Theater der Zeit
Mit
Nikita Buldyrski
Olafur Eliasson
Steffen Mensching
Jona Rausch
Hartmut Rosa
Marie Schleef
Valerie Schönian
Jonas Zipf
Konflikt Kunstfreiheit
Mit
Nikita Buldyrski
Olafur Eliasson
Steffen Mensching
Jona Rausch
Hartmut Rosa
Marie Schleef
Valerie Schönian
Jonas Zipf
Konflikt Kunstfreiheit
Die neue Spielzeit ab 19.9.
Die Haushaltsansätze für den Fonds Darstellende Künste und das Bündnis internationaler Produktionshäuser müssen den längst bekannten Bedarfen gerecht werden, mindestens aber den Zuwendungen von 2024 entsprechen. Keine Halbierung der Bundeskulturfonds! Ausbau der Förderungen für das Bündnis internationaler Produktionshäuser und des Fonds Darstellende Künste! Jetzt Petition unterschreiben:
https://www.change.org/p/ an-der-freien-kunst-zu-sparen-kostet-zu-viel
PARADISE LOST
Kommando Himmelfahrt
nach John Milton
Uraufführung
Musikalische Leitung: Jan Dvořák
Regie: Thomas Fiedler
PEER GYNT
Henrik Ibsen
Regie: Yair Sherman
ZEIT FÜR FREUDE
Arne Lygre // Bühnen Bern
Regie: Mina Salehpour
ERSTE WAHL
die methusalems
nach Kathrin Pläcking
Uraufführung
Regie: Sahar Amini
DER PROZESS
Franz Kafka // Bühnenfassung von Keyvan Sarreshteh
Regie: Amir Reza Koohestani
ERWARTUNG
Theresia Walser // Uraufführung
Regie: Peter Carp
WOLLSTONECRAFT
Sarah Berthiaume
Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Camilla Dania
DELHI, EIN TANZ
Iwan Wyrypajew
Regie: Kamilė Gudmonaitė
RAUFLUST
Herbert Fritsch // Uraufführung
Regie: Herbert Fritsch
EIN NEUES STÜCK
Regie: Jessica Glause
Schauspiel
Schauspielhaus, Großes Haus — 7.9. Moby Dick von Herman Melville mit Musik von Anna Calvi, R: Robert Wilson — 5.10. Draußen vor der Tür von Wolfgang Borchert, R: Adrian Figueroa — 2.11. Der Geizige von Molière, R: Bernadette Sonnenbichler — 17.11. Emil und die Detektive von Erich Kästner, Kinder- und Familienstück, eine gemeinsame Produktion von Schauspiel und Jungem Schauspiel, R: Robert Gerloff — Dezember Ellen Babić von Marius von Mayenburg, R: Anton Schreiber — Februar König Lear von William Shakespeare, R: Evgeny Titov — März Die Märchen des Oscar Wilde erzählt im Zuchthaus zu Reading mit Musik von Matts Johan Leenders, R: André Kaczmarczyk — April Jeder stirbt für sich allein von Hans Fallada, R: Nora Schlocker — Mai Die heilige Johanna der Schlachthöfe von Bertolt Brecht, R: Roger Vontobel
Schauspielhaus, Kleines Haus — 18.10. Man muss sich Mephisto als einen glücklichen Menschen vorstellen von Jan Bonny und Jan Eichberg nach »Mephisto« von Klaus Mann, R: Jan Bonny — 9.11. Nora von Henrik Ibsen, R: Felix Krakau — Januar Der Schaum der Tage von Boris Vian, R: Bernadette Sonnenbichler — März Liv Strömquists Astrologie nach der Graphic Novel von Liv Strömquist, R: Philipp Rosendahl, UA — Mai Der blinde Passagier von Maria Lazar, R: Laura Linnenbaum, UA — Juni Antichristie von Mithu Sanyal, UA
Vor dem Schauspielhaus — Mai D’haus Open Air 2025, R: Stas Zhyrkov
Stadt:Kollektiv
13.9. Romeo und Julia frei nach William Shakespeare, R: Bassam Ghazi 15.12. Die Verwandlung nach Franz Kafka, R: Kamilė Gudmonaitė — Februar Waffennarren Ein Theaterparcours über die Faszination von Waffen und die (Un-)Möglichkeit von Frieden, R: Gernot Grünewald
Junges Schauspiel
15.9. Faust 1+2+3 von Johann Wolfgang von Goethe und Felix Krakau, R: Felix Krakau — 22.9. Bin gleich fertig! nach dem Bilderbuch von Martin Baltscheit und Anne-Kathrin Behl, R: Barbara Fuchs, UA — 5.12. Wolf von Saša Stanišić, R: Carmen Schwarz — März Pinocchio von Carlo Collodi, R: Frank Panhans — April Blindekuh mit dem Tod Kindheitserinnerungen von Holocaust-Überlebenden nach der Graphic Novel von Anna Yamchuk, Mykola Kuschnir, Natalya Herasym und Anna Tarnowezka, R: Robert Gerloff, UA — Mai Freedom is a Dancer von Nir de Volff und Ensemble, R: Nir de Volff, UA
Berlin Alexanderplatz
von Alfred Döblin, in einer Bühnenfassung von Dušan David Pařízek
Inszenierung: Dušan David Pařízek Sa – 21. Sep 24
SCHAUSPIELHAUS
Frau Yamamoto ist noch da (DE) von Dea Loher
Inszenierung: Burkhard C. Kosminski Fr – 11. Okt 24
KAMMERTHEATER
Die Erziehung des Rudolf Steiner (UA) von Dead Centre
Inszenierung: von Dead Centre Sa – 12. Okt 24
SCHAUSPIELHAUS
Das irdische Leben Musiktheater von Thom Luz und Ensemble Konzept, Inszenierung, Raum: Thom Luz Fr – 25. Okt 24
KAMMERTHEATER
Draußen vor der Tür von Wolfgang Borchert
Inszenierung: Sapir Heller Fr – 01. Nov 24
SCHAUSPIELHAUS
Pünktchen und Anton von Erich Kästner
Inszenierung: Karsten Dahlem So – 24. Nov 24
SCHAUSPIELHAUS
Cyrano de Bergerac von Martin Crimp, frei nach Edmond Rostand
Inszenierung: Burkhard C. Kosminski Sa – 07. Dez 24
SCHAUSPIELHAUS
Im Ferienlager (UA) von Olga Bach
Inszenierung: Jessica Glause Sa – 20. Jan 25
KAMMERTHEATER
Lear (DSE) von William Shakespeare, bearbeitet und mit neuen Texten von Falk Richter
Inszenierung: Falk Richter Sa – 08. Feb 25
SCHAUSPIELHAUS
Drei mal Leben von Yasmina Reza
Inszenierung: Andreas Kriegenburg Sa – 08. Mär 25
SCHAUSPIELHAUS
Willkommen am Ende der Welt (UA) von Maryna Smilianets Inszenierung: Stas Zhyrkov Sa – 22. Mär 25 KAMMERTHEATER
Die Erfindung (UA) von Clemens J. Setz Inszenierung: Lukas Holzhausen Sa – 03. Mai 25 KAMMERTHEATER
Buddenbrooks von Thomas Mann
Inszenierung: Amélie Niermeyer Sa – 10. Mai 25
SCHAUSPIELHAUS
Zur Schönen Aussicht von Ödön von Horváth
Inszenierung: Christina Tscharyiski Sa – 21. Jun 25
SCHAUSPIELHAUS
SPIELPLANANALYSE 24/25 von und mit Harald Schmidt ab 05. Okt 24
SCHAUSPIELHAUS
Antigone (ein Requiem) von Thomas Köck
Inszenierung: Mira Stadler
Sa – 29. Mär 25 Nord
EINE BACHELORINSZENIERUNG
Sa – 18. Jan 25 Nord
Amerika von Franz Kafka Inszenierung: Viktor Bodó
BLACK BOX Phantomtheater für 1 Person von Stefan Kaegi / Rimini Protokoll
Inszenierung: Stefan Kaegi / Rimini Protokoll
Das Portal (UA) von Nis-Momme Stockmann Inszenierung: Herbert Fritsch
DER BESUCH DER ALTEN DAME von Friedrich Dürrenmatt mit einem Text von Peter Michalzik
Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
Der große Wind der Zeit (UA) von Joshua Sobol Inszenierung: Stephan Kimmig
Der Zauberlehrling (UA)
Ein Musical von Marthe Meinhold, Marius Schötz und Ensemble Inszenierung: Marthe Meinhold & Marius Schötz
Ein dunkles, dunkles, dunkles Blau (UA) von Simon Stephens Inszenierung: Elmar Goerden
Farm der Tiere von George Orwell Inszenierung: Oliver Frljić
Hotel Savoy oder Ich hol' dir vom Himmel das Blau (UA)
Eine Hybridoperette mit der Musicbanda Franui Inszenierung: Corinna von Rad
Jeeps von Nora Abdel-Maksoud Inszenierung: Sebastian Kießer
John Gabriel Borkman von Henrik Ibsen Inszenierung: Daniela Löffner
Liebe / Eine argumentative Übung von Sivan Ben Yishai Inszenierung: Tom-Henry Löwenstrom
Offene Zweierbeziehung von Dario Fo und Franca Rame Inszenierung: Andreas Kriegenburg
Sonne / Luft von Elfriede Jelinek Inszenierung: FX Mayr
Was ihr wollt von William Shakespeare Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
WOYZECK von Georg Büchner Inszenierung: Zino Wey
PREMIEREN SEPTEMBER — DEZEMBER SPIELZEIT 2024/25
WWW.BERLINER-ENSEMBLE.DE
TOD EINES HANDLUNGSREISENDEN von Arthur Miller, Regie: Max Lindemann, Premiere: 12.September 2024 KLEINER MANN – WAS NUN? von Hans Fallada, Regie: Frank Castorf, Premiere: 14. September 2024 DER NACKTE WAHNSINN von Michael Frayn, Regie: Oliver Reese, Premiere: 2. Oktober 2024 DIE KAMELIENDAME ODER: STIRB SCHÖNER! nach Alexandre Dumas, Regie: Malin Lamparter, Premiere WORX: 16. Oktober 2024 PICK ME GIRLS von und mit Sophie Passmann, Regie: Christina Tscharyiski, Premiere: 17. Oktober 2024 GITTERSEE von Charlotte Gneuß, Regie: Leonie Rebentisch, Uraufführung: 2. November 2024 BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER von Max Frisch, Regie: Fritzi Wartenberg, Premiere: 29. November 2024 LILIOM von Ferenc Molnár, Regie: Christina Tscharyiski, Premiere: 5. Dezember 2024 DER LÜGENPRINZ nach Henrik Ibsens Peer Gynt, Regie: Lucia Wunsch, Premiere WORX: 18. Dezember 2024
Fr, 27.09.2024
Die Nacht von Lissabon nach Erich Maria Remarque Regie: Maxim Didenko
Sa, 28.09.2024
Der Grund.
Eine Verschwindung von Sokola//Spreter I UA Regie: Pablo Lawall
Fr, 11.10.2024
Mannheimer Stadtensemble Golden Record Studios: Mannheim von matthaei&konsorten
So, 17.11.2024
Die Schneekönigin
nach Hans Christian Andersen
Eine Koproduktion von JNTM und Schauspiel Regie: Ulrike Stöck
Sa, 30.11.2024
Der Revisor von Nikolai Gogol | Regie: FX Mayr
Do, 05.12.2024
Fragment Felix. Ein Leben zwischen Kunst und Krieg
Regie: Christian Franke unter Verwendung der Schri en Felix Hartlaubs | UA
Fr, 10.01.2025
Ein neues Stück von Leonie Lorena Wyss | Au ragswerk | UA
Do, 23.01.2025
DRUCK! von Arad Dabiri | UA | Regie: Ayşe Güvendiren
Fr, 24.01.2025
Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde
nach der Novelle von Robert Louis Stevenson
Regie: Johanna Wehner
Fr, 07.03.2025
Mannheimer Stadtensemble 1*FC Ultra
eine queere Fußball-Performance von Jackie Rydz | UA
Fr, 21.03.2025
Die Schattenpräsidentinnen von Selina Fillinger | Regie: Christian Weise
Fr, 04.04.2025
Faust (In Leichter Sprache)
nach Johann Wolfgang von Goethe Regie: Daniel Cremer
Frühjahr 2025
Hungrig nach mehr Heute Inszenierungen junger Regisseur*innen
Fr, 23.05.2025
Die Erweiterung
nach dem Roman von Robert Menasse | UA Regie: Anna-Elisabeth Frick
Do, 19.06.2025
Kabale und Liebe von Friedrich Schiller Regie: Charlotte Sprenger
Do, 19.06.2025 – So, 29.06.2025
23. Internationale Schillertage
Juni 2025
Mannheimer Stadtensemble Räuber*innen von Leonie Lorena Wyss | Au ragswerk | UA Regie: Beata Anna Schmutz nationaltheater.de
26.09.
DAS SCHIFF DER TRÄUME [FÄHRT EINFACH WEITER]
27.09. HERZ AUS POLYESTER
28.09. BLUE SKIES
inspiriert durch Motive von Federico Fellini Texte von Thomas Perle & Ensemble
REGIE Claudia Bauer
02.10. MOBIL
SONNE UND BETON
nach dem Roman von Felix Lobrecht
DT Jung* Mobile Urau ührung
REGIE Karsten Dahlem
22.11.
WIE VIELE SIND
WIR EIGENTLICH NOCH.
BRASCH LYRIK PROSA
REGIE Tom Kühnel und Jürgen Kuttner
13.12.
FAKE JEWS
von Noam Brusilovsky
Urau ührung
REGIE Noam Brusilovsky
von Sarah Calörtscher
Urau ührung
REGIE Daniel Foerster
25.10. KAMMER
WASTELAND: PETER PAN
von Patty Kim Hamilton nach Peter Pan von J. M. Barrie, in einer Fassung von Patty Kim Hamilton, Christopher-Fares Köhler und Jessica Weisskirchen
Urau ührung
REGIE Jessica Weisskirchen
23.11.
DIE DREI LEBEN DER HANNAH ARENDT
inspiriert von der Graphic Novel The Three Escapes of Hannah Arendt. A Tyranny of Truth von Ken Krimstein
Urau ührung
REGIE Claudia Bossard
19.12. DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG
von Katja Brunner
nach William Shakespeare
Urau ührung
REGIE Pınar Karabulut
nach dem Roman von T.C. Boyle
REGIE Alexander Eisenach
26.10. DT BÜHNE DAS DINNER
nach dem Roman von Herman Koch
REGIE András Dömötör
FAUST 1 & 2
von Johann Wolfgang von Goethe
Regie: Jan-Christoph Gockel
Premiere: 19. September 2024
SZENEN EINER EHE
von Ingmar Bergman
Regie: Sebastian Schug
Premiere 22. September 2024
DER GROSSE GATSBY
nach F. Scott Fitzgerald
bearbeitet von Iga Ga ń czarczyk
Regie: Ewelina Marciniak
Premiere: 25. Oktober 2024
RONJA RÄUBERTOCHTER
nach Astrid Lindgren
Familienstück ab 6 Jahren
Regie: Rüdiger Pape
Premiere: 24. November 2024
EIN BLICK VON DER BRÜCKE von Arthur Miller
Regie: Eric de Vroedt
Premiere: 18. Januar 2025
EIN SOMMERNACHTSTRAUM
von William Shakespeare
Regie: Christina Tscharyiski
Premiere: 07. Februar 2025
DON QUIJOTE (UA)
nach Miguel de Cervantes von Peter Jordan
Regie: Peter Jordan & Leonhard Koppelmann
Premiere: 14. März 2025
SOLARIS
nach Stanisław Lem
Regie: Christian Friedel
Premiere: 26. April 2025
DER SANDMANN
nach E.T.A. Hoffmann
Regie: Lilja Rupprecht
Premiere: 23. Mai 2025
FORSYTHE / HAUERT
Gastspiel der Dresden Frankfurt Dance Company
Choreografien: William Forsythe und Thomas Hauert
Premiere: 05. Juni 2025
ALLE ZEIT DER WELT (UA)
Text und Regie: Wilke Weermann
Premiere: 20. September 2024
WER HAT MEINEN VATER UMGEBRACHT
nach Édouard Louis
Regie: Lisa Nielebock
Premiere: 15. November 2024
LEAKS
VON MÖLLN BIS HANAU (UA)
Text und Regie: Nuran David Calis
Premiere: 14. Dezember 2024
WIR HABEN ES NICHT GUT GEMACHT (UA)
nach dem Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Max Frisch
Regie: Susanne Frieling
Premiere: 17. Januar 2025
DINGENS (DSE)
von Hanoch Levin
Regie: Sapir Heller
Premiere: 14. Februar 2025
DIE ZOFEN
von Jean Genet
Regie: Rieke Süßkow
Premiere: 25. April 2025
DIE FRAU VOM MEER – ODER FINDEN
SICH RUDIMENTE EINER UR-FISCHART IM MENSCHLICHEN GEMÜT?
nach Henrik Ibsen
Regie: Barbara Bürk
Premiere: 16. Mai 2025
GALLUS-GESCHICHTEN
Gesamtkonzept: Martina Droste
Das Gesamtprojekt wird im Rahme n der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert.
ZEIT FÜR ZEUG:INNEN (UA)
in Kooperation mit dem Historischen Museum Frankfurt
Regie: Martina Droste
Premiere: 23. November 2024
Historisches Museum Frankfurt
AUS FREIEN STÜCKEN?
in Kooperation mit dem »Geschichtsort Adlerwerke«, Vereinen und Aktiven im Gallus Februar bis Juni 2025 diverse Orte im Gallus
B-HEIMAT. ORTE UNSERER SEHNSUCHT (UA)
Regie: Martina Droste
Premiere: 08. März 2025
Kammerspiele
PROJEKTE, NEUE DRAMATIK, PERFORMANCE
Die BOX ist ein Ort für Experimente, ungewöhnliche Begegnungen und neue Erfahrungen.
Box
NACH(T)GESPRÄCH
DIE DIALOGREIHE IM KAMMERFOYER
Unser Begegnungsformat, in dem zu ausgesuchten Inszenierungen
Ensemble, Publikum und Expert:innen miteinander ins Gespräch kommen.
Foyer Kammerspiele
LIEDSCHATTEN
MUSIK AUS DER KAMMER MIT DEM ENSEMBLE
Das erfolgreiche Musikformat mit schrägen Story- und Hooklines geht weiter.
Kammerspiele
Dieser September ist der Wahlmonat Ost im so genannten Superwahljahr. In mehr als 60 Ländern wählt fast die Hälfte der Weltbevölkerung ihre Vertreter der politischen Willensbildung. Am 5. November dann der mutmaßliche Höhepunkt in den USA. Die Zahl der Demokratien auf der Welt geht indes zurück. Auch wenn dieses Superwahljahr anderes zu suggerieren scheint.
„Die Orestie“ des Aischylos gilt als das Stück, an dessen Ende die Demokratie gleichsam geboren wird. Der griechische Regisseur Theodoros Terzopoulos hat es im Juli an antiker Stätte (siehe Titel) inszeniert, in Epidauros, rund zwei Autostunden von Athen entfernt. Im Superwahljahr und mit Blick auf die Kriege in der Ukraine und in Gaza voller Skepsis, ja vielleicht auch mit bitterem Pessimismus. Terzopoulos, der mit seinem Theater eigentlich Dionysos auf Apoll treffen lassen will, sieht im Krieg die größte Gefahr für die Demokratie bzw. diese als zu schwach, um Kriege zu verhindern. Das wird, nicht nur mit seiner Antiken-Vision, ein großes Thema bleiben.
Wie man mit unversöhnlicher Spaltung in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft umgehen könnte, das diskutieren
der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa und Jonas Zipf, kaufmännischer Geschäftsführer von Kampnagel Hamburg, im Schwerpunkt zum Thema Grenzen der Kunstfreiheit. Im eher innerbetrieblichen Sinne äußert sich dazu der Schriftsteller und Rudolstädter Intendant Steffen Mensching. Er fordert aber, den Widersprüchen der Zeit folgend, das Theater als eine neue moralische Anstalt nach Schiller – seines wird er erstmal so nennen.
In Argentinien, wo letztes Jahr ein neuer Präsident gewählt wurde, ordnet Halima Tahan Ferreyra in ihrem Beitrag einige aktuelle Inszenierungen in den Kontext der dort immer wieder aufflammenden Straßenproteste ein.
Und um den Bogen zurückzuschlagen zum Superwahlmonat im Osten: Die Berliner Journalistin Valerie Schönian (geboren 1990 in Gardelegen, Sachsen-Anhalt, ganz nah an der gerade geöffneten deutschdeutschen Grenze) erinnert sich in der Post-Ost-Serie furchtlos an ihre „OssiWerdung“, wie sie es selbst nennt. Vielleicht sollte man den Artikel mit Bedacht zweimal lesen – einmal am Anfang und dann nochmal am Ende des Superwahlmonats. Wird es noch der selbe Text sein?
Aktuelle Kritiken wie immer unter tdz.de T
Thomas Irmer
Epidauros: die bedeutendste antike Kultstätte für den Heilgott Asklepios in Griechenland
26 Interview Auf der anderen Seite des Empathiegrabens
Der Soziologe Hartmut Rosa und Kampnagel-Geschäftsführer Jonas Zipf im Gespräch über die Gefährdung der Freiheit von Kunst und Wissenschaft
36 Interview „Ich weiß, dass ich Kunstfreiheit einschränke“
Steffen Mensching über verschiedene Blickwinkel als Intendant in Rudolstadt und als Schriftsteller sowie sein künftiges Schiller-Theater im Gespräch mit Michael Helbing
40 Essay Spielt euch frei!
Über die Mehrdimensionalität von Kunstfreiheit in der Theaterpädagogik
Von Graciela Peralta
50 Kunstinsert Fenster für bewegtes Licht
Olafur Eliasson trifft Caspar David Friedrich im Greifswalder Dom von Juliane Voigt
56 Porträt „Mein Handwerk ist Kunst“
Alfred-Kerr-Preisträger Nikita Buldyrski spielte am Theaterhaus Jena manchmal Varianten seiner selbst und wechselt nun nach Karlsruhe von Michael Helbing
62 Laudatio Expressives Theater mit menschlicher Botschaft
Das Schlosstheater Moers erhält den Martin-Linzer-Theaterpreis 2024 Eine Laudatio von Stefan Keim
66 Nachruf Schmerz stellt die Welt infrage Zum Tod des Regisseurs und Schauspielers Alexander Lang von Hans-Dieter Schütt
68 Nachruf Der Materialergründer Filmemacher und Theaterregisseur Thomas Heise von Thomas Irmer
100 Serie Schlaglichter #07
Von Fabiola Kuonen
102 Serie: Post-Ost
Meine Ossi-Werdung und was sie heute bedeutet
Von Valerie Schönian
106 Ausbildung Die Zukunft des digitalen Schauspiels definieren
Die Hochschule der Künste Bern entwickelt einen neuen Studiengang
Von Anna Bertram
112 Epidauros Antike im Krieg
Theodoros Terzopoulos inszeniert für das Epidauros-Festival eine in Skepsis und Protest endende „Orestie“ von Aischylos
Von Thomas Irmer
116 Karlsruhe Eine Kämpferin für die Weiblichkeit
Nach sechs Jahren verabschiedet sich Schauspieldirektorin Anna Bergmann aus Karlsruhe – eine Bilanz
Von Elisabeth Maier
120 Argentinien Wir müssen das kollektive
Gedächtnis erneuern
Schlaglichter auf die Theaterszene von Buenos Aires in Zeiten von Javier Milei
Von Halima Tahan Ferreyra
76 Gegen die Vereinzelung
Jona Rausch über ihr Stück „Betonklotz 2000“, das Ihme-Zentrum in Hannover als Schausplatz und Klassismus Im Gespräch mit Stefanie Schaefer Rodes und Nathalie Eckstein
79 „Betonklotz 2000“
Von Jona Rausch
16 Bericht Internationalität mit Blick aufs Lokale
Von Stefan Keim
18 Kritiken Gesammelte Kurzkritiken
Von Otto-Paul Burkhardt, Anne Fritsch, Christoph Leibold und Lara Wenzel
22 Kolumne An das Theater, eine sommerliche Liebeserklärung unter aktuellen Umständen
Von Marie Schleef
126 Bericht Nicht nur leidende Natur
Von Stefan Keim
128 Bücher Unsortierte Materialschlacht
Von Stefan Keim
132 Was macht das Theater, Raphaela Bardutzky?
Im Gespräch mit Nathalie Eckstein
9 Editorial
130 Autor:innen & Impressum
130 Vorschau
Tickets und weitere Infos: www.under-construction-wuppertal.de www.wuppertal-live.de
Für alle
Wo ist dein Paradies? (UA) Regie
DIE VERSCHWÖRUNG DES FIESKO ZU GENUA |
PETTERSSON UND FINDUS | HIMMLISCHE ZEITEN | YERMA | KINDERAUTORENPROJEKT | IDENTITY |
DIE SCHNEEKÖNIGIN | NEIN ZUM GELD! | EWIG
JUNG | MARIO UND DER ZAUBERER | DER SITTICH |
FABIAN – DER GANG VOR DIE HUNDE | MADAMA
BUTTERFLY | DON GIOVANNI | LOVE, AMY (UA) |
KARDINALFEHLER | SCHNEEWITTCHEN (UA) |
DIE LETZTE NACHT DER WELT (DSE) | GRÄFIN
MARIZA | ISTANBUL | EISENSTEIN | GESCHICHTE
EINES NEIN (DSE) | ORFEO ED EURIDICE |
PERSHING (UA) | ROMULUS DER GROSSE | 35 KILO
HOFFNUNG | GLORIOUS!
WWW.THEATER-HEILBRONN.DE
Das Forum Freies Theater in Düsseldorf feiert seinen 25. Geburtstag
Von Stefan Keim
Zum Geburtstag kriegt man gute Wünsche. Mindestens. Wenn diese Wünsche auf einer Bühne ausgesprochen werden, die zudem noch eine Wunschmaschine ist, also Wünsche wahr werden lässt, dann ist das ein Happening. „Wenn jetzt“ heißt das neue Stück von She She Pop, das zum 25-jährigen Jubiläum des Forum Freies Theater (FFT) in Düsseldorf Uraufführung hat. Die Bühne ist leer, die Gedanken sind frei. Wohin sie fliegen, entscheidet sich beim Spiel. She She Pop ist eines von vielen Kollektiven, dessen Geschichte eng mit dem FFT verbunden ist. Wie z. B. auch subbotnik, Gintersdorfer/Klaßen, half past selberschuld, PME-Art, Claudia Bosse/theatercombinat, machina eX, Cooperativa Maura Morales
und viele andere. Auch bevor diese Gruppen ihre nationalen und internationalen Durchbrüche erlebten, waren sie im FFT zu Hause. „Das FFT ist unsere Mama“, sagt Martin Kloepfer von subbotnik.
Dabei war es in den ersten Jahren seit der Gründung 1999 nicht einfach, das Produktionszentrum in Düsseldorf zu etablieren. Ein großer Teil des Theaterpublikums war zurückhaltend. Es gab zwei Spielstätten, eine Kellerbühne namens Kammerspiele und das Junge Theater in der Altstadt im ersten Stock eines städtischen Amtes. Wer wie ich zur Schusseligkeit neigt, stand manchmal eine Viertelstunde vor Beginn an der Tür des falschen Spielorts.
Das ist nun Geschichte. Seit November 2021 hat das FFT ein neues, schickeres und größeres Zuhause direkt am Düsseldorfer Hauptbahnhof. Es muss keine Technik mehr von einem Ort zum anderen transportiert werden, das Team sieht sich häufiger, und auch Theaterfans aus Köln oder dem Ruhrgebiet haben eine leichte Anreise. Zumindest theoretisch, wenn die Bahn fährt. „Der wichtigste Ort, den wir hinzugewonnen haben“, sagt Theaterleiterin Kathrin Tiedemann, „ist das Foyer. Es ist ein großzügiger Treffpunkt für Künstler:innen und Publikum. Aber hier finden auch Veranstaltungen anderer Vereine statt, z. B. kooperieren wir mit dem Bündnis für bezahlbaren Wohnraum.“
Die enge Zusammenarbeit mit stadtpolitischen und künstlerischen Gruppierungen ist ein Grund, warum sich das FFT auch beim Publikum durchgesetzt hat. „Das Publikum hat uns sehr gut kennengelernt“, erklärt Kathrin Tiedemann, die das FFT seit 20 Jahren leitet. „Wir haben viele Kooperationen mit Schulen, Hochschulen und anderen Institutionen.“ Oft sind die Künstler:innen auch als Ko-Kurator:innen tätig und gestalten das Programm selbst. „Wir gehen viel stärker auf ein lokales Publikum ein und entwickeln mit Künstler:innen vor Ort Konzepte, die nachhaltig sind und das Publikum einbinden. So ist mit Beharrlichkeit und einem riesigen Engagement ein Ort entstanden, der international vernetzt und gleichzeitig direkt in der Stadt verankert ist. „Wir koproduzieren fast alles und verstehen uns nicht als Gastspielhaus“, sagt Kathrin Tiedemann. „Die Leitungsfunktion in einem Produktionshaus ist mit deutlich weniger Macht ausgestattet als die Intendanz an einem Stadttheater. Ich benenne ja z. B. keine Regie. Sondern unsere Aufgabe besteht nach wie vor darin, zu
unterstützen, unser Know-how und unsere Infrastruktur anzubieten und möglichst auch mit Geld zu ko-produzieren. Wir sind ständig im Austausch mit den Gruppen.“
In Düsseldorf arbeiten nicht nur die allseits bekannten Kollektive. Für den Nachwuchs gibt es eigene Plattformen, die „West Off“ oder „Freischwimmen“ heißen. Aber auch das Seniorentheater in der Altstadt SeTA hat seine Heimat im FFT. „Das ist im Grunde ein internationales Ensemble mit Mitwirkenden, die aus Griechenland und Großbritannien stammen“, erzählt Kathrin Tiedemann. Während der Pandemie entwickelte das FFT zusammen mit der Deutschen Oper am Rhein das Projekt „Digitales Foyer“. Ein Ergebnis davon sind bis heute Würfel – „Cubes“ –, die im Foyer des FFT stehen. Auf ihren digitalen Oberflächen gibt es verschiedene Spiele, die Kinder nach kurzer Anleitung selbstständig spielen können, z. B. setzen sie aus den Würfeln Puzzles zusammen. „Da gibt es eine große Nachfrage“, sagt die Theaterleiterin. „Das können Kinder mit dem Besuch einer Vorstellung verbinden oder auch einfach so kommen und spielen.“
Pünktlich zum Jubiläum hat das Forum Freies Theater allerdings große Sorgen. Denn die Bundesregierung hat massive Kürzungen bei der Förderung freier Produktionen angekündigt. Bisher gab es fünf Millionen Euro im Jahr für das Bündnis internationaler Produktionshäuser, ein Zusammenschluss der sieben größten Produktionshäuser der Performing Arts in Deutschland. Damit konnten das FFT, Kampnagel in Hamburg, Hellerau in Dresden oder der Mousonturm in Frankfurt Ko-Produktionen mit Künstler:innen aus anderen Ländern, Residenzen, thematische Schwerpunkte und bundesweite Weiterqua-
lifizierungsangebote finanzieren. In der Koalitionsvereinbarung der Regierungsparteien wurde dieses Projekt als „Innovationstreiber“ bezeichnet und zur „Stärkung“ vorgesehen, nun hat die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien die Förderung im Bundeshaushalt komplett gestrichen.
