

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Theater der Zeit Mit

Queeres Theater

Jenny Erpenbeck Jenny Schrödl Karl Huck Thomas Oberender Guillermo Calderón Frank Castorf Yi-Wei Keng Wolfgang Engler Anne Rabe

September 2023 EUR 10,50 CHF 10 tdz.de

Romeo Castellucci

Die Mysterien von Eleusis


Münchner Kammerspiele

Spielzeit 23/24

Im Menschen muss alles herrlich sein, Fünf bis sechs Semmeln und eine kalte Wurst, Xáta – Zuhause, Liebe, WoW – World on a Wirecard, Frau Schmidt und das Kind aus Charkiw, Der Sturm / Das Dämmern der Welt, Als lebten wir in einem barmherzigen Land, In Ordnung, Land, Die Möglichkeit des Bösen, Doping, Sonne / Luft, Die Verteidigung des Paradieses, Very Rich Angels


Schauspiel — Junges Schauspiel — Stadt:Kollektiv — Spielzeit 2023 /2024

Schauspiel Schauspielhaus, Großes Haus — 2.9. Richard lll. von William Shakespeare, R: Evgeny Titov — 30.9. Der Besuch der alten Dame von Friedrich Dürrenmatt, R: Laura Linnenbaum — Oktober Keine Sorge (Religion) von Bonn Park mit Musik von Ben Roessler, R: Bonn Park, UA — November Der Teufel mit den drei goldenen Haaren von F. K. Waechter nach den Brüdern Grimm, Kinder- und Familienstück — Eine gemeinsame Produktion von Schauspiel und Jungem Schauspiel, R: André Kaczmarczyk — Dezember Prima Facie von Suzie Miller, R: Philipp Rosendahl — Januar Peer Gynt von Henrik Ibsen, R: Bernadette Sonnenbichler — Februar Woyzeck von Georg Büchner, R: Luise Voigt — März Die Orestie. Nach dem Krieg nach Aischylos in einer Bearbeitung von Tamara Trunova und Stas Zhyrkov, R: Stas Zhyrkov — April Homeoffice von Toshiki Okada, R: Toshiki Okada, UA Schauspielhaus, Kleines Haus — 9.9. Arbeit und Struktur von Wolfgang Herrndorf, R: Adrian Figueroa, UA — November Tod eines Handlungsreisenden von Arthur Miller, R: Robert Gerloff — Januar Amphitryon von Heinrich von Kleist in einer Bearbeitung von Milena Michalek, R: Milena Michalek — März Folies! Folies! Finis. Ein Vaudeville — Mit den Studierenden des Düsseldorfer Schauspielstudios, R: André Kaczmarczyk — Mai die unverheiratete von Ewald Palmetshofer, R: Andreas Kriegenburg — Juni Der diskrete Charme der Bourgeoisie von Luis Buñuel, R: Bernadette Sonnenbichler Unterhaus — Oktober Eurydike Deep Down von Michele De Vita Conti und Alessandra Giuriola — nach dem Mythos »Orpheus und Eurydike«, R: Alessandra Giuriola, UA — Herbst Mindset von Sebastian »El Hotzo« Hotz, R: Robert Zeigermann, UA — Frühjahr Liv Strömquists Astrologie von Liv Strömquist, UA Open Air — Mai Glaube, Liebe, Fußball Ein multinationales Fanspektakel zur EURO 2024, R: Peter Jordan und Leonhard Koppelmann, UA

Stadt:Kollektiv 29.9. Dschinns von Fatma Aydemir, R: Bassam Ghazi — Dezember Leonce und Lena von Georg Büchner, R: Nora Schlocker — April Zorn Eine generationskonfrontative Inszenierung, R: Uta Plate Junges Schauspiel 10.9. Time to Shine Tanz- und Theaterspektakel von Takao Baba und Ensemble, R: Takao Baba, UA — Dezember Die Räuber nach Friedrich Schiller in einer Bearbeitung von Felix Krakau, R: Felix Krakau — April Das Pommes-Paradies Über Kinderarmut in einer reichen Stadt — von Akın Emanuel Şipal, R: Liesbeth Coltof, UA — Mai Spielverderber Über den Spaß am Sport und ein komisches Gefühl — von Veronika Maurer, R: Robert Gerloff, UA Open Air — 27.8. Panda-Pand — Wie die Pandas mal Musik zum Frühstück hatten von Saša Stanišić, R: Carmen Schwarz, UA


PREMIEREN spielzeit 23/24 Der Weg zurück

Ronja Räubertochter

Was ihr wollt

Ein dunkles, dunkles, dunkles Blau (UA)

von Dennis Kelly Inszenierung: Selma Spahić Fr – 15. Sep 23 Kammertheater

von William Shakespeare Inszenierung: Burkhard C. Kosminski Fr – 22. Sep 23 Schauspielhaus

Spielplananalyse 23/24 von und mit Harald Schmidt ab 14. Okt 23 Schauspielhaus

Offene Zweierbeziehung

von Dario Fo und Franca Rame Inszenierung: Andreas Kriegenburg Sa – 28. Okt 23 Schauspielhaus

Zeit wie im Fieber (UA) Büchner-schrapnell von Björn SC Deigner Inszenierung: Zino Wey Sa – 11. Nov 23 Kammertheater

Jeeps

von Nora Abdel-Maksoud Inszenierung: Sebastian Kießer Fr – 24. Nov 23 foyer Kammertheater

von Astrid Lindgren Inszenierung: Sophia Bodamer So – 12. Nov 23 Schauspielhaus

von Simon Stephens Inszenierung: Elmar Goerden Sa – 06. Jan 24 Kammertheater

Das Portal (UA)

von Nis-Momme Stockmann Inszenierung: Herbert Fritsch Sa – 20. Jan 24 Schauspielhaus

Der Zauberlehrling (UA) Ein Musical von Marthe Meinhold, Marius Schötz und Ensemble Inszenierung: Marthe Meinhold & Marius Schötz Fr – 23. Feb 24 Kammertheater

Der große Wind der Zeit (UA)

Farm der Tiere

von George Orwell Inszenierung: Oliver Frljić Sa – 27. Apr 24 Schauspielhaus

Sonne / Luft

von Elfriede Jelinek Inszenierung: Franz-Xaver Mayr Sa – 11. Mai 24 Kammertheater

Amerika

von Franz Kafka Inszenierung: Viktor Bodó Sa – 18. Mai 24 Schauspielhaus

Hotel Savoy

oder Ich hol’ dir vom Himmel das Blau (UA)

Eine Hybridoperette mit der Musicbanda Franui Inszenierung: Corinna von Rad Sa – 22. Jun 24 Schauspielhaus In Kooperation mit der Staatsoper Stuttgart

Eine Inszenierung der HMDK

von Joshua Sobol Inszenierung: Stephan Kimmig Sa – 24. Feb 24 Schauspielhaus

Sa – 16. Mär 24 Nord In Kooperation mit der HMDK Stuttgart

John Gabriel BORKMAN

Eine Bachelorinszenierung

von Henrik Ibsen Inszenierung: Daniela Löffner Sa – 23. Mär 24 Schauspielhaus

Sa – 13. Apr 24 Nord In Kooperation mit der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg


FREMDER ALS DER MOND Texte von Bertolt Brecht mit Musik von Hanns Eisler u.a., Regie: Oliver Reese, Premiere 26.8.2023 / WOYZECK von Georg Büchner, Regie: Ersan Mondtag, Premiere 15.9.2023, Berlin-Premiere 23.9.2023 / ES KANN DOCH NUR NOCH BESSER WERDEN von Sibylle Berg, Regie: Max Lindemann, Urauff ührung 21.9.2023 / INSOMNIA von Sonja Ferdinand und Ensemble, Regie: Heiki Riipinen, Urauff ührung WORX 6.10.2023 / LOVE BOULEVARD von Lies Pauwels, Regie: Lies Pauwels, Urauff ührung 13.10.2023 / FREMD von Michel Friedman, Regie: Max Lindemann, mit Sibel Kekilli, Inszenierte Lesung 26.10.2023 / 1984 von George Orwell, Regie: Luk Perceval, Premiere 18.11.2023 / MUTTI, WAS MACHST DU DA? von Axel Ranisch und Paul Zacher, Regie: Axel Ranisch, Urauff ührung Dezember 2023 / CHRONIK DER REVOLUTION von Alireza Daryanavard und Masha Ghafari, Regie: Alireza Daryanavard, Urauff ührung WORX, Dezember 2023 / MANN IST MANN von Bertolt Brecht mit Musik von Paul Dessau, Regie: Max Lindemann, Premiere 13.1.2024 / DIE SCHMUTZIGEN HÄNDE von JeanPaul Sartre, Regie: Mateja Koležnik, Premiere 21.1.2024 WWW.BERLINER-ENSEMBLE.DE

© Moritz Haase

© Jörg Brüggemann / Tobias Kruse

SPIELZEIT 2023/24 PREMIEREN AUGUST 2023 — JANUAR 2024



Schauspielhaus Zürich 2023 / 2024 Premieren / Premieres Der Junge aus der letzten Reihe

Von / By Juan Mayorga Inszenierung / Staging: Christiane Jatahy Schweizer Erstaufführung / Swiss premiere: 8. September 2023, Schiffbau-Box

Leben des Galilei

Von / By Bertolt Brecht Mit Musik von / With music by Hanns Eisler Inszenierung / Staging: Nicolas Stemann Premiere: 9. September 2023, Pfauen

jetzt, jetzt, jetzt (AT/WT)

Eine Stückentwicklung von / A play developed by Lucien Haug, Suna Gürler, Yunus Ersoy Inszenierung / Staging: Suna Gürler Uraufführung / World premiere: 28. September 2023, Pfauen Auch interessant für Menschen ab 14 / For ages 14 and up

Blutstück

Nach dem Roman / Based on the novel Blutbuch von / by Kim de l’Horizon Inszenierung / Staging: Leonie Böhm Uraufführung / World premiere: 20. Oktober / October 2023, Pfauen

Amore United

Von / By Lucien Haug Inszenierung / Staging: Lucien Haug Zürich-Premiere: Oktober / October 2023, Pfauen-Kammer Auch interessant für Menschen ab 14 / For ages 14 and up

Schneewittchen Beauty Queen

Inszenierung & Text / Staging & Script: Nicolas Stemann Wiederaufnahme-Premiere / Rerun premiere: 4. November 2023, Pfauen Auch interessant für Menschen ab 8 / For ages 8 and up

Liebes Arschloch

Von / By Virginie Despentes Inszenierung / Staging: Yana Ross Uraufführung / World premiere: 25. November 2023, Pfauen

The Ozard of Wiz

Inszenierung / Staging: René Geerlings Zürich-Premiere: 6. Dezember / December 2023, Schiffbau-Box Auch interessant für Menschen ab 9 / For ages 9 and up

Die Möwe

Von / By Anton Tschechow Inszenierung / Staging: Christopher Rüping Premiere: 20. Dezember / December 2023, Pfauen

Der Sturm

Von / By William Shakespeare In einer Fassung von / Adapted by Sophia Al-Maria Inszenierung / Staging: Wu Tsang mit / with Moved by the Motion Premiere: 20. Januar / January 2024, Pfauen

Antigone im Amazonas

Von / By Milo Rau & Ensemble Inszenierung / Staging: Milo Rau Zürich-Premiere: Frühjahr / Spring 2024, Pfauen

Moise und die Welt der Vernunft

Nach dem Roman von / Based on the novel by Tennessee Williams Inszenierung / Staging: Alexander Giesche Deutschsprachige Erstaufführung / German premiere: 19. April 2024, Pfauen

Carmen

Von / By Sophia Al-Maria und / and Andrew Yee nach der Oper von / based on the opera by George Bizet Inszenierung / Staging: Wu Tsang mit / with Moved by the Motion Uraufführung / World premiere: 4. Mai / May 2024, Schiffbau-Halle

Parzival ff

Tambourines

Nach dem Versroman von / Based on the verse romance by Wolfram von Eschenbach Inszenierung / Staging: Leonie Böhm Ein spielzeitübergreifendes Projekt mit dem Ensemble / A season-spanning play with the ensemble

Last Night a DJ Took My Life

Produktionen Jugendclubs 1–4 / Productions Youth Clubs 1–4

Von / By Trajal Harrell Inszenierung und Choreografie / Staging and choreography: Trajal Harrell Premiere: 10. Februar / February 2024, Pfauen

Von / By Joana Tischkau Inszenierung und Choreografie / Staging and choreography: Joana Tischkau Premiere: 12. März / March 2024, Schiffbau-Box

Biedermann und die Brandstifter

Von (und 65 Jahre nach) / By (and 65 years after) Max Frisch Inszenierung / Staging: Nicolas Stemann Premiere: 21. März / March 2024, Pfauen

2324.schauspielhaus.ch

Premieren / Premieres: Mai und Juni / May and June 2024, Pfauen & Schiffbau


SCHAUSPIELHAUS

KAMMERSPIELE

DER GEIZIGE

MASCHA K. (UA) (TOURIST STATUS)

von Molière Regie: Mateja Koležnik Premiere: 21. September 2023

von Anja Hilling Regie: Christina Tscharyiski Premiere: 22. September 2023

ORLANDO – EINE BIOGRAFIE

SONNE /LUFT

nach Virginia Woolf Regie: Jessica Glause Premiere: 24. September 2023

von Elfriede Jelinek Regie: Lilja Rupprecht Premiere: 01. Dezember 2023

DRACULA

DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM

von Johanna Wehner nach Bram Stoker Regie: Johanna Wehner Premiere: 27. Oktober 2023

von Heinrich Böll Regie: Sapir Heller Premiere: 19. Januar 2024

MOMO nach Michael Ende Familienstück ab 8 Jahren Regie: Christina Rast Premiere: 19. November 2023

DER WÜRGEENGEL (UA) von PeterLicht und SE Struck nach Luis Buñuel Regie: Claudia Bauer Premiere: 20. Januar 2024

DER RAUB DER SABINERINNEN nach Paul und Franz Schönthan Regie: Christina Tscharyiski Premiere: 10. Februar 2024

PHÄDRA, IN FLAMMEN

ZWISCHEN

von Nino Haratischwili Regie: Max Lindemann Premiere: 15. März 2024

THEY THEM OKOCHA (AT) (UA) Text & Regie: Bonn Park Premiere: 12. April 2024

RAUME

KILLOLOGY (DSE)

BOCKENHEIMER DEPOT

JUNGES SCHAUSPIEL

Koproduktion mit dem Künstler*innenhaus Mousonturm geplant für Sommer 2024

DEINE KÄMPFE – MEINE KÄMPFE (UA)

BOX

UND DU BIST RAUS (UA)

von Gary Owen Regie: Helena Jackson Premiere: 07. Juni 2024

DON CARLOS von Friedrich Schiller Regie: Felicitas Brucker Premiere: 16. März 2024

DANCE2NARRATION BIS.N.S. (AS USUAL) | LISA (UA) Choreografie: Ioannis Mandafounis die Dresden Frankfurt Dance Company zu Gast im Schauspielhaus Premiere: 28. März 2024

DIE EHE DER MARIA BRAUN von Rainer Werner Fassbinder Regie: Lilja Rupprecht Premiere: 20. April 2024

DIE BRÜDER KARAMASOW nach Fjodor M. Dostojewski Regie: Laura Linnenbaum Premiere: 17. Mai 2024

Projekte von Manja Kuhl, Janina Velhorn u. a. Premieren: ab Oktober 2023

Jugendtheaterprojekt ab 14 Jahren Konzept und Regie: Martina Droste Premiere: 18. November 2023 Kammerspiele

Jugendperformanceprojekt in Kooperation mit dem Historischen Museum Frankfurt Konzept und Regie: Martina Droste Premiere: 17. Februar 2024 Historisches Museum Frankfurt


Theater der Zeit Editorial

Ensemble von „Colina“ von Guillermo Calderón in eigener Regie

A

Foto Cesar Pacheco

m 11. September 1973 putschten in Chile Generäle unter der Führung von Augusto Pinochet gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Es folgten fast zwei Jahrzehnte Diktatur mit Folterzentren, zahllosen Verschwundenen und der Ankurbelung einer zuvor in den USA entworfenen neoliberalen Wirtschaftsordnung mit allen bekannten Folgen. Die langen Schatten der Diktatur, das ist das große Thema des chilenischen Dramatikers und Drehbuchautors Guillermo Calderón, dessen Stück „Colina“ (der Name eines Gefängnisses in Santiago) in diesem Heft abgedruckt ist. (S. 64–76) Parallel zu diesem Abdruck erscheint ein TdZ-Spezial Chile aus Anlass des 50. Jubiläums dieses Ereignisses, das als Datum der jüngeren Weltgeschichte neben dem Prager 20. August 1968 und dem New Yorker 11. September 2001 steht.

Romeo Castellucci sprach mit Thomas Oberender über seine neue Inszenierung „Mystery 11 Ma“, die am 1. September in der griechischen Kulturhauptstadt Elefsina Premiere hat und sich auf die frühantiken Initiations- und Weiheriten der Mysterien von Eleusis bezieht. Der Ort, das heutige Elefsina dreißig km nordwestlich von Athen, war einst für Castellucci als Student der Ausgangspunkt für alles, was der Theatermacher bis heute geschaffen hat. (S.52–57) In Epidauros, einem anderen griechischen Ort mit antiker Tiefendimension, inszenierte Frank Castorf seine Version von „Medea“ (S.94–95) Queeres Theater wird oft zuerst als Politikum oder Aktivismus wahrgenommen. Dabei entsteht es nicht mehr allein aus der freien Szene heraus, sondern queere Themen und Ästhetiken haben längst den Mainstream der Stadt- und Staatstheater erreicht und es wird viel diskutiert, was es dort bewirkt und an wen es sich in erster Linie wendet. Zeit für einen Schwerpunkt, den die Juniorprofessorin und Spezialistin für queeres Theater Jenny Schrödl mit einem ausführlichen Überblick einleitet, gefolgt von einer publikumssoziologischen Untersuchung und einem besonderen Beispiel am Landestheater Eisenach in Thüringen. (S. 34–36) Den Martin Linzer Theaterpreis erhält dieses Jahr die Seebühne Hiddensee von Wiebke Volksdorf und Karl Huck. Aus diesem Anlass gilt dem maritimen Kammertheater mit seiner wunderbaren Puppenwelt das Kunstinsert auf den S.42–47. T Thomas Irmer

Ein umfangreiches Online-Dossier zum Theater in Chile gibt es ab 9. September 2023 auf tdz.de

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Theater der Zeit

„Medea“ von Euripides beim Athens Epidauros Festival in der Regie von Frank Castorf

Thema Queeres Theater Queeres Theater erlangt eine immer größere Vielfalt: ein Überblick Von Jenny Schrödl

30 Essay Zu woke für das Publikum? Versuch einer Publikumssoziologie queerer Theater-Ästhetiken zwischen Berliner Großstadt-Blase, niedersächsischem Mittelstadt-Publikum und Tübinger Aktivismus Von Lina Wölfel und Cecilia Hussinger

34 Essay Nicht gerade die bunteste Stadt Am Landestheater Eisenach setzt das Junge Schauspiel auf Diversität und Queerness von Michael Helbing

Der italienische Regisseur Romeo Castellucci

8

Weitere Texte zum Thema finden Sie im Dossier Queeres Theater unter tdz.de

Theater der Zeit 9 / 2023

Fotos links oben Alex Kat, unten SF/Anne Zeuner, rechts Cesar Pacheco

24 Essay Vielleicht ein Aufbruch


Inhalt 9 / 2023

Akteure 42 Kunstinsert Auf hoher See und im eigenen Hafen Laudatio zum Martin Linzer Theaterpreis für die Seebühne Hiddensee Von Thomas Irmer

48 Porträt Orestes Rückkehr Romeo Castellucci über seine neue Produktion „Mystery 11 Ma“ in der griechischen Kulturhauptstadt Elefsina, seine Vision des Bildes und die Eleusinischen Mysterien Im Gespräch mit Thomas Oberender

54 Laudatio Wie Licht einfällt: schräg Laudatio auf Margit Bendokat als Ehrenmitglied des Deutschen Theaters in Berlin von Hans-Dieter Schütt

58 Nachruf Die Texte atmen lassen

Stück 62 Stückgespräch Wir sind pessimistisch

Zum Tod von Hans-Joachim Schlieker Von Stephan Suschke

Der chilenische Dramatiker Guillermo Calderón über die Entstehung von „Colina“ im langen Schatten eines Justizskandals Im Gespräch mit Thomas Irmer

61 Nachruf Voll ansteckender Liebe

64 Stück „Colina“

Eine Erinnerung an Peter Simonischek Von Johanna Wokalek

Von Guillermo Calderón

Diskurs & Analyse

Magazin

80 Serie Warum wir das Theater brauchen #06 Theater für Taiwan Von Yi-Wei Keng

82 Bericht In den Fußstapfen Helene Weigels Ein Rückblick auf den ersten Jahrgang des Nachwuchsförder­ programms WORX am Berliner Ensemble Von Sophie-Margarete Schuster

17 Bericht Mönchszellen und Bühnenräume Von Stefan Keim

18 Kritiken Gesammelte Kurzkritiken

Von Peter Sampel, Otto Paul Burkhardt, Leonard Kaiser und Michael Helbing

20 Kolumne Den Kopf abgeben Von Jenny Erpenbeck

112 Buch Folgen der Verwüstung Von Wolfgang Engler

Report

114 Bericht Ein Leben für das Puppentheater

94 Athen Vom unheimlichen Knarren unserer Zeit

118 Was macht das Theater, Anne Rabe?

Frank Castorf inszeniert „Medea“ im antiken Theater von Epidauros – vor neuntausend Zuschauer:innen Von Volker Gebhart

96 Aalen Vom Verschwinden der Körper in frostiger Zeit Mit einem Stückemarkt setzen die Baden-Württembergischen Theatertage in Aalen auf der Ostalb Zeichen für neue Dramatik Von Elisabeth Maier

98 Fribourg Im vermeintlichen Theaterniemandsland Das zehnte Schweizer Theatertreffen 2023 Von Daniel Mezger

Theater der Zeit 9 / 2023

Von Rüdiger Koch

Im Gespräch mit Michael Helbing

7 Editorial 108 Verlags-Ankündigungen 117 Autor:innen & Impressum 117 Vorschau Abonnent:innen erhalten mit dieser Ausgabe: Theater der Zeit Spezial Chile. Der Heft-Launch findet am 11.9. im HAU3 Hebbel am Ufer Berlin statt. Es diskutieren die Herausgeberin Amalia Kassai (Santiago de Chile), Carlos Medina (Kultur­beauftragter an der Botschaft der Republik Chile in Deutschland und weitere Gäste, Moderation Thomas Irmer.

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Unsere Premieren 2023 / 2024

l h o w h c o d f r a d s a »D nicht wahr sein!«

Peter Ensikat

Hase und Igel

ab 03.09.2023 | 4+ Regie: Dietmar Rahnefeld Jewgeni Schwarz

Drache

ab 15.09.2023 | 14+ ab 21.09.2023 | 8+ Regie: Mareike Mikat Friedrich Maximilian Klinger

Sturm und Drang ab 16.09.2023 | 14+ Regie: Tim Tonndorf

Andreas Sauter & Bernhard Studlar Deutsche Erstaufführung

Warten auf Tränengas ab 23.09.2023 | 14+ Regie: Mareike Mikat

Company MYKA (DK / SE)

UNTZ BABY UNTZ

am 11. & 12.10.2023 | 0+ Gastspiel Kae Tempest

Wasted (Verschwendet) ab 19.10.2023 | 16+ Regie: Krzysztof Minkowski

Wir (H)alle

George Sand

ab 27.10.2023 | 12+ ab 27.10.2023 | 15+ ab 27.10.2023 | 18+ Regie: Alia Luque

Gabriel

Michael Ende

Antigone

Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch ab 24.11.2023 | 8+ Regie: Julia Brettschneider Nach Charles Dickens

ab 08.03.2024 | 16+ Regie: Alice Buddeberg Sophokles

ab 28.03.2024 | 15+ Regie: Julia Hölscher Nach Waldemar Bonsels mit Musik von Wencke Wollny Uraufführung

Eine Weihnachtsgeschichte

Biene Maja

Thalia-Fasching

Preis der Jungen Dramatik

ab 02.12.2023 | 12+ Regie: Mille Maria Dalsgaard

ab 19.04.2024 | 6+ Regie: Mareike Mikat

ab 11.01.2024 | 6+ Regie: Ralf Meyer

am 11. & 12.05.2024 Kooperation mit Staatstheater Braunschweig

Anna Carlier Deutschsprachige Erstaufführung

Martin Baltscheit

Krone

ab 25.01.2024 | 6+ Regie: Christoph Macha Line Knutzon Deutschsprachige Erstaufführung

Lebzeitgäste

ab 23.02.2024 | 14+ Regie: Mille Maria Dalsgaard

Nur ein Tag

ab 31.05.2024 | 4+ Regie: Katharina Brankatschk Nora Abdel-Maksoud

Jeeps

ab 14.06.2024 | 14+ Regie: Gordon Kämmerer

Immer auf dem neuesten Stand: www.buehnen-halle.de Bühnen Halle @buehnenhalle


PREMIEREN 2023/2024 SCHAUSPIELHAUS

DISKOTHEK

CABARET

Giorgio Ferretti Regie: Salome Schneebeli Premiere 30. 9. 23

R E SIDENZ

NIEDERWALD

GROUP50:50

Musical von Joe Masteroff, John Kander und Fred Ebb Musikalische Leitung: Stephan König Regie: Hubert Wild Premiere 29. 9. 23

DER AUFHALTSAME AUFSTIEG DES ARTURO UI Bertolt Brecht Regie: Nuran David Calis Premiere 13. 10. 23

DAS GESPENST VON CANTERVILLE nach der Märchenerzählung von Oscar Wilde Regie: Markus Bothe Premiere 26. 11. 23

JAHRESTAGE. ZWEITER TEIL

nach dem Roman von Uwe Johnson Ein Projekt von Anna-Sophie Mahler Regie: Anna-Sophie Mahler Premiere 2. 3. 24

WOYZECK Georg Büchner Regie: Enrico Lübbe Premiere 27. 4. 24

12. SÄCHSISCHES THEATERTREFFEN 22. – 26. 5. 24

AMERICA

Auftragswerk des Schauspiel Leipzig Wolfram Höll Regie: Elsa-Sophie Jach Premiere 15. 12. 23

GOLDIE

K A R T E N 0 3 41 12 6 8 16 8

ECOSYSTEMS

Premiere

7. 10. 23

SANTIAGO BLAUM SCHWEIGT STILL / SOBER UP!

Premiere

25. 11. 23

EIN DIGITALES REQUIEM

Auftragswerk des Schauspiel Leipzig Emre Akal Regie: Emre Akal Premiere 13. 1. 24

NULLERJAHRE JUGEND IN BLÜHENDEN LANDSCHAFTEN

Studioinszenierung Hendrik Bolz Regie: Marco Damghani Premiere 1. 3. 24

GEORGE BELE GÖTTINNEN ODER: DIE ARBEIT AM WETTER VON MORGEN

Arbeitstitel Premiere 16. 12. 23

GOB SQUAD HANDLE WITH CARE

Arbeitstitel Leipzig-Premiere

Januar 2024

DIE BRIDGETOWER- DIEDERIK PEETERS SONATE Premiere März 2024 KONFABULATIONEN — EIN (LIVE) PODCAST

Auftragswerk des Schauspiel Leipzig Amanda Wilkin Regie: Adewale Teodros Adebisi Premiere 6. 4. 24

STEFAN KAEGI / RIMINI PROTOKOLL SOCIÉTÉ ANONYME

April 2024 4+1 — EIN TREFFEN HERMANN HEISIG JUNGER AUTORINNEN 2024 Arbeitstitel Leipzig-Premiere

LATE NIGHT DADA — EIN LIEDERABEND

9. – 11. 5. 24

Premiere

Mai 2024

AUßER HAUS

FE STI VAL

PAY ATTENTION!

CLUBFUSION

EINE URBANE LANGZEITBESPIELUNG

OPEN-AIR-THEATER IM GRASSI-INNENHOF

Premiere

August 2024

Festival der Theaterspielclubs von Schauspiel Leipzig, TDJW und Junger Oper Leipzig 31. 5. — 9. 6. 24


MONTAG von Kate Tarker [DSE] Regie Lily Sykes 29.9.23 ROMEO UND JULIA von William Shakespeare Regie Anna Bergmann 30.9.23 SPRING AWAKENING Eine Überschreibung von Glossy Pain nach Frank Wedekinds Dramen Frühlings Erwachen, Lulu und Franziska [UA] Regie Katharina Stoll 3.10.23 UNSERE KLEINE FARM Ein tierisches Singspiel von Marthe Meinhold, Marius Schötz und Ensemble [UA] Regie Marthe Meinhold & Marius Schötz 1.12.23

DER IDEALE MANN von Oscar Wilde / Elfriede Jelinek Regie Heike M. Goetze 3.2.24 EIN SOLO (AT) mit Anne Müller Regie Jan Bosse 16.3.24

MISS GOLDEN DREAMS von Joyce Carol Oates Regie Anna Bergmann 2.12.23

EFFINGERS nach dem gleichnamigen Roman von Gabriele Tergit Regie Ronny Jakubaschk 28.3.24

DEM MARDER DIE TAUBE von Caren Jeß Regie Nele Lindemann 1.2.24

KEIN SPORTSTÜCK von Trio ACE [UA] Regie Alia Luque 6.6.24

Szenenfoto Anna Iwanowa (Sarah Sandeh), Copyright: Thorsten Wulff

@staatstheaterka WWW.STAATSTHEATER.KARLSRUHE.DE


»Alles Gescheite mag schon siebenmal gedacht worden sein. Aber wenn es wieder gedacht wurde, in anderer Zeit und Lage, war es nicht mehr dasselbe.« Ernst Bloch

WOYZECK | PRIMA FACIE | FUNNY MONEY | | HAIR | SINDBAD DER SEEFAHRER | AB IN DEN SCHRANK | GOTT WARTET AN DER HALTESTELLE | WIE WERDE ICH REICH UND GLÜCKLICH | DER KIRSCHGARTEN | NACH DEM ENDE | DER EINGEBILDETE KRANKE SECHS TANZSTUNDEN IN SECHS WOCHEN | ÜBER DEN DINGEN | DER PAVILLON | JUGENDLIEBE NACH VORN, NACH SÜDEN | ALEXANDER UND DIE AUFZIEHMAUS | UND ALLES | WOLKENROTZ


Schauspiel 2023/24 01.09.2023 Kleines Haus

AM ANFANG WAR DIE WAFFE

Deutsche Erstaufführung

Amir Gudarzi

08.09.2023

GIVE PEACE A CHANCE – WALLENSTEIN

Großes Haus

REGIE Ruth Mensah

REGIE Stefan Otteni

Friedrich Schiller u.a.

Studio

DER JUNGE MANN

Uraufführung

Annie Ernaux

10.11.2023 Kleines Haus

ZWEI SONNEN UND EIN UNTERGANG

Uraufführung

Kevin Rittberger

02.12.2023

DIE DREIGROSCHENOPER

05.10.2023

Großes Haus

Bertolt Brecht (Text) und Kurt Weill (Musik), Mitarbeit Elisabeth Hauptmann

18.01.2024 Studio

SPLIT

Uraufführung

Sokola//Spreter

26.01.2024 Kleines Haus

INTERNAT

Uraufführung

Serhij Zhadan

09.03.2024 Studio

REX GILDO – DAS MUSICAL

Uraufführung

Rosa von Praunheim

15.03.2024 Kleines Haus

KINDERHÄUSER

Uraufführung

Karen Breece

17.05.2024

RCE #REMOTECODEEXECUTION

Kleines Haus

REGIE Remsi Al Khalisi

REGIE Matthias Köhler

REGIE Sebastian Schug MUSIKALISCHE LEITUNG Bettina Ostermeier

REGIE Pablo Lawall

REGIE Moritz Sostmann

REGIE & MUSIK Heiner Bomhard

REGIE Karen Breece

REGIE Wilke Weermann

Sibylle Berg

01.06.2024 Großes Haus

LEONCE UND LENA UND LENZ

REGIE Elsa-Sophie Jach

Georg Büchner

THEATERKASSE Tickets & Vorbestellungen Mo–Fr 10–18 Uhr telefonisch 10–17 Uhr Sa 10–14 Uhr Tel (0251) 59 09-100 theaterkasse@stadt-muenster.de

theater-muenster.com


Fühlst du mein Herz schlagen? Garland

Svenja Viola Bungarten Regie: Markus Heinzelmann Premiere 15.09.23

Party in a Nutshell Das mangelnde Licht Nino Haratischwili Regie: Dagmar Schlingmann Premiere 23.09.23

Babettes Fest

Foto: Volker Conradus

Fynn Malte Schmidt Uraufführung 22.09.23

Karen Blixen Regie: Christoph Diem Premiere 18.11.23

Wir werden diese Nacht nicht sterben Guido Wertheimer Uraufführung 24.11.23

State of the Union Nick Hornby Regie: Matthias Rippert Premiere 20.01.24

Mädchenmörder :: Brunke VR-Inszenierung mit Thomas Brasch von RAUM+ZEIT Regie: Bernhard Mikeska Uraufführung 27.01.24

Staatstheater Braunschweig

Ana Yoffe, Ensemble Schauspiel



Magazin Bericht

Die Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund

Mönchszellen und Bühnenräume Die Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund eröffnet ihr neues Gebäude

Foto Jörn von Soldenhoff/ ARCHITEKTUR.DLX!

Von Stefan Keim

Theater der Zeit 9 / 2023

Der wuchtige Klinkerbau ist kein charmanter Ort, der Publikum anlocken könnte. Das soll er auch gar nicht. Die Akademie für Theater und Digitalität ist eine Werkstatt, ein Ort des Arbeitens und der Experimente, des Fokussierens und Konzentrierens. „Im Kern ist es ein introvertiertes Gebäude“, sagt Architekt Sebastian Franssen vom Büro dlx aus Dortmund. Die vor vier Jahren gegründete Akademie findet nach einigen räumlichen Zwischenlösungen ihre Heimat. Jeweils fünf Monate lang arbeiten hier internationale Stipendiat:innen an ihren Projekten, entwickeln neue Technologien, die auf der Bühne einsetzbar sind, probieren künstlerische Ausdrucksformen aus. Ohne Druck und Premierentermin, zu dem etwas fertig werden soll. Was hier gemacht wird, kann man sich in einer Videoserie auf nachtkritik.de anschauen. Da erzählen zum Beispiel zwei Mitglieder der belgischen Gruppe Venedig Meer, wie sie Schwerkraft sichtbar machen. Nämlich mit Licht, das durch Schwerkraft erzeugt wird. Oder eben nicht. „Das Unsichtbare ist nicht inexistent“ heißt die Performance. Was zunächst etwas abgedreht klingen mag, hat in der Praxis Erfolg. „Unsere Stipendiat:innen werden oft für Workshops und Beratungen angefragt“, erzählt Direktor Marcus Lobbes. Ein konkreter Arbeitsbereich ist die Entwicklung spezieller Audiodesigns für verschiedene Räume. Eigentlich dachte Lobbes vor vier Jahren, die Akademie müsse erst einmal Neugier erregen. Dann kam die Pandemie, die meisten Theaterschaffenden wollten über Streaming sichtbar bleiben, und die Akademie konnte sich vor Nachfragen kaum retten. „Das digitale Theater ist aber nicht nur Streaming, son-

dern Kunst“, sagt Lobbes. Und auch das hat sich mittlerweile herumgesprochen. Nach Pionierarbeiten wie der digitalen Sparte am Theater Augsburg sind inzwischen viele Bühnen und auch freie Kollektive in dieser Richtung unterwegs. Oft in engem Kontakt mit der Akademie, mit Nürnberg und Graz starten gerade Kooperationen. Wer den neuen Bau betreten will, findet keinen richtigen Haupteingang. Fünf große Portale führen hinein, jedes fünfeinhalb Meter hoch. Im Inneren ist alles einfach gehalten. „Es gibt nichts Digitales am Gebäude selbst“, sagt Sebastian Franssen, Fenster müssen zum Beispiel mit der Hand geöffnet werden. Zwei Farben gibt es. Neben anthrazitschwarz ist es telegrau 4, laut Dozent und Videokünstler Mario Simon die beste Farbe für Projektionen. Die Räume sind black boxes, die Stipendiat.innen können an den Wänden dübeln und schrauben, wie sie wollen. „Es gibt für so eine Akademie keinen Referenzbau“, erläutert Architekt Franssen. „Das Gebäude ist eine Wette auf das, was an Anforderungen kommt.“ Neben einigen kleinen Räumen, die an Mönchszellen erinnern, gibt es drei große, technisch perfekt ausgerüstete Säle mit Theaterböden für Präsentationen . Einen Ausgleich zum nüchternen Labor bietet der Dachgarten. Dreißig handverlesene Bäume aus einer Baumschule bilden einen kleinen Wald. Sie wachsen und könnten in einigen Jahren genauso hoch werden wie das Gebäude selbst. „Wie erdet sich der Mensch?“ war laut Sebastian Franssen eine der Grundfrage, die zur Kombination von Technik und Natur führte. Nun ist die Pandemie vorbei, viele Theater setzen wieder auf menschliche Begegnungen und Körperlichkeit. Direktor Marcus Lobbes glaubt allerdings nicht, dass die Digitalität wieder verschwinden wird: „Als 1607 die Oper entstand, war Europa nicht gleich einige Jahre später voller Opernhäuser. Dennoch hat sich die Oper durchgesetzt.“ Er sieht die Aufgaben der Akademie über die Stipendien, Workshops und Kongresse hinaus als Ort, um ein „Gefühl für die Notwendigkeit des Digitalen zu schaffen“. Alles ist als open source allgemein zugänglich, es gibt keine Rechte und Lizenzen. „Wir arbeiten prototypisch für die darstellende Kunst in den performing arts“, sagt Marcus Lobbes. Schon jetzt platzt die neue Akademie aus den Nähten, weitere Räume in der näheren Umgebung wurden angemietet. Dortmund präsentiert sich als Zentrum des digitalen Theaters. T

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Magazin Kritiken

Kampnagel Hamburg

Break the System „Fake Diamonds“ von René Reith – Künstlerische Leitung, Choreografie, Performance René Reith, Kostümund Bühnenbild Malaika FriedrichPatoine, Musikkomposition und Musikperformance Carlos Andrés Rico, Lichtdesign Dennis Dieter Kopp

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as machst du mit Bewegungen, die sich durch jahrelanges Training und tausendfache Wiederholungen fest in den Körper eingeschrieben haben, dich aber gleichzeitig an schmerzhafte Erlebnisse und ein Gefühl der Unzugehörigkeit erinnern? Wie gehst du mit Tänzen um, deren starre binäre Struktur und streng reglementierte Umgebung dich als Person systematisch ausgrenzen Auf diese Fragen findet René Reith, Choreograf:in und Performancekünstler:in, in ihrem autobiografischen Solo „Fake Diamonds“ sehr rührende, bisweilen humoristische, v.a. aber schlagkräftige Antworten. Dass es sich bei „Fake Diamonds“, der kritischen Auseinandersetzung mit Paartänzen, um ein Solo handelt, zeigt bereits im Vorfeld der Performance den ersten von vielen Brüchen mit den Regeln des LateinTurniertanzes auf. Weitere folgen schon während der Einlassphase, wenn Carlos Andrés Rico, Komponist und Live-Musiker der Produktion, Auszüge aus dem LateintanzRegelwerk verliest und René Reith augenblicklich gegenteilig dazu agiert. Die Tänze müssen von einem Mann und einer Frau getanzt werden, liest Carlos vor – René steht allein auf der Bühne und lässt sich in keine der beiden Rollen zwängen. Die Tänzer:innen dürfen nicht zu viel Haut zeigen – René

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„Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing bei den Salzburger Festspielen 2023, in der Regie von Ulrich Rasche: Nicola Mastroberardino (Sultan Saladin) und Valery Tscheplanowa (Nathan)

Salzburger Festspiele

Ein langer Marsch durch die Finsternis

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chwarze Leere, fahles Licht: Menschen im Halbdunkel. Sie schreiten in ruhigem Tempo gegen den Lauf der Drehbühne, treten somit auf der Stelle. Und sie deklamieren den Text im langsamen Geh-Rhythmus, mit regelmäßigen Pausen, oft chorisch. Die Sätze fließen nicht, sie kommen nur stockend voran, wie eben erst entwickelt. Es wird ein langer, fast vierstündiger Marsch durch die Finsternis. Ulrich Rasche, verantwortlich für Regie und Bühne, hat bei den Salzburger Festspielen Lessings „Nathan der Weise“ inszeniert – viele würden sagen: erwartbar. Eigentlich müsste der Titel des LessingKlassikers in Rasches Regie auf „Nathan die Weise“ nachjustiert werden. Denn kein alter weißer Mann, sondern eine Frau übernahm die Titelrolle: Valery Tscheplanowa agiert als Energiezentrum der Inszenierung. Rasches „Nathan“-Extrakt kondensiert Passagen, in denen Antisemitismus, Intoleranz und religiöser Hass im Vordergrund stehen. Lessing verortet das Stück im Mittelalter der Kreuzzüge. Rasche weitet den Blick, lässt die Dialektik der Aufklärung, Holocaust und Hetzparolen von heute als mitzudenkende Fortsetzungen, als unheilvolle Prophetien des „Nathan“-Stoffes, mitschwingen: unausgesprochen. Explizit jedoch spielt Rasche auf den von Hannah Arendt thematisierten Konnex zwischen Aufklärung und Antisemitismus an und fügt entsprechende Zitate von Johann Gottlieb Fichte, Kant und Voltaire ein. So wirkt dieser „Nathan“ denn auch wie ein Passionsweg, wie ein nicht enden wollender Gang durchs Dunkel der Inhumanität. Das Auf-der-Stelle-Treten spiegelt Geschichtsskepsis, es reflektiert das Keinbisschen-Weiterkommen der Menschheit in Sachen Intoleranz – ein sisyphusartiges Grundgefühl von Vergeblichkeit. Das Problem ist, dass der rhythmische Feierlichkeits-Tonfall in Permanenz hier alles einebnet. Ringparabel und Dialoge, innere Kämpfe und komplizierte Enthüllungen von Verwandtschaftsgraden – im Dauer-Pathos klingt das alles ähnlich. Selbst Beiläufiges kommt so seltsam aufgeblasen daher. // Otto Paul Burkhardt

„Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing – Regie und Bühne Ulrich Rasche, Komposition Nico van Wersch, Kostüme Sara Schwartz, Chorleitung Toni Jessen

Theater der Zeit 9 / 2023

Foto links oben Maik Gräf, unten SF/Monika Rittershaus, rechts obenMaurycy Stankiewicz, unten Joachim Dette

René Reith in einem intimen Solo-Paartanz: „Fake Diamonds“ auf Kampnagel Hamburg

steht zu Beginn nackt da. Tangas seien verboten – René zieht sich einen an. Strukturgebend für den etwa siebzigminütigen Abend sind die fünf Latein-Turniertänze. Bei aller Kritik bekommen sie auch einen Moment, um ihre Schönheit, Weichheit, Dynamik und Bewegungsvielfalt zu entfachen, und René die Gelegenheit, ihr technisches und ausdrucksstarke Können unter Beweis zu stellen. Auf sprachlicher Ebene webt René Reith Skizzierungen von drei prägenden Tanzerlebnissen aus der Kindheit mit in die Performance ein. Das auf vier Podesten rings um die Bühne verteilte Publikum nutzt René bei ihren sehr eindrücklichen Erzählungen als Projektionsfläche, als Mittel der Imagination der Orte und Szenen, über die sie gerade spricht. Besonders rührend das Ende: René bittet darum, dass jemand aus dem Publikum auf die Bühne kommt und sie noch einmal dort an der Schulter anfasst, wo das früher die Tanzpartnerin getan hat. Gleich drei Zuschauerinnen stehen an diesem Premierenabend bereitwillig auf, eine wird nach vorne gebeten und in einem höchstintimen Moment, in dem sich allein das Zusehen schon nach Eindringen anfühlt, tanzen René und die Zuschauerin ein paar Schritte. // Peter Sampel


Magazin Kritiken

Die Aneignung dreier hegemonialer Figuren als queere Utopie: „Babylon“ von Jäckie Rydz am Studio Naxos in Frankfurt

studioNAXOS Frankfurt:

Queerness zwischen Wider­ stand und Utopie „Babylon“ von Jäckie Rydz – Konzept, Text, Bühnenbild Jäckie Rydz, Musik Martix Navrot, Kostüm ­Nikolas Stäudte

fordernd dämonisch das Dreigespann der Performer:innen gegenüber, faucht und streckt ihre Zungen heraus, abwechselnd sprechend: „Es ist das Rätsel der Sphinx: „Who is tender and gentle? Who can be loving and tough? […] Who would you kill for? Who would you die for? Your mother, your whore or your bride?” Die die drei hegemonialen Figuren geben dem Abend seine Struktur. Das christliche Ideal der Mutterschaft ist die jungfräuliche Maria – Reproduktion ohne Sex –, die Figur der „Hure“ bildet die Kontrastfolie – Sex ohne Reproduktion – und die Braut die institutionelle Verschränkung und Festsetzung von Partner:innenschaft, Sexualität, Besitz und Familie. Die spielerische Erprobung und Aneignung der drei Figuren durch die queeren Körper stellen ihre materiellen und symbolischen Realitäten zur Disposition. Mal ironisch, mal spielerisch, mal poetisch nehmen die Performer:innen Haltung zu den Rollen ein und entwerfen subversive Gegenbilder, die die Perversion und Dämonisierung zurückfordern, die queeren Menschen zugeschrieben wird. // Leonard Kaiser

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as wäre, wenn nur noch queere Menschen die Welt bevölkern? Ein Ende der Reproduktion? „Babylon“ ist eine neue Welt, die queere Identitäten – Liebe, Lust und Familie – neu entwirft und lebt. Sie entsteht im Widerstand gegen die alte Welt kapitalistischer Reproduktionslogiken und religiöser Ideale von Sexualität und Partner:innenschaft. In „Babylon“ erforschen die drei TransPerformer:innen, Jäckie Rydz, Martix Navrot und Nikolas Stäudte Möglichkeiten queerer Reproduktion entgegen den einverleibten Narrativen von Kapitalismus, Religion und Kultur. Die Arbeit entstand im kollektiven Prozess mit deutschen, polnischen und englischen Textelementen und wurde erstmals im April 2023 am Nowy Teatr in Warschau gezeigt, jetzt als Teil der Academy Week des Internationalen Theaterinstituts im Rahmenprogramm von Theater der Welt 2023 in Frankfurt. Die fiktive Messe „Babylon“ findet im immersiven, diesigen Kirchentheaterraum statt, auf dessen kargen Bänken wir Platz nehmen. Doch statt einem Altar ist diese Kirche mit Schaukel und Wippe ausgestattet, statt eines Pfarrers sitzt uns heraus-

Theater der Zeit 9 / 2023

Sommertheater auf dem Theatervorplatz Jena: „Vom Dorf“ nach Recherchen von Alina Spieler, Jakob Roth und Lizzy Timmers schwebt zwischen Landliebe und Landernüchterung

Theaterhaus Jena:

Landlust und Landfrust „Vom Dorf“, Stückentwicklung des Ensembles nach Recherchen von Alina Spieler, Jakob Roth und Lizzy Timmers – Regie Lizzy Timmers, Bühne Maarten van Otterdijk, Kostüme Carolin Pflüger und Lara Scheuermann

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rgendwas stinkt hier. Dann fällt es Marie ein: „Du riechst nach Scheiße!“, ruft sie Thomas zu. Aber sie lacht doch sehr dabei. Und Thomas lacht auch. Eine kleine Neckerei wird daraus, zwischen zweien, die sich seit Kindertagen vertraut sind und deren Wege sich gerade trennen. Beim Abschied von Jena ließ das Kollkektiv Wunderbaum das Prinzip der Stückentwicklung auch unter freiem Himmel zurück, mit vorangestellten Recherchen. Und so begab sich das Ensemble um Regisseurin Lizzy Timmers jüngst in ein Dorf der „thüringischen Peripherie“, um Geschichten zu sammeln und Stimmungen einzufangen. Daraus haben sie eine Art fiktionalisiertes Dokumentarstück mit verfremdeten und weitergesponnenen Texten aus ihren Interviews gezimmert, in welchem sie ganz nebenbei und nicht zum ersten Mal spielerisch gleichsam Begriffe von Authentizität und Naturalismus durch die Luft wirbelten. Die Fassade des Theaterhauses, das ja nur noch ein Bühnenhaus ist, haben sie mit Fachwerkmalerei verhüllt, davor breiten sich Insignien eines Bauernhofes als Dorfplatz aus: ballenweise Stroh, auf, vor und neben Europaletten als Bühne und Anger, worauf bald ein Maibaum Platz findet. Eine Fichte, keine Birke. Links ein Hangar für den Trecker, rechts ein rostiger Hänger, auf dem vier versierte Musiker als Dorfcombo sich viel Mühe geben, genauso zu klingen. Mit verschiedenem Personal bevölkern sie ihr Dorf, in dem die Schule oder der ­Laden längst dicht sind und nicht mal mehr jemand von der Lokalzeitung vorbeikommt. So bringen sie ihre Geschichten in eine Form, die sie zum Glück nicht glätten, die auf der anderen Seite dann aber doch einiger­maßen ausfranst. Szenen in fließenden Übergängen, Figuren im ständigen Auftritt und Abgang begriffen. In der Summe eine fragile Dorfgemeinschaft, im Einzelnen nur skizzierte Beziehungen untereinander. // Michael Helbing

Die Langfassungen und weitere Theaterkritiken finden Sie unter tdz.de

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Den Kopf abgeben Von Jenny Erpenbeck

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ie schön ist die Prinzessin Salome! Da sitzen sie, zwei junge Studentinnen der Theaterwissenschaft, anno 1988, und tippen wilde Variationen auf Oscar Wildes „Salome“ in ihre Schreibmaschinen. Variationen nicht auf das Theaterstück, sondern auf die kongeniale Oper, die Richard Strauß auf Grundlage des Theaterstücks 1905 komponiert hat. In jugendlichem Leichtsinn machen die beiden den Rausch der blutrünstigen Prinzessin zu ihrem eigenen. Jedenfalls auf dem Papier. Macht gewinnen über das, was man liebt. Und wenn es um den Preis ist, dass man das Spielzeug durch die Inbesitznahme zerstört. Privileg der Jugend, sich dem Rausch bedenkenlos hinzugeben. Und danach die Texte vergleichen. Welche kommt dem unerreichbaren Propheten näher? Ich will den Kopf des Jocha-a-naan! Geht es um Salomes Selbstermächtigung? Oder ist sie doch nur das Werkzeug ihrer Mutter? In einer Silberschüssel! Ein paar Jahre später sah ich „Salome“ in der unheimlichen, unheimlich bestürzenden Inszenierung von Martin Kušej an der Grazer Oper. Zu den flirrenden, chromatisch absteigenden Sequenzen legte Sylvie Valayre da keine sieben Schleier ab, sondern zerpflückte eine Babypuppe. Den Missbrauch, den ihr Stiefvater an ihr begehen will, wiederholt sie, als der Preis für ihren Tanz fällig wird, ihrerseits an Jochanaan. An dem Propheten, dessen Sendungsbewusstsein sie reizt, ohne dass sie sich für seine Botschaft interessiert. Nur seiner Stimme verfällt sie. Seinem Ton. Noch einmal dreißig Jahre später sitze ich in der Berliner Staatsoper und sehe die „Salome“-Inszenierung von Hans Neuenfels – die vorerst letzte Aufführung in der Originalbesetzung, also mit dem Ensemble, mit dem er noch selbst gearbeitet hat. Im Zentrum des Bühnenraums hängt, leider unübersehbar, eine silbern angestrichene, phallusförmige Rakete als Behausung des Propheten, alles andere als eine subtile Anspielung. Mir fällt die „Silberschüssel“ ein, auf der einst im Kleist-Theater Frankfurt/Oder die präparierte Attrappe des Propheten­hauptes serviert wurde. Im Requisitenregal meiner Erinnerung liegt da ein billiger, gleichfalls mit Silberfarbe angestrichener, verstaubter Plasteteller im Salome-Fach. Lang ist es her, dass ich Requisiteurin war. Lang ist es her, dass es das Kleist-Theater gab. Der Pappmachee-Phallus in der Staatsoper Berlin ist trotz seiner Größe weit da-

von entfernt, die Dimensionen, in denen sich Musik und Text bewegen, zu erreichen. Gottseidank gibt es Musik und Text. Und gottseidank gibt es das Sängerensemble. Sobald Salome (Jennifer Holloway) und Jochanaan (Thomas J. Mayer) die Bühne für sich haben, wird alles andere unwichtig. Dann ist auf einmal auch die Personenführung gut und genau. Unglaublich zu sehen und zu hören, was die beiden da zusammentreibt und voneinander abstößt. Ebenbürtig sind sie sich, die Salome kein Kind, und er kein Asket. Das Verstehen geht bei einer Oper anders als nur über den Text. Lässt sich letztendlich nicht in Worte fassen. Und vielleicht liegt es daran, dass eine ganze Generation, die an Brechts Verdikt, im Theater nur ja nicht den Kopf an der Garderobe abzugeben, geschult ist, mit einer gewissen Geringschätzung auf das Genre Oper blickt. Dabei gibt man, Rausch hin oder her, auch in der Oper den Kopf durchaus nicht ab, sondern gewinnt mit der Musik im Gegenteil noch etwas hinzu, nicht allein die Auslegung eines guten Textes durch einen guten Komponisten, sondern auch eine ganz andere Art der Wahrnehmung. Ganz zu schweigen vom Wunder des Operngesangs, der, wenn er gelingt, in seiner Kraft, in seiner Zartheit, in seiner höchsten Präzision bei gleichzeitiger Entgrenzung zu den erstaunlichsten Dingen gehört, die die Menschheit hervorgebracht hat. Desto überraschender war es für mich, von Studierenden des Studiengangs „Szenisches Schreiben“ an der UdK in einem Seminar zu erfahren, dass sie noch nie in der Oper gewesen waren, geschweige denn, dass sie auf die Idee gekommen wären, einmal ein Libretto zu schreiben. Als seien Oper und Theater zwei ganz verschiedene Dinge. Sind sie denn gar nicht mehr jung? T

Hier schreiben unsere Kolumnist:innen, die Schriftstellerinnen Jenny Erpenbeck und Kathrin Röggla und der Schauspieler Burghart Klaußner, monatlich im Wechsel.