„Das wäre ein riesiger Einschnitt“, sagt Kathrin Tiedemann. Sie sieht keine Möglichkeit, die wegfallende Förderung zu kompensieren. „Die Stadt Düsseldorf ist unser wichtigster Förderer, auch das Land NRW ist dabei. Diese Zuschüsse sind bislang stabil. Aber seit 2016 gab es keine nennenswerte Erhöhung des Betriebskostenzuschusses.“ Natürlich hat das FFT wie alle anderen Theater auch mit der Inflation, enorm steigenden Kosten in allen Bereichen und den – natürlich äußerst sinnvollen – Mindesthonoraren für Künstler:innen zu kämpfen. „Ohne die Bundesmittel könnten wir viele Dinge gar nicht machen“, sagt die Theaterleiterin und hofft, dass die Bundesregierung doch noch ein Einsehen hat.
Denn so steht ein Teil der positiven Entwicklung der vergangenen 25 Jahre auf dem Spiel. Eine Entwicklung, die auch durch die Politik gefördert wurde, durch Exzellenzund Spitzenförderungen, die den Gruppen die Möglichkeit geben, über mehrere Jahre hinweg zu planen. Das führt zu größeren Produktionen, für die das FFT nun auch eine passende Bühne auf dem neuesten technischen Stand hat.
Was nun alles möglich ist, zeigt das FFT zum Jubiläum im September. Neben She She Pop gibt es Installationen und Aktionen draußen im Bahnhofsviertel und eine RitualPerformance, die jüdische Traditionen aufnimmt. In zeitlicher Nähe zum jüdischen
Sasha Waltz & Guests mit Rimini Protokoll Ein dokumentarischer Tanzabend mit Publikum von Stefan Kaegi
Mit Beharrlichkeit und großem Engagement ist ein Ort entstanden, der international vernetzt und zugleich direkt in der Stadt verankert ist
Neujahrsfest gestaltet Ariel Efraim Ashbel zusammen mit befreundeten Künstler:innen ein Fest mit Livemusik, Performances und Gesprächen. Und Regisseur Volker Lösch geht mit der Millionenerbin Marlene Engelhorn und der Schauspielerin Marlene Reiter auf die Bühne, um unter dem doppeldeutigen Titel „Geld ist Klasse“ über Gerechtigkeit nachzudenken.
Über die ganze Saison verteilt wird in Kooperation mit dem Theatermuseum Düsseldorf und Studierenden der HeinrichHeine-Universität die 25-jährige Geschichte des FFT erforscht. Zwar ist das Forum Freies Theater allein nicht so groß wie Kampnagel oder der Mousonturm. Aber zusammen mit dem eng kooperierenden tanzhaus nrw haben sich die beiden Düsseldorfer Einrichtungen eine vergleichbare Bedeutung erarbeitet. Es gibt also viele Gründe zum Feiern – jedoch eben auch Anlass zur Sorge, was die Zukunft betrifft. T
Radialsystem, Berlin 1. Sep 2024
tanz Köln im Depot 23. 24. Nov 2024
Kampnagel, Hamburg 28. 29. 30. Nov 1. Dez 2024
Tiroler Volksschauspiele Telfs:
„Der zerbrochne Krug“ von Heinrich von Kleist – Regie Anna Bergmann, Bühne, Lichtdesign Volker Hintermeier, Kostüme Lane Schäfer
Adams Auftritt und Abgang sind spektakulär. Am Ende, wenn der Dorfrichter in dem Fall, über den er eigentlich urteilen soll, selbst als Täter entlarvt ist, türmt er knatternd auf einem Moped in die Tiroler Nacht davon. Das Fahrzeug, in dem er anfangs erscheint, ist noch ein paar PS stärker: Adam sitzt am Steuer eines riesigen Lkw, mit dem er durchaus schwungvoll auf dem Platz vor dem Telfser Rathaus vorfährt, ehe er in dem schmalen Streifen zwischen Freilicht-Zuschauerreihen und angrenzenden Geschäftsgebäuden zum Halten kommt. Die Tür der Fahrzeugkabine geht auf, und Darsteller Tobias Moretti purzelt mehr heraus, als dass er aussteigt. Eine derangierte Erscheinung in Unterhemd und -hosen. Mit Gummiglatze, in deren Stirn eine beachtliche Platzwunde klafft. Die Gerichtsverhandlung zum titelgebenden Krug findet in einer holzvertäfelten Amtsstube mit Kruzifix und altmodischem Wählscheibentelefon an der Wand statt, die Moretti praktischerweise mit dem Lastwagen angeliefert hat. Auf dessen Ladefläche steht ein Container mit rostbraun gewellten Außenwänden, wie man sie sonst von Güterzügen kennt. Per Fernbedienung wird eine Wand aufgeklappt und der Blick frei auf dessen Inneres. Geschickt erfüllen Regisseurin Anna Bergmann und ihr Bühnenbildner Volker Hintermeier
die Show- und Schauwerterwartungen, die bei Open-Air-Theater ja immer mehr oder weniger ausgeprägt im freien Raum stehen. Der Lkw ist imposant und entlockt dem Publikum zuverlässig ein paar „Ahs!“ und „Ohs!“. Das Interieur des Containers bietet gleichwohl die intime Raumatmosphäre, die Kleists (nicht per se freilichttheatertaugliches) Krimi-Kammerspiel braucht. Tobias Moretti ist ein formidabler Adam, dem man allzeit gerne zuschaut. Schmierig, durchtrieben und doch insofern immer wieder um Ausreden verlegen, als dass ihm diese meist nur stockend über die Lippen gehen und ihn zumeist in neue Verlegenheiten stürzen. Ein windiger Typ, dessen Schlawinertum gar nicht mal rundheraus unsympathisch wirkt. Dementsprechend funktioniert Anna Bergmanns dichte, durchhängerfreie Inszenierung trotz Gegenwartsanspielungen auch eher als das Lustspiel, als das Kleist sein Stück klassifiziert hat, denn als beißende Satire auf unsere Ära des Postfaktischen. //
Christoph Leibold
„Ich
Harztheater Halberstadt:
„Ich bin dann Er“ von Marcus Everding – Regie Rosmarie Vogtenhuber-Freitag, Ausstattung TOTO, Mentorin der Produktion und Autorin von „In Männerkleidern“ Angela Steidele
Hosenrollen waren im 18. Jahrhundert der letzte Schrei. Während auf der Bühne Sopranistinnen die Arien von Feldherren sangen, verfolgte die Inquisition den Übertritt von Gendergrenzen im Alltag als Unzucht und Sodomie. 1721 fand Catharina Margaretha Linck als letzte Person ihr Ende bei einer Hinrichtung für „Unzucht mit einem Weybe“. In Halberstadt, dem Ort ihres Todes, erinnert ein Sommertheaterstück an die queere Ikone, die als Mann verkleidet ihr Leben selbst in die Hand nahm. Mit viel Energie erzählt Schauspielerin Ronja Donath die wechselhafte Biografie, in der sich Catharina die Identität von Anastasius Lagrantinus Rosenstengel ausdachte, um als Wanderprediger, Soldat und Lehrling das Korsett eines Lebens als Frau zu sprengen. Sogar eine Ehe schließt Anastasius mit Katharina Mühlhahn in Halberstadt. Diese wird ihm jedoch zum Verhängnis, als seine Schwiegermutter seinen selbstgebauten Dildo und ein Horn zum Pinkeln entdeckt und ihn verrät.
Die Inszenierung von Rosmarie Vogtenhuber-Freitag legt sich weder auf eine lesbische noch eine transidente Lesart der Geschichte von Catharina/Anastasius fest und spricht sich für Toleranz in der Gegenwart aus. Zwar droht queeren Menschen in Deutschland keine Hinrichtung mehr, aber die Hasskriminalität gegen Queers nimmt verbunden mit dem Erstarken der Rechten von Jahr zu Jahr zu. Dicht gedrängt sitzt das Publikum in den Holbänken der Martinikirche, deren gotischer Innenraum die Kulisse der frühneuzeitlichen Biografie bildet, und lauscht der unglaublichen Geschichte. Wie eine Entertainerin richtet sich Catharina/ Anastasius an die Zuschauer:innen, während sie ihre Etappen aus der Rückschau kommentiert. Zeitgleich spielen die Darsteller:innen in historischen Kostümen Szenen vom Aufwachsen im Waisenhaus, von dem Eintritt in eine pietistische Sekte und der Ehe mit einer Frau. Ronja Donath vermittelt als Narratorin zwischen Gegenwart und Vergangenheit, während ihr Double Alice Macura als historische Protagonistin agiert.
So abwechslungsreich die Geschichte um Catharina/Anastasius ist, wirkt doch die historistische Garderobe und die altertümliche Sprache des Stückes von Marcus Everding kostümhaft, gerade weil sie authentisch erscheinen will. // Lara Wenzel
Le Grand Macabre: von György Ligeti
Musikalische Leitung:
GMD Leo McFall
Inszenierung: Pınar Karabulut
Premiere am Eröffnungswochenende: Sa 28 09 2024
Salon Strozzi:
Ein Sit-In mit Barockmusik von Barbara Strozzi
Musikalische Leitung: Christian Rohrbach
Inszenierung: Maëlle Dequiedt Premiere am Eröffnungswochenende: So 29 09 2024
Fantasio: von Jacques Offenbach
Musikalische Leitung: Chin-Chao Lin
Inszenierung: Anna Weber
Premiere: So 10 11 2024
Der fliegende Holländer: von Richard Wagner
Musikalische Leitung: GMD Leo McFall
Inszenierung: Martin G. Berger
Premiere: So 19 01 2025
Uraufführung: Fassaden:
Musik-Theater-Walk in mehreren Stationen
Komposition: Dariya Maminova
Inszenierung: Elli Neubert
Premiere: 28 02 2025
Tosca: von Giacomo Puccini
Musikalische Leitung: Chin-Chao Lin
Inszenierung: José Cortés
Premiere: Sa 15 03 2025
Der Barbier von Sevilla: von Gioachino Rossini
Musikalische Leitung: Tamara Lorenzo Gabeiras
Inszenierung: Nikolaus Habjan
Premiere: So 30 03 2025
Produktion des Theater Basel
Die Perlenfischer: von Georges Bizet
Musikalische Leitung: Chin-Chao Lin
Inszenierung, Bühne und Lichtdesign: FC Bergman
Eröffnungspremiere der Internationalen
Maifestspiele: Do 01 05 2025
Produktion von Opera Ballet Vlaanderen, Opéra National de Lille und Les Théâtres de la Ville de Luxembourg
Uraufführung: Judith: Interdisziplinäres Musiktheater
Inszenierung: Giulia Giammona Premiere: Mi 28 05 2025
Die Schöpfung: von Joseph Haydn Musikalische Leitung: GMD Leo McFall Inszenierung:
Franziska Angerer Premiere: Do 19 06 2025
Uraufführung:
Feldversuchung: Transdisziplinäre Stückentwicklung Inszenierung: Konrad Amrhein Premiere: Fr 27 06 2025
Spiel der Illusionen: von Pierre Corneille
Inszenierung: Christina Rast Premiere am Eröffnungswochenende: Sa 28 09 2024
Uraufführung: Double Serpent: von Sam Max Inszenierung: Ersan Mondtag Premiere am Eröffnungswochenende: So 29 09 2024
Alte Meister: nach dem Roman von Thomas Bernhard Inszenierung: Amalia Starikow Premiere am Eröffnungswochenende: So 29 09 2024
Woyzeck: von Georg Büchner Inszenierung: Stefan Pucher Premiere: Sa 12 10 2024
Uraufführung: Unser Erbe: Tax me if you can: von Helge Schmidt & Team Inszenierung: Helge Schmidt Premiere: Sa 16 11 2024
Uraufführung: Herzfaden: nach dem Roman von Thomas Hettche Inszenierung: Moritz Sostmann Premiere: Fr 06 12 2024
Uraufführung: Work in Progress (AT): Stückentwicklung Inszenierung: Marthe Meinhold & Marius Schötz Premiere: Sa 07 12 2024
Uraufführung: ER PUTZT: Eine ASMR-Performance von Valeria Gordeev Inszenierung: Marie Schleef Premiere: Sa 18 01 2025
Die Freiheit einer Frau: nach dem Buch von Édouard Louis Inszenierung: Falk Richter Premiere: Winter 2024 25 Übernahme Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Uraufführung: an grenzen: von Özlem Özgül Dündar Inszenierung: Ayşe Güvendiren Premiere: Fr 14 03 2025
Uraufführung: FC Prinz Homburg: Träume und Handgemenge (AT): sehr frei nach Heinrich von Kleist Inszenierung: Amir Reza Koohestani Premiere: Do 17 04 2025
Uraufführung: FUTUR4 –Dauerthema Leben: von Rimini Protokoll (Helgard Haug & Daniel Wetzel) Premiere: Sa 03 05 2025
Wie es euch gefällt: von William Shakespeare Inszenierung: Nurkan Erpulat
Premiere: Sa 21 06 2025
Habitat / Wiesbaden: Konzept und Choreografie: Doris Uhlich
Premiere am Eröffnungswochenende: Fr 27 09 2024
Broken Bob (AT): von Xie Xin und Imre & Marne van Opstal
Premiere: Fr 29 11 2024
Chronicles: von Liliana Barros, Dunja Jocić, David Raymond & Tiffany Tregarthen, Anouk van Dijk u.a. Premiere: So 16 02 2025
FolkDanceParty 2.0 (AT): Partizipationsprojekt von Hannah Shakti Bühler & Simon Mayer
Premiere: Im Rahmen der Internationalen Maifestspiele 2025
Spartenübergreifendes Projekt
King Arthur: von Henry Purcell Inszenierung & Choreografie: Chris Jäger
Premiere: Sa 07 06 2025
Tickets: 0611. 132 325 staatstheater-wiesbaden.de
von Nicolas Stemann bei den Salzburger Festpielen
Salzburger Festspiele:
„Orestie I–IV“ nach Aischylos, Sophokles, Euripides – Regie Nicolas Stemann, Bühne Katrin Nottrodt, Kostüme Sophie Reble, Mediale Inszenierung IXA (Claudia Lehmann, Konrad Hempel), Musik Nicolas Stemann, Laurenz Wannenmacher
Sie tragen wallende Gewänder oder Kampfanzüge, schwingen martialische Äxte oder halten Politreden auf fahrbaren Podesten. Die altgriechischen Helden und Götter agieren in Nicolas Stemanns „Orestie I–IV im zeitlichen Irgendwann – ob im antiken Athen oder, sagen wir, im heutigen USKapitol, das darf und soll hier mutwillig ineinander verschwimmen. Regisseur Stemann hat vier klassische Tragödien über Aufstieg und Verfall der Demokratie – „Agamemnon“ (Aischylos), „Elektra“ (Sophokles), „Eumeniden“ (Aischylos) und „Orestes“ (Euripides) –zu einer eigenen vierstündigen Textfassung umgeschrieben und zusammenmontiert. Pathos, Poesie und hoher Ton sind weitgehend raus, die Akteur:innen sprechen eine einfache, heutige, durchaus diskursfähige Sprache, meist cool und mit wenig behauptetem Exzessivgebrüll. Aktualität muss hier nicht eigens aufgezeigt werden, denn fast alles dreht sich um eine einzige Frage, die Stemann, der auch als Conferencier agiert, gleich zu Anfang stellt: „Wie schaffen wir es, dass wir Menschen uns nicht andauernd umbringen, obwohl wir das gerne tun?“
Genau diese Formulierung – irgendwo zwischen Tragik und Ironie – gibt den Tonfall
des Abends vor. Es geht um den Kreislauf von Rache und Vergeltung, es geht um die Gefährdung demokratischer Formen, freilich in leichter, lockerer Sprache. Stemanns Tetralogie ist ein quasi kollektives, live performtes Querlesen und Durchblättern der antiken Tragödien mit unausgesprochenem Blick auf heute. Aber mehr noch: Der Vier-StundenCrashkurs gibt sich auch als Erklär-Orestie zu erkennen, die sich selbst debattiert und Deutungskorridore gleich mitliefert. Stemann will, durchaus nicht als Nebenprodukt, die lange kanonisierte Auslegung der Orestie – als Übergang vom Gewaltchaos zur Demokratie, von matriarchalischen zu patriarchalischen Strukturen, von Rache-Erinnyen zu wohlgesinnten Eumeniden – deutlich relativieren, will scheinbar klare Gewissheiten auflösen, ins Fließen bringen. Der Clou dieser Konzeption: Auf Aischylos’ eher positives Resümee der Dinge in den „Eumeniden“ (458 v. Chr.) lässt Stemann als Finale das 50 Jahre später entstandene Euripides-Drama „Orestes“ folgen: Das wiederum schildert bereits desillusioniert die Verfallstendenzen der attischen Demokratie und bildet somit eine alternative Schlussvariante. // Otto-Paul Burkhardt
„Der Diplomat“ von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel, Regie von Roger Vontobel zur Eröffnung der Nibelungenfestspiele in Worms
Nibelungenfestspiele Worms:
„Der Diplomat“ von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel –Regie von Roger Vontobel, Bühne Palle Steen Christensen, Kostüm Tina Kloempken, Video Jonas Dahl, Clemens Walter
Intendant Nico Hofmann ist nach dem feministischen Aufschlag im letzten Jahr wieder zurückgerudert und hat ein bewährtes männliches Team engagiert: Regisseur Roger Vontobel, der die Inszenierung bereits 2018 und 2022 übernahm, inszenierte „Der Diplomat“ vom eingespielten Autorenduo Feridun Zaimoglu und Günter Senkel. Die Frage ist eine aktuelle: Können Worte Kriege beenden?
Das Stück setzt nach der Ermordung Siegfrieds ein, als am Hof der Burgunder alles bestimmt ist von Trauer und einer gewissen Ratlosigkeit. Zentral aufgebahrt vor dem Wormser Dom liegt der einstige Held und Drachentöter, der ein Machtvakuum hinterlässt: Siegfried als lebensecht gestaltete Puppe (eine Meisterleistung der Maskenabteilung!). Der Tote hört nicht auf zu bluten, ununterbrochen fließt es rot aus seiner Wunde das Betonpodest herunter über die Bühne in den Matsch, der alles umgibt. Die Burgunderburg ist nur scheinbar eine sichere Festung, abgerungen einer blutigen Vergangenheit, umgeben vom Sumpf der Geschichte, in dem die Figuren immer wieder ausrutschen und sich besudeln.
Kriemhild schleicht als abgerissene Witwe durch den Raum und legt sich in den Nächten zu ihrem toten Gemahl; Brunhild hat sich in ihre Zwangsehe mit Gunther gefügt und sucht Trost im königlichen Weinkeller; Gunther, Giselher und Hagen von Tronje sind mit Schlauch und Abzieher im SisyphosDauereinsatz gegen all das Blut. Und Gernot ist ob des Grauens um ihn herum verrückt (oder einfach sensibel?) geworden und wurde weggesperrt, weil Wahnsinn genau wie Wahrheit nervt. Eine Art männliche Kassandra ist er, ein Seher, der mahnt, wo alle verdrängen.
Obwohl Vontobel ein starkes Ensemble versammelt hat, gelingt es ihm nicht, die Handlung in ein organisches Ganzes zu überführen. Damit die Sache überhaupt in Gang kommt, schicken Zaimoglu und Senkel zwei verfeindete Gruppen ins Feld beziehungsweise in die Nibelungenburg: die Berner und die Römer.
Wer hier wen warum meuchelt, ist logisch nur bedingt nachvollziehbar. Natürlich ist es das in der Realität auch nicht immer. Aber so richtig packend will dieses Kriegsspiel nicht werden. // Anne Fritsch
Die Langfassungen und weitere Theaterkritiken finden Sie unter tdz.de/kritiken
VON DEA LOHER | REGIE JETTE STECKEL
PREMIERE
19. OKTOBER 2024 | PFAUEN KÖNIG LEAR
VON WILLIAM SHAKESPEARE ÜBERSETZT UND NEU BEARBEITET
VON THOMAS MELLE REGIE ANNE LENK
AB OKTOBER 2024 | AUFFÜHRUNGEN AN SCHULEN IN ZÜRICH
KLASSENZIMMERSTÜCK AB 13 JAHREN EIN PROJEKT ÜBER CYBERMOBBING VON STICK AROUND
NACH DEM ROMAN VON KURT HELD REGIE SELEN KARA URAUFFÜHRUNG
DEZEMBER 2024 | PFAUEN
PREMIERE | 9. NOVEMBER 2024 | PFAUEN DIE ROTE
KINDERSTÜCK AB 7 JAHREN
VON JOHN VON DÜFFEL
EIN STÜCK VON MARTIN ZIMMERMANN KOPRODUKTION REGIE & CHOREOGRAFIE MARTIN ZIMMERMANN URAUFFÜHRUNG
NOVEMBER 2024 |
URAUFFÜHRUNG
11. JANUAR 2025 | SCHIFFBAU-MATCHBOX STAUBFRAU
VON MARIA MILISAVLJEVIĆ REGIE ANNA STIEPANI
VON MARIA URSPRUNG REGIE HELGE SCHMIDT
9. APRIL 2025 | PFAUEN
FAMILIENSTÜCK
VON MOVED BY THE MOTION REGIE WU TSANG
VON JEAN-PAUL SARTRE REGIE JAN BOSSE
JANUAR 2025 | SCHIFFBAU-BOX
VON CAREN JE REGIE EBRU TARTICI BORCHERS
PREMIERE
25. JANUAR 2025 | PFAUEN DIE KLEINE
A FLUID FAIRY FANTASY
NACH HANS CHRISTIAN ANDERSEN REGIE BASTIAN KRAFT
URAUFFÜHRUNG 8. MÄRZ 2025 | SCHIFFBAU-BOX EIN NEUES STÜCK
VON SUNA GÜRLER UND ENSEMBLE EMPFOHLEN AB 14 JAHREN REGIE SUNA GÜRLER
URAUFFÜHRUNG | MAI 2025 | PFAUEN FLUCHT AUS DER ZEIT. DADA BOHÈME
7 SIMULTANGEDICHTE AUS AKTUELLEM ANLASS PROJEKT UND REGIE THOM LUZ
14. MÄRZ 2025 | PFAUEN DIE VÖGEL
VON ARISTOPHANES BIS ALFRED HITCHCOCK IN KOOPERATION MIT THEATER HORA REGIE LILJA RUPPRECHT
An das Theater, eine sommerliche Liebeserklärung unter aktuellen Umständen
Von Marie Schleef
Wenn ich mir den Moment vor Augen rufe, wann und wie ich mich in das Theater verliebt habe, dann ist dieser ganz konkret und wurde bereits unmittelbar nach dem Geschehen ungewöhnlich klar reflektiert. Vielleicht geht es hier aber gar nicht um Liebe, sondern um eine Art, „in den Bann gezogen werden“, wenn auch das vielleicht das Gleiche ist. Jedenfalls war es an meiner internationalen Schule in Eswatini (ehemals Swasiland) in der, zwischen Südafrika und Mosambik gelegen, ich die letzten beiden Schuljahre verbrachte und Theater als Fach im I. B., dem Internationalen Abitur, hatte. In der ersten Stunde leitete die exzentrische und leidenschaftliche südafrikanische Theaterlehrerin in einem für mich ungewohnten, charmanten Englisch eine sehr seltsame Improvisation an. Aber sie schaffte es, mich in ihren Bann zu ziehen, und als ich das Schultheater verließ, dachte ich: „Das war’s. Es gibt kein Zurück mehr.“ Und hier ging es nicht um die Wahl meines zukünftigen Schulfachs, sondern um etwas viel Größeres. Und dieses Etwas war auf einmal magisch greifbar. Ich wusste von Anfang an, dass es kein leichter Weg sein würde, dass es Höhen und Tiefen geben würde, aber von da an war mir klar, was ich beruflich machen wollte. Von klein auf werden wir ständig gefragt, was wir, „wenn wir groß sind“, machen wollen, als ob alle Kinder die gleichen Möglichkeiten hätten. Der Druck ist gesellschaftlich vorprogrammiert. In einer der vielen Schullektüren aus jener Zeit bin ich dann auf ein Zitat gestoßen, dessen Urheber mir leider entfallen ist, aber das in etwa so lautete: „Theater is so wonderful, because it touches upon so many worlds.“ (Theater ist so wunderbar, weil es so viele Welten berührt.) Ein Satz, ein Mantra, das mich bis heute begleitet. Die Faszination, mit jeder Arbeit, mit jedem Stoff in eine neue Welt einzutauchen und sie auf der Bühne zum Leben zu erwecken. Das ist einer der Gründe, warum ich das Theater so liebe: Es ist abwechslungsreich, macht neugierig, hält wach, inspiriert – lässt mich in die Vergangenheit und in die Zukunft blicken, holt mich aber auch im Moment ab. Dieses Privileg im Beruf erleben zu dürfen und es als Aufgabe zu sehen, Wissen, Erfahrungen zu sammeln und zu teilen, in jede Richtung zu schauen, ist etwas, was ich besonders schätze.
Meine Theaterreise begann in Graz, wo ich den größten Teil meiner Jugend verbrachte und – mit buschigem orangen Schwanz und bunt geschminktem Gesicht – das Eich-
hörnchen in der „Zauberflöte“ spielte, über meine bereits erwähnte Schulzeit im südlichen Afrika, weiter nach New York, wo ich unter unglaublichen Bedingungen meinen B. A. in „Theater and Performance“ absolvierte – bis hin zur Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Eine Zeit, auf die ich mit vielen gemischten Gefühlen zurückblicke, geprägt von pädagogisch fragwürdig geduldetem Ellenbogenwettkampf, inmitten inspirierender Unterrichtsstunden und vieler toller Begegnungen.
Nachdem ich die Theaterausbildung sowie die Theaterszenen einiger Länder auf unterschiedlichen Kontinenten kennenlernen durfte, habe ich mich – wieder angekommen – im hochsubventionierten deutschsprachigen System sehr wohlgefühlt. Ich würde sogar sagen wie zu Hause. Ein Gefühl, was mir in meiner Biografie oftmals gefehlt hat. Einerseits als Zuschauerin, die Zugang zu bezahlbaren Karten hat, und andererseits vor allem als Theatermacherin, die diesen unglaublichen Apparat für sich beanspruchen und für die Umsetzung ihrer Kunst nutzen darf. Und hier spreche ich ganz bewusst sowohl von der Freien Szene als auch vom Stadttheater. Ich für meinen Teil wünsche den zukünftigen Theatermacher:innen da draußen einen AhaTheatereinstiegsmoment – ja sogar den Moment, der sie vielleicht eines Tages selbst zu einer Liebeserklärung bewegt.
Doch wie zerbrechlich das alles ist, zeigt sich gerade jetzt. Vor allem was für eine Bedrohung die aktuelle neoliberale und aufkommende rechte Politik für unsere Kulturszene bedeuten kann. Konkret angefangen bei den aktuell angedachten drastischen Kürzungen für die Freie Szene im aktuellen Haushaltsentwurf. Ob man sich dort oder am Stadttheater wohlfühlt, glücklich können sich am Ende diejenigen schätzen, die genau wissen, welche Produktionsform für sie und ihr jeweiliges Projekt bzw. ihre Company am besten geeignet ist, und die das Privileg haben, dort zu arbeiten. In Zeiten wie diesen müssen wir alle zusammenhalten, kämpfen und laut werden, um das Theater und seine Förderstruktur am Leben zu erhalten – denn wie Pina Bausch sagte: „Tanzt, tanzt – sonst sind wir verloren.“ T
Hier schreiben unsere Kolumnist:innen, die Regisseurin Marie Schleef, die Übersetzerin und Dramaturgin Iwona Nowacka und der Regisseur und Hörspielmacher Noam Brusilovsky, monatlich im Wechsel.
Ballhaus Naunynstraße, Berlin IT-Expert*innen sind gesucht, sie sollen in Berlin Zukunft gestalten. Der Komponist und Regisseur Ariel William Orah gibt ihnen in seiner dokumentarisch-musikalischen Inszenierung eine analoge Bühne – und damit Einblicke in eine höchst komplexe Arbeitsund Lebensrealität. 6. bis 10.11.
maiskind lädt bei „Dance Gathering“ zum Mittanzen ein
Transeuropa Festival, Hildesheim Junge Performance-Künstler*innen aus Europa sind fünf Tage zu Gast in Hildesheim. Mit dem Motto „Making Space“ lädt das Festival zur Teilhabe und Mitgestaltung ein. Infos & Tickets: transeuropa-festival.de 11.9. bis 15.9.
FRAGILE 2024 @ Pina Bausch Zentrum, Wuppertal
Das internationale Festival für Nachhaltigkeit, Tanz und Performance in Wuppertal eröffnet mit Kate McIntoshs LAKE LIFE. Das Festival ist Austausch, Ermutigung, ein Schritt vorwärts für junge Menschen und für Menschen aller Generationen. Es wird in Kooperation mit dem Wuppertal Institut realisiert. 24.9. bis 6.10.
Die partizipative Performance LAKE LIFE von Kate McIntosh für alle Altersgruppen ab 10 Jahren
Kampnagel, Hamburg
Das großformatige Buch „40 Jahre Widerspruch“ beschreibt, bewertet und befragt die Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Kampnagel – Deutschlands größte freie Spielund Produktionsstätte mit multifunktionalem Bühnenkomplex. 25.9. (Buchpremiere)
„Ein Volksbürger“ im Haus der Bundespressekonferenz, Berlin Mit Fabian Hinrichs spielen NICO AND THE NAVIGATORS ein politisches Szenario durch, das die Grenzen der Demokratie sprengt. Weitere Infos: navigators.de 27. bis 29.9.
Sophiensæle Berlin
Datscha von Isabelle Redfern/MamaNoSing behandelt als Überschreibung von Gorkis Sommergäste in scharfzüngigen und temporeichen Dialogen gesellschaftlichen Aufstieg, Klassismus und verworfene Ideale. 25. bis 28.9. / 12. bis 13.10.
„Obwohl ich völlig anderer Meinung bin als Sie, würde ich mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.“ Es ist das wohl bekannteste Zitat Voltaires, obwohl es für alle immer wieder neu geltende Aktualität in seinem Namen genial erfunden wurde. Tatsächlich schrieb der französische Philosoph zum Grundsatz der Meinungs- und Kunstfreiheit: „Das Recht zu sagen und zu drucken, was wir denken, ist eines jeden freien Menschen Recht, welches man ihm nicht nehmen könnte, ohne die widerwärtigste Tyrannei auszuüben“.
Der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa und Kampnagel-Geschäftsführer Jonas Zipf diskutieren – mit dem berühmten Voltaire-Zitat im Rücken – die Bedingungen der Wissenschafts- und Kunstfreiheit für eine Streitkultur ohne politische Absolutverurteilungen. Der Rudolstädter Intendant und Schriftsteller Steffen Mensching erläutert die Vision seines Schiller-Theaters als moralische Anstalt. Und Graciela Peralta untersucht das Thema in der dafür wenig beachteten Theaterpädagogik.
Der Soziologe Hartmut Rosa und Kampnagel-Geschäftsführer Jonas Zipf im Gespräch über die Gefährdung der Freiheit von Kunst und Wissenschaft
Jonas Zipf Heute Morgen wurden die Redaktionsräume der Zeitschrift Compact und ihres Herausgebers Jürgen Elsässer durchsucht. Es ist absehbar, was die AfD und andere Gruppierungen daraus machen werden. Wie sie das staatliche Handeln im Trump-Sprech zur Witch-Hunt erklären. Tatsächlich gab es, unabhängig von derartigen kommunikativen Manövern, in den letzten Monaten einige Versuche des Eingriffs in grundgesetzliche Freiheitsrechte. Nicht zuletzt resultierend aus identitätspolitischen Zuspitzungen nach der Hamas-Attacke auf Israel am 7. Oktober versuchen landauf und landab, Kulturpolitiker:innen Antidiskriminierungsklauseln zu verankern. Der Berliner Kultursenator Joe Chiallo geht so weit, dass gastierende Künstler:innen über den Verfassungsschutz hinsichtlich ihrer politischen Äußerungen geprüft werden. Und der Wissenschaftsbereich diskutiert über Prüfungen des Entzugs von Fördermitteln durch das Forschungsministerium. Immer wieder geht es um Querverbindungen von BDS-Sympathien über propalästinesischen Aktivismus bis hin zu Antisemitismus.
Hartmut Rosa Ich habe den Eindruck, dass wir uns da auf einem ganz schiefen Weg befinden. Bislang stand nicht zur Debatte, dass Theater und Universitäten Orte der Auseinandersetzung sind, an denen Positionen erst mal angstfrei formuliert werden und sich dann darüber auseinandergesetzt wird. Doch auf einmal werden Künstler:innen und Wissenschaftler:innen auf ihre Gesinnung überprüft. Z. B. sollte Nancy Fraser den Albertus-Magnus-Preis der Universität Köln erhalten – ich kenne sie gut als Fellow unseres Post-Wachstumskollegs in Jena, auch des Max-Weber-Kollegs und von unserer gemeinsamen Arbeit in New York. Aber dann wurde sie wieder ausgeladen, weil sie einen Brief unterschrieben hatte, der Kritik am israelischen Vorgehen im Gaza-Streifen übte. Auch ich war zwar mit diesem Brief nicht einverstanden, finde aber dennoch, dass man so nicht miteinander umgehen kann: erst rauszusuchen, was jemand irgendwann einmal gesagt oder getan hat und sie dann als Antisemitin hinzustellen. Solche Fälle passieren uns jetzt oft. Wir stellen Ehrenpromotionen zurück, weil
Personen möglicherweise als Missliebige dastehen könnten. Dabei vertreten sie einfach differenzierte Positionen. Was mich sehr beunruhigt, sind die Muster. Es geht nicht nur um Gaza. Beispielsweise planen wir ein Forschungsprojekt rund um Nachhaltigkeit mit chinesischen Partner:innen in Shenzen. Doch jetzt raten selbst die Deutsche Forschungs Gemeinschaft (DFG) und der DAAD davon ab, mit chinesischen Partner:innen zu arbeiten. Wir liefern zwar Raketen und Kampflugzeuge an Saudi-Arabien, sollen aber nicht mehr in Nachhaltigkeitsfragen mit China kooperieren. Ehrlich gesagt gewinne ich zunehmend den Eindruck, dass die Folge unseres globalen Versuchs der Durchsetzung einer liberalen Antidiskriminierungspolitik dazu führt, dass wir von Leuten wie Meloni und Trump weggespült werden. Ich fürchte, dass wir es einfach damit übertrieben haben, unsere Meinung als a priori richtig zu betrachten.
JZ Womit wir beim Böckenförde-Diktum wären: Ein freiheitlicher Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst als Staat nicht garantieren kann. Es geht darum, dass die Bevölkerung von zwei Prinzipien überzeugt ist – der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie –, die in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Damit die Freiheiten von Meinungen, Wissenschaft und Kunst möglichst offen und durchlässig geschützt bleiben, brauchen wir dafür Grenzen entlang der Linie, die wir von Voltaire kennen: Auch wenn ich nicht derselben Meinung bin wie du, bin ich bereit, für die Freiheit deiner Meinung mein Leben zu geben. Allerdings nur solange du dieses beidseitige Grundverständnis auch verteidigst. Damit kommen wir unweigerlich an den Punkt, an dem sich das System einer Demokratie aus Selbstschutz irgendwie wehren können muss, sich damit allerdings – so wie heute Morgen gegenüber Herrn Elsässer –den Vorwurf zuzieht, nicht mehr liberal zu sein. Dabei sehen sich die Elsässers dieser Welt in ihrer Argumentation nur bestätigt. Denn die beruht gerade auf einem illiberalen Demokratieverständnis à la Orban: im Sinne der Vertretung einer vermeintlich mehrheitlichen Volksmeinung, die so weit geht, einen autoritären, nicht mehr libera-
Die liberale Demokratie lebt von der Überzeugung, dass sich das bessere Argument durchsetzt.
len und toleranten Staat zu wollen. Damit kippt die notwendig feine Balance zwischen Demokratie und Rechtsstaat in Richtung einer Überzeugung, die davon ausgeht, dass sich alles formal regeln lässt. Darin ähneln sich identitätspolitische Argumentationsstrukturen der rechten wie der linken Seite: Wir bekommen Probleme nicht mehr direkt miteinander ausgehandelt und schreien stattdessen nach übergeordneten Autoritätsinstanzen, die es für uns regeln sollen.
HR So kann und wird das nicht funktionieren. Die liberale Demokratie lebt von der Überzeugung, dass sich das bessere Argument durchsetzt, und nicht die stärkere militärische oder sonstige Gewalt. Abweichende Meinungen lassen sich sowieso nicht verbieten, nicht mal dort, wo illiberal vorgegangen wird. Im Kern muss auch eine wehrhafte Demokratie Überzeugungsarbeit leisten, auch gegenüber Leuten wie Elsässer oder der AfD. Stattdessen wird diskutiert, die AfD zu verbieten, die aber von 30 Prozent der Menschen gewählt wird. Ich bin überzeugt: Wenn es den liberalen Demokrat:innen nicht gelingt, nicht nur die besseren Argumente zu haben, sondern auch Visionen und Überzeugungen zu entwickeln, sie umzusetzen, dann wird diese Demokratie untergehen, da kann sie noch so wehrhaft sein. Wenn wir in eine Situation hinein laufen, in der die zentrale Frage nicht mehr lautet, welche Werte sich in einer offenen Auseinandersetzung durchsetzen, sondern welche Polizeimacht – wenn wir die Stimmen der anderen nicht mehr hören wollen, dann sind wir auch nicht anders als die autoritären Figuren wie Putin oder Orban und werden gegen sie immer den Kürzeren ziehen. Wir müssen uns darauf besinnen, dass wir die besseren Argumente, die besseren Strategien, die bessere Politik, die menschenfreundlicheren Lösungen haben. Leider sind die meisten liberalen
Demokrat:innen momentan aber eher dabei, Abwehrkämpfe zu führen: gegenüber den Russen, gegenüber der AfD, gegenüber Trump. An allen Fronten gegen die Bösen. Ich glaube wirklich: So werden wir verlieren.
JZ Dieses Phänomen der Abwehrkämpfe und Zukunftslosigkeit gilt ja sogar für die jüngeren Aktivist:innen. Ganz sinnbildlich: Aus Fridays for Future wurde Die letzte Generation – aus der noch progressiven Forderung nach Postwachstum und Nachhaltigkeit die regressive Feststellung, dass der Mensch der Welt ein Schädling ist. Wo ging der Glauben an die Möglichkeit einer demokratischen Aushandlung der Zukunft verloren? Lass uns noch mal zurückgehen und über die Voraussetzungen sprechen. Der zwanglose Zwang des besseren Arguments ist ja eine Figur von Habermas. Als dieser älter wurde, hat er erkannt, dass seine Theorie sich mit digitaler Kommunikation beißt. Die Voraussetzung für den zwanglosen Zwang des besseren Arguments ist doch, dass wir überhaupt miteinander reden. Dass Menschen überhaupt einander begegnen, bestenfalls in möglichst diverser Zusammensetzung, bestenfalls analog, real, physisch, etwa an Orten wie Universitäten oder Kultureinrichtungen.
HR Dafür müssen dort auch voneinander abweichende, als Alternativen gegenüberstehende Positionen vorkommen, statt sie einfach von vornherein auszuladen und mit Auftrittsverbot zu belegen – friedliche Protestcamps zu räumen, weil die Meinungen, die dort von Einzelnen vertreten werden, nicht die unseren sind. Dann werden die Orte, von denen du sprichst, stillgelegt. Genau das passiert im Moment schon ansatzweise.
JZ Gleichzeitig müssen wir aber über die Voraussetzungen sprechen, die es auch Minderheiten ermöglichen, Bühnen zu finden. Ohne deren Empowerment sind die Räume, an denen die für den demokratischen Prozess notwendigen Begegnungen und Aushandlungen stattfinden, eben keine potenziellen Orte für alle. In diese Richtung zielen wesentliche identitätspoli-
tische Argumentationen: Als Mehrheitsgesellschaft finden wir kein Gehör, wenn wir nicht genug dafür tun, dass Minderheiten laut sein können. Das kennt die politische Theorie seit Tocqueville, spätestens seit Moscovici: ohne Emanzipation keine Gleichberechtigung. Sonst gerät die Demokratie zur Diktatur der Mehrheit. Das ist paradox: Nur mithilfe von Safe Spaces für Minderheiten entstehen Räume, die wirklich offen sind für alle.
Solche Safe Spaces und die dafür notwendige Credibility in diversen Communitys hat meine Partnerin Amelie Deulfhard als Intendantin auf Kampnagel mit ihrem künstlerischen Team in einer kontinuier-
Die letzte Generation, aus der noch progressiven Forderung nach Postwachstum die Sicht vom Mensch als Schädling.
lichen Arbeit über 15 Jahre aufgebaut. Wenn die uns jetzt zuhörten, würden sie bei unserer Zusammensetzung beginnen: Hier sprechen zwei weiße Männer in einer von weißen Männern dominierten Fachzeitschrift über die Belange von diversen Minderheiten. Und das überzeugt auch mich: Kampnagel ist dafür da, dass Communitys queerer, migrantischer oder behinderter Menschen Gehör finden. Für deren Empowerment müssen wir an bestimmten Stellen erst mal gewisse Türen zumachen – rund um Veranstaltungen, die sonst nicht safe wären. Weil diese Minderheiten ohne diesen Schutz überhaupt keinen Auftritt hätten und nie Teil des demokratischen Konzerts werden.
HR Wenn allerdings schon die Präsenz bestimmter Personen per se ein Sicherheitsproblem darstellt, dann sind wir am Ende jeglichen diskursiven Austauschs. Wir haben das an der Uni Jena mit zwei Anhängergruppen erlebt, die sich auf dem Cam-
pus gegenseitig überschrien. Beide Seiten hatten das moralische Anliegen, dass Menschen, Menschenleben geschützt werden. Ich bin mir nicht sicher, ob wir es als Identitätspolitik verstehen sollten, wenn es um Menschenleben geht. Die Schwierigkeit besteht darin, dass beide jeweils auf der anderen Seite genozidale Menschenfeinde verorten. Darin liegt meiner Ansicht nach der Kern des Problems: in diesen Apriori-Unterstellungen. Da geht es nicht mehr um faktische Wahrnehmungen, da sind überall Empathiegräben. Dass es den Angriff vom 7. Oktober und nachfolgend den Krieg in Gaza gibt, bestreitet keine Seite – doch es fehlt die Empathie für die jeweils anderen. Für eine israelische Familie bedeutet eine Hisbollah-Bombe ein tiefes Trauma. Wir fühlen mit und sagen, dass es nicht sein darf, dass Menschen jüdischen Ursprungs jetzt wieder um ihr Leben fürchten müssen, nur weil sie Juden sind. Das ist eine ganz starke körperliche Erfahrung. Eine Erfahrung, die allerdings auch auf der anderen Seite gemacht wird, wenn eine israelische Bombe in einer völkerrechtlich ausgewiesenen Schutzzone landet und dort zivile Opfer fordert. Auch dann denken wir doch: Schlimmer geht es gar nicht mehr. Beides gilt gleichzeitig und denoch scheint keine Verständigung möglich. Bei den einen schnappt es auf der einen Seite zu und bei den anderen auf der anderen Seite. Um über diesen Empathiegraben zu kommen und sich aufeinander einlassen zu können, müssen wir an diskursiven Methoden arbeiten. Was wir da brauchen, ist die Wiederherstellung von Resonanzfähigkeit.
JZ Für jede diskursive Methode ist doch aber die Frage nach Sicherheit nicht nur Folge der von dir beschriebenen Aufgeheiztheit und mangelnden Empathie, sondern deren Grundvoraussetzung. Als Veranstalter denken wir dabei nicht nur an die Akteur:innen auf unserer Bühne, sondern vor allem an unser Publikum. Zunehmend fehlt schon im Vorfeld – du hast von a priori gesprochen – die Bereitschaft, sich in ein und denselben Raum zu begeben und so überhaupt in einen Kontext einzutreten, in dem unterschiedliche Positionen miteinander konfrontiert
werden. Es gibt Akteur:innen, die davon ausgehen müssen, dass auf der anderen Seite jemand schon qua seiner Identität ein Problem für die eigene Sicherheit – oder zumindest die Sicherheit für eine uneingeschränkte Hörbarkeit der eigenen Stimme – darstellt. Daher spreche ich von Identitätspolitik: In ihrem Sinne müssen wir einfach ernst nehmen, dass migrantische, queere oder behinderte Menschen tief sitzende, strukturelle Bedrohungs- und Diskriminierungserfahrungen gemacht haben. Und zwar aufgrund ihrer Identität. Auf körperliche und seelische Weise. Das ist Teil der Biografie von Menschen mit Diskriminierungserfahrung, auch von Frauen. Und liegt – genau, wie du sagst – im Vorfeld. Ohne überhaupt noch Empathie zu ermöglichen, sich aufeinander einzulassen, wechselseitig auf die Perspektive des anderen, ist die Situation schon vergiftet. Denn ihre Erfahrung ist es, dass sie aktiv, konkret, militant und aggressiv gestört werden. Wenn wir es jedoch nicht schaf-
fen, diese Räume später wieder zu öffnen und mit anderen zu verbinden, entsteht hier ein Dilemma. Denn ich gebe dir recht und es bleibt dabei, dass gerade die Begegnung der unterschiedlichen Gruppen die Voraussetzung für das Ausprobieren von anderen Wegen ist.
HR Worin genau besteht das Problem? Ihr macht es doch. Vielleicht machen es zu wenige, nicht ausreichend. Aber meine Wahrnehmung ist, dass es möglich ist, Räume zu schaffen, in denen Minderheiten, wie du sie gerade aufgezählt hast, Stimmen und Plätze bekommen, an denen sie nicht ausgeschlossen und ausgegrenzt werden. Es gibt natürlich Mechanismen, derer wir uns oft nicht bewusst sind, die zu Ausschließungen und Verdrängungen führen. Deswegen ist es so wichtig, ständig und weiterhin daran zu arbeiten, das Bewusstsein zu schärfen, Sensibilität zu schaffen auch für die ganz subtilen Ausgrenzungsund Diskriminierungsmechanismen. Doch
wir müssen auch die gegenteilige Position sehen: Mit der AfD diskutieren wir an Universitäten und in Theatern in der Regel nicht, die AfD laden wir aus. Genau darüber hatten wir erst kürzlich eine riesige Diskussion bei uns am Institut: ob wir Vertreter:innen aller Parteien auf ein Panel zur anstehenden Landtagswahl einladen. Schließlich hat sich eine klare Mehrheit durchgesetzt, die der AfD keine Plattform geben wollte. Als AfD-Anhänger würde ich hier aus unserem Gespräch aussteigen: Es ist kein Problem, als queere Person oder BPoC jederzeit in einem universitären Rahmen oder auf Kampnagel eine Stimme zu erheben, aber als AfD-Anhänger:in finde ich bei euch kein Gehör. Ist das etwa keine Tyrannei der Mehrheit? Um es ganz klar zu sagen: Ich hasse die AfD und ich vertrete deren Positionen nicht. Aber das kann mich nicht daran hindern, auch auf dieser Seite Sensibilität zu entwickeln. Um es noch einmal zu sagen: Wenn wir das nicht tun, werden wir als links-liberale De-
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Empathie, Verständnis, offenes Fragen über Gräben hinweg – ob wir das an Unis und Theatern wieder hinkriegen?
HR Doch auch das können wir letztlich immer nur als Menschen tun, also unabhängig von unseren jeweiligen identitären Merkmalen – beziehungsweise: über diese hinaus.
mokrat:innen am Ende gegen die Melonis und Orbans verlieren. Genau darin liegt meine größte Sorge.
JZ So lässt sich auch eine Motivation für das Wählen der AfD verstehen: Sie verschafft Themen und Positionen Aufmerksamkeit. Insgesamt kommt es mir so vor, als versuchen alle nur noch, sich selbst Gehör zu verschaffen, statt den anderen zuzuhören. Und schon werden unterschiedliche Gruppen gegeneinander ausgespielt, die nicht mehr miteinander, sondern nur noch übereinander sprechen. Als Theatermensch frage ich mich immer wieder: Wo und wann sind Grundvertrauen und Glauben daran abhandengekommen, dass Menschen sich in die Perspektive des anderen hineinversetzen können. Schließlich ist das im Theater eine Grundannahme unserer Profession, unseres Handwerks, wenn man so will: dass jemand auf eine Bühne geht und jemand anderen darstellt. Also dass ich mich mit Welten beschäftigen kann, die nicht meine sind. Wenn das schon auf der Bühne nicht mehr geht, wie soll dann Empathie im Zuschauerraum entstehen?
HR Das geht nur im Rahmen der Grundverabredungen humanistisch-universalistischer Werte. Innerhalb deren Geltungsbereich können, ja müssen wir uns gegenseitig Garantien geben.
JZ Dennoch oder gerade deswegen müssen die privilegierten Menschen lernen, wie subalterne Pespektiven zu ihrem Recht kommen. Zum Schutz ihrer Identitäten müssen wir auf irgendeine Art und Weise Regeln einführen, die dafür sorgen, dass der Dialog, den wir als Voraussetzung für Demokratie gerade herausgearbeitet haben, stattfinden kann. Sonst gelten die universalistischen Werte eben nicht für alle.
JZ Das stimmt. Mir kommt es so vor, als haben wir damit die Katze erwischt, die sich hier die ganze Zeit in den Schwanz beißt. Du hast auf den zwanglosen Zwang des besseren Arguments hingewiesen und ich auf die Gleichberechtigung subalterner Stimmen. Es braucht beide Seiten – und die Balance zwischen ihnen: den offenen demokratischen Diskurs und den regelhaften universalistischen Schutz aller an diesem Diskurs zu Beteiligenden.
HR Ist es nicht faszinierend, wie schnell Dispositive einrasten? Nehmen wir als strukturelles Beispiel die Idee sozial konstruierter geschlechtlicher Identitäten. Die Lektüre von Judith Butler oder Michel Foucault haben mir als Student die ungeheure Erfahrung ermöglicht, dass die als unumstößlich gegebene Zweigeschlechtlichkeit von Mann und Frau sich auflöst. Gleichzeitig benennt Foucault als Kern der Aufklärung, dass man die Denkart der Entstehung von Dispositiven immer wieder neu gegen sich selbst wenden muss, immer wieder über die eigenen Grenzen hinaus, gegen die eigenen Gewissheiten zu denken. Einerseits lässt sich also lernen, wie Geschlechter sozial konstruiert werden. Andererseits muss es aber doch erlaubt bleiben, die Möglichkeit zu denken, dass es biologisch verankert erst mal zwei Geschlechter gibt. Was dann ja nicht bedeutet, dass es alle Arten von Variationen nicht auch gäbe oder dass etwas an ihnen falsch wäre. Kurzum: Ich finde eben einfach, dass es katastrophale Konsequenzen haben kann, irgendeine Denkrichtung, eine Denkmöglichkeit per se auszuschließen. Allerdings, und hier kommt deine Katze ins Spiel: Es gilt dabei, auch im Blick zu behalten, welche subtilen oder weniger subtilen Diskriminierungs- und Ausschließungsmechanismen sich hinter manchen Denkmöglichkeiten verbergen oder verbergen können. Wer sagt, es gebe biologisch gesehen nur zwei Geschlechter,
macht damit non-binäre oder Transidentitäten tendenziell diskursiv „widernatürlich“, gefährdet daher deren Sicherheit, nimmt ihnen womöglich den Atem für die eigene Stimme. Die Frage wäre hier also: Wie können wir einen Raum schaffen, in dem es möglich ist, biologische Zweigeschlechtlichkeit als Denkmöglichkeit zuzulassen, ohne damit zu diskriminieren, abzuwerten, Identitäten zu gefährden? In kleinen, privaten Diskussionen – oder z. B. auf Schülerakademien, wie ich sie jeden Sommer leite – kriegt man so etwas manchmal hin. Das sind fast magische Momente. Es entsteht Empathie, Verständnis, Wohlwollen, offenes, tastendes Fragen über Gräben hinweg. Die Frage ist, ob wir das auch an Unis und Theatern wieder hinkriegen. Im Moment bin ich skeptisch.
JZ Du hast recht. Demokratie braucht offene, empathische Situationen. Es kann nicht sein, dass alle Diskursteilnehmenden schon im Vorfeld im Generalverdacht stehen. Kultursenator und Verfassungsschutz in Berlin sind dafür nur das extremste Beispiel. Das beginnt schon mit übertrieben detaillierten Regelwerken für alle Fallesfälle, die einfach nicht mehr praktikabel und überprüfbar sind. Lieber sollten all die momentan entstehenden Code of Conducts – ob bei der documenta, der Berlinale oder in den unzähligen Theatern, die in letzter Zeit mit Vorwürfen des Machtmissbrauchs beschäftigt sind – erst mal als positive Wertevorstellung formuliert werden. Erst wenn die Akteur:innen untereinander nicht mehr klarkommen, im Falle der Eskalation und unauflösbarer Konflikte, braucht es Interventionsregeln. Sonst hat der Präsident des Bühnenvereins, unser Kultursenator hier in Hamburg, Carsten Brosda, leider recht damit, wenn er feststellt, dass das Balanceverhältnis zwischen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu kippen droht. Wir können so irgendwann nicht mehr von einer liberalen Demokratie ausgehen: Der allzu laute Ruf nach dem starken Staat, nach der starken Institution führt zu einer Logik, die irgendwann auch von anderen Kräften gegen die demokratischen und pluralistischen Werte verwendet wird.
HR Das ist genau der Grund, warum wir mit Rechtsbegriffen wie Staatsräson viel vorsichtiger umgehen sollten. Ich gehe damit noch mal zurück zu Israel/Palästina. Als Staatsräson wird doch definiert, was im Interesse eines Staates liegt. Für mich liegt aber der Schutz jüdischen Lebens – und auch des Staates Israel, das ist mir ganz wichtig – im Interesse der moralischen Verantwortung unserer Gesellschaft, nicht im Interesse Deutschlands als Staat.
JZ Ein ganz heikler Punkt. Ich habe ja vorhin von universalistischen Werten gesprochen. Also von einer Wertevorstellung, die moralphilosophisch nun wirklich nichts Neues darstellt. Schon Kant legt damit die Grundlage für internationales Völkerrecht, auch Voltaire kam schon zur Sprache. Wenn wir jetzt beim Schutz jüdischen Lebens nicht über Staatsräson, sondern über das besondere historisch-moralische Erbe unseres Kulturkreises sprechen, können wir dann gleichzeitig noch von den universalistischen Werten der Aufklärung sprechen, solange wir rund um diese eine Gruppe, beispielsweise in gedenkkulturellen Fragen, eine ganz besondere Fokussierung pflegen? Das ist eine Frage, die von anderen gesellschaftlichen Gruppen vor dem Hintergrund des Gleichheitsprinzips zunehmend gestellt wird.
HR Und schon wieder sind wir im Modus des Ausspielens der einen Gruppe gegen die andere. Wir sollten aus dem Holocaust nicht gelernt haben, dass wir in Zukunft immer wegschauen, wenn die Interessen – mehr noch: die Leidenserfahrungen – anderer Gruppen involviert sind. Ganz unabhängig von der alten Frage nach der kategorialen Beispiellosigkeit des Holocaust kann dessen besondere Bedeutung nicht heißen, dass wir an anderes Unrecht nicht erinnern, dass uns anderes Unrecht nicht Anlass und Verpflichtung sind, für alle Gruppen auf universalistische Weise zu erinnern.
JZ Auf Kampnagel ist zur Spielzeiteröffnung Michael Rothberg zu Gast. Der wies verschiedentlich auf andere Genozide hin. Auch in der deutschen Geschichte finden
wir noch weitere, unaufgearbeitetere Verbrechen, etwa an den Herero und Nama in Namibia. Genau da verläuft dann wieder eine der hitzigen Linien. Du hast es gerade benannt: Seit Adorno wird von der absoluten Unvergleichlichkeit des Holocaust gesprochen.
HR Also ich finde schon, dass da einige Diskussionen schieflaufen. Die südafrikanische Apartheid ist beispielsweise nicht angemessen in einer historischen Kategorie mit dem Holocaust zu verhandeln. Und dennoch passiert hier schon wieder diese ständige A-priori-Zensur, die für den demokratischen Prozess – und insbesondere für unsere Arbeit an Wissenschaft oder Kunst – so problematisch geworden sind. Vor der Freiheit von Kunst oder Wissenschaft sprechen wir von der Freiheit des Denkens. Gedanklich kann und darf ich doch erst mal alles mit allem vergleichen. Sonst hätte sich schließlich niemals auch nur irgendeine Erkenntnis ereignet. Ich kann ein Staubkorn mit der Sonne vergleichen. Ich kann etwa sagen: Es hat eine ähnliche Form, vielleicht eine vergleichbare Drehgeschwindigkeit, einen ähnlichen Spin. Das bedeutet weder, die Sonne herabzusetzen, noch die gewaltigen Unterschiede einerseits in der Größe, andererseits in den zentralen Eigenschaften – etwa der Kernfusion oder der Hitze – zu leugnen oder aus den Augen zu verlieren. Erst im Nachdenken entstehen dann die notwendigen Differenzierungen: Es ist doch gerade so, dass ich die Ungeheuerlichkeit des Holocaust nur erkenne, wenn ich vergleiche oder zu vergleichen versuche, und dann feststelle, dass es da erhebliche, kategoriale Unterschiede gibt. Und wenn ich in Zukunft so etwas wie den Holocaust verhindern will, muss ich erst recht Vergleiche ziehen – nur so kann ich Anfänge erkennen und ihrer wehren. Zwischen Südafrika und NS-Deutschland vergleichbar könnte z. B. der Aspekt der kühlen Bürokratie des industriell-militärischen Komplexes sein …
JZ … die Banalität des Bösen, wie Hannah Arendt es im Kontext des Eichmann-Prozesses bezeichnet hat.