Theater der Zeit 9 / 2023

Foto links Laurent Denimal, Fotos rechts Kaserne Basel: Nelly Rodriguez, Theater Casion Zug: Christoph Krey, English Theatre Berlin: Stefania Migliorati, Theater Konstanz: Ilja Mess, Deutsche Oper Berlin: Maciej Sledziecki, Akademie der Künste: Nina von Mechow, Pina Bausch Zentrum Wuppertal: Mathias Hannes

Magazin Kolumne


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präsentiert Theater Konstanz Hausregisseurin Franziska Autzen ­inszeniert Robert Ickes Moralthriller „Die Ärztin“. Ein medialer Shitstorm überrollt Ärztin Dr. Ruth Wolff. Ein Stück „wie eine Operation am offenen Herzen unserer Gegenwart“ (The Times). Termine und Tickets unter theaterkonstanz.de

23.9. (Premiere)

FRAGILE@Pina Bausch Zentrum Wuppertal Die Bühne als Experimentierfeld zur Nachhaltigkeit. Welche Kraft haben Formate von Tanz bis Performance, Workshop bis Debatte, Upcyceln bis Umdenken? Für junge Menschen und ein generationsübergreifendes Publikum. under-construction-wuppertal.de 20.9. – 1.10.

Jeffrey Mittleman, Maureen Gleason, Angharad Matthews, Olivia Dean, Ben Maddox

PL3MONS bei FRAGILE – Festival for young changemakers (First Edition)

English Theatre Berlin | International Performing Arts Center Was faszinierte David Bowie an Berlin? Mit einer performativen Mischung aus Musik, Tanz und Text spürt „Bowie in Berlin“ einer Antwort nach und tastet den Bereich ab, wo Pop unser Leben berührt. 27.–30.9. (Uraufführung) sowie 11.–14.10.2023

Deutsche Oper Berlin (Tischlerei) Die hybride Klanglandschaft des retro-futuristischen Ensembles gamut inc mit dem RIAS Kammerchor und dem Roboterorchester Logos Foundation verhandelt Fragen des Zusammenlebens von Mensch und Maschine. ZEROTH LAW 27. bis 29.9.

Jeremy Nedd

Kaserne Basel Saison-Eröffnung am 14. September mit der Premiere von Jeremy Nedd «from rock to rock aka how magnolia», weiteres Highlight: «Antigone im Amazonas» von Milo Rau Rau / NT Gent & MST am 22. und 23. September 2023. Das ganze Programm und alle Termine: kaserne-basel.ch 14.9. (Premiere)

Theater der Zeit 9/ 2023

Theater Casino Zug In der spartenübergreifenden ShakespeareRevue zur Saisoneröffnung „Sommernachtstraum! mit Menschen, Puppen und der l autten compagney“ treffen Puck und Titania auf seltsame Geister der Zeitgeschichte: Auch Sigmund Freud und Michael Jackson schauen vorbei. Es verschmelzen Sommernachts-Traum und Realität zu einem Fest der Sinne. theatercasino.ch 9.9. (Premiere)

Hybridformat im Bühnenbild von Nina von Mechow

Marion Wörle steuert das Roboterorchester

Akademie der Künste am Pariser Platz, Berlin Die Harmonielehre #2 OpernCall: Digital-analoge Operninstallation von NOVOFLOT für die Glasfassade der Akademie der Künste. 12 Uraufführungen von 12 Komponist*innen, die den 3., unvollendeten Akt der Oper Moses und Aaron von Schönberg weiterdenken. Frei begehbar. 28.9. bis 1.10.

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Theater der Zeit

Thema Queeres Theater

Foto Sandra Then

Queeres Theater – das ist ein gerade viel diskutiertes Phänomen, das mit genderpolitischen Fragen verbunden ist, mit Aspekten der Teilhabe und Sichtbarkeit, mit den Bemühungen um eine diskriminierungsfreie Kultur. Es geht dabei um Spielpläne und Diskursräume, Besetzungsfragen und die Ausrichtung, wie Theater ihr Publikum ansprechen, welches Publikum sie erreichen ­wollen. Letztlich um die Frage, wie divers ­Theater heute sein soll. Jenny Schrödl, Juniorprofessorin für Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin, liefert einen Überblick, wo und wie queeres Theater in der deutschsprachigen Theaterlandschaft angekommen ist. Lina Wölfel, bei TdZ mitverantwortlich für die Onlineredaktion, und Cecilia Hussinger, Mitglied des Aktivist:innen-Kollektivs Staub zu Glitzer, gehen in ihrem Beitrag der publikums­soziologischen Frage nach, ob Theater in ver­schiedenen Städten „zu woke“ sein könnte. Und TdZ-Thüringen-Redakteur Michael Helbing ­untersucht die Erstaufführung von „Bromance“ des niederländischen Autors Joachim Robbrecht am Landestheater Eisenach. „Das Vermächtnis (The Inheritance)“ von Matthew Lopez frei nach dem Roman „Howards End“ von E.M. Forster in der Regie von Philipp Stölzl am Münchner Residenztheater, eingeladen zum Berliner Theatertreffen 2023

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Theater der Zeit 9 / 2023


Theater der Zeit 9/ 9 /2023

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Thema Queeres Theater

Oben „Dyke Dogs Salon: Eine queer-lesbische Kulturpartie von Lynn Takeo Musiol, Eva Tepest und Gäst_innen“ an der Schaubühne, mitte und unten „You don’t own me, ein chickistischer Tanztee“ des freien Performancekollektivs CHICKS* am Theater an der Parkaue

Vielleicht ein Aufbruch Queeres Theater erlangt eine immer größere Vielfalt: ein Überblick Von Jenny Schrödl

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Foto oben Livia Kapler, mitte und unten Jana Mila Lippitz

Thema Queeres Theater

Theater der Zeit 9 / 2023

Bis vor nicht allzu langer Zeit hatten Stadt- und Staatstheater im deutschsprachigen Raum nur wenig mit Queerness zu tun; bis auf wenige Ausnahmen (René Pollesch, Falk Richter, Maxim Gorki Theater Berlin „Queer Week“) und einige subversive Cross-Dressing-Performances (gern und besonders in Shakespeare-Inszenierungen) wurden kaum nicht-konforme Sexualitäten, Begehrensformen und/oder Geschlechter dargestellt. Queerness war, wenn überhaupt, in der Rezeption und im Blick der Zuschauenden angesiedelt. Dies stand stark im Gegensatz zur freien Szene, die sich im letzten Jahrzehnt immer stärker auf Queerness und Normativitätskritik fokussierte. Das Stadttheater hingegen verkörperte weiterhin die hegemoniale Norm von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit auf der Bühne, eine Affirmation traditioneller bürgerlicher Kultur, die Abweichung davon war zumeist nur zur Bestätigung eben dieser Normen gedacht und wurde nicht selbst ausgestaltet, geschweige denn wertgeschätzt. Dieser Befund bestätigt sich durch das am 5. Februar 2021 im Magazin der Süddeutschen Zeitung erschienene Manifest „#ActOut“, das von 185 lesbischen, schwulen, bisexuellen, queeren, nicht-binären und trans* Schauspielenden unterzeichnet wurde, die die schlechten Verhältnisse innerhalb der Theater-, Film- und Medienbranche ansprachen und in Bezug auf Sexismus, Homo- und Transphobie, Diskriminierung und Ausgrenzung anklagten. Viele der Unterzeichner:innen sprachen zum ersten Mal öffentlich über ihre Sexualität bzw. Geschlechtsidentität, die sie sonst in der Branche geheim halten mussten, weil Sanktionen und Karriereeinbrüche zu befürchten waren. Kaum zu glauben, im Jahr 2021! So trat das Manifest lautstark ein für mehr Diversität und Anerkennung queerer Menschen auf und hinter der Bühne, forderte die Loslösung von stereotypisierten und negativ konnotierten Darstellungen und plädierte für die Gestaltung komplexerer Charaktere und Geschichten von (und für) queeren Menschen. Schaut man nun heute in die Spielpläne und -zeiten, so ist in den letzten zwei bis drei Jahren eine erstaunlich schnelle

Schaut man nun heute in die Spielpläne und -zeiten, so ist in den letzten zwei bis drei Jahren eine erstaunlich schnelle und deutliche Ver­schiebung hin zur (veränderten) Darstellung und Inszenierung von Queerness zu bemerken.

und deutliche Verschiebung (vielleicht ein Aufbruch?) hin zur (veränderten) Darstellung und Inszenierung von Queerness zu bemerken. In diesem Sinne kann von einem „queeren Theater“ in Bezug auf die Stadttheaterlandschaft – und nicht nur in Bezug auf die freie Szene – gesprochen werden. Einige Beobachtungen zu diesem neuen queeren Theater im deutschsprachigen Raum seien im Folgenden ausgeführt.

Schwule Geschichten auf großen Bühnen Besondere Aufmerksamkeit und Präsenz auf Stadttheaterbühnen erhalten derzeit schwule Charaktere und Geschichten. Erst in diesem Jahr eröffnete beispielsweise das Theatertreffen mit dem amerikanischen Drama „Das Vermächtnis“ von Matthew Lopez (Regie Philipp Stölzl, Residenztheater München 2022). In sieben Stunden wird ein Gesellschafts- und Beziehungspanorama der New Yorker Gay Community gezeichnet, das differenzierte schwule und queere Charaktere aufwartet. Zwei Jahre zuvor war die Inszenierung von Christopher Rüping „Einfach das Ende der Welt“ (Schauspielhaus Zürich 2021) ebenfalls zum Berliner Theatertreffen eingeladen worden; das Stück erzählt von einem schwulen Mann, der, an einer Erkrankung leidend (im Original-Drama von 1990 an HIV), zu seiner Familie zurückkehrt und verschiedene Konflikte durchläuft. Der Inszenierung gelingt es, über die stereotypisierten Darstellung und affirmative Bestätigung bestimmter Männlichkeitsbilder hinaus eine kritische Befragung von Männlichkeits- und Geschlechternormen zu entfalten.

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Thema Queeres Theater

Lesbisch, FLINTA, un/sichtbar? Während schwule Geschichten inzwischen selbstverständlicher auf Hauptbühnen erzählt und sie Teil renommierter Festivals werden, so ist die lesbische und/oder queere Frau nach wie vor eine Ausnahmeerscheinung, zumindest was Hauptrollen und primäre Narrative anbelangt. Eine aktuelle Ausnahme bildet die am Staatstheater Kassel erarbeite Fassung des Romans „Ministerium der Träume“ von Hengameh Yaghoobifarah, in der die Lesbe Nas(rin) im Mittelpunkt steht (Regie Laura N. Junghanns, (s. „Migrantische Selbstbehauptung“ unter tdz.de). In jüngster Zeit gibt es vor allem Gesprächsformate von und über Lesben und/oder FLINTA, wobei das Thema der „Un/Sichtbarkeit“ von Lesben zentral ist, wie etwa bei der Veranstaltung „(Un-)Sichtbarkeit hat Geschichte: Lesben in der DDR“ an den Münchner Kammerspielen (April 2023). Der Topos der Un/

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House of Living Colors ist ein offenes Drag- und Performance-Kollektiv für queere und trans People of Color (QTBIPoC), dessen Performance „Endangered Species“ zuletzt bei den Tanztagen Berlin 2023 in den Sophiensaelen zu sehen war

Sichtbarkeit spielt in der queeren und lesbischen Subkultur des letzten Jahrzehnts eine wesentliche Rolle, u.a. verhandelt in dem von Stephanie Kuhnen herausgegebenen Sammelband „Lesben raus! Für mehr lesbische Sichtbarkeit“ (Berlin: Querverlag 2017). Lesbische Un/Sichtbarkeit umfasst unterschiedliche Aspekte, einer davon ist die Auflösung, ja das Verschwinden „traditioneller“ lesbischer Identitäten und Räume, ein anderer Aspekt ist die Kritik am rigorosen Ausschluss lesbischer Lebensweisen in hegemonialen (Theater-) Geschichtsschreibungen. Die Schaubühne am Lehniner Platz etablierte in der letzten Spielzeit 2022/23 eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel „Dyke Dogs Salon: Eine queer-lesbische Kulturpartie von Lynn Takeo Musiol, Eva Tepest und Gäst_innen“, die unterschiedliche Themen um/mit Lesben (wie „new lesbian drama“, „die aktuelle Lesbe“ unteranderem) verhandelte. Deutlich wird bei den Veranstaltungen, wie heterogen das Thema Lesbe und lesbisch-queere Identität im Kunst- und Kulturbereich ist, gleichzeitig wird danach

gefragt, wo das reiche lesbische kulturelle Leben (Lesbentheater, lesbische Literatur, Buchläden, Clubs/Bars, Partys etc.), das sich in den 1970er/-80er Jahren in der BRD etablierte, heute hin ist. Mit ihrem Salon zielen die beiden Kuratorinnen und Gäst:innen darauf, lesbischem Leben und queer-feministischer Kultur wieder mehr Sichtbarkeit und Gewicht zu verleihen.

Queer als Spektrum Bekanntlich umfasst der Terminus „queer“ nicht nur schwul-lesbische Begehrensformen, sondern alle möglichen sexuellen und/oder geschlechtlichen Positionen und Formen, die von Heteronormativität und/ oder Zweigeschlechtlichkeit abweichen und die oft unter dem Umbrella-Term LGBTQIA+ zusammengeführt werden, auch wenn queer nicht vollständig darin aufgeht (mal abgesehen davon, dass sich nicht alle LGBT-Personen als queer identifizieren). Ein Funken Negativität und Entzug von Intelligibilität, Diskursivierung und Darstellbarkeit gehört immer auch

Theater der Zeit 9 / 2023

Foto links Gerhard Ludwig, rechts Yoshiko Kusano

Des Weiteren tauchen schwule Männer und Paare vermehrt in Nebengeschichten auf, etwa in Lola Arias‘ „Mother Tongue“ (Maxim Gorki Theater Berlin 2022), in der unter anderem ein schwules Paar das Familienmodell des Co-Parenting vorführt. Was hier erkennbar wird, ist eine komplexere, betont affirmative und selbstverständlichere Darstellung schwuler Charaktere und Lebensformen auf den großen Bühnen im deutschsprachigen Raum; gleichzeitig erhält die privilegierteste Gruppe des LGBTQIA+Spektrums, nämlich schwule, oftmals weiße, gebildete cis-Männer die meiste Aufmerksamkeit und Anerkennung. Auffällig ist, dass bis heute deutlich an eine Tradition der US-amerikanischen und britischen wellmade-Dramatik und entsprechender Produktionen angeknüpft wird, ebenso wie an die Gay Community der USA, ein Bezug zur deutsch-deutschen bzw. europäischen Schwulenbewegung und -geschichte kommt weitaus weniger vor. Insbesondere Tony Kushners Stück „Engel in Amerika“ (DEA 1993/95), das bis heute inszeniert wird (zum Beispiel Theater Innsbruck 2022, Regie Felix Hafner), spielt nach wie vor eine wichtige Rolle.


Thema Queeres Theater

„Hänsel & Greta & The Big Bad Witch“ von Kim de l’Horizon in der Regie von Ruth Mensah an den Bühnen Bern, eingeladen zu den Autor:innen Theatertagen am Deutschen Theater Berlin 2023

zu Queerness dazu. Und queer ist als ein kritisches, ja widerspenstiges Konzept zu verstehen, das zur Irritation und Infragestellung von starren Identitätskategorien, Körper- und Sexualitätsnormen, Essentialismen, Ungleichheiten, Machtverhältnissen (unter anderem) führen kann, die historischen und kulturellen Wandel unterliegen. Punktuell wird sich im Stadttheater mit unterschiedlichen marginalisierten Geschlechtern sowie mit uneindeutigen, offenen oder fluiden geschlechtlich-sexuellen Positionen auseinandergesetzt. So versteht das diesjährige Queer-Festival im Theater Dortmund „Un/Synchron“ (2023) Sexualitäten, Begehren und Geschlechtlichkeiten offensiv als Spektrum jenseits binärer Festschreibungen und bezieht bewusst auch neurodiverse Lebensentwürfe und Biografien mit ein. Einige Inszenierungen – wie Ruth Mensahs „Hänsel & Greta & The Big Bad Witch“ (Bühnen Bern 2022), Bastian Krafts „As you fucking like it“ (Deutsches Theater Berlin 2022), Pınar Karabuluts „Die Hand ist ein einsamer Jäger“ (Volksbühne Berlin 2019) oder

„Like Lovers Do (Memoirs of Medusa)“ (Münchner Kammerspiele 2022) – verwirren ganz bewusst stabile Identitäten und Zuschreibungen, vor allem unter dem Einsatz opulenter Ästhetiken des Camp und Drag, des Ironischen, der Parodie und Groteske, des Bunten, Schrägen und Nicht-Zusammenzugehören-Scheinenden in Stil, Kostümierung, Körperlichkeit. Besonders – und besonders queer – an diesen Geschlechterinszenierungen ist, dass sie eben keine finale Auflösung einer „echten“ Identität aufzeigen oder darstellen, sondern Identität selbst in der Schwebe halten.

Queere Besetzungspolitiken Jakob Weiss inszeniert am Badischen Staatstheater Karlsruhe das Stück „Hir (Xier)“ (2023) (siehe „Coming-out zwischen Müllbergen“ unter tdz.de) der amerikanischen queeren Drag-Ikone Taylor Mac und besetzt die Trans-Figur Max – wie in der Stückfassung von Mac vorgesehen – mit einem transmännlichen Schauspieler.

Dabei geht es nicht darum zu behaupten, dass Trans* oder andere marginalisierte Geschlechter nicht auch von Cis-Personen verkörpert werden könnten (wäre dem so, dann wäre wohl Schauspielerei überflüssig), sondern es geht vielmehr um eine kritische Auseinandersetzung mit der Besetzungspolitik, den Ensemblezusammensetzungen und Produktionsprozessen von Stadt- und Staatstheatern, die TransSchauspielende – ebenso wie Frauen, Schwarze, Persons of Color, Menschen mit

Queer ist als ein kritisches, ja widerspenstiges Konzept zu verstehen, das zur Irritation und Infragestellung von starren Identitätskategorien, Körperund Sexualitäts­normen, Essen­ tialismen, Ungleichheiten, Macht­verhältnissen führen kann.

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Behinderung etc. – strukturell benachteiligen und ausschließen, weil sie nicht der standardisierten Norm (weiß, männlich, hetero, abled, körperlich fit etc.) entsprechen. In den letzten Jahren haben zahlreiche soziale Bewegungen, Netzwerke und Kampagnen wie #ActOut, Bühnenwatch, ensemble netzwerk, #metoo oder Pro Quote Bühne auf strukturelle Ungleichheiten, Diskriminierungen und Ausschlüsse aufmerksam gemacht sowie die stark hierarchische, oftmals autoritäre und patriarchale Führungskultur und Machtdynamik in Stadt- und Staatstheatern angegriffen, was nun verstärkt zur kritischen Reflexion und Veränderung der Institution beiträgt.

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Während auf manch großer Bühne Queerness gerade anzukommen scheint, ist im Jugendtheater schon seit einiger Zeit eine verstärkte Auseinandersetzung mit queeren Thematiken, Motiven und Fragen zu beobachten. Dies mag mit dem Faktum zusammenhängen, dass die Jugend einer der zentralen Zeiträume darstellt, in denen Selbstwerdung und Identitätsfindungsprozesse besonders wichtig sind. Das Spektrum der theatralen Auseinandersetzung reicht von Roman- und Filmadaptionen wie „Die Mitte der Welt“, „Tschick“, „Fucking Åmål“ oder „Boys don‘t cry“ über die Inszenierung zeitgenössischer szenischer Texte wie „Bromance“ des niederländischen Autors Joachim Robbrecht (Regie Klaus Köhler, Landestheater Eisenach 2023, s. S.34) bis hin zu selbstentwickelten Stücken wie „Space Queers. Ein SciFiAbenteuer von Paul Spittler und dem Jungen DT“ (Deutsches Theater Berlin 2023). Fragen der erotischen Anziehungskraft, queeren Intimität, Sexualität und Affektivität sowie Prozesse der Normalisierung, aber auch der Diskriminierung sowie Gewalt werden dabei ebenso verhandelt wie die Konstruktion von Geschlecht, Begehren und Identität innerhalb einer kulturell vorherrschenden Matrix. Dabei ist besonders bemerkenswert, dass Identitätssuchprozesse, die von der Norm abweichen, nicht mehr ausschließlich im Schema „Suchphase, Desorientierung, finale Fin-

dung“ erzählt werden. Im Gegenteil, sexuelle, geschlechtliche u.a. Identitäten werden als weitaus instabiler, brüchiger und teilweise fluider gezeigt. Zudem geht es in vielen der Inszenierungen nicht allein um queere, sexuelle und/oder geschlechtliche Identität, sondern diese Themen und Fragestellungen werden eingebettet in komplexere Erzählungen zu Themen der Migration, Ökologie/Klimaschutz, Aktivismus, Stadt/Land und vieles mehr.

Rainbow Explosion: Queerness in der freien Szene Eine wahre Explosion queerer Thematiken, Personen und Ästhetiken gibt es wiederum in Produktionen der freien Szene und zwar nicht erst in jüngster Zeit, sondern schon seit mehr als einem Jahrzehnt. Die freie Theaterszene ist von ihren Anfängen her in den 1970er und -80er Jahren eng mit schwulen und lesbischen (Laien-) Theatern sowie homosexuellen und feministischen Bewegungen verknüpft. Im postdramatischen Theater der 1990er und 2000er Jahre traten identitätspolitische und queere Thematiken hingegen in den Hintergrund. Zu der Zeit spielte sich queeres Theater in der Subkultur (Drag King Szene, Wigstöckel-Festival etc.) und Kleinkunst ab (Bar jeder Vernunft, Georgette Dee, Sigrid Grajek, Bridge Markland ). Seit den 2010er Jahren ist eine neue Generation an freien Künstler*innen und Kollektiven da – beispielsweise Antonia Baehr, Olympia Bukkakis, CHICKS*, Queerdos, Vincent Riebeck, Liz Rosenfeld, Teresa Vittucci (und viele andere.) –, die sich explizit und unverblümt als queer bzw. queerfeministisch, dyke, gay, trans* etc. bezeichnen. Queerness wird hier stark affirmiert, zelebriert und auf verschiedene Facetten und Thematiken hin beleuchtet. Die künstlerischen Arbeiten umfassen ein großes Spektrum an Sexualitäts- und Geschlechterthemen, an ästhetischen Inszenierungsstrategien, an Formen der Kritik, der Intervention und des Empowerments. Diverse freie Spielstätten und Häuser wie die Sophiensäle, HAU, Kampnagel, Mousonturm, Schwankhalle (unter anderem) haben in den letzten Jahren eigene queere Festivals entwickelt. Das Feld und die Pro-

THEATER–ROXY.CH Theater der Zeit 9 / 2023


Thema Queeres Theater duktionen sind so umfangreich wie vielfältig geworden, dass sie nicht mehr einzeln aufzulisten sind. Verschiedene Aspekte sind dabei zentral: Queerness ist hier schon lange nicht mehr auf Homosexualität und LGBTQIA+ beschränkt, sondern umfasst eine größere Vielfalt sexuell-geschlechtlicher Existenzen, auch solche, die sich einer exakten Benennung entziehen und/oder die veränderlich, fluide und offen sind. Auch in ästhetischer Hinsicht ist Queerness diverser verfasst und nicht mehr rein binär (männlich/weiblich, hetero/homo, schwul/lesbisch etc.) strukturiert. Exemplarisch dafür steht das Go Drag! Festival in Berlin im Oktober 2022 (kuratiert von Olive Baldwin, Bridge Markland, Nancy Lund), bei dem neben klassischen Drag Kings und Drag Queens eben Drags in allen möglichen Kombinationen auftreten (geschlechtlich gemischt, mit nicht-humanen Attributen, als Cyborg, Puppe oder ähnliches). Dabei liegt die Betonung auf

der Vielfalt und dem Nebeneinander sexuell-geschlechtlicher Existenzformen und Ästhetiken. Auseinandersetzungen mit Trans*, Inter* und/oder nicht-binären Identitäten spielen in Produktionen der jüngsten Zeit eine besonders große Rolle, etwa „The Making of Pinocchio“ (2023) von Cade/MacAskill oder „Seek Bromance“ (2022) von Samira Elagoz. Ein besondere Schwerpunktsetzung der freien Szene liegt im intersektionalen Zugang, wobei Kritik an Sexismus, Homo-, Transphobie mit Kritik an Rassismus, Klassismus, Ableismus (unter anderem) intrinsisch verbunden wird. Auf der Bühne werden oftmals Lebensläufe und Personen gezeigt und dargestellt, die intersektional verfasst sind, bei denen sich Themen der minoritären Geschlechtlichkeit und/oder Sexualität immer schon mit Themen der Migration, Hautfarbe, Befähigung, Klasse (o.a.) überlagern, etwa in „Endangered Species“ (2020) von House of Living Colours oder „Gritty Glamour.

Eine queere Intervention“ (2015) von Simon(e) Jaikiriuma Paetau. Eine wichtige Rolle in queeren Produktionen nimmt die Auseinandersetzung mit Sexualität und Erotik ein, so suchen beispielsweise Simone Aughterlony, Hahn Rowe und Jen Rosenblit in „Biofiction“ (2016) nach einer Narration von Sexualität, die es noch nicht gibt oder erkundet das Kollektiv CHICKS* in mehreren Produktionen verschiedene Facetten queerer Körper, Anziehungskraft und Sexualitäten, die von schwul-männlicher Passivität und Fürsorge bis hin zu lesbisch-queeren Vampirfantasien reichen. Vom Stadttheater bis zur freien Szene – das Feld des queeren Theaters ist inzwischen groß, bunt, vielfältig und in produktiver Weise unübersichtlich geworden. Vormalige Grenzen zwischen Stadttheater und freier Szene werden brüchiger. Die Stadttheater haben queere Thematiken (auf und hinter der Bühne) stärker auf der Agenda als noch vor wenigen Jahren; hoffen wir, dass dies so bleibt! T

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Bild: Mladen Stilinović: Pjevaj! (Sing!), 1980. By courtesy of Branka Stipančić


Thema Queeres Theater

Teilnehmer:innen des dritten Christopher Street Days in Tübingen mit Beteiligung des Zimmertheater Tübingen

Zu woke für das Publikum? Foto Peer Mía Ripberger

Versuch einer Publikumssoziologie queerer Theater-Ästhetiken zwischen Berliner Großstadt-Blase, niedersächsischem Mittelstadt-Publikum und Tübinger Aktivismus Von Cecilia Hussinger und Lina Wölfel

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Thema Queeres Theater

Während sich dieser Schwerpunkt mit queeren Ästhetiken und Themen an Theatern auseinandersetzt, soll dieser Text vor allem auf das Publikum fokussieren. Wir stellen uns die Fragen: Wer ist das Publikum von queeren Stücken? Welche Städte haben queere Stücke im Programm? Und kommen diese Stücke beim Publikum an? Cecilia Hussinger über ihre Theatersozialisation in der Großstadt Laut Relevanzmonitor Kultur von der Bertelsmann Stiftung geben 91 Prozent der Menschen in Deutschland an, dass es für

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sie von großer Relevanz sei, Kultur in Thea­ terhäusern für kommende Generationen zu erhalten. Vier von zehn jungen Erwachsenen drücken jedoch aus, dass sie nicht das Gefühl haben, dass sich die kulturellen Angebote an sie richten würden. Ich ge­höre auch dazu. Ich bin in einem ostberliner Randbezirk aufgewachsen und Theater war immer Teil meines Coming of Age, ich bin praktisch mit Theater sozialisiert – sei es auf der Bühne im Jugendclub oder als Teil des Publikums. Auch ich stimme zu: Für einen erheblichen Eintrittspreis drei Stunden lang auf einem roten Samtsitz zu sitzen und sich schwerverständliche, glatte Stoffe anzuschauen, ist für mich und andere junge Menschen einfach nicht attraktiv genug. Warum dann nicht queere Themen auf Bühnen bringen? Queerness ist so sichtbar wie noch nie, und gerade die Generation Z ist so queer wie noch keine andere Generation davor. Daraus lässt sich aber nicht schlussfolgern, dass Queerness ein Trend ist. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass queere Menschen und Lebensweisen schon immer da waren. Die Gesellschaft war schon immer vielfältiger, als sie aus der heteronormativen Perspektive erscheint. Dass Queerness jetzt auch in der Dominanzgesellschaft angekommen ist, war und ist ein langer und harter Weg. Das zeigt sich in der Großstadt: In Berlin kommen immer mehr queere Themen in die Theaterprogramme. Oftmals sind die Stoffe dann nicht mehr abendfüllend, sondern werden zum selbstverständlichen Teil von Erzählungen. Zum Beispiel bei „1000 Serpentinen Angst“ am Maxim Gorki Theater, bei der die Protagonistin eine Freundin hat, ohne dass dies zum Thema der Inszenierung gemacht wird. An der Berliner Schaubühne wurde mit „Dyke Dogs Salon“ ein queerer Gesprächssalon eröffnet. Das Publikum ist jung, meistens akademisch und selbst queer. Es wirkt, als hätten viele Besucher:innen Berührungspunkte zu Kultur oder Theater – die wenigstens stolpern einfach so in diese Abendveranstaltungen hinein. Auch das Jugendtheater beschäftigt sich mit Queerness. Zum Beispiel mit „Beautiful Thing“ im Theater an der Parkaue und „Space Queers“ – ein Stück von und mit Jugendlichen – am Jungen DT am

Deutschen Theater. Glitzer, bunte Farben, Jugendsprache, Popkulturreferenzen und Coming of Age ist dann oftmals die Ästhetik. Es geht hier nicht nur um ein Ausbrechen aus normativer Sexualität, sondern auch um Körper, Gender und Identität. Vorreiter bei queeren Themen ist aber definitiv die Freie Szene, die sich schon viel länger mit queeren Ästhetiken und Identitäten beschäftigt. Auch hier ist mein Gefühl, dass das Publikum eher aus einer „Bubble“ kommt – also auch überwiegend queer ist, und dass teilweise die Kenntnis von Codes erforderlich ist, um Diskurse, Referenzen oder Ästhetiken zu verstehen. Oftmals wird behauptet, dass diese woken Themen nur in den hippen Großstadt-Bubbles Anklang finden. Wir haben uns deshalb gefragt: Ist das Publikum auch über die Großstädte hinaus an queeren Themen und Ästhetiken interessiert? Lina Wölfel über ihre Theatersozialisation in Mittelstädten Meine Theatersozialisation hat im W ­ eimar der 2010er Jahre begonnen. Das Thema Queerness ist, sowohl in der Seh- als auch Spielerfahrung, für mich damals eher subtil mitgeschwungen. Nicht als Begriff „Queerness“ mit all seinen historischen, politischen und soziologischen Dimensionen. Vielmehr Geschichten, die ich heute rückwirkend als queer lesen würde: vertauschte Rollen- und damit auch Beziehungsmuster in einer Jugendclub-Produktion von Schnitzlers „Reigen!“. Oder eine freundschaftliche Codierung von Liebe in einer Schultheaterproduktion. Wenn ich an die Inszenierungen im Großen Haus des Nationaltheaters zurückdenke, erinnere ich mich gar nicht mehr daran, inwiefern das Thema relevant war. Es wird bestimmt stereotype Darstellungen von schwulen Männern oder lesbischen Frauen gegeben haben, androgyne Rollentypen oder Coming-of-age/Coming-out-Narrative. Das Publi­kum war auch, mit einigen Ausnahmen, immer das gleiche: Jugendclubspieler:innen, Kunst- und Kulturstudierende, Bildungsbürger:innen aller Altersklassen samt Familienanhängseln, Schulklassen. Dann bin ich zum Studium nach Hildesheim gezogen. Hier war Queerness auf einmal überall. In Seminaren, Artist-Talks

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Thema Queeres Theater Die Theater fahren also eine Doppelmoral: Auf der Bühne wird Queerness bearbeitet und hinter dem roten Vorhang findet Machtmissbrauch statt.

und auf den Bühnen. Von Hannover und Braunschweig ganz zu schweigen. Aus einem (durchaus inzwischen kämpferischen) Bewusstsein von „Love is Love“ ist Wissen über die historische Konstitution des Begriffs „Queerness“ geworden. In Hildesheim gibt es, bezogen auf Aufführungen der Darstellenden Künste, zwei Blasen: die studentische und die bürgerliche. Beide Blasen überschneiden sich nur relativ selten. Und beide Blasen haben ihre Institutionen. Ins Stadttheater gehen vor allem die Hildesheimer Bürger:innen und Schulklassen. Dafür, dass der kulturwissenschaftliche Fachbereich der Universität ein Aushängeschild des Studienstandortes ist, sieht man von den Studierenden erstaunlich wenige im Stadttheater. Diese fahren dann eher an die größeren Theater nach Hannover oder Braunschweig oder gehen ins Theaterhaus Hildesheim, wo die Freie Szene und Studierende selbst produzieren. Meiner Beobachtung nach hat das wenig damit zu tun, ob an den jeweiligen Häusern explizit queere Themen verhandelt werden. Die Zusammenhänge sind komplexer; von einem Kanon von Stücken, der präsentiert und nicht hinterfragt wird, über Diskurse, die aufgemacht oder ausgeblendet werden und institutionelle Hemmschwellen, die existieren oder abgebaut werden, hin zu persönlichen Beziehungen. Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit, die nicht auf Queerness reduziert werden kann, sondern die intersektionale Verknüpfung von Narrativen betrifft. Hier kann die Überschreibung gängiger Normvorstellungen als Kontaktpunkt zwischen den Blasen fungieren: Zum Beispiel bei der Produktion „Unsere anarchistischen Herzen“ am Theater für Niedersachsen in Hildesheim 2023 (siehe Stückabdruck TdZ 5/23). Das Publikum war deutlich jünger, studentischer und diverser als bei anderen

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Produktionen. Abo-Publikum, Familien und Schüler:innen waren trotzdem da. „Unsere anarchistischen Herzen“ ist kein Stück, das explizit „Queerness“ als Kernthema hat. Die Beziehung zwischen Charles und Gwen ist die Norm. Ihre Gefühle füreinander müssen nicht im Rahmen eines Queer-awakenings erst als solche entdeckt und dann validiert werden. Insofern kann die Gleichung nicht sein, dass queere Themen aus reinem Selbstzweck ein jüngeres und diverses Publikum anziehen. Vielmehr ist es der Verzicht auf die cis-konservativheterosexuelle Norm, der Identifikationspunkte anbietet, und so auch die Publikumsstrukturen zu verändern vermag. Cecilia Hussinger über Pinkwashing und Aneignung queerer Ästhetiken als Marketinginstrument Was ich in letzter Zeit beobachte, ist, dass sich Theater mit vermeintlich queeren Veranstaltungen schmücken, die dem Publikum eine Progressivität vorgaukeln. Was aber eigentlich passiert, ist sogenanntes Pinkwashing. Gemeint sind Diversitätsstrategien, bei denen Theater versuchen, sich durch die Betonung ihrer Unterstützung der LGBTQIA+ Bewegung als progressiv und tolerant darzustellen. Das zeigt sich zum Beispiel in diversen queeren Veranstaltungen im Pride Month, oder Regenbogenflaggen, die aufund dann wieder abgehangen werden. Wenn sich also Theaterbetriebe mit queeren Stoffen als diskriminierungskritisch schmücken, wirken sie queerfreundlich und progressiv auf das Publikum. In der Realität sind ihre Strukturen jedoch heterosexistisch. Queere Veranstaltungen werden auf die kleinen Bühnen verbannt. Es offenbaren sich zahlreiche Machtmissbrauchsskandale und queerfeindliche Gewalt gegen Ensemble, Mitarbeitende und Publikum. Die Theater fahren also eine Doppelmoral: Auf der Bühne wird Queerness bearbeitet und hinter dem roten Vorhang findet Machtmissbrauch statt. Hand aufs Herz: Queere Kultur wird nie Teil der hegemonialen Gesellschaft werden. Das Bewusstsein über Pinkwashing soll hier aber darauf zeigen, dass der Kampf um Sichtbarkeit, Akzeptanz und Befreiung nicht beendet ist und dass wir

definitiv noch nicht von einem queeren Theater sprechen können. Schaut man sich die Top 10 der Werkstatistik vom Deutschen Bühnenverein an, ist klar, welcher Kanon im Schauspiel bedient wird. Unter den meistgespielten Autor:innen: keine queere Person. Es lässt sich feststellen: queere Autor:innen und Stücke, die sich mit queeren Lebensrealitäten auseinandersetzen, sind im Erwachsenentheater noch nicht kanonisiert. Aber sind diese Themen wirklich zu woke? Wie sehen die Besucher:innenzahlen und die Eigenwahrnehmung der Häuser in Bezug auf Stücke mit queeren Themen aus? Lina Wölfel über die Eigenwahrnehmung und Besucher:innenstatistik der Theater Ich habe zwanzig Stadt- und Staatstheater in Deutschland angeschrieben und gefragt, welche Stücke in der letzten Spielzeit sich mit dem Thema „Queerness“ bzw. „Geschlechtsidentität und Sexualität“ auseinandergesetzt haben. Darüber hinaus wollte ich wissen, inwiefern sich das Publikum in diesen Stücken anders zusammensetzt als in den Klassikern. So berichtet Leyla Ercan, Diversitätsagent:in am Schauspiel Hannover, dass die Produktion „En(coun) ter“ mehrheitlich von jungen Menschen, vor allem Kunst- und Kulturschaffenden oder -studierenden, und einigen älteren Menschen aus dem hannoverschen Kulturbereich besucht wurde. „Es gab überdurchschnittlich viele Interessierte von außerhalb, insbesondere queere Menschen und BiPoC und sich asiatisch positionierende Künstler:innen und Kunstinteressierte. Insgesamt wenig ‚Laienbesucher:innen‘, das heißt Menschen, die kein eigenes berufliches Interesse an der Inszenierung haben“, schreibt Ercan. „En(coun)ter“ funktionierte als Klangraum der Begegnungen und Mittel, um sich die Spielstätte Ballhof als ehemaliger geheimer Treffpunkt der queeren Community zurückzuerobern. Auch in Eisenach konnte anhand der Inszenierung „Bromance“ beobachtet werden, dass sich vor allem ein junges Publikum von der Thematik angesprochen fühlte: „Es ist zu sehen, dass bei ‚Bromance‘ viele Menschen mit dem Jugend-Abo in den Vorstellungen waren“, schreibt Judith Sünderhauf, Referentin für Pressearbeit und Dramatur-

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­direkt eine kritische Nachfrage: „Was soll das denn überhaupt sein, eine queere Ästhetik? Natürlich gibt es die Ästhetik von ‚mehr Glitzer‘, und wenn ich unsere Inszenierungen anschaue, dann ist das vielleicht auch so. [...] Aber macht es das Stück, das Haus, die Strukturen, die Ästhetik dann automatisch queer?“ Es geht bei queerer Ästhetik also um viel mehr als Glitzer. Sie hat das Potenzial, die Kultur der heterosexuellen Zweigeschlechtlichkeit aufzubrechen, Wahrnehmungsmuster von Gender und Sexualität subversiv zu unterwandern und somit eine neue Norm zu etablieren. Rahmenveranstaltungen wie Partys, Panels oder Workshops dienen als Räume des Zusammenkommens. Dass diese ankommen, zeigen nicht nur die E-Mails der Theater, sondern auch die Fortsetzung und Etablierung solcher Formate an Häusern und Festivals bundesweit. Vor allem das junge Publikum – egal, ob in Klein-, Mittel- oder Großstädten – wird angesprochen. Vielleicht können genau diese Interventionen in den patriarchalen Kanon ein erster Schritt sein, um die neuen Generationen abzuholen. Theater könnten aber noch mehr sein als Schauplatz queerer Stoffe: zum Beispiel Schutzräume, in denen (queere) Repräsentation nicht nur auf der Bühne selbstverständlich stattfindet, sondern auch dahinter. Solange die Häuser aber die heteropatriarchalen, queerfeindlichen Strukturen der restlichen Gesellschaft reproduzieren, müssen wir uns nicht fragen, ob die Theater zu woke für ihr Publikum sind. Sich gegen Heteronormativität zu wehren, ist jeden Tag ein Kraftakt, gerade in einem politischen Klima, in dem Gewalt gegen queere Menschen zunimmt, und Rechte von queeren Menschen von einer Dominanzgesellschaft getragen werden, die sich jederzeit dafür entscheiden kann, diese wieder zu entziehen. Genau das Gleiche gilt für Theater: Sie können jederzeit eine andere Agenda fahren, queere Stücke aus dem Programm nehmen und Regenbogenflaggen abhängen. Das ist der entscheidende Unterschied: Queere Personen können nicht einfach entscheiden, ihre Identität abzulegen. Die Antwort auf die Frage, ob die Theater zu woke sind, lautet also: Nein, aber sie sollten es sein! T

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gin am Landestheater Eisenach. Das Stück von Joachim Robbrecht erzählt von queerer Sexualität in einer „Provinzscheißgegend“ (siehe nachfolgenden Beitrag). Ganz anders nähert sich „Last Park Standing“ am Theater Erlangen der Thematik: Umut aus Istanbul und Janina aus Berlin verlieben sich. Janina will, dass Umut wegen des Drucks in der Türkei zu ihr zieht, die müsste jedoch seinen homosexuellen Freund Ahmet zurücklassen. Doreen Schreiber aus der Presseabteilung des Theaters berichtet, dass „das Publikum im Theater in der Garage tendenziell etwas jünger ist als das Abo-Publikum im Markgrafentheater“. Die Auslastung ist in etwa dieselbe wie bei Erwachsenenvorstellungen im Abendspielplan des Spielorts Garage, und sogar höher als im größeren Marktgrafentheater. Ich telefoniere mit Peer Mia Ripberger, seit der Spielzeit 2018/19 Geschäftsführende:r Intendant:in am Institut für theatrale Zukunftsforschung im Tübinger Zimmertheater. Peer und Peers Mann Dieter Ripberger leiten das ITZ als dezidierte „queere Doppelspitze“. Von der ersten Spielzeit an setzen sich die Inszenierungen explizit oder implizit mit dem Thema Queerness, queere Sexualität, queeres Arbeiten und queere Identität auseinander. Darüber hinaus definieren dient das ITZ in Tübingen als Anlaufstelle der Community – so haben die Ripbergers beispielsweise mit anderen Initiativen den CSD Tübingen gegründet. Als ich Peer nach der Publikumszusammensetzung frage, sagt Peer: „Na ja, es gibt Leute, die haben den Ort wegen unseres thematischen Schwerpunkts für sich entdeckt, und andere kommen zu den Stücken, wie sie zu anderen auch kommen würden, weil sie einfach gern ins Theater gehen.“ Ob das Stück gut läuft oder nicht, hinge Peers Meinung nach von anderen Dingen ab. Vor allem auch, weil Queerness am ITZ nicht in jedem Stück das Kernthema darstellt: „Da gibt es ganz andere Schwerpunkte, wie zum Beispiel Arbeitskampf oder Klimawandel, wo das Thema dann zum Beispiel in Form der Protagonist:innen mitläuft, weil die eben ein schwules Paar sind oder eine nicht-monogame Beziehung führen.“ Ich frage Peer, ob das Peers Definition einer queeren Ästhetik sei, und kassiere ich

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Thema Queeres Theater

Lisa Störr und Linda Gandhour in „Bromance“ von Joachim Robbrecht in der Regie von Klaus Köhler am Theater Rudolstadt

Nicht gerade die bunteste Stadt Am Landestheater Eisenach setzt das Junge Schauspiel auf Diversität und Queerness Von Michael Helbing