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HR Genau. Wofür sie übrigens auch böse Kritik geerntet hat. Selbst wenn ich mich hier um Kopf und Kragen rede: Mit diesen Scheren im Kopf kommen wir einfach nicht weiter. Auch nach 1945 sind noch Gedichte entstanden. Und ob es sie angesichts des unermesslichen Leides, das weiße Kolonialist:innen durch Versklavung und zum Teil auch Ausrottung indigener Gruppen über die Welt gebracht haben, noch hätte geben sollen, kann man mit Adorno eben auch fragen.
JZ Damit mache ich einen Sprung zurück ins Hier und Jetzt. Im September stehen drei Landtagswahlen an, bei denen die demokratischen Verhältnisse wahrscheinlich ins Wanken geraten. Sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen und Thüringen könnte die AfD zur stärksten Partei werden – in Thüringen reden wir dabei über die Höcke-AfD, also eine besonders radikale Spielart dieser Partei, die unverhohlen klar zum Ausdruck bringt, worum es ihr geht, und anscheinend trotzdem gewählt wird. Über die relative Mehrheit hinaus könnte es zusammen mit einem vermutlich ebenfalls starken Abschneiden des BSW für Mehrheiten reichen, die das demokratische System zumindest in Teilen offen ablehnen. Was passiert dann mit den Freiheiten, über die wir hier gerade reden? Dafür müssen wir nicht mal teilweise hinkende historische Vergleiche bemühen –Thüringen war schon 1930 das erste Land, das von der NSDAP mitregiert wurde –, denn mittlerweile liegen öffentlich bereits
Äußerungen und Schriftstücke vor, die nahelegen, welche ersten Aktivitäten vorgesehen sind. Erhielte Herr Höcke den Regierungsauftrag, dann gibt ihm die Thüringer Verfassung, wie wir in den letzten Jahren mit Bodo Ramelow gesehen haben, auch ohne eigene Mehrheit im Landtag durchaus einige Möglichkeiten. So könnte ein Ministerpräsident Höcke in Thüringen auch mit einer Minderheitsregierung an die Macht kommen, den Rundfunkstaatsvertrag kündigen und mit dem Ausstieg Thüringens die rechtliche und finanzielle Grundlage für die Existenz des bundesweiten öffentlich-rechtlichen Rundfunks gefährden. Weitere im AfD-Playbook vorgesehene Maßnahmen betreffen den Bestand an Medien in Bibliotheken oder den Kanon an Liedern in Musikschulen oder Spielplänen in Theatern. Wenn bereits vorher Politiker:innen der sogenannten Systemparteien in die verfassungsmäßigen Freiheiten von Kunst und Wissenschaft eingegriffen haben, warum sollte das die AfD dann ihrerseits nicht auch tun?
HR Da müssen wir nur das von dir eingangs angeführte tagesaktuelle Beispiel Compact nehmen. Sobald wir damit anfangen, Medien zu verbieten, werden das andere auch machen. Das steht nicht nur zu vermuten, das ist in unseren europäischen Nachbarländern längst passiert. Genau genommen nehmen wir uns so schon vorher die Mittel, uns noch zur Wehr zu setzen. Daher plädiere ich stark für Brandmauern, die inhaltlich gesetzt werden, entlang der liberalen Prinzipien von politischen Grundüberzeugungen, die verteidigt werden müssen, egal, von welcher Regierung. Und deshalb wäre ich auch mit dem Pauschalurteil „antidemokratisch“ vorsichtig. Schon bei der AfD finde ich das nicht so offensichtlich: Die Partei ist, gerade in Thüringen, sicher rassistisch, illiberal, nationalistisch, zum Teil völkisch. Aber sie will ihre Prinzipien mehrheitsde-
mokratisch umsetzen, sie beruft sich ja gerade auf demokratische Mehrheiten, wenn sie Migration und Geschlechtergerechtigkeit verhindern will. Deshalb leuchtet es vielen Wähler:innen in Thüringen oder Sachsen eben nicht ein, wenn gesagt wird, die AfD sei per se undemokratisch. Und für das BSW ist das noch unplausibler.
JZ Mein Eindruck ist, dass das BrandmauerArgument den Wähler:innen irgendwann nicht mehr reicht. Auch wenn das wirklich fast schon irrationale Kalkül von Macron in Frankreich möglicherweise gerade noch so halbwegs aufzugehen scheint – obwohl wir dort ja sogar nicht mal von einem Verhältniswahlrecht sprechen und längst von einer Mehrheit für den RN ausgehen müssen –, wird das immerselbe Argument der gemeinschaftlichen demokratischen Abwehr irgendwann nicht mehr ziehen. Genau so hat es Houellebecq schon Anfang der nuller Jahre in „Karte und Gebiet“ projiziert: Nur noch 20 Jahre lang konnten die vereinigten Demokrat*innen mit dem moralischen Argument die Wahlen gewinnen, dass es um die Demokratie insgesamt ginge und man deswegen gegen den FN, respektive den RN stimmen müsse. So hat Haselhoff Sachsen-Anhalt verteidigt; so argumentieren momentan auch die US-amerikanischen Demokrat:innen gegen Trump. Sie folgen letztlich der Logik der viel beschworenen Brandmauer. Doch die läuft hohl, wenn es keine inhaltlichen Gründe für den Systemerhalt gibt, da bin ich komplett bei dir. Auf weite Bevölkerungsteile muss eine solche Argumentation zunehmend wie die Verteidigung eines Establishments gegen neue Kräfte wirken. Damit gelingt es den Rechten ja sogar noch, auf der Regierungsbank glaubhaft zu vermitteln, dass man, obwohl man längst selbst regiert, immer noch Anti-Establishment sei. Das ist Trump ein Stück weit gelungen, das gelingt seit Längerem Orban in Ungarn.
infrage stellt. Dafür müssen wir nicht sagen: Wir reden a priori mit niemandem von AfD oder BSW, wenn diese die Hälfte der Stimmen oder Sitze haben. Ganz ähnlich verlief die Dynamik doch schon während der Pandemie: Es bringt nichts, Impfgegner:innen oder Putin-Versteher:innen oder Pazifist:innen oder Palästina-Sympathisant:innen als Nazis zu beschimpfen. Ganz im Gegenteil: Ich erlebe es so, dass das „Nazi“-Label inzwischen bei vielen Menschen in Ostdeutschland so verbraucht ist, dass es sie eher für als gegen die so Gelabelten einnimmt. Die besseren Argumente müssen zählen – und die gibt es. Die Entwicklungen in Polen oder Tschechien zeigen, dass auch nach einer verlorenen Wahl die Demokratie noch nicht verloren ist. Die demokratische und rechtsstaatliche Umkehrung der dortigen Verhältnisse kann uns doch Hoffnung machen.
Die rechte Bewegung hat ein Vakuum zivilgesellschaftlicher Organisationen unterwandert.
HR Deshalb müssen wir nach inhaltlichen Brandmauern suchen, über Moralismus und Staatsräson hinaus. Diskriminierung ist grundgesetztlich verboten, ebenso wie das Recht auf Asyl grundgesetzlich verankert ist. Das müssen wir mit Klauen und Zähnen gegen jeden verteidigen, der das
JZ Im Osten Europas und Deutschlands dürfen wir dabei nie die historische Erfahrung vergessen, die eine Mehrheit der Bürger:innen gegenüber einem sich selbst überholenden, vollkommen ausgehöhlten, dysfunktionalen Staat gemacht haben: wie eine große Mehrheit von Menschen die Verhältnisse längst anders sah – und im alltäglichen Leben auch anders lebte – und schließlich die Chance ergriff, auch noch „die da oben“ wegzukippen. Diese empowernde und demokratische Erfahrung trägt auch heute noch oder wieder ein gewisses Grundmisstrauen in den Staat. Ist es nicht viel wichtiger, diesen Umstand zu verstehen – oder auch die nach zwei Parteidikaturen mehr als nachvollziehbare grundsätzliche Skepsis gegenüber jeglicher Partei –, als andauernd von Demokratiedefiziten der Ostdeutschen zu sprechen? Dabei handelt es sich nicht mal um ein ost-, sondern um ein gesamtdeutsches und europäisches Phänomen. Wenn überhaupt, dann ist dessen spezifische Ausprägung eine mitteldeutsche Angelegenheit: In Ostberlin oder Mecklenburg-Vorpommern sehen Umfragen anders aus. Die Argumentationsmuster der rechten Seite sind aber letztlich strukturell überall vergleichbar.
HR Inwiefern trifft das auf Hamburg zu?
JZ Hier auf Kampnagel gibt es einen fliegenden Bau namens Migrantpolitan. Da wird künstlerische, politische Arbeit im Sinne von geflüchteten Menschen gemacht. Das ist mindestens mal AfD-Politiker:innen in der Hamburger Bürgerschaft ein Dorn im Auge. Immerhin ist Kampnagel ein mit Steuergeldern bezuschusstes Staatsheater. Unter einer rot-grünen Regierung genießen wir hier und bei anderen Themen einen gewissen Schutz. Aber in Hamburg ist eine andere Mehrheit nicht komplett auszuschließen – hier hat vor 20 Jahren die CDU mit der rechtspopulisitischen Schill-Partei regiert ...
HR … seit einigen Jahren ist ja offensichtlich, wie der Vorwurf des Antisemitismus sich vor allem gegen Muslim:innen richtet …
JZ So ist es. Die rechte Seite hat einfach längst verstanden, wie die linksintellektuelle Seite ihre Revolution vorzudenken versuchte. Sie hat gelernt, dass es darum geht, den vorpolitischen Raum der kulturellen Werte zu dominieren und in die eigene Richtung zu drehen. So ist es in Mitteldeutschland direkt nach der Wiedervereinigung mit strategischem Vorsatz geschehen: Die rechte Bewegung hat ein Vakuum zivilgesellschaftlicher Organisationen konsequent gefüllt und andauernd unterwandert. Deren Marsch durch die Institutionen lief und läuft durch Feuerwehren, Kulturund Sportvereine vor Ort. Auch das ist Kulturpolitik, über die im vorpolitischen Raum jetzt sukzessive frühere Haltelinien verflüssigt und Mehrheiten gewonnen werden. Das betrifft sogar den engeren Sinn von Kulturpolitik: Gesellschaftliche Positionen gegen „Gender-Gaga“ oder „Regietheater“ finden ohne Weiteres Anschluss bis in die Mitte der Gesellschaft. Aussagen wie „Spielt wieder die alten Stücke“ oder „Spielt es so, wie es da steht“ finden Anklang. Solche Positionen bieten perfekte Einfallstore für die AfD. Während andere Parteien dieses Feld sträflich vernachlässigen: Für sie ist Kulturpolitik nicht wichtig genug. Wenn überhaupt, dann tun sie sich noch mit Antidiskrimnierungsklauseln oder Forderungen hervor, Bayreuth solle bunter werden. Und bewässern so schön die Mühlen der vorpolitischen Rechten. HR Große kulturelle Umbrüche finden nie
auf geplante Weise statt. Keiner konnte 1968 vorhersehen oder den Zusammenbruch der Sowjetunion. Theoretisch würde ich mit Hannah Arendt ansetzen: Menschen müssen nicht in den Ketten verfangen verbleiben, sie können auch neu anfangen.
JZ Hoffnung macht mir die gesellschaftliche Reaktion auf die Correctiv-Veröffentlichung der Potsdamer Protokolle. Diese plötzlichen, riesigen Demonstrationen in allen großen Städten brachten nicht nur hohle moralische Argumente, sondern positive Markierungen von inhaltlichen Positionen wie Pluralismus und Minderheitenschutz. Zudem kam die Mobilisierung zu großen Teilen aus sich neu organisierenden gesellschaftlichen Gruppen, nicht initiativ von Parteien, Kirchen oder Gewerkschaften, die dann versucht haben, sich vorne dranzusetzen.
HR Grundsätzlich würde ich jedoch sagen, das Problem selbst dieser Demonstrationen – noch größer: das Problem unserer Zeit – ist, dass wir eigentlich nur noch in Abwehrkämpfen stehen. Bist du grün, kämpfst du gegen den Klimawandel; bist du schwarz-blau, kämpfst du gegen die Immigration; bist du gelb, kämpfst du gegen den wirtschaftlichen Niedergang; bist du rot, kämpfst du gegen soziale Ungerechtigkeit. Doch für was kämpfen wir? Für welche Zukunft, in der wir leben möchten?
JZ Das Narrativ der rechten Seite besteht zentral darin, ein Angebot zu machen, in dem sich niemand verändern muss und trotzdem alles so gut bleiben kann, wie es vermeintlich ist oder nostalgisch rückprojiziert gewesen sein soll. Das ist genau jetzt im Angesicht all der offensichtlichen Transformationserfordernisse ein unwiderstehliches Narrativ. Dabei sollten die Veränderungsnarrative nicht nur betonen, dass wir nachhaltig oder digital oder inklusiv werden müssen, sondern worin der positiv-utopische Teil dieser Entwicklungen besteht. So gesehen hat die selbsterklärt progressive linke Seite den Part der Progression – den Part des Wohin – aus dem Auge verloren. Das ist es doch, was wir vor allem können: Utopien ausprobieren, imaginieren, erproben, zur Disposition stellen. Dafür sind Kulturorte da. T
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„Ich weiß, dass ich Kunstfreiheit einschränke“
Steffen Mensching über verschiedene Blickwinkel als Intendant in Rudolstadt und als Schriftsteller sowie sein künftiges Schiller-Theater im Gespräch
mit Michael Helbing
Herr Mensching, Sie haben ein bisschen gezögert, mit uns über Kunstfreiheit zu reden, weil Sie das nicht sonderlich beschäftigt. Weshalb nicht?
Steffen Mensching: Na ja, weil ich mich nicht in meiner Kunstfreiheit beschränkt fühle. Ich glaube, das hängt auch ein bisschen mit dem Alter zusammen. Weder politisch noch markttechnisch fühle ich mich zensuriert. Da muss man sicherlich differenzieren zwischen meiner Arbeit als Schriftsteller und dem Theaterjob, der auf bestimmte Bedingungen Rücksicht nimmt. Ich mache kein Programm an den Leuten hier vorbei. Da beschränke ich mich sozusagen selbst. Bestimmte Stoffe, bestimmte Stile finden nicht statt, weil ich weiß, dass es dafür hier kein Publikum gibt. Aber im literarischen Bereich mache ich seit Jahren nur, was ich machen will. Ich bin nicht in der Verlegenheit mancher jungen Autorinnen und Autoren, die alle zwei Jahre ein Buch veröffentlichen müssen, weil der Verlag drängelt, und die sich teilweise anpassen müssen, wenn sie halbwegs davon leben wollen. Das muss ich nicht und musste es eigentlich nie, weil ich nie nur Literat war. Diese Freiheit finde ich produktiv für mich.
Stichwort Rücksicht aufs Publikum: Was würden Sie ohne eine solche anders machen?
SM: Ich würde meine Ästhetik nicht völlig verändern. In dem Alter, in dem ich bin, hat man bestimmte Vorlieben und Dinge, auf die man vertraut, die man für richtig hält, die einem Spaß machen. Das würde ich auch in Berlin oder Halle versuchen umzusetzen. Aber trotzdem spielt man für ein großstädtisches Publikum, das jünger und multikultureller ist, anders als für ein kleinstädtisches Ü60. Ich mag z. B. immer noch Heiner Müller, der hat spannende Stücke geschrieben. Aber als wir hier 2008 anfingen, war schnell klar: Müller läuft hier nicht.
Immerhin haben Sie selbst hier mal Volker Braun inszeniert, „Die hellen Haufen“.
SM: Das war ein Prosatext, aus dem wir erzählendes Theater machen konnten und der durch die BischofferodeGeschichte auch regional wichtig war. Das
hat gut funktioniert, war aber nicht gerade der Knaller der Saison. Ich schätze Volker sehr. Er ist ein wichtiger Lyriker. Wenn wir uns treffen, reden wir auch über Theater. Aber seine letzten Stücke würden hier nicht funktionieren. Die sind so verdichtet, so philosophisch angereichert, dafür gibt es hier kaum Publikum. Immerhin machen wir in der neuen Saison zum ersten Mal Beckett, „Warten auf Godot“. So was haben wir uns bislang lieber gespart und wir sind gespannt, wie das funktionieren wird.
Da spricht der Theaterintendant. Viele Schriftsteller sagen, wenn sie mit dem Blick auf ein Publikum schreiben würden, könnten sie es gleich lassen.
SM: Das ist eine schöne These, weil sie so nonkonformistisch klingt. Aber ich glaube, dass es in der Praxis nicht so ist. Literarische Glücksfälle sind die, wo Autoren komplexe Stoffe und große Geschichten in modernster Form erzählen und trotzdem ein Massenpublikum erreichen. Es ist jedoch nach wie vor sehr schwierig oder wird immer schwieriger, mit bestimmten Stilen wie innerer Monolog oder achronologischer Erzählweise auf Bestsellerlisten zu geraten. Dort landen meistens Texte, die doch eher konventionell erzählen, die intelligent sind, aber nicht mit Bildungslast daherkommen.
Anders also als Ihr 2018 erschienener Roman „Schermanns Augen“?
SM: Ja. Der bekam großartige Kritiken. Aber das ist eine so komplexe Geschichte, dass das viele vielleicht nicht abgestoßen, aber doch verunsichert hat, so ein Werk anzugehen. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass etwas Spannendes daraus werden konnte, und haben deswegen so ein Buch liegen gelassen. Das war damals mit Sicherheit eines der wichtigsten Bücher des Jahres, hat es aber nicht auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis geschafft, was eindeutig eine Riesensauerei war. Die Juroren hatten Vorurteile und haben es genauso wenig angefasst. Dann hat es so ein Buch ganz schwer, relevante Verkaufszahlen zu erreichen. Ich merke bei jüngeren Kollegen, wie extrem der Druck ist, wie Verlage sie relativ schnell
fallen lassen, wenn die Zahlen nicht stimmen. Ich bin glücklich über meinen Verlag, der einer der mittelgroßen ist und sich noch um Autoren kümmert.
Zurück zum Intendanten: Ermöglicher der Kunst – ist das Ihr Selbstverständnis?
SM: Das klingt nicht schlecht. Doch ich weiß, dass ich Kunstfreiheit einschränke. Was wäre das denn für eine Freiheit, in der jeder Schauspieler und alle Regisseure nur das machen, was allein sie für richtig halten, wenn alle sozusagen Autoren wären? Natürlich entscheidet man über Kunstfreiheit, schon, wenn man Leuten ein Angebot macht, sie zu engagieren, und andere ablehnt. Diese autoritäre Position der Intendanten wird inzwischen gesellschaftlich stark angezweifelt. Ich halte es trotzdem für absolut notwendig, dass eine oder einer bestimmte Entscheidungen fällt und sich der Diskussion stellt. Das alles demokratisch bis zum letzten Kompromiss auszudiskutieren erzeugt nur gähnende Langeweile und Mittelmaß. Das heißt nicht, dass man beratungsresistent und völlig intransparent wird, aber dass man bestimmte Entscheidungen übernimmt und sagt: Wir machen das so.
Das muss zunächst eine ungewohnte Rolle für Sie gewesen sein.
SM: Am Anfang bin ich immer zusammengezuckt, wenn ich Chef genannt wurde, weil ich das nie sein wollte und mir auch nicht so vorkam. Ich kam aus einer kollektiven Produktionsform von Theater, wo alle alles gemacht haben und sehr viel Demokratie vorhanden war. Was meine eigenen Texte anging oder Produktionen, die ich mit Kollegen gemacht habe, war ich einer unter vielen. In Rudolstadt musste ich plötzlich als Chef von 200 Leuten ankommen. Aber auch in unserem sozusagen freien Kollektiv Karls Enkel war immer klar: Über bestimmte inhaltliche Dinge entscheiden am Ende Hans-Eckardt Wenzel und ich. Das war so.
Warum sollte dieses Modell flacher Hierarchien am Stadttheater nicht funktionieren?
SM: Ich will solche Versuche gar nicht kleinreden. Aber je mehr Leute
Thema Grenzen der Kunstfreiheit
Alles demokratisch bis zum letzten Kompromiss auszudiskutieren erzeugt nur gähnende Langeweile und Mittelmaß.
es werden, desto komplizierter wird es. Und z. B. im Orchester sind die Autoritäten relativ klar. Der Dirigent gibt das Tempo vor, er entscheidet. Als wir 2010 unser Stück „Die Schicksalssinfonie“ für Schauspiel und Orchester inszenierten, habe ich mich ein bisschen informiert. Es gab in der frühen Sowjetunion mal den Versuch, Orchester ohne Dirigenten und Konzertmeister spielen zu lassen. Stichwort Rätestruktur. Das hat nicht funktioniert. Ich glaube, je größer Strukturen werden, desto mehr muss man in kleineren Einheiten denken. Das machen meine Mitarbeiter auch. Wenn wir Bewerbungsgespräche für Abteilungen haben, bin ich dabei, sage aber z. B. der Schneiderei: Ihr entscheidet.
Aber das Schauspielensemble sitzt nicht in Vorsprechen und entscheidet mit, oder? SM: Nein, aber alle Dramaturgen sind dabei. Auch da beraten wir uns immer. Aber klar, das will ich gar nicht abstreiten: Wenn ich von jemandem überzeugt wäre, würde ich mich über Einsprüche hinwegsetzen. Das ist ja schwierig: Das sind alles Menschen mit Vorlieben und auch Konkurrenzängsten. Ich bin immer interessiert, wenn Schauspieler Vorschläge machen. Aber den Spielplan lasse ich mir von ihnen nicht bestimmen. Dafür bin ich der Chef. Ich nehme die Verantwortung ernst, ich trage das Risiko; ich bin ja auch Geschäftsführer. Die Belegschaft hat das Recht, Entscheidungen kritisch zu sehen, mich herauszufordern, Fragen zu stellen und Antworten zu kriegen. Und es gibt einen Betriebsrat, der mir oft auf die Nerven geht, aber ich muss mich mit ihm auseinandersetzen. Kunst muss stören, auch insofern, dass mir etwas nicht gefällt. Wenn alle nur so ticken würden wie ich, wäre das ja nicht zum Aushalten.
INTERNATIONALES THEATERFESTIVAL IN BAUTZEN
Erleben Sie im Ensemble Bedarf, mitzureden und sich künstlerisch mehr einzubringen?
SM: Es gibt Schauspielerinnen und Schauspieler, die als Partner ernst genommen werden wollen. Sie wollen überzeugt und mitgenommen werden, warum bestimmte Sachen wie gemacht werden. Aber sie verlangen auch, dass Regisseure und Dramaturgen ihren Job machen. Es gibt andere, die durchaus gerne mehr Mitsprache wollen und eigene Ideen für Spielpläne anbieten.
Nach acht Interimsjahren eröffnen Sie Anfang 2025 ein saniertes Bühnen- und neu gebautes Zuschauerhaus mit „Don Carlos“ wieder, in einer Saison unter dem Motto „Mein Haus ist offen“ aus „Maria Stuart“ sowie unter neuem Namen: als Schiller-Theater. Weshalb diese Setzung?
rechtskonservativ trifft sich bei uns. Und Leute zusammenzubringen, vielleicht nach gemeinsamen Interessen zu suchen oder zu bemerken, dass man doch über die gleichen Dinge lacht oder weint, halte ich für eine funktionierende Gesellschaft für ganz wichtig. Insofern ist das eine moralische Anstalt.
Es ist zwar schon mal ein Schiller-Theater geschlossen worden, vor 30 Jahren in Berlin. Aber steckt dahinter gleichwohl auch eine Strategie: dass eine auf dem Vormarsch befindliche konservative oder gar rechtskonservative Politik ein SchillerTheater in Thüringen nicht so gewissenlos abwickeln könnte wie ein Theater Rudolstadt?
SM: Es lässt sich jedenfalls schwerer schließen, als wenn wir es z. B. WladimirMajakowski-Theater genannt hätten. Obwohl Marx sagt, Geschichte ereignet sich das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce, habe ich scherzhaft gesagt: Man hat schon ein Schiller-Theater abgewickelt, man wird es nicht ein zweites Mal machen. Denn das wäre dann die absolute Farce.
IM DEUTSCH-SORBISCHEN VOLKSTHEATER
MEHR INFORMATIONEN: WWW.THESPIS-ZENTRUM.DE
Gefördert durch Gefördert von 25.– 29. SEPTEMBER 2024
SM: Schiller war für uns hier immer wichtig. Chefdramaturg Michael Kliefert hat eine hohe Aktie daran. Das war der Versuch, unser Konzept mit dem Säulenheiligen dieser Stadt zu verbinden. Darüber hinaus ich finde den anachronistischen Begriff der moralischen Anstalt nach wie vor praktikabel.
Nach wie vor oder wieder?
SM: Nach wie vor und vermehrt, würde ich sagen. Für mich war er nie aus der Mode gekommen, hat aber eine neue Dringlichkeit erfahren. Das Theater ist eines der letzten Foren, die es so offen ermöglichen, moralische Fragen zu provozieren: Wie will eine Gesellschaft miteinander umgehen und leben? Theater sind Orte, wo man noch frei Träume und Visionen entwickeln kann. Hier mischt sich das gesamte Spektrum der Stadtgesellschaft. Alles von links bis konservativ und klar
Schiller spricht in seiner „Schaubühne als moralische Anstalt“ nicht vom Theater für alle, sondern von für den denkenden, besseren Teil des Volkes.
SM: Schiller war nicht der Superdemokrat. Da müssen wir uns nichts vormachen.
Hat er damit immer noch ein bisschen recht?
In so einer Kleinstadt hat man noch die Chance, bestimmte Dinge wirklich zu regulieren, man hat Einfluss auf Netzwerkbildung.
SM: Absolut! Der hätte auch keiner Demokratisierung des Theaterprozesses zugestimmt, in dem Intendanten nichts mehr zu sagen haben. Dazu war er zu polarisiert und konturiert. Seine Dramen sind kein Kompromisslertum. Und er war, durch die Französische Revolution, skeptisch gegenüber der Masse. Er hat sich ihr nicht angedient und wusste, dass er mit einigen wenigen anderen in der philosophischen Durchdringung der Welt viel weiter war als sie. Er hat sich trotzdem den Leuten gegenüber nicht arrogant verhalten. Das macht den Unterschied!
Kann, darf, soll sich der Besucher des Schiller-Theaters Rudolstadt als besserer Mensch fühlen?
SM: Nein, aber er sollte den Wunsch haben oder bekommen, ein besserer Mensch zu werden. Davon könnten wir alle ein bisschen was gebrauchen.
Ein besserer Mensch als andere oder als er selbst es gerade ist?
SM: Besser als er gerade ist. Man sollte im Theater seine eigenen Grenzen erkennen können, seine Beschränktheit und Borniertheit, und sich nicht für fertig halten. Der Ausgang ist offen. Man kann diese Unsicherheit bejammern oder das Abenteuer des Lebens als schöne Aufgaben betrachten.
Sie kriegen aber nicht die Masse, die Mehrheit ins Theater.
SM: Nein, in so einer kleinen Stadt in der Provinz sind es, sagen wir mal zehn Prozent, die kulturinteressiert sind und ins
Theater gehen. Aber die kriegt man zusammen. Da kriegt man noch Dialog und Auseinandersetzungen hin. Da bauen sich Beziehungen und soziale Mikrokosmen auf, die etwas bewirken. So hat die Kunst dann doch einen Gemeinsinn stiftenden Zweck erfüllt. In so einer Kleinstadt hat man noch die Chance, bestimmte Dinge wirklich zu regulieren, man hat Einfluss auf Netzwerkbildung. Das hilft mir als Großstädter sehr, es hier auszuhalten.
Schillers Schaubühne lebt auch von Unterhaltung und Vergnügen. Ist damit erklärt, weshalb Sie auf der anderen Seite gerade fürs Sommertheater ein Stück zur Olsenbande geschrieben haben, nach den dänischen Krimikomödien fürs Kino?
SM: Na ja, als alter Brechtianer halte ich es für das größte Vergnügen, zu denken und zu versuchen, Geschichte zu begreifen. Und da hat Schiller wirklich
bühne
POP, PEIN, PARaGRAPHEN
Eine Deutschstunde von Cem Kaya feat. Ekim Acun alias Şokopop 6 / September Eröffnungspremiere
LOS DÍAS
AFUERA / THE DAYS OUT THERE
Text, Konzept & Regie Lola Arias 14 / September Berlin-Premiere
Ein Projekt von Oliver Frljić nach Franz Kafka 21 / September Premiere
LINKERHAND
Von Brigitte Reimann
Regie Sebastian Baumgarten 18 / Oktober Premiere
CAFÉ
POPULAIRE
ROYAL
Von Nora Abdel-Maksoud
Regie Nurkan Erpulat 21 / November Premiere
VATERMAL
Von Necati Öziri
Regie Hakan Savaş Mican 21 / Dezember Uraufführung
CARMEN
Nach Georges Bizet, Henri Meilhac & Ludovic Halévy
Regie Christian Weise 24 / Januar Premiere
F EMDE POESIE? #3 WIEDERGUTMACHUNGS JUDE
Von Daniel Arkadij Gerzenberg
Szenische Einrichtung Dor Aloni 27 / September Uraufführung
F EMDE POESIE? #5 BLUES IN SCHWARZ WEISS
Von May Ayim Regie Lamin Leroy Gibba 29 / November Premiere
CYBERANGEL
Text & Regie Zelal Yeşilyurt 14 / Dezember Uraufführung
enorm Innovatives geleistet. Ich habe nie meine Neigung zur Komödie und zum Lustspiel verleugnet. Und der Erfolg gibt uns recht. Das ist vielleicht nicht gerade der große Wurf und hat auch ein bisschen was mit Nostalgie zu tun. Aber die Leute fühlen sich davon abgeholt. Sie merken, dass wir für sie Theater machen, die hier wohnen und ihre Steuern zahlen. Ins Sommertheater gehen ja auch Leute, die sonst nie kommen.
Die Verführungskraft, sie darüber ans Theater zu binden, ist also begrenzt?