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Wir befinden uns „in’ nem Scheißkaff in’ ner Scheißgegend.“ So empfindet es Jonas jedenfalls, den sein Vater soeben aus Hamburg hierher verpflanzte, wo sie das Lied vom Tod spielen und Tumbleweed durch die Gegend rollt, in einer Videosequenz. Der Niederländer Joachim Robbrecht hatte „Bromance“, sein Drei-Personen-Jugendstück, „irgendwo in der Provinz“ verortet: 16 lose verbundene Szenen über drei vielleicht Sechzehnjährige, 2016 in Enschede und Arnheim uraufgeführt. Die Deutschsprachige Erstaufführung assoziiert halbwegs kenntlich die Peripherie ihres Ortes damit: irgendwo in der geschichtsträchtigen Stadt Eisenach, die über eine starke Kulturtradition verfügt, aber nur sehr bedingt über pulsierendes Leben; in der seit elf Jahren eine linke Oberbürgermeisterin regiert, flankiert von der größten Fraktion, die ihre Partei im Stadtrat stellt, wo aber zugleich jeweils vier Abgeordnete der AfD und der „Heimat“, ehemals NPD, sitzen. Die sehr frische und unterhaltsame Inszenierung von Klaus Köhler (Staatstheater Mainz) könnte aber genauso gut in Rudolstadt oder Meiningen siedeln, wo das kleine Landestheater mit „Bromance“ bei seinen Partnerbühnen gastiert. In jedem Fall fällt sie hier weitaus stärker auf als in einer Großstadt. Gewinnt sie doch diesem Stück, das seine mit Jugendsprache und Kraftausdrücken durchsetzte Grundkonstellation heteronormativer Klischees heftig ins Wanken bringt, indem es seinen Figuren eine homoerotische Erfahrung beschert, durch ihre Besetzung zusätzlich eine queere Erzählung ab. Anders als im Theater Schloss Maßbach, wo „Bromance“ im April nur einen Abend nach Eisenach ebenfalls zur Premiere gelangte, spielen hier nicht Männer jene drei Jungs, sondern Friederike Fink und Lisa Störr sowie Lenn Ghandour: bis zu dieser Abschiedsarbeit nach zwei Jahren im Ensemble als Linda Ghandour bekannt geworden (unter anderem mit Sally Bowles in „Cabaret“). Ursprünglich nur mit wenigen Terminen angesetzt, jetzt aber doch einstweilen ins Repertoire übernommen, markiert „Bromance“ einen Meilenstein im Profil des Jungen Schauspiels mit seinen bislang gerade mal sechs Darstellern (es sollen absehbar zwei mehr werden). „Wir beschäf-

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Thema Queeres Theater „Ich hatte das Gefühl, dass ich hier die einzige Person bin, die anders ist,“ sagt Marguerite Windblut. André Kaczmarczyk Schaus­pieler und Regisseur in Düssel­dorf, über seine Eise­ nacher Jugend: „Ich dachte, ich bin falsch.“

Fotos Christina Iberl

tigen uns mit Diversität und Queerness“, postuliert Esther Jurkiewicz und verteidigt mit Vehemenz „einen Spielplan, der unterschiedliche Perspektiven zulässt, ohne umherzulaufen und die Leute zu belehren.“ Die Regisseurin hat sich einerseits „total dem Kinder- und Jugendtheater verschrieben, weil es von vornherein offener ist“, weisen, womit sie dessen Formen, Spiel­ Besetzungen ebenso meint wie dessen ­Publikum. Andererseits müsse man gerade in Eisenach damit umgehen, dass einige Leute eben doch noch nicht so weit sind, auch im Haus selbst. „Diese Stadt ist ja nicht gerade der bunteste Ort, an dem ich jemals war.“

Über dergleichen diskutierte man demnach auch in den „Bromance“-Proben häufiger. In jenen Tagen hatte Jurkiewicz die Spartenleitung eben erst kurzfristig übernommen, nachdem sich Jule Kracht nach eineinhalb Spielzeiten einigermaßen überraschend zurückgezogen hatte. Zum Sommer verließ nun zudem Chefdramaturg Christoph Macha das Haus, um in gleicher Funktion ans neue theater/Thalia Theater in Halle/Saale zu wechseln, wo Mille Maria Dalsgaard und Mareike Mikat den Neustart leiten (TdZ 11/2022). Zuvor holte Macha noch den Fachtag „Gender on stage“ für Theaterschaffende und Lehrer:innen nach Eisenach, gefördert vom deutschen Ableger der ASSISTEJ, der Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche. „Liebe Theater, spielt andere Geschichten!“, rief dort Marguerite Windblut, solche, „an die ich anknüpfen kann.“ Als Theaterpädagog:in queerfeministisch sowie inzwischen freiberuflich aktiv, kehrte Windblut für diesen Tag mit Bart und Kleidchen, Nagellack und Nasenring in jene Stadt zurück, wo das einst undenkbar schien. Mit 14 und als Junge wahrgenommen, kam sich Windblut hier sehr „lost“ vor. „Ich hatte das Gefühl, dass ich hier

die einzige Person bin, die anders‘ ist.“ Ähnlich äußert sich oft Windbluts Altersgenosse André Kaczmarczyk, Schauspieler und Regisseur in Düsseldorf, über seine Eisenacher Jugend: „Ich dachte, ich bin falsch.“ Dieser Fachtag hat Esther Jurkiewicz „richtig aufgeladen.“ Zumindest konzeptionell ist das Feld auch sonst vorbereitet, das sie beackern will: „tendenziell weg von der eindeutigen Lesbarkeit“ des Geschlechtes einer Figur. Es auf der Bühne einer thüringischen Mittelstadt in der Schwebe und also uneindeutig zu halten, hatte zuletzt zur Profilierung des Jungen Schauspiels beigetragen, mit einiger Konsequenz, aber auch durchwachsenen ­Resultaten. Die beiden Hauptrollen in Theodor Storms „Der Schimmelreiter“ besetzte Regisseur Jos van Kan 2022 dreifach: Zwei Männer und eine Frau wechselten sich beim jungen Deichgrafen Hauke Haien ab, zwei Frauen und ein Mann bei Elke Volkerts, der Tochter des alten Deichgrafen. Der permanente Rollentausch führte zu sehr verschiedenen Paarungen, inklusive einer rein männlichen und rein weiblichen, allerdings auch zum mal mehr, mal

„Bromance“ von Joachim Robbrecht in der Regie von Klaus Köhler, von links nach rechts Linda Gandhour, Lisa Störr, Friederike Fink

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Thema Queeres Theater weniger stark ausgeprägten Identitäts­ problemen auf der Bühne. Dass so verschiedene Facetten eines Charakters sichtbar würden, ließ sich nicht sagen. Zumindest formal viel besser funktionierte ein Jahr später ein vergleichbares Prinzip, als Juliane Kann Ulrich Plenzdorfs Goethe-Überschreibung „Die neuen Leiden des jungen W.“ inszenierte. Die posthume Erzählung aus einer Werther-­ Parallelwelt in der DDR übertrug sie einem geschlechtslosen Quartett: Zwei Frauen und zwei Männer spielten Edgar Wibeau, der wiederum gleichsam sich selbst alle anderen Figuren vorspielte. Die komödiantische bis clowneske Spielweise transportierte durchaus die Geschichte, aber kein Lebensgefühl. Derzeit bereitet sich Esther Jurkiewicz, neben vielem anderen, gedanklich auf ihre für Anfang 2024 anstehende Shakespare-Inszenierung „Macbeth“ vor, ­ was nicht ihre Idee gewesen ist. Der Spiel-

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plan für 2023/24 stand im Wesentlichen, als sie kam. Einen Moment lang war sie versucht gewesen, den Abend „Lady Macbeth“ zu nennen. Das allerdings, so ihre enttäusche Einsicht beim Lesen, gibt der Text kaum her, aus dem die den mörderischen Titelhelden treibende Gattin allzu schnell in die schuldbeladene Schlafwandelei verschwindet; das Stück schickt die Frau buchstäblich ins Bett. Ein Drama auch über Geschlechterrollen soll „Macbeth“ gleichwohl werden: rein weiblich besetzt, mit vier, bestenfalls fünf Schauspielerinnen, die die Hexen zu „Schicksalsschwestern“ aufrüsten und umdeuten. Gleichsam als ein Körper, so die Idee, tauchen sie in die Geschichte ein, entwickeln sie die Handlung und deren Figuren. Immer mit dem Text, nicht gegen ihn. Shakespeare selbst stellte darin schließlich Konzepte von Männlichund Weiblichkeit infrage, mitunter sogar auf den Kopf.

Bislang blieben solche Konzepte des Jungen Schauspiels politisch einiger­maßen unbehelligt. Vorwürfe von ganz weit rechts, hier würden Minderjährige indok­ triniert: Fehlanzeige. Möglicherweise weist das aber auch darauf hin, dass die Sparte öffentlich noch zu unsichtbar ist. Ein Transparent für ein weltoffenes Eisenach, wie es das Landestheater anlassbezogen an der Fassade aufzieht, müsste immer dort hängen, findet Jurkiewicz: „Das sind wir, dafür stehen wir!“ T

Weitere Texte zum Thema finden Sie im Dossier Queeres Theater unter tdz.de


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R Sabaschus, B + K Lang, ML Mittl, Ch Meystre, D Oetting

ENDSTATION SEHNSUCHT von Tennessee Williams Ab 16. September 2023 R Mehler, B + V Balkhausen, K Hörr, M Rimsky-Korsakow, D Busch

DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY URAUFFÜHRUNG von Alexander Nerlich nach Oscar Wilde Ab 17. November 2023 R Nerlich, B Hoffmann-Axthelm, K Bosnjak, M Preuss, Ch Englund-Braun, D Kranz

DRAUSSEN VOR DER TÜR von Wolfgang Borchert Ab 13. Januar 2024

R Preuss, B Aubrecht, K Karobath, V Keller, M Heidebrecht, D Kranz

DIE LIEBEN ELTERN CHERS PARENTS

R Grosch & Ulrich, B + K Wilk, Sohlbach, D Kranz

DIE GLÜCKLICHEN UND DIE TRAURIGEN URAUFFÜHRUNG von Jakob Nolte Ab 10. November 2023 R Köhler, V Shklyar, B + K Saretz, D Oetting

FREIHEIT СВОБОДА URAUFFÜHRUNG Ein dokumentarischer Theaterabend von jungen Menschen übers Freisein | 19. Januar 2024 R May, Janssen

WERKRAUM JUNGE REGIE I In Kooperation mit der HfMDK Frankfurt Ab 28. März 2024 R Studierende der HfMDK Frankfurt, D Busch

DEUTSCHSPRACHIGE ERSTAUFFÜHRUNG

von Armelle und Emmanuel Patron Ab 20. Januar 2024

DER REICHSKANZLER VON ATLANTIS von Björn SC Deigner Ab 1. Juni 2024

R Knorr, B + K Karatolou, M Drücker, D Oetting

THE END, MY FRIEND URAUFFÜHRUNG von Rebekka David & Ensemble Ab 22. März 2024

R + B Köhler, K Greve, V Koch, D Busch

JUNGES STAATSTHEATER

R David, B Brandstätter, K Kiehl, M Jammal, D Oetting

DER LEBKUCHENMANN 6+ von David Wood Ab 12. November 2023

ARSEN UND SPITZENHÄUBCHEN von Joseph Otto Kesselring Ab 23. März 2024

R Benecke, B + K Vogetseder, ML Slater, D Busch

R Mehler, B Balkhausen, K Hörr, M Rimsky-Korsakow, D Kranz

FIRNIS URAUFFÜHRUNG Ein Aufftragswerk von Philipp Löhle Ab 7. Juni 2024 R Mehler, B + V di Buduo, K Hörr, D Oetting

DER LANGE WEG ZUM WISSEN URAUFFÜHRUNG von ULRICHSundGROSCHEN Ab 17. September 2023

ZITRONENBLÜHN 14+ URAUFFÜHRUNG vom Jungen Ensemble Ab 6. April 2024 R Pauer, B + K Tauer

SAARLÄNDISCHES STAATSTHEATER GMBH | Schillerplatz 1, 66111 Saarbrücken Generalintendant Bodo Busse | Schauspieldirektor Christoph Mehler | Chefdramaturg und Künstlerischer Leiter Schauspiel Horst Busch Künstlerische Leitung sparte4 Luca Pauer, Thorsten Köhler | Leitung Junges Staatstheater Luca Pauer

www.staatstheater.saarland


SPIELZEIT 2023 / 2024 PREMIEREN EIN SPORTSTÜCK Elfriede Jelinek / Regie: Carola Unser-Leichtweiß / WENN WOLKEN WACHSEN Emel Aydoğdu / Regie: Milan Gather / EUROMÜLL / UA Ivana Sokola / Regie: Lea Marlen Balzer / MOVE IT / UA Sophia Guttenhöfer / DIE BREMER STADTMUSIKANT*INNEN Brüder Grimm / Regie: Eva Lange / DIE PRÄSIDENTINNEN Werner Schwab / Regie: Maxime Mourot / DIE GUTEN Rebekka Kricheldorf / Regie: Angelika Zacek / WOYZECK Georg Büchner / Regie: Eva Lange / ILNUR ALBATROS (EIN NATURSCHAUSPIEL) / UA Katharina Cromme / Regie: Thessa Wähmann / DIE WELT IM RÜCKEN Thomas Melle / Regie: Eva Lange / DIE STUDIOINSZENIERUNG DER HFMDK 2024 Regie: Schirin Khodadadian / DAS STÜCK ZUR ZEIT – IN BEWEGUNG Regie: Antigone Akgün / STOLZ UND VORURTEIL* (*ODER SO) Isobel McArthur / Jane Austen / Regie: Romy Lehmann

WWW.HLTM.DE


PREMIEREN 23/24 SCHAUSPIEL

MUSIKTHEATER

MUSIKTHEATER

Emilia_Galotti Gotthold Ephraim Lessing // Rahel Hofbauer 14. September 2023, Kleines Haus

Macbeth Giuseppe Verdi // Stefan Klingele / Elisabeth Stöppler 10. Dezember 2023, Theater am Goetheplatz

Noperas! – Freedom Collective Emmerig / Horwitz / Hut Kono / Petrović / Vincze 27. März 2024, Kleines Haus

Doctor Atomic John Adams // Stefan Klingele / Frank Hilbrich 16. September 2023, Theater am Goetheplatz

TANZ

MUSIKTHEATER

Fools At Work Samir Akika / Unusual Symptoms 20. Januar 2024, Kleines Haus

Titus (La Clemenza di Tito) Wolfgang Amadeus Mozart // Marco Štorman 28. März 2024, Theater am Goetheplatz

TANZ

MUSIKTHEATER

Happy Nights Lola Arias / Unusual Symptoms 30. September 2023, Kleines Haus

Zählen und Erzählen Musiktheater für Unerwachsene von Mauricio Kagel / 6+ 1. Februar 2024, Brauhauskeller

TANZ

MUSIKTHEATER

SCHAUSPIEL

Salome Richard Strauss // Stefan Klingele / Ulrike Schwab 2. Februar 2024, Theater am Goetheplatz

Vor Sonnenaufgang Gerhart Hauptmann / Ewald Palmetshofer // Klaus Schumacher 19. April 2024, Theater am Goetheplatz

SCHAUSPIEL

SCHAUSPIEL

Die Nachkommende Uraufführung Ivna Žic // Ivna Žic 3. Februar 2024, Kleines Haus

Faust Johann Wolfgang von Goethe // Felix Rothenhäusler 17. Mai 2024, Kleines Haus

SCHAUSPIEL

MUSIKTHEATER

The Hours Michael Cunningham // Alize Zandwijk 22. Februar 2024, Kleines Haus

Die Liebe zu den drei Orangen Sergej S. Prokofjew // Frank Hilbrich 18. Mai 2024, Theater am Goetheplatz

SCHAUSPIEL

TANZ

Die Erfindung des Jazz im Donbass Uraufführung Serhij Zhadan // Armin Petras 24. Februar 2024, Theater am Goetheplatz

Keine Ahnung Nele Stuhler // Andy Zondag 23. Mai 2024, Brauhaus

MUSIKTHEATER

Eine neue Arbeit Renan Martins / Unusual Symptoms 18. April 2024, Kleines Haus

SCHAUSPIEL

Schöne Bescherungen Alan Ayckbourn // Alize Zandwijk 1. Oktober 2023, Theater am Goetheplatz SCHAUSPIEL

Royals Uraufführung Felix Krakau // Felix Krakau 14. Oktober 2023, Kleines Haus MUSIKTHEATER

Orpheus in der Unterwelt Jacques Offenbach // William Kelley / Frank Hilbrich 28. Oktober 2023, Theater am Goetheplatz SCHAUSPIEL

Emil und die Detektive Erich Kästner // Nina Mattenklotz / 6+ 12. November 2023, Theater am Goetheplatz SCHAUSPIEL

Schmerz Camp Uraufführung Patty Kim Hamilton // Christiane Pohle 16. November 2023, Kleines Haus SCHAUSPIEL

Wasserwelt. Das Musical Jacques-Yves Cousteau // Felix Rothenhäusler 8. Dezember 2023, Kleines Haus

MUSIKTHEATER SCHAUSPIEL

Don Quixote Kathy Acker / Miguel de Cervantes // Caroline Anne Kapp 15. März 2024, Kleines Haus

No Rain! Eine Massenveranstaltung von Tom Ryser 7. Juni 2024, auf dem Goetheplatz SCHAUSPIEL

Hawaii Cihan Acar // Berfin Orman 13. Juni 2024, Kleines Haus


Theater der Zeit

Akteure

Foto Wiebke Volksdorf

Der Sturm, Ausstattung: Christian Werdin

Kunstinsert Laudatio zum Martin Linzer Theaterpreis für die Seebühne Hiddensee Porträt Romeo Castellucci über seine neue Produktion „Mystery 11 Ma“ in der griechischen Kulturhauptstadt Elefsina Laudatio Margit Bendokat als Ehrenmitglied des Deutschen Theaters in Berlin Nachrufe Bühnenbildner Hans-Joachim Schlieker und Schauspieler Peter Simonischek

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Auf hoher See und im eigenen Hafen

Laudatio zum Martin Linzer Theaterpreis für die Seebühne Hiddensee

Von Thomas Irmer

Fotos links Wiebke Volksdorf, Martin Weinhold; rechts Lutz Grünke, Karsten Bartel, Konrad Hirsch, Wiebke Volksdorf; Grafik Carolin Ludwig

xxxx


„Don Juan“ Ausstattung links: Christian Werdin Ausstattungen/Figurenbau rechts: Martin Weinhold/Christian Werdin/Helge Warme


Fotos links Rainer Menschik, Lutz Grünke; Fotos rechts Lutz Grünke, Grafik Carolin Ludwig

„Schatzinsel“ Ausstattung: Figurenbau Weinhold


„Faust“ Ausstattung: Christian Werdin


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Wo lässt sich am besten Theater spielen? Natürlich könnte man zuerst denken, dort wo das Publikum lauert, unterhalten werden will, den kritischen Geist schulen möchte und obendrein möglichst viele von seinesgleichen wähnt. Das wird man wohl nur in großen Städten so finden. Heute zeichnen wir die Seebühne Hiddensee aus, die von Wiebke Volksdorf geleitet und von Karl Huck hauptsächlich als Puppentheater bespielt wird, auf einer autofreien Ostsee-Insel mit knapp tausend Einwohnern und in ihrer Randlage fern aller Metropolen eigentlich der unwahrscheinlichste Ort für Theater. Aber, und wir schauen jetzt auf die Besonderheit dieses Theaters, dann doch der beste Ort für die Seebühne Hiddensee. Karl Huck, der Sachse, sah die Insel zum ersten Mal aus der Ferne vom Deck eines Schiffs der Volksmarine. Das war 1980. Später lockte ihn die Lektüre von Hanns Cibulkas Hiddensee-­ Tagebuch „Sanddornzeit“, sich mehr für die Insel zu interessieren. Ende der achtziger Jahre, Karl Huck hatte bereits das Figuren­ theater Homunkulus in Pankow gegründet, kam er zu ersten Gastspielen auf die Insel. Theater der kleinen Form, aufgeführt im Gerhart Hauptmann Haus und in Ferienhotels. Das waren Erfahrungen, die zur Gewissheit führten, als sich 1997 die Gelegenheit bot, einen Fischerschuppen zu pachten und die Seebühne Hiddensee zu gründen. Die gibt es nun ein Vierteljahrhundert – als ­maritimes Kammertheater, mit der Figurensammlung Homunkulus und ihren zwei Bühnen, inzwischen ein Doppelhaus mit oft zwei Aufführungen pro Tag in der Spielzeit, die auf Hiddensee etwa von Pfingsten bis zum Ende der Herbstferien geht. So haben Wiebke Volksdorf als Leiterin und Karl Huck als Darsteller das Theater dauerhaft auf die Insel gebracht. So lange – und vor allem als organisierter Spielbetrieb – wie niemand zuvor, denn die ersten waren sie durchaus nicht. Um 1900, da ging es mit der Entdeckung der Insel als Urlaubsparadies gerade erst los, wollte Alexander Ettenburg auf dem Dornbusch, das Hügelland im Norden der Insel, ein Landschaftstheater mit Ideen der Lebensreform und verschütteten heidnischen Traditionen verbinden. Später war es der auf Hiddensee ansässige M ­ aler Max Nikolaus Niemeier, der auch Puppen fürs Theater baute und so als Vorläufer Karl Hucks und seiner besonderen Puppenbauer gesehen werden kann. Noch später, in der DDR der fünziger und sechziger Jahre, kam das Theater Putbus auf Rügen zu Ab­stechern auf die kleine Schwesterinsel, unter manchmal abenteuer­lichen Bedingungen, denn zusätzliche Unterkünfte für das Ensemble waren nicht vorgesehen. War die letzte Fähre weg, schlief man im Tanzsaal von Vitte auf den Stühlen, auf denen eben noch das Publikum saß. Das ist heute bei der Seebühne ganz anders. Das Publikum kommt mit der Fähre und hat dann schon Sand in den Schuhen und das Meeresrauschen in den ­Ohren, wenn abends die Glocke zu Vorstellungsbeginn läutet, denn auch das ist ein Aspekt des maritimen Kammertheaters, wie das Theater sich im Zweitnamen definiert. Ja, das Maritime bildet eine Hauptlinie in den Spielplänen aus 25 Jahren. Da sind natürlich die Inselgeschichten der Weltliteratur wie „Die Schatzinsel“ und „Robinson Crusoe“, die Wiederent­ deckung von Gerhart Hauptmanns Erzählung „Das Meerwun-

Theater der Zeit 9 / 2023

Foto Annekatrin Hendel

Akteure Kunstinsert


Akteure Kunstinsert der“, aber auch Blockbuster der Filmgeschichte wie „Titanic“ und „King Kong“ wurden mit überraschenden maritimen Perspektiven ­adaptiert. Und „Hase und Igel“, um auch die nochmal ins Spiel zu bringen, ist, wie auch „Rotkäppchen“, auf Hiddensee situiert. Wo sonst? Aber was ist nun diese besondere Form? Karl Huck ist in fast allen Stücken Erzähler, Spieler seiner Puppenfiguren und dazu noch selbst eine Figur des jeweiligen Stücks. Etwa als Jäger Kuno, der in „Rotkäppchen“ und „Hase und Igel“ auftritt und gleichsam auch die verschiedenen Altersgruppen im Publikum miteinander zu verschränken weiß. Im Prinzip eine Randfigur mit Zentralperspektive – und den Fäden in der Hand. Noch etwas ist dabei interessant. Der Kuno Huck unterhält sich während des Spiels – oder vielmehr während kleiner Unterbrechungen der Handlung – mit seinen Figuren. Er ermahnt sie oder freut sich mit ihnen. So entsteht in dieser Verschmelzung von Puppen- und Schauspieler der Eindruck, die Figuren seien gleichberechtigte Partner des Spielmeisters. Sie genießen Autonomie im Spiel. Und diese Lebendigkeit ist gerade im Puppenspiel ein ganz besonderer Effekt, der sich offenbar nie erschöpft und sich zu immer neuen dramaturgischen Einfällen nutzen lässt. Natürlich spielt Karl Huck im „Faust“ den Theaterdirektor, eben jene Nebenfigur mit Zentralperspektive, die allen anderen ihren Raum erst schafft. Und sicher wurzelt einiges dieser spielerischen Auffassungen im ostdeutschen Theater der 1980er jener Art, in der auch ein Frank Castorf die methodische Trennung zwischen Spieler:innen und Figur aufhob und in neue Spielweisen lenkte. Dazu sollte man erinnern, dass es damals 18 Puppentheater in der DDR gab und einige von diesen sich auf den Weg machten, das Feld der nur für Kinder bespielten Bühne um Spielweisen und Stücke zu erweitern, die man zuvor im Puppentheater nicht für möglich gehalten hätte. „Der Puppenspieler sollte der bestausgebildete Schauspieler sein, denn er muss ja alle Rollen spielen.“ Rudolf Penka, damals Professor an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, stellte diese Forderung – und Karl Huck hat das im Studium und später beherzigt. Es gab eine gute und gründliche Ausbildung in den Grundformen des Puppenspiels, wohl die Grundlage dafür, frei damit umgehen zu können. Nur der Meister darf die Puppen tanzen lassen – und so die Formen erweitern. Um zum Beispiel diese Position des spielenden Erzählers dafür zu nutzen, die Welt des Stücks in die Welt des Publikums zu öffnen. Das können Bemerkungen über das Inselleben sein, die vor allem Urlauber und Hiddensee-Fans amüsieren, genauso wie Betrachtungen zur Weltlage, wenn in „Don Juan“ in der Hölle die Betriebstemperatur abgesenkt werden muss – wegen der Energiekrise. Als Drittes kommt noch eine Metaebene dazu, die das Theater und Puppenspiel selbst thematisiert, etwa wenn der Jäger Kuno in „Hase und Igel“ dem Kinderpublikum erklärt, dass die Märchen schon mal durcheinanderkommen können, weil das Theater so klein ist. Da haben auch Theoriegeschulte ihren Spaß. In einem so kleinen Theater macht man alles selbst: KBB, Presse, Kasse, auch Licht und Ton, nicht zu vergessen die Kantine (in diesem Fall Don Pablos Bar genannt, eine Art Versorgungsausschank mit Buchverkauf gegenüber der Homunkulus-Puppen-

Theater der Zeit 9 / 2023

sammlung). Der Abenddienst, das kann zugleich der Hauptdarsteller sein, läutet zu Vorstellungsbeginn die Glocke am Eingang. So ein Betrieb hat den Vorteil, dass man sich allenfalls mit sich selbst streiten kann. Natürlich ist dabei die Seebühne Hiddensee, wie alle anderen Theater, ein kollektives Unternehmen. Da arbeiten die regelmäßigen Partner:innen auf dem Regiestuhl Holger Teschke und Antje König (von dem in Partnerschaft verbundenen Hermannshoftheater in Wümme), die Puppenbauer:innen Christian Werdin, Günter und Barbara Weinhold, die Kostümbildnerin Katharina Schimmel, der Musiker Tobias Morgenstern. Es müssten noch viel mehr genannt werden, denn dieses kleine Theater ist also gar nicht so klein. Hervorzuheben sind die Kooperationen mit den Theatern in Wismar und Rostock sowie jetzt dem Theater Vorpommern in Stralsund, Putbus und Greifswald (wo demnächst im Pommerschen Landesmuseum ein Stück von Holger Teschke über Caspar David Friedrich aufgeführt wird). Und die Seebühne ging immer wieder auf über See führende Gastspielreisen, bis nach Indien und Chile. Der Martin Linzer Theaterpreis von Theater der Zeit trägt den Namen des Kritikers, der für die Zeitschrift über ein halbes Jahrhundert geschrieben und als Redakteur gearbeitet hat. Martin Linzer (mit dem zusammenzuarbeiten ich noch die Ehre hatte) war vor allem ein Begleiter von Theaterleuten, die ihn in der Gesamtheit der Arbeitsweise interessierten und die er dann, einmal dazu entschlossen, aufmerksam verfolgte. Dabei ging es ihm nicht vordergründig um den Rang eines Theaters oder die aktuelle Prominenz der in ihm wirkenden Regiekunst. Er begab sich mit dem Blick auf das Gesamtereignis Theater, also allen Einzelheiten dessen Gelingens, dabei gern auch auf die Seitenpfade des Theaterbetriebs, die von den Metropolen wegführten. Die Seebühne Hiddensee kann man nur mit dem Schiff erreichen, und das ist im Sinne des Namenspatrons dieses Preises wohl ein ganz besonderer Seitenpfad: die Überfahrt in die ganz eigene Theaterwelt der Seebühne Hiddensee. T

Asta-Nielsen-Spielkopf von Christian Werdin

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Akteure Porträt

Orestes Rückkehr Romeo Castellucci über seine neue Produktion „Mystery 11 Ma“ in der griechischen Kultur­hauptstadt Elefsina, seine Vision des Bildes und die Eleusinischen Mysterien im Gespräch

Foto Eleni Papalexiou | The Genesis Project: https://www.genesisproject-uop.gr/

mit Thomas Oberender

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Theater der Zeit 9/ 2023


Akteure Porträt Die Eleusinischen Mysterien waren bis zu ihrem Untergang im vierten Jahrhundert n. Chr. ein eintausendeinhundert Jahre währender Staatskult Athens. Dieser Kult für die Fruchtbarkeitsgöttin Demeter und ihre Tochter Persephone gilt als der berühmteste und zugleich geheimste religiöse Ritus des antiken Griechenlands. Seine Heiligtümer in Eleusis, dem heutigen Elefsina, waren ein Ort der Wallfahrt und Verwandlung. Im Zentrum des großen Mysteriums stand die Rückkehr Persephones aus der Unterwelt. Der Eingang zum Hades, benannt nach dem Herrscher des Totenreiches und des Entführers von Persephone, war Teil der Tempelanlagen. Nach mehreren Tagen der reinigenden Vorbereitung und einer Nachtwache nahmen die Initianten in der großen Halle ein spezielles Getränk, Kykeon, zu sich. Es wurde von Priestern unter anderem aus Gerste und Mentha pulegium gefertigt, was zu Vermutung führt, dass es auch LSD-haltiges Mutterkorn enthielt. Im Laufe von zwei Jahrtausenden verfeinerten Generationen von Priestern diese drogenbasierte Technologie der Bewusstseinserweiterung und Überschreitung der Schwelle zwischen Leben und Tod. In gewisser Weise war dieser Trank das Ayahuasca der europäischen Indigenen, jener Griechen, deren Denken, Frömmigkeit und Kultpraxis den Ursprung unserer westlichen Kultur bilden. Aischylos, der in Eleusis geboren wurde, trank Kykeon, ebenso Sokrates, Platon, später viele römische Kaiser, Sklaven, Menschen aller Geschlechter, Bürger:innen und Ausländer:innen. Nur Muttermörder und Barbaren, also Menschen, die kein Griechisch sprachen, waren von der Zeremonie ausgeschlossen. Die Übertretung dieses einstigen Gebots ist der Ausgangspunkt für Romeo Castelluccis Inszenierung von „Mystery 11 Ma“ in den Ruinen der heiligen Stätten von Elefsina. „Nur durch Sakrileg kann das Heilige reaktiviert werden“, schreibt die Dramaturgin Lucia Amara über dieses Projekt auf der Website von Castelluccis Compagnie Societas. An elf Tagen wandert das Publikum zusammen mit Tänzern und Musikern durch die verlassenen Kultstätten und entdeckt Castelluccis Vision von der Lebendigkeit und Bedeutung dieses Ortes. Elefsina ist 2023 Kulturhauptstadt Europas, zusammen mit Timişoara in Rumänien und Veszprém in Ungarn. Die Premiere von „Mystery 11 Ma“ ist am 1. September. Es gibt ein Foto von Ihnen auf der Website des „Genesis“-Projekts der Universität von Thessaloniki, das Ihre Aufführung dokumentieren wird. Es ist das einzige Foto von Ihnen im Heiligtum von Eleusis, das ich finden konnte. Romeo Castellucci: Das Foto kenne ich nicht. Es wurde vor dem vermauerten Eingang zum Totenreich aufgenommen. Noch immer legen dort Menschen Blumen für ihre Verstorbenen nieder. Vor dem Zugang zum Hades. RC: Ah, ja, am Plutonion. Warum entstand das Foto gerade dort? RC: Wegen der Höhle. In einer Höhle passieren andere Dinge. Die Höhle ist eine Gruft. Die Höhle ist ein Mutterleib. Ich mag diese Art von Ort. Sie steht für etwas, das fehlt. Sie ist eine Öffnung. Kein Objekt. Mir gefällt das. Eine Höhle weist auf einen Mangel hin, etwas Abwesendes. Ich mag diese Leere. Es ist auch eine Art

Theater der Zeit 9 / 2023

via negativa. Und ich glaube, wie Hans Blumenberg sagte, dass der erste Künstler eine Frau war, also eine Künstlerin. Paläontologen zufolge blieben Frauen in der Frühgeschichte an Ort und Stelle, während die Männer auf die Jagd gingen. Sie fütterten die Kinder und entwickelten eine andere Art von Macht, sagte Blumenberg – sie erfanden die Fantasie. Sie haben die Geschichte ihres Stammes erzählt. Und Frauen erfanden nicht nur die Kunst, sondern auch die Religion. Nur Frauen kennen das Geheimnis des Lebens. Das Gebären ist etwas Geheimnisvolles. Und es war sicherlich auch eine Frau, die das Begräbnis erfand. Mit Demeter und Kore (Persephone) standen in Eleusis zwei Frauen im Mittelpunkt der Mysterien. RC: Das stimmt, aber wissen Sie, es gibt noch eine andere Figur. Einen Mann, Eubuleo. Er war ein Hirte, noch sehr jung. Er hütete die Schweine auf dem Feld, als er der Zeuge der Entführung von Persephone durch Hades wurde. Später, so berichtet der Mythos, gründet dieser Eubuleo die Eleusischen Mysterien. Was waren Ihre Beweggründe, dieser Einladung zu einer Produktion in Elefsina zu folgen? RC: Es ist unmöglich, zu einem solchen Vorschlag „nein“ zu sagen. Als Student war Eleusis für mich der Ausgangspunkt, der entscheidende Punkt von allem. Es ist der Anfang – in meiner persönlichen Arbeit, aber auch für die westliche Kultur. Eleusis ist der Ursprung. Wahrscheinlich wichtiger als das Theater des Dionysos. Der Ursprung ist hier. Mich erreichte diese Einladung daher wie ein Ruf. Nicht der Ruf von jemandem, sondern als Ruf dieses Ortes. Eleusis ist nicht aus irgendwelchen archäologischen Gründen wichtig, nein, es ist der Ursprung, die Quelle, auch heute noch. Dorthin zu gehen, ist ein perfektes Rendezvous mit dem Theater. In Ihrer Arbeit setzen Sie sich oft mit den Konventionen des Theaters und seiner Bildhaftigkeit im Portal auseinander. Sie hinter­ fragen und reflektieren dieses Ritual in eigentlich jedem Ihrer Werke. Diesmal arbeiten Sie auf einem antiken Tempelgelände. Was verändert das für Sie? RC: Die Herausforderung ist größer, weil man den Rahmen neu erfinden muss. Man muss auch die Haltung, die Gewohnheiten der Zuschauenden neu erfinden. Man muss über deren Körper nachdenken. Die gesamte Struktur des Theaters muss dort neu erfunden werden. Weil es nicht dunkel ist, kann man den Hintergrund der Landschaft sehen. Auf einer Bühne hat man die volle Kontrolle und kann wählen, was man im Vorder- und im Hintergrund sieht. In unserem Fall haben wir eine Landschaft, nämlich die Steine von Eleusis, die genau genommen eine Figur sind: Eleusis selbst. Mit Open Air-Theater fühle ich mich in der Regel unwohl. Für mich funktioniert das normalerweise nicht. Warum nicht? RC: Weil ich die Dunkelheit brauche. Die Dunkelheit gibt uns ein Gefühl der Einsamkeit, eine Begegnung mit uns selbst. Das ist der Sinn der Dunkelheit. Im Fall dieser Inszenierung in Elefsina bedrängt die Landschaft ständig die Form, den Körper, die Bedeu-

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Akteure Porträt

tung. Die Inszenierung kann deshalb keine normale Aufführung sein. Dass das Publikum einen Spaziergang machen muss, dass es sich konzentrieren muss, viel mehr als normale Theaterbesucher, mag ich sehr. Denn die Situation betrifft ihren ganzen Körper.

lich geboren wurde, ist für mich sehr bedeutsam, denn ich mag diese vergessene Seite der westlichen Tradition. Das westliche Theater entstand mit dem geschriebenen Text. In Eleusis war das noch nicht der Fall.

Mich erinnert das an Ihre Arbeit „The Metopes of the Parthenon“ in Basel 2015. Die Besucher:innen betraten eine leere, unbestuhlte Industriehalle, in der ein Reigen von Sterbenden erschien, offensichtlich Opfer eines Verbrechens – die Besucher:innen gruppierten sich um das Geschehen und waren direkt mit den verwundeten Körpern konfrontiert, den jeweiligen Rettungsversuchen, dem individuellen Sterben vor ihren Augen, ohne Information über die Zusammenhänge. RC: Ja. Die Tatsache, dass die Besucher:innen stehen, ist sehr wichtig. Das erzeugt eine besondere Art der Aufmerksamkeit. Es geht um das, was sich direkt vor einem ereignet. Plötzlich ist es nicht mehr nur etwas zum Anschauen, sondern ein unmittelbares Erlebnis.

In der Ankündigung von „Ma“ verweisen Sie auf Antonin Artaud und sein Interesse an den Eleusinischen Mysterien, die als eine „Theaterform“ vor dem Text lag, die, so vermutet er, auf ein altes Verbrechen reagiert. RC: Ja. Es gab in Eleusis keinen geschriebenen Text, keine gesprochenen Worte. Vielleicht ein paar Lieder, Musik, offenbar ja, Geräusche, Gegenstände, Bewegungen, der heilige Trank, das gleißende Licht. Aber es ist unglaublich, wie viel Bedeutung sie dem Bild beimaßen. Das Bild ist genug. Das Bild ist eine Tür, es ist ein Durchgang. Es ist nicht mehr ein Objekt, es ist eine Erfahrung. Denn nach dem damaligen Glauben war die Epopteia – der Akt des Sehens – selbst in der Lage, das hervorzubringen, was wir erblicken. Es ist ein Strahlen, der Blick hat etwas erzeugt. Sehen ist hier nicht nur ein Empfangen, es ist mehr wie ein Wind, eine Verbindung entsteht. Und das Gesehene muss man in sich bewahren, ohne Erklärungen oder beruhigende Bedeutungen.

Die Tatsache, dass Ihre Inszenierung in Elefsina die Gäste mit auf eine Wanderung nimmt, ähnelt der Prozession bei den Mysterien. Allerdings wollen Sie mit dieser Aufführung die historische Praxis nicht rekonstruieren. Sie wollen ein „zeitgenössisches Ritual“ schaffen. Wie geht das? RC: Das ist das Schwierigste. An einem Ort wie diesem wird man leicht zu einer Art Rekonstruktion oder, noch schlimmer, zu einer Reaktualisierung verführt. Was ich persönlich sogar noch schlimmer fände, denn man befindet sich ja dort im Herzen, am Ursprung des Theaters. Dieser Ort, wo das Theater wahrschein-

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In Ihrer Theaterarbeit spielen Bilder von Anfang an eine besondere Rolle. Sie bilden oft eine Art Membran, weniger im Sinne eines traditionellen Bühnenbilds, sondern eines Bildes an sich, der Präsenz anderer Kräfte auf der Bühne, wie zum Beispiel die leuchtenden Farbflächen in Ihrer Berliner Aufführung von Scarlattis „Il Primo Omicidio ovvero Caino“. Die Epiphanie der Persephone in

Theater der Zeit 9/ 2023

Foto Thomas Oberender

Ort der Mysteriernfeiern im heutigen Elefsina, der griechischen Kulturhauptstadt 2023.


Akteure Porträt den Mysterien von Eleusis wurde mit einer Lichterscheinung in Verbindung gebracht. Persephone und dieses Licht zu sehen, hat die Menschen ein gutes Jahrtausend lang verändert. RC: Ja, die Vorstellung, dass das, was man sieht, einen tatsächlich verwandeln kann, gefällt mir sehr. Wenn man diesen Ort betritt, ist man in einem bestimmten Zustand, und wenn man ihn verlässt, ist man ein anderer Mensch. Das ist die Rolle eines jeden Bildes. Ein Bild ist nicht nur eine Illustration. Ein Bild ist eine persönliche, intime Reise. Es ist eine Art Licht, zu dem ein eigener Schatten gehört. Und in diesem Schatten gibt es noch ein weiteres Bild. Mir gefällt in Eleusis diese Beziehung zwischen Helligkeit und Dunkelheit sehr gut. Hier kann das Licht so stark werden, dass es sich in eine Art Dunkelheit verwandelt. Für mich ist das eine Lehre. Dieses Licht wollten sie in unserer Zeit weiterleuchten lassen, denn wir haben keinen Bezug mehr zu den Bildern. Wir bewegen uns im weißen Rauschen von Illustrationen. Es ist wichtig, in Elefsina zurück nach Eleusis zu gehen, um den Akt des Sehens neu zu überdenken. Und diesem Akt des Sehens seine Würde zu geben. „The Metopes of the Parthenon“ erscheint mir heute wie ein Vorspiel zu Ihrer Aufführung in Elefsina. Es bezog sich auf den Fries am Parthenon. Ein Gebäude, das die perfekte Harmonie der klassischen Architektur symbolisiert, aber von einem Fries aus Bildern zusammengehalten wurde, der die Grausamkeiten archaischer Kämpfe zeigte. Sie haben in Basel das Publikum mit Bildern konfrontiert, die wir nicht sehen wollen. Leid. Schmerz. Sterben. RC: Genau. Das ist oft so. An jedem heiligen Bild gibt ist etwas, das man nicht sehen soll. Etwas, das zu viel für uns ist. Unser Sehen gerät dadurch ins Flackern. Im historischen Zusammenhang ist das der Punkt der Überlagerung von dem, was wir erwarten und dem Unerwarteten. Ein gutes Bild entzieht sich jeder Bedeutung. Man fragt sich: „Was stimmt hier nicht?“. Es hat sicher eine Bedeutung und folgt einem Plan, aber man bekommt ihn nicht zu fassen. Es liegt jenseits des Plans. Das ist die Lektion des Bildes. Es geht nicht um die sichtbaren Dinge auf der Bühne. Das wirkliche Bild liegt zwischen dem Betrachter und dem Ding selbst. Es ist ein „drittes Objekt“. Für unsere Sinne ist es nicht zu fassen, aber es existiert zwischen dir, deinem Körper, deiner Erinnerung, deinem Herzen, deinen Narben. Sie, die Betrachtenden, geben diesem Bild ihr Blut. Und so wird es zu etwas anderem. Deshalb sind die Bilder auf der Bühne etwas anderes als ich, sie werden von den Leuten, die neben mir sitzen, völlig anders gesehen. Darin liegt unsere Verantwortung. Das ist unsere Lehre aus Eleusis. Über die Geschehnisse im Zentrum der Mysterien von Eleusis zu sprechen, war bei Todesstrafe verboten und deshalb ist es bis heute einer der geheimnisvollsten Kulte der antiken Welt. Gleichzeitig war diese Zeremonie sehr inklusiv – Männer, Frauen, Sklaven und Fremde konnten daran teilnehmen. Mit zwei Ausnahmen: Menschen, die eine Blutschuld begangen haben, und Barbaren, d. h. Menschen, die kein Griechisch sprachen. Die Hauptfigur in Ihrem Projekt ist ein Mann, der wegen Muttermordes zwanzig Jahre im Gefängnis saß und kein Grieche ist. RC: Ganz genau.

Theater der Zeit 9 / 2023

Wie kam es zu dieser Entscheidung, die für die antiken Griechen ein Sakrileg gewesen wäre? RC: Am Beginn unserer Geschichte der westlichen Kultur standen, wenn Sie so wollen, zwei Figuren: die Mutter – in Eleusis, und Orestes, der Titelheld der Trilogie von Aischylos. Orestes beging den ersten Muttermord, der in die Literatur einging. Und mit dieser Tat überführte er die damalige Kultur in eine andere Ordnung. Für das Schicksal der westlichen Kultur war dieser Matrizid entscheidend und Orestes war dieses Schicksal. Durch den Akt des Muttermordes setzte er an die Stelle des Mutterrechts das Recht des Vaters, was deutlich in der Gerichtsszene, im Aeropag – dem ersten Gericht der westlichen Welt – dargelegt ist. In ihr steht Orestes vor Gericht und durch einen Trick bei der Abstimmung der Richter wird er für unschuldig befunden. Durch diesen Akt des Muttermordes wurde die Ordnung der damaligen westlichen Welt auf den Kopf gestellt. 1861 schrieb J.J. Bachofen über diesen Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat ein wunderbares und grundlegendes Buch: „Das Mutterrecht“. Ich habe es als junger Mann intensiv studiert. Es lehrte mich die Radikalität und den harten Kern des schöpferischen Aktes. Nach Eleusis zu gehen – nein, man geht nicht nach Eleusis, man kehrt nach Eleusis immer nur zurück, war und ist für mich sehr wichtig. Ich möchte einen „anderen Orestes“ aus der realen Welt und Geschichte an diesen Ort bringen. Sicher ist dieser Vorgang ein Sakrileg. Aber nur so

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sCHAUsPIEL sPIELZEIT 2023/24 ERÖFFNUNG JAHRE MIT MARTHA (UA) nach dem Roman von Martin Kordić Regie: Julia Hölscher Premiere: 03.10.2023

ÜBERGEWICHT, UNWICHTIG: UNFORM Ein europäisches Abendmahl von Werner Schwab Regie: Rieke Süßkow Premiere: 06.10.2023 Premieren Schauspiel 2023/24


Akteure Porträt che, das „Korn“ des Wortes. Wir sprechen auf der ursprünglichen, grundlegenden Ebene der Worte, der des Samens, der „ma“ ist, etwas, das jeder Mensch auf diesem Planeten verstehen kann: „Ma“. Außerdem ist „ma“ in der italienischen Grammatik eine adversative Konjunktion, als ein Wort, das eine Einschränkung, einen Widerspruch oder Gegensatz ausdrückt. Im Deutschen (spricht deutsch) „aber“. Es markiert eine Frage, ein Zweifel, eine Wiederaufnahme des Denkens. Ich mag diese Zweideutigkeit. Im Altgriechischen gibt es auch diese Wurzel von „my“ von Mysteria, die zurückführt zu einer Aussage wie: „Halt den Mund“. Sei still, schau und lerne.

kann man das Heilige reaktivieren. Dieser Mann – der zufällig seine eigene Mutter tötete – kann dem Ort, den heiligen Dingen und der Schönheit ihre Bedeutung zurückgeben. Diesen Ort wieder aufzubauen, ist sehr wichtig. Ein Muttermörder an diesem Ort ist sicher eine Blasphemie. Aber in diesem Fall wird sie zu einem Akt der Versöhnung. Es gibt Vergebung für diesen Mann, der wirklich ein Muttermörder ist. Er tritt nicht auf, um uns zu beeindrucken oder uns seine Lebensgeschichte zu erzählen. Er heißt Filippo ­Addamo und hat mir erlaubt, seinen Namen zu verwenden. Aber seine schmerzliche Geschichte möchte ich nicht erzählen. Das ist eine private Angelegenheit. Ich kann nur sagen, dass er vor 23 Jahren seine Mutter in Catania auf Sizilien getötet hat. Er tritt in unserer Produktion auf, weil er uns repräsentiert. Er ist ein Symbol, eine Metapher, vielleicht für unsere Beziehung zu unserer eigenen Mutter, oder zu Mutter Erde, zu jedem weiblichen Körper. Blasphemie wird so zu einem Akt der Barmherzigkeit. Die Beziehung zur Mutter spielt in diesem Projekt eine große ­Rolle. Was bedeutet der Titel des Stücks „Ma“? Leitet er sich von dem Wort „Mutter“ ab? RC: Sicher. „Ma“ ist das erste Wort, das Menschen sprechen lernen. Wir sagen nicht „Mutter“ oder „Mammi“, wir sagen „Ma“. Es ist die Minimalversion. Wir gehen die Sprachlinie zurück, à rebours, gegen den Strich, und suchen die Wurzel der Mutterspra-

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In Ihrem Ansatz wird das Thema der Beziehung zur Mutter auch auf einer anderen Ebene aktualisiert - im Hinblick auf die Gewalt, die wir der Erde antun, die Zerstörung von Demeters Fruchtbarkeit durch unsere Zivilisation. In „Ma“ arbeiten Sie nur mit den Materialien, die vor Ort vorhanden sind – der Sonne, den Steinen, dem historischen Ort. Keine technischen Installationen, kein Einsatz von nicht erneuerbarer Energie. Führt Sie dieses Projekt in Richtung einer nachhaltigen Theaterpraxis? RC: Nein. Ja. So, wie Sie es beschreiben, scheint es so. Aber das ist nicht der Hauptgrund. Der entscheidende Grund ist ein ästhetischer. Sicherlich ist der Versuch sinnvoll, Mutter Erde Aufmerksamkeit zu schenken. Aber um ehrlich zu sein, die Entscheidung hatte in diesem Fall keinen politischen Grund, sondern einen ästhetischen, und der ist viel tiefgründiger. Jede echte Politik muss aus einem ästhetischen Problem geboren werden. Der entgegengesetzte Weg wäre zwangsläufig falsch und korrupt.

Theater der Zeit 9/ 2023

Fotos Thomas Oberender

Bilder des archäologischen Felds von Elefsina.

In den spirituellen Praktiken, die ich kenne, ist das Sprechen ab einem bestimmten Punkt verboten. Es gibt Phasen völliger Stille, in denen eine Art spiritueller Kontakt hergestellt wird, und diese Verbindung, wenn sie da ist, kann durch Musik moduliert werden, aber nicht durch nüchterne Sprache. RC: Was wir tun, ist keine Zeremonie, auch wenn „Eleusis“ für die Mysterien steht. Aber „Ma“ wird ohne jede Sprache funktionieren. Denn die Sprache ist eine andere Domäne. Das Bild aber ist ein Körper. Und der Körper gehört zu einer Frau. Die Dromena, das Ritualverhalten und die Legomena, die den Ritus begleitenden Texte, haben sich historisch aufgespalten. In unserer Arbeit sind wir näher an der „Dromena“, dem Akt anstelle des Wortes. Denn der Akt ist näher an der Erfahrung – und an der überraschenden Entdeckung – einen Körper zu haben. Das ist die weibliche Seite. Die Sprache mit ihren Regeln und Gesetzen ist die eher männliche Seite, wobei ich jetzt nicht vom Patriarchat spreche, denn das ist eine andere Sache. Sprache an sich ist ein schönes Werkzeug. Doch Sprache ist auf keiner ihrer Ebenen jemals ausreichend. Selbst in der großartigsten Literatur ist sie nie genug, nie klar. In jeder Sprache steckt eine verborgene Absicht, in jedem Satz ein ganzes Bündel von versteckten Absichten. Das Bild ist stumm. Jedes wahre Bild macht dich allein. Du bist allein mit dir selbst und stehst vor einem Rätsel: der Sphinx des Lebens. Das Bild ist ein „Loch“, das deinen Namen kennt. Und zwischen den Worten, Dingen und Bildern gibt es einen wunderbaren Konflikt. Da besteht eine Lücke. Eine fundamentale Lücke. Sie ist wundervoll.


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Für mich war es wichtig, diese Inszenierung als eine Passage, als eine Tour zu Fuß zu gestalten. „Ma“ ist eine Strategie, als Aufführung ein langwieriges Manöver, um die Ankunft von Fillipo vorzubereiten. Filippo Addamo wird die Szene erst ganz am Ende betreten. Er wird nur ein paar Schritte ins Innere des Heiligtums gehen, er wird die Steine des heiligen Ortes streicheln, sich hinknien. Das ist alles. Kein Wort. Wie haben Sie Filippo Addamo gefunden? RC: Ich bin vor etwa zwei Jahren auf ihn gestoßen, als ich einen Artikel las. Als ich über das Stück nachdachte, das ich in Eleusis machen wollte, haben sich die beiden Dinge offensichtlich verbunden. Es ist sicher so, dass es nicht meine Entscheidung war. Dinge passieren und ziehen an uns vorbei. Aufmerksam zu sein, auf die Formen zu achten, die jeden Moment des Tages an uns vorbeiziehen, ist wichtig. Sammeln, nicht erfinden. Plötzlich passten beide Seiten zusammen wie ein Negativ, das sein Positiv voraussetzt und hervorbringt. Für mich war es, wie gesagt, keine Wahl, die ich getroffen habe. Die Dinge haben mich gewählt. Ich muss sie nur akzeptieren. Und so war es auch mit Filippo, „Ma“ und Eleusis. Für mich ist Orestes eine der schönsten Figuren der abendländischen Kultur. Die Ermordung seiner Mutter ist die eine Sache, aber – es gibt ein entscheidendes „Aber“ – es gibt auch Orestes’ Zweifel, der den geraden Fortgang des Verbrechens unterbricht. Als er Klytaimnestras Raum betrat, zögerte er. Aber sein Freund, Pylades – das Alter Ego Apollons – drängte ihn daraufhin, seine Mutter zu töten. In diesem offenen, zitternden Moment, in Orestes’ Zögern, verlassen wir die antike Mythologie und gelangen in die moderne Zeit. In gewisser Weise kollabiert in diesem kleinen Moment des Zweifels die gesamte Struktur des Opfers. Wir sehen einerseits die Mythologie, die an der Schwelle ihrer epochalen Transformation steht, und zugleich die Geschichte eines Mannes, der – selbst ein Verlorener – seine Mutter verliert. Das Ende ist eine Liebesgeschichte, die völlig umkippt ... Auch für Filippo.

05.-14.

SEPTEMBER 2023

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Als wäre Ihre Produktion in Elefsina ein Stück über Orestes’ Rückkehr. Er wird nur von Frauen empfangen. Warum sollten diese, die alle im Vorfeld gecastet wurden, in Griechenland leben? RC: Das war eine Verabredung mit dem Festival und kam von deren Seite. Nur Filippo Addamo ist nicht aus Griechenland. Für mich ist es immer wichtig, in der Gemeinschaft verwurzelt zu sein; dieser Ort gehört ihnen, ich bitte sie um Erlaubnis. Eine der elf Aufführungen ist den „Menschen aus Elefsina“ gewidmet, das heißt den heutigen Bewohnern der Stadt. Warum das? RC: Diese Idee gefällt mir sehr. Der Vorschlag kam vom Festival: von Griechen, für Griechen. Eine Hommage an die heutigen Mitbürger von Aischylos, dem größten Schriftsteller aller Zeiten.

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Ich mag diese griechische Geste auch sehr, einem Ort etwas zurückzugeben und die Aufführung dort für Menschen zugänglich zu machen, die sich die Eintrittskarten vielleicht nicht leisten können RC: Ihnen müssen wir eine Bedeutung geben. Elefsina als Ort gehört ihnen als Community. Diese Idee ist wunderbar. T

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Akteure Laudatio

Margit Bendokat vor der Ehrentafel im Deutschen Theater

Wie Licht einfällt: schräg Foto Thomas Aurin

Laudatio auf Margit Bendokat als Ehrenmitglied des Deutschen Theaters in Berlin Von Hans-Dieter Schütt

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Theater der Zeit 9 / 2023


Akteure Laudatio Man könnte beginnen mit der Feststellung: Yvonne, du nervst! Du nervst gewaltig! Bist also grandios. Jene tönende Folter, die von dieser Frau ausging, das war (auch) die Leistung von Margit Bendokat. In der deutschen Synchronisation der dänischen Kino-Legende „Die Olsenbande“. Yvonne: eine zauberhaft höllische Säge ganz aus Stimme. Die an Egon Olsens Autorität herumkratzt. Eine Vokalkrähe, die ihren Ehemann Kjeld ohne Unterlass in die Unterwürfigkeit hackt. Die fortwährend und gegen jeden ihren akustischen Gemütsstacheldraht ausrollt. In dieser Synchronstimme lebt etwas, wofür der Name Margit Bendokat überhaupt steht. Mag sie spielen, was immer ihr aufgetragen ist: Noch jeder Heiligkeit von Text und Ton bleibt das Quere, Störende eingeschrieben. 1964 hatte sie an den Kammerspielen des Deutschen Theaters die Ottilie in Sternheims „1913“ gespielt, Inszenierung: Fritz Bornemann. Wolfgang Langhoff gab den Christian Maske, es war seine letzte Rolle am DT. Die Ottilie war Margit Bendokats erste Rolle. Jahrzehnte dann: DT. Solch einer Erfahrenen wie ihr muss man nichts über politische und künstlerische Zeitläufte erzählen, also nichts mehr über das Turbulente in den Stillständen oder über den Stillstand in den Turbulenzen. Sie besitzt eine Eigenheit, die im Wirbel der Moden standhaft blieb. Spätestens seit ihrem Dienstmädchen „Pauline“, Regie: Alexander Lang, das war 1976, ist das Wesen Bendokat präsent: diese vertrackte Aufsässigkeit; diese Polarität zwischen schreikräftigem Überspanntsein und instinktiver stiller Bodenständigkeit; dieser Rhythmus einer oft ziehenden, schwingenden Sprache. Die auf mehr als nur aufs Ohr zielt; die dem Messer näher sein kann als jener Blume, durch die man die Dinge sagt, um sie zu verschweigen. Diese Schauspielerin erleben: Das ist ein Sehen, bei dem dir auch das Hören nicht wieder vergeht. Das schleift, das kratzt, das leiert in einer betörenden Unablässigkeit. Das Klageweibliche hat wie das Skurrile bei Margit Bendokat einen sehr besonderen Platz gefunden. Sie kann melancholisch und gleichzeitig knochentrocken werden. Gemäß einem Satz von Dimiter Gotscheff. Er sagte, man müsse die Knochen zum Sprechen bringen, auf eine Weise, für die er oft selber keine Worte hatte, er warf dann nur sein Knurren in den Raum. Margit Bendokat greift ein Wort aus einem Satz heraus, als sei es ein ganzes Lebewesen, und kichernd wird daraus ein Clownswort, peitschend ein Schreckenswort. Man kann sich vorstellen, dass griechische Chöre diesen Ton hatten. Deshalb ist sie auch Spielerin Einar Schleefs gewesen. Die russische Revolutionärin Spiridonowa, ein Kopf nur, in einer Art Fenster-Öffnung im riesigen weißen Rundhorizont, im Wucht-Werk „Verlorenes Volk“: ein monologischer Halbstundentext, von Margit Bendokat gleichsam durchwühlt, durchpflügt, monoton hochgezogen, als sei der Rote Oktober eine Dichtung Homers. Im brachial stolzesten Sinne: langatmig. Wo diese Künstlerin auftritt, ist ein gewisser Horror anwesend, von dem man nicht weiß, woher er kommt, wohin er ausschlägt, in welche Stille er sich hineinrammt. Sie spielte kaum Titel- oder Hauptrollen, aber sie ist am Deutschen Theater eine Hauptspielerin geworden. Ihr Platz: wo die Zwillinge Komik und

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Vielleicht ist der Preis, den sie kostet, überhaupt das Schönste an der Schönheit. Am Leben. Eine Spiel-Art, vielleicht vergleichbar mit Menschen, die wie Ansichtskarten sind, die einer geschrieben hat, der beim Diktat regelmäßig falsch schreibt.

Tragik das Ihre behaupten: immer im Herz des jeweils anderen. Berliner Lieder hat sie so lakonisch komisch und unsentimental liebenswert gesungen wie irische Songs; sie ist Hartgewordene und Weichgesottene, Gestählte und Gewalkte. Gleich der Rose, die Blühkraft hat und den Stachel – Trennkost ist nichts für gute Komödianten. Über das Schauspielwerk dieser Künstlerin nachdenken – das ist eine Zeitreise. Dresen-Zeit und Gosch-Zeit und Gotscheff-Zeit und Stemann-Zeit. Vor allem: Zeit beim Regisseur Alexander Lang („Stella“, „Dantons Tod“, „Ein Sommernachtstraum“, „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“). Es war eine dieser Konstellationen, für die Glücksfall ein zu geringes Wort ist, denn zuerst war es Arbeit. Und war ein grundlegend neues Theater am Deutschen Theater, im Hause selbst verpönt, umstritten und umjubelt, missverstanden und bestaunt. Als kraftvoller Harlekin hat Alexander Lang am Traditionstempel DT ein sehr eigenes Kraftfeld aufgebaut, fast hermetisch, er faszinierte mit Ausschließlichkeitsansprüchen. Man konnte zusehen, wie Alexander Lang sich an Gegnern im eigenen Hause geradezu aufrichtete. Nicht um der Gegnerschaft willen, sondern um zu offenbaren, dass Gemeinschaft Vielfalt bedeutet, dass ein Gemeinsinn die Feier der Eigensinne sein muss. Und Ensemble – das war etwas, das später auch von Jürgen Gosch ausging – ist nicht der ganze Betrieb, sondern ist die konkret und eingeschworen arbeitende Truppe und deren Arbeit am Stück. Es ist schön, wenn man über eine Künstlerin spricht und viel andere meint. Alle Guten sind Ensembletiere, und man ist immer nur so gut wie das Gegenüber. Deshalb fand man den Namen Bendokat zunehmend, wie sie selber mal sagte, bei Regie und Spiel bei den „Verrückten“. Den Zornsanften. Den Witztraurigen. Den Schmutzfeinen. Sie war die Linda Loman in Gotscheffs Inszenierung „Tod eines Handlungsreisenden“, Ehefrau eines trostlosen Vertreters: großartig in ihrem Einfaltsschicksal, in dem die Emanzipation nicht mal seufzen darf. Alle Regung nur noch Apparaturreflex, der selbst tiefste Depressionen, aus Selbstschutz, zur leblosen Monotonie macht. Aufwühlend, wie die Bendokat dann plötzlich doch, aus einem glühenden Kern der Liebe heraus, ihren Mann gegen die hassenden Söhne verteidigt. Wie sich eine heiße Herzsprache auf Wegen zur Zunge in Lava verwandelt.

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Akteure Laudatio Technische Zeichnerin war Margit Bendokat, wollte aber zur Bühne, unbedingt. In ihrer Sparte repräsentiert sie einen Schönheitsbegriff der Abweichung. Es ist nämlich schön, wenn sich etwas nicht einfügen lässt. Es kann eine tolle Sehnsucht sein: beteiligt zu sein am Preis, den solche Schönheit kostet. Vielleicht ist der Preis, den sie kostet, überhaupt das Schönste an der Schönheit. Am Leben. Eine Spiel-Art, vielleicht vergleichbar mit Menschen, die wie Ansichtskarten sind, die einer geschrieben hat, der beim Diktat regelmäßig falsch schreibt – da ein Komma zu viel, da ein Tintenklecks, da ein Buchstabe ungelenk übermalt, da eine falsche Silbentrennung, die Schrift immer ein wenig schleppend, hinkend, keine Leistungssportler der unangreifbaren Lebensgestaltung und absolut harmonischen Signalgebung; solche Post lebt, hat Atem und wirkt ganz anders als die glatte, unbefleckte, lupenreine, aber eben völlig unpersönliche Schrift eines Computers. Bendokats Spiel erzählt böse (das wird man in dieser Welt) oder möglichst irr (das wird man an dieser Welt) oder möglichst sanft (das wünscht man dieser Welt). Sie kann revoltieren mit

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Bockigkeit. Ist Revolte Ausdruck von Klugheit? Kunst ist nicht klug, sondern tappt umher in den Fallen vielstimmig gesammelter Erfahrung. Aber bei Margit Bendokat sind es hell und grell verfremdete Fallen. Fallen so, wie Licht einfällt: schräg. Ich seh’ sie vor mir, in Nicolas Stemanns „Heiliger Johanna der Schlachthöfe“: Proletarierin Luckerniddle, im Trainingsanzug, mit Lidl- und Obi-Beutel. Leidende Ausgebeutete, kernige Agitatorin, lederne Ideologin. Da wird ein Weibsherz gleichsam zum kalt keifenden Parteiorgan. Aber im Moment, da man meint, Stemann liefere die gesamte Arbeiterbewegung dem Spott aus, wird Bendokats Kommunistin von hinten erschossen. Lache jetzt, wer noch lachen kann. Natürlich lachen immer welche. Aber plötzlich, mit diesem Schuss, erzählt die Aufführung bittertraurig von der Gewalt, die droht, wenn die Welt grundlegend geändert werden soll. Als Bendokats Arbeiterfrau erschossen wurde, entfährt der schicken Johanna ein zartes „Huch!“. Weltehrlicher geht es nicht. Konstanze Lauterbach inszenierte am Deutschen Theater Jean Genets „Die Zofen“. Mit Simone von Zglinicki als Claire, Margit Bendokat als Solange. Die beiden Zofen. Und Inge Keller als Gnädige Frau. Die Zofen spielen Herrschaft. Zu mehr Aufruhr reicht es nicht. Ein Gleichnis: Wer Revolutionen durchspielt, hält sie lebendig, wer sie durchführt, verrät sie. Die Aufführung ist nah bei Hölderlin, der nur in den Verzweifelten die wahren, freiesten, geradezu getriebenen Spieler sieht. Wir sind bei Genet – und doch auch bei dem, was Schauspiel überhaupt ausmacht. Margit Bendokats Solange: keifende Kraft, die dort, wo Simone von Zglinicki huscht, verhärtet stampft. Zwei Strickjacken auf Beinen tapsen durch ritualisierte Abläufe einer traurigen Maskerade. Zwei Kinder im Wald, die sich an den Händen halten. Leben heißt in guten Inszenierungen: leiden. Aber leiden heißt hier vor allem auch: übers Leiden lachen. Das ist natürlich Verrat am Leiden. Und darüber lässt sich dann wieder böse, hämisch, giftig lachen. Das Theater, dauerhaft ausgelastet mit Aufklärung, ist kein Bund derer, die am aufgeklärtesten sind, am gütigsten, am fortschrittlichsten. Niemand am Theater kann sagen, das Wort Hackordnung sei ihm eine unbekannte Vokabel. Eine Tafel der Ehrenmitglieder ist auch eine Tafel derer, die nicht aufgelistet sind. Ehrungen sind also Feste der Ungerechtigkeit. Um Gerechtigkeit geht es aber gar nicht. Es geht um das, was uns im Gedächtnis bleibt, weil es gegen alles Ebenmaß gesetzt ist. Margit Bendokat. Wenn sie auftritt, verschiebt sich sofort die Struktur einer Aufführung, verrutscht die Welt ein wenig. Der jeweilige Stoff sieht sich geradezu um nach dieser Spielerin: Ach, so was steckt in mir? Da ist immer etwas unterhalb der Vernunft. Und fernab der Delikatessen, in die wir uns gegen die Unruhe der Welt so oft flüchten. Manchmal auch im Theater. 28 Namen nun auf dieser DT-Ehrentafel. Sie stehen für eine Wahrheit, die ein ganzes Volk umfasst: das Volk der Komödianten und Schelme. Deren Spiel ist eine unsterbliche Lüge. Alles nur Schein. Der Schein trügt? Er trägt. T

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Spielplan 2023/24 von RECHT UND GeRECHTIG IGKEIT KEIT Großes Haus SPUREN UND GEISTER

OLD FRIENDS

Thomas Köck: und alle Tiere rufen: dieser Titel rettet die Welt auch nicht mehr (monkey gone to heaven), ein requiemmanifesto of extinction Sound und Musikalische Leitung: Malte Preuss

Songs aus einer gemeinsamen Zeit Von Nina Wurman Regie: Nina Wurman Premiere: 09. Dezember 2023

Georg Friedrich Händel: La Belleza ravveduta nel trionfo del Tempo e del Disinganno Musikalische Leitung: Ariel Zuckermann

MICHAEL KOHLHAAS

Regie: Knut Weber Eine Koproduktion mit dem Georgischen Kammerorchester Ingolstadt (GKO) Musikalische Leitung: Ariel Zuckermann Premiere: 05.Oktober.2023

MORD AUF SCHLOSS HAVERSHAM (The Play That Goes Wrong) Komödie von Henry Lewis, Jonathan Sayer und Henry Shields Deutsch von Martin Riemann Regie: Christine Gnann Premiere: 21. Oktober 2023

DER LEBKUCHENMANN Wintermärchen Von David Wood Regie: Ekat Cordes Premiere: 18. November 2023

DAS KALTE HERZ Nach Wilhelm Hauff von Armin Petras Regie: Katja Wachter Musikalische Leitung: Tobias Hofmann Premiere: 02. Dezember 2023

CABARET

RIVKA Von Judith Herzberg Regie: Maaike van Langen Premiere: 11. April 2024

Downtown ALL TOMORROW´S PARTIES Regie: Niko Eleftheriadis Premiere: 02. Februar 2024

Freilicht im Turm Baur DREAMTIME II Ein Theaterspektakel nach Motiven von William Shakespeare’s DER STURM In der Musik von Martyn Jacques (UA) Regie: Knut Weber Musikalische Leitung: Tobias Hofmann Premiere: 27. Juni 2024

Junges Theater FRAU MEIER, DIE AMSEL von Wolf Erlbruch Ab 4 Jahren Regie: Momo Mosel Premiere: 01. Oktober 2023

DIE MÖWE

DIE BRÜDER LÖWENHERZ

HAUS OHNE RUHE (THIS RESTLESS HOUSE) Deutschsprachige Erstaufführung von Zinnie Harris (DSE) Eine Trilogie nach der Orestie von Aischylos Regie: Jochen Schölch Premiere: 29. Mai 2024 (Anlässlich der Eröffnung der 39. Bayerischen Theatertage)

Kleines Haus BONDI BEACH (URAUFFÜHRUNG) Von Rebekka Kricheldorf Regie: Schirin Khodadadian Premiere: 07. Oktober 2023

WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF? Edward Albee Regie: Mona Sabaschus Premiere: 01. Dezember 2023

JONAS JAGOW Von Michel Decar Regie: Alexander Nerlich Premiere: 17. Februar 2024

DAS ACHTE LEBEN (FÜR BRILKA) Von Nino Haratischwili Regie: Julia Mayr Premiere: 12. April 2024

Studio im Herzogskasten IN EWIGKEIT AMEISEN /DAS ENDE VON IFLINGEN Von Wolfram Lotz Regie: Lisa Schacher Premiere: 14. Oktober 2023

SPIELZEIT 2023/2024

von Heinrich von Kleist Regie: N.N Premiere: 25. Januar 2024

Musical von Joe Masteroff, Fred Ebb, John Kander Regie: Philipp Moschitz Musikalische Leitung: Tobias Hofmann Premiere: 26. Januar 2024

Schauspiel von Anton Pawlowitsch Tschechow Regie: Eva Lemaire Premiere: 09. März 2024

STREITEN?

von Astrid Lindgren für die Bühne bearbeitet von Christian Schönfelder Ab 9 Jahren Regie: Julia Mayr Premiere: 28. Oktober 2023

DER LEBKUCHENMANN Wintermärchen Von David Wood Ab 6 Jahren Regie: Ekat Cordes Premiere: 18. November 2023

DIE MITTE DER WELT von Andreas Steinhöfel ab 14 Jahren Regie: Niko Eleftheriadis Premiere: 17.Dezember 2023 TROPFEN TRIEFEN, TROPFEN KLOPFEN Mobile Projektentwicklung für die Allerkleinsten / ab 2 Jahren Regie: Katharina Mayrhofer Premiere: 27. Januar 2024 Junges Theater mobil

ZUM GLÜCK! (Arbeitstitel) Tanzprojekt Ab 12 Jahren Regie/Choreographie: Ives Thuwis Premiere: 04. Mai 2024

Sparte X AUF DEN Brettern, DIE X BEDEUTEN – EIN THEATERPODCAST (AT)

STADTTHEATER INGOLSTADT

SCHAUBURG – THEATER FÜR JUNGES PUBLIKUM SCHAUBURG.NET


Akteure Nachruf

H A N S -J OAC H I M S C H L I E K E R

Die Texte atmen lassen Zum Tod von Hans-Joachim Schlieker Von Stephan Suschke

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Am 11. Juli ist der Bühnenbildner Hans (-Joachim) Schlieker in Berlin im Alter von 74 Jahren gestorben. Kennengelernt habe ich Schlieker 1990 am Rande einer Vorstellung von „Hamlet/Maschine“ in der Kantine des Deutschen Theaters. Gemeinsam gearbeitet haben wir an Müllers Inszenierungen von „Quartett“ und „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ am Berliner Ensemble. Aber natürlich hatte ich Anfang der achtziger Jahre an der Volksbühne „Der Auftrag“ und „Macbeth“ gesehen, die prägendsten Erfahrungen jener Zeit, Aufführungen, die anders waren als alles andere, weil etwas anderes versucht wurde, politisch und ästhetisch. Schlieker war Beleuchter an der Volksbühne Benno Bessons. Die Kanti-

ne war damals das Herz der Theater wie die Bühnentechnik Sammelbecken einer renitenten Bohème, unangepasst und neugierig. In der Kantine der Volksbühne saß Schlieker und las Nietzsche. Heiner Müller, der immer Interesse an „neuen“ Menschen hatte, wurde auf ihn aufmerksam, sah sich dessen Bilder an und die Premiere eines 16 mm-Experimentalfilm im Künstlerclub Möwe: „Heiner saß da, umringt von einer großen Gruppe, ich kam irgendwann dazu. Er guckte nach unten und sagte nur irgendwann: Arbeiten wir zusammen?!“ (Hans Schlieker) 1980 bekam Müller das Angebot „Der Auftrag“ zu machen, er fragte Schlieker: „Wat willste machen?“ Schlieker: „Ja, was machst’n du?“ – „Ich mach jetzt hier Regie.“ Schlieker: „Naja, wenn du Regie

Theater der Zeit 9/ 2023

Foto Michel Simonot / Archiv Mark Lammert

Hans-Joachim Schlieker, Mark Lammert und Heiner Müller in Verdun


Akteure Nachruf

1949 – 2023

machst, kann ich ja nicht auch Regie machen, also dann mach ich Bühnenbild.“ – „Na gut, dann machste Bühnenbild.“ Es gab vor allem vom damaligen Technischen Direktor massive Widerstände, aber Müller setzte ihn durch. Schlieker hatte die Sehnsucht nach einem neuen, anderen Theater und tatsächlich formulierten die ersten beiden gemeinsam Arbeiten diesen Anspruch, entwickelten einen anderen Blick, die auch mit Müllers Denken als Autor, der seine Texte inszeniert, zu tun hatte: „Heiners Wunsch war, dass man nicht interpretiert, dass man den Text zufriedenlässt. Für mich war der Text wie ein Tier, das seinen eigenen Atem hat, einen eigenen Rhythmus, ein eigenes Leben, was man völlig zufriedenzulassen hat. Ich habe versucht, ihm den entsprechenden Raum dafür zu machen.“ Schlieker beschrieb die Zusammenarbeit als „Vernichtung von Interpretation“, was naturgemäß zu Spannungen mit den Schauspielern führte. Hinzu kam, dass Müller auf die statische Arbeitsteilung zwischen Regisseur und Ausstatter verzichtete, eine für Schauspieler verwirrende Situation. „Das führte in der Konsequenz dazu, dass es nicht um den Schauspieler ging, sondern um sein Verhältnis zum Text. Das hat gewisse Schauspieler dazu gebracht, sich nur als Material zu fühlen.“ Gleichzeitig dachte Schlieker als Maler und hatte damit natürlich einen anderen Blick: Wie Müller interessierte ihn der psychologische Weg des Schauspielers zur Figur nicht, er sah die Spieler als ein Moment in einem Gesamtkunstwerk. Das brachte ihm nicht unbedingt die Sympathie der Schauspieler ein, für die Psychologie Teil des Arbeitsprozesses ist – er galt als schwierig. Nach den ersten beiden Arbeiten brachte Müller Schlieker mit Ruth Berghaus zusammen, auch weil er wollte, dass Schlieker autonom wird. Aber die Angriffe kleingeistiger Kulturfunktionäre der DDR auf „Macbeth“ lösten bei Schlieker Ängste aus, er nutzte eine Reise nach Graz und blieb im Westen. Die Verbindung zu Mül-

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ler riss ab, wurde erst nach dem Mauerfall wieder reaktiviert. Müller wollte, dass Schlieker am Berliner Ensemble „Quartett“ inszeniert. Aber sehr schnell wurde klar, dass Marianne Hoppe nur mit dem Autor als Regisseur arbeiten wollte. So blieb es bei der Ausstattung, es folgte die zu einer Weltaufführung, die allerdings mit einem Missverständnis begann: Schlieker hatte ein Modell für „Anatomie Titus“ entworfen. Palitzsch und Müller kamen zur Besichtigung, waren irritiert über die Eigenwilligkeit des Entwurfs, einen langsam schmelzenden Eiskopf. Schließlich stellte sich heraus, dass Müller Schlieker nicht informiert hatte, dass die nächste Arbeit „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ war. Gerade das Bühnenbild zu „Arturo Ui“ ist in seiner Simplizität, der Betonung der Zentralperspektive durch Säulen, die in den Zuschauerraum hineinführten, schlagend – ein Nichtraum, der Platz schafft für Schauspieler und Text, komplettiert mit Panzer-Motor, Böcklin-Zitaten und einem roten Alptraum-Raum. Müllers Tod war für Schlieker ein existentieller Einschnitt; auf meine Frage, was damit verloren gegangen ist, antwortete Schlieker: „Alles!“ Aber das Leben ging weiter, auch die Arbeit mit Mitko Gotscheff, Werner Schroeter und Hans Kresnik. Aber der wichtigste Partner wurde Peter Konwitschny, mit dem ihn drei prägende Arbeiten verbanden: „Wozzeck“, „Lulu“, „Elektra“. Konwitschny interessierte, dass Schlieker nicht studiert hatte, „sondern ein einfacher Mensch war, der am Theater zu tun hat, arbeitete und für die Sache gebrannt hat“. Sie verstanden sich auf Anhieb, was trotz unterschiedlicher Erfahrungen auch mit der DDR zu tun hatte. „Aber wir wussten auch, dass wir das dekorative, konfektionierte West-Theater nicht wollten. Bei „Wozzeck“ an der Hamburgischen Staatsoper sind wir sehr schnell darauf gekommen, dass uns gutverdienende Sänger, denen die Armut ins Gesicht geschminkt wird, nicht interessieren. In der Konse-

quenz hatten die Männer Fräcke an, die Frauen schlichte Abendkleider. Schlieker hat sich für das Ganze interessiert, wie ich auch, letztendlich haben wir beide Bühnenbild gemacht, aber auch beide Regie, obwohl natürlich jeder dann auch seine Arbeit gemacht hat.“ Schlieker ging es nie um das Dekorative, um das letztlich verkaufbare. Da war er ein eigenständiger Künstler, ein Maler, autonom und frei. „Den Raum von ‚Elektra‘ für Kopenhagen haben wir innerhalb von zwei Stunden entworfen und der wurde so realisiert. Uns verband die tiefe gemeinsame Einsicht, was Theater heute soll, wozu Theater gemacht wird. Im Normalfall sind bei „Elektra“ alle froh über die Befreiung. Uns war klar, dass alle liquidiert werden, weil sie zu viel wussten. Das war eine andere Erfahrung, die Erfahrung des Ostens. Schlieker war dem Betrieb gegenüber prinzipiell misstrauisch, weil ihn ärgerte, wenn Beamte ihre Arbeit ohne Herz und Seele machen. Dafür war Theater für ihn zu wichtig.“ Das führte in der Konsequenz zu einer unbedingten Kompromisslosigkeit: Leinwände ertragen radikale Entwürfe besser als das, was Schleef den Theater„Betrieb“ nannte. 2017 wollten Schlieker und Konwitschny gemeinsam „Lady Macbeth von Mzensk“ machen, sie hatten schon angefangen, zu arbeiten. „Aber das kam nicht zustande, weil er nicht mehr darauf vertraute, dass der Technische Direktor mitzieht, der Verfolgungswahn hatte zugenommen. So mussten wir uns trennen, was ich sehr bedaure. Er war eine solitäre Figur. Mit Schliekers Tod haben wir einen ganz wichtigen Theatermenschen verloren.“ T

Der Text verwendet Zitate aus einem Gespräch mit Hans-Joachim Schlieker am 2. März 2003 und mit Peter Konwitschny am 2. August 2023.

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PREMIEREN 2023/24 MEPHISTO

DER MENSCHENFEIND

nach dem Roman von Klaus Mann

von Molière

FASSUNG & REGIE Sascha Hawemann

REGIE Milena Paulovics

PREMIERE 22-SEP-2023 / GROSSES HAUS

PREMIERE 24-FEB-2024 / SCHLOSSTHEATER IM NEUEN PALAIS POTSDAM-SANSSOUCI

JEEPS

von Nora Abdel-Maksoud

LINDA

REGIE Max Claessen

von Penelope Skinner

PREMIERE 23-SEP-2023 / REITHALLE

REGIE Annette Pullen PREMIERE 15-MÄRZ-2024 / GROSSES HAUS

ANTIGONE

nach Sophokles, Euripides und Aischylos

ZÄHNE UND KRALLEN von Peter Thiers

von John von Düffel REGIE Bettina Jahnke

REGIE Bettina Jahnke

PREMIERE 20-OKT-2023 / GROSSES HAUS

PREMIERE 12-APR-2024 / GROSSES HAUS

ARSEN UND SPITZENHÄUBCHEN EURE PALÄSTE SIND LEER von Joseph Kesselring (ALL WE EVER WANTED) REGIE Lilli-Hannah Hoepner

von Thomas Köck

PREMIERE 17-NOV-2023 / GROSSES HAUS

REGIE Moritz Peters PREMIERE 17-MAI-2024 / REITHALLE

MÜTTER!

Ein Theaterprojekt von Anna-Elisabeth Frick

DER REVISOR

REGIE Anna-Elisabeth Frick

von Nikolai Gogol

PREMIERE 12-JAN-2024 / REITHALLE

REGIE Yvonne Kespohl

100 SONGS

AM TIEFEN SEE

PREMIERE 8-JUN-2024 / SOMMERBÜHNE

von Roland Schimmelpfennig REGIE Malte Kreutzfeldt PREMIERE 19-JAN-2024 / GROSSES HAUS

Foto Irina Gavrich

DIE PREMIEREN DES JUNGEN HANS OTTO THEATERS FINDEN SIE UNTER: WWW.HANSOTTOTHEATER.DE/JUNGES-HANS-OTTO/STUECKE/

HANSOTTOTHEATER.DE


Akteure Nachruf

PETER SIMONISCHECK

Voll ansteckender Liebe Eine Erinnerung an Peter Simonischek Von Johanna Wokalek

Theater der Zeit 4 / 2023

„Ja, Johannalein!“ – Das war sein Ausruf, wenn ich anrief, und meist war Peter dann auf dem Weg zum Funk, zu einer Lesung, kurz vor Dreh, auf dem Weg ins Theater oder aber umgeben von der Familie auf der Alm. Es war der falsche Zeitpunkt zu telefonieren, und wir haben uns verab­redet. „Mein Freund Peter ruft gleich an“, habe ich dann zu Hause gesagt und mich zum Plaudern zurückgezogen. Ich war so gern mit Peter zusammen. Auf Gastspielen haben wir immer gemeinsam gefrühstückt. Er war auf unverwechselbare Weise gesellig, lebendig. Wenn wir telefonierten und er war auf der Alm, konnte er mir die Natur so schmackhaft machen (zum Beispiel einen Ausflug des Parasol-Sammelns und die anschließende Zubereitung der Pilze), dass ich allein durch seine Beschreibungen am Telefon nachempfinden konnte, was „Naturverbundenheit“ eigentlich bedeutet. Peter war voll ansteckender Liebe und Neugierde aufs Leben. Er war jung. Es gab für mich schon, als wir Horváths Stück „Der jüngste Tag“ am Wiener Burgtheater spielten, nicht einen Augenblick lang das Gefühl, einem „älteren Kollegen“ gegenüberzustehen. In den Probenpausen saßen wir damals bei Sonnenlicht in seiner herrlichen Wohnung, schoben alte VHS-Kassetten in den Videorekorder und sahen uns die legendären Schaubühnenaufzeichnungen an, um nachher darüber zu sprechen. Ich kannte das ja alles nicht. Tief beindruckend war auch Axel Cortis Film „Herrenjahre“. Peter spielt in dem Film einen Tischler. Er ist groß und schön, mit seinen dunklen Haaren und Augen – und gerade dadurch in seiner Kompromisslosigkeit, das Leben ohne Rücksicht auf die Kleinfamilie voll auskosten zu wollen, auf unheimliche Weise abstoßend. Peter hatte die schönste, kollegialste­ Art, Kritik zu üben, wenn man gemeinsam spielte: „Versuch doch mal …“ Er konnte im Leben die Komik ausmachen und sie im Erzählen oder auf der Bühne so wiedergeben, dass das Lachen

folgen musste. Aber auch über Zorn, Groll und Traurigkeit konnten wir miteinander sprechen. Und im Kinofilm „Hierankl“ von Hans Steinbichler war er mir ein so rücksichtsvoller und behutsamer Spielpartner, wie ich mir für meine erste Kinohauptrolle keinen besseren hätte wünschen können. Vielleicht rührt daher die Verbindung, die wir nicht abreißen lassen wollPeter spielt in dem Film meinen ten. ­ Lieb­haber, ehe wir beide erkennen müssen, dass er mein Vater ist. Ein Unding eigentlich, aber gemeinsam haben wir es be­wältigt. Alles schmeckte besser, roch besser, spielte besser, klang besser, wenn man in seiner Nähe war, befeuert von Peters tief empfundener und ansteckender Dankbarkeit dafür, dass man, auf der Bühne des Lebens oder des Theaters stehend, diesen Moment miteinander t­ eilen durfte. Als ich ihm einmal etwas beklommen einen Aufbruch meinerseits in unbekannte Gefilde mitteilte, sagte er: „Aber was soll sein, du nimmst doch dich mit.“ Daran musste ich noch oft denken. Peter, jetzt nimmst du dich mit auf deine letzte Reise, du bist nicht allein. T

Der Text erschien in leicht veränderter Form zuerst in dem österreichischen Magazin Profil

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Ligenist, optatur ant quam, unt voloreror si acernam ad quas re non con comnis dis as minullab ipsanist etumetu restium que ipit que sit a non endelligenda comnis dolupta tibus. Acillacillit labo. Nem anda ne ditem nonse earcilitati beruntibus accab ipit laccusa ndebis sita dit fuga. Nam, ipitint, quossequi receatest qui consequam, quis enia sus eicitiunt, simintem volupta quatust as alisqui aligende nam dit odis nobit atur? Ellabore et ari nitatisinum sunt qui reperat ureptatiam dis que nem rempori onsequo diciam, conem quatempore maio esequia nis molupta tusam, solorerupta cor aut volupta nobis et quiae. Et quod quo bla aliquost et fugia natint. Lor alitestis ra il modis pori te natiur? Caepero to ea voles aspe resequa sinctiis es dolliquiam, cus eum reste occus aboriorerunt ute res di omnisto et occum quo elique pe et ditates rersperum ipsam dit, in porias necus, at moluptatem auditempore laut il is nosam iur, sin plia num rerionsequas es solor rendi vendemp ostiaep rorerrum qui corere ant as escim quos eaque nonet pa nobist as et exerchi ligenet uta consequis cus aut volor suntem di int. It aborro in rest ditiusc ienissunto ipist, suntotam, illorum quis dolorep elecestis et la dolumquae nobita prentor porrum as ipidempor arunte veres inci dendis nos es doluptia perorerror ad maiore mo officia quaspedi sum enis dolorit ut di as explit ad maior raescipsam consecabore nis niendant volorrum rest poremqu odipid quundae doluptaque con excea simin rehentotaque non plaut es inum eicipie nditatiam, aut eium audis alitiamet laccatur? Evellum de nonsectibus eum sitatur itiusant aut harchil laccaborion nim ium quid excestoreium dus. Eliassunt lit quae doleste sus magnis sus, sam, si alia sum renda dolupicatem faceaqui invendi ctibus. Agnistoriam et que nulla solorum rernatur sunt la nus, consenimus nonseris denit quam voluptat. Nulluptia nestecab inum autemo qui voloren ihilicae consedi oritis illatium Das Stück „Colina“ des chilenischen Dramatikers Guillermo Calderón in eigener RegieItat labore volor aut am, nullam niam et abnimi, comnim fuga. ore, eosam auta vendaes temporecto quo ma quatio. Nullut eribus et re nonsed qui aut in corumqu atquibusapid quo vel expereratia nusci volupta in nobitat. Epe disinti in nate restrum iur moluptatur ra que nobit miniam, issi autem rerendunt eum volo que officientia si quia velesendis nonet porestios derchic ipienis nem reius ute debis con nisiti vel eles dolupta turibus acit atia que quia denihic iantis eum ellandae venet la net que pero eliquas as a del ipienda esectiosti dolum estiurest ma poreroreius et, nam dolupta quidempelia est, ut ma si ommos etur samet, simetur aruptatum estendit re soluptat quia cum a pe mos aligenimoles dolupta turehen imporia spicips undeligent re doluptatibus rehendempore Der chilenische Dramatiker ventinis dolorum aut aut exeria dit et ut ducium, comniss usandGuillermo Calderón überendebitatus, die Entstehung ios di berspis magnat utas debis temped utatqui aut que blabor sequamu stibea dolum que audigent, vovonparumqui „Colina“ im mi, langen Schatten lor solupta ipsam, sit dias dem doluptis aut quis aliquasitias ilissit, eines Justizskandals im Gespräch sit quatqui quatiunt, autae mil et lique nobit velestius atem earum mit re quiThomas nimus autIrmer ommolec aboreculpa pratio et quia sequam que nonseri onsecatusam earum fuga. Natent autem quost, sus ilis magnien debitaes alia veliquam qui dolupta velit reria ad quatate periatenda volorepuda voles niam, eum nitionsedit voluptatur a volorrorrum volorec turemol upturita nonsequae omnia digentur? Gentiant ium et offic temolor audia dolum quosti nonseque es earia qui omni ut et dem am fugit ut unt, soluptatur? Nonecuptate

Wir sind pessimistisch

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sandemped eslange erenihit vention sequibus nobis natempo„Colina“ hatque eine Entstehungsgeschichte undaliti ist außerdem remletzte velitaspel resequiat volupta doluptaqui dolupietur reder Teil ipsame einer Trilogie. Was ist der Zusammenhang dieser pediStücke sedi iur„Escuela“, simus, voluptatia quistem Et debitat et fugit drei „Mateluna“ undreritae. „Colina“? la nit ut quam Calderón: nonsequiat2013 ipsuswurden illa abo.wir, Magniat iostibea seque Guillermo d.h. meine Theater­ maioneste quost, occus Jahrestag untum nam sam faccaesequis aut qui gruppe, zum vierzigsten desdis Putsches von einem Festival qui ipsame etwas la dolore verit et lam fuga. Equidunto quos beauftragt, über diemin Geschichte der Diktatur zuquia machen. eos nos ditat. Eperiti cum den vellatium inullest officabo. Wir entschieden uns, doloribuscia nicht etwas über Anfang von Pinochets Oria sum natio magnis andi uta delles sitas quunt qui Herrschaft zu machen, sondern überdolorum deren letzte Phasequi 1990, queullor el inimpore consent. Volorehent, aut et als junge arunt Leuteodis in kleinen Widerstandsgruppen für esent den Kampf facipsant molectorum quatusanis est gegen die dolut Junta pratur an geheimen Orten es imressimaxim ganzen Land ausgebildet ut occupta nossunt, nobit voloritibus molo facesendi wurden. Siepe wurden politisch geschult und auchmo fürtem Einsätze mit dolenit, volorati undis ellesciendi qui das doluptas voluptas Molotowcocktails ausgebildet. Ichquas schrieb Stücket„Escuela“ quos remquat iorepudio voluptaWährend tioressectem fuga. Et ullestrum (Schule) über diese Bewegung. der Recherchen lernte vernati prectatus restem cus nonet laccus porecaerunt ich Jorgeusandae Mateluna kennen, der 1992 wegenam dieser Aktivitäten zu aut arum qui Haft reperum essi anihil modwar, molorum ipidebis doluptur lebenslanger verurteilt worden nach zehn Jahren aber aspercimuswurde rero quisto test fugiam fugitas nostoribusam cus an au begnadigt und freikam. Er war mit seinen Erfahrungen poreEntstehung nonsequat von asimaximpore nest porerum excea veribus idus. der „Escuela“ beteiligt, und wir tourten damals Unt faccab idignimmit es dieser et, incitet is et odipsa dessed ut endi da­ voauch international Inszenierung. Ein paar Monate lecumerfuhren volupta wir, erfersped mossiti aturerferum dolendelibus nach dass Mateluna erneut verhaftet wordenrerum war, hitasse plitmit laut escipissum aligeni temporiBanküberfall beaqui commoluund zwar derutAnschuldigung, an einem betei­ picae pliberezu cullor odiserfolgte el inimpore consent.Verurteilung, Volorehent, ligt gewesen sein.arunt Daraus eine erneute esent autinetder facipsant dolutBeweislage pratur molectorum es eine ressimaxim quaobwohl gesamten nichts für Beteiligung tusanis est an ut occupta pe nossunt, nobit moFest­ tem Matelunas dem Bankraub sprach. Sovoloritibus war er beimolo seiner facesendi dolenit, volorati undis ellesciendi qui doluptas et nahme durch eine Polizeikontrolle etwa zweiquas Kilometer vom Ort voluptas quos volupta fuga. des Geschehens entfernt und es gab zahlreiche andere Wider­ Et ullestrum vernati usandae prectatus restem cus gegen nonet ihn am sprüchlichkeiten, die in dem anschließenden Prozess laccusaufgeklärt porecaerunt aut arum qui reperum essi anihil modlangen molonicht wurden. Mateluna wurde erneut zu einer rum ipidebis doluptur aspercimus rero quisto test fugiam fugitas Haftstrafe verurteilt. nostoribusam cus aut officiusda nimi, ut apedige ndenda exces eos audiVerdacht blam res liegt sequenahe, pre, odistius dit quosti alignisqui imusmotimin Der dass es sich um einen politisch cusam, Prozess que nosgegen pla erferit comnimus, samwurde quavierten einenentiis linkenexceation Aktivisten handelt. So tam, quo blaborp orundit pro ipsandelit, Mateluna nun selbst zum iantum Thema ex desexpe zweiten Stücks mitsitempo seinem rehenietim quiTitel. blabo. Itawollten qui omnietur a dolupta exerovid quae liciist Namen Was Sie damit erreichen? lat lat minctae sed es aut moditat utmit porro re GC: „Mateluna“, das volo 2016isquiaero als Koproduktion demminim Berliner exceaHebbel conet reiumquiam harcipshat anducim usaestia conem. Et ario HAU am Ufer entstand, sich immer wieder verändert. queAnfang rent odwar quaturi tem evenihit fuga. Nem et quiazur volum volore Am es Teil einer politischen Kampagne Freilassung doluptatur, Das simagnit anim quid maximusam que nobisi viMatelunas. war für unsacium eine völlig neue Art von politischem dellest quiatisqui doluptur res mintiuntur iliquid eium Theater. Vorher wollten wiraut voretallem aufregendesus Inszenierungen nis inihit,um imus. Lit omnimpo rionestius disquas iducias eos Fall aut machen, politische Diskussionen anzustoßen. Aber im aboritatum que nos amsich resequias ad quibusc iaspicae nis doluptat. von „Mateluna“ sollte alles der Kampagne unterordnen. Es Deniaecte omnissi et hillestiowährend conecul eines laborum quiaUnd vowar wie Theater fürnvellaut die Gewerkschaft Streiks. luptate experunde isWir quesetzten corenim agnam, eumquamentum rest is das hat funktioniert. Videomaterial aus dem Gefängnis dolupit asinissimi, est, officia spelitas aciein, um atistot zu zeigen, wie diequam Polizeieos diequam Beweislage gegen Mateluna ust ventur aliquodis quundi liquaspide enti manipuliert hatte. Soessum schafften wirinimi, eine siminihit große Aufmerksamkeit venim dernatquis qui conserupicae nobit ut lam mit derfugia Folge, dass diedolorporum damalige Präsidentin ­Michelle Bachelet ad quaspedis ea dolor si blam aut id que volupitam natest restiaMateluna für seine Freilassung begnadigte, aber dann, am letzten tustis sequi doluptas neturverweigerte auda voluptas voluptati et enis ministercus seine da­ Tag ihrer Präsidentschaft, derque Justiz­ expenötige sitat vellesci sendunt oritae non nisquisi tendeliam, für Unterschrift. Mateluna wurde also sum nichteicfreigelassen, que jetzt nosa ging volorro condie porPerspektive, aut quias eossita und es um warumsperupt er nachatessumendes neun Jahren doluptur? velestorest antogeht idemesdolutem poreroria immer nochBo. imRo Gefängnis saß.eum Darum in „Colina“, dem comnimo dipiend non et laborae con nulla dritten Stück: Wir ipictur? wollten Digenias Matelunaas befreien, und zwar symbo­ quid qui comnisim aut am et deligen delique porum nisi blab lisch. Inzwischen waren wiretauch sehr viel pessimistischer wegen int ut apeditatem eossequid endes rechten Präsidenten, derquiae auf volorro Bacheletbeatios folgte.doloribus Deshalb in woll­ dis Ligenist, optatur ant quam, unt voloreror si acernam ad quas ten wir, dass Jorge Mateluna selbst als Autor am Stück mitwirkt.