SM: Darauf hatte ich zwar immer gehofft. Seit 15 Jahren versuchen wir das, auch mit meiner Rateshow „Was bin ich?“. Und einen gewissen Teil der Besucher kriegt man über so etwas schon. Aber trotzdem habe ich mir inzwischen meine Hybris abgewöhnt. Hauptsache, sie kommen überhaupt mal. Ansonsten gehen sie eben kegeln oder bowlen oder sonst was. T
ARRESTED
JUSTICE
mit Arbeiten u. a. von Miraz Bezar & Nuran David Calis 19 / Januar
Weitere Projekte
u. a. von Nazanin Noori im Rahmen von F EMDE POESIE?
Über die Mehrdimensionalität von Kunstfreiheit in der Theaterpädagogik
Von Graciela Peralta
„Darf man das jetzt noch sagen oder nicht?“, wird immer gefragt, wenn die Grenzen der Kunstfreiheit gemeint sind. Wenn es um die Aushandlung dieser Grenzen im Theater geht, lohnt sich ein Blick auf die Theaterpädagogik, denn dort steht die Navigation von komplexen Thematiken und künstlerischen Grauzonen mit verschiedensten Menschen an der Tagesordnung.
Das diverse Aufgabenfeld und die variablen Kontexte, die über die gängige Definition der Bildungsarbeit hinausgehen, bieten ein breites Bezugsspektrum zu den Herausforderungen der Debatte.
Auf der einen Seite arbeitet die Theaterpädagogik sozialpädagogisch, um Inhalte des Theaters zu vermitteln. Stückbezogene Vor- und Nachbereitungen an Schulen, bei denen kontroverse und herausfordernden Inhalte gemeinsam aufgearbeitet werden, führen nicht selten zur ideologischen Debatte der Kunstfreiheit. Aber statt beim „Darf man ...?“ aufzuhören, arbeitet die Theaterpädagogik gezielt mit den Gefühlen und Gedanken dahinter.
Theaterpädagogische Übungen wie z. B. Soziometrien werden bewusst danach konzipiert, Denkweisen hinter dem im Theater Erlebten aufzudecken und in Bezug zu den Zuschauenden zu setzen. Widersprüche und Nuancen im Umgang mit Theater werden so zusammen aufgearbeitet. Je gespaltener die Meinungsbilder und je hitziger die Diskussionspunkte, desto lebendiger werden die Gespräche. Unterschiedliche Interpretationen sind in den Übungen kein Hindernis, sondern treibende Kräfte.
Vor allem in der Vermittlung von Inhalten, die an die vermeintlichen Grenzen der Kunstfreiheit stoßen, wie etwa der Kindermord in Euripides’ „Medea“, wird ersichtlich, wie Konflikte mit dem moralischen Empfinden vielleicht sogar das größere Potenzial bieten. Erst durch die Darstellung des schockierenden Kindermords auf der Bühne kann im Nachhinein gefragt werden: „Warum macht es für Medea Sinn, solch eine grausame Tat zu begehen?“ Und für heute noch essenzieller: „Ist das nur ein 2400 Jahre alter Mythos oder doch eine mögliche Schockschlagzeile heute?“
Solch freier Umgang mit strittigen Themen ist jedoch nicht ohne Bedenken. Nicht selten berichteten (für diesen Arti-
kel) befragte Theaterpädagog:innen von massiven Beschwerden der Eltern, Herausnahme der Kinder aus Veranstaltungen zu bestimmten Stücken und Versuchen, Druck auf Deutungen auszuüben.
Auf der anderen Seite kommt durch die enge Verbindung zum Theaterspielen auch eine künstlerische Komponente hinzu, die von Außenstehenden oft nicht als solche erkannt wird, in der Diskussion um Kunstfreiheit jedoch entscheidend ist. Eine befragte Theaterpädagogin schreibt mir, dass die Theaterpädagogik fälschlicherweise noch entweder als „Pillepalle mit Nichtprofis“ oder als „Marketinginstrument“ der Theaterhäuser gesehen wird. Das gemeinsame Inszenieren in Spielclubs erweitert zweifellos den klassischen Kunstbegriff. Angeleitetes Theater im Kollektiv ist aber genauso wie die professionelle Theaterarbeit Kunst und genießt somit ebenso den Schutz der Kunstfreiheit. Durch Infragestellung solcher Arbeit ist dieser Schutz oftmals nicht selbstverständlich.
Jüngste regionale Entwicklungen geben Anlass zur Sorge. In den Berichten befragter Theaterpädagog:innen höre ich, dass ideologische Einflussnahme manchmal schon bei den einfachsten Übungen zu befürchten ist.
Kommunale (Teil-)Finanzierungen greifen bereits indirekt in theaterpädagogische Arbeitsweisen ein. Beispielsweise wurde 2023 vom Stadtrat für öffentliche Kommunikation in Zwickau beschlossen, dass von nun an das Gendern in städtischen Eigenbetrieben verboten sei. Das Theater Plauen-Zwickau sprach sich zwar gegen diese Regelung aus, hat aber trotzdem keine Wahl. Besondere Auswirkungen hat das auf die Theaterpädagogik, da Elternbriefe ebenso wie der LGBTQ+ Fokus betroffen sind.
Von außen macht die anleitende Position der Theaterpädagog:innen den Anschein von uneingeschränkter künstlerischer Entscheidungsfreiheit in der Umsetzung von Theaterprojekten. In Wahrheit
Wir könnten uns sogar etwas von den diskursiven Methoden der Theaterpädagogik abschauen.
ist es jedoch komplizierter. Eine meiner Gesprächspartner:innen erzählt mir, dass es in erster Linie darum geht, die Stimmen der Menschen hörbar zu machen. Im Anleiten von Spielclubs wird ein Bewusstsein über gesellschaftliche Polarisierungsaspekte immer wichtiger, besonders in Fällen, wo durch politisches Klima manche Stimmen weniger gerne gehört werden.
Eine Theaterpädagogin erzählt mir beispielsweise von einer Aufführung, die sie mit ihrer Jugendgruppe für ein kleines Stadtfest erarbeitet hat. Die Performance hinterfragte Inhalte des Grundgesetzes und vermittelte eine Botschaft, die zum Schutz der Menschenwürde aufrief.
FREUEN SIE SICH MIT UNS AUF
DIE NEUE SPIELZEIT 24/25
AUSGEWÄHLTE PREMIEREN
2024 / 25
KÖNIG LEAR
von William Shakespeare
Übersetzung und Bearbeitung von Thomas Melle
REGIE Stephan Kimmig
PREMIERE 7. SEPTEMBER 2024, SCHAUSPIELHAUS
DAS KUNSTSEIDENE MÄDCHEN
von Irmgard Keun
REGIE Luise Voigt
PREMIERE 21. SEPTEMBER 2024, SCHAUSPIELHAUS
ANIMAL FARM
frei nach George Orwell
REGIE Emre Akal
PREMIERE 7. DEZEMBER 2024, BALLHOF EINS
VOR SONNENAUFGANG
von Ewald Palmetshofer nach Gerhart Hauptmann
REGIE Stefan Pucher
PREMIERE 13. DEZEMBER 2024, SCHAUSPIELHAUS
ASCHE
von Elfriede Jelinek
REGIE Lilja Rupprecht
PREMIERE 17. JANUAR 2025, SCHAUSPIELHAUS
UND ALLE SO STILL
nach dem Roman von Mareike Fallwickl
REGIE Jorinde Dröse
URAUFFÜHRUNG 16. FEBRUAR 2025, SCHAUSPIELHAUS
DIE WALKÜREN
von Caren Jes
REGIE Marie Bues
PREMIERE 8. MÄRZ 2025, SCHAUSPIELHAUS
SEX
REGIE Friederike Heller, Ronny Jakubaschk, Stephan Kimmig
URAUFFÜHRUNG 10. MAI 2025, SCHAUSPIELHAUS
ALLE PREMIEREN UNTER schauspielhannover.de
24_25
der ewige spießer schauspiel nach ödön von horváth bühnenfassung von michael stacheder uraufführung _ ab september 24
unendliche sterne eine musikalische spurensuche von linda riebau _ ab oktober 24
warten auf’n bus komödie von oliver bukowksi nach der gleichnamigen fernsehserie ab november 24
don quijote schauspiel von rebekka kricheldorf nach miguel de cervantes ab januar 25
im menschen muss alles herrlich sein schauspiel nach dem roman von sasha marianna salzman ab märz 25
5. SEPTEMBER 2024
DIE GUTEN
REBEKKA KRICHELDORF
REGIE MEERA THEUNERT
6. SEPTEMBER 2024
LA RÉVOLUTION #1 –WIR SCHAFFEN DAS SCHON JOEL POMMERAT
REGIE SCHIRIN KHODADADIAN
21. SEPTEMBER 2024
TÖRLESS
NACH DEM ROMAN »DIE VERWIRRUNGEN
DES ZÖGLINGS TÖRLESS«
VON ROBERT MUSIL
REGIE JANIS KNORR
13. OKTOBER 2024
SHOWTIME (EIN ENTTÄUSCHENDER ABEND)
FELIX KRAKAU
REGIE SARAH KURZE
19. OKTOBER 2024
LEONCE UND LENA
NACH GEORG BÜCHNER
REGIE TANJU GIRIŞKEN
3. NOVEMBER 2024
DER JUNGE MANN
ANNIE ERNAUX
REGIE JETTE BÜSHEL
17. NOVEMBER 2024
DER ZAUBERER VON OZ
FAMILIENSTÜCK NACH
LYMAN FRANK BAUM
VON SERGEJ GÖSSNER
REGIE MARIA VIKTORIA LINKE
7. DEZEMBER 2024
DER ZERBROCHNE KRUG
EIN LUSTSPIEL VON
HEINRICH VON KLEIST
REGIE MORITZ FRANZ BEICHL
14. DEZEMBER 2024
DIE NACHT, ALS
LAURIER ERWACHTE
MICHEL MARC BOUCHARD
REGIE MICHAEL LETMATHE
25. JANUAR 2025
DAS DEUTSCHE HAUS
PHILIPP LÖHLE
REGIE PHILIPP LÖHLE
22. FEBRUAR 2025
NACH DEM LEBEN (AFTER LIFE)
JACK THORNE NACH DEM FILM VON HIROKAZU KORE-EDA DEUTSCHSPRACHIGE ERSTAUFFÜHRUNG
REGIE ULRIKE ARNOLD
7. MÄRZ 2025
DIE ERSTEN HUNDERT TAGE LARS WERNER URAUFFÜHRUNG
REGIE EBRU TARTİCİ BORCHERS
22. MÄRZ 2025 BUCKET LIST YAEL RONEN UND SHLOMI SHABAN
EINE MUSIKALISCHE PRODUKTION
REGIE AURELIUSZ ŚMIGIEL
5. APRIL 2025 AJAX
THOMAS FREYER
REGIE GUSTAV RUEB
26. APRIL 2025
MEPHISTO
NACH DEM ROMAN VON KLAUS MANN
REGIE ERICH SIDLER
7. JUNI 2025 DIE WAND NACH DEM ROMAN VON MARLEN HAUSHOFER
REGIE DANIEL FOERSTER
14. JUNI 2025
DIESES STÜCK GEHT SCHIEF (THE PLAY THAT GOES WRONG) KOMÖDIE VON HENRY LEWIS, JONATHAN SAYER UND HENRY SHIELDS
REGIE KATHARINA BIRCH
–
KARTEN UND INFOS
0551.49 69-300
WWW.DT-GOETTINGEN.DE
Ab 27/09/24 — Stadttheater
Im Menschen muss alles herrlich sein
von Sasha Marianna Salzmann
Ab 28/09/24 Werkstatt
HAPPY END (keine Garantie)
von Felix Krakau
Ab 12/10/24 Spiegelhalle
N E
von Kristo Šagor Uraufführung
Ab 18/10/24 Stadttheater
Biedermann und die Brand ifter JTK 14+
Ein Lehrstück ohne Lehre von Max Frisch
SPIELZEIT 2024 / 2025 PREMIEREN
JOHANN*A – STELL DIR VOR, ES IST KRIEG UND (K)EINE*R
GEHT HIN / UA Julienne De Muirier / Regie: Miriam Ibrahim / WELCHE FARBE HAT EIN KUSS? / UA Rocio Bonilla / Regie: Nathalie Glasow / ZWEI HERREN VON REAL MADRID Leo Meier / Regie: Joachim Gottfried Goller / ÄNDERN LEBEN. MALALA YOUSAFZAI UND SOPHIE SCHOLL / UA Anah Filou / Regie: Eva Lange / ZARAH 47 Peter Lund / Regie: Paul Spittler / DER LEBKUCHENMANN David Wood / Regie: Carola Unser-Leichtweiß / EINE ARBEITERIN. LEBEN, ALTER UND STERBEN Didier Eribon / Regie: Sandra Strunz / CIAO, BELLA, CIAO! / UA Regie: Carola Unser-Leichtweiß / PRIMA FACIE
Suzie Miller / Regie: Angelika Zacek / QUÄLBARER LEIB – EIN KÖRPERGESANG / BILDBESCHREIBUNG Amir Gudarzi / Heiner Müller / Regie: Eva Lange / ROMEO UND JULIA nach William Shakespeare / LIEBE UND PLATTENBAUTEN (AT)/ UA Juliane Hendes – nach Motiven des Kultfilms „Die Legende von Paul und Paula“ / Regie: Romy Lehmann / DRAMA FÜR DEN KOPF. EIN KLAMAUK / UA Jette Seier / Regie: Jette Seier / CRUISING TIMES: VON STREIFZÜGEN DURCH BEGEHREN, BARS UND BARRIKADEN / UA Sophia Guttenhöfer und Nina Schulz / Regie & Choreografie: Sophia Guttenhöfer / EXIT THROUGH THE POLISH SHOP Turkowski & Nowacka / Konzept, Text & Performance: Turkowski & Nowacka / JEDERMANN Hugo von Hofmannsthal / Regie: Carola Unser-Leichtweiß
SCHAUSPIEL
ANTIGONE
Ab 7. September 2024
SPIELZEITMOTTO: RECHT UND GEWISSEN SCHAUSPIEL 2024/2025
SPARTE4
von Armin Petras nach Sophokles | URAUFFÜHRUNG
I Petras, B Marbach, K Fossati, V Tomoiaga, D Busch
DER MANN, DER LACHT von Sébastien Jacobi nach Victor Hugo | URAUFFÜHRUNG
Ab 14. September 2024
I Jacobi, B + K Hörr, M Iacono, D Oetting
DER ZERBROCHNE KRUG von Heinrich von Kleist Ab 9. November 2024
I Richter, B + K Nussbaumer, M Moling, D Busch
DER ZAUBERER VON OZ 6+ nach L. Frank Baum
Ab 17. November 2024
I Schachermaier, B + K Eggert, D Kranz
MEHR LAMETTA AM MEER von Rebekka Kricheldorf | URAUFFÜHRUNG
Ab 18. Januar 2025
I +B Solberg, D Oetting
MEPHISTO
nach Klaus Mann
Ab 25. Januar 2025
I Mehler, B Balkhausen, K Hörr, M Rimsky-Korsakow, D Busch
LETHE – EIN ABEND VERLORENER ERINNERUNGEN von Anna-Elisabeth Frick | URAUFFÜHRUNG
Ab 29. März 2025
I Frick, B + K Pinsker, C Stoffer, M Strobl, D Kranz
TOD EINES HANDLUNGSREISENDEN von Arthur Miller
Ab 5. April 2025
I Mehler, B + V Di Buduo, K Hörr, M Suske, D Oetting
GRAUSAME GESTALTEN URAUFFÜHRUNG von Paula Kläy nach einer Idee von Luis Liun Koch und Paula Kläy
Ab 13. September 2024
I Koch, B Dietrich, K Suppe, D Kranz
VON FISCHEN UND FRAUEN von Noëlle Haeseling | URAUFFÜHRUNG
Ab 8. November 2024
I Thomasberger, B + K Schaal, M Mayböck, D Oetting
BLUTBUCH
nach Kim de l’Horizon
Ab 17. Januar 2025
I Pauer, Köhler, B Köhler, K Weinbrecht, V Shklyar, D Kranz
WERKRAUM JUNGE REGIE II
In Kooperation mit der HfMDK Frankfurt
Ab 28. März 2025
I Studierende der HfMDK, D Busch
DIE KATZE ELEONORE von Caren Jeß
Ab 6. Juni 2025
I + K Köhler, B Bontempi, M Popp, D Oetting
Die neuesten Theaterstücke aus dem französischen Sprachraum – erstmals in deutscher Übersetzung! 20.–23. November 2024
www.festivalprimeurs.eu
SAARLÄNDISCHES STAATSTHEATER GMBH
Schillerplatz 1, 66111 Saarbrücken
Generalintendant Bodo Busse | Schauspieldirektor Christoph Mehler
Chefdramaturg und Künstlerischer Leiter Schauspiel Horst Busch Künstlerische Leitung sparte4 Luca Pauer, Thorsten Köhler
Leitung Junges Staatstheater Luca Pauer www.staatstheater.saarland
SCHAUSPIEL
Großes Haus
Premiere 28. Sep. 2024
Regie
Johanna Wehner
Bühne
Benjamin Schönecker
Kostüm
Ellen Hofmann
Musik
Vera Mohrs
Nach Brigitte Reimann in einer Bühnenbearbeitung von Johanna Wehner
Kunstinsert Olafur Eliasson trifft Caspar David Friedrich im Greifswalder Dom Porträt Alfred-Kerr-Preisträger Nikita Buldyrski spielte am Theaterhaus Jena manchmal Varianten seiner selbst und wechselt nun nach Karlsruhe
Laudatio Das Schlosstheater Moers erhält den Martin-Linzer-Theaterpreis 2024
Nachrufe Alexander Lang, Thomas Heise
Olafur Eliasson, Detailaufnahmen „Fenster für bewegtes Licht“, 2024. Einbau des Ostfensters von Olafur Eliasson am Dom St. Nikolai, Greifswald, Deutschland
Olafur Eliasson trifft Caspar David Friedrich im Greifswalder Dom
Von Juliane Voigt
IIn Greifswald kannte man bisher nur einen Künstler: Caspar David Friedrich. Neuerdings ist dort nun also auch Olafur Eliasson ein Star. Am 7. April 2024 wurden seine Domfenster eingeweiht. Und seitdem ist es so, als sauge der blasse Innenraum der Kathedrale die Farben, die durch die bunten Fenster hineinscheinen, in ihren Wänden, Gewölben und Säulen auf. 200 Jahre lang waren die Ostfenster im Greifswalder Dom mit transparenten Rautenfenstern verglast. Das ist 1824 bei der Modernisierung der Kirche passiert. Damals wurden die Fresken des Mittelalters übermalt und der Dom im neugotischen Stil mit hellen Holzeinbauten in ein einheitliches Lichtgrau gebracht. Aufklärung meets Protestantismus! Mitgewirkt hat bei dieser Kirchenumgestaltung auch Caspar David Friedrich. Es war seine Taufkirche und die Kirche, in der alle seine Geschwister getauft worden waren, und alle hatten da auch geheiratet und wer in der Familie gestorben war, hatte hier seinen letzten Segen bekommen. Die Kerzen kamen aus der Werkstatt seines Vaters. Als gläubiger Christ und mahnender Kirchenreformer war Friedrich nicht nur als inzwischen berühmter Maler und Architekt, sondern auch als Theoretiker gefragt. Im Sinne der Romantiker stellte die Kirche ein National- und Freiheitsdenkmal dar. Sein Bruder Christian Friedrich war als Tischlermeister mit den Holzeinbauten beauftragt. Es gab einen regen Briefverkehr zwischen den Brüdern mit Plänen und Zeichnungen und Berichten von der Baustelle.
Genau 200 Jahre später kommt nun also Olafur Eliasson nach Greifswald und sieht sich genau das an. Er sei, sagt er später, dort im Dom stark inspiriert worden für seinen Entwurf. Er wusste plötzlich, was er machen will. Da sag noch einer, er glaube nicht an Geister. Und natürlich entwirft Olafur Eliasson nicht einfach nur ein Kirchenfenster. Dann wäre er ja nicht Olafur Eliasson.
„Huttens Grab“ ist ein Gemälde Friedrichs von 1823. Zu sehen ist eine Chorruine. Drei lange gotische Fenster ragen auf aus diesem verfallenen Bauwerk, in dessen Chorraum keine liturgi-
schen Elemente mehr zu sehen sind, vielmehr ein Sarkophag. Dass das Gemälde als das politischste Bild Friedrichs interpretiert wird, weil es eine Denkmaldebatte dieser Zeit abbildet, spielte formell für Eliasson wahrscheinlich keine Rolle. Was er gesehen haben muss, ist das unglaubliche Leuchten der Fenster. Vorherrschend sind es Brauntöne, die Friedrich verwendete. Es ist dunkel in der Abtei. Eine Figur lehnt über dem Stein. Es gibt symbolische Anspielungen aus der Pflanzenwelt, einen Schmetterling als Seelenbild, weil, hier geht es schließlich um einen Verstorbenen: Ulrich von Hutten war ein Dichter und Ritter im 16. Jahrhundert, den Friedrich und seine Freunde im Geiste, u. a. Ernst Moritz Arndt, Friedrich Ludwig Jahn oder General Scharnhorst, als bedeutenden Vorkämpfer des deutschen Freiheitskampfs verehrten. Aber das alles lässt sich nur schwer auf dem Bild ausmachen. Denn all das liegt auf dem Gemälde in tiefer Finsternis. Über dieser Szene aber geht mit einem unbeschreiblich schönen Glanz die Sonne auf und dringt durch die drei schmalen fensterlosen Öffnungen der Chorruine, ohne dass das Licht irgendwas in der Umgebung erhellen würde. Die gotischen Fenster stehen da wie lodernde, zum Himmel schießende Feuersäulen. Changierend zieht sich die Morgenröte von unten nach oben in ein helles Tageslicht und schließlich deutet sich sachte das erste Blau des Himmels an. Friedrich war kein Freund greller Ansagen. Aber er wusste, wie man Licht malt. Der Lichtmaler. Und auch mit Kirchen kannte er sich aus.
Kirchen stehen mit ihren Hauptfenstern immer nach Osten. Nach Jerusalem, dem Morgenland, dem Orient als „Orient“-ierung, die Richtung, aus der die Sonne morgens kommt. Osten bedeutet etymologisch „Morgenröte“. Und irgendwie ist es beruhigend, das muss auch Friedrich so empfunden haben, dass wir durch die Alten immer wieder mit solcher Symbolik konfrontiert werden. So eine Kirche wurde nicht unüberlegt hingestellt, abgesehen mal davon, dass die Bauzeit und die Kosten die des BER um das Hundertfache überstieg. Vom Bauplatz bis zur Platzierung der Kirchturmspitzen sind die Orte geduldig abgefragt worden. Der Platz darunter wurde bis zum Mittelpunkt der Erde für die Ewigkeit belegt. Was auch immer uns das jetzt in dieser noch immer in der Beschleunigung befindlichen Zeit sagen kann. Aber doch, so ein Bauwerk ist ein fester Halt, ein Gotteshaus, dafür wurde es ja errichtet. Dafür muss man nicht religiös sein, obwohl so ein bisschen Spiritualität auf keinen Fall schaden kann. Immer wieder faszinierend ist gerade an dieser norddeutschen Backsteingotik, dass diese riesigen Kathedralen so in das unbedeutende und flache
Olafur
Eliasson:
„Das finde ich bei Friedrich extrem schön, dass der sich erlaubt, den Leuten zu ermöglichen, selber ihre Vorstellungskraft mit hineinzubringen.“
Hinterland ragen, wie auch auf Caspar David Friedrichs Gemälde „Wiesen vor Greifswald“, auf dem sich über viel Grün und grasenden Kühen im Vordergrund ein wenig dunstig die Silhouette von Greifswald andeutet, aus welcher der Domturm in der Mitte aufragt wie ein Pfeil gen Himmel. (Das Bild ist so ikonisch für diese Stadt, dass Greifswald bis heute dafür sorgt, dass zumindest auf diesem weiten Areal keine Bebauung möglich ist.)
Eliassons Schauen ziehen Menschen auf spektakuläre Weise an. Wer hat sich nicht gern mal in seiner großen Sonne geräkelt, die er in der der Londoner Tate in einem sakralartigen Raum hat scheinen lassen? Oder kam 2010 stundenlang nicht mehr aus dem Martin-Gropius-Bau heraus, wo er mit der Illusion versetzter Wände und der Unendlichkeit spielte. Immer ist es ein Narrativ, das er bemüht, um etwas in den Menschen, die sich auf seine Arbeiten einlassen, zu bewegen. Etwas fühlen, was mehr ist, als nur zu sehen, überdeutlich auch bei der Demonstration von schmelzendem Gletschereis während des Klimagipfels in Paris 2015. Wer die Installationen von Olafur Eliasson erlebt hat, sich darauf eingelassen hat, kann gar nicht umhin, ihn mit der Naturreligiosität und Warnung vor der Landschaftszerstörung in den Bildern von Caspar David Friedrich in Verbindung zu bringen. Was nichts damit zu tun haben kann, dass sie, wenn auch mit zeitlich großem Abstand voneinander, beide an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen studiert haben. Wie sie das Innen nach außen bringen, kann man nicht lernen. Und wer innen nichts hat, wissen wir von Friedrich, der braucht gar nicht erst anzufangen.
„Das finde ich bei Friedrich extrem schön, dass der sich erlaubt, den Leuten zu ermöglichen, selber ihre Vorstellungskraft mit hineinzubringen. Und dann ist da natürlich die Leere, das Licht, der Leerraum. Und so ist die zeitgenössische Kraft seiner Bilder so wichtig, dass wir uns das auch erlauben müssen, zu fragen, wo finden wir überhaupt unsere eigene Spiritualität, wann geht es mir gut? Wann bin ich froh? Wann habe ich innere Ruhe?“ (Olafur Eliasson)
„Huttens Grab“ also hat Olafur Eliasson zu den neuen Domfenstern inspiriert. 3383 Glasteile wurden dafür eingesetzt. Es ist mundgeblasenes Buntglas – ein uraltes Medium – durch Blei miteinander verbunden. Unvorstellbar kostbar. Hergestellt von der Firma Hein Derix, ein Glasbetrieb, der seit Jahrhunderten Kirchenfenster produziert. Jedes Stück wurde einzeln nach Schablonen ausgeschnitten, kein einziges ist wie das andere, in 64 Farbtönen. Die Formen verändern sich mit jedem Zentimeter. Aus Romben, die über winzige Kreise miteinander verbunden sind, wachsen Vierecke, die Kreise vergrößern sich und werden zu großen Ringen, angelehnt an die Höllenkreise der göttlichen Komödie. (Dante beginnt sein Werk übrigens am 7. April 1300, aber das kann jetzt vielleicht auch wirklich Zufall sein, dass die Fenster an diesem Datum eröffnet wurden.) Die Farben der Fenster beginnen im unteren Drittel wie das Morgenrot über dem Meer an der Rügener Kreideküste zu leuchten, changieren in ein sakrales Lila, es geht über in ein strahlendes Orange, das als Morgenlicht
Olafur Eliasson, Detailaufnahmen „Fenster für bewegtes Licht“, 2024. Einbau des Ostfensters von Olafur Eliasson am Dom St. Nikolai, Greifswald, Deutschland
Beim Sehen ohne Kenntnis der Tricks erkennt man, dass etwas passiert, was man nicht versteht.
so über dem Greifswalder Bodden liegen könnte, wird zu einem sonnigen Sommergelb, dem satten Grün sich im Wind wiegender Schilfgürtel und einem freundlichen Himmelblau über der weiten Pommerschen Landschaft. Im Occulus über dem Mittelfenster strahlt das göttliche Dunkelblau hinunter auf den Altar mit dem großen goldenen Kreuz. Was für ein Theater! Eliasson hat nichts dem Zufall überlassen und auch den Binnenchor mit einbezogen, die neugotischen Einbauten von Christian Friedrich, die eigentlich das untere Drittel der Fenster verstellen. Die Oberlichtovale in den neugotischen Stellwänden ließ er mit Kasein matt streichen, so dass das Morgenrot diffus in das Innere der Kirche dringt. Im Studio in Berlin hat er unendlich viele Sonnenstudien ausprobiert, ausgerechnet, wann um welche Zeit die Sonne aufgeht und wie hineinscheint. Und wann das Tageslicht nicht mehr die Fenster erreicht. Es hat ihm nicht gereicht, dass die Sonne meistens einfach aufgeht. Dafür hat er ein Heliostat wie eine Solaruhr auf dem gegenüberliegenden Dach mitgeplant, einen durch die Sonne gelenkten großen Reflektor mit einem solarbetriebenen Motor, der über das Morgenlicht hinaus Tageslicht in die Kirche lenken soll. Wiederum reflektiert durch kleinere Spiegel auf der Rückseite des Binnenchors.
„Die Materialien und die Umsetzung der Fenster sind technisch enorm herausfordernd“, sagte der Künstler während der Planungsphase. „Viel schwieriger jedoch ist es, es so hinzubekommen, dass es Kunst wird.“ Es kam ihm nicht auf das Wie an, sondern auf das Wow. Er wollte den Dom in das Licht des 21. Jahrhunderts tauchen – das war die über allem stehende Dramaturgie. Und es ist ihm gelungen. Beim Sehen ohne Kenntnis der Tricks erkennt man, dass etwas passiert, was man nicht versteht. Mit minimalem Aufwand hat er die Natur zur Hauptdarstellerin gemacht. T
Ólafur Elíasson, geboren 1967 in Kopenhagen, ist für seine Lichteffektinstallationen auf der Basis physikalischer Phänomene weltweit bekannt und war in zahlreichen internationalen Ausstellungen vertreten.