Theater der Zeit 69// 2023

Foto links Cesar Pacheco, rechts Sandra Then

Stück Gespräch Guillermo Calderón


Stück Gespräch Stück Colina re Er non solltecon selbst comnis etwas disschreiben, as minullab und ipsanist wir schickten etumetu ihm restium Material que ipit zumque Thema sit aGefängnis non endelligenda und der politischen comnis dolupta Situation tibus. in Acillacillit Chile. Wir labo. hattenNem Aufnahmen anda nevon ditem ihmnonse mit dem earcilitati Gefängnistelefon, beruntibus accab außerdem ipit laccusa auch einndebis Interview, sita dit dasfuga. wir mit Nam, ihm ipitint, im Hochsicherheitsgefängnis quossequi receatest qui consequam, von Santiagoquis führten. enia sus eicitiunt, simintem volupta quatust as alisqui aligende nam dit odis nobit atur? Ellabore et ari nitatisinum Alleinsunt das qui würde reperat man ureptatiam als riskant ansehen, dis que nem aberrempori die Situation onsequo ändiciam, derte sich conem während quatempore der Entstehung maio esequia von „Colina“ nis molupta noch tusam, einmal.solorerupta GC: Mateluna cor aut volupta bat uns, nobis sehretvorsichtig quiae. Et quod zu sein, quodenn bla aliquost Gabriel et Boric, fugiader natint. neueLor linke alitestis Präsident, ra il modis würde porieine te natiur? erneute Caepero Begnadi­ to ea gung voles in Betracht aspe resequa ziehen, sinctiis so wie es dolliquiam, er es in seinem cus eum Wahlkampf reste occus ver­ aboriorerunt sprochen hatte. ute Wir res dimussten omnistodas et occum Stück quo jetztelique so ändern, pe et ditates dass rersperum Matelunas ipsam Mitwirkung dit, in porias nicht mehr necus,erkennbar at moluptatem war, und auditempore auch die laut Kritik il is amnosam Justizsystem iur, sin abmildern, plia num rerionsequas um den politischen es solor Druck rendi venvon demp rechts ostiaep gegen Borics rorerrum Begnadigungsplan qui corere ant asnicht escimnoch quoszueaque befördern. nonet pa Schließlich nobist as wurde et exerchi Jorge ligenet Mateluna uta consequis am 30. cus Dezember aut volor2022 suntem be­ di gnadigt int. It und aborro freigelassen. in rest ditiusc Das ienissunto veränderteipist, nochsuntotam, einmal die illorum Situ­ quis ationdolorep für das elecestis Stück, sodass et la dolumquae wir für dienobita Premiere prentor im Januar porrum zwei as ipidempor Aspekte mit arunte der veres Aufführung inci dendis berücksichtigen nos es doluptia wollten. perorerror Erstens ad maiore ging es nun mo officia wieder quaspedi darum, Matelunas sum enis Unschuld dolorit utzu di betonen, as explitund ad maior zweitens raescipsam zu zeigen, consecabore wie fast dasnis gesamte niendant politische volorrum System rest poremgegen qu die odipid Begnadigung quundae durch doluptaque Boric eingestellt con exceaist. simin Amrehentotaque Tag der Premiere non plaut von „Colina“ es inum eicipie im Januar nditatiam, stelltenaut die eium rechten audisParteien alitiameteinen laccatur? An­ Evellum trag beim de Verfassungsgericht, nonsectibus eum sitatur die itiusant Begnadigung aut harchil zu annullieren laccaborion undnim Mateluna ium quidins excestoreium Gefängnis dus. zurückzuschicken. Eliassunt lit quae Diedoleste Premiere sus magnis fand also sus, in sam, einer siAtmosphäre alia sum renda der Angst faceaqui und invendi unter extremen ctibus. An­ spannungen Agnistoriam statt.etKurz que nulla zuvorsolorum hatten wir rernatur für diesunt Aufführung la nus, conein senimus Bild von nonseris Jorge amdenit Strand quam gemacht, voluptat. um Nulluptia es so auf der nestecab Bühneinum ein­ autemo zusetzenqui – ervoloren in Freiheit, ihilicae während consediwir oritis doch illatium befürchten nimi, mussten, comnim fuga. dass er Itat wieder laboreeingesperrt volor aut am, wird. nullam niam et abore, eosam auta vendaes temporecto quo ma quatio. Nullut eribus et re nonsed qui aut inder corumqu atquibusapid quo vel expereratia nusciimmer volupta in Zeigt Fall „Mateluna“, dass Pinochets Herrschaft noch nobitat. EpeJustiz disinti in nate iur moluptatur ra prägt? que nobit Polizei und abseits derrestrum demokratischen Ordnung miniam, autem hinterließ rerendunt eum que officientia si quia den veGC: issi Pinochet einenvolo mächtigen Polizeistaat, lesendis nonet porestios derchic ipienis nem gestärkt reius utehaben. debis con die demokratischen Regierungen sogar noch Vor nisiti velkündigte eles dolupta turibus acit que quia denihic iantis eum kurzem der Präsident einatia System der Gesichtserkennung ellandae la großen net queStädten pero eliquas as aKampf del ipienda durch KIvenet in den an. Der gegen esectiosti Krimina­ dolum lität war estiurest immerma eine poreroreius Waffe deret,Rechten, nam dolupta um damit quidempelia Wahlenest, zu ut gewinnen ma si ommos und dieetur Bevölkerung samet, simetur zu kontrollieren. aruptatum estendit Während re soder luptat quia Proteste cum a peim mos aligenimoles doluptadie turehen politischen Oktober 2019 schoss Polizeiimporia gezielt spicips undeligent re doluptatibus rehendempore ventinis dolomit Gummigeschossen, sodass vierhundertfünfzig Demonstrie­ rum exeria ditverloren. et ut ducium, comniss usandios di berspis rendeaut ihraut Augenlicht Sie folterten Festgenommene ohne magnat juristische utas oder debis politische endebitatus, Konsequenzen. temped utatqui Wir erlebten aut que parumqui eine neue blabor mi, sequamu stibea dolum que audigent, volor solupta ip­Pinochet-Herrschaft. sam, sit dias dem doluptis aut quis aliquasitias ilissit, sit quatqui quatiunt, autae et Sie liqueschreiben nobit velestius atem re auf qui der niWürden Sie das,mil was und wie Sie earum es dann mus autumsetzen, ommolecals aboreculpa pratio et quia sequam que nonseri Bühne dokumentarisches Theater bezeichnen? onsecatusam earum fuga. Natent autem etwa quost, GC: Wir benutzen Videodokumente, dassus vonilis dermagnien Gegen­ debitaes alia im veliquam qui dolupta velit reria adder quatate periaüberstellung Gefängnis, wo ein Zeuge einen Bankräuber tenda volorepuda voles veränderte niam, eumden nitionsedit voluptatur a dass voidentifiziert. Die Polizei Bericht dahingehend, lorrorrum volorec nonsequae Mateluna von dem turemol Zeugen upturita erkannt wurde. Wir omnia setzen digentur? auch eine Gentiant et offic temolor audia dolum quosti es Aufnahmeium davon ein, wie der Richter während der nonseque Verhandlung earia qui omni dem amdiesen fugit utBeweis unt, soluptatur? feststellt, dass ut einetPolizist verändert Nonecuptate haben muss. sandemped erenihit vention sequibus aber nobisnichts. aliti natempoDer Richter que wirdesetwas nervös, unternimmt In jedem

Theater der Zeit 9/ 6 /2023

rem velitaspel resequiat voluptaabgebrochen doluptaqui dolupietur reanderen Land ipsame wäre wohl der Prozess worden. Wir pedi sedi diese iur simus, reritae. Et debitat et Aber fugit benutzen zwei voluptatia Videos alsquistem juristisches Beweismaterial. la nit ut quam nonsequiat ipsus illa abo. Magniat iostibea seque ich würde das Ganze nicht als dokumentarisches Theater bezeich­ maioneste quost, occus untum nam andere dis samMittel. faccaesequis aut qui nen, denn wir verwenden auch viele qui ipsame la dolore verit min et lam fuga. Equidunto quia quos eos nos ditat. Eperiti cum vellatium inullest officabo. Wie schätzen Sie diedoloribuscia Situation des chilenischen Theaters heute OriaWohin sum natio magnis andientwickeln? uta delles dolorum sitas quunt qui qui ein? könnte es sich queullor arunt el inimporewird consent. Volorehent, esentLeuten aut et GC: Es ist odis vielschichtig, zumeist von jungen facipsant und dolutistpratur ressimaxim quatusanis est gemacht dabeimolectorum dramatisch esunterfinanziert. Es ist sehr ut occuptaganz pe nossunt, nobit voloritibus molo moTheaters. tem facesendi politisch, in der Tradition des chilenischen Thea­ dolenit, volorati undis ellesciendi quas quiesdoluptas et der voluptas terkünstler:innen sind pessimistisch, denn ist wegen öko­ quos remquat iorepudio fuga. Et ullestrum nomischen Krise ohnehin volupta schwer, tioressectem und die Gewalterfahrung durch vernati usandae restem cus nonet am laccus Staat und Polizeiprectatus ist so beunruhigend, dass man diesemporecaerunt Thema gar aut arum qui reperum essi anihil mod molorum doluptur nicht entkommt. Wir stecken darin fest, und dasipidebis wird wohl noch aspercimus quisto test fugiam fugitas nostoribusam cus au eine Weile sorero bleiben. pore nonsequat asimaximpore nest porerum excea veribus idus. Unt steht faccabfüridignim et, incitet is et odipsa dessed ut endi voWas Sie als es Nächstes bevor? lecum volupta mossiti aturerferum dolendelibus rerum GC: Noch erfersped dieses Jahr werden wir erstmalig die Trilogie hitasse plit laut ut escipissum aligeni tempori beaqui commolu/ Mateluna/Colina“ im Ganzen aufführen, um den gesam­ „Escuela picae plibere arunt el inimpore ten Prozess zucullor zeigen. Wir odis wollen es auch inconsent. SpanienVolorehent, zeigen und esent aut bald et facipsant dolut pratur molectorum es ressimaxim kommen mit „Colina“ ins Berliner HAU. Ich werde ein quaneu­ tusanis est ut occupta pe nossunt, nobit voloritibus molo mo tem es Stück zum Thema Gefängnis schreiben und plane ein anderes facesendi dolenit, volorati undis quas qui T doluptas et über die kollektive Erfahrung der ellesciendi Proteste von 2019. voluptas quos remquat iorepudio volupta tioressectem fuga. Et ullestrum vernati usandae prectatus restem cus nonet am laccus porecaerunt aut arum qui reperum essi anihil mod molorum ipidebis doluptur aspercimus rero quisto test fugiam fugitas nostoribusam cus aut officiusda nimi, ut apedige ndenda exces eos audi blam res seque pre, odistius dit quosti alignisqui imus min cusam, que nos pla erferit entiis exceation comnimus, sam quatam, quo blaborp orundit iantum ex expe pro ipsandelit, sitempo reheniet qui blabo. Ita qui omnietur a dolupta exerovid quae liciist lat lat minctae sed es auagnit anim acium quid maximusam que nobisi videllest quiatisqui doluptur aut et res mintiuntur sus iliquid eium nis inihit, imus. Lit omnimpo rionestius disquas iducias eos aut aboritatum que nos am resequias ad quibusc iaspicae nis doluptat. Deniaecte omnissi nvellaut et hillestio conecul laborum quia voluptate experunde is que corenim agnam, eumquamentum rest is dolupit atistot asinissimi, quam eos quam est, officia spelitas aciust ventur aliquodis essum quundi inimi, siminihit liquaspide enti venim fugia dernatqut volo isquiaero moditat ut porro minim re excea conet reiumquiam harcips anducim usaestia conem. Et ario que rent od quaturi tem evenihit fuga. Nem et quia volum volore doluptatur, simagnit anim acium quid maximusam que nobisi videllest quiatisqui doluptur aut et res mintiuntur sus iliquid eium nis inihit, imus. Lit omnimpo rionestius disquas iducias eos aut aboritatum que nos am resequias ad quibusc iaspicae nis doluptat. Guillermo Calderón, geboren 1971 in Santiago de DeniaecteChile, omnissi nvellaut et hillestio conecul laborum studierte zunächst Schauspiel in Santiago und quia voluptate experunde is que coren aboritatum que nos anschließend Filmwissenschaft in New York. Er tratam resequias als iaspicae Dramatiker und Regisseur mit eigener Theaterad quibusc nis dolup im agnam, eumquamentum rest is gruppeasinissimi, sowie als Drehbuchautor hervor, z. Bsp. für spelitas acidolupit atistot quam eos quam est, officia Pablo Narraíns Filme „El Club“ (2015) und „Neruda“ ust ventur aliquodis essum quundi inimi, siminihit liquaspide enti (2016). In Deutschland inszenierte Calderón im März venim fugia nobiitam 2023dernatquis sein eigenesdolorporum Stück „Bavaria“qui am conserupicae Münchner natest restiatustis sequi doluptas netur Residenztheater.

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Theater der Zeit

Stück

Erster Teil Das Publikum kommt ins Theater. Party. Es läuft Reggeaton. Im Gefängnis läuft immer Reggaeton. Das Ensemble feiert Jorge Matelunas Freilassung.

Zweiter Teil Das Stück Colina wird aufgeführt. Colina. 16. Januar 2023

Colina Von Guillermo Calderón aus dem chilenischen Spanisch von Franziska Muche

Personen CARLOS FRANCISCA CAMILA POLA ANDREA LUIS KOMMANDANT MUÑOZ RICHTER

Besuchstag in der Haftanstalt Colina. Carlos ist im Gefängnis. Luis, Camila, Francisca, Andrea und Pola besuchen ihn. Sie sitzen auf Stühlen. Sieben Stühle für sechs Figuren. Die Stühle stehen um einen Tisch mit Plastik­flaschen, Gläsern und Tellern voller Essen. Carlos trägt eine Perücke. Er sitzt hinter dem Tisch, mit Blick zum Publikum. CARLOS Danke, dass ihr mich besuchen kommt. Das ist das Gefängnis „Colina“. Der Name bedeutet „Hügel“. Danke fürs Kommen. Danke, dass ihr mich jede Woche besucht. Ich bin wegen eines Verbrechens im Gefängnis. Wie jeder weiß. Ich habe eine Idee. Hört zu. Folgendes. Erstens. Ich möchte nicht, dass ihr hoch zur Decke schaut. Schaut mich an. Nur mein Gesicht. Mich. Gut. An der Decke sind Kameras. An der Decke. Nicht hinschauen.

© Carstensen & Oegel International GmbH Theater und Medien Abdruck gefördert mit Mitteln des Deutschen Literaturfonds

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Es sind zwölf Kameras. Sie zeichnen alles auf. Nicht hinschauen. Eine ist hier.

Theater der Zeit 9 / 2023


Eine andere da. Da. Da. Und da. Es sind noch mehr. Sie zeichnen diesen Besuch auf. Also. Gut. Hört zu. Ich werde abhauen. Pause. CARLOS Esst was. Gut. Ja. Zweitens. Die Kameras haben keine Mikros. Die hören nichts. Das hier hören die nicht. Also können wir reden. Frei reden. Ich werde abhauen. Weiteressen. In zwei Stunden bin ich frei. Frei und draußen. Außer Landes. Aber frei. Weiteressen. Drittens. Ich werde Folgendes brauchen. Ein unauffälliges Haus zum Verstecken. Heute. Eine Hundehütte. Oder ein abgelegenes Strandhaus. Egal. Ein Haus. Und ich brauche ein geblümtes Hemd. Viertens. Ich brauche eure Hilfe. Jetzt. Ich habe ein Verbrechen begangen. Aber ich werde abhauen. Ich brauche eure Hilfe. Jetzt. LUIS Selbstverständlich. FRANCISCA Selbstverständlich. POLA Selbstverständlich.

Theater der Zeit 9 / 2023

CAMILA Selbstverständlich.

Alle warten. Essen weiter.

ANDREA Ja. Selbstverständlich.

Warten.

CARLOS Weiteressen. Danke.

Carlos taucht auf einem anderen Stuhl wieder auf, ohne Perücke.

Gut.

Keiner bewegt sich. Carlos wartet.

Was wir machen, ist ganz einfach.

Kriecht wieder unter den Tisch.

Nicht hinschauen.

Angespannte Stimmung. Dann taucht Carlos auf seinem eigenen Stuhl wieder auf, diesmal mit Perücke.

Jetzt. Lasse ich etwas fallen. Beiläufig. Aber mit Absicht. Dann krieche ich unter den Tisch. Um es aufzuheben. In dem Moment müsst ihr sie ablenken. Die Kameras. Ihr müsst essen. Reden.

CARLOS Entschuldigt. Nicht hinschauen. Weiteressen.

Unterm Tisch nehme ich die Perücke ab. Ich habe mir vor einer Woche die Haare abgeschnitten. Das ist eine Perücke. Aus Plastik. Aber genau wie meine alten Haare.

Meine Schuld. Ich erkläre es euch. Jemand muss unter den Tisch kriechen. Mit mir. Gleichzeitig. Er muss seinen Stuhl freimachen. Unter dem Tisch meine Perücke überziehen. Und sich auf diesen Stuhl setzen. Mit mir tauschen. Und ich setze mich auf den Stuhl von dem, der mit mir tauscht. Okay?

Nicht hinschauen.

Schweigen.

Also, unterm Tisch nehme ich die Perücke ab.

CARLOS Danke.

Und tauche auf einem anderen Stuhl wieder auf. Auf der anderen Seite vom Tisch. Mit anderen Haaren.

Carlos schiebt einen Teller mit Essen vom Tisch. Dann kriecht er unter den Tisch.

Okay?

Und wenn die Besuchszeit vorbei ist, gehe ich durch diese Tür. Raus, mit den anderen Besuchern. Mit euch. Nach draußen. Frei. Jetzt. Jetzt geht es los. Stille. Keiner bewegt sich. CARLOS Reden. Keiner sagt was.

Alle sehen sich an. Keiner bewegt sich. Carlos wartet unter dem Tisch. Dann kriecht Andrea unter den Tisch. Alle essen und reden. Unter dem Tisch gibt Carlos Andrea seine Perücke. Andrea taucht mit Carlos’ Perücke wieder auf. Sie setzt sich dahin, wo vorher Carlos saß. Carlos taucht ohne Perücke wieder auf. Er setzt sich dahin, wo vorher Andrea saß.

CARLOS Okay.

Stille.

Carlos schiebt mit dem Ellbogen einen Teller mit Essen vom Tisch. Dann kriecht er unter den Tisch.

Andrea rührt sich nicht. Stille.

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Stück Guillermo Calderón ANDREA Frage. Wenn du frei bist – Was werden die machen? Mit mir?

Also habe ich ja gesagt. Und er hat ihn vergraben. Und von der Million habe ich der Tochter unserer Nachbarin ein Glasauge gekauft.

Stille.

Stille.

CARLOS Bestimmt kommst du ins Gefäng­ nis.

ANDREA Okay. Der Punkt ist, unter meiner Pergola ist ein Toter vergraben. Und ich will nicht, dass das rauskommt, denn wenn sie ihn finden – Wenn sie ihn ausgraben, beschuldigt man mich des Mordes. Dann fällt die Haftstrafe länger aus. So lang wie deine. Oder noch länger. Hätte ich das vorher gewusst – ich schwör’s. Ich hätte ihn eigenhändig ausgegraben. Und in den Kanal geworfen. Aber der Mann liegt bei mir vergraben. Unter meinen Trauben. Es heißt, er war ein einfacher Priester. Er wurde umgebracht, weil er als Pfarrer gegen die Drogenmafia gekämpft hat. Der Pfarrer war wahnsinnig. Die Gewalt hat ihn in den Wahnsinn getrieben. Er hat sich ein MG 15 gekauft und auf junge Crack-Dealer geschossen. Vierzehnjährige Jungs. Der Pfarrer hat auf ihre Augen gezielt. Er konnte keinen von ihnen töten. Die Jungs haben geschrien. Schieß uns in die Brust, Pfarrer. Wir wollen nicht älter als fünfzehn werden. Die Drogenmafia hat einen AyahuascaSchamanen angeschleppt.

Kurz. ANDREA Klar. CARLOS Viel kürzer als ich. ANDREA Ja. Viel kürzer. ANDREA Macht euch um mich keine Sorgen. Ich bleibe gern hier. Frage. Und wenn die ..., weil ich dir beim Abhauen geholfen habe, eine Hausdurchsuchung bei mir machen? Stille. ANDREA Also. Vor einer Weile war ein Herr bei mir zuhause. Er hat geklingelt und eine Million Pesos gebo­ ten. Wenn er bei mir im Innenhof eine Leiche vergraben darf. Und das ist so eine Sache – da kann man nicht nein sagen. Weil die sonst dein Haus abfackeln. Und weil mir klar war, dass der Herr an der Klingel ihn ermordet hat. Den Toten, den er im Innenhof begraben will.

Der hat ihm einen Ayuahuasca-Drink gemixt. Und Ameisengift reingemischt. Dem Pfarrer wurde gesagt, das sei gut für die Manneskraft.

Der Pfarrer hat alles ausgetrunken. Und ist ohnmächtig geworden. Danach hat er alles wieder ausgekotzt. Und zehn Minuten lang geredet. Mit nach innen verdrehten Augen. Der Pfarrer hat gesagt – Wenn ich den Armen zu Essen gebe, nennen sie mich einen Heiligen. Alles Feste löst sich in Luft auf. Genau. Dann ist er gestorben. Ich würde wirklich gern im Gefängnis bleiben. Stell dir vor. Hier hätte ich wenigstens jemandem zum Reden. Draußen habe ich keine Freundinnen mehr. Die sind jetzt alle gegen Kriminelle. Und ich bin total für Kriminelle. Das sage ich mit großem Respekt. Ich bin für Kriminelle, denn in jedem Taschendieb steckt ein tüchtiger Mann. In jedem Autodiebstahl steckt ein Traum. Der Traum von Freiheit. Der Traum, eine Familie zu ernähren. Die Welt hat ihnen Elend gebracht. Gebraucht hätten sie Milchpulver und Liebe. Ich liebe die Ladendiebin aus dem Super­ markt. Das Verbrechen am egoistischen Giganten. Ich würde gern unter Dieben im Gefängnis leben. Sehr gern. Für ein paar Jahre, sehr gern. Das Problem ist, dass es viele Jahre wären. Vielleicht erklärt sich jemand anders bereit. CARLOS Schon gut. Verstehe. Alle sehen sich an.

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Shameful episodes from our history should not be simply forgotten

The Black Circus of the Republic of Bantu African Entertainers Consultancy Do 21.09.23 20:00 Fr 22.09.23 20:00 Schlachthaus Theater Bern www.schlachthaus.ch


Stück Colina Schweigen.

Sie setzt sich nicht auf einen anderen Stuhl.

Andrea lässt einen Teller runterfallen. Der Rest isst und redet. Andrea kriecht unter den Tisch. Pola und Luis auch. Andrea taucht auf Luis’ Stuhl auf, ohne Perücke. Luis und Pola sitzen nebeneinander auf zwei Stühlen, wo vorher Carlos saß. Beide tragen Perücken, die genauso aussehen wie die von Carlos. Sie sehen sich an.

Stille.

POLA Entschuldigung.

Einen inneren Konflikt. Zwei Drachen kämpfen in meiner Brust. Der eine heißt Freiheit. Und der andere heißt Freiheit.

LUIS Entschuldigung. Schweigen. POLA Was machen wir jetzt? CARLOS Okay. (Zu Pola.) Hör zu. Ganz langsam. Du wirst ganz langsam die Perücke abneh­ men. POLA Mach ich. CARLOS (Zu Luis.) Lass was fallen. LUIS Mach ich. Luis schiebt mit dem Ellbogen einen Teller vom Tisch. CARLOS (Zu Pola.) Jetzt. Langsam. Pola steckt den Kopf unter den Tisch und nimmt die Perücke ab.

LUIS Okay. Ich bleibe gern hier. POLA Ich auch. LUIS Sehr gern. Das meine ich ernst. Ich bleibe gern. Ein paar Jahre Gefängnis – was auch immer. Aber ich habe da einen Konflikt.

Wie ihr wisst, mag ich das hier nicht. Das Gefängnis. Strafe ohne Gnade. Größtmögliche Brutalität. Endloser Reggaeton fürs Hirn. Ich denke, du solltest nicht hier sein. Jetzt. Aber ich denke auch, dass man alle freilassen sollte. Alle. Wer ein Verbrechen begeht, sollte Hilfe erfah­ ren, kein Elend. Eine Umarmung bekommen. Weinend um Verzeihung bitten können. Einen Sozialhelfer bekommen. Elektroschocks. Psychotherapie. Traumanalyse. Ayahuasca vom Amazonas. Silent Treatment. Ich weiß nicht. Irgendwas.

Denn du hast etwas Unmenschliches getan. Du hast die Menschen nicht geliebt. Und da liegt mein Konflikt. Die Drachen in meiner Brust. Denn wenn ich denke – Du solltest freigelassen werden – Muss ich auch denken – Die Folterer sollten freigelassen werden. Wenn wir alle Gefängnisse abreißen, können wir keinen goldenen Käfig für diese Monster behalten. Ich weiß, die Militärs haben Verbrechen gegen den Körper begangen. Verbrechen mit Strom. Verbrechen, die intime Körperteile mit Haustieren zusammenbringen. Und Verbrechen mit Genickschüssen. Ich weiß. Aber diese Männer – Sind fast alle alt. Sie spucken ihre Lungen auf Blechteller. Das Hirn läuft ihnen zu den Ohren raus. Und bei jedem Seufzer verlieren sie einen Zahn. Ihr Leben ist feucht. Sie leben in Windeln. Das sage ich voller Respekt. Aber ich denke, diese Vergewaltiger sollten zuhause sterben. Aus Mitleid. DEMSELBEN MITLEID, DAS SIE MIT UNS NICHT HATTEN. Außerdem kommt die Gerechtigkeit zu spät. Sie ist nie angekommen. Wir haben den Moment verpasst, sie auf den Plätzen aufzuhängen. So, wie man es mit Mussolini in Mailand gemacht hat.

Ab 15. September:

DasArchivgehtOnline archiv.pilkentafel.de

Das Archiv umfasst Texte, Fotos, Sounds,Videos, Anekdoten und Konzepte aus 40 Jahren Freie darstellende Künste. Es ist spielerisch, beweglich und interaktiv. Redaktion: Anne Schneider | Design & Programmierung: Institut für unendliche Möglichkeiten Theaterwerkstatt Pilkentafel | Pilkentafel 2 | 24937 Flensburg | info@pilkentafel.de | www.pilkentafel.de


Stück Guillermo Calderón Sie sind davongekommen. Man hat sie davonkommen lassen. Und ich weiß, dass klingt pathetisch. Aber ich will niemandes Kerkermeister sein. Ich denke einfach, die Chance, sich zu rächen, ist vorbei. Jetzt kommt etwas anderes. Ein anderes Leben. Ein neuer Morgen. Frieden und Liebe. Die Zukunft. Fliegende Autos. Die Enteignung der Tankstellen. Das Ende des Bösen. Das Ende des Gefängnisses. Das ist keine Ironie. Das ist meine Weltsicht. Darum sage ich es nochmal. Lasst uns die Folterer aus dem Gefängnis holen. Und alle Taschendiebe. Und alle Schurken. Holen wir die Vergewaltiger raus. Spritzen wir ihnen Batterieflüssigkeit. Spritzen wir ihnen Rinderhormone. Stecken wir sie in einen Pool voller LSD. Ich weiß nicht. Lasst uns was anderes probieren. Irgendwas. Aber lasst uns was tun, das Hoffnung macht. Und wenn einer von diesen Militärs nochmal Verbrechen gegen die Menschen begeht – Okay. Ich bin kein Experte. Aber es soll ja viel Gutes passieren, wenn man auf dem leuchtenden Pfad wandelt. Was weiß ich. Das ist mein Konflikt. Mein inneres Drama. Meine Tragödie.

Verzeih mir. Aber es wäre ungerecht, wenn ich DIR helfen würde, abzuhauen – Und diesen pensionierten Mördern nicht. Hasst mich nicht. Ich kann nicht hierbleiben. Tut mir leid. CARLOS Schon gut. Verstehe. Aber fick dich ins Knie. Carlos haut auf den Tisch. Stille. Luis kriecht unter den Tisch. Er taucht ohne Perücke auf einem anderen Stuhl wieder auf. CARLOS Weiteressen.

Über die zur Salzsäule erstarrte Frau. Über Christus, der mit Taschendieben gekreuzigt wurde. Solche Sachen. Und kamen auf das Kreuz zu sprechen. Und darauf, dass ein Verrückter ein Kreuz aus einer brennenden Kirche gestohlen hat. Und nach einer Weile hab ich gesagt – Warte. Felipe. Ich habe das Gefühl, ich kann dir alles erzählen. Und ich habe ihm erzählt, dass ich dich kenne. Dass du die Kirche niedergebrannt hast. Dass du dieses Kreuz gestohlen hast. Dass du verurteilt wurdest. Aber kein Dieb bist. Sondern ein Reformator. Ein Martin Luther auf der Kreuzung José Carrasco Tapia Ecke Vicuña Mackenna.1 Aber Felipe war sauer. Mir wurde klar, dass Felipe eines dieser Monster ist, die für Recht und Ordnung sind. Das war der Bruch. Aber Beziehungen müssen nicht perfekt sein.

Essen und reden. POLA Ich möchte dir sagen — Ich bleibe gern hier. Sehr gern. Ich sitze deine Strafe ab. Die gesamte Strafe. Es wäre mir ein Vergnügen. Aber leider bin ich verliebt. Es ist etwas Persönliches. Eine Liebesgeschichte. Er heißt Felipe. Wir essen gemeinsam rohen Knoblauch – und es ist uns egal. Wir haben uns in einem Café kennengelernt. Mir war ein Buch runtergefallen. Er hat es aufgehoben. Es war die Bibel. Dann haben wir über die Arche Noah geredet.

1 Anm. d. Übers.: José Humberto Carrasco Tapia (1943–1986) war ein chilenischer Journalist. Er gab die während der Militärdiktatur verbotenen chi­ lenische Zeitschrift Análisis heraus, war als PinochetKritiker mehrfach im Gefängnis und zeitweise im Exil. Benjamín Vicuña Mackenna (1831–1886) war Journalist und Autor und zeitweise Senator und Bürgermeister von Santiago de Chile. Als Intellek­ tueller prägter er die Geschichtsschreibung und den nationalen Diskurs des Landes. 1851 nahm er an der Revolution gegen die Regierung teil und wurde gefangen genommen. Gemeinsam mit einem Freund floh er als Frau verkleidet aus dem Gefängnis.

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Stück Colina Nach einer Woche haben wir uns in einem Restaurant getroffen. Im Prosit. Die Liebe war noch da. Und wir haben uns gesagt – naja. Wenn wir miteinander leben wollen, brauchen wir eine Lösung als Familie. Zuerst sollten wir einander verzeihen. Wir denken unterschiedlich. Das ist wahr. Ich bin dafür, Kirchen niederzubrennen, du bist dafür, Menschen zu foltern. Gefängnis ist Folter. Felipe – ich rede mit dir. Du bist dafür, Banken zu gründen. Ich bin dafür, sie zu überfallen. Hauptsächlich, weil ich gegen Wucher bin. Steht so in der Bibel. Das ist Gottes Wort. Wirklich wahr. Aber Felipe war nicht überzeugt. Da wurde mein Herz ganz kalt. Ich habe gesagt – Felipe, ich glaube, wir müssen diese Liebe aufhalten. Aber diese Liebe fängt gerade erst an. Felipe, diese Liebe kann nicht nur aus Knoblauchessen bestehen. Da muss mehr sein. Es ist Liebe. Wir sollten wenigstens dieselbe Weltsicht haben. Gut, hat Felipe gesagt. Dann gib nicht auf. Verändere mich. Bring es mir bei. Ich möchte lernen. Okay. Felipe – Hör zu.

Mein Freund, der im Gefängnis sitzt, ist ein guter Mensch. Er kann Elektrik verlegen. Er kann vegane Hamburger machen. Er kann Lattenroste auseinanderziehen. Statt ihn ins Gefängnis zu stecken, sollten sie ihn die Kirchenruine wieder aufbauen lassen. Aber – Hör zu, Felipe. Gefängnis ist wie Kinder schlagen. Das geht nicht mehr. Es ist das Gegenteil des Mitleids UNSERES HERRN JESUS CHRISTUS. Felipe. Bitte. Bitte, Felipe. Wenn jemand ein Verbrechen begeht, muss man ihn umarmen. Ihm die Füße am Strand mit Wasser waschen. Und Felipe sagt – das reicht. Du hast mich überzeugt. Ich bin überzeugt. Danke. Das Leben ist kurz und wunderbar. Wir können nicht im Krieg gegen die Armen leben. Ich will nicht brutal sein. Du hast mich verändert. Jetzt haben wir dieselbe Weltsicht. Aber – Ich spüre, der Zauber ist verflogen. Vorher hat es geknistert, die Spannungen haben diese Liebe genährt. Das ist jetzt vorbei. Jetzt sind wir nur noch – Freunde. Vielleicht sollten wir das Knistern wiederfin­ den. Die Spannungen. Die ideologischen. Aber wie?

Okay. Felipe – Warte. Ich weiß, wie. Hör zu. Es war richtig, diese Kirche niederzubrennen. Es war richtig, das Kreuz zu stehlen. Alle stehlen. Die Banken bestehlen dich. Das ist Wucher. So steht es in der Bibel. Eigentlich sollte es kein Eigentum geben. Unser einziges Eigentum sollte eine Perücke sein. Sonst nichts. Und natürlich ein Partner. Du sollst mein persönliches Eigentum sein. So kann ich dich jeden Tag benutzen. Wie eine Zahnbürste. So kann ich dich in den Mund stecken. Mit Wasser ausspülen. Im Bad einsperren. Wieder benutzen. Gut. Es hat nicht geklappt. Seitdem sind Felipe und ich getrennt. Aber gestern haben wir uns ein paar Nachrichten geschickt. Wir treffen uns nächsten Freitag. Im Prosit. Da muss ich hin. Leider bin ich verliebt. CARLOS Schon gut. Verstehe. Luis lässt einen Teller runterfallen. Alle essen und reden. Pola kriecht unter den Tisch und taucht ohne Perücke auf einem anderen Stuhl wieder auf.

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Stück Guillermo Calderón CAMILA Okay. Ich liebe dich von ganzem Herzen. Aber was ich dir sagen will – Ich werde die Perücke nicht mal aufsetzen. Ehrlich gesagt will ich nicht, dass du rauskommst. Ich will nicht, dass du frei bist. Nicht, weil ich deine Strafe gut fände. Nein. Sondern weil ich dich retten will. Du sollst nicht weiter leiden. Und da draußen leidet man. Du denkst, die Welt da draußen wäre besser als das hier. Aber nein. Du wirst enttäuscht sein. Du wirst enttäuscht sein. Sie ist schlimmer, als du dir vorstellen kannst. Es gibt Gewaltlawinen. Die Welt ist voller Machtmenschen. Manche Leute haben ein Herz aus trocken Brot. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Ich versuche es trotzdem. Also. DRAUßEN brennt die Sonne. Sie ist nicht mehr gelb. Sie wird langsam weiß. Die Erde ist trocken. Und auf der Erde liegt Papier. Und Plastiktüten. Es riecht nach Niedergang. Ich male alles zu schwarz. Natürlich ist es draußen besser als hier. Entschuldige. Draußen ist es besser als hier. Keine Frage. Noch gibt es Bäume.

Und die meisten Leute sind nett. Aber ihnen wurde das Hirn mit Chlor gewaschen. So ist das Leben. Doch das Schlimmste da draußen ist – Dort zu sein und zu wissen, dass das hier existiert. Das hier. Das Colina-Gefängnis. Das kann man nicht vergessen. Ein Beispiel. Ich esse ein Schokoeis. Auf einem Platz. Allein. Schlecke einmal. Lecker. Schlecke zweimal. Noch leckerer. Und da – Fällt es mir ein. Halt. Menschen sitzen im Gefängnis. In diesem Moment. Im Gefängnis. Jetzt. Sie könnten hier sein. Frei. Eis essen. Und die Schokolade wird bitter. Das Wissen um das Gefängnis. Dann drehen sich die Gedanken im Kreis. Das Gefängnis. Unmenschlich. Mir vergeht der Appetit. Und das Eis schmilzt. Die Schokolade läuft mir den Arm runter. Und ich sehe eine Mauer. Und auf die Mauer ist ein Gesicht gemalt. Und auf der Mauer steht ein Satz. Ein Satz aus zwei Wörtern. Das.

System. Das. System. Sonst nichts. Und die Schokolade läuft mir das Bein runter. Genau. Das System. Und dann denke ich über das System nach. Allein, auf einem Platz. Das System. Und dann drehen sich die Gedanken im Kreis. Ich sehe einen Liebesfilm: Das System. Ich laufe allein durch eine Brache: Das System. Ich esse einen Hotdog im Prosit: Das System. Das System. Und nach und nach siehst du das System überall. Das System macht dich total verrückt. Du redest sogar schon mit Mauern. Und nach einer Weile denkst du, dass DIESE WELT; DIESE reale Welt in einem riesigen Gefängnis stattfindet. Einem unsichtbaren Gefängnis. Das ganze System ist ein Gefängnis. Und dieses Gefängnis hier ist ein Gefängnis in einem Gefängnis. Also ist dieses Gefängnis, Colina, nur möglich, weil da draußen ein Gefängnis ist. Ein Gefängnis, das es zulässt, sogar braucht, dass es dieses Gefängnis gibt. Ich weiß nicht, ob du mich verstehst. Das da draußen ist das Gegenteil von Freiheit.

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POINT OF NO RETURN!

Tanzstück über Radikalität | Von Hege Haagenrud | Uraufführung [15 plus] Premiere: 22. September 2023 | Infos & Karten 0341.486 60 16 | www.tdjw.de


Stück Colina Das System. Und sich dessen bewusst zu sein, ist eine Strafe. Die Schuld, um die Existenz von Colina zu wissen. Sich bewusst zu sein, dass jede Flucht rein symbolisch wäre. Irreal. Ironisch. Darum kann ich dir, bei allem Respekt, die Freiheit nicht empfehlen. Sie existiert nicht. Ich möchte nicht, dass du in der Enttäu­ schung landest. Ich weiß, ich nehme dir den Strand. Ich nehme dir die Nachtspaziergänge. Ich nehme dir Sushi um drei Uhr morgens. Aber ich kann dir nicht empfehlen in dieser Republik zu leben. Es ist schlimmer als das hier. Verzeih mir. CARLOS Schon gut. Verstehe. Aber ehrlich gesagt ist alles besser als das hier. Francisca lässt einen Teller runterfallen. Und kriecht unter den Tisch. Sie taucht mit Perücke auf Carlos’ ursprünglichem Stuhl wieder auf. FRANCISCA Ich bin die letzte Chance. Für deine Flucht. Aber verzeih mir. Ich kann das nicht. Ich kann nicht mit dieser Perücke hierblei­ ben. Ich liebe dich.

Du weißt, ich würde alles für dich tun. Das sage ich voller Respekt. Voller Leidenschaft – Aber ich finde, du solltest hierbleiben. Hier leben. Nicht, um eine Strafe abzusitzen. Nein. Wegen etwas anderem. Damit du geheilt wirst. Was du verdienst, ist keine Strafe durch das Gesetz. Was du verdienst, ist eine Umarmung. Psychotherapie. Dass dir jemand die Füße mit Meerwasser wäscht. Denn du hast eine furchtbare Krankheit. Denk nach. Denk an das, was du getan hast. Du hast eine Kirche voller Kunstwerke niedergebrannt. Okay. Verständlich. Muss man im Zusammenhang sehen. Aber warum hast du das Kreuz gestohlen? Warum hast du es mit nach Hause genom­ men? In unser Zuhause. Unsere Kommune. Unser veganes Zuhause. Ich habe es dir nie gesagt, aber ich finde es okay, religöse Kunst zu verbrennen. Ich hätte es nicht gemacht, aber ich kann es nachvollziehen. Nur, als ich gesehen habe, wie du das Kreuz vermummt durch die Straßen geschleift hast, habe ich mir gesagt: Nein. Was ist mit ihm los? Hält er sich für Jesus Christus unseren Herrn? Was soll dieser Kreuzweg?

11. OKTOBER 2023

Warum schleift er das Kruzifix über die Kreuzung Jose Carrasco Tapia Ecke Vicuña Mackenna? Aus Sarkasmus? Und dann kamst du heim in unsere vegane Kommune. Mit dem Kreuz. Und hast es aufgehängt. An einem Balken. Aber verkehrt herum. Es stand kopf. Und ich habe dich gefragt. Wie bitte? Satanismus? Nein. Du hast Nein gesagt. Kein Satanismus. Nach einer Weile hast du das Kreuz umge­ dreht. Hast es wieder richtig herum gehängt. Wie bei den Römern auf dem Hügel. So hing es eine Woche lang. Richtig herum. Dann hast du es wieder umgedreht. Auf den Kopf gestellt. Und während deine Fotos im Internet kursierten, hast du dir das Kreuz angesehen, gelacht und es wieder umgedreht. Richtig herum. Verkehrt herum. Zehn, zwanzig Mal am Tag. Du hast es dir angesehen, es umgedreht und gelacht. Du wolltest nicht reden. Was machst du mit dem Kreuz? Antworte, bitte. Nichts. Dann haben sie dich eines Tages festgenom­ men, auf offener Straße. Dir die Arme verdreht. Ich konnte dir noch Wasser bringen.

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Stück Guillermo Calderón Während sie dich über die Kreuzung Jose Carrasco Tapia Ecke Vicuña Mackenna schleiften. Dann bin ich heimgegangen, in unsere vegane Kommune, unter Schock. Und habe mir das Kreuz angesehen. Und verstanden. Ich habe endlich verstanden, worüber du nachgedacht hast. Als du dir das Kreuz angesehen hast. Du hast nachgedacht, in welcher Ausrichtung die meiste Ironie steckt. Im umgedrehten Kreuz oder im Kreuz wie bei den Römern. Satanisch, oder so, wie es stand, als Gott seinen Sohn verlassen hat. Das Kreuz umzudrehen war für dich ironisch. Aber dann fandest du es noch ironischer, das Kreuz so aufzuhängen, als wärest du gläubig. Und wenn die Ironie verbraucht war, musstest du das Kreuz wieder umdrehen. Und konntest nicht aufhören. Du hast nicht aufhören können. Kamst nicht mehr raus aus der Ironie. Du hättest viel Zeit gehabt, dich zu verstecken. Über die Hochebene nach Bolivien zu gehen. Aber du bist hiergeblieben. Hast Black Bean Burger gegessen. Und dir das Kreuz angesehen. Gefangen in deiner immerwährenden Ironie. Bis sie dich gefunden haben. Sie haben dir fünfzehn Jahre gegeben. Dich beschuldigt, einen Ort des Gebets niedergebrannt zu haben. Ich musste das Kreuz nachts wegschleppen, um die Beweise zu vernichten. Damit sie mir nicht die Fingernägel aus­ reißen. Damit sie mir nicht die Augen ausreißen. Ich habe es in den Fluss geworfen.

Es ist kopfüber reingefallen. Satanisch. Dann habe ich geweint, weil sie dich festgenommen haben. Natürlich. Natürlich habe ich kapiert, dass du verrückt geworden bist. Die Revolution zu verlieren, war eine fürchterliche Niederlage. Und aus deiner Niederlage kam diese Ironie. Ausgeprägte geistige chronische Ironie. Jemand muss dich heilen. Denn diese Ironie bedeutet, dass du an nichts glaubst. Du sagst etwas und verneinst es gleich wieder.

Hier kann man nur an Flucht glauben.

Das ist eine Art Humor. Aber auch das Ende des Humors. Das Ende des Dramas. Ich denke, du solltest an etwas glauben können, ohne es gleich wieder zu verneinen. Weil ich dich liebe. Du sollst wieder an etwas glauben können. Ganz tief. An irgendwas. Hättest du das Kreuz angesehen und gesagt, Gott ist egal, wie sehr ich leide, ab jetzt hängt das Kreuz verkehrt herum – Meinetwegen. Das glaube ich dir. Immerhin eine religiöse Überzeugung. Eine Weltsicht. Aber dass du diesen Kreuzweg inszeniert hast, auf der Straße – Dass du dieses Kreuz hundert Mal umgedreht hast – Das ist eine Krankheit der Ideen. Eine Krankheit des Bewusstseins. Und davon kann dich nur das Gefängnis heilen. Weil das Gefängnis nicht ironisch ist.

Es ist hart, zu hören, dass mir keiner helfen will.

Das ist eine einzige Idee. Ein einziger Traum. DIESES COLINA-GEFÄNGNIS muss dein Sanatorium sein. Du kannst nicht in der ewigen Ironie leben. Du musst wieder an etwas glauben. Ich will von dir keine Liebe. Ich will von dir keine Hoffnung. Mir reicht Wut, aber die muss echt sein. CARLOS Schon gut. Verstehe. Uff.

Aus dem Ausbruch wird nichts. Daraus ist nichts geworden. So kann sowieso niemand ausbrechen. Ihr habt Eure Ausweise abgegeben. Euer Foto liegt am Eingang. Und wenn die Wärter mich rausgehen sehen, werden sie es merken. Ich wollte DAS EINFACH SPIELEN. DAMIT ich mir vorstellen kann, dass ich frei bin. Das ist ein ganz normaler Besuchstag. Ein paar Stunden Liebe. ZWISCHEN vielen Stunden Nichts. Vielen Dank. Ich hoffe, wir sehen uns nächste Woche.

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Stück Colina

Dritter Teil Szenenwechsel. Zum Publikum. FRANCISCA: Das Stück, das Sie gerade gesehen haben, heißt Colina und hat eine komplizierte Geschichte, die hier erzählt werden muss. Bis vor nicht allzu langer Zeit saß ein Freund von uns, Jorge Mateluna, zu Unrecht im Colina-Gefängnis im Großraum Santiago de Chile. Man hatte ihn aufgrund falscher Beweise zu 19 Jahren Haft verurteilt, weil er angeblich 2013 eine Bank im Vorort Pudahuel überfallen hatte. 2016 brachten wir ein Stück heraus, das Mateluna hieß. Wir wollten uns der Kampagne für seine Freilassung anschließen und vor allem zeigen, dass Jorge Mateluna unschuldig ist.

CAMILA: Im Stück erzählen wir, dass Mateluna in den 80er Jahren einer GuerillaGruppe angehörte. Er wurde während der Diktatur verurteilt und erst 2004 freigespro­ chen. Nur deshalb hat die chilenische Justiz zugelassen, dass er unrechtmäßig verurteilt wurde. Wir erzählen nicht, dass Mateluna gefoltert wurde, als er 20 war. Pause ANDREA: Wir konnten das Video auftreiben, das die Überwachungskameras 2013 beim Raubüberfall in der Bank aufgenommen

hatten, und beweisen, dass Jorge Matelunas Größe nicht mit der der Bankräuber übereinstimmt. Und wir haben mit unserem Auto die Flucht durch die engen Straßen von Pudahuel nachgestellt, um zu zeigen, dass die Polizei in einem Wohnviertel scharf geschos­ sen hat, um die 50 Millionen Pesos für die spanische Universalbank Banco Santander zurückzuholen. POLA: Der Fluchtweg ist lang. Die Bankräu­ ber entkommen der Polizei. Mateluna wird während einer Polizeikontrolle festgenom­ men, als er gerade auf dem Weg zu einem beruflichen Termin bei der Gemeindeverwal­ tung von Pudahuel ist. Niemand hat ihn beim Banküberfall gesehen, niemand hat ihn mit dem Auto fliehen sehen. Man hat einfach seine Personalien kontrolliert, seine Vorge­ schichte entdeckt und ihn zu 19 Jahren Gefängnis verurteilt. Hätten sie in ihm einen der Bankräuber erkannt, hätten sie ihn erschossen. Aber sie wollten nur seinen Ausweis sehen. LUIS: Das Verfahren ist ein historisches Beispiel dafür, wie belastende Beweise manipuliert werden. Wir haben nur einen herausgegriffen, der auch im Stück Mateluna vorkommt. Eine Gegenüberstellung im Hochsicherheitsgefängnis, zu der alle Zeugen des Überfalls und der Flucht geladen waren – aber niemand hat JORGE Mateluna ERKANNT. Ein Zeuge hat Alejandro Astorga erkannt, den Mann, der wirklich für den Überfall verantwortlich war. Muñoz, der zuständige Kommandant, beendete die Gegenüberstellung, ohne dass ein Zeuge Mateluna als einen der Bankräuber identi­ fiziert hätte.

SEXUALKUNDE FÜR DAS NEUE JAHRTAUSEND Von Olivier Sylvestre | Deutschsprachige Erstaufführung [15 plus] Premiere: 16. September 2023 Infos & Karten 0341.486 60 16 | www.tdjw.de

CARLOS: Trotzdem ließ Kommandant Muñoz dem Richter über die Staatsanwalt­ schaft ein Dokument zukommen, in dem er behauptet, ebendieser Zeuge hätte Mateluna als einen der Bankräuber identifiziert. Der Kommandant hat viele weitere Beweise gegen Mateluna gesammelt, er spielte also eine wichtige Rolle bei der Untersuchung des Falls. Das ist ein Transkript eines echten Mit­ schnitts der Verhandlung. Es ist der Moment, in dem der Richter ENTDECKT, dass Kommandant Muñoz ihn BELOGEN HAT. RICHTER: Das hat der Mann gesagt? Der Zeuge? KOMMANDANT MUÑOZ:. Der Zeuge erkennt die Nummer fünf. RICHTER: Und wer ist die Nummer fünf? KOMMANDANT MUÑOZ: Herr Astorga. RICHTER: Und was haben Sie in den Bericht geschrieben? KOMMANDANT MUÑOZ: Mateluna. RICHTER: Obwohl sie wussten, dass die Nummer fünf Astorga war?


Stück Guillermo Calderón KOMMANDANT MUÑOZ: Es war ein Fehler. Schweigen. RICHTER: Das ist ein schwerer Fehler. Also, wenn man in Betracht zieht, dass wir Richter die Verantwortung für die Aufklärung des Falls tragen. KOMMANDANT MUÑOZ: Das ist korrekt. RICHTER: Gegen eine derartige Unregelmä­ ßigkeit müssen wir natürlich vorgehen. Schweigen. RICHTER: Gut. Vielen Dank. FRANCISCA: Überall auf der Welt würde ein Richter, der merkt, dass er derart belogen wurde, das Verfahren unverzüglich aussetzen. Dieser Richter aber hat weder das Verfahren ausgesetzt, noch Disziplinarmaßnahmen gegen den Polizisten ergriffen. Im Gegenteil. Er hat dutzende anderer Beweise akzeptiert, die derselbe Polizist eingereicht hat, um Mateluna zu belasten und zu verurteilen. Darum endet unser Stück in einem wütenden Chaos. Wir haben Stühle zerschlagen ...