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2018 setzte er als Bühnenbildner ein Objekt aus dichroitischem Farbeffektglas für die Barockoper „Hippolyte et Aricie“ von Jean-Philippe Rameau an der Berliner Staatsoper ein. Am 7. April 2024 wurden im Jubiläumsjahr von Caspar David Friedrichs 250. Geburtstag Elíassons Fenster des Doms St. Nikolai in Greifswald eingeweiht.
Alfred-Kerr-Preisträger Nikita Buldyrski spielte am Theaterhaus Jena manchmal Varianten seiner selbst und wechselt nun nach Karlsruhe mit Michael Helbing
Nein, ein Oscar ist es nicht geworden. Wie auch? Einen kleinen Episodenauftritt im Fernsehkrimi – Nazischerge in „Die Toten von Salzburg“ vor zwei Jahren – nimmt die Academy wohl kaum zur Kenntnis. Und eine Anfrage für einen russischen Kinofilm, die er noch nach dem Angriff auf die Ukraine erhielt, lehnte er ohnehin ab; inzwischen hat er sich dessen Trailer angesehen und ist erst recht froh darüber. Doch in die Annalen des Alfred-KerrDarstellerpreises für junge Schauspieler hat sich Nikita Buldyrski inzwischen eingeschrieben. Alleinjurorin Ursina Lardi sprach ihm diesen auf dem jüngsten Berliner Theatertreffen zu und befand in ihrer Laudatio: „Sein Spiel ist pure Gegenwart.“
Dass er auch „supergerne mehr drehen würde“, daraus macht der Endzwanziger keinen Hehl. Er tut einiges dafür und ist auf allen einschlägigen Filmportalen mit Premiumprofilen präsent, was nicht eben billig ist. Und immerhin verbrachte er gerade die ersten zwei Berufsjahre nach dem Schauspielstudium am Theaterhaus Jena, so wie Sandra Hüller vor einem Vierteljahrhundert, die zuletzt für einen Oscar nominiert war. Von der Oscarverleihung hat er bislang nur geträumt. War jedoch nicht sonderlich erhebend: Der Preis flog ihm im Traum zwar buchstäblich zu, im allerdings komplett leeren Filmtheater in Los Angeles, in dem nur eine Anästhesistin ganz allein klatschte, ohne dass sich ihre Hände berührten, während sie dabei ständig durch den Saal rief: „Brotlose Kunst!“
So erzählt es der hochgewachsene Mann mit gestutztem Bart jedenfalls auf der Bühne, über die er eine Stunde lang wuselt und dabei durch (s)eine Künstlerexistenz irrt. Er nennt sich
hier Niklas Buschewski. Der hat sein Leben bereits hinter sich. Ein Literaturverein hat nun zum Gedenken eingeladen an diesen solitären Tausendsassa: „Dichter, Rapper, Schauspieler, Musiker, Poetry-Slammer, Wortakrobat, Körperakrobat, Tänzer und Denker seiner Zeit.“
Es klingt wie die Erinnerung an eine mögliche Zukunft als Schauspieler zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Aufstieg und Fall, Erfolg und Scheitern. Eine Existenz an der Kante: „ON THE EDGE“. Buldyrskis gleichnamiges Solo brachte das Theaterhaus im Jenaer Club Kassablanca heraus: ein Rap-Theaterabend mit eigenen Songs und Stand-up-Comedy, der Pars pro Toto einen Berufsstand ins Visier, unter die Lupe und auf die Schippe nimmt. Ernsthaft in der Haltung, lustig in der Wirkung.
Das ereignet sich zwischen Dichtung und Wahrheit. Buldyrski bleibt in aller Verfremdung erkennbar: als Variante seiner selbst. Buschewski ist sein Alter Ego. Anfang Juni spielt er den Abend mal wieder in Jena, bevor er damit im Prinz Regent Theater Bochum gastiert, in der Stadt, in der er aufwuchs. Gerade mal
„Ich weiß nach diesen zwei Jahren in Jena, dass Theater auch anders geht und dass viele Dinge möglich sind allein durch den Willen, es machen zu wollen.“
20 Leute sind gekommen. Die Stimmung ist bestens, aber nicht außergewöhnlich.
Kurz zuvor waren Buldyrski und seine Kollegen in Berlin von Fachleuten und Publikum groß gefeiert worden: vier ausverkaufte Vorstellungen mit ihrer „Hundekot-Attacke“ beim Theatertreffen, bevor es damit zu Gastspielen nach Amsterdam ging. Fürs Ensemble gab’s den 3sat-Theaterpreis, für Buldyrski den Kerr-Preis obendrein. Das war der Höhe- und fast schon ein Schlusspunkt.
Anfang Juli verabschiedete sich das Ensemble nach insgesamt sechs Jahren – die ersten vier davon mit dem Kollektiv Wunderbaum – aus dem Theaterhaus Jena, wo turnusgemäß die Leitung wechselt. Zum Finale gab’s unter freiem Himmel „Carol. Shakespeare in Jena“, worin die Truppe unter Lizzy Timmers’ Regie wie wiederkehrende Jenaer Frühromantiker Schlussbilanz zog. Buldyrski war Goethe aus Weimar, der Höhenangst hat und „Romeo und Julia“ in Schlegels Übertragung eifrig inszeniert.
„Bei mir in der Familie sind alle ausnahmslos studierte Ingenieure. Kunst ist bei uns sehr hoch angesehen.“
Derart schaffte es kurz vor Toresschluss ein kanonisches Drama zumindest ansatzweise doch noch in ein Ensemble, das seine Stücke sonst konsequent selbst erfand. Das betraf auch „Die Hundekot-Attacke“, die den realen Angriff eines Choreografen auf eine Kritikerin in Hannover zum Anlass nahm, den Theaterbetrieb und dessen öffentliche Wahrnehmung zu reflektieren – und damit auch die eigenen Rollen darinnen. Das begann als szenische Lesung aus dem autofiktionalen E-Mail-Verkehr der Schauspieler. Eine Stuhlreihe hinter Mikrofonen: Diese Setzung von Regisseur
Foto Joachim Dette
Walter Bart (Wunderbaum) und Dramaturgin Hannah Baumann bedeutete für Buldyrski eine neue Erfahrung, ebenso das reine Sein auf der Bühne. Buldyrski war, so wie die anderen auch, er selbst und doch ein anderer. Wiederum ein Alter Ego, das über weite Strecken kaum ein Wort sagt. „Lange Zeit schauen wir ihm beim Zuhören zu“, beschrieb es Ursina Lardi. „Und er kann zuhören. Er will nicht nur sich selbst Gehör verschaffen und lässt so kein Wort der anderen zu Boden fallen.“ Besonders darüber hat sich Buldyrski gefreut. Er war erstaunt, wie genau Lardi zugeschaut hatte. „Weil man ja auf diesem Stuhl sitzt und allen Verabredungen zum Trotz denkt: Sieht das eigentlich irgendwer?“
Sichtbar sein, sichtbar werden. Ohne das geht’s nicht im Schauspielerdasein, mit allen Licht- und Schattenseiten. Davon erzählt auch „ON THE EDGE“. Sichtbar wurde Buldyrski den Jenaern im Absolventenvorspiel, das am Salzburger Mozarteum entstand: Monologe und Szenen mit selbstgeschriebenen Songs. „Ein wildes Programm“, in dem Buldyrski auch schon viel saß und zuhörte, und in dem er, der mit 16 anfing, zu Hause heimlich zu rappen, es hier erstmals auf einer Bühne tat. Er wurde dann der Rapper am Theaterhaus, auch in der „Hundekot-Attacke“, in „ON THE EDGE“ sowieso. Das Solo fußt auf seinem von Carolina Bigge betreuten Diplom am Mozarteum: fünf Rap-Songs zu einem Thema, die man in ein Stück hätte implementieren können. „Und dann kam ich damit zufällig an ein Haus, wo so etwas sowieso stattfand.“ Eigene Stückentwicklungen nämlich.
Er kam an ein kleines Haus mit sieben festen Schauspielstellen, an dem sich nach dem Abschied von Wunderbaum zudem ein Ensemblerat als Teil der Entscheidungsstrukturen bildete. Die längst begonnene Demokratisierung schritt weiter voran, familienfreundliche Probenzeiten wurden etwa eingeführt. Schon das Vorsprechen sei „das netteste überhaupt“ gewesen; das hätten auch Kollegen gesagt, die länger im Beruf sind. Klar war aber sofort: Nach zwei Jahren würde Schluss sein. Diese begrenzte Perspektive empfand Buldyrski als angenehm, auch wenn am Ende Wehmut im Spiel war.
„Ich weiß nach diesen zwei Jahren, dass Theater auch anders geht und dass viele Dinge möglich sind allein durch den Willen, es machen zu wollen“, sagt Buldyrski und denkt an „die heftigs ten Standing Ovations vielleicht meiner gesamten Karriere“: jene von Häftlingen der JVA Hohenleuben, wo Leon Pfannenmüller und Hannah Baumann für „Knast“ recherchierten, bevor man damit dort gastierte.
Das neue Engagement tritt er jetzt an einem Staatstheater an, je nem in Karlsruhe, wofür sich ältere Kollegen nach ermächtigen der Jenaer Erfahrung fast schon als versaut betrachten würden oder sich jedenfalls schwerer begeistern können. „Das verstehe ich total“, so Buldyrski. „Ich selbst habe davon aber noch nicht genug gehabt. Und ich möchte auch gerne Figuren aus der Literatur spielen. Darauf habe ich große Lust!“ Brechts „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ wartet als Erstes in Karlsruhe.
LITERATURZELT
15.-20. September
Literarische Stimmen jüdischer Identität und Kultur AUF DEM BEBELPLATZ
SERET
16.-22. September
Aktuelle Film- und Fernsehproduktionen ISRAELISCHES FILM FESTIVAL
ELON GOLD
17. September
Die Berlin-Premiere des amerikanischen Stand-Up-Comedians US-STAR-COMEDIAN EINE NEUE TORA FÜR BERLIN
TORAEINWEIHUNG
22. September
Fertigstellung einer neuen Tora auf dem Bebelplatz und feierlicher Umzug zur Synagoge auf der Brunnenstraße
JÜDISCHE KULTURTAGE BERLIN 37.
DER JÜDISCHEN GEMEINDE ZU BERLIN
Das vollständige Programm online: www.juedische-kulturtage.org
Dieses Staatstheater sei einer jener Orte, denen man ihre „Betrieblichkeit“ sehr viel stärker anmerke, wie er es nach seinen diversen Vorsprechen formuliert. Auch dort aber befindet man sich, nach Vorwürfen von Mobbing und Machtmissbrauch vor einigen Jahren, seit Längerem im Umbruch und in Demokratisierungsprozessen. Mit Christian Firmbach als neuem Intendanten tritt ein neues Team an. Das ist im Vergleich zu Jena allerdings „ein Riesenhaus“, weiß auch Buldyrski. „Zumindest menschliche Aspekte ließen sich aber trotzdem übertragen.“
„Spricht er, ist jeder Satz ein Treffer“, sprach Lardi über Buldyrski. Der witzelte zuvor bereits auf der Bühne über seinen
Buschewski: „Jedes Wort ein Feuerwerk, jeder Satz ein Lebenswerk.“ Dann erzählt uns dieser: „Bei mir in der Familie sind alle ausnahmslos studierte Ingenieure. Kunst ist bei uns sehr hoch angesehen.“ Bevor er Puschkin auf Russisch rezitiert und die Mutter zitiert: Schauspiel sei eine Nebenbeschäftigung; man stehe auf der Bühne und produziere Luft.
Nikita Buldyrski, 1995 in Neftekumsk bei Stawropol geboren, kam mit dreieinhalb Jahren als Spätaussiedlerkind nach Bochum. In ihren angestammten Berufen fanden der russlanddeutsche Vater und die russische Mutter hier keine Arbeit. Für Nikita begann indes bald „eine Klischeegeschichte aus der Kategorie ,Ich spiele Theater, seit ich fünf bin‘“. Märchenstücke in der russischsprachigen Samstagsschule. 2014 dann Junges Schauspielhaus Bochum: Im Abiturjahr spielte er, innerhalb des Programms „Schulen in Bewegung“, eine Hauptrolle in „Fahrenheit 451“; die andere übernahm sein Freund Lukas Vogelsang, den er am Mozarteum wiedertraf und der dann ans Wiener Burgtheater ging. Später wechselte Buldyrski zum Jugendclub ans Bochumer Rottstraße 5 Theater, gegründet und geleitet von Hans Dreher, bevor der ans ebenso freie Prinz Regent wechselte. Doch erst nach zwei „Fake-Studiengängen“, Chemieingenieurwesen und BWL, wollte er schließlich doch Schauspiel studieren. In Bochum scheiterte er zunächst. Nach dieser „herben Klatsche“ trieb ihn „eine krasse Impulshandlung“ nach Moskau: Vorsprechen an allen fünf großen Schauspielschulen. „Ich erkläre mir das im Nachhinein so, dass ich mir in meiner Muttersprache ein Feedback abholen wollte.“
Es wurde dann also das Mozarteum, dessen Thomas Bernhard Institut eine ausgezeichnete Sprecherziehung anbieten soll, das in der Ausbildung aber auch viel Wert auf künstlerische Entfaltung legt. „Ich bin von Beruf Handwerker“, spricht nun Niklas Buschewski von der Bühne. „Und mein Handwerk ist Kunst.“ Buldyrski hatte sich das als Witz erdacht. So kommt’s auch rüber. Gleichwohl steckt er damit ein Spannungsfeld ab und bestätigt umgehend: „Ich würde gerne beides umarmen.“
Er bewundert Kollegen, die letztlich immer sich selbst spielen, das aber gut, kann sich zugleich für auffallend technisch versierte Kollegen erwärmen und meldet eigenen Nachhol- oder Ausbaubedarf an, sich über Haltung zu verwandeln. In Jena war er zwei Jahre lang beides: immer er selbst, aber als ein anderer. Dazwischen blieb jeweils eine Differenz. „Ich habe Brot“, entgegnet Buschewski in Sachen „brotlosen Kunst“; im Grunde hat der zu Hause nichts anderes. „Tatsächlich kaufe ich gar kein Brot“, erklärt hingegen Buldyrski. Es verschimmelte ihm in seinem Theateralltag viel zu oft. T
Erst nach zwei „Fake-Studiengängen“, Chemieingenieurwesen und BWL, wollte er schließlich doch Schauspiel studieren. In Bochum scheiterte er und ging nach Moskau.
nach dem Stummfilm von F. W. Murnau und dem Roman „Dracula“ von Bram Stoker
Open-Air-Theater im Grassimuseum
Regie: Katharina Ramser
Premiere 15. 8. 24
William Shakespeare
Regie: Enrico Lübbe
Premiere 20. 9. 24
Stephan Beer und Georg Burger
nach Motiven von Hans Christian Andersen
Regie: Stephan Beer
Premiere 3. 11. 24
Joseph Kesselring
Regie: Tina Lanik
Premiere 23. 11. 24
Heinrich von Kleist
Regie: Elsa-Sophie Jach
Premiere 31. 1. 25
SCHAUSPIEL
WASTED LAND
Leipzig-Premiere Oktober 2024
Auftragswerk
Sarah Kilter
Regie: Marco Damghani
Premiere 14. 9. 24 COMPANIA SINCARA SPIELT
In Koproduktion mit Schauspiel Leipzig und Schaubühne Lindenfels
Regie: Rico Dietzmeyer
Premiere 24. 10. 24
Eine Schaueroper
Auftragswerk
Raphaela Bardutzky
Regie: Salome Schneebeli
Premiere 22. 11. 24
AUFZEICHNUNGEN AUS EINEM WEISSEN ZIMMER
Anna Behringer
Regie: Thirza Bruncken
Premiere 30. 1. 25
SOFT WAR
Premiere November / Dezember 2024
INTEREUROVISION
Arbeitstitel
Premiere Januar 2025
SHE SHE POP
BULLSHIT
Leipzig-Premiere März 2025
DREI MAL LINKS IST RECHTS Leipzig-Premiere Mai 2025
FOUR WALLS AND A ROOF
Leipzig-Premiere Mai 2025
Festival der Theaterspielclubs von Schauspiel Leipzig, TDJW und Junger Oper Leipzig 16. — 25. 5. 25
Performance Plattform Leipzig
Eine Kooperation mit LOFFT
DAS THEATER und Schaubühne Lindenfels
Juni 2025
Das Schlosstheater Moers erhält den Martin-Linzer-Theaterpreis 2024 Eine Laudatio
„Der
Fünf festangestellte Schauspieler:innen hat das kleinste Stadttheater Deutschlands. Und doch gehen vom Schlosstheater Moers eine Menge Impulse aus. In den achtziger Jahren wurde es zweimal zum Berliner Theatertreffen eingeladen, mit den „Bacchantinnen“ von Euripides und Brechts „Leben des Galilei“, beides in der Regie von Gründungsintendant Holk Freytag. In den vergangenen Jahren gab es Kampagnen über Themen wie den gesellschaftlichen Umgang mit Tod, Armut und Demenz, inhaltliche und künstlerische Auseinandersetzungen über eine ganze Spielzeit hinweg. Dabei hat sich das Schlosstheater eng mit lokalen, regionalen und überregionalen Institutionen verzahnt, mit der Moerser Tafel oder dem Paritäti-
Im Prinzip hat man in Moers die Vorteile einer städtischen Bühne mit – wenn auch sehr überschaubaren – Gewerken und Strukturen, verbunden mit der Offenheit eines freien Theaters.
schen Wohlfahrtsverband. Und wenn mal NRW-Theatertreffen stattfinden – das geschah zuletzt nur sehr unregelmäßig –, bekam Moers dort sehr oft einen Preis. Weil das kleine Ensemble mit seiner gewaltigen Spielenergie die Herzen eroberte. Moers ist ein sogenanntes Mittelzentrum und mit etwas über 100.000 Einwohner:innen die größte Stadt des Kreises Wesel am Niederrhein. Das Schloss mit dem Grafschafter Museum und einem sehr schönen Park drumherum ist das Zentrum. Oft haben Städte in dieser Größe ein Bespieltheater oder eine Stadthalle, in der Gastspiele gezeigt werden. Das eigene Ensemble ist ein riesiger Pluspunkt für Moers, ein Anziehungspunkt, ein besonders lebendiges Element der Stadtgesellschaft. Zwar wurde und wird es gelegentlich infrage gestellt, wenn mal wieder die Kassen leer sind. Doch der kleine Betrieb arbeitet extrem wirtschaftlich und sorgt für ein positives Image. Die Nähe zum Publikum ist schon räumlich gegeben. Die Hauptspielstätte im Keller des Schlosses ist ein kleines Kammerspiel, es herrscht traditionell freie Platzwahl. Und das Foyer ist eine gemütliche Kneipe für Begegnungen danach. Die Bedeutung der kleinen Bühne reicht weit über Moers hinaus. Fast alle Moerser Intendanten haben ihre Bühne als „Labor“ bezeichnet, weil sie kein Abosystem bedienen müssen und große künstlerische Freiheit haben. Im Prinzip hat man in Moers die Vorteile einer städtischen Bühne mit – wenn auch sehr überschaubaren – Gewerken und Strukturen, verbunden mit der Offenheit eines freien Theaters. Immer wieder kommen wunderbare junge Schauspieler:innen, weil sie hier gleich große Rollen spielen können (und müssen), aber auch inhaltlich mitarbeiten, recherchieren, den Spielplan prägen können. Sie sind zwar nach ein paar Jahren meist wieder weg, doch viele erzählen zum Teil noch lange Zeit später, dass sie prägende Jahre in Moers erlebt haben.
Nach dem Weggang Holk Freytags nach Wuppertal haben Pia Bierey und Rupert J. Seidl viel Herz für schräge Poesie gezeigt, unvergesslich ist der Karl-Valentin-Abend mit Seidl als Wiedergänger des anarchischen bayerischen Komödianten. Johannes Lepper hat von 1999 bis 2003 in Moers vor allem Klassiker in explosives Körpertheater umgesetzt, was in der bei kleinen Spielstätten unvermeidlichen Tuchfühlung zum Ensemble zu rauschhaften Erlebnissen führte. Besonders in Erinnerung ist seine komödiantisch-abgründige Inszenierung von Samuel Becketts „Warten auf Godot“ in der kleinen Kapelle an der Rheinberger Straße, ein idealer Spielort für die vier Stunden lange Aufführung.
Seit 21 Jahren ist nun Ulrich Greb Intendant am Schlosstheater Moers. Nur Roberto Ciulli im benachbarten Mülheim an der Ruhr ist in diesem Bundesland noch länger im Amt als er. Die Theater in Mülheim und Moers haben weitere Dinge gemeinsam. Das Kernensemble ist über viele Jahre hinweg zusammengeblieben und zu einer unverwechselbaren Einheit gewachsen. An beiden Theatern haben die Beschäftigten ein großes Mitspracherecht. Ciulli war auch Ulrich Grebs Theaterlehrmeister. In Mülheim war Greb nach dem Studium erst Assistent, dann schnell Regiemitarbeiter. „Er hat mein Theaterverständnis vom Kopf in den Bauch verlagert“, hat Greb einmal erzählt und von Proben mit der legendären, früh verstorbenen Schauspielerin Gordana Kosanovic berichtet. „Bei ihr habe ich erlebt, wie eine Schauspielerin auf einer leeren Bühne den Raum verzaubern kann. Das hat mir Horizonte geöffnet.“
Es passiert selten, dass Intendanten so lange an einem Haus bleiben. Das Schlosstheater Moers ist ein Beweis, dass so etwas große Vorteile haben kann. Hier ist nach vielen Gesprächen eine andere Arbeitsorganisation entstanden. Normalerweise wird in
Stadttheatern zweimal am Tag geprobt, von 10 bis 14 Uhr und von 18 bis 22 Uhr. Das ist gut für die Regisseure, die zwischendurch die Proben auswerten und neue Ideen entwickeln können. Die Schauspieler:innen allerdings haben oft wenig von der Pause am Nachmittag, Familien und Privatleben leiden unter den Arbeitszeiten. In Moers wird am Stück von 10 bis 16 Uhr geprobt, es gibt außerdem freie Tage, um die außerordentliche Belastung an den Wochenenden auszugleichen. Wenn man auf der Bühne Höchstleistungen sieht und das Ensemble alles gibt, ist das auch möglich, weil Ruhepausen ermöglicht werden. Arbeitnehmerfreundliches Arbeiten befördert die künstlerische Leistung.
Der Kompagniegedanke prägt das Haus. Das äußert sich auch darin, dass Schauspieler:innen eigene Regiearbeiten übernehmen können. Das schränkt die Möglichkeiten, Gäste zu engagieren, etwas ein. Doch immer wieder haben in Moers Regisseur:innen inszeniert, die wie Philipp Preuss und Kay Voges heute zu den Stars der Szene zählen oder wie Susanne Zaun und Barbara Wachendorff ganz eigene Wege im Jugend- und Dokumentartheater gehen. Gerade hat Damian Popp, einer der interessantesten jungen Regisseure, zum zweiten Mal in Moers inszeniert. Seit 2006 gibt es auch das Junge Schlosstheater Moers, in dem Profis und Laien zusammen spielen.
21 Jahre an einem Haus – da liegt der Verdacht nahe, es könntensich Gewohnheiten und Routine einschleichen. Und das sind meistens Vorboten der künstlerischen Stagnation. Davon ist beiUlrich Greb in Moers überhaupt nichts zu spüren, im Gegenteil. Gerade weil seine Inszenierungen das Haus prägen, ist es wichtig, dass er keine Marke, keinen festgelegten Stil entwickelt hat. Mal greift er – wie in der packenden Aufführung von Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“ – zum Mittel der bösen Groteske. Dann sucht er – wie in Horváths Stück „Zur schönen Aussicht“ – subtil nach den Momenten, in denen Fremdenhass und Faschismus entstehen. Alle Aufführungen sind sehr körperlich geprägt. Im Horváth-Abend entsteht ein Erdbeben ausschließlich durch das Vibrieren, Taumeln und Fallen der Schauspieler:innen.
Werfen wir einen genaueren Blick auf drei Inszenierungen: 2010, „Der Kirschgarten“. Fünf Personen spielen einen Tschechow. Da war das Schlosstheater gerade mal wieder einer kommunalen Kürzungsattacke wegen einer Schuldenkrise entgangen. Den ökonomisch nutzlosen, aber für die ganze Region wertvollen Kirschgarten als Symbol der bedrohten städtischen Kultur zu deuten, lag nahe. Ebenso wie die Gefahr von Zeigefinger und Larmoyanz. Heraus kam ein Abend voller Energie und Spielwut.
In Moers ist durch viele Projekte eine Kompetenz gewachsen beim Umgang mit Menschen und ihren Grenzerfahrungen. Theater als offene, ehrliche Recherche, humorvoll und provokant, feinfühlig und bildermächtig.
Die fünf verkörpern zunächst die Wartenden auf dem verschuldeten Landgut der in Paris lebenden Ranjewskaja. Dann gleiten sie in verschiedene Rollen hinein, was mehrere Deutungen zulässt. Die Einfachste wäre, dass die einsam vor sich hin brütenden Menschen die ganze Geschichte imaginieren. Es gibt viele surreale Momente in dieser Aufführung, Träume, Fantasien, Erinnerungen. Es ist ebenfalls reizvoll, nachzuvollziehen, wie genau
die Wechsel passieren, wer wann wen spielt. Denn oft liefert ein einziger Schauspieler These und Antithese zugleich für die Frage, wie mit der Krise umzugehen sei. Doch man kann sich auch problemlos den wechselnden Situationen und Personenkonstellationen hingeben und der Geschichte folgen. Diskurstheater auf hohem ästhetischen Niveau mit direkter emotionaler Wirkung. Frank Wickermann – einer der über zwei Jahrzehnte prägenden Schauspieler des Ensembles und viel zu früh verstorben –zeigt als Lopachin einen zutiefst zerrissenen Menschen. Er kauft den Kirschgarten, doch im Moment des Triumphs packt ihn das heulende Elend. Lopachin schlägt mit einer Axt auf ein Klavier ein, das wie der Kirschgarten ein Symbol für Kultur und Tradition ist. Die Tasten zersplittern, das Holz fliegt durch die Luft, immer wieder drischt Lopachin auf das Instrument, bis zur Erschöpfung. 2012, „Elefant im Raum“. Die Aufführung ist Teil der Kampagne „Über/Gehen“, einer Auseinandersetzung mit der Ausgrenzung von Tod und Sterben in unserer Gesellschaft. Zwei Schauspieler:innen (Katja Stockhausen und Matthias Heße) spielen mit zwei Laien, Expert:innen für die Todesnähe, die sie selbst erlebt haben. Andere werden per Video zugespielt. Die 20-jährige Lisa Graef steht direkt vor dem Publikum: „Meine Schleimhäute waren ganz kaputt.“ Lisa Graef erzählt ihre Geschichte nüchtern. Ich konnte nicht mehr richtig reden. Meine Spucke war ganz fies dick. Ich hatte nur noch Matsch im Mund.“ Barbara Wachendorff, die in Moers auch einen grandiosen Abend mit Demenzkranken inszeniert hat, zeigt kein Depri-Dokutheater. Sondern eine witzige Aufführung, die vom Überleben handelt.
In Moers ist durch viele ähnliche Projekte eine Kompetenz gewachsen beim Umgang mit Menschen und ihren Grenzerfahrungen. Theater als offene, ehrliche Recherche, humorvoll und provokant, feinfühlig und bildermächtig. Die jungen Leute wollen nicht auf ihre Krankheit reduziert werden. Das ist die wichtigste Aussage des Abends. Sie hassen es, wenn alle gleich einen Mitleidsblick bekommen und nur noch Rücksicht auf sie nehmen. Gleichzeitig erleben sie, dass sie ihre Krankheit nicht immer erwähnen sollten. Eine junge Frau hat sich als Krankenschwester beworben und immer in die Bewerbung geschrieben, dass sie selbst an Krebs erkrankt war. Sie hat keine Antwort bekommen. Als sie ihre Krankheit verschwieg, änderte sich das.
2020, „Parade 24/7“. Sechs Schauspieler stehen mit dem Rücken zum Publikum. Sie tragen graue Anzüge. Einzelne Körperteile zucken rhythmisch, erst die Schultern, dann die Beine. Mit dem Rausch des Rave hat das nichts zu tun. Aber die Choreografie nimmt das Gefühl auf, Teil einer Masse zu sein, die sich bewegt. Nur dass es diesmal eine Art Requiem ist, eine Trauerzeremonie für die 21 Toten und weit über 500 Schwerverletzten bei der Loveparade 2010 in Duisburg. Zehn Jahre nach der Katastrophe wendet sich das Schlosstheater gegen das Vergessen.
Choreograf Constantin Hochkeppel hatte damals gerade den Studiengang Physical Theatre an der Folkwang Universität der Künste in Essen absolviert. Zu den zuckenden Körpern in den grauen Anzügen hat Ulrich Greb eine Klangcollage entwickelt, die ausschließlich aus Originaldokumenten vom 24. Juli 2010 besteht. Man hört die Stimmen von Radiomoderator:innen und Sicherheitskräf-
ten. Immer wieder werden sie von Störgeräuschen unterbrochen, sogar die Funklöcher sind in der Collage genau nachvollzogen. Es folgen Berichte von Augenzeugen. Das Ensemble spricht sie im Plusquamperfekt, um Distanz zu den Texten zu schaffen. Paradoxerweise kommen sie einem gerade deshalb sehr nah. Der dritte Teil der Aufführung beschäftigt sich mit der Aufarbeitung der Katastrophe. Weiterhin gibt es ausschließlich Originaltexte, mit einer Quellenangabe am Ende. Das Ensemble rottet sich zusammen, bildet eine graue Wand der Anzugträger. Schließlich holen die sechs Menschen auf der Bühne Einstecktücher aus den Jacken und lassen sie verschwinden. Es sind durchschaubare Taschenspielertricks, doch sie funktionieren. So ist auch in Duisburg jede individuelle Schuld irgendwie verschwunden.