POLA: Man findet noch viel mehr falsche Beweise auf der Website matelunainocente.cl.

Die Website heißt so – „unschuldiger Mateluna“ – weil Jorge Mateluna unschuldig ist. CAMILA: Nach unserem Stück wollten viele Menschen aktiv werden und für Gerechtigkeit im Fall Jorge Mateluna sorgen. Im Jahr 2018 beschloss die damalige Präsidentin Michelle Bachelet, Mateluna zu begnadigen, aber ihr Justizministerium weigerte sich, die Begnadi­ gung zu unterzeichnen. Das Ministerium weigerte sich auch, einen Erlass zu unter­ zeichnen, der die Schließung von Punta Peuco anordnete – einem Sondergefängnis für Massenmörder aus der Diktatur, das große Ähnlichkeit mit einem Hotel hat. LUIS: Eine Revision vor dem Obersten Gerichtshof wurde abgelehnt. Nach Auffassung der Richter gab es keine neuen Beweise, die für Jorge Matelunas Freilassung gesprochen hätten. Dazu muss man sagen, dass das Oberste Gericht den Fall nicht geprüft hat. ES HAT DIE GEGENÜBER­ STELLUNG NICHT GESEHEN, WEIL es den Ordner nicht aufgeschlagen hat, in dem sich die falschen Beweise befanden. Weil das Oberste Gericht den Staatsanwälten, den Richtern und auch den Polizisten, die ihnen falsche Beweise vorlegen, blind vertraut. Die Justiz ist ein politisches System, das so konzi­ piert ist, dass es jede Möglichkeit von Zweifel oder Mitgefühl von vornherein ausschließt. ANDREA: Diese beiden Niederlagen waren schmerzhaft. Darum wollten wir ein neues Stück machen, um Jorges Unschuld weiter zu verteidigen und ihn zu unterstützen. Er sollte an unserem Stück mitschreiben, und auch mitspielen. Die Idee war, ihn symbolisch zu befreien.

CARLOS: Als wir 2016 das Stück Mateluna am HAU in Berlin spielten, wurden uns zwei britische Künstler vorgestellt, Alex und Liane. Die beiden interviewten Jorge kurz darauf im Hochsicherheitsgefängnis und überließen uns das Video für unser neues Stück. CAMILA: Wir schickten Jorge unsere Dialoge und zeichneten ihn in seiner Rolle auf, wenn er uns aus dem Gefängnis anrief, um die Videoaufnahmen von seinem Gesicht später mit seiner Stimme zu unterlegen. ANDREA: Das Stück Colina war fast fertig. Wir spielten eine Vorstellung in einem leeren Theater und filmten sie. CAMILA: Doch in den letzten Jahren gab es einen weiteren großen Justizmissbrauch. Als in Chile 2019 die soziale Revolte2 eskalierte, endeten viele junge Menschen im Gefängnis und mussten sich manipulierten Gerichtsver­ fahren und Urteilen stellen. Sie wurden mittels falscher und schwerwiegender Beweise angeklagt, damit sie auf jeden Fall lange Haftstrafen bekamen. Die chilenische Justiz weiß genau: Jungen Demonstranten in die Augen zu schießen, ist nicht das letzte Mittel, über das der Staat verfügt. Auf Polizeigewalt folgt Justizgewalt.

2 Anm. d. Übers.: Der sogenannte „estallido social“ (sozialer Ausbruch) bezeichnet die soziale Revol­ te in Chile im Oktober 2019, die ursprünglich von einer Schülerbewegung ausging und die ganze Ge­ sellschaft erfasste. Eine Erhöhung der Preise für den öffentlichen Nahverkehr wurde dabei zum Anlass, die Grundstrukturen der chilenischen Gesellschaft zu hinterfragen und tiefgreifende Veränderungen zu fordern. Daraus entstand ein neuer, feministisch, ökologisch und sozial geprägter Verfassungsentwurf, der 2022 in einem Referendum abgelehnt wurde.

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An der Hochschule für Musik und Theater Rostock ist im Institut für Schauspiel zum Sommersemester 2024 eine nebenberufliche künstlerische

Professur Dramaturgie W 2

in Teilzeit (44,44 %) mit einem Umfang von 8 Semesterwochenstunden Lehre zu besetzen.

Näheres zu Aufgaben und Berufungsvoraussetzungen sowie datenschutzrechtliche Hinweise finden Sie unter: https://www.hmt-rostock.de/aktuelles service/karriere/ Bewerbungsfrist ist der 15. September 2023. Aussagefähige Bewerbungsunterlagen werden in ausschließlich digitaler Form über die Website der hmt Rostock erbeten an den Rektor der Hochschule für Musik und Theater Rostock, Beim St. Katharinenstift 8, 18055 Rostock.


Stück Colina VIDEOS DER MAUERN – Drei Stills aus dem Video

FRANCISCA: Jorges Freiheit zwang uns, das Stück, an dem wir arbeiteten, umzuschreiben. Wir haben unsere ursprüngliche Version nie gezeigt und dafür Colina geschrieben, den ersten Teil dieses Stücks. Vier Tage vor der Premiere im Januar 2023 wurde im Rahmen einer politischen Kampagne, die eine Aufhebung der Begnadigung forderte, eine Verfassungsklage eingereicht. Darin werden ausschließlich verfassungsrechtliche Gründe angeführt, weil die Politiker sich nicht trauen, die Beweise noch einmal zu prüfen. Und auch, weil die Justiz ein rein politisches System ist. Ganz im Sinne derer, die an der Macht sind, denn sie wissen, sie können einen mit falschen Beweisen 20 Jahre ins Gefängnis schicken, eine Kugel in den Kopf schießen und sagen: Das ist ein völlig legaler Vorgang.

FRANCISCA: Aber am 30. Dezember 2022 hat der neugewählte chilenische Präsident Gabriel Boric Jorge Mateluna begnadigt. Er war frei. Jorges Familie, Claudia, unser Stück Mateluna, die Kampagne, die Arbeit der Verteidigung und schließlich auch das Engagement des Präsidenten konnten endlich seine Freilassung bewirken.

SPIELZEITERÖFFNUNG 27.09.–14.10.2023 STILL OPENHAUS – IT‘S HARD TO BE AVANTGARDE CONSTANZA MACRAS / DORKY PARK The Visitors HOUSE OF BROWNIES Queerdom TÒ SU / MAHLKNECHT / PRINOTH The Staff Your Dreams Are Made Of DIE ANTWORT Offspring Battle EIN NEUER »HISTORIKERSTREIT«? Erinnerungskämpfe im Zeichen des Holocaust SEA-WATCH Queerfeministisch-antifaschistische Tattoo-Aktion

CARLOS Vor drei Wochen ist mir was passiert. Ich bin aus dem Gefängnis ausgebrochen. Vermutlich habe ich einen Tunnel gegraben. Glaube ich. Sicher bin ich nicht. Vermutlich hat man mir die Tür aufgemacht. Und mich rausgelassen. Es soll Leute geben, die sehr traurig sind, weil ich frei bin. Ich habe meine Strafe nicht abgesessen. Ich bin am Strand. Okay. Ich würde diesen Leuten sagen: Seid nicht traurig. Ihr hat mich schon 24 Jahre ins Gefängnis gesperrt. Und ich bin 48. Die Hälfte meines Lebens eingesperrt. Ihr habt mein Leben schon ruiniert. Das wolltet ihr doch. Ihr habt es geschafft. Seid nicht traurig. Freut euch. Außerdem könnt ihr mich jederzeit wieder einsperren. Ihr könnt mich auf offener Straße verhaften und mir ein Kilo Koks in die Tasche stecken. Und man wird euch glauben. Das ist ganz natürlich. Weil ich keine Macht habe. Und weil die Justiz Teil der politischen Macht ist. Sie soll sicherstellen, dass der Krieg weiter­ geht. Der Krieg gegen die Armen, Das Gefängnis ist voller Armut. Und Armut ist eine politische Entscheidung. Staatsanwälte sind Bürokraten mit Pistolen. Sie wollten Präsident werden, sind aber zu häßlich, um Wahlen zu gewinnen.

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Stück Guillermo Calderón Tut mir leid, falls ich jemanden beleidigt habe. Aber ich habe keine Macht. Wir haben keine Macht, also bleibt uns nur die Beschimpfung. Zum Beispiel: Alle, die nicht gegen die Diktatur gekämpft haben, sind verfickte Arschlöcher. Alle, die dieses schreckliche System verteidi­ gen, sind verfickte Arschlöcher. Das ist alles. Und es ist nichts passiert.

Dieses Foto entstand zwei Tage nach Jorge Matelunas Freilassung.

Ich bin allein am Strand.

Die Musik wird lauter.

Musik. Es läuft Reggaeton. Ich genieße diesen kurzen Augenblick der Freiheit. Diesen kurzen Moment – und du bist nicht hier. Ich kann die nicht vergessen, die noch im Gefängnis sind. Kann nicht vergessen, dass wir gerade eine Revolution verloren haben. So ist meine Freude wie immer: bittersüß. Bittersüß. Eine glückliche Freiheit. Aber bittersüss.

– ENDE –

Am 16. März 2023 wurde folgender Text nach der Vorstellung vom Ensemble verlesen: Wir möchten Ihnen sagen, dass heute morgen eine Gruppe rechter Abgeordneter beim Verfassungsgericht war, um nochmals die Aufhebung der Begnadigung von Jorge Mateluna zu fordern. Sie halten die Begnadigung für verfassungswidrig. In Wahrheit sind sie von Grausamkeit und Rachedurst getrieben. Sie wollen Präsident Boric eine politische Niederlage zufügen und sicherstellen, dass Jorge Mateluna und andere Begnadigte zurück ins Gefängnis müssen, damit sie und ihre Familien noch ein bisschen leiden. Das Verfassungsgericht wird in ein paar Wochen entscheiden, ob es die Begnadigung aufhebt. Uns ist bewusst, dass sich das wahre Drama dieser Geschichte in der realen Welt abspielt, jenseits dieser Bühne. Was gerade passiert, ist dringlich und beängstigend. Wir widmen dieses Stück Jorge Mateluna. Wo immer er ist, er übt sein legitimes Recht auf Freiheit aus, und er bleibt unschuldig; ein unschuldiges Opfer eines politischen und rechtlichen Systems, das darauf ausgelegt ist, zu strafen und zu foltern. Vielen Dank. Am 20. März 2023 wurde die Verfassungsklage gegen die Begnadigung von Jorge Mateluna vom chilenischen Verfassungsgericht abgewiesen.

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START IN DIE NEUE SPIELZEIT

23.09.2023 / URFAUST / Inszenierung: Joanna Lewicka 30.09.2023 / CARMEN / Inszenierung: Vera Nemirova 20.10.2023 / NULLERJAHRE / Inszenierung: Konstanze Kappenstein / 21.10.2023 / WAS IHR WOLLT / Inszenierung: Wojtek Klemm / 13.01.2024 / WILDES LEBEN / Choreografie & Inszenierung: Laura Leora Witzleben

CHILE LEBT!

Anlässlich des 50. Jahrestags des Militärputsches in Chile blickt das Volkstheater Rostock am 11. September 2023 ein wenig zurück und sehr viel nach vorn. Junge Ensemblemitglieder mit chilenischen und deutschen Wurzeln gestalten einen Abend. Dabei werden in einer ersten deutschsprachigen Lesung Ausschnitte des neuen Stücks „Colina“ von Gulliermo Calderón präsentiert. Mit freundlicher Genehmigung des meistgespielten chilenischen Bühnenautors der Gegenwart Guillermo Calderón und der Carstensen & Oegel International GmbH. Wir danken Theater der Zeit für die Bereitstellung eines Vorabdrucks seines neuen Stücks.


Highlights Saison 2023 / 2024 SAISONERÖFFNUNG

OPER

Der Barbier von Sevilla Rossinis Oper als grosses Figurentheater in der Regie von Nikolaus Habjan | 12+

FEBRUAR

PRE

MIE

RE

SA 09.09.2023 | 20 : 00 Uhr 19 : 15 Uhr Einführung

MUSIKTHEATER / SCHAUSPIEL

Sommernachtstraum! Eine musikalische Shakespeare-Revue mit Menschen, Puppen und der lautten compagney

GA ST MÜ SPIEL NCH KAM N ME ER RSP FR 23.02.2024 | 20 : 00 Uhr IELE 19 : 15 Uhr Einführung SA 24.02.2024 | 20 : 00 Uhr

Bild: Maurice Korbel

SEPTEMBER

Alle Vorstellungen sind ab sofort im Vorverkauf erhältlich

GA ST THE SPIEL ATE RB AS E SA 13.01.2024 | 19 : 00 Uhr L 18 : 15 Uhr Einführung

Bild: Ingo Höhn

So ein Theater

JANUAR

SCHAUSPIEL / MUSIK

NOVEMBER

A scheene Leich

Eine Erblastkomödie von Gerhard Polt, den Well Brüdern und Ruedi Häusermann

Bild: Blandine Soulage

MÄRZ

DO 23.11.2023 | 20 : 00 Uhr 19 : 15 Uhr Einführung

Culturescapes: Re:INCARNATION Tanz aus Nigeria von Qudus Onikeku

DO 21.03.2024 | 19 : 00 Uhr

NOVEMBER FR 03.11.2023 | 20 : 00 Uhr TANZ / SCHAUSPIEL / MUSIK

GA ST THE SPIEL ATE RB AS

SCHAUSPIEL

Ein Sommernachtstraum von William Shakespeare in der Regie von Antú Romero Nunez

Giselle...

Das Meisterwerk des romantischen Balletts erzählt und getanzt von Samantha van Wissen

Veranstaltungen der Theater- und Musikgesellschaft Zug

... und vieles mehr! theatercasino.ch/programm

Bild: Info Höhn

TANZ

EL


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SCHAUSPIEL 2023/2024 Marina Davydova THE MUSEUM OF UNCOUNTED VOICES Installation von Marina Davydova Igor Bauersima NORWAY.TODAY Regie: Finn Bühr

SPIELZEIT 2023 / 24 ATLAS STREIKT

Christian Kracht EUROTRASH Regie: Peter Carp

Niklas Ritter | Uraufführung nach dem Roman Atlas Shrugged von Ayn Rand 23. September 2023

William Shakespeare DAS WINTERMÄRCHEN Regie: Yair Sherman

FABIAN nach dem Roman von Erich Kästner 13. Oktober 2023

Georg Büchner WOYZECK Regie: Bojana Lazić

GIER Sarah Kane 9. November 2023

DIE SCHNEEKÖNIGIN Franziska Steiof / Thomas Zaufke nach Hans Christian Andersen 30. November 2023

DAS FEST DES LAMMS Leonora Carrington 14. Februar 2024

Uwe Mengel FUTURE 2000 Uraufführung // Regie: Uwe Mengel

MARIA STROMBERGER ODER BILDER VON ALLEM

Annie Ernaux DER JUNGE MANN / DAS EREIGNIS Regie: Jessica Glause

Gerhild Steinbuch | Uraufführung 2. März 2024

Susanne Heinrich MUTTER.LIEBE Uraufführung // Regie: Susanne Heinrich

AMPHITRYON Heinrich von Kleist 24. April 2024

Mohammad Al Attar NEUN JAHRE, ZWEI MONATE, ELF TAGE Uraufführung // Regie: Omar Abusaada

Gastspiel der Bühnen Bern im Rahmen von X-CHANGE – Nachhaltigkeit durch Austausch

Viktor Jerofejew DER GROSSE GOPNIK Uraufführung // Regie: Eike Weinreich Heinrich von Kleist FAMILIE SCHROFFENSTEIN Regie: Johannes Lepper

DER STEPPENWOLF // Foto Rainer Muranyi

Friedrich Schiller DIE RÄUBER Regie: Mathias Spaan

N.N. Martin Gruber | aktionstheater ensemble Uraufführung 16. Mai 2024

THE PERFECT MOMENT Patti Smith und Robert Mapplethorpe Tobias Fend | Uraufführung mit Musik 15. Juni 2024

landestheater.org


Theater der Zeit

Diskurs & Analyse

„Opheliamaschine“ von Magda Romanska, Uršulė Bartos erste Inszenierung bei WORX

Foto Moritz Haase

Serie Warum wir das Theater brauchen #06. Yi-Wei Keng über Theater für Taiwan Bericht Ein Rückblick auf den ersten Jahrgang des Nachwuchsförderprogramms WORX am Berliner Ensemble

Theater der Zeit 9/ 2023

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Diskurs & Analyse Serie: Warum wir das Theater brauchen #06

Theater für Taiwan Von Yi-Wei Keng

In unserer TdZ-Serie schreiben Theatermacher:innen über innere Antriebe, gesell­ schaftliche Bedingungen und künstlerische Motivationen

# 06

Bisher erschienen Nora Schlocker Anne Lenk René Heinersdorff Jonny Hoff Jette Steckel

Yi-Wei Keng, geboren 1969 in Taiwan, studierte Philosophie und arbeitet als Autor, Dramaturg und für Festivals in Taipeh. Für sein auf internationalen Austausch im Theater gerichtetes Wirken wurde er am 28. August in Weimar mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet.

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Theater der Zeit 9 / 2023


Foto French Fries Photo

Diskurs & Analyse Serie: Warum wir das Theater brauchen #06 Der Nachbar meiner Kindheit war der Besitzer eines Kinos, das sich in der Nähe einer belebten Straße befand. Ich ging oft in das Kino, stand auf dem Balkon des Vorführraums im zweiten Stock und beobachtete das Leben und die Paraden auf der Straße. Von der Terrasse schaute ich auf die Menschenmassen, die Umzugswagen und die kostümierten Menschen. Gleichzeitig konnte ich durch das Projektionsloch im Raum hinter mir schauen und versuchen, einen Blick auf den Film zu erhaschen, der gerade im Kino gezeigt wurde. Diesen Wechsel zwischen Realität und Fantasie zu erleben, hat mich als Kind zutiefst beeindruckt. Wir leben im Zeitalter der Globalisierung und der Nicht-Orte. Wir suchen alles im Internet und sehnen uns gleichzeitig nach realen Abenteuern. Aus dieser Sehnsucht heraus fragen wir uns: Sind diese Orte unsere „neue Welt“? In dieser Zeit lässt uns die Kunst die Aufregung des Abenteuers spüren. Das Ziel des Theaters besteht daher darin, ein Umfeld zu schaffen, in dem der:die Künstler:in Risiken eingehen kann, um dem Publikum etwas zu präsentieren, das es noch nie zuvor gesehen hat. Das Theater hat seinen dominanten Platz in der Medienlandschaft aus dem 18. und 19. Jahrhundert verloren, darüber müssen wir uns im Klaren sein. Aber auch die Religion hat nach der Aufklärung an Einfluss verloren. Trotzdem stehen die Kirchen nach wie vor in zahlreichen Stadtzentren und die Menschen finden dort Trost und Gemeinschaft, obwohl sich das Verhältnis der Menschen zur Kirche stark verändert hat. Vielleicht hat sich unser Verhältnis zum Theater auf eine ähnliche Art und Weise verändert – aber wir brauchen immer noch Gott, wir brauchen immer noch Theater. Theater ist ein Käfig, der einen Vogel sucht. Die Intimität und Unmittelbarkeit, die meine Kindheit zwischen Fantasie und Realität gekennzeichnet hat, diese Erfahrung von Stimulation und Chaos, lässt mich spüren, dass dies die wesentlichen Elemente des Theaters sind. Ich denke, dass das Theater dem Publikum helfen kann, alle Aspekte der heutigen Gesellschaft zu erforschen, einschließlich Politik, Kultur, Familie, Wissenschaft, Liebe, Freundschaft, Alltagsleben, Philosophie und Technologie. Und nicht nur Aspekte der heutigen Gesellschaft: als Reaktion auf die Widerstandsbewegung gegen die Demokratie zu Beginn der 1980er Jahre entwickelten sich kleine Theaterbewegungen und wurden zu einem experimentierfreudigen, kulturellen Instrument; sie brachten die Luft der Freiheit. Die Ästhetik dieser kleinen Theater war radikal. Das experimentelle Theater war ein Medium für junge Menschen, um dem politischen Druck zu trotzen und sich auszudrücken. Sie nutzten Performance und Theater, um das moderne Theater zu revolutionieren. Die Improvisation wurde als neue Art des Theaterspielens eingeführt. In den 1990er Jahren wurde die Postmoderne populär, und die Produktionen beschäftigten sich nicht mehr nur mit politischen und sozialen Fragen, sondern auch mit der Geschlechterfrage. Vor diesem Hintergrund liegt mir besonders die Förderung des dramaturgischen und dokumentarischen Theaters in Taiwan am Herzen. Von 2012 bis 2017 war ich Künstlerischer Leiter des Taipei Arts Festivals. Während meiner Amtszeit wurden internationale Koproduktionen zu einem sehr wichtigen Merkmal des Festivals, jedes Jahr haben wir mindestens eine internationale Koproduktion gezeigt.

Theater der Zeit 9/ 2023

Ich glaube, dass das Dokumentartheater eine besondere Art ist, die sozialen und politischen Realitäten zu erforschen. Deshalb beauftragte ich beispielsweise Our Theatre mit der Produktion von „Delusion of Home“ für das Taipei Arts Festival 2015. Um unseren Theatermacher:innen das Dokumentartheater näherzubringen, lud ich Christine Umpfenbach zu einem Dokumentartheater-Workshop anlässlich des Taipei Arts Festival 2016 ein. „Common Ground“ vom Berliner Maxim Gorki Theater wurde im selben Jahr zum TAF eingeladen. Auch Rimini Protokoll wurde 2017 zum ersten Mal nach Taipeh eingeladen, um „Remote City“ zu zeigen. Auch nach meinem Ausscheiden aus dem Taipei Arts Festival setzte ich mich weiterhin für die Förderung des Dokumentartheaters ein. „Better Life?“ von Polymer DMT wurde beim Taoyuan Iron Rose Festival 2020 uraufgeführt. „Better Life?“ ist ein interaktiver Dokumentarfilm, der das Leben vietnamesischer Wanderarbeiter:innen thematisiert. Die letzte Version von „Better Life?“ ist „Home Away From Home“. Zum Kunstfest Weimar wird „Home Away From Home“ im Rahmenprogramm der Goethe-Medaille Ende August 2023 gezeigt. Ich denke, dass das Dokumentartheater wichtig für unsere Gesellschaft ist, denn es gibt viele unerzählte Geschichten, die man nur durch das Dokumentartheater erfahren kann. Als ich Künstlerischer Leiter wurde, habe ich auch versucht, die Funktion der Dramaturgie zu stärken, die zu dieser Zeit in Taiwan noch sehr unüblich war. Mithilfe von Dr. Clemens Treter, von 2014 bis 2016 Leiter des Goethe-Instituts Taipeh, lud ich Christoph Lepschy zu einem Dramaturgie-Workshop beim Taipei Arts Festival 2015 ein. Außerdem wurde Gregor Runge vom Theater Bremen eingeladen, im darauffolgenden Jahr einen Tanzdramaturgie-Workshop zu geben. Als ich das Taipei Arts Festival 2017 verließ, wurde ich von Wen-pin Chien, dem künstlerischen Leiter des Weiwuying Center for the Arts, eingeladen, 2018 die Dramaturgie zu übernehmen. Es war das erste Mal, dass diese Funktion für eine Theaterinstitution in Taiwan besetzt wurde. Taiwan ist ein kleines Land, in dem es wegen der chinesischen Regierung schwierig ist, international wahrgenommen zu werden. Manchmal kennen Menschen den Unterschied zwischen Taiwan und Thailand nicht. Ich hoffe immer, dass die Künstler:innen länger in Taiwan bleiben können, um es besser kennenzulernen. Die Idee ist, dass sie Zeit haben, sich mit den taiwanischen Künstler:innen, dem Publikum und der Stadt zu beschäftigen, und nicht nur mit einem dichten Tourneeplan kommen und nach einer Woche wieder gehen. Durch die internationale Co-Creation-Initiative habe ich ausländischen Künstler:innen die Möglichkeit gegeben, Taipeh aus erster Hand zu erleben. Die beste Art, Begegnungen mit den Künstler:innen und dem Publikum vor Ort zu schaffen, sind längerfristige Aufenthalte. Ich bin immer der Meinung, dass ein Theaterfestival den Geist der Stadt widerspiegeln muss. Der Geist von Taipeh ist jung, kreativ und freundlich. Internationale Kooperationen schaffen Möglichkeiten für kulturellen Austausch und gegenseitiges Lernen. Sie erlauben uns auch, neue Methoden des Theatermachens zu erforschen. Dafür sind wir immer auf der Suche nach neuen Modellen der Zusammenarbeit. T Aus dem Englischen von Leonard Pelz

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Diskurs & Analyse Bericht

In den Fußstapfen Helene Weigels Ein Rückblick auf den ersten Jahrgang des Nachwuchsförderprogramms WORX am Berliner Ensemble Von Sophie-Margarete Schuster

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Vor bald 75 Jahren, im Frühjahr 1949, ist vom Zentralkomitee der SED ein Beschluss gefasst worden, der Helene Weigel die Leitung des zu diesem Zeitpunkt neu gegründeten Berliner Ensembles zuspricht. Die Schauspielerin – damals bereits bekannt für ihre Rolle der Mutter Courage – übernahm als erste Frau die Intendanz eines deutschen Theaterhauses und sah von nun an alle kulturpolitischen Fäden der Institution in ihren Händen zusammenlaufen. 22 Jahre lang, vor sowie nach dem Tod ihres Mannes Bertolt Brechts, übte Weigel diesen Posten am Berliner Ensemble aus. Möchte man den Worten der Literaturwissenschaftlerin Sabine Kebir Glauben schenken, so bewältigte Weigel diese Aufgabe mit „theatralisch weiblicher Gerissenheit“. An solchen und ähnlichen Zuschreibungen wird schnell deutlich: Die Emanzipation der Frau im Theater ist komplex. Und der Weg ist lang. Seit 2022 verleiht der Freundeskreis des Berliner Ensembles nun den Helene Weigel Theaterpreis an Künstler:innen des Hauses, um ihre außergewöhnlichen Leistungen zu würdigen. Im Jahr 2023 ging dieser Preis an die Regisseurin und Absolventin des Max Reinhardt Seminars Fritzi Wartenberg, der in der Spielzeit 2022/23 als Stipendiatin des erstmalig durchgeführten Nach-

Theater der Zeit 9 / 2023

Fotos Moritz Haase, Jörg Brüggemann

Nina Bruns in „Opheliamaschine“ von Magda Romanska, Uršulė Barto erster Inszenierung bei WORX.


Diskurs & Analyse Bericht wuchsförderprogramms WORX eine einjährige Residency am Berliner Ensemble ermöglicht wurde. „Es berührt mich zutiefst, dass Frauen wie Helene Weigel durch ihren Mut und ihre Entschlossenheit einen Weg geebnet haben, der es jungen Theaterschaffenden wie mir heute erlaubt, mit Fantasie und Erzählfreude einen Bühnenraum zu beleben. Das ist ein Privileg und alles andere als selbstverständlich“, äußerte sich Wartenberg zu Ihrer Auszeichnung und griff damit eben jenes feministische Erbe auf, das sich in der Geschichte des Berliner Ensembles abzeichnet. Gemeinsam mit der litauischen Regisseurin Uršulė Barto hatte Wartenberg im Rahmen des Förderprogramms die Möglichkeit, die in der Spielzeit 2019/20 eröffnete neue Spielstätte des berühmten Theaters am Schiffbauerdamm mit je zwei Inszenierungen zu bespielen – die Möglichkeit, den Werkraum unter den eigenen theatralen Prämissen künstlerisch zu erobern. Die Arbeiten der zwei jungen Frauen begegneten sich dabei in einer ganz zentralen Gemeinsamkeit: dem Wunsch, das Theater für eine feministische Auseinandersetzung mit Geschlechterbildern und patriarchalen Strukturen in Bewegung zu setzen. Dass sich ihre Inszenierungen in den Dienst dieses Wunsches stellen, gaben die zwei Regisseurinnen bereits in ihren Bewerbungen zu verstehen, von denen das Berliner Ensemble zum Abschluss der Spielzeit Ausschnitte veröffentlichte: „Ich finde, feministisches Theater sollte der Status Quo sein“, heißt es hierzu bei Uršulė Barto, die den Feminismus als eine kreative Strategie in der Erschließung unserer Welt betrachtet. Eine Strategie, die dem Theater bei seinem Flug in eine neue Zeit wie Rückenwind in den Segeln liegt – Auftrieb, um bislang Unerhörtes hörbar zu machen. Der Werkraum bot den Künstlerinnen für die Umsetzung dieser Absichten mit seinen 58 Plätzen einen Bühnenraum, der sich durch die besondere Nähe zwischen Zuschauenden und Schauspielenden auszeichnet. Diese intime Atmosphäre ist es dann auch, die sich sowohl Barto als auch Wartenberg wirkungsvoll zunutze machten: In Wartenbergs Inszenierung „Alias Anastasius“ katalysiert eben jene Nähe beispielsweise die Intensität, mit der die Regisseurin es dem Publikum ermöglicht, sich in die Sehnsüchte – das Suchen und Hoffen – eines jungen Menschen einzufühlen. Wartenberg lässt einen Raum entstehen, der das Publikum unerwartet nah an das Leben eines Menschen heranführt, der vor mehr als dreihundert Jahren im thüringischen Gehofen geboren wurde. Der gekonnte Sprung in die Vergangenheit lässt dringliche Fragen durch den kleinen Werkraum sausen – Fragen nach der Fluidität von Geschlecht und Sexualität sowie den Machtstrukturen, in denen sich diese bewegen. Wartenberg zieht das historische Material, inspiriert von Angela Steideles Roman „In Männerkleidern“ und mithilfe des Autor:innen-Duos Matter*Verse, schwungvoll mitten hinein in unsere Gegenwart; zieht Linien nach, anhand derer Kontinuitäten sichtbar werden, die uns – und das macht der Abend eindrucksvoll klar – alle etwas angehen. (s. „Zwischen Wolken und Gummizellen“ unter tdz.de). Über ihre zwei Inszenierungen hinaus lud Wartenberg außerdem die Autorin und Aktivistin Franka Frei für eine Lesung ihres Buches „Überfällig“ in den Werkraum ein. Mit viel klugem Humor, einem dichten Draht zum Publikum und der klaren Absicht, über die

Theater der Zeit 9/ 2023

Die feministische Tatkraft, mit der diese Lesung in die Zukunft blickt, spendet Hoffnung. Sie zeigt aber auch: Es ist noch viel zu tun.

sexistischen Missstände in der Geschichte der Verhütungsmittel aufzuklären, las Frei hierfür nicht nur Passagen aus ihrem Buch, sondern beantwortete ebenso die gezielten Fragen Wartenbergs und des Publikums. Welche Formen der Verhütung gibt es eigentlich? Wie funktionieren sie? Was hat Politik und Wirtschaft damit zu tun? Die feministische Tatkraft, mit der diese Lesung in die Zukunft blickt, spendet Hoffnung. Sie zeigt aber auch: Es ist noch viel zu tun. Die Entscheidung, die Bühne des Werkraums an dieser Stelle für andere Formate zu öffnen, macht darüber hinaus neugierig auf die Ideen und Exkurse der kommenden Jahrgänge.

Pauline Knof als Autor:in und Max Gindorff als Schauspieler/Boyfriend in „The Writer“ von Ella Hickson in der Regie von Fritzi Wartenberg

Proben von „Blank“ von Alice Birch am Berliner Ensemble in der Regie von Uršulė Barto im Rahmen des Nachwuchsförderprogramms WORX

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Diskurs & Analyse Bericht Auch in Uršulė Bartos „[Blank]“ zeigt die Architektur des Werkraums ihre Wirkung: Die Nähe des Bühnenraums erzeugt einen idealen Ausgangspunkt, um das differenzierte Gespür der Regisseurin für Figuren und Situationen hautnah an die Zuschauenden heranzutragen. In ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit familiärem Missbrauch und generationellem Trauma stellt auch Barto dringliche Fragen des menschlichen Zusammenseins, die in ihrer Schlagkraft den kleinen Werkraum zum Beben brachten. Auf Grundlage von Alice Birchs umfangreichen szenischen Baukasten – einer Auswahl von einhundert frei kombinierbaren Szenen – baut Barto einen Abend, der die Geschichte generationeller Gewaltkreisläufe und einem überforderten Sozialsystem in einer unausweichlichen Konkretheit vor dem Publikum zu entfalten vermag. So entfesseln die Dialoge in der intimen Atmosphäre des Werkraums einen Sog, dem sich nur schwer zu entziehen ist. Im Gegensatz zu Bartos erster WORX-Inszenierung, bei der die Regisseurin Magda Romanskas postdramatischen Text „Opheliamaschine“ wählte, besticht dieser zweite Versuch durch die figürliche und situative Konkretheit der Arbeit. Auf diese

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NINA KRONJÄGER

STEPHAN BENSON

ALEXA HARMS

Foto: Anatol Kotte

VOM E R FOLG AU TOR E SN DU O VON “F R AU M Ü LLER M USS W EG!”

WAS WAR UND WAS WIRD 07. SEPTEMBER - 08. OKTOBER 2023 Uraufführung für die Hamburger Kammerspiele von Lutz Hübner und Sarah Nemitz REGIE UND BÜHNE: Sewan Latchinian KOSTÜME: Celina Blümner

T I C K E T S AU F W W W. H A M B U R G E R-K A M M E R S P I E L E . D E

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Weise überholt sich die Regisseurin in ihrem zweiten Anlauf ganz eindeutig selbst. Im Vergleich der Arbeiten zeigt sich dann auch eine der zentralen Qualitäten des Förderprogramms: Es ist die Gelegenheit zum Ausprobieren, die den Stipentiat:innen einen Nährboden für ihr künstlerisches Wachstum zu bieten versteht. Indem die beiden Inszenierungen Bartos es sich erlauben, zwischen dramatischem und postdramatischem Theater zu changieren, sehen sich die Zuschauenden dazu eingeladen, die junge Regisseurin in der Erkundung ihrer künstlerischen Stärken und Schwächen zu begleiten. Der Werkraum nimmt auf diese Weise die Funktion eines theatralen Laboratoriums ein, das den Stipendiat:innen ein Jahr für sämtliche Experimente zur Verfügung steht. Als ein weiteres bemerkenswertes Merkmal dieses Förderprogramms sei die Freiheit genannt, mit der die Stipendiat:innen ihre Ideen entwickeln und ihre Konzepte ausarbeiten konnten. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Spielweisen eines Stadttheaters soll der Nachwuchs Entscheidungen hinsichtlich der Stückwahl sowie der Besetzung unabhängig von den regulären Vorgaben und Abläufen des Theaterbetriebs treffen können. Es soll ein Raum geschaffen werden, der sich – fern vom Rest des institutionellen Getriebes – durch eine Freiheit der künstlerischen Arbeit auszeichnet: Ein Refugium, in dem die werdenden Künstler:innen erste eigene Schritte ihres theatralen Schaffens gehen dürfen. Fritzi Wartenbergs erste WORX-Arbeit „The Writer“ hält für dieses Thema dann sogar eine kluge Metaebene breit, von der aus die Regisseurin ein reflektiertes Nachdenken über die Verzahnung von Kunst und Kommerz anstößt, und mit den patriarchalen Machtstrukturen der Kulturproduktion abzurechnen beginnt. Im Stück von Ella Hickson trifft eine junge Autorin nach Vorstellungsende auf den Regisseur des Abends, der sie in ein Gespräch verwickelt, von dem aus sich viele unausgesprochene Ungerechtigkeiten kraftvoll Bahn brechen. Zu sehen ist eine Blaupause unserer Gesellschaft, die zu Recht erschreckt. In der Wahl dieses Stückes wird dann auch eine weitere wichtige Qualität des Förderprogramms deutlich: Als Dreh- und Angelpunkt dieses ersten Durchlaufs tritt die Art und Weise hervor, mit der sich Inhalt und Struktur die Hand reichen. Denn ein entschlossener feministischer Blick lässt erkennen, dass Theater nicht nur die Welt kritisch auszuleuchten imstande sein sollte, sondern auch sich selbst. Es ist Zeit für junge Stimmen. Stimmen, die Lust haben, im Namen des Theaters das Patriarchat ins Wanken zu bringen. Das Berliner Ensemble hat mit diesem ersten Jahrgang des Nachwuchsförderprogramms ein Experiment gewagt, das – so stellen es die vier überaus klugen Inszenierungen unter Beweis – Früchte tragen durfte. Der Rückblick zeigt: Wir brauchen feministisches Theater. Und am besten ganz viel davon. Und zum Abschluss dieses Rückblicks nun ein Ausblick: Die Stipendiat:innen des zweiten Jahrgangs sind bereits vom Berliner Ensemble bekannt gegeben worden. Der iranische Performancekünstler und Regisseur Alireza Daryanavard und der norwegische Performer und Regisseur Heiki Riipinen werden in der Spielzeit 2023/24 die Chance haben, dem Werkraum ein neues Gesicht zu geben – ihre eigenen Schwerpunkte zu setzen; ihr eigenes Theater zu machen. Wir dürfen also gespannt sein. T

Theater der Zeit 9 / 2023


PROGRAMM SEP + OKT 23 ab 23/09/23 — Stadttheater

ab 19/10/23 — Spiegelhalle

von Robert Icke sehr frei nach „Professor Bernhardi“ von Arthur Schnitzler Regie Franziska Autzen

nach Friedrich Schiller in einer Überschreibung von Juli Mahid Carly Regie Juli Mahid Carly Uraufführung — JTK 14+

ab 24/09/23 — Werkstatt

ab 20/10/23 — Stadttheater

DIE KABALE +LIEBE ÄRZTIN STATE OF THE TRAGÖDIEN UNION BASTARD von Ewe Benbenek Regie Emel Aydoğdu

Theater der Zeit 9/ 2023

Eine Ehe in zehn Sitzungen von Nick Hornby Regie Abdullah Kenan Karaca

theaterkonstanz.de


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PRINZ VON PREUSSEN

Musical von Dieter Brand und Harry Sander Buch von Helmut Bez und Jürgen Degenhardt Premiere 23. September 2023

OH, WIE SCHÖN IST PANAMA

Kindertheater ab 4 Jahren nach der Geschichte von Janosch Premiere 22. Oktober 2023

DAS BEISPIELHAFTE LEBEN DES SAMUEL W.

von Lukas Rietzschel Auftragswerk des Gerhart-Hauptmann-Theaters Premiere 20. Januar 2024 | Uraufführung

PETER PAN

Theaterstück für die ganze Familie nach J.M. Barrie | Musik Leonard Bernstein Premiere 21. Januar 2024 | Spartenübergreifend

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

Romantische Oper von Richard Wagner Premiere 09. März 2024

DIE SCHATZINSEL

Abenteuerstück nach Robert Louis Stevenson Premiere 15. Juni 2024 | Sommertheater Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau Kartentelefon: 03581 474747


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Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen

Premieren Spielzeit 2023/2024 23. September 2023

großes Haus

BILLS BALLHAUS BAND

Schauspiel Kammerbühne

Premiere 23. Sep. 2023

in Szene gesetzt von Wolf –Dieter Gööck Mit Live -Musik 29. September 2023

großes Haus

DIE ZIRKUSPRINZESSIN

Operette von Emmerich Kalman Kooperation des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters Bautzen und der Landesbühnen Sachsen, Radebeul 13./14. Oktober 2023

Burgtheater

DIE WUNDERÜBUNG

Komödie von Daniel Glattauer 14. Oktober 2023

Dreikretscham

PIWO

Komödie von Miro Gavran, In obersorbischer Sprache Burgtheater

WÓLBERNE BAJKI

Puppen- und Schattentheater nach sorbischen Märchenmotiven von Stephan Siegfried In obersorbischer Sprache 29. Oktober 2023

großes Haus

PINOCCHIO

von Carlo Collodi in einer Bühnenfassung von Peter-Jakob Kelting und Jürg Schlachter (Mitarbeit von Annette Pach) 17./18. November 2023

großes Haus

BAUTZENER BÜHNENBALL 2023 ZU GAST BEI DER ADDAMS FAMILY 24. November 2023

Burgtheater

DETOX DEUTSCHLAND

Komödie von Thomas Fritz und Holger Böhme 26. November 2023

Burgtheater

VOM FISCHER UND SEINER FRAU

Puppentheater nach dem Märchen von Philipp Otto Runge 2. Dezember 2023 großes Haus Jubiläum 75 Jahre Sorbisches Volkstheater / 60 Jahre Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen Deutsche Erstaufführung

SCHIERZENS HANKA

Aus dem Leben der katholischen Sorbin jüdischer Herkunft Schauspiel von Esther Undisz nach Jurij Koch In deutscher und obersorbischer Sprache 17. Dezember 2023

Burgtheater

NÄRRISCHE MÄRCHEN ODER FRAU MÜLLER DREHT AM RAD

Puppen- und Schattentheater nach sorbischen Märchenmotiven von Stephan Siegfried 10. Februar 2024

PHŌNĒ – GIVING MINORITY LANGUAGES A VOICE

großes Haus

Uraufführung

HERCY MUSIKANTEN

Schauspiel von Lubina Hajduk-Veljkovićowa In obersorbischer Sprache mit Simultanübersetzung ins Deutsche 11. Februar 2024

Burgtheater

AN DER ARCHE UM ACHT

Puppentheater nach Ulrich Hub 1. März 2024

großes Haus

NACHTLAND

Eine satirische Komödie von Marius von Mayenburg 20. März 2024

Burgtheater

RADORAJ

von Edeltraud Amira In obersorbischer Sprache 24. März 2024

Burgtheater

IDA UND DER FLIEGENDE WAL

Puppentheater nach Rebecca Gugger und Simon Röthlisberger 13. April 2024 Uraufführung

Drachhausen

SMJERŚ PÓ ŠTUCKACH

Ein Spreewaldkrimi von Alexander Marusch und Madleńka Šołćic Nach einer Erzählung von Marcus Końcar In niedersorbischer Sprache 19. April 2024 Anlässlich des 100. Todestages von Franz Kafka

großes Haus

KAFKA UND DIE FRAUEN

Ein Biographical von Stefan Wolfram 14. Mai 2024

unterwegs in der Niederlausitz

TŚMJELOJC HANA WÓCAKUJO WOGLĚD

von Mirko Brankatschk In niedersorbischer Sprache 26. Mai 2024

IM LAND DER DÄMMERUNG

Burgtheater

Puppentheater nach dem Kinderbuch von Astrid Lindgren 6. Juni 2024 28. Bautzener Theatersommer

SPUK UNTERM RIESENRAD

Frei nach C. U. Wiesner von Lutz Hillmann

Telefon: 03591/584-0 www.theater-bautzen.de

Hof der Ortenburg

Kraftwerk

17. Oktober 2023

Ein Recherche-Stück von Calle Fuhr in Kooperation mit CORRECTIV (UA)


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Schauspiel Nach Wolfgang Herrndorf

Tschick 15.09.2023

Heinrich von Kleist

Der zerbrochene Krug

Hartmut El Kurdi

Angstmän 24.11.2023 Éric-Emmanuel Schmitt

Der Besucher

Sophokles

26.01.2024 Édouard Louis

27.01.2024

Die Freiheit einer Frau

George Tabori

08.03.2024

Die GoldbergVariationen

Thomas Richhardt

09.03.2024

19.04.2024

Nach Miguel de Cervantes

Nach den Brüdern Grimm

Don Quijote

2023 2024

29.09.2023

07.10.2023

Antigone

PREMIEREN

Elfriede Jelinek

Prinzessinnendramen

Bonnie und Clyde Jorinde und Joringel

20.04.2024

25.11.2023

Eugène Labiche

Nach Astrid Lindgren

Die Affäre Rue de Lourcine 16.09.2023

Pippi auf den sieben Meeren 08.06.2023

Schauspieldirektor: Carsten Knödler | Tickets +49 (0)371 4000-430 | www.theater-chemnitz.de


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Staatsschauspiel DResden

Premieren 2023 - 2024 Fr 29. Sep 2023

Regie Joanna Praml Premiere 08.09.2023

Sa 16. Mrz 2024

Winterkind und Herr Jemineh UA

LULU von Frank Wedekind

Zikade

von Marion Brasch Schauspiel und Puppentheater Kleine Bühne 6+ Regie Ania Michaelis Sa 14. Okt 2023

Glitzer für alle! UA

nach dem Bilderbuch von Milena Baisch und Eefje Kuijl in einer Fassung von Julia Brettschneider Schauspiel Studiobühne 4+ Regie Julia Brettschneider Sa 11. Nov 2023

Der Koch und der halbe Soldat UA

von Jo Roets und Greet Vissers aus dem Niederländischen von Uwe Dethier nach dem Roman „Wie Tortot sein Fischherz verlor“ von Benny Lindelauf eine Koproduktion mit dem Theater Laika, Antwerpen Schauspiel und Puppentheater Studiobühne für Familien mit Kindern ab 10 Regie Jo Roets und Christoph Levermann Sa 25. Nov 2023

Schneewittchen

nach dem Bilderbuch von Shaun Tan Puppentheater Studiobühne 8+ Regie Christoph Levermann

Sa 20. Jan 2024

Sonnenaufgang UA

von Daniella Strasfogel Schauspiel Studiobühne 6+ Regie Daniella Strasfogel Do 08. Feb 2024

Das Gewicht der Ameisen

Liebe Kitty

nach Anne Frank Schauspiel Große Bühne 12+ Regie Julia Brettschneider Sa 13. Apr 2024

Die gebesserte Ratte

MINISTERIUM DER TRÄUME nach Hengameh Yaghoobifarah Regie Monique Hamelmann Premiere 10.09.2023

von Bertolt Brecht (Text) und Kurt Weill (Musik) Regie Volker Lösch Premiere 06.10.2023

DER SANDMANN nach E.T. A. Hoffmann Regie Sebastian Klink Premiere 07.10.2023

WAS WIR ERBEN von Romy Weyrauch

Regie Romy Weyrauch Uraufführung 14.10.2023

nach Hans Fallada in einer Fassung von Peter Brasch Schauspiel Studiobühne 8+ Regie Petra Schönwald

AJAX von Thomas Freyer

Do 25. Apr 2024

DER SATANARCHÄOLÜGENIALKOHÖLLISCHE WUNSCHPUNSCH von Michael Ende

Fanklub UA

eine Performance für die theatrale Fankurve von Daphna Horowitz, Miriam Knoll und Ensemble Theaterakademie Kleine Bühne Regie Daphna Horowitz und Miriam Knoll

FAST FORWARd

Europäisches Festival für junge Regie 02.–05.11.2023

PIAF von Laura Linnenbaum 12+

Regie Laura Linnenbaum Premiere 25.11.2023

HEY SEXY! von Turbo Pascal

Konzept Turbo Pascal Uraufführung 01.12.2023

WOYZECK von Georg Büchner

Do 23. / Fr 24. / Sa 25. Mai 2024

tjg. tak-ticker 2024

Regie Jan Gehler Uraufführung 28.10.2023

Regie Philipp Lux Premiere 04.11.2023

UA

drei Projekte angeleitet von Jugendlichen Theaterakademie Probebühne Theaterakademie 14+

Regie Lily Sykes Premiere 02.12.2023

NAPOLEON Bonaparte von Tom Kühnel Regie Tom Kühnel Uraufführung 26.01.2024

ATLANTIS von Sebastian Hartmann und PC Nackt Regie Sebastian Hartmann Uraufführung 27.01.2024

Ida und der fliegende Wal

nach dem Bilderbuch von Rebecca Gugger und Simon Röthlisberger Puppentheater Sonnenhäusel im Großen Garten 4+ Regie Esther Falk So 02. Jun 2024

MAMMA MEDEA von Tom Lanoye

Regie Lilja Rupprecht Premiere 23.02.2024

DO IT YOURSELf! von Tobias Rausch

Regie Tobias Rausch Uraufführung 24.02.2024

JUDITH SHAKESPEARE – RAPE AND REVENGE von Paula Thielecke Regie Laura Kutkaitė Premiere 02.03.2024

UNART

Pinocchio

nach Carlo Collodi eine Koproduktion mit dem Zoo Dresden Schauspiel und Puppentheater Freilichtbühne im Zoo Dresden 6+ Regie Julia Sontag

12+

Jugendwettbewerb für multimediale Performances 06. & 07.03.2024

DER BESUCH DER ALTEN DAME von Friedrich Dürrenmatt Regie Nicolai Sykosch Premiere 05.04.2024

Ein neues Projekt von Adrian Figueroa Regie Adrian Figueroa Premiere 06.04.2024

DAS SCHLOSS nach Franz Kafka

Regie Maxim Didenko Premiere 04.05.2024

Fr 01. Mrz 2024

DIE JAGD nach Thomas Vinterberg und Tobias Lindholm

Chronik der Weltuntergänge UA

Regie Daniela Löffner Premiere 31.05.2024

DAS SPIEL VON LIEBE UND ZUFALL

eine Performance im Angesicht möglicher Endzeit-Szenarien von Daniella Strasfogel, Thilo Grawe und Ensemble Schauspiel und Theaterakademie Große Bühne 12+ Regie Daniella Strasfogel und Thilo Grawe

tjg. theater junge generation

Regie Daniela Löffner Premiere 09.09.2023

DIE DREIGROSCHENOPER

Mi 27. Mrz 2024

Sa 01. Jun 2024

nach den Brüdern Grimm in einer Fassung von Nis Søgaard Schauspiel und Puppentheater Große Bühne 6+ Regie Nis Søgaard

von David Paquet Schauspiel Kleine Bühne Regie Julia Sontag

PEER GYNT nach Henrik Ibsen

von Pierre Carlet de Marivaux Regie Lily Sykes Premiere Mai /Juni 2024

MUSIKALISIERT EUCH! von Bernadette La Hengst

Regie / Musik Bernadette La Hengst Uraufführung 20.06.2024

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2023

Programm

2024

Künstlerische Leitung Schauspiel: BarbaraDavid Brüesch

Das Fest

Schauspiel nach dem Film von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov Premiere 14.9.23

«Re:INCARNATION», Foto: Blandine Soulage, Hervé Veronese, Centre Pompidou

Inszenierung: Nina Mattenklotz

Die Ärztin

Kilroy is not here anymore KO P RO D U K T I O N

Schauspiel von Robert Icke Premiere 1.11.23

Eine Oper ohne Oper Ensemble ö! & Annika Tudeer (Oblivia)

Gott

S!ING ME A LOVE SONG

Inszenierung: Barbara-David Brüesch

Schauspiel von Ferdinand von Schirach Premiere 15.12.23 Inszenierung: Jonas Bernetta

Sturm

Schauspiel nach Motiven aus William Shakespeares Der Sturm Premiere 10.1.24 Inszenierung: Anja Horst

The Black Rider

Schauspielmusical von Tom Waits, Robert Wilson und William S. Burroughs Wiederaufnahme 9.3.24 Inszenierung: Barbara-David Brüesch

Fischer Fritz

Schauspiel von Raphaela Bardutzky Premiere 17.4.24 Inszenierung: Manuel Bürgin

Ein szenisches Konzert junges theater basel

Verrückt nach Trost KO P RO D U K T I O N Ein Fest der Schauspielkunst Thorsten Lensing

Re:INCARNATION

Ein afrofuturistisches Tanzexperiment mit der QDance Company Culturescapes

The Walks

Audio-geführte Spaziergänge Haug/Kaegi/Puschke/Wetzel (Rimini Protokoll)

When You Move Like That

Tanzend die Welt erobern Ilona Kannewurf & Guy Krneta

Hedda Gabler

Sonnensturm KO P RO D U K T I O N

Inszenierung: Heike M. Goetze

Theaterkollektiv Nucleus

Schauspiel von Henrik Ibsen Premiere 31.5.24

Extrawurst

Komödie von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakobs Premiere 12.6.24 Inszenierung: Johanna Böckli

Eine strahlende Show

PRESS Play.

Von Avataren und Algorithmen Kopergietery, playField.

TELL von Joachim B. Schmidt KO O P E R AT I O N

Odysseus am Strand

Inside Wilhelm Tell – ein bildgewaltiges Erzähltheater René Schnoz

Lahme Ente, blindes Huhn

Anne-Marie die Schönheit

Schauspiel von Holger Schober Kinderstück von Ulrich Hub

Der Wolf kommt nicht

Kinderstück nach einem Bilderbuch von Myriam Ouyessad

Supergute Tage

Schauspiel nach einem Roman von Mark Haddon in einer Fassung von Simon Stephens

Die letzte Geschichte der Menschheit Schauspiel von Sören Hornung

konzertundtheater.ch

Robert Hungerbühler spielt Yasmina Reza Theater Freiburg

Wut KO P RO D U K T I O N

Eine interaktive Performance und multimediale Installation Mandarina&Co

7 Lieder aus letzter Zeit Ein posthumanes Musiktheater Thom Luz

Der kaukasische Kreidekreis

Brechts Drama neu interpretiert Helgard Haug (Rimini Protokoll) &Theater HORA Mehr auf theaterchur.ch


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Orestie (UA) Teil 1: Elektra Teil 2: Orestes

ausgesprochen ich (UA)

Monte Rosa (SEA)

KuscheltierSafari (UA)

Die Eisbärin

Teresa Dopler

Rüdiger Hauffe

Regie: Fritzi Wartenberg

Gustavs Schwestern,

Regie: Hannah Nagel

in der Bühneninstalla-

Regie: Bene Greiner

ab 25. Mai 2024

Teresa Rotemberg

ab 25. Oktober 2023

tion DAS HAUS

ab 20. Januar 2024

Dornröschen / Rose mit Dornen (SEA)

Langenbach

Tea Tupajić

Die Leiden des jungen Werther

ab 26. August 2023

Agatha Christie

Koproduktion Münchner

Johann W. Goethe

Brüder Grimm /

Regie: Wojtek Klemm

Kammerspiele

Regie: Markolf Naujoks

Charles Way

ab 31. Januar 2024

25. / 26. Juni 2024

ab 19. Oktober 2023

Regie: Theo Fransz

Fellmann / Stierle

Die Ärztin

ab 13. September 2023

Robert Icke

Orlando Virginia Woolf

ab 28. November 2023

ab 27. März 2024

Regie: Corinna von Rad

the future is now

ab 15. September 2023

Festival mit Abschlussarbeiten von Theaterstudierenden

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luzernertheater.ch

L A V E R O N A L

Spielzeit

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Luce

3. bis 5. Mai 2024

23/24 Schauspiel

Regie: Sebastian Schug

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09- 11 NOV La Veronal, Barcelona

Konzept und Regie:

2023 20 24

Müllers (UA)

Konzept und Regie:

theater winterthur.ch

Licht (UA)

Mord im Orientexpress

Regie: Katja

Choreografie von Marcos Morau

Raoul Schrott / Euripides

ab 23. September 2023

Eva Rottmann


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Schauspiel Premieren Spielzeit 2023/24

Stolz und Vorurteil*

*oder so Musikalische Liebeskomödie von Isobel McArthur nach Jane Austen Premiere 19.08.2023 Regie: Anne-Kathrin Gummich Eine Kooperation mit der

Nachtschwärmer (Christmas) von Simon Stephens Premiere 22.09.2023 Regie: Britta Geister

Merlin oder Das wüste Land von Tankred Dorst / Ursula Ehler Premiere 29.09.2023 Regie: Maik Priebe

UNSERE HIGHLIGHTS

Der Entstörer

DON BUONAPARTE

Klassenzimmerstück von Ursula Kohlert Premiere 06.10.2023 Regie: Tim Heilmann

UA

Musikalische Komödie von Alberto Franchetti Premiere am 14. Oktober 2023

Die Känguru-Chroniken

DER FÜRST VON PAPPENHEIM

von Marc-Uwe Kling / Hör-Theater Premiere 12.10.2023 Regie: Eike Hannemann

Operette von Hugo Hirsch Premiere am 9. Dezember 2023

Die Affäre Rue de Lourcine Komödie von Eugène Labiche Premiere 10.11.2023 Regie: Martina Eitner-Acheampong

DOKTOR DOLITTLE

DEA

Musical von Leslie Bricusse Premiere am 10. Februar 2024

Glaube Liebe Hoffnung

Volksstück von Ödön von Horváth & Lukas Kristl Premiere 16.02.2024 Regie: Maik Priebe

DAS BLAUE KLAVIER

Alle meine Männer (DSE)

Komödie von Ray Cooney / Bearbeitung von Michael Barfoot Premiere 22.03.2024 Regie: N. N.

SUA

Kammeroper von Albena Petrovic Premiere am 20. April 2024 DEA Deutsche Erstaufführung I UA Uraufführung SUA Szenische Uraufführung

Polizeiruf 110

Folge 1: „Vera Arndt ermittelt“ Frühjahr 2024 Ein Projekt des Ensembles

Cabaret

Musical von Joe Mastero, John Kander und Fred Ebb Premiere 07.06.2024 Immersives Sommerspektakel Regie: Maik Priebe

tog.de

Erzgebirgische Theater- und Orchester GmbH Eduard-von-Winterstein-Theater Intendanz: Moritz Gogg Buchholzer Straße 67 09456 Annaberg-Buchholz Tel. 03733 1407-131 service@erzgebirgische.theater

www.erzgebirgische.theater


Theater der Zeit

Report

„The Bacchae“ nach Euripides beim Athens Epidauros Festival in der Regie von Elli Papakonstantinou

Foto Pierre Gondard

Athen Epidauros Theater Festival Aalen Baden-Württembergische Theatertage Fribourg Schweizer Theatertreffen

Theater der Zeit 9 / 2023

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Report Athen

Vom unheimlichen Knarren unserer Zeit Frank Castorf inszeniert „Medea“ im antiken Theater von Epidauros – vor neuntausend Zuschauer:innen Von Volker Gebhart

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Die Hitze flirrt in diesem Juli auf einem unerträglichen Niveau. Davon unbeirrbar schlängelt sich der klimatisierte Linienbus auf der Anfahrt aus Athen durch malerische Berg- und Waldlandschaften. Dabei verläuft die Straße in Richtung Epidauros oftmals direkt am Meer entlang. Die Aussicht könnte schöner nicht sein. Etwa auf der Höhe von Korinth dann der jähe Bruch beim Genuss der Natur: Rechts durch das Fenster gerät einer der im Land unerbittlich lodernden Waldbrände in den Blick. Hinter den Hügeln steigen unablässig Rauchwolken auf. Noch vor einer Woche hat die Polizei den Bus an genau dieser Stelle wegen des Feuers den gesamten Verkehr gestoppt, berichtet der junge griechische Sitznachbar. Für drei Stunden ging es nicht mehr weiter. Diesmal ist die Durchfahrt frei. Der bis auf den letzten Platz vollbesetzte Bus befördert an diesem Nachmittag vor allem lokale Reisende, zudem einige Besucher, die das Athens Epidauros Festival ansteuern. Höhepunkt des Theaterfestivals in diesem Sommer: Die Weltpremiere von Frank Castorfs „Medea“. Die Kulisse hierzu könnte nicht beeindruckender sein: Spielstätte ist das historische antike Theater von Epidauros, errichtet im vierten Jahrhundert vor Christus. Im Hintergrund des spätklassischen Bauwerkes erstrecken sich weite Waldflächen; am Horizont verläuft die Berglandschaft der Argolis. An zwei Abenden strömen jeweils imposante neuntausendBesucher:innen, viele darunter sind trotz der enormen Hitze

Theater der Zeit 9/ 2023

Foto links Alex Kat

„Medea“ von Euripides beim Athens Epidauros Festival in der Regie von Frank Castorf


Report Athen modisch elegant gekleidet, in das antike Theater. Die Atmosphäre ist ausgelassen angeregt, die eines typischen Sommerfestivals. Handys werden gezückt, endlos wird posiert, die Szenerie oftmals als Selfie-Hintergrund im Bild festgehalten. Wenn nur die Hitze nicht wäre. Die Sitznachbarin wedelt unablässig mit ihrem Fächer – und das nicht nur, um etwas Abkühlung zu gewinnen, sondern, weil sich jetzt auch noch eine Fliege immer wieder um ihren Kopf saust. Die Bühnengestaltung durch Aleksandar Denić erregt trotz des schier endlosen Stroms der eintreffen Zuschauer und dem damit einhergehenden Durcheinander schon vor Beginn des Spiels Aufsehen: Das Bühnenbild konfrontiert und fordert die historische Spielstätte selbst heraus – und das effektiv, auch durchaus drastisch. Denić hat große Mengen Sand und Müll, darunter zahllose leere Plastikflaschen, in den Bühnenraum des historischen Theaters geschüttet. Wie nach der Premiere zu hören ist, hatte der Bühnenbildner aus Belgrad zunächst vorgehabt, die Bühne noch sehr viel ausgiebiger und höher mit den Flaschen aufzufüllen, ist dann aber auf zu viel Widerstand beim Festival und Archäologen der Stätte gestoßen. In unregelmäßigen Abständen zueinander sind farbige Zelte aufgeschlagen. Der Eindruck eines verlassenen Schauplatzes gestrandeter Geflüchteter entsteht. Dahinter positioniert: eine große Leinwand für die im Castorf-Theater typische Videoprojektion. An dieser prangt oben rechts ein auseinandergebrochenes, rot leuchtendes Coca-Cola-Logo. Auch dessen Einsatz hatte bereits im Vorfeld und auch in der lokalen Presse für Aufsehen und Kritik gesorgt. Die Bühne hat versetzt nach hinten zur linken Seite eine zweite Ebene: Dort hat Denić einen effektvoll von Lothar Baumgarte in rotes Licht getauchten Container aufgebaut, der via Videoprojektion des Geschehens im Inneren ein weiterer wichtiger Schauplatz der Inszenierung ist. Das ist optisch bereits eindrucksvoll. Die besonders fein ausgeprägte Akustik des antiken Theaters verleiht Denićs Arbeit jedoch noch einen weitergehenden Effekt: Wenn die Schauspieler auf die Plastikflaschen treten, was ständig passiert, erzeugt das jedes Mal ein beunruhigendes Geräusch: Dieses unheimliche Knarren unserer Zeit verstärkt die Wirkung des Bildes der Gestrandeten am Ufer unserer Gesellschaft erheblich. Castorf bricht Euripides’ Fassung der griechischen Tragödie auf. Der ehemalige Intendant der Volksbühne (wo er schon mal eine „Medea“ inszenierte) nimmt neben der Tragödie des Euripides in bewährter Weise weitere Texte und hiermit Ebenen hinzu. In diesem Fall sind das „Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten“ (ein Werk, das selbst aus mehreren zusammen gesetzten Texten besteht) von Heiner Müller sowie „Eine Zeit in der Hölle“ und „Illuminationen“ von Arthur Rimbaud. Castorf greift hier nicht nur Müllers Auseinandersetzung mit den psychologischen Aspekten der griechischen Tragödie auf: der Mensch in seiner tiefen Abgründigkeit und mit seinen konfliktreichen Widersprüchen. Er übernimmt auch das Motiv des Ufers und thematisiert die ebenso bei Rimbaud enthaltenen Bezüge zum Konsumwahn und Kapitalismus. In der Besetzung belässt es Castorf nicht bei einer Medea. Bei ihm verkörpern alle fünf Schauspielerinnen, Stefania Goulioti, Sofia Kokkali, Maria Nafpliotou, Angeliki Papoulia und Evdokia Roumelioti, gleichzeitig und auch im Zusammenspiel die mörderische Protagonistin. Sie verkörpern dabei jeweils verschiedene Facetten der

Theater der Zeit 9 / 2023

mythischen Figur. Auch hier gibt es wiederum einen Berührungspunkt mit Heiner Müllers Werk. Zu seinem Text „D M play“, einem Prolog für ein möglicherweise umfangreicheres Medea-Stück, der in Castorfs Epidauros-Inszenierung allerdings keine Verwendung findet, hatte Müller Entwürfen zufolge ebenfalls eine Aufteilung der Medea auf zumindest drei verschiedene Figuren vorgesehen. Castorfs Medea ist eine Figur, die sich im Ringen, um ihre verzweifelte Situation in den fünf parallelen Verkörperungen als zerrissen und gleichzeitig stark und immer wieder kämpferisch erweist. Dabei erscheint ihre Situation ausweglos: Nachdem sie für ihren Partner Jason ihren Bruder ermordet und ihre Familie betrogen hat, flieht sie mit ihm nach Korinth. Dort bricht Jason mit ihr und geht eine neue Verbindung mit Kreons Tochter ein. Medea findet sich in ihrem neuen Domizil Korinth als Betrogene, als gestrandete Heimatlose ohne Asyl. Sie schwört Rache. Castorf holt aus seinen Darstellerinnen und Darstellern, allesamt im und über das Land bekannte Schauspieler aus Theater und Film, eine durchgehend hohe Intensität und Präsenz heraus. Das gelingt unter anderem deshalb, weil ihm in der Produktions- und Probenphase jede Bewegung, jede Atempause und die Darbietung jeden Satzes wichtig ist. Anders als Zuschauer im deutschsprachigen Raum reagiert das Publikum in Epidauros stärker auf die darstellerischen Leistungen. Gerade im Anschluss an exzessive Monologe braust hier immer wieder Szenenapplaus von den Rängen auf. Die männlichen Figuren, darunter Jason und Kreon, König von Korinth, erscheinen letztlich hilfloser, immer wieder clownesk. Zum einen poltern sie toxisch maskulin und gestikulieren überbrausend mit Geschlecht und Waffe über die Bühne. Dann wieder erscheinen sie empfindlich und reflexiv-philosophisch. ­Aineias Tsamatis sinniert, vollständig in Gold gekleidet, in einem der wieder herausragenden Kostüme von Adriana Braga Peretzki über Frauen und Beziehungen („Die Liebe muss neu erfunden werden“). Immer wieder schleicht sich Slapstick-Humor ein. ­Nikolas Hanakoulas rutscht gleich zweimal hintereinander auf derselben Bananenschale aus und feiert sich dabei erfrischend selbst als neue Charlie-Chaplin-Inkarnation. Gleich zu Beginn des Spiels sieht sich das Publikum mit der drastisch wuchtigen Sprache Heiner Müllers konfrontiert. Der Ton ist damit schnell gesetzt. Immer wieder verlassen darauf einige Zuschauer:innen die Ränge, denen diese avantgardistische Interpretation der griechischen Tragödie offensichtlich zu radikal erscheint. Castorf ist einige Empörung gewohnt und einer seiner Darsteller kokettiert dann noch in der ersten Stunde der Inszenierung auch aus dem Container: „Sind denn noch Zuschauer übrig?“ Während dieser Spaß gut ankommt, bleibt die Vielzahl der Zuschauer:innen ohnehin die ganze Zeit über und spendet am Ende frenetischen Applaus. Mit etwa drei Stunden bleibt der Abend für eine CastorfInszenierung vergleichbar kurz, hinterlässt aber in dem beindruckenden antiken Theater mit den tausenden Zuschauer:innen einen gewaltigen und einmaligen Eindruck. Die Einmaligkeit ist zugleich bitterer Ausblick: Ursprüngliche Pläne, die nur an zwei Abenden gespielte „Medea“ Inszenierung in Athen neu aufzunehmen, haben sich offenbar zerschlagen. T

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Report Baden-Württembergische Theatertage

Vom Verschwinden der Körper in frostiger Zeit Mit einem Stückemarkt setzen die Baden-Württembergischen Theatertage in Aalen Zeichen für neue Dramatik Von Elisabeth Maier

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Das Theatertreffen in Berlin hat den Stückemarkt abgeschafft. In Zeiten, da die Stimmen in der neuen Dramatik international an Bedeutung gewinnen, war das 2022 ein umstrittener Schritt des neuen Leitungsteams um den Intendanten Matthias Pees. Bei den Baden-Württembergischen Theatertagen in Aalen richtete Harald Müller, Herausgeber von Theater der Zeit, den Blick auf neue Autorinnen. „Es ist wichtig, Publikum und Dramatiker:innen in Kontakt zu bringen“, sagt der Kurator der Reihe, die bei der landesweiten Werkschau eine gelungene Premiere feierte. Im Kino am Kocher des restaurierten Kulturbahnhofs der Kreisstadt auf der Ostalb punktete der Stückemarkt mit starken neuen Texten. Den Anfang machte Theresia Walser, die ihr Stück mit dem Arbeitstitel „Ash“ vorstellte. Den Monolog hat die bekannte deutsche Dramatikerin, die in Freiburg lebt, für den luxemburgischen Schauspieler Steve Karier geschrieben. Die „Liebeskomödie für einen Mann und einen Baum“ wird im September beim Kunstfest Weimar uraufgeführt. Für Tonio Kleinknecht, den Intendanten des Theaters Aalen, das die 26. Baden-Württembergischen Theatertage ausrichtet, bietet der Stückemarkt eine große Chance „gerade hier jenseits der Theaterzentren“. In Aalen wird eine wichtige Auszeichnung für Literat:innen vergeben, der mit zwanzigtausend Euro dotierte Schubart-Literaturpreis. Da wünscht sich Kleinknecht, dass künftig die Dramatiker:innen zum Zug kommen. Neue Stücke auch an kleinen Bühnen zu etablieren, ist eine Leitlinie in der Theater-

Theater der Zeit 9/ 2023

Foto Maria Clarissa Wolf

„Mädchen mit Hutschachtel“ von Lisa Sommerfeldt in der Regie von Petra Jenni mit dem Ensemble der Jungen Badischen Landesbühne Bruchsal bei den BadenWürttembergischen Theatertagen in Aalen


Report Baden-Württembergische Theatertage arbeit des Theatermanns und seiner Co-Intendantin Tina Brüggemann. Mit Anastasiia Kosodii aus der Ukraine (siehe TdZ 6/23) und Matin Sofipour Omam aus dem Iran betrachtete die kleine Werkschau internationalen Krisen. Der Austausch mit den Künstlerinnen kam beim Publikum sehr gut an. Wie breit das Spektrum der neuen Dramatik in der badenwürttembergischen Szene ist, zeigten die Gastspiele im Kulturbahnhof. Im „Kubaa“, wie die Aalener ihr Kulturhaus in dem ehemaligen Eisenbahngebäude nennen, haben neben dem Theater unter anderem die Musikschule und das kommunale Kino ihr Domizil. Hundert Jahre lang wurden in dem historischen Gebäude Lokomotiven repariert. Dass die Stadt Aalen das renovierte Haus 2020 für die Kultur freigab, ist ein bemerkenswertes Signal für die Kunst auf der ländlich geprägten Ostalb – gerade in Zeiten angespannter Haushaltslage. Das Kulturhaus ist Herzstück eines neuen Stadtquartiers, das hinter dem Bahnhof in Aalen entsteht. Auf der Ostalb waren dreißig Produktionen aus zwanzig Häusern zu Gast – zehn Tage lang. Dafür kamen etwa vierhundert Theaterschaffende in die Stadt, die sich in Workshops und Diskussionsrunden austauschten. Spontan entwickelten sich im Foyer Gesprächsrunden. Das Publikum nutzte die Chance, Ensembles aus dem ganzen Land kennenzulernen. Mit der Stückentwicklung „Ein Quäntchen von allem“ untersucht Peer Mia Ripberger, Regisseur* und Ko-Intendant* des Instituts für Theatrale Zukunftsforschung (ITZ) am Zimmertheater Tübingen, queere Lebenswirklichkeiten. Eines Morgens macht sich Emilio Muschel auf die Suche nach seinem Lebensgefährten, der spurlos verschwunden ist. Statt des geliebten Menschen greift der Schauspieler Roman Pertl in das weiche Fell eines Waschbären. In dem poetischen Text schickt Ripberger, der mit „Ein Quäntchen von allem“ das junge Ensemble des Tübinger Stadttheaters in einen poetischen Traumraum schickt, ein verstörendes Statement für die Vielfalt. Laurin Nussbaum, virtuos in die inneren Konflikte gepeitscht von Morris Weckherlin, denkt über die eigene Unsichtbarkeit nach: „Habe mich oft gefühlt, als wäre ich schon verschwunden / und wirklich sehr oft habe ich meinen Körper verflucht.“ Der Schmerz des Menschen, dem die Gesellschaft die sexuelle Identität abspricht, spricht aus diesen Zeilen. Keine Hilfe finden die Männer in der Welt der Kommissarinnen, Ärztinnen und Vermieterinnen. Ein klaustrophobischer Raum ist das Bühnenbild von Lisa Nickstat. Das kalkweiße Gefängnis des Geistes wirkt frostig. Die Konstruktion hat das ITZ vom Theater Baden-Baden übernommen. Diesen Raum hat die Bühnenbildnerin für die Inszenierung von Judith Herzbergs Stück „Lieber Arthur“ geschaffen. Für die Alptraumreise des ITZ hat die Künstlerin Kostüme geschaffen, die der Realität entrückt sind. Ihre Bildersprache taucht den recycelten Bühnenaufbau in ein neues Licht. Nachhaltigkeit im Bühnenaufbau ist der jungen Tübinger Bühne ein Anliegen. Dabei denken Ripberger und sein Regieteam den Raum ganz neu. Bühnenkunst verorten Peer Mia Ripberger und sein Mann Dieter mit ihrem Team in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der schwäbischen Universitätsstadt. Die Geschichte des „Mädchens mit Hutschachtel“, das am 22. Oktober 1940 gemeinsam mit anderen Jüd:innen aus Bruch-

Theater der Zeit 9 / 2023

sal von den Nationalsozialisten deportiert wurde, hat die Autorin Lisa Sommerfeldt für die Badische Landesbühne in Bruchsal nachgezeichnet. Ihr Stück „Wing.Suit“ ist 2019 am Theater in Aalen uraufgeführt worden. Nun war sie mit der historischen Stückentwicklung aus Bruchsal wieder am Haus zu Gast. Wer war dieses Mädchen, das die Autorin in einem Propagandafilm aus dem Jahr 1940 entdeckt hat. Unsicher schaut das Kind im eleganten Mantel in die Kamera. Das strahlt Würde aus. Für die Nazis ist sie nichts weiter als eine Todgeweihte, die ins Konzentrationslager deportiert werden soll. Doch für Edith Leuchter tat sich ein anderer Weg auf. Eine Untergrundorganisation hat sie gerettet. Ihr gelang die Flucht in die USA, wo sie heute lebt. Basierend auf Interviews und Gesprächen mit Zeitzeugen sowie auf der Arbeit in Archiven ist der Autorin ein lyrischer, emotionaler Text geglückt, der die Erfahrung des Holocausts berührend zeigt. Die Regisseurin und Dramaturgin Petra Jenni verdichtet die dokumentarischen Bilder zu einem Schauspielertheater, das unter die Haut geht. Das Erinnern an die Vernichtung der Jüd:innen und ihrer Kultur in Deutschland ist gerade in einer Zeit wichtig, in der Rassismus und Hetze gegen Fremde in den internationalen Gesellschaften wieder erstarken. Das Auftragswerk für die Junge BLB erzählt Zeitgeschichte in einer lebendigen, jugendgerechten Sprache. Der Spagat zwischen Dokumentartheater und der fesselnden Geschichte der Familie Leuchter gelingt der Autorin virtuos. Der studierten Schauspielerin gelingt es, die Geschichte der Menschen, die sie in Filmen und auf Fotos entdeckt hat, lebendig und klug in Szene zu setzen. Mit dem Rechercheprojekt leistet das Landestheater wertvolle Erinnerungsarbeit. T

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Rudimentär Die Marmeladenesser Zwei Einakter aus dem frühen 20. Jahrhundert von frappierender Aktualität und sprachlicher Brillanz nach August Stramm und Hans Henny Jahnn Regie: Benjamin Zock > Infos: theateramrand.de

21., 22., 23.9. und 27., 28.10. Theater am Rand, 16.9. Autokino Zempow (OPR), 11.10. Sangerhausen, 12.10. Hettstedt, 13.10. Kulturkirche Stolberg (Harz)


Im vermeintlichen Theater­niemandsland Das zehnte Schweizer Theatertreffen 2023 in Fribourg Von Daniel Mezger

„Rendez-vous“ von Eugénie Rebetez im Rahmen des Schweizer Theatertreffen

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Die Politikerreden zum Auftakt zeigen es bereits: Da wird mit Stolz auf die Vielsprachigkeit dieses Landes verwiesen, gerade hier in Fribourg, einer der wenig echt zweisprachigen Städte in einem der wenigen zweisprachigen Kantone der Schweiz, und dann, als man aus Unterstreichungsgründen kurz in die Nichtmuttersprache wechselt, stolpert dann doch Redner nach Redner über jedes zweite Wort. Die Schweiz hat viele Sprachen, aber man bleibt am liebsten in der eigenen. Was fürs Theater heißt: Es ist zwar möglich, in kurzer Fahrtzeit die meisten Spielstätte des Landes zu erreichen, aber den sogenannte Rösti- beziehungsweise ­Polentagraben (die gedachte Linie, die die Deutschschweiz von der französischen, bzw. italienischsprachigen trennt) überquert man dafür dann eben doch nie. Man ist sich fremd, was die auf dem Theater gesprochene Sprache, aber auch was die Theatersprache selbst anbelangt. Die Orientierung richtet sich zum jeweils sprachverwandten Ausland. Und so kann man in der Westschweiz auch nach Übersetzung nicht recht verstehen, was das sein soll, dieses „Stadttheatersystem“ und in der Deutschschweiz fragt man sich, wo denn die Ensembles sind, die zu all den Häusern gehören. Eine, die das Land bereist hat, um Brücken über besagte Gräben zu bauen, ist Julie Paucker, Alleinjurorin und Kuratorin dieses Festivals. Sie hat die Aufgabe, nicht nur die besten Stücke des letzten Kalenderjahres mitzubringen, sondern auch, eine ausgewogene Auswahl bereitzustellen, etwas Deutschschweiz, etwas Westschweiz, etwas Freie Szene, und wehe, wenn schon wieder das Tessin zu kurz kommt … Dazu kommt ein wechselnder Gastgeberkanton, plus will dieser dann auch bitte nicht nur den jeweiligen Hauptort bespielt wissen. Und so wird aus dem Festival bisweilen ein Branchenabstecher in Schulfahrtmanier ins vermeintliche Theaterniemandsland. Das Theatertreffen hat also zwar den Namen mit dem großen Geschwister aus Deutschland gemein, will und soll aber anderes. Und besitzt, das fällt sofort auf, einen deutlich breiteren, vielseitigeren Theaterbegriff. „A Game of Nibelungen“ von Laura Gambarini und Manu Moser, Compagnie du Botte-Cul – ein Solostück, so klein, es hätte für Berlin keine Chance. Aber das ideal für Fribourg. Ein Schulzimmer. Die Lehrerin will die Nibelungen besprechen. Hat natürlich niemand gelesen. Also gibt es eine Lektion in Völkerverständigung. Den als französischsprachig angenommenen Schüler:innen wird auf Deutsch der deutscheste aller Stoffe erklärt. Und weil das schwierig ist – die Fremdsprache, die Verwicklungen – braucht es Hilfe von allem, was herumliegt. Die Handyhülle wird zu Kriemhild, die Thermosflasche Siegfried. Und Hagen ist ein Waschlappen. Ein großer Spaß, der in den besten Momenten das kann, was Objekttheater so gut gelingt: Brutalität auf eine Weise darstellen, die sich gerade durchs Abstrahieren einbrennt. Hier: Der Lappen, der den Wandtafelzirkel Brünhilde vergewaltigt. Apropos Schule: Klassenfahrt nach Bulle. Aussteigen vor einer Veranstaltungshalle im Nirgendwo. Darin der italienischsprachige Beitrag. Und der leise Verdacht: War das schlicht das einzige, was im kleinen Kanton jenseits der Alpen dieses Jahr zu finden war? „Le relazioni pericolose“ in der Regie von Car-

Theater der Zeit 9/ 2023

Foto links Andrea Zahler, oben Susanne Diesner, unten Ariane Catton Balabeau

Report Schweizer Theatertreffen


Report Schweizer Theatertreffen melo Rifici, LAC Lugano Arte e Cultura. Der Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ wird als Krieg zwischen den Egos interpretiert. Krieg als Wort-Bild-Installation. Man kennt solcherlei teils aus dem französischen Theater. Alles schön, aber als Abend trägt es nicht. Das Publikum diskutiert im Anschluss dennoch interessiert. Was daran liegt, dass es vollständig mitgebracht wurde: Ein Projekt für junge Menschen namens „die Voyeure“, das den niederschwelligen Zugang zu Theateraufführungen ermöglicht, ist zu Gast. Und auch dabei: das „Forum junger Theaterschaffende“, die eingeladen sind, das Festival zu begleiten und die den eigentlichen Festivalkern ausmachen. In den persönlichen Gesprächen mit Leuten aus der Gruppe findet er dann auch statt, der Dialog über die Sprach- und Theaterherkunftsgräben hinweg. Zum Beispiel bei „Rendez-vouz“ von Eugénie Rebetez. Mehr Tanz- als Theaterstück. Ein Solo mit Gästen. Und ein Abend der kleinen Zeichen, des feinen Humors. In bezaubernden Vignetten wird die Unzulänglichkeit des eigenen Daseins thematisiert, nein, angedeutet. Wer hier keine leuchtenden Augen bekommt, hat kein Herz. – Oder hat eine andere Theaterherkunft. Wo bleibt das Handwerk?, fragt eine aus dem Forum. Während bei „Ödipus Tyrann“, Regie Nicolas Stemann, vom Schauspielhaus Zürich dann das Publikum angetan ist und der Kritiker abwinkt. Diese Idee der Kanonauffrischung ist durch. Anhand von Ödipus etwas über Klimawandel sagen wollen, weil doch auch in Theben eine Seuche war? Viel Turnen, Chorsprechen, von dem trotz beachtlicher Kraft der Spielerinnen wenig bleibt außer dem Ärger über eine etwas gar einfache politische Message. (Ach, wir sind schuld am Klimawandel?) Klassenfahrt zwei. Fahrt nach Romont. Eine Halle am Rande des Orts. Hier: „Biais aller-retour“, Text und Inszenierung Steven Matthews, Cie Don’t Stop Me Now, Théâtre Am Stram Gram, Genf, ein Stück für junges Publikum, denn ja, auch das gehört hier dazu. Aber dieses Stück wünscht man vielen. Der Junge, der den Goldtopf am Ende des Regenbogens sucht, um der Oma das Pflegeheim zu ersparen. Überdreht, hochgetaktet und mit einer Flut an Einfällen, wie man sie in der Dichte kaum je gesehen hat. Die Gedanken des Jungen als streitende Fische, sprich weiße Handschuhe im Schwarzlicht, werden zum Mummenschanz-Gesicht, schnelle Schnitte, jede Sekunde ist unterhaltend. Aber, und das macht das Stück zum Highlight, es duckt sich keineswegs weg oder zieht einfache Lösungen aus dem Hut. Die Oma bleibt alt, wird ins Pflegeheim müssen. Dafür bekommen wir einen Regenbogen auf die Bühne gezaubert. Sprühregen im Gegenlicht. Fürs Schweizer Treffen gibt es auch die Schweiz als Thema. „EWS – Der einzige Politthriller der Schweiz“ , der letztjährige Publikumsrenner des Neumarkttheaters Zürich (Konzept und Regie Piet Baumgartner und Julia Reichert), zeigt, dass Politik als Thema nicht automatisch zu politischem Theater wird. Eine launige Revue um die Nichtwiederwahl von Rechtsaußenpolitiker Christoph Blocher. Hier führen die Nummern zu wenig echten Theatermomenten. Ja, man erinnert sich an so einiges (die Details wurden damals medial breit und lang besprochen), ja, man

Theater der Zeit 9 / 2023

Oben „Ghosts Are Returning“ von GROUP50:50, Inszenierung Christina Tabaro, Eva Maria Bertschy, Michael Disanka und Elia R ­ edinger, unten „Biais aller-retour“ geschrieben und inszeniert von Steven Matthews, Cie Don’t Stop Me Now

langweilt sich nicht, aber wirklich hängen bleibt bloß die Verelffachung der Protagonistin mal mit weniger, mal mit bestechender Ähnlichkeit. Wurde nicht ein Thriller versprochen? Die Setzung des letzten Stücks als Abschluss ist hingegen brillant. „The Ghosts are returning“ von GROUP50:50, Inszenierung Christina Tabaro, Eva Maria Bertschy, Michael Disanka und Elia Redinger. Nach viel Innenschau zeigt diese, was eben auch zur Schweiz gehört: die Verstrickungen in Machenschaften jenseits der Landesgrenzen. Im Fokus hier sind Skelette des Mbuti-Volks, die in den Fünfzigern exhumiert und in die Schweiz gebracht wurden. Der Abend ist vielstimmig, mehr Konzert als Stück. Und auch wenn künstlerisch nicht alles gelingt, so ist das Erzählengagement hier glaubwürdig, wo viele ähnliche Abende schnell in Stoff-Ausbeutungs-Verdacht geraten (man denke an den Thementourismus eines Milo Raus). Die länderübergreifende Gruppe begibt sich in die echte Auseinandersetzung. Und ein weißer Schauspieler im kongolesischen Dorf ist eben auch selbst einer dieser Geister, der zurückkehrt. Und der Abend macht klar: Über diese Knochen kann man reden, an ihnen kann man etwas zeigen, aber eine Rückgabe von Knochen ergibt kein Happyend. Das Thema ist größer, die Verantwortung der Schweiz, die sich gerne als klein und unschuldig gibt, ist es auch. T

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DER NACKTE WAHNSINN Komödie von Michael Frayn INSZENIERUNG Robert Teufel 24.9.2023 | Antoniushaus

NACH DEM ESSEN (UA) Schauspiel von Simone Kucher

INSZENIERUNG Gustav Rueb 30.9.2023 | Haidplatz

DRAUẞEN VOR DER TÜR Heimkehrerdrama von Wolfgang Borchert INSZENIERUNG Antje Thoms 28.10.2023 | Antoniushaus

IPHIGENIES RACHE (UA)

GROSSES HAUS

Da r i o Fo B EZ A H LT W I R D N I C HT F. S c o tt Fi t zgerald D E R G R O S S E G AT S BY A nna Ca l v i und Rober t Wilson DER SANDMANN Ge r ha r t H a uptmann D I E R AT TE N S e r ge j Gößner S C H A U, D E R M A U! (U A) Fl o r i a n Zeller V ATE R STUDIO

S a l l y Potter TH E PA RT Y R a i ne r L ewandow ski H E UTE WEDER HAMLET G e o r g Büchner TR A N S IT W OY Z E C K S a m ue l Beckett E N D S P I E L Ko o p -Projek t mit Kuns tho chs chulen E U R OTO P I A – E U R O PA H I E R ? l an d e s t h e a t e r - s ch w a b e n . d e

Soloperformance frei nach Euripides

INSZENIERUNG Nils Strunk 12.11.2023 | Haidplatz

STOLZ UND VORURTEIL* (*ODER SO) Komödie von Isobel McArthur nach Jane Austen INSZENIERUNG Daniel Foerster 27.1.2024 | Antoniushaus

DIE VERWANDLUNG Schauspiel mit Puppen von Steven Berkoff nach Franz Kafka INSZENIERUNG Florian Loycke 4.2.2024 | Haidplatz

KÖNIG ÖDIPUS Tragödie von Sophokles INSZENIERUNG Jasper Brandis 9.3.2024 | Bismarckplatz

ANLEITUNG EIN ANDERER ZU WERDEN (UA) Schauspiel nach Romanen von Édouard Louis

INSZENIERUNG Jette Büshel 16.3.2024 | Haidplatz

ROM RO M ULUS DER GROẞ GRO ẞ E Ungeschichtliche historische Komödie von Friedrich Dürrenmatt INSZENIERUNG Antje Thoms 26.4.2024 | Bismarckplatz

SCHAUSPIELDIREKTORIN Antje Thoms


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NATIONALTHEATER MANNHEIM

Schauspiel Spielzeit 2023/24

Freud träumt :: Anna O. UA Eine VR-Inszenierung von RAUM+ZEIT (Kittstein / Mikeska / Schneider) / Regie: Bernhard Mikeska ▶ Premiere: 20. September 2023, Großer Hörsaal, Philosophenweg 1

Die gleißende Welt UA Stückentwicklung von F. Wiesel / nach dem Roman von Margaret Cavendish / Regie und Bühne: F. Wiesel (Hanke Wilsmann, Jost von Harleßem) ▶ Premiere: 22. September 2023, Zwinger 1

Der Trafikant nach Robert Seethaler / Regie: Marcel Kohler ▶ Premiere: 29. September 2023, Alter Saal

Dantons Tod Ein Drama von Georg Büchner / Regie: Stephan Kimmig ▶ Premiere: 11. Oktober 2023, Marguerre-Saal

Die Zeit fährt Auto Songs und Texte aus der Kneipe von Kurt Tucholsky bis Udo Lindenberg / Musikalische Leitung: Johannes Zimmermann / Regie: Holger Schultze ▶ Premiere: 30. November 2023, Zwinger 1

Herkunft nach Saša Stanišić / Regie: Nick Hartnagel ▶ Premiere: 9. Dezember 2023, Marguerre- Saal

Meine Hölle

PREMIEREN 2023.24 Schauspiel Die Zukünftige

von Svenja Viola Bungarten | Uraufführung

Do, 05.10.2023

Studio Werkhaus

von Oksana Savchenko / Auftragswerk des Theaters und Orchesters Heidelberg / Regie: Simone Geyer ▶ Premiere: 25. Februar 2024, Zwinger 1

Die Reise des G. Mastorna nach Federico Fellini / Bühnenfassung von Bernadette Sonnenbichler / Regie: Bernadette Sonnenbichler ▶ Premiere: 20. März 2024, Marguerre-Saal und Alter Saal

von William Shakespeare Deutsch von Jürgen Gosch und Angela Schanelec

Fr, 06.10.2023

Altes Kino Franklin

Der Graf von Monte Christo nach Alexandre Dumas / Regie: Katja Wolff ▶ Premiere: 14. Juni 2024, Schlosshof, Heidelberger Schlossfestspiele

von Herman Melville in einer Bearbeitung für die Bühne von Johanna Wehner

Altes Kino Franklin

Fr, 19.04.2024

Nathan

von Nuran David Calis frei nach Motiven von Lessings »Nathan der Weise« | Uraufführung

Fr, 01.12.2023

Eine neue Inszenierung

Nora Ein Thriller von Sivan Ben Yishai, Gerhild Steinbuch und Ivna Žic / Regie: Brit Bartkowiak ▶ Premiere: 29. Juni 2024, Marguerre-Saal www.theaterheidelberg.de

Auf die Plätze, fertig, los!

Juni 2024

Studio Werkhaus

Sa, 02.12.2023

Studio Werkhaus

Als die Götter Menschen waren von Amir Gudarzi | Uraufführung | Auftragswerk

Sa, 17.02.2024

Altes Kino Franklin

Zwei neue Inszenierungen junger Regisseur*innen an einem Abend

Altes Kino Franklin

nach dem Roman von Daniela Dröscher Uraufführung

von Greg Liakopoulos Deutschsprachige Erstaufführung

Moby Dick

Fr, 03.11.2023

Lügen über meine Mutter

Generation Lost

Studio Werkhaus

von Jakob Nolte nach Miguel de Cervantes Saavedra

Studio Werkhaus

Studio Werkhaus

April 2024

Don Quijote

Fr, 26.01.2024

Eine Andacht mit Kriegszeugnissen von Frauen und Texten von Lidiia Golovanova

Fr, 08.03.2024

Was ihr wollt

von Ayşe Güvendiren

UA

Krieg ist kein Spiel für Frauen

Die Drei­ groschenoper

von Bertolt Brecht (Text) und Kurt Weill (Musik) unter Mitarbeit von Elisabeth Hauptmann

Sa, 15.06.2024

Altes Kino Franklin

Brown Babys von und mit dem Mannheimer Stadtensemble

Sommer 2024 Ort folgt

Weitere Infos finden Sie online.

Altes Kino Franklin

Kartentelefon: 0621 1680 150

nationaltheater.de


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Spielzeit

23|24

Schauspiel

13. 10. 2023 ↦ Kammer Der Garten der Lüste

14 . 10 . 2023 ↦ Großes Haus Hamlet von William Shakespeare Regie: Laurent Chétouane

02 . 12 . 2023 ↦ Großes Haus Vom Fischer und seiner Frau Musikalisches Märchen Regie: Katharina Grosch Musik: Malcolm Kemp | Uraufführung

08 . 12 . 2023 ↦ Kammer Die Burg der Assassinen

von Amir Gudarzi Regie: Florian Fischer | Uraufführung

03 . 02 . 2024 ↦ Großes Haus Die Kunst der Freude nach dem Roman von Goliarda Sapienza Regie: Anaïs Durand-Mauptit Uraufführung

09 . 02 . 2024 ↦ Kammer Das Leben ein Clown

von Charlotte Lorenz und Jakob D’Aprile Regie: Charlotte Lorenz und Jakob D’Aprile | Uraufführung

22 . 03 . 2024 ↦ Kammer Das Gastmahl

von Jakab Tarnóczi und Ensemble Regie: Jakab Tarnóczi | Uraufführung

30 . 03 . 2024 ↦ Großes Haus House of Karls

Rap-Spectaculum von Dlé Regie: Florian Hertweck | Uraufführung

25 . 05 . 2024 ↦ Großes Haus Lady Tartuffe

von Stuhler / Koslowski nach Delphine Gay | Regie: Jan Koslowski & Nele Stuhler | Uraufführung

Gestaltung: formdusche.de

von Fiston Mwanza Mujila Regie: Antigone Akgün

Die Gerächten von Murat Dikenci R: Murat Dikenci UA: 03.09.2023

Das Kapital: Das Musical Deutschsprachige Erstaufführung von Nick Rongjun Yu R: Kieran Joel 08.09.2023

I wanna be loved by you (AT) von Shari Asha Crosson R: Shari Asha Crosson UA: 27.10.2023

Was ihr wollt Komödie von William Shakespeare R: Paul Spittler Premiere: 04.11.2023

Wir sind hier (AT) Stückentwicklung mit dem Sprechchor Dortmund und Ensemble von Hannah Biedermann R: Hannah Biedermann UA: 08.03.2024

Ein Volksfeind von Henrik Ibsen R: Babette Grube Premiere: 09.03.2024

Adas Raum nach dem Roman von Sharon Dodua Otoo R: Miriam Ibrahim UA: 27.04.2024

Hurra, Romeo und Julia! Die Szene mit der Leiche, die habe ich gelöscht R: Linda Fisahn und icbyt UA: 05.05.2024

Queens (AT) nach Maria Stuart von Friedrich Schiller R: Jessica Samantha Starr Weisskirchen UA: 12.01.2024

Der Ring des Nibelungen Deutschsprachige Erstaufführung von Necati Öziri R: Julia Wissert 20.01.2024

Dortmund Goes Black Festival 16. – 18.02.2024

Feministischer Thementag 16.03.2024

Queer Festival 30.05.– 02.06.2024

31 . 05 . 2024 ↦ Kammer Auf See

nach dem Roman von Theresia Enzensberger | Regie: Theresa Thomasberger | Uraufführung

www.theaterdo.de


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PREMIEREN 23/24 Nora oder Ein Puppenhaus Henrik Ibsen • Regie Marcel Gisler Der Kirschgarten Anton Tschechow • Regie Erich Sidler Das Abschiedsdinner Komödie von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière Amsterdam Maya Arad Yasur • Regie Isabel Osthues Fischer Fritz Raphaela Bardutzky Regie Meera Theunert

SCHAUET – HERZLAND NOCH MEHR SONGS FÜR OBERHAUSEN UND EINE URAUFFÜHRUNG VON NOAH HAIDLE

REGIE KATHRIN MÄDLER & MATTHIAS FLAKE

»KUNST« AUTOR:IN YASMINA REZA

REGIE ANDREAS WIDENKA

DIE BRÜCKE VON MOSTAR REGIE ANNE BADER

AUTOR:IN IGOR MEMIC

AUTOR:IN TUĞSAL MOĞUL

Der Traum von der glänzenden Zukunft Carina Sophie Eberle • UA Regie Theo Fransz Der große Gatsby Eine Vaudeville-Show nach dem Roman von F. Scott Fitzgerald Regie Katharina Ramser

AUTOR:IN ARNE LYGRE

EINE JOGGINGHOSE IST JA KEIN SCHICKSAL

AUTOR:IN SVEALENA KUTSCHKE

REGIE MAGDALENA SCHÖNFELD

DER SATANARCHÄOLÜGENIALKOHÖLLISCHE

REGIE INGRID GÜNDISCH

AUTOR:IN MICHAEL ENDE

ZWEI HALBE LEBEN

Tartuffe Komödie von Molière Regie Moritz Franz Beichl

REGIE EBRU TARTICI BORCHERS

In der Einsamkeit der Baumwollfelder Bernard-Marie Koltès • Regie und Choreografie Valentí Rocamora i Torà

REGIE ANNE VERENA FREYBOTT

DIE REISE MEINER MUTTER AUF DIE ANDERE SEITE DER MAUER

Sein oder nicht sein Komödie von Nick Whitby Regie Nick Hartnagel Karten und Infos 0551.49 69-300 www.dt-goettingen.de

AUTOR:IN GERBURG JAHNKE

UA

SERENADE FÜR NADJA AUTOR:IN ZÜLFÜ LIVANELI

UA

DAS LEBEN IST EIN WUNSCHKONZERT AUTOR:IN ESTHER BECKER

THE LEGEND OF GEORGIA MCBRIDE REGIE CILLI DREXEL

Singularis Komödie von Nis-Momme Stockmann UA • Regie Dominique Schnizer

UA

WUNSCHPUNSCH

REGIE GERBURG JAHNKE

Sonne / Luft Elfriede Jelinek • Regie Sarah Kurze

DSE

NO SHAME IN HOPE

Queerio Philipp Löhle • UA • Regie Johannes Rieder

zwei Herren von real madrid Leo Meier • Regie Matthias Reichwald

UA

ZEIT FÜR FREUDE REGIE KATHRIN MÄDLER

GRM – Brainfuck nach dem Roman von Sibylle Berg Regie Niklas Ritter

DSE

AND NOW HANAU REGIE TUĞSAL MOĞUL

Robin Hood • 6+ Familienstück von John von Düffel Regie Selina Girschweiler

UA

AUTOR:IN MATTHEW LOPEZ

BAM BAM BAMBI KEINE HELDENGESCHICHTE – ABER MIT MUSIK

REGIE & ML ANSELM DALFERTH

AUTOR:IN NACH FELIX SALTEN

UA

SAUER

EIN STÜCK ÜBER EINE FAMILIE; MIT FÜNF FIGUREN UND EINEM GLAS REGIE NIKO ELEFTHERIADIS

AUTOR:IN ASJA KRSMANOVIĆ

UA

MULTIVERSUM EINE URBAN DANCE STÜCKENTWICKLUNG

REGIE & CHOREOGRAPHIE KAMA FRANKL-GROSS & KWAME OSEI

UA

ICH ZITTERE (1&2) EINE ART CABARET

REGIE & BÜHNE: WOLFGANG MENARDI

AUTOR:IN JOËL POMMERAT

DE

DER REVISOR KOMMT NACH O. REGIE ANNE VERENA FREYBOTT

AUTOR:IN NACH NIKOLAI GOGOL

KARTEN +49 (0)208 8578 184 WWW.THEATER-OBERHAUSEN.DE


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selbst:bestimmt Spielzeit 2023/2024

SCHAUSPIEL 23/24 DER KREIS UM DIE SONNE | 2.12.2023 DER RISS DURCH DIE WELT DER SATANARCHÄOLÜGENIALKO- 3.12.2023 HÖLLISCHE WUNSCHPUNSCH DIE AFFÄRE RUE DE LOURCINE 16.12.2023 ENTE, TOD UND TULPE 14.1.2024 KASPAR HÄUSER MEER 20.1.2024 EMILIA GALOTTI 17.2.2024 09.09.2023 ZONKA UND SCHLURCH [8+]

DAS SCHWEIGENDE 22.2.2024 KLASSENZIMMER (UA)

23.09.2023 WOYZECK 07.10.2023 DIE PARTIKEL EINES TAGES [10+]

WIE SCHNUPPEN 10.4.2024 VON DEN AUGEN (UA)

27.10.2023 SONNE / LUFT 26.11.2023 ANTON —DAS MÄUSEMUSICAL [5+] 15.12.2023 PRIMA FACIE

RICHARD O'BRIEN'S 10.5.2024 THE ROCKY HORROR SHOW

09.02.2024 CORPUS DELICTI 23.02.2024 TANZ DER TIEFSEEQUALLE [12+] 22.03.2024 ORESTIE 19.04.2024 KABALE UND LIEBE 25.05.2024 ICH BIN DEIN MENSCH 09.06.2024 RUNTER AUF NULL [14+] 29.06.2024 DIE ADDAMS FAMILY

www.theater-baden-baden.de

Nadine Kettler, Kilian Bierwirth; Foto: Jan Merkle

20.01.2024 MORD AUF SCHLOSS HAVERSHAM

„KUNST“ (WA) 31.12.2023 DIE COMEDIAN HARMONISTS (WA) 25.5.2024 CALYPSO (WA) 7.6.2024

MAINFRANKENTHEATER.DE


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Die im Kulturbetrieb sich ausbreitende Selbstgefälligkeit, die sich gerne mit Parolen schmückt, aber keinerlei Substanz hat, kommentiert LTT-lllustrator Peter Engel oben mit seiner Zeichnung.