Im nächsten Sommer wird es in Moers einen Wechsel geben. Jakob Arnold und Daniel Kunze übernehmen als Intendantenduo. Eine noch größere Veränderung steht dem Theater selbst bevor. Auf dem Kastellplatz vor dem Schloss soll ein neues, klimaneutrales Theater gebaut werden, ein Ort für die Kunst und auch für die Forschung. Das Land NRW und der Bund tragen 80 Prozent der Baukosten. Es ist ein Ergebnis jahrelanger politischer und künstlerischer Entwicklungsarbeit und ein Bekenntnis, dass aus Moers das Schlosstheater nicht mehr wegzudenken ist. T
Die Preisverleihung findet am 14. September im Schlosstheater Moers statt.
Zum Tod des Regisseurs und Schauspielers Alexander Lang
Von Hans-Dieter Schütt
Geister. Sie spielen das lustigste Stück: Wie elend schwer ist es, ein Mensch zu sein. Huschende Figuren ganz in Weiß vor dunklem Urgrund; sie leuchten kurz auf wie Sternschnuppen, auf irrenden Wegen vom Nichts ins Nichts. Die Groteske tänzelt in die Katastrophe, die Tragödie in die Farce. Gestalten wuseln durch Gefangenschaften – im Reich ihrer Angst. Bilderbögen aus lauter Daseinsbruchstücken. Theater auch als Schranzen-Schaukasten. Irgendwo zwischen Kafka und Kleinem Prinzen.
Alexander Langs Ver-Körperungskunst: Man konnte mit jeder Szene in jeder seiner Inszenierungen beweisen, dass dieser Regisseur am geschichtsgeilen Menschen verzweifelte – und doch stimmte auch das aufrichtende Gegenteil: Die Körpersprache, die er (er-)fand, entstammte
einer geradezu unschuldigen Kindheitsphase der Menschheit, sie war gleichsam vormoralisch, sie kasperte. Lang misstraute einem Realismus, der das Theater als Welterklärungsmodell vernutzt. Seine Spielbudenwelt war immer künstlich bis ins Letztnotwendige, und oft war just dies: das beglückend Höchstmögliche.
Einzigartig 1978 jener Aufstand dreier Schauspieler am Deutschen Theater Berlin, die sich ihre Regie selbst schufen. Alexander Lang, Roman Kaminski und Christian Grashof erarbeiteten mit „Philoktet“ eine der atemberaubendsten Interpretationen Heiner Müllers. Und damit war der DT-Regisseur Lang geboren – sein Arena-Ambiente, seine Manege-Magie. Athol Fugards „Die Insel“, dann Brechts „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“. Und wieder Christian Grashof. Zu sehen war
gleichsam die Vorform eines schmiegsamschmierigen Arturo Ui.
Der Höhepunkt jener künstlerischen Gemeinsamkeit mit Lang: dessen „Dantons Tod“, 1981. Das bleibt grandios für alle Zeiten. Grashof als Danton und Robespierre zugleich. Ein furioser Parcoursritt der Regie über jenen schmalen Grat, auf dem sich widerstreitende Geschichtskonzepte zum tödlichen Konflikt zuspitzen: Stets gehören Utopie und Guillotine zusammen. Den Furchtlosen gehört die Revolution, dann aber wird die Revolution fürchterlich – weil sie die Furcht vor sich selber nicht los wird. Am Deutschen Theater war unversehens das Scheitern der DDR zu sehen – ein unzensiertes Wahrheitswunder auf der Bühne. Kunst wider jeden ideologischen Eisengeist, rot wie der Rost und das Blut. Als kraftvoller Harlekin hat Lang am Traditionstempel DT die Ästhetik der Ausmalung, der psychologischen Tiefgründe aus den Kulissen getrieben. Schon die expressive, ja expressionistische Spielweise in Tollers „Der entfesselte Wotan“ hatte der Truppe, hausintern, den Vorwurf eines „Marionetten- und Turntheaters“ eingebracht – was durchaus politisch denunzierend gemeint war.
Arbeit an unspielbar geltenden oder verachteten Stücken des „klassischen“ Erbes: verblüffend, wie aus Stoff Sprengstoff wurde. Grabbe, Euripides, Goethe. Der Mensch, gewaltig und gewalttätig, abgrundtief-tragisch in seiner Machtverzweiflung. Ob in einer Epoche oder in einer Ehe. „Totentanz“ von August Strindberg wurde dann zu einer Art Endspiel dieser bildscharfen Theaterzeit. Lang ist mit grotesker Schärfe gegen die deutsche Pathosallergie bei traditionellen Stoffen zu Felde gezogen. Johannes R. Bechers „Winterschlacht“ versetzte er mit einem Vorspiel Heiner Müllers („Wolokolamsker Chaussee I“): Rotarmisten, die sich vorm Kriegstod fürchten – Intendant Dieter Mann setzte das gegen besorgte Mythenwächter hinter Berliner Funktionärsschreibtischen durch.
Langs Eigenart schuf im Deutschen Theater eine Ensemble-Insel. Er hatte ein sehr eigenes Kraftfeld aufgebaut, fast hermetisch. Er faszinierte, auf und hinter der Bühne, mit Ausschließlichkeitsansprüchen. Man konnte zusehen, wie er sich an Feinden im eigenen Hause geradezu aufrichtete, sich mit gleißenden Bildern skepsisschwarz abschottete. Es festigte sich mehr und mehr der Eindruck, da habe sich einer so trotzig wie verloren eingepuppt. Zunächst in schöner, wirksamer Freiheit, dann in schaurigem, schäumendem, auch still geschlucktem Frust. Er hätte gern mehr gewollt, mehr gekonnt an diesem Olymp des DDR-Theaters, ihn drängte es in ein leitendes, umstürzendes Entscheidungszentrum, er sah sich wohl umzingelt von Biederkeit – und ging Mitte der achtziger Jahre in den Westen. Weltoffenheit? Dort? Am offensten allüberall sind Fallen, denn: Sie wollen zuschnappen. Alexander Langs Fallen hießen: Leitungsarbeit am falschen Ort, zu falscher Zeit (Schauspieldirektor in Hamburg, Ko-Intendant in Westberlin).
Irgendwann wurde seine Kunst immer trauriger. Verschlüsselter Leerlauf. Ein heimatlos gewordener Künstler plötzlich. Was einst Format war, erstarrte zur Form. Dann aber, weit nach dem Ende der DDR, am Maxim Gorki Theater Gorkis „Nachtasyl“! Die Verelendung, die das Stück erzählt, war in seiner Inszenierung keine des fehlenden Brotes, sondern eine des Herzens. Alle liebten falsch, spielten falsch, redeten falsch. Aber für Momente, die sich einbrannten, waren diese Menschen des falschen Lebens plötzlich im richtigen Theater: Sie schauten sich selbst zu, und hinter den düsteren Stirnen sah man den helle denkenden Gram.
Im Regisseur Lang, dem Plakatmaler aus Erfurt, 1941 geboren, lebte immer der Schauspieler Lang. Er rückte sich weg von der sogenannten Realität, er knautschte, er schlenkerte, er nölte. Von Schiller zu Volker Braun, also vom Ferdinand zum Kipper Paul Bauch: vom Kopf, der an zu niedrige Himmel stieß, zum Arbeiteruto-
pisten im Tagebau, der sich ein Büchergebirge unter die Füße wuchtete, um dem sternigen Weltall näher zu sein.
Er hat die Schlaksigkeit in den Kunststand erhoben; es klaffte zwischen dem Spieler und dem Gespielten stets so ein strichdünner Spalt; durch den sah man, wie ein großer trauriger Junge in einem überbunten Kinderzimmer sitzt. Böse und listig gestimmt, das alles zu versenken. Das war die Theaterwelt des Alexander Lang, der seinen Figuren, ob Kleist oder O’Casey, diese unverkennbare thüringische Dialekteinfärbung mitgab – so dass sich alles Hohe, das sie sagen wollten, mit allem Niederen, das sie erleben mussten, zu einer müde rebellischen Melancholie kurzschloss. In Aufführungen von Adolf Dresen, bei Alexander Stillmark und Klaus Erforth. Sehr viel später bei Robert Wilson und Thomas Langhoff am Berliner Ensemble. Filme wie „Graf Yorck von Wartenberg“, „Solo Sunny“ oder „Leichensache Zernik“ bereicherte er mit seinem versunkenen Ernst, seiner ungelenken Würde, seiner still präsentierten Distanz. Hinter jungenhafter Ruppigkeit die Ahnung, dass schon der geringste Schmerz die Welt infrage stellt.
Er blieb sich in einem treu: Er wollte nie der Turner sein, dem aufgegeben war, in stocksteifer Normzelle zu überwintern; so wurde er der vereinsamte Extremist mit unbändiger Sehnsucht nach Partnerschaft. Die Zeit, die ihn als Novum pries, hat ihn später verraten. Er ist dann, in Berlin, ein aufbauender Regisseur für Studenten geworden – gibt es eine größere Zuversicht ins Theater? Am letzten Maientag dieses Jahres ist Alexander Lang mit 82 Jahren in Berlin gestorben. T
Filmemacher und Theaterregisseur Thomas
Von Thomas Irmer
Auf ganz ungewöhnliche Weise stehen eine Handvoll Theaterinszenierungen und eine vielfach größere Zahl an Dokumentarfilmen im Werk von Thomas Heise nebeneinander. Als er die erste Theaterarbeit im Oktober 1993 am Berliner Ensemble mit Brechts „Brotladen“-Fragment zur Premiere bringt, ist Heise gerade für seinen Film „STAU – Jetzt geht’s los“ über rechte Jugendgewalt in Halle-Neustadt im Gespräch. Damals begann die Kontroverse,
ob das Phänomen seine Wurzeln in der DDR habe oder doch eher das Unbehagen einer wütenden Wende-Jugend zeige. Der Film gibt darauf keine Antwort, nimmt das Gefilmte als Material, das freilich in der Montage doch ein aus den vielen Beobachtungen zusammengesetztes Bild ergibt.
Material war ein zentraler Begriff für Heise, mit dem er auf unverstellte Wirklichkeit zielte, die aber durchaus mehrere historische Dimensionen erkennen lassen sollte. 2009 stellte er einen mehrstündigen Film mit diesem Titel zusammen, der u. a. recht ratlose Probenbesprechungen des Regisseurs Fritz Marquardt zeigt, der am Berliner Ensemble 1988 Heiner Müllers „Germania Tod in Berlin“ vorbereitet. Der Regisseur zaudert, Entscheidungen zu treffen, und alle warten schweigend um einen Tisch herum im immer dichteren Zigarettenqualm. Ein ungewöhnliches Dokument, denn Theaterfilme wollen ja meist das Gelingende für die Nachwelt präsentieren. Von der dann doch beachtlichen Inszenierung ist nichts zu sehen, stattdessen ist in einen späteren Teil von „Material“ montiert, wie Marquardt eine nicht näher identifizierte, schon von Gestrüpp überwucherte Ruine untersucht. Das kann man als symbolisches Bild für die spezielle Methode gleich beider Regisseure sehen – muss man aber nicht, und erklärt wird es ohnehin nicht. Das wäre Heises Art nicht gewesen.
Sein Regiestudium an der Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg brach er kurz vor dem Abschluss 1982 ab. Wenige Jahre später wurde er an der Akademie der Künste Meisterschüler von Gerhard Scheumann, der mit seinen wirkungsvollen anti-imperialistischen Dokumentarfilmen über Chile und Vietnam eine ganz andere Richtung darstellte als die, die Heise bereits eingeschlagen hatte. Das dürfte dem auf Unabhängigkeit bedachten Heise einen gewissen Schutz verschafft haben. Der eigentliche Mentor wurde jedoch Heiner Müller, dessen Theaterarbeit er nun immer wieder be-
gleitete. 1988 entstand aus dem Material, das er um Müllers „Lohndrücker“ am Deutschen Theater gewann, das Porträt „Der Ausländer“.
Die Phase der Theaterarbeit setzte mit Müllers Ko-Intendanz am Berliner Ensemble ein. Im „Brotladen“ besetzte Heise neben gestandenen BE-Schauspielern Schauspielstudenten, zwei Kinder und auch Techniker der Produktion und machte damit klar, dass es ihm mit diesem Brecht-Stück nicht um ein Virtuosentheater geht, sondern eher um die Darstellung des Textes als Material. Für Heiner Müllers „Zement“ zog er in eine stillgelegte Fabrikhalle als Realbühne der Geschichte. 1995 folgte die Uraufführung „Im Schlagschatten des Mondes Hänsel und Gretel“ von Michael Wildenhain, einem jungen West-Berliner Autor, der ähnlich wie Heise in „STAU“ nach den tieferen Gründen für rechte Jugendgewalt suchte. Heise besetzte für einen frappierenden Verfremdungseffekt das Stück mit zehn- und elfjährigen Kindern, von denen er forderte, sich beim Textlernen zu Hause nicht von den Eltern beeinflussen zu lassen.
1998 inszenierte er zum BrechtJubiläum mit „Jae Fleischhacker“ noch ein Fragment aus dem Nachlass, doch die bald folgende Ausrichtung des Berliner Ensembles durch Claus Peymann konnte keine künstlerische Heimat für Heises Auffassungen von einem Theater mit und nach Brecht mehr sein.
Als letzte theatrale Aktion darf die Live-Beschriftung auf dem Boden des Foyers der Akademie der Künste mit dem Text von Volker Brauns „Luf-Boot“ durch drei von Heise im Projekt „Notizen“ angeleitete Schauspielstudent:innen gelten (siehe TdZ 04/2022), mit der Heise seine Idee vom Text als räumlich-visuelle Dimension in der Nachfolge seines letzten großen, vierstündigen Filmes „Heimat ist ein Raum aus Zeit“ (2019) schon angelegt hatte – als eine weitere Facette seiner auch international beachteten und vielfach ausgezeichneten, allerdings noch gar nicht ganz für
Künftiges im Dokumentarfilm erforschten Materialästhetik. Da dürfte einiges widerständig wirken, gerade in einer Kultur der allzu schnell zurechtgemachten Bilder und ihrer Formate.
Thomas Heise war, wenn man das so nennen kann, auch ein filmpolitischer Künstler. Während der letzten Berlinale wurde auf sein Betreiben der vor über 20 Jahren entstandene israelisch-palästinensische Dokumentarfilm „Route 181“ von Michel Khleifi und Eyal Sivan als Tiefenbohrung zum aktuellen Gaza-Krieg in der Berliner Volksbühne gezeigt. Als Juror des Konrad-Wolf-Preises 2023 setz-
te er sich für Julian Assange ein und ließ nach der Preisverleihung in Abwesenheit dessen Wikileaks-Material von den amerikanischen Einsatzkameras aus Schussperspektive gleichsam als erschütternden Dokumentarfilm journalistischer Aufklärung zeigen.
Am 29. Mai 2024 starb Thomas Heise, am 24. Juni wurde er in Berlin beerdigt. Es war der Tag, an dem Julian Assange freikam. T
Mit Trauer und Anteilnahme geben wir Nachricht vom Tod unseres ehemaligen Kollegen
Prof. Henning Schaller
21.1.1944–24.7.2024
Er hatte von 1992 bis 2009 eine Professur für Bühnen- und Kostümbild an der HfBK Dresden inne. Mit seinem kreativen und konstruktiven Wirken in der Lehre wie auch der Selbstverwaltung, vor allem durch seinen Einsatz für die Etablierung des Labortheaters der HfBK Dresden, hat er die Hochschule nachhaltig geprägt. Professor*innen, Mitarbeiter*innen und Absolvent*innen der HfBK Dresden verlieren einen hochgeschätzten Künstlerkollegen und werden ihn dankbar in bester Erinnerung behalten. Unser Mitgefühl gilt seiner Familie.
Im Namen aller Mitglieder der Hochschule Prof. Oliver Kossack Rektor
Tragödie von William Shakespeare / ab 14 Jahren
„POPP! STOLIZEI!“ (5+) (UA) von Annalena Küspert AB SEPTEMBER 2024
HAMLET von William Shakespeare AB OKTOBER 2024
MOMO (6+) von Michael Ende AB NOVEMBER 2024
MONDSCHEINTARIF von Ildikó von Kürthy AB NOVEMBER 2024
ANTIGONE von Sophokles AB FEBRUAR 2024
STATE OF THE UNION von Nick Hornby AB JUNI 2024 2024/2025
INFOS & KARTEN
facebook.com/theateraalen @theaterderstadtaalen
SOLO (UA) von Labande Dordur AB MÄRZ 2024
ESCHENLIEBE von Theresia Walser AB MÄRZ 2024
BILDER DEINER GRO ßEN LIEBE (13+) von Wolfgang Herrndorf AB MAI 2024
Jubiläumsspielzeit ——— 200 Jahre
Premieren
21. 09. 24
Die Möwe von Anton Tschechow Regie: Alina Fluck
19. 10. 24
The Indian Queens Semi-Oper von Colectivo Yama nach Purcell und Dryden Regie: Carlina Derks Bustamante & Daniel Cremer Uraufführung
AKZENT Barock! Gefördert durch »Neue Wege« des NRW KULTURsekretariats
27. 09. 24
Die Nichtbesucherin. Etüden für ein Gebäude
Audiovisuelle Performance von POLLYESTER
Text, Regie & Musik: POLLYESTER Uraufführung
15. 11. 24
Der blaue Vogel von Maurice Maeterlinck Regie & Bühne: Helga Lázár
16. 11. 24
Der Untergang des Hauses Usher Ein Schauerstück mit Texten von Edgar Allan Poe und Wilke Weermann Regie: Wilke Weermann
17. 01. 25
Unser Deutschlandmärchen nach dem Roman von Dinçer Güçyeter Regie: Antigone Akgün
18. 01. 25
Oppenhoff
Eine Widerstands-Revue von Florian Fischer und Ensemble
Regie: Florian Fischer Uraufführung
15. 03. 25
Baumeister Solness von Katharina Grosch nach Henrik Ibsen
Regie: Katharina Grosch
22. 03. 25
Das Portal von Nis-Momme Stockmann Regie: Alexander Marusch
02. 05. 25 fünf minuten stille von Leo Meier Regie: Lucien Strauch
Wiederaufnahmen
15. 09. 24 »Ach!«
Ein Kleist-Porträt von und mit Jonas Dumke
26. 10. 24
Lady Tartuffe von StuhlerKoslowski nach Delphine Gay Regie: Jan Koslowski & Nele Stuhler | Uraufführung
13. 02. 25
Vom Fischer und seiner Frau
Musikalisches Märchen Regie: Katharina Grosch Uraufführung
12. 04. 25
House of Karls Rap-Spectaculum von Dlé Regie: Florian Hertweck Uraufführung
30. 05. 25
Das Leben ein Clown von Charlotte Lorenz und Jakob D’Aprile Regie: Charlotte Lorenz und Jakob D’Aprile Uraufführung
Schauspiele von Sophokles und Lot Vekemans
WALD UA
Schauspiel von Miriam V. Lesch
2048 UA
Schauspiel von Lorenz Langenegger
STOLZ UND VORURTEIL* (*ODER SO)
Komödie von Isobel McArthur nach Jane Austen
Tragödie von William Shakespeare
Schauspiel nach Theodor Storm
Komödie von Eduardo de Filippo
PIRATENREPUBLIK AT UA
Stückentwicklung von Łukasz Ławicki und Reinar Ortmann
Schauspiel nach George Orwell
Schauspiel von Anja Hilling
Die Geschichte vom Baum von Ingegerd Monthan / Premiere → 27.09.24 Inszenierung → Lucia Reichard
Aus unseren Feuern von Domenico Müllensiefen / Uraufführung → 28.09.24 / Inszenierung → Maik Priebe
Inoffizielle Gefühle
Ein Recherchestück zu queerem Leben in der DDR Uraufführung → 17.10.24 Neustrelitz Inszenierung → Wenzel Winzer und Patrick Heppt
Als ich fortging … Ein Liederabend aus einem anderen Land von Thomas Möckel und Maik Priebe
Premiere → 09.11.24 / Musikalische Leitung → Thomas Möckel / Künstlerische Leitung → Maik Priebe
Die verzauberten Brüder von Jewgeni Schwarz Premiere → 06.12.24 / Inszenierung → Johanna Schall
Anna von Ella Hickson / Deutschsprachige Erstaufführung → 08.02.25 / Inszenierung → Walter Meierjohann
Wege übers Land
Nach dem Roman von Helmut Sakowski Uraufführung → 29.03.25 / Inszenierung → Maik Priebe
How to Date a Feminist Komödie von Samantha Ellis / Premiere → 04.04.25
Nach 1000 Jahren im Mai Szenische Collage zum 8. Mai 1945 von Ute Frings, Nikolaus Merck und Thomas Möckel Premiere → 08.05.25 / Künstlerische Gesamtleitung → Stefanie Esser, Jürgen Esser
Polizeiruf 110
Folge 2: Turnvater Jahn / Premiere → Frühjahr 2025 Künstlerische Leitung → Simone Kaufmann
Marlene Schauspiel mit Musik von Pam Gems Premiere → 13.06.25 / Musikalische Leitung → Johan Leenders / Inszenierung, Bühnen- und Kostümbild → André Kaczmarczyk
Meister und Margarita
Nach dem Roman von Michail Bulgakow
Mind the Gap
Hugo, das Kind in den besten Jahren
05.10.24
Mehrsprachiges Stück von Jenke Nordalm und Julie Paucker ab 12.10.24
ab 6
Familienstück nach dem Roman von Christine Nöstlinger
Doping
Komödie von Nora Abdel-Maksoud
Beyond
Installativer Abend über die letzten Fragen von Andreas Schäfer
Spring doch
ab 6
Kinderstück von Andri Beyeler über das Mutigsein
Nora oder Wie man das Herrenhaus kompostiert
Ich, Akira
Monologstück für einen Hund mit einer Frage von Noëlle Haeseling und Leo Meier
The Sky is der Himmel
Ein Stück über die Sehnsucht nach unendlicher Energie von Natalie Baudy und David Moser
Ewig Sommer
Tanz und Schauspiel nach Motiven aus dem Roman von Franziska Gänsler
23.11.24
06.12.24
24.01.25
26.01.25
Ibsen-Remix von Sivan Ben Yishai ab 22.02.25
22.03.25
29.03.25
12.04.25
Endspiel (Eröffnung internationales figuren.theater.festival) von Samuel Beckett, eine Machtprobe zwischen Puppen und Menschen ab 22.05.25
Prosa für Elisabeth von Händl Klaus ein Projekt im Theatercontainer über Absurditäten des Alltags ab 26.06.25 Mensch.Sein.
Ein Projekt der Bürger:innenbühne im Kirchner-Skulpturengarten ab 05.07.25
Spielzeit 24/25 im Überblick und vieles mehr // Wiederaufnahmen: Per Anhalter durch die Galaxis, Die Leiden des jungen Werther, Die unglaubliche Geschichte von der Riesenbirne, … // Offenes Haus: Familienkonzert Die vier Jahreszeiten, Talkformat Amt 44, DRAMA atelier, … //
Karten und Infos unter schauspiel-erlangen.de
Opening Night von John Cassavetes
Regie Mirja Biel
Pinguine können keinen Käsekuchen backen von Ulrich Hub Regie Katharina Mayrhofer
Istanbul von Selen Kara, Torsten Kindermann und Akın Emanuel Şipal Regie Aslı Kışlal Hamlet von William Shakespeare
Regie Christoph Mehler
Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch von Regie Martina van Boxen
Der Menschenfeind Molière Tilo Nest
L3ONCE und L3N4 – esc esc esc!
Natalie Baudy und David Moser nach Büchners „Leonce und Lena“
Identitti
Mithu Sanyal Atif Mohammed Nour Hussein
Radio Sarajevo von Tijan Sila Regie Redjep Hajder
Spinne spielt Klavier nach dem Bilderbuch von Benjamin Gottwald Regie Momo Mosel
Die Ärztin sehr frei nach Professor Bernhardi von Arthur Schnitzler von Robert Icke
Regie Nurkan Erpulat
Das Gewicht der Ameisen von David Paquet
Regie Lorenz Leander Haas
Die Geierwally nach dem Roman von Wilhelmine von Hillern
Regie Frank Alexander Engel
Fabian oder Der Gang vor die Hunde von Erich Kästner in einer Bearbeitung von Mirja Biel Regie Mirja Biel
Im Sog – Hikikomori
Ein Projekt von Emma Mae Zich
Die Konferenz der Tiere nach dem „Buch für Kinder und Kenner“ von Erich Kästner
Fahrenheit 451 von Ray Bradbury Regie Sapir Heller
Pembo – Halb und halb macht doppelt glücklich von Ayşe Bosse
Regie Niko Ele heriadis
Lücke zum Glück von Volker Schmidt
Sonne / Lu / Asche von Elfriede Jelinek Regie Katrin Plötner
Weishaupt und die Gespenster
Au ragswerk von Björn SC Deigner
Regie Theresa Thomasberger
Der Hofnarr
Musical nach dem Film Der Hofnarr von Melvin Frank und Norman Panama von Vicky Schubert Regie Christian Brey
SCHAUSPIEL
Installative Performance von Hoffmann / Jang / Friebe / Ying / Eine Auseinandersetzung mit einem Text von Leslie Feinberge / ab 14 Jahren ab 14.09.
Jona Rausch über ihr Stück „Betonklotz 2000“, das Ihme-Zentrum in Hannover als Schausplatz und Klassismus
Im Gespräch mit Stefanie Schaefer Rodes und Nathalie Eckstein
Es gibt eine gewisse Dringlichkeit im Text. Worauf bezieht sich die Wut?
Jona Rausch: Ich finde es spannend, über diese Wutfrage nachzudenken, weil ich das Gefühl habe, dass sich meine Wut im Laufe der Zeit verändert hat. Früher dachte ich, es gibt sehr viel Abwertung von Verhalten oder Habitus oder von dem, worüber Menschen schreiben, die in Armut aufgewachsen sind. Ich war wütend, dass es kein Verständnis für die Lebenssituation und das Aufwachsen von Menschen in Armut gab, die vielleicht auch Literatur machen. Heute gilt meine Wut viel existenzielleren Sachen. Was alles gekürzt wird, wie sehr die soziale Ungleichheit wächst. Immer mehr Menschen können nicht mehr von ihrem Gehalt leben. Der thematische Fokus meiner Wut hat sich während der Bearbeitungszeit am Stück verschoben.
Plattenbau, Beton als Material und Brutalismus sind ästhetische Motive, die wörtlich zu verstehen sind, das Wort „brutal“ wird auch im Sinne von „Gewalt“ produktiv gemacht. Was hat es mit den Bildern auf sich?
JR: Für mich ist das wichtigste Bild das Klotzkind, das zwei Sachen verbindet. In meiner Vorstellung ist es dieses Graue, Dreckige, Eckige, Kantige, das aber gleichzeitig am poetischsten spricht. Für mich war das die Verbindung zwischen zwei Welten oder zwei Ebenen, die ganz brutal, aber doch irgendwie sehr zärtlich sind. Das Spannende am Plattenbau war für mich, dass es ein Übereinanderstapeln von Geschichten ist. Die Wand zwischen den verschiedenen Lebensrealitäten ist ganz dünn. Das ist ein Motiv, das sehr viel zulässt, weil alles unmittelbar nebeneinander stattfindet. Man muss gar nicht aufeinander reagieren, aber man bekommt immer alles mit. Ich habe auch darüber nachgedacht, inwiefern Architektur dafür sorgen kann, dass Ausschluss oder Lebensqualität stattfindet. Wo stehen meistens Plattenbauten? Wie laut ist es dort?
Im Betonklotz leben Menschen nebeneinander in einer westdeutschen Stadt, hier eben im „durchschnittlichen“ Hannover, in den Dialogen der Figuren werden Themen wie Anonymität, Zusammenleben und Aufwachsen in Armut konkretisiert. Inwieweit ist das exemplarisch?
JR: Ich glaube einerseits, dass das Ihme-Zentrum als dieser eine Betonklotz sehr besonders ist, weil er einer der wenigen ist, die gentrifiziert worden sind, wo Arm und Reich aufeinandertreffen, weil es da auch diese Luxuswohnungen gibt.
Andererseits habe ich in der Recherche für den Text viel gelesen und vor allem in zwei Büchern große Überschnei dun gen zu meinen eigenen Erfahrungen gefunden – „The Melan cholia of Class“ von Cynthia Cruz und ein Essay von Olivier David aus „Von der namenlosen Menge“. Es gibt ein paar Punkte, an denen Menschen, die in Armut aufgewachsen sind, ähnliche Biografien haben, gerade was Geschlechterdynamiken und Erfahrungen in der Schule betrifft. So etwas wie die Kleinigkeit, eine Liste mitzubringen, auf die man Wörter schreibt, die man schön findet. Das ist etwas, was extrem viele Leute gemacht haben. Eltern, die Krankheiten erfinden, weil das Geld vorne und
Das Gute an der Arbeitsteilung zwischen Autorin und Regie ist, dass eine neue Perspektive zur eigenen Arbeit dazukommt, neue Aspekte.
hinten nicht reicht, um noch 50 Euro Zuschuss zu bekommen. Die Angst aufzufallen und das sogenannte Impostor-Syndrom. Die Gewalt der Väter. Oder, wie in „The Melancholia of Class“ beschrieben, das Thema Essstörungen. Dass die Menschen weniger essen, weil sie verschwinden wollen – und auch im Außen ständig verdrängt werden, weil die auch wollen, dass man verschwindet –, da verkettet sich z. B. die Marginalisierung durch Geschlecht mit Armut. Diese Erfahrungen einzuarbeiten und dennoch die Individualität der Figuren zu bewahren, fand ich spannend.
Der Text beschäftigt sich mit Armut und Klassismus und bricht dabei mit bisher bekannten Narrativen. Was bedeutet Klassismus im Kulturbetrieb?