EI Z L E

S0P23/I2024

T

PREMIEREN ab 01.10. WUTSCHWEIGER (9+) 2023 von Jan Sobrie/Raven Ruëll Altes Rathaus

2

ab 07.10. NEIN ZUM GELD!

2023 von Flavia Coste | Kulturbahnhof

ab 19.11. DER KLEINE LORD (6+)

2023 von Ulrike Schanko nach Frances Hodgson Burnett | Kulturbahnhof

ab 09.12. MICHAEL KOHLHAAS

2023 von Heinrich von Kleist | Altes Rathaus

ab 02.03. NORA (ODER EIN PUPPEN2024 HEIM)

von Henrik Johan Ibsen | Kulturbahnhof

ab 20.03. ELMAR (3+)

2024 von David McKee | mobil

ab 04.05. MOZART IM PARK

2024 ein Spaziergang durch den aufblühenden Park | Schlosspark Fachsenfeld

ab 04.07. HAROLD UND MAUDE

2024 von Colin Higgins | Schloss Wasseralfingen

THEATERAALEN.DE

ALLE INFORMATIONEN ZUR SPIELZEIT, AKTUELLES UND TERMINE

KARTEN

THEATERKASSE IM ALTEN RATHAUS, TELEFONISCH UNTER 07361 522 600 ODER ONLINE


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TM

Premieren 23/24

bis Februar 2024

Die Hebamme Komödie nach Rolf Hochhuth R: Tom Kühnel Premiere: 30. Sep 2023 Prima Facie Monolog von Suzie Miller eine Produktion von Schauspiel und TANZ_KASSEL R: Tim Wittkop Premiere: 1. Okt 2023 Die Troerinnen: 2nd Season (UA) frei nach Euripides | von Sarah Franke Premiere: 1. Dez 2023 Singletreff (UA) Komödie von Dirk Laucke R: Lars-Ole Walburg Premiere: 2. Dez 2023 König Alkohol (UA) One-Man-Show nach der Erzählung von Jack London von Guse & Pfrunder R: Manon Pfrunder Premiere: 13. Jan 2024 Patient Zero 1 (UA) Schauspiel von Marcus Peter Tesch R: Sarah Kohm Premiere: 2. Feb 2024 Zonenrandgebiet (UA) deutsch-deutsche Grenzerfahrung von Alexander Eisenach R: Alexander Eisenach Premiere: 3. Feb 2024 www.staatstheater-kassel.de

TM

Krieg und Frieden Schauspiel von Bert Zander nach dem Roman von Lew Tolstoi R: Bert Zander Premiere: 29. Sep 2023

Jagdszenen von Martin Sperr Regie Julia Prechsl 9.9.23

Tod eines talentierten Schweins von Roman Sikora Deutschsprachige Erstaufführung Regie Clara Weyde 6.10.23 Phädra nach Jean Racine Regie Pauline Vorberg 7.10.23

Nebenan von Daniel Kehlmann Regie Cornelia Maschner 20.10.23

Mr Gum und das geheime Geheimversteck nach dem Roman von Andy Stanton Uraufführung Regie Markus Heinzelmann 25.11.23 Das Gespenst von Magdebu-huuu von Bastian Lomsché Uraufführung Regie Daniel Foerster 28.11.23

Blutbuch nach dem Roman von Kim de l’Horizon Regie Jan Friedrich 27.1.24 Hojotoho! Hojotoho! Heiaha! oder: Menschen am Buffet Julien Chavaz und Bastian Lomsché Uraufführung Regie Julien Chavaz 24.2.24 Wolken.Heim von Elfriede Jelinek Regie Florian Hein 13.4.24

Die Zukünftige von Svenja Viola Bungarten Regie Alina Fluck 4.5.24

Kosmos #2 HfBK Dresden / Frühjahr 24 Timon von Athen von William Shakespeare Regie Andreas Kriegenburg 13.6.24

Theater Magdeburg T (0391) 40 490 490 www.theater-magdeburg.de

SchauspielPremieren

Wolf nach dem Roman von Saša Stanišić Uraufführung Regie Clara Weyde 9.9.23


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SPIELZEIT 2023 / 24

AUSGEWÄHLTE PREMIEREN

DIE WUT, DIE BLEIBT

schauspiel 23_24 premieren

nach dem Roman von Mareike Fallwickl REGIE Jorinde Dröse Koproduktion mit den Salzburger Festspielen URAUFFÜHRUNG 18. AUGUST 2023

RICHARD III.

nach William Shakespeare in einer Bearbeitung von Michel Decar REGIE Matthias Rippert URAUFFÜHRUNG 8. SEPTEMBER 2023

DER KLEINE PRINZ

woyzeck

dramenfragment von georg büchner ab september 23

to be or not to be

sein oder nichtsein

komödie von nick whitby nach dem film von ernst lubitsch _ drehbuch von edwin justus mayer und melchior lengyel ab oktober 23

endstation

schauspiel von john le carré deutsch von hubert von bechtolsheim und marianne de barde ab januar 24

max und moritz

theaterspektakel frei nach wilhelm busch bühnenfassung von ayla yeginer uraufführung _ ab januar 24

der weg zur hölle ist mit guten absichten gepflastert stückentwicklung zum thema kirche und missbrauch _ in kooperation mit der universität hildesheim _ uraufführung ab märz 24

theater für niedersachsen. www.mein-theater.live

nach dem Roman von Antoine de Saint-Exupéry REGIE Lilja Rupprecht PREMIERE 7. OKTOBER 2023

FREMD

von Michel Friedman REGIE Stephan Kimmig URAUFFÜHRUNG 1. DEZEMBER 2023

BLUTBUCH

nach dem Roman von Kim de l’Horizon REGIE Ran Chai Bar-zvi DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG 15. DEZEMBER 2023

NORA ODER WIE MAN DAS HERRENHAUS KOMPOSTIERT

von Sivan Ben Yishai REGIE Marie Bues URAUFFÜHRUNG 13. JANUAR 2024

GOETHES FAUST – ALLERDINGS MIT ANDEREM TEXT UND AUCH ANDERER MELODIE

von Clemens Sienknecht und Barbara Bürk nach Johann Wolfgang von Goethe REGIE Barbara Bürk, Clemens Sienknecht URAUFFÜHRUNG 8. MÄRZ 2024

UNSERE ELF

Eine etwas andere Nationalhymne von Tuğsal Moğul und Maren Zimmermann REGIE Tuğsal Moğul URAUFFÜHRUNG 8. MAI 2024


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Digital

Neuerscheinungen aus dem Verlag

All you can read Lesen Sie unsere Bücher und Magazine online und entdecken Sie Assoziationen zum Thema aus unserem großen Verlags­archiv mit mehr als 8000 Texten. tdz.de/streaming

Das ganze Theater Musiktheater, Puppenspiel, Zirkus, Tanz, Kindertheater u. v. m.

Eines langen Tages Reise in die Nacht von Eugene O’Neill. 2018 Burgtheater Wien, Regie Andrea Breth, Bühne Martin Zehetgruber

Podcast Lina Wölfel und Stefan Keim sprechen im neuen TdZ-Podcast „Wölfel & Keim & Theater“ über aktuelle Streitthemen und Fragen der Theaterkritik. Diskutieren Sie mit auf Instagram, Facebook und Twitter. tdz.de/podcast

Newsletter-Updates Mit dem Verlags-Newsletter können Sie Neuerscheinungen des Verlags lesen, noch bevor sie aus dem Druck kommen. Der MagazinNewsletter erscheint monatlich und stellt die neue TdZ-Ausgabe, Kritiken und aktuelle Dossiers vor. tdz.de/newsletter

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Martin Zehetgruber

Alles Katastrophe! „Alles Katastrophe!“ BLACK „Bitte? – Was soll das für ein Titel sein?“ Ich bin irritiert, meine Ablehnung lasse ich deutlich mitschwingen. Es ist unser erstes Treffen für diesen Band, der seine Bühnenwelten vorstellen soll. Martin Zehetgruber schaut mich an, lacht, zuckt mit den Schultern: „Alles Walzer?“ Auf eine ausführlichere Erläuterung brauche ich nicht zu hoffen. Ich schlage im ÖsterreichischDeutschen Wörterbuch nach und finde mich kurze Zeit später in der Kulturgeschichte seines Heimatlands wieder. „Alles Walzer!“ – Das jährlich ausgerufene Kommando beim Wiener Opernball … Aus dem Vorwort der Herausgeberin Judith Gerstenberg. Seit vierzig Jahren prägen die vielfach ausgezeichneten Bühnenwelten des Österreichers Martin Zehetgruber die europäische Theaterszene. Es sind Bilder, die auf der Netzhaut nachbrennen. Erinnerungen. Keine Abbilder. Keine Vorlagen. Keine realen

Räume. Reste von Eindrücken, die sich abgelagert haben im Gedächtnis – in seinem, in dem der Gesellschaft. Emotional begriffene Situationen, Bilder, Texte, Begegnungen. Sie türmen sich zur Abraumhalde in seinem Kopf. Dass sich seine Bilder aus dem persönlichen Erleben speisen, ist unverkennbar. Die Landschaften, die er auf die Bühnen setzt, sind ihm vertraut, auch die Nachtalben, die sie bevölkern. In allen Bühnen steckt er selbst. Und mit jedem seiner Räume fordert er den Dialog ein, zwingt zum Umgang mit ihnen. Die Werkschau zeichnet den Werdegang von Martin Zehetgruber nach und versammelt Stimmen von künstlerischen Wegbegleiter:innen aus den verschiedenen Gewerken, von Barbara Frey, Martin Kušej bis Elisabeth Schweeger.

Alles Katastrophe! Bühnen – Martin Zehetgruber Judith Gerstenberg (Hg.) 276 Seiten in offener Fadenheftung, durchgehend farbig illustriert, 35 € (print + digital)

Theater der Zeit 9 / 2023

Fotos: Birgit Hupfeld (Podcast), Archiv Zehetgruber (Zehetgruber) (oben), Andrea Fischer (Dramatisch lesen), Ina Schoenenburg, Ostkreuz (Johan Simons)

tdz.de/sparten


Johan Simons Dialog mit dem Tod Arbeitsbuch 2023 Johan Simons. Dialog mit dem Tod Paperback mit 172 Seiten, Zahlr. farbige Abb. und großformatige Ausklapper 24,50 € (print + digital)

Wie über neue Dramatik sprechen? Wo steht die neue Dramatik heute? Wie kann man über Dramatik sprechen und welches analytische Instrumentarium braucht man dafür? Wie sollten die vorhandenen Positionen weiterentwickelt werden, um für das Theater eine Zukunft zu öffnen? Der Band „Dramatisch lesen“, herausgegeben von Edith Draxl, Ferdinand Schmalz und Eva-Maria Voigtländer, nähert sich diesen Fragen zum Theatertext in Form eines Dialogs zwischen Dramatiker:innen, Wissenschaftler:innen sowie Kritiker:innen am Beispiel konkreter Stücke. Sie sprechen über verschiedene Leseweisen von Texten, über das Verhältnis von Text und Theater, von Schreibenden und Lesenden im Spannungsverhältnis zwischen eigenständiger literarischer Gattung und Gebrauchstext. So gerät der Theatertext als eine Schule des dialogischen Denkens in den Blick, frei von dem Anspruch unmittelbarer Verwertbarkeit für die Bühne – (eine) Poetik des Dramas.

Recherchen 167 Dramatisch lesen Wie über neue Dramatik sprechen? Paperback mit 228 Seiten Ab 17,99 € (print + digital)

Theater der Zeit 9 / 2023

Der niederländische Theaterkünstler Johan Simons kann auf eine großartige Karriere als Regisseur und Theaterleiter zurückblicken. Erste Erfolge als künstlerischer Leiter der Theatergroep Hollandia machten ihn in den 1980er und -90er Jahren international bekannt. Seine Arbeit hat ihn in die Leitung der Münchner Kammerspiele und der Ruhrtriennale (2015 bis 2017) geführt, seit 2018 ist er Intendant des Bochumer Schauspielhauses. Das vielleicht wichtigste Thema seiner Inszenierungen ist die Auseinandersetzung mit dem Tod, legendär seine Bochumer „Hamlet“Inszenierung von 2019 mit der Ausnahmeschauspielerin Sandra Hüller in der Titelrolle. Dieses reich illustrierte Arbeitsbuch will nicht nur Aufschluss geben über verschiedene Aspekte der Arbeit des Regisseurs Johan Simons, es versammelt auch Zeugnisse seiner Mitstreiter:innen und Weggefährt:innen. Zu Wort kommen u. a. Sandra Hüller, Pierre Bockma, Elsie de Brauw und Mieke Koenen.

Vorschau TdZ on Tour Eine Auswahl an Veranstaltungen, die wir mit unseren Partnern or­ganisieren. Eintritt frei für TdZAbonnenten (abo-vertrieb@tdz.de) FREITAG, 1.9. Martin Linzer Theaterpreis 2023: Seebühne Hiddensee Wolfgang-Koeppen-Haus, Greifswald SAMSTAG/SONNTAG, 2.9./3.9. Lesung Klaus Thaler: Eine Puppe packt aus Darimana Store, Suhl MONTAG, 11.9. Heft-Premiere TdZ-Spezial Chile HAU3 – Hebbel am Ufer, Berlin Weitere Termine unter tdz.de/on-tour

Bücher in Planung Puppe50 – HfS Ernst Busch Berlin 30 Jahre Bayerische Theaterakademie August Everding ixypsilonzett – Wie macht Ihr das?! 40 Jahre Kampnagel Thomas Oberender: Gaia-Theater

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Das vielleicht wichtigste Thema von Johan Simons Inszenierungen ist die Auseinandersetzung mit dem Tod, legendär seine „Hamlet“-Inszenierung mit Sandra Hüller in der Titelrolle

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Verlag Theater der Zeit Vorabdruck

Eine Puppe packt aus Ein Auszug aus dem neuen Buch von Klaus Thaler Von Klaus Thaler

Foto Jonas Soubeyrand

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Eimer-Logo mit fliegendem Ohr

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Theater der Zeit 9 / 2023


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Wolf Biermanns Sohn erzählt seine packende Familiengeschichte als Klaus Thaler, und dieser schrieb seinen Dokumentarroman aus der Sicht einer Puppe auf: Die Abenteuer eines vielseitigen, immer gewitzten Puppenspielers und Lebenskünstlers, mit Zeichnungen des Autors.

22. Das fliegende Ohr Das besetzte Haus in der Rosenthaler 68 kann alles hören, was die Stadt zu berichten hat, denn Rampazzo hat irgendwoher ein riesiges Ohr aus Polyester aufgetrieben und das Ding an den Schornstein geschraubt. Der Eimer sieht für ein paar Wochen wie ein Bild von René Magritte aus, dem belgischen Surrealisten aus den 20er Jahren. Das Ohr hört täglich den illegalen Sender „Radio P“, wie Prenzlauer Berg. Es hört, wie Aljoscha Rompe, der Frontmann von „Feeling B“, für die autonome Aktionsgruppe Wydoks wirbt, die im Mai bei der letzten Kommunalwahl der DDR auf verlorenem Posten in Ost-Berlin steht. Das Ohr hört den Taler rollen und die krummen Geschäfte des Gebraucht­ wagenhändlers brummen. Es hört, wie der überaus freundlich-schmierige Kerl der Reihe nach Hinz und Kunz, Meier, Müller und Schulz über den Tisch zieht und den netten, ahnungslosen ­Ossis im Kiez eine Schrottkarre nach der anderen andreht. Unser Ohr ist ein rechtes Ohr, das auf links gedreht ist, es hört, wie zirka tausend teils schaulustige, teils geldgeile Menschen zum Eimer strömen und auf der Straße darauf warten, dass, wie angekündigt, ­ 5.000 Westmark zum Fenster hinausgeworfen werden.

Beuteln, bis sie gehörig veräppelt werden. „Wollt ihr Westgeld?“, ruft es aus dem Eimer. „Jaaa“, antwortet das Volk. „Dann ruft: Wir wollen Westler sein!“ Es ist einfach nur peinlich. Sie rufen den Satz voller Inbrunst, das Spiel wiederholt sich mindestens dreimal, dann fliegt der Bonbongeldregen und das Gekloppe und Geschubse auf der Straße beginnt, schlimmer als beim Kölner Karneval. Nicht jeder begreift an diesem Nachmittag, dass die Aktion ein PR-Gag gegen die bevorstehende Währungsunion ist.

Uckermark 9.11.2021 Sehr geehrter Herr Thaler, Es ist ja schön und gut, dass Sie aus unseren Gesprächen ein Buch machen wollen, ich frage mich nur, wie um alles in der Welt wollen Sie das unter einen Hut bringen? Das Puppengedöns und die richtige Einordnung von Zeitgeschichte passt zwar hinten und vorne, aber was wollen Sie uns damit sagen?

im Auftrag des MfS. Sie sollten vielleicht einen Forschungsauftrag an die Gauck­ behörde stellen oder Birthler oder Jahn oder wie auch immer diese komischen Verwaltungshelden und Kirchenleute heißen. Keiner vom Untergrund, nicht mal Biermann wollte damals eigentlich etwas mit der Kirche zu tun haben, aber es war die einzige Möglichkeit, halblegal aufzutreten. Hätte es nicht-staatlich und nicht-kirchlich geprägte Räume gegeben, die Gotteshäuser und FDJ-Clubs wären gähnend leer geblieben. Das dazu. Achjee, und nun zu Ihrer Frage nach der Macht der Väter: Es ist verdammt schwer, sich als Kind von mächtigen Vätern abzunabeln. Das merke ich an meinem eigenen, dem schweigsamen Wolf, der sich bis heute weigert, mit mir zu reden, dabei haben wir sein blutverkrustetes Schwert aus dem bereits versteinerten Drachen gezogen und so die Krake Stasi, durch ihre eigens gezüchtete „Firma“ zu Fall gebracht. (…) In diesem Sinne, Beste Grüße nach Teneriffa und grüßen Sie mir meinen lieben Herrn Janosch, sagen Sie ihm, dass ich versuche, für ihn den Mond mal größer und mal kleiner zu machen herzlich, Ihr Jona S.

Wissen Ihre Leser überhaupt, dass James Krüss eine auf Tatsachen beruhende Geschichte aufschrieb und Sie mit Timm Thaler verwandt sind? Wie haben Sie es nur geschafft, selbst den Puppen die Zunge zu lösen? Haben Sie etwa Kontakt zu Baron Lefuet?

Dass es nur 5.000 West-Tresen-Pfennige werden, also fünfzig Mark, zählt zum Glück keiner nach, da jeder nur noch mit schweren Ellenbogen in die eigene Hosentasche wirtschaftet. Die Leichtgläubigen warten ungeduldig und sehnsüchtig mit aufgespannten Regenschirmen und leeren

Theater der Zeit 9 / 2023

Nun zu Ihrer Frage nach meinem Verhältnis zu der „Firma“-Sängerin. Ich liebte sie damals sehr und tu‘ das auch heute noch, zwar anders, aber mit der gleichen Herzwärme. Ich weiß bis heute nicht, warum sie mich auf die Bühne stellte, mit Sicherheit nicht

Klaus Thaler Eine Puppe packt aus, Dokumentarroman, 333 Seiten mit zahlreichen Bildern und Dokumenten, EUR 22,00 (print) / ab 17,99 (digital)

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Magazin Bücher

Folgen der Verwüstung Wie die AfD Kulturpolitik auch mit den Theatern machen will Von Wolfgang Engler

Weitere Buchrezensionen finden Sie unter tdz.de

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Vor wenigen Wochen übersprang die AfD erstmals eine kritische Schwelle. Im thüringischen Sonneberg wurde der AfD-Kandidat zum Landrat gewählt, in Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt stellt die AfD jetzt den ersten hauptamtlichen Bürgermeister der Bundesrepublik. Beide Male entschied die Stichwahl. Und beide Male sprachen sich alle anderen Parteien vorab für den Gegenkandidaten aus. Erfolgslos. Der Landkreis Sonneberg zählt nach schweren Jahren heute zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Kreisen Thüringens, die aktuelle Arbeitslosenquote von fünf Prozent liegt deutlich unter dem ostdeutschen Durchschnitt (7,2 Prozent) und nur knapp über dem westdeutschen (4,7 Prozent). Kommentatoren sprachen von einem politischen „Dammbruch“. Der hatte sich angekündigt. Im sächsischen Görlitz, einer Stadt mit immerhin 55 000 Einwohnern unterlag der AfD-Kandidat für das Bürgermeisteramt im Jahr 2019 erst in der Stichwahl dem „Einheitskandiaten“ der anderen Parteien; da funktionierte der Schulterschluss noch gerade so. Bei Landtagswahlen sorgte das AfD-Ergebnis regelmäßig für Erregung – die Neue Rechte auf dem Weg zur ostdeutschen „Volkspartei“? Die Frage kann man unterdessen mit „Ja“ beantworten. Die AfD legt deutschlandweit zu, kratzt im Westen an der zwanzig-Prozent-Grenze. Im Osten des Landes ist sie

laut Demoskopen die stärkste Partei, in Thüringen liegt sie derzeit bei 35 Prozent. Ein Dilemma für die anderen Parteien. „Alle gegen einen“ – das stärkt die AfD. Getrennt gegen sie vorgehen bringt sie erst recht in Vorhand. Sie wird weitere politische Ämter erobern, ihren Ankündigungen und Drohungen praktische Politik folgen lassen. Vor diesem Hintergrund gewinnt Peter Laudenbachs Recherche zu den kulturpolitischen Aktivitäten und Strategien der AfD zusätzliche Aktualität. Was er zusammenträgt, ist besorgniserregend. Gerade in Klein- und Mittelstädten schafft sie ein Klima der Einschüchterung, der Angst. Sie lenkt den Frust über die Regierenden, der infolge der sozioökonomischen Verheerungen der 1990er Jahre und deren Folgen im Osten besonders virulent ist, auf „erreichbare“ Ziele: Migrant:innen, Schutzsuchende, ethnische Minderheiten. Und mit besonderer Verve auf einen inneren Feind: das „linksliberale Establishment“, das Medien und Kultur okkupiert hat. Exemplarisch dafür ist die Rede, die der kulturpolitische Sprecher der AfD, HansThomas Tillschneider 2016 im Landtag von Sachsen-Anhalt hielt. Laudenbach zitiert ausführlich. Hier nur einige Kernsätze: „Wir leben schon lange in dem wunderbaren Zustand, dass die Kunst- und Kulturschaffenden, wie gelenkt durch Geisterhand, scheinbar aus freien Stücken den Wünschen

Theater der Zeit 9 / 2023

Foto Ute Langkafel MAIFOTO

„Gorki – Alternative für Deutschland“ von Oliver Frjlic, Maxim Gorki Theater Berlin 2018.


Magazin Bücher des Merkel-Regimes besser willfahren als die regimetreuen Künstler einer beliebigen Dritte-Welt-Militärdiktatur ihrem Diktator […] Deshalb taugt diese Kunst und Kultur auch rein gar nichts. Sie ist nichts anderes als eine Lobdichtung auf das linke Menschenbild […] Die Befürwortung von Migration, die Ablehnung von traditionellen Lebensformen, die Verspottung von Nationalgefühl und Patriotismus – das sind die Prämissen, die ständig vorausgesetzt und durch den gesamten offiziellen Kulturbetrieb – mal explizit, mal implizit – bekräftigt werden. Der Kulturbetrieb ist dermaßen gleichgeschaltet, dass sich der Vergleich mit der DDR aufdrängt […] Es darf nicht sein, dass der Staat Kunst fördert, die dann einseitig linke Ideen propagiert. Ein grundsätzliches Bekenntnis zur deutschen Nationalkultur darf allerdings verlangt werden.“1 1 Zitiert nach: Peter Laudenbach, Volkstheater. Der rechte Angriff auf die Kunstfreiheit, Berlin 2023, S. 42 ff.

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Solche Reden bewirken, was sie beabsichtigen. Sie senken die Hemmschwellen auch für physische Attacken auf Orte und Akteure des „Establishments“. Jetzt fliegen Steine, werden Brände gelegt, Veranstaltungen aus Angst vor Übergriffen abgebrochen, Theaterleiter:innen, Galerist:innen, Buchhändler:innen bedrängt und angegriffen, auch in Westen. Einige Akteure der Kulturszene berichten ausführlicher über ihre Erfahrungen. Eine Chronik der Ereignisse findet sich im Anhang des Buches. Laudenbach geht den Denkmustern der Rechtspopulisten nach, fragt, warum diese bei vielen verfangen, bei sozial Abgehängten ebenso wie bei Facharbeiter:innen, Gewerkschaftler:innen, stellt „unangenehme Fragen“: „Wenn die geplante Sanierung des Gebäudes der Oper Stuttgart über eine Milliarde Euro kosten soll, kann man erahnen, wie Stuttgarter:innen, die im Niedriglohnbereich arbeiten oder von Renten an der Armutsgrenze leben, das finden.“ Und noch zugespitzter: „Man kann zumindest fragen,

ob die von den Kulturinstitutionen für sich gerne in Anspruch genommene Inklusivität nur bestimmte Milieus meint und erreicht, zu denen zum Beispiel Industriearbeiter:innen und Menschen in Niedriglohnjobs nicht unbedingt zählen. Akteur:innen der Neuen Rechten nutzen diese nicht unbedingt als größeres Problem wahrgenommene Exklusivität in Teilen des Kulturbetriebs für die Konstruktion von Feindbildern und das Bespielen des populistischen Schemas.“ (S. 78) Aber es gibt auch Gegenwehr. Kulturschaffende verbünden sich, ziehen Teile der Stadtgesellschaft auf ihre Seite, halten Veranstaltungen trotz Drohungen ab, thematisieren die rechte Gefahr, lassen sich durch Pöbeleien nicht beirren, beweisen derart Zivilcourage, die andere ermutigt. Deren Partei ergreift der Autor. Für sie ist das Buch geschrieben. Sehr zu empfehlen. T Peter Laudenbach. Volkstheater. Der rechte Angriff auf die Kunstfreiheit. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2023, 144 S. Buch 12,– €

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p r e m i e r e n s c h au s p i e l 23.09.2023 · Kammerspiele

Asyl im Paradies (Uraufführung) · Ein Theater-Konzertabend über tamara danz R: Ronny Jakubaschk

06. + 08.10.2023 · Großes Haus

Hamlet · William Shakespeare · R, B: Andreas Kriegenburg 13.10.2023 · Kammerspiele

Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel · Theresia Walser · R: Frank Behnke 25.11.2023 · Kammerspiele

Wer Wind sät (Deutschsprachige Erstaufführung) · Paul Grellong · R: Frank Behnke 19. + 21.01.2024 · Großes Haus

Good Bye, Lenin! · Bernd Lichtenberg, Wolfgang Becker · R: Thomas Dannemann 27.01.2024 · Kammerspiele

Die Affäre Rue de Lourcine · Eugène Labiche · R: Lydia Bunk 15. + 17.03.2024 · Großes Haus

Drei Schwestern · Anton Tschechow · R: Frank Behnke 25.05.2024· Kammerspiele

Kleists »Kohlhaas« dargestellt durch das Liebhabertheater »Die freche Distel« (Uraufführung, Auftragswerk) · Björn SC Deigner · R: Cornelius B. Edlefsen

07. + 09.06.2024 · Freilichtbühne im Englischen Garten Amadeus · Peter Shaffer · R: Henriette Hörnigk Kartentelefon: 03693/451–222 www.staatstheater-meiningen.de

Intendant: Jens Neundorff von Enzberg Schauspieldirektor: Frank Behnke

Foto: Christina Iberl


Ein Leben für das Puppen­theater Zur Verabschiedung des Magdeburger Theaterleiters Michael Kempchen Von Rüdiger Koch

Michael Kempchen, Theaterleite vom Magdeburger Puppenthteater

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Nur etwa hundert Schritte trennten mich vom Magdeburger Puppentheater, als ich im Juli 1995 mein erstes Dezernatsbüro in der Schönebecker Straße bezog. Diese Nähe trug zu meinen wertschätzenden, intensiven Begegnungen und einer gewachsenen, engen Freundschaft mit zwei Persönlichkeiten, deren Wirken als Intendant und Künstlerischer Leiter die eigenständige Bedeutung des Genres „Puppenspielkunst“ und ihre Entwicklung weit über Magdeburg hinaus wesentlich bei. Sich zum einen seiner Tradition des Puppenspiels von europäischer Dimension erinnernd, hat das Magdeburger Puppentheater, also das Figuren-, Bilder-, Objekt- und Animationstheater, in den zurückliegenden dreißig Jahren zudem vielfältige Facetten hinzugewonnen, es damit nachhaltig verändert und neue Publikumsschichten erobert. Von Magdeburg aus gingen von Michael Kempchen und Frank Bernhardt, ihrem Ensemble, strukturelle und künstlerische Impulse aus, wurde Magdeburg auch zu einer internationalen Plattform für eine experimentelle, interdisziplinär und auch intermedial ausgerichtete Kunstform, mit Nähe zu weiteren zeitgenössischen Kunstströmungen. Geboren und aufgewachsen in Tangerhütte begann Michael Kempchen nach einem Studium der Ökonomie seine Tätigkeit am Magdeburger Puppentheater im Jahr 1985 als Verwaltungsleiter. Seit 1990 hat er es als Intendant zu dem gemacht, was es heute ist. Gemeinsam mit Frank Bernhardt gelang ihm nach der Wende eine künstlerische und strukturelle Neuausrichtung, er entwickelte das Haus zu einem der führenden Puppentheater in Deutschland mit internationaler Ausstrahlung. Es ist eines der wenigen Puppentheater mit einem festen, eigenen Ensemble und derzeit deutschlandweit das einzige eigenständige in kommunaler Trägerschaft. Das war und ist nicht selbstverständlich, aber eine grundlegende Voraussetzung für die Identität, die künstlerische Entwicklung und überregionale Wahrnehmung des Hauses. Dieses Zusammenwirken von Intendanz und Künstlerischer Leitung, also strukturellen Entscheidungen, und die dadurch entstandenen Räumen für prägende, innovative Entwicklungen des Genres „Puppenspielkunst“, dieses Zusammenwirken war und ist ein Glücksfall. Öffnen wir den Vorhang und schauen auf Marksteine einer Erfolgsgeschichte: Als mich Mitte 1996 der Anruf von Frank Bernhardt erreichte, dass Magdeburg für das Jahr

2000 den UNIMA-Weltkongress mit dem Weltpuppentheaterfestival zugesprochen bekommen hatte, ergriff mich Freude und Genugtuung über die internationale Wertschätzung unseres Hauses. Bereits 1991 hatte Michael Kempchen die Internationalen Puppentheaterwochen gegründet, das erste Theaterfestival in Sachsen-Anhalt nach der Wende. In der Folge des Weltfestivals 2000 entwickelte Frank Bernhardt als Künstlerischer Leiter das Internationale Figurentheaterfestival Blickwechsel als Biennale zu einem der bedeutendsten Festivals des Genres in Europa. Mit den KinderKulturTagen Magdeburg wurde in den Zwischenjahren deutschlandweit eines der größten Kreativfestivals für Kinder initiiert. Der Initiative von Michael Kempchen­ ist es auch zu verdanken, dass in Magde­burg die erste öffentliche und bislang größte Figurenspielsammlung Mitteldeutsch­ lands in der villa p. in einem der wenigen historischen Rayon-Häuser entstand. Dank einer weiteren Initiative des Intendanten wurde 2015 eine internationale Puppenspielgruppe gegründet, zu der deutsche Kinder und unbegleitete minderjährige Geflüchtete gehören. Die Gruppe beteiligte sich mit Beiträgen an dem Modellprojekt des Puppentheaters „Das Haus“, das 2017 mit dem JugendKulturPreis der Landesvereinigung kulturelle Kinderund Jugendbildung ausgezeichnet wurde. Es folgten0 d0er „Theaterpreis des Bundes“ und „DER FAUST“. Nachdem das Magdeburger Puppen­theater 1958 im Rahmen des nationalen Aufbauwerkes der DDR mit eher minderwertigen Baumaterialien errichtet worden war und bis 1995 lediglich Unterhaltungsmaßnahmen durchgeführt wurden, war es Zeit für grundlegende Modernisierungsund bauliche Erweiterungsmaßnahmen: ­Archivanbau, neues Bühnenhaus, die villa p., die kleine bzw. Probebühne und demnächst das sogenannte Kutscherhaus. Mit der Initiative zur Gründung eines europäischen Figurentheaterzentrums setzt die Leitung des Hauses ein bedeutsames Zukunftszeichen: Als sogenanntes Anwenderinstitut bietet sich das Puppentheater als eine akademisch angebundene Adresse für die praktische Ausbildung an. Der Master-Studiengang „Regie im Theater mit Puppen“ wäre in dieser Vernetzung einmalig in Europa. Möge also der Dank an den mit 33 realisierten Spielzeiten dienstältesten Intendanten Deutschlands für sein die „Puppenspielkunst“ inspirierendes Wirken nachhallen. T

Theater der Zeit 9 / 2023

Foto Anjelika Conrad

Magazin Würdigung


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Spielzeit 2023/24 Premieren

9.9.2023

Mamma Medea

16.9.2023

STRUWWELPETER (Shockheaded Peter)

23.9.2023

Welche Droge passt zu mir?

24.9.2023

Das Schaf Charlotte

28.10.2023

Oma Monika – was war?

4.11.2023

Ich glaub ’ne Dame werd’ ich nie

11.11.2023

Karlsson vom Dach

18.11.2023

Das Santa-Seminar

9.12.2023

Selfie

27.1.2024

Das große Heft Der Glücksfall

2.3.2024

www.tda-stendal.de

23.3.2024

Eine Sommernacht

6.4.2024

Ab jetzt

18.5.2024

Mirandolina

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Die Möwe

STOLZ UND VORURTEIL* (*oder so)

Isobel McArthur //nach Jane Austen

Premiere am 2. September www.theater-kr-mg.de

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CHRISTOPH NIX liest aus

KONGOTOPIA:

Premieren Iphigenie Königskind | von Pauline Mol Regie: Matthias Thieme | Premiere am 13. Oktober 2023 Fiete und das Meer | nach einer Idee von Melissa Stock Regie: Tomas Mielentz | Premiere am 1. Dezember 2023 Die zertanzten Schuhe | nach dem Märchen der Brüder Grimm Regie: Christian Georg Fuchs | Premiere am 23. Februar 2024 Fesche Lola, brave Liesel | von Heinrich Thies Regie: Kristine Stahl | Premiere am 12. April 2024 Der Hase und der Igel | nach dem Märchen der Brüder Grimm Regie: Matthias Thieme | Premiere am 25. Mai 2024

Synergura | 14. Internationales Puppentheaterfestival 5. - 9. Juni 2024 in Erfurt

Gold Macht Liebe Tod – Das Nibelungenlied

Der standhafte Zinnsoldat

Theater Waidspeicher e.V. • Domplatz 18 • 99084 Erfurt • Intendantin: Sibylle Tröster Tel. 0361 5982912 • Fax 0361 6430900 • sekretariat@waidspeicher.de • www.waidspeicher.de

2023 2024

2023 21.09. Marburg, Kulturzentrum Waggonhalle 22.09. Wetzlar, Kulturzentrum 23.09. Lich, Kulturzentrum Bezalel-Synagoge 28.09. Berlin, Buchhandlung Einar und Bert 29.09. Bremerhaven, Stadtbibliothek 1.10. Bremen, Shakespeare Company 5.10. Kassel, Diakonie Klinik 6.10. Dillenburg, Buchhandlung Rübezahl 8.10. Theater Nordhausen 11.10. Staatstheater Darmstadt 13.10. Konstanz, Buchhandlung Homburger und Hepp 14.10. Landestheater Tübingen 18.10. TheaterBar Freiburg 22.10. Überlingen, Nolte Theater 25.10. CH-Ermatingen, «Wy und Kafi», Mesmerhuus 29.10. Kamen-Methler, Margarethenkirche In Burundi, einem der ärmsten Länder dieser Erde, bereitet sich der Präsident auf seine dritte Amtszeit vor. Seine Kabinettskollegen streiten über die Nachfolge und der Verteidigungsminister wird in die Luft gesprengt. Schlägertruppen beherrschen das Strassenbild, es droht ein neuer Genozid. Die staatlichen Terroristen machen vor Geistlichen nicht halt, drei weisse Ordensschwestern werden ermordet. Die reiche Welt hat kein Interesse an der Aufklärung der Verbrechen. Christoph Nix: KONGOTOPIA Edition Königstuhl, 2023. 160 Seiten, gebunden. ISBN 978-3-907339-46-6


Impressum Theater der Zeit. Die Zeitschrift für Theater und Politik 1946 gegründet von Fritz Erpenbeck und Bruno Henschel 1993 neubegründet von Friedrich Dieckmann, Martin Linzer, Harald Müller und Frank Raddatz Herausgeber Harald Müller Redaktion Thomas Irmer (V.i.S.d.P.), Elisabeth Maier, Michael Helbing und Stefan Keim, Stefanie Schaefer Rodes (Assistenz), +49 (0) 30.44 35 28 5-18, redaktion@tdz.de, Lina Wölfel (Online), Nathalie Eckstein (Online) Mitarbeit Nathalie Eckstein (Korrektur) Verlag Theater der Zeit GmbH Geschaftsführender Gesellschafter Paul Tischler, Berlin Programm und Geschäftsführung Harald Müller +49 (0) 30.44 35 28 5-20, h.mueller@tdz.de Paul Tischler +49 (0) 30.44 35 28 5-21, p.tischler@tdz.de Verlagsbeirat Kathrin Tiedemann, Prof. Dr. Matthias Warstat Anzeigen +49 (0) 30.44 35 28 5-21, anzeigen@tdz.de Gestaltung Gudrun Hommers, Gestaltungskonzept Hannes Aechter Bildbearbeitung Holger Herschel Abo / Vertrieb Stefan Schulz +49(0)30.4435285-12, abo-vertrieb@tdz.de

Autorinnen / Autoren 9 / 2023 Otto Paul Burkhardt, Kritiker, Stuttgart Wolfgang Engler, Soziologe, Berlin Jenny Erpenbeck, Schriftstellerin, Berlin Volker Gebhart, Journalist, London Cecilia Hussinger, Studentin und Autorin, Berlin Leonard Kaiser, freier Autor, Mainz Yi-Wei Keng, Autor und Dramaturg, Taipeh Rüdiger Koch, Bürgermeister a.D., Magdeburg Daniel Mezger, Autor, Zürich Thomas Oberender, Autor, Kurator und kultureller Berater, Berlin Peter Sampel, Journalist und Dramaturg, Hamburg Jenny Schrödl, Juniorprofessorin für Theaterwissenschaften, Berlin Hans-Dieter Schütt, Autor, Berlin Sophie-Margarete Schuster, Studentin und Autorin, Berlin Stephan Suschke, Regisseur und Autor, Berlin Johanna Wokalek, Schauspielerin, Wien

Einzelpreis EUR 10,50 (Print) / EUR 9,50 (Digital); Jahresabonnement EUR 95,– (Print) / EUR 84,– (Digital) / EUR 105,– (Digital & Print) / 10 Ausgaben & 1 Arbeitsbuch, Preise gültig innerhalb Deutschlands inkl. Versand. Fur Lieferungen außerhalb Deutschlands wird zzgl. ein Versandkostenanteil von EUR 35,– berechnet. 20 % Reduzierung des Jahresabonnements für Studierende, Rentner:innen, Arbeitslose bei Vorlage eines gültigen Nachweises. © an der Textsammlung in dieser Ausgabe: Theater der Zeit © am Einzeltext: Autorinnen und Autoren. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags © Fotos: Fotografinnen und Fotografen Druck: Druckhaus Sportflieger, Berlin

Foto picture alliance / ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com | ROLAND SCHLAGER

78. Jahrgang. Heft Nr. 9, September 2023. ISSN-Nr. 0040-5418 Redaktionsschluss für dieses Heft 05.08.2023 Redaktionsanschrift Winsstraße 72, D-10405 Berlin Tel +49 (0) 30.44 35 28 5-0 / Fax +49 (0) 30.44 35 28 5-44

Vorschau 10 / 2023 Vorschau Arbeitsbuch

Folgen Sie Theater der Zeit auf Facebook, Instagram und Twitter Twitter theaterderzeit / Facebook theaterderzeit / Instagram theaterderzeit www.tdz.de Regisseurin Mateja Koležnik im Rahmen einer Probe des Stückes „Der Henker“ das am 4. Dezember 2019 am Akademietheater in Wien Premiere hatte

Die nächste Ausgabe von Theater der Zeit erscheint am 1. Oktober 2023 Slowenien ist im Oktober Gastland der Frankfurter Buchmesse und Theater der Zeit bietet aus diesem Anlass einen umfangreichen Schwerpunkt Über die Lage der Theaterszene von Ljubljana bis Maribor schreibt die Dramaturgin und langjährige Leiterin des slowenischen Theatertreffens Alja Predan. Außerdem Zala Dobovšek über neue slowenische Dramatik und Petra Vidali über die Regie-Generation, die nach der auch im deutschsprachigen Theater erfolgreichen

Theater der Zeit 9 / 2023

Regisseurin Mateja Koležnik die Bühnenkunst im Land zwischen Alpen und Adria prägt. Außerdem: Neue Dramatik: Vier Texte und Porträts aus dem dies­ jährigen Retzhofer Dramapreis des Drama Forum Graz gibt es im Stückabdruck.

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Magazin Interview

Im Gespräch mit Michael Helbing

Warum schreiben Sie keine Stücke mehr? AR: Ich hatte irgendwann kein Geld mehr und ging zum Fernsehen. Man kann als Autorin kaum vom Theater leben, jedenfalls nicht mit zwei Kindern, wie ich sie während des Studiums bekam. Als junge Autorin kommt man noch gut in diese Strukturen rein, doch dann folgt eine lange Durststrecke.

Anne Rabe legte jüngst ihr Roman-­ Debüt „Die Möglichkeit von Glück“ vor, der Nachwirkungen der DDR anhand einer autofiktionalen Familiengeschichte beschreibt. Geboren 1986 in Wismar, studierte sie an der UdK Berlin Szenisches Schreiben und veröffentlichte ein halbes Dutzend Theaterstücke. Seit Jahren schreibt sie fürs Fernsehen. Auch politisch-literarische Essays stammen von ihr.

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Es wurde ein Hybrid daraus: Roman und literarischer Essay zugleich. AR: Diese harte Trennung gibt ’s ohnehin nur in Deutschland. Frankreich oder Großbritannien sind da viel offener. Und gerade jetzt, wo das Fernsehen dem Erzählen so starke Konkurrenz macht, sollte sich die Prosa genau überlegen, welche Möglichkeiten sie hat, über die andere Formen nicht verfügen. Nun ist ja auch die bundesrepublikanische Geschichte keine gewaltfreie … AR: … nein. Ich spüre in Gesprächen, wie auch westdeutsche Leser:innen dankbar aufgreifen, dass ich mich mit Nachwirkungen der Diktaturen beschäftige. Die gesamtdeutsche Geschichte ist wahnsinnig von Gewalt geprägt. Nicht nur deshalb bin ich dafür, die DDR als deren Teil zu betrachten.

Insofern erübrigt sich fast die Frage, weshalb „Die Möglichkeit von Glück“ kein Drama wurde. AR: Man könnte auf jeden Fall über diese Themen ein Theaterstück schreiben. Aber mein Stoff wäre für die Bühne zu umfassend. Es gibt allerdings auch nur wenige Autoren, die von Romanen genussvoll leben können. Da hilft mir das Fernsehen als Standbein schon sehr.

Wo liegt dann das spezifische Problem ostdeutscher Selbstverständigung? AR: Das ist ein Motiv meines Romans: Wir haben in der DDR und der harten Transformationszeit danach sehr viel länger über unsere Geschichten im Krieg und den Diktaturen geschwiegen. In meiner, der Achtziger-Jahre-Generation, blieb auch darüber hinaus viel zwischen Eltern und Kindern unausgesprochen, nachdem auf die Agonie am Ende der DDR die Überforderungen der Transformation gefolgt waren.

Motive Ihrer Stücke ziehen sich indes auch durch Ihren Roman, oder? AR: Absolut! Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte und Nachwendezeit spielen eine große Rolle. Ich bin übrigens sehr dagegen, beides voneinander zu trennen. Und ich verbinde das mit dem Thema Gewalt. Gerade im zwanzigsten Jahrhundert liegen dazu noch viele Stoffe bereit, die uns helfen könnten zu verstehen, warum unsere Gegenwart so ist, wie sie ist.

Ihr Roman plumpste unerwartet zwischen heftig diskutierte Sachbücher, Dirk Oschmanns „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ und Katja Hoyers „Neue Geschichte der DDR“. AR: Ich profitiere natürlich davon, dass mein Buch dadurch besondere Aufmerksamkeit erfuhr, weil das Thema offensichtlich in der Luft lag. Es ist schwierig, mit Prosa in Debatten einzusteigen. Aber mein Roman füllte dort wohl eine Leerstelle aus.

„Die DDR ist die Echokammer der Gewalt“ hieß es in ihrem Essay „Kinderland“ für den Merkur. AR: Der Essay wurde vor vier Jahren zum Ausgangspunkt: sowohl für das tiefere Nachdenken über solche Themen als auch für den Verlag Klett-Cotta, mir einen Roman dazu vorzuschlagen.

Welche Rolle spielt das Theater bei der ostdeutschen Selbstverständigung? AR: Ich würde mir immer ein mutiges Theater wünschen, kann mir aber kaum ein Urteil erlauben, weil ich wirklich selten im Theater bin, vor allem dort, wo es brennt: in der Provinz. Vielleicht sollte ich das mal machen. Aber tatsächlich ist mein Interesse an dieser Form gerade nicht so groß. T

Theater der Zeit 9 / 2023

Foto Annette Hauschild

Was macht das Theater, Anne Rabe?

Sind Sie eigentlich noch Dramatikerin? AR: Nein. Ich übersetze gelegentlich noch Stücke, schreibe aber selbst nicht mehr fürs Theater. Das letzte in diese Richtung waren die „Corona-Monologe“, mit David Gieselmann, Konstantin Küspert oder Maja Das Gupta im Internet. Ich habe Suzie Millers Monolog „Prima facie“ übersetzt, der erfolgreich am Broadway läuft und in der neuen Saison an vielen deutschsprachigen Bühnen herauskommt, zuerst Mitte September an den Kammerspielen des Deutschen Theater Berlin.



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