JR: Mit dem Wort „Literaturbetrieb“ sind immer nur die Menschen gemeint, die direkt drin sind und dann liegt der Fokus nur auf denen, die aufgestiegen sind. Das Problem ist, mir wird zugehört – ich bin allerdings in einer viel privilegierteren Position – im Gegensatz zu meiner Mutter, der es immer schlechter geht. Viele Menschen reden dann aber nur über diesen Teil: Was bedeutet es, als Arbeiter:innenkind in akademischen Räumen zu sein – dabei ist das nicht das Einzige, was wirklich wichtig ist. Klassismus bedeutet auch, dass es wenig Verständnis dafür gibt, dass ich z. B. das Bedürfnis habe, sehr transparent über Geld zu sprechen oder zu wissen, wer wie viel wann bekommt. Für mich hat das eine existenzielle Bedeutung und beeinflusst Entscheidungen, wie viel ich nebenbei arbeiten muss, da es keine Rücklagen gibt und viel Intransparenz herrscht. Im Literaturbetrieb liegt der Fokus stark auf Aufsteiger:innen oder Menschen, die einen Klassenwechsel gemacht haben. Doch neben der Akzeptanz von unterschiedlichem Habitus ist es auch wichtig, im Kopf zu behalten, was es bedeutet, Existenzangst zu haben. Was bedeutet das für gesundheitliche Fragen? Was bedeutet es, am Rand der Gesellschaft zu leben oder isoliert zu sein, wenn man die ganze Zeit nur arbeitet?
Der Text ist im Rahmen des Gratzer-Stipendiums entstanden, jetzt wird er am Schauspiel Hannover uraufgeführt. Was muss sich im Kulturbetrieb ändern in Hinblick auf Klassismus? Was wünscht du dir für die Zukunft? Was sind Hoffnungen oder Möglichkeiten zu kämpfen?
JR: Das ist ein großes Wort, aber ich würde gern gegen die Vereinzelung arbeiten. Theater hat dazu die Möglichkeit, weil es ein kollektiver und kollaborativer Prozess ist. Wir müssten auf einer individuellen Ebene einander vielmehr zuhören und über
Irgendwie wird über Armut so wenig gesprochen, weil das Vorurteil existiert, dass Leute an ihrer Armut selbst schuld wären. Es wäre wichtig, über die Gründe zu sprechen. Das sind Schritte gegen die Vereinzelung.
Privilegien und Unterschiede sprechen. Und, ganz praktisch: Geld umverteilen.
Es wäre allgemein sehr wichtig, eine größere öffentliche Sichtbarkeit zu schaffen, um über Armut zu sprechen und was es bedeutet, und dass ein großer Teil der Menschen inzwischen davon betroffen ist oder immer mehr davon betroffen sein werden. Irgendwie wird über Armut so wenig gesprochen, weil das Vorurteil existiert, dass Leute an ihrer Armut selbst schuld wären. Es wäre wichtig, über die Gründe zu sprechen. Das sind Schritte gegen die Vereinzelung.
TdZ: Der Text implementiert linke Begriffe und arbeitet mit einem politisch linken Gedächtnis. Die RAF, das Erinnern an Halim Dener und an Polizeigewalt kommen vor oder die Koketterie mit einem Stil, der sich aus Secondhand-Ware und Marx-Lektüre zusammensetzt – der Betonklotz wird selbst als „linksradikal“ bezeichnet. Was beutetet Linkssein in Deutschland? Wie kann aktivistische Praxis im Theater aussehen?
JR: Ich glaube, Linkssein ist ein sehr weiter Begriff. Wenn man das richtig allgemein beantworten wollte, würde es für mich bedeuten, dass es um ein gutes Leben für alle Menschen geht. Das klingt wie eine hohle Phrase, doch ein Fokus von linker Arbeit ist schließlich, gegen die Vereinzelung zu sein. Dabei geht es auch um Teilhabe von marginalisierten Gruppen genauso wie von Menschen, die von Armut betroffen sind. Links sein bedeutet, Leute wieder zu integrieren, also zu einer Gemeinschaft zu führen. Und Theater kann ein solcher kollektiver Ort gegen die Vereinzelung sein.
TdZ: Einen eigenen Text in andere Hände abzugeben, ist immer anspruchsvoll. Du hast einen sehr genaueren Blick und Perspektive. Hättest du auch Interesse, Regie zu führen?
JR: Ich finde den Gedanken sehr nice, dass jemand anderes etwas mit dem Text macht. Ich glaube, dass ich jetzt bei diesem allerersten Text die privilegierteste Position ever habe, weil meine Dramaturgin die ganze Zeit mit mir in Kontakt ist und sagt: „So ist das ok? Können wir das machen?“ und mich so daran teilhaben lässt. Das ist nicht üblich, soweit ich weiß.
Das Gute an der Arbeitsteilung zwischen Autorin und Regie ist, dass eine neue Perspektive zur eigenen Arbeit dazukommt, neue Aspekte. Momentan habe ich eher die Tendenz zu sagen, wenn ich Regie führe, dann nicht mit meinen eigenen Texten.
TdZ: Es ist auch ein poetischer Text – sowohl in Form als auch in Klang, das Klotzkind und der Betonklotz treten geradezu als allegorische Figuren auf. Wo sind die Grenzen zwischen Gedicht und Dialog für dich?
JR: Ich habe früher hauptsächlich Lyrik geschrieben, und es besteht immer eine Nähe zur Lyrik. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass, wenn ich so intuitiv runterschreibe, es dann meistens so ein Fließtext ist und sich danach Stellen, die ich ausarbeite, oft in Dialoge verwandeln. So war das am Anfang. Verschiedene Fließtexte, die sich aufgeteilt haben. Dann vermischen sich verschiedene Spracheben und -stile. Umgangssprache und Poesie, wie beim Klotzkind.
Die erste Frage ist: Wie fühlt sich das an? Und dann beim Überarbeiten passiert viel. Dann wird es dialogischer oder ausgearbeiteter, und dann verschwindet auch dieser erste intuitive Sprachentwurf, der vielleicht auch nur eine Perspektive einbezieht. Bei einem Dialog sollte es ja so sein, dass sich Feinheiten ergeben, die daraus mehr als einen Ton machen.
TdZ: „Betonklotz 2000“ scheint die Spitze von einem Eisberg zu sein. Gibt es weitere Themen, die du gerne in Inszenierungen besprechen oder veranschaulichen willst?
JR: Es ist immer viel zu viel in meinem Kopf. Ich habe gerade großes Interesse, über ME/CFS zu schreiben, also diese Krankheit, bei der Menschen nur noch im Raum liegen können und sich nicht mehr bewegen können, was eine Spätfolge von Corona sein kann. Da bin ich am Anfang der Recherche. Ich fange gerade an, mit einer Person von diesen Liegend-Demos zu sprechen, aber einen Termin zu finden, ist ein bisschen schwierig. Und jetzt gerade schreibe ich an einem Stück über den Male Gaze mit schmelzenden Körpern, doch ich weiß noch nicht genau, wie ich das richtig umsetzen werde. Wie kann ich darüber schreiben, ohne es zu reproduzieren? Und was kann ich machen, dass nicht nur eine Kritik am Male Gaze bleibt, sondern es irgendwie noch viel, viel tiefer geht? T
Jona Rausch (geboren 2002 in Minden) studiert Literarisches Schreiben in Leipzig. Sie hat in diversen Zeitschriften veröffentlicht wie Bella triste, Gym und Das Narr. Sie ist Herausgeberin der „Tippgemeinschaft 2023“ und arbeitet für das queere Jugendnetzwerk Lambda. In ihren Texten setzt sie sich mit Armut, Geschlecht und gesellschaftlichen Transformationsprozessen auseinander. Mit „Betonklotz 2000“ war sie für das HansGratzerStipendium 2023/24 nominiert.
Jona Rausch
Die Kinder vom Block (1, 2, 3, 4)
Die Einander-Fremden
Die Gewalt
Eine andere Gewalt
Der Betonklotz Das Klotzkind
B© Felix Bloch Erben GmbH & Co. KG, Berlin
Abdruck gefördert mit Mitteln des Deutschen Literaturfonds.
Bitte gieß mich in Beton
Ich will mich nicht bewegen, ich will nichts
mehr mitbekommen
Leg mich in Giesharz ein, trockne mich in der Sonne
Ich gebe mich dem Baustoff hin, betonvolle Kontrolle
Alle werden fallen: Beton
1 Brutal
Wie er in der Sonne glänzt
Wie seine ausgedehnten Ränder lila
schimmern
Wie er den Himmel aufreißt
Die Wolken an ihm hängenbleiben
In verletzter Landschaft steht
DER KLOTZ
Hier kreisen die Amseln, die Raben und Tauben
Hier suchen sie Futter und Das Wasser
Es funkelt
Schau
2 Ich schaue jeden Tag
Ich schaue raus und mein Blick findet keinen Halt
Das Wasser spiegelt
Das Graffiti auf der Brücke
Und meine Narbe
Spiegelt sich
Spiegelt mich
Und
Dieses Stück Beton
Das uns verbindet
Mit der durchschnittlichsten Stadt
Mit den durchschnittlichsten Menschen
Der durchschnittlichsten Armut
Durchschnittlichem Drogenkonsum
1 DER KLOTZ
2 Was er gewesen sein soll
4 Keine Ahnung
Juckt auch nicht
Der ist hässlich
1 Er ist Heimat
2 Gefängnis
3 Auf den Klingelschildern
Mit Klebeband befestigt
Sind Namen über Namen geklebt
Als wollte man das, was davor war, nicht auslöschen
4 Das hier ist Hannover
Hier wird das höchste Hochdeutsch gesprochen
In durchschnittlicher Tonhöhe
In durchschnittlichen Sätzen
In durchschnittlicher Auffälligkeit
2 Durchschnittlich politisch
3 Es gibt sogar einen durchschnittlichen See Der wurde von Nazis angelegt
2 Aber jetzt ist er schön
4 Jetzt kann man da reinspringen
Wenn die Temperaturen über dreißig Grad schießen
1 Das Wasser auf den Armen perlen lassen
Sich Bälle hin und her werfen
Hin und her
3 Durchschnittlich, wie die Gebäude stehen
Altbauten dicht an dicht mit Einfamilienhäusern
2 Durchschnittliche Uni
Mit Maschinenbau, na klar
4 Da steht er
1 Brutalistisch, klotzig, gescheitert
4 Peinlich seit den 70er-Jahren steht er da Der Klotz
2 Ja da wohnen tatsächlich Menschen
3 Kinder, die rauchen
1 Familien
3 Alleinerziehende
2 Alleinstehende
1 Hipster
4 Linke
2 Politiker
3 Klassenverräter
1 Singles
4 Einsame
3 Bekannte
2 Freunde
4 Bauarbeiterinnen
3 Lesbische Paare
1 Jobsuchende
2 Künstlerinnen
1 Menschen mit einer viel zu hohen KlarnaRechnung
3 MASCHA
4 ABDI
2 MAXIM
1 BELE
3 Aber auch Einander-Fremde
2 Im Hausflur begegne ich denen manchmal
Dann weiß ich nicht, was ich sagen soll Hallo, wie geht’s
Was sagt man zu Menschen
Die man jeden Tag sieht und doch nicht … kennt
1 Guten Tag
Ich hab da ihrer Mutter letzte Nacht beim Ficken zugehört
3 Ficken sagt man nicht
Das heißt Geschlechtsverkehr
2 C’mon
4 Sie stöhnt immer so laut
1 Ist das was Gefährliches oder Lust?
3 Ich bin so verwirrt davon
Wenn die Decke über mir bebt, dann Geht mich das ja nichts an
Ich will ihr nicht dabei
2 Beim Ficken
3 Dabei zuhören
4 Wer wohnt sonst hier
2 Zugezogene
4 Oder Zugezogene
1 Und
2 Ich
1 Ich
3 Ich
4 Ich
4 Willkommen im Genickschussviertel
Weil hier Ticker leben, sagen sie
Und der migrantische Anteil in diesem Viertel am höchsten ist
Wir leben hier
Das ist kein Problem für Linksgrüne
Die finden alles Multikulti nice Ich wollte immer wegziehen
Hab an Berlin gedacht Wien oder Köln
Aber 400 Euro für eine Wohnung?
Nirgendwo gibt es die noch Ich schwöre
2 Stell dir vor
Uns gehört dieser ganze Block Was wir alles damit machen könnten
4 2000 Menschen
800 Wohnungen
23 Stockwerke
Das hat Potenzial
1 Was ich mit so viel Raum machen würde
3 Nur Scheiße
2 Ein Atelier! Ein Gym
4 Fett, so ein Gym
2 Ein eigener Skatepark
4 Ein riesiges Aquarium
Eins, in das man hineingehen kann
1 Die Böden alle nur aus Trampolinen oder
2 Überall Poster und Wände
4 Eine Kletterwand oder
1 Mach doch ein Nudelrestaurant auf
2 Wenn Papi bisschen Geld fließen lässt Kann man hier ein Nudelrestaurant aufmachen
1 Die mit ihren Nudelrestaurants
Die haben die größten Zimmer hier
4 Die fucken am meisten ab
Ich will denen irgendwas gegen ihr Fenster werfen
Niemand will eure Scheißnudeln essen
Ein Ramenrestaurant als Deutscher
Ist abgefuckt peinlich
2 Ich begegne denen selten
Diesen Hipsternudeln
Aber ich bin mal einem am Küchengarten begegnet
Und habe ihn angeschrien
Da hat mir eine Taube einen Fünfer gestohlen
Ich wollte ihr den aus dem Schnabel reißen Und der Typ in Leinenhosen auf seinem Lastenrad
Sagt dann
DIE EINANDER-FREMDEN Tierschutz!!!!!
2 Ich frage: Was für Tierschutz
Ich brauch die 5 Euro
Und da wollte ich sein Lastenrad in die Ihme werfen
Aber besser nicht
Dachte ich
Halt deinen Impuls besser zurück
Sonst heißt es wieder
Wir Kinder aus der Platte sind so sozialer
Brennpunkt
1 Ein Nudelrestaurant ist keine schlechte Idee
2 Damit verdienst du am Ende kein Scheißgeld
4 Vielleicht sollten wir die Wände einreißen
Der Betonklotz macht ein schmerzhaftes
Geräusch
Verbundenheit, die nur wir fühlen
Der Betonklotz ist einsam
Der Betonklotz atmet ruhig
Der Betonklotz ist ein interessierter Zeitgenosse
2 Es ist Frühling
Ich liege auf meinem Bett
Draußen schauen die Wolken so aus Als würden sie fast vom Himmel abfallen
Ich kann mich nicht konzentrieren
Britney-Pop dröhnt aus der Wohnung nebenan
Mach leiser
Wäre es unhöflich zu fragen
Ob sie leiser machen kann
Sie ist mir so fremd, obwohl wir so eng
Aneinander wohnen
Mach leiser, man
Ich kenne dich nicht
Was soll’s
Dann gehe ich eben raus
Raus auf die Parkebene
Den Kopf freikriegen
Ich laufe über die großen Pflastersteinflächen
Die nur durch ein rotes Geländer vom Wasser getrennt sind
KLOTZKIND hallo hallo wie geht es dir hallo, hallo, wie ich bin hier ich hab dich vermisst was ist dir passiert ich bin jetzt da um dir zuzuhören ich bin da, hörst du hier
Der Betonklotz schweigt
KLOTZKIND du siehst so leer aus was findet in dir statt was ist da los in dir was ist los mit dir
Der Betonklotz schweigt
KLOTZKIND fühlst du dich daheim
Der Betonklotz schweigt
2 Was solls
Dann gehe ich eben raus
Bisschen skaten
Die Knie sind kaputt
Die Knie sind verwundet
Aber egal
Raus auf die Parkebene
Den Kopf freikriegen
Ich laufe über die großen Pflastersteinflächen
Die nur durch ein rotes Geländer vom Wasser getrennt sind
Und dort sehe ich dieses Kind
Hey, hallo
KLOTZKIND du bist so nah am Wasser gebaut ist dir kalt
Das Klotzkind versteht den Klotz
2 Was ist das für ein seltsames Kind
Wie es einfach so schaut
Und nichts macht
KLOTZKIND tut es dir weh wenn wir über deine Ebenen fahren die Gänge durchlaufen
2 Am liebsten skate ich über die Parkebenen
Hin und her
Hin und her
Und finde jedes Mal einen anderen Weg hindurch
Der Betonklotz macht ein mysteriöses
Geräusch
KLOTZKIND ich will nicht, dass dir irgendwer
etwas antut
2 Wir stehen direkt nebeneinander
An diesem Abend fühlt sich alles etwas
seltsam an
Seltsam unterkühlt
Das Kind schaut so aus
Als würde es auf eine Antwort warten
Wer du bist
Frage ich
Woher du bist
Frage ich
Red mit mir
Fordere ich
Willst du mit mir skaten üben
Etwas abseits reden die anderen Kinder
1 Die komplette erste Ebene
War mal eine Einkaufsmeile
Die ehemaligen Geschäfte
Sind jetzt von Spanplatten verdeckt
3 Amoksicher
1 Was soll amoksicher sein
3 Der Wohnkomplex
Das hat was mit den Gegebenheiten der Gänge zu tun
Es gibt so viele Einwölbungen
Um sich zu verstecken
Falls mal was passieren sollte
2 Ich übe weiter Skaten
Das Kind
Steht immer im Weg
Ich klettere auf die alten Abrissflächen
Und es steht immer noch vorm Klotz
Und schaut
Und schaut
Und schaut
1 Gewaltiger Koloss
Eine Stadt in einer Stadt
So die Idee
Viele Geschichten übereinandergestapelt
4 Tatsächlich ist es vergleichbar mit Massentierhaltung
3 Du kannst keine zwei Dinge miteinander vergleichen
Weil alle Ereignisse in ihrer Ereignishaftigkeit einzigartig sind
4 „Du kannst keine zwei Dinge miteinander vergleichen
weil alle Ereignisse in ihrer Ereignishaftigkeit einzigartig sind“
1 800 Wohnungen entlang der Ihme
Hier hat die RAF mal gewohnt
Wusstet ihr das
In den 90ern
Und niemand hat es mitbekommen
Es wurden Skizzen einer Stalinorgel in einer der Wohnungen gefunden
2 Papa hat das mal erzählt
1 Hat der da hier schon gewohnt
2 Denkst du etwa, er war befreundet mit denen
3 Ihmepassage 10
Fünfter Stock
Appartement 436
Bis September 1977 lebten hier
Knut Folkerts
Silke Maier-Witt
Ingrid Siepmann
Und Monika Helbing
Mitglieder der RAF
1 Und jetzt
3 Unsere Mutter weiß nicht, was die RAF ist
2 Wie findest du sie
3 Die RAF
2 Ne, deine Mutter
3 Wie soll ich sie finden
2 Sind es Terroristen
3 In erster Linie verdammt kluge Köpfe
2 Aha
3 Die Intention dahinter, die muss man betrachten und
2 Krass
3 Sie kehren die Verhältnisse um und
2 Alter, krass
4 Wusstet ihr das
Dass hier die RAF einmal gewohnt hat
1 Wusstet ihr, dass die Heftigkeit hier Normalzustand ist
Ihr Kulturmenschen
Ihr ich-suche-mir-einmal-aus-mich-damitauseinanderzusetzen-Menschen
Ihr Klassismus-ist-voll-wichtig-drüber-zu-reden-Menschen
Wir haben da was
Nur für euch
Wir erzählen euch was
Für eure Bildung
Für euer Kulturinteresse
Nein
Für euer Ghettointeresse
Wir können euch erzählen
Erzählen von dieser Heftigkeit
3 Scheiße
2 Konsumieret nun: Armutsgeschichten
Konsumiert Storys aus dem Block einen ganzen Abend lang
Holt euch … Popcorn für 4,50
Leistet es euch
Achtung, es wird subjektiv
Wir stehen hier
Vor dem Block und erzählen euch unsere Geschichten
4 Wir Kinder sind mit Gewalt aufgewachsen
Ich will nichts rechtfertigen
Wir sind nicht gewalttätig
Nur weil unsere Väter das waren
Man muss dazu sagen
Männlichkeit ist oft das Einzige noch
Was unsere Väter stark gemacht hat
Bam
Blauer Fleck
Bam
1 Versteht ihr?
Weil die einzigen
Die sie noch unterdrücken konnten
Frauen waren, weil ihnen sonst niemand zuhörte
4 Bam
1 Blauer Fleck
Anzeigen
4 Bam
1 Wusstet ihr, dass es für jeden von uns
normal war
Immer nur Hannover zu kennen
Dass wir die meisten Nachmittage Fernsehen guckten
Immer nur Fernsehen oder draußen
Löcher in die Luft starrten
Oder Fanta-Korn tranken
Weil wir nie wussten, was sonst
4 Ich konnte nie darüber sprechen
Ich stand so oft auf dieser Wiese
Und hab mir gewünscht
Dass das alles vorbeigeht
Aber ich hatte keine Worte dafür
Als ich ein Kind vom Block war
Aber die anderen konnten sprechen
Die Einander-Fremden, die Großen
Die haben so oft gesagt
Du, Abdi
Ich kann nicht mehr
Wegen Armut
Ich sprech’s einfach mal aus
Dass man da einfach drüber spricht
Dass man nicht da sein will
DIE EINANDER-FREMDEN Ich kann einfach nicht mehr
4 Und dann saßen wir da
2 Sitzen auf den Balkonen und essen Kuchen
Und kicken Bälle hin und her
Mit 9
Mit 12
Ball werfen
Mit 14
Mit 16
Das Gefühl ändert sich nicht
3 Manche Geschichten behält man besser für sich
4 Kind sein heißt
In der Schule Nutellabrot essen Sitzend neben Obstboxen
DIE EINANDER-FREMDEN Wenn ich die Zeit gehabt hätte
Ich hätte dir eine ordentliche Brotbox gemacht Mit Gurke
Vollkornbrot und Hummus
Wenn
EINE ANDERE GEWALT Man erkennt die Liebe deiner Eltern an deiner Brotbox Die Liebe deiner Eltern
Wenn sich deine Eltern nicht einmal für eine ordentliche Brotbox Zeit nehmen
Können sie dich nicht lieben
1 Eine Brotbox, ich meine
Ist die nicht egal
Deshalb kommt ein Sozialarbeiter
Und will ein Gespräch
EINE ANDERE GEWALT Nutellabrote sind nicht gut fürs Kind
Vollkornbrot, Obst und Aufstrich
Es ist nicht so schwer, seine Kinder gut zu ernähren
1 Schmeckt aber besser so
3 Kind sein heißt
Eine Liste mit zur Schule nehmen
Um beim Zuhören in der Klasse
Schöne Worte draufzuschreiben
Weil die eigene Sprache
Nicht ausreicht
Ich sage jetzt so etwas wie Polytoxikoman
Zu meinem Vater
Und weiß nicht einmal, was das heißt
4 Kind sein heißt
EINE ANDERE GEWALT Ihr Sohn kann sich nicht konzentrieren
Ihr Sohn hört nie zu
Ihr Sohn kann in den kaputten Schuhen Nicht am Sportunterricht teilhaben
Das muss Ihre Schuld sein Sie sind ja nie da
1 Kind sein heißt
Nach der Schule von der Mutter in den Arm genommen werden
Von ihren Chlorreinigerhänden
Und immer riecht sie nach Spülmittel
Sie im Nebenzimmer durch die Pappwände sagen hören
DIE EINANDER-FREMDEN Warum kann ich nicht die sein, die sie brauchen
Klotzkind und Betonklotz lächeln sich zu
KLOTZKIND ich brösle wenn ich mich bewege überall bleibt etwas liegen ich breche Stück für Stück und vermisse die Steine den alten Putz aber den ich verliere brauch ich nicht mehr ich durchlaufe fremde Gebiete erschließe mir Wege ich probiere neues Essen aus ich habe Durst ich beobachte Rotkehlchen beim Hüpfen Bauarbeiterinnen beim Schwitzen Studentinnen beim Lesen woanders ist es immer schöner seltsam da, wo du herkommst muss es kalt sein sagen sie da, wo du herkommst muss es ungemütlich sein sagen sie nicht so schön wie botanischer Garten kann Beton sein irgendwann habe ich aufgehört zu erzählen woher ich bin und fühlte mich wie ein Kind ohne Geschichte es gibt Kinder, die bleiben müssen Kinder
Oktober
die sich kümmern die in dem maroden Spekulationsobjekt etwas Schönes sehen ich wollte gerne von dir erzählen mir hat das was bedeutet die grauen Wände der Putz
auch die Enge dass es immer laut war und ein bisschen dreckig das ist, was ich bin und ich wollte es ja auch bleiben genauso da sein so sein aber ich darf nicht sie lassen mich einfach nicht
1 Denkt mal an Döner
3 An Fleisch
4 An den Geruch
2 An das Abschaben vom Drehspieß
1 Denkt mal an frisch gebackenes Brot Salatblätter, geschnittene Tomaten
Auf dem Nachhauseweg gehst du an dem Laden vorbei
4 Es duftet
3 Wie viele Döner esst ihr im Jahr
1 Es gibt verschiedene Arten von Hunger Ich kenne alle
Abends ist er am schlimmsten Wenn ich versuche einzuschlafen, nachts
In dem Zimmer, das ich mir mit meiner Schwester teile
Schaue ich aus dem Fenster
Aus dem siebten Stock auf die Limmerstraße
3 Schnarchgeräusche
1 Meiner Schwester neben mir
Durch die Oropax höre ich
3 Schnarchgeräusche
1 Kann ein Arzt mal ihre Polypen entfernen
3 Schnarchgeräusche
1 Ich denke in diesem Moment tatsächlich
Ich und sie
Wir sind schlechte Einflüsse
2 Wer so schnarcht, kann nur dumm sein
1 Ich denke
Ihre Zähne waren auch mal weißer
2 Wer keine weißen Zähne hat, muss dumm sein
1 Ich denke
Ihre Locken fetten
Ah ja, die Dusche
Der Handwerker kommt bald
Wir haben nur noch keinen Termin dafür
Ich hab’s fast vergessen
Der Hunger drückt
Ich gehe zum Kühlschrank
Und trinke Backkakao mit Wasser
Lege mich ins Bett und
Ich friere
Bei der Luftfeuchtigkeit hier
Fällt mir das Atmen schwer
Morgens bin ich unausgeschlafen in der Schule
Und beweise allen wieder
Dass ich dumm bin
3 Bist du auch
Ich werde die Klügste sein auf dem Gymnasium
Jahrgangsbeste werde ich
Ich zeig euch allen
Tellerwäscher zum Millionär
Ich bin das Paradebeispiel
Wenn ich Autos mit Tieren drauf fahre
1 Hey Ihr
Nur eine Zwischenfrage
Welchen Schmerz wollt ihr da eigentlich mit mir teilen
Füllt euer Mitleid das Konto meiner Mutter
4 Teil doch dein Geld, man
1 Wirf’s auf die Bühne
3 Wer hat, der gibt, oder
1 Warum gibt denn keiner
4 Teilt euren Wohlstand
2 Hört uns zu
4 Jetzt reden wir
Wir Kinder vom Block
Wir Kinder
Die rauchen
Wir müssen rauchen und erzählen
Rauchen
Einatmen
Ausblasen
Die Luft rauslassen
Puh
Da bitte ich um deine Aufmerksamkeit
2 Wir haben ein Gedicht geschrieben
Und wir tragen das vor
3 Stellt euch vor
Es ist Weihnachten
Und vor der Bescherung
Tragen wir ein Gedicht vor
ALLE In meiner Klasse
Haben wir keine Alternativen
Haben wir Angst
Viel von dem, wovon viele viel haben
Haben wir nicht
In meiner Klasse spricht man nicht
Über Geld
Meine Klasse
Wird übersehen im Land der vielen
Akademiker
Von Akademikern
Wer will jetzt noch akademisch werden
7
Ich bin nicht dumm
Der Betonklotz verzeiht
Der Betonklotz hört zu
Der Betonklotz erzieht eher nach dem Laissez-fair Prinzip
Und hat vielleicht dadurch ein Stück von sich selbst verloren
3 Ich übertreibe nicht
Wenn ich sage
Dass ich morgens an den drei warmen Brüdern vorbeilaufe
Und Umwege gehe, nur
Um nicht an der Hauptschule vorbeizumüssen
Ich habe Angst davor, dass Menschen denken
Ich komme von dort
Wenn ich von der Schule nach Hause gehe Dann will ich
Dass sie wissen
Dass ich nicht auf die Hauptschule gehe
Entschuldigen Sie, lassen sie mich das noch einmal anders ausdrücken, meine Sprache war nicht gut gewählt in dem Moment, ab und zu ein Fauxpas, ab und zu. Wissen Sie, ich flaniere an den drei warmen Brüdern vorbei, laufe einige Schleifen, um nicht an der Hauptschule vorbeizulaufen. Bei mir regt sich alles, wenn Menschen mich falsch einordnen, ich bin keine von dort, nach Ende meines Schultags gehe ich los, über die Straße, ich flaniere wie eine Flaneuse, ich hebe den Blick, ich lese Hegel, gehe ins Antiquitätengeschäft, nein, wahrhaftig, trage mein Hermann-Hesse-Buch wie ein
Accessoire unter meiner Achsel, flaniere weiter zur Dornröschenbrücke, lehne mich an die Steine, lecker mein Fünf-Euro-Café, ich liebe mich selbst. Ich bilde mich, ich bilde mich, ich weiß, was passiert auf der Welt, ich bin wahrhaftig im Bilde
Ich schaue Tagesschau um 20 Uhr und höre Podcasts
Finde Konsum kritisch
Habe Marx gelesen
Ich verkaufe mich nicht
Ich halte nichts von Lohnarbeit
Aber meine Noten sind trotzdem gut
1 Ich hasse Leute
Die so tun
Als würden sie Marx wirklich lesen
Das ist meine Schwester
3 Ich frage meine Mutter
Ob sie weiß, was der Irak-Krieg ist
Und sie sagt, sie hat davon noch nie gehört
Peinlich, denke ich
Ich frage meine Mutter
Und, kannst du mir helfen bei Vektoren
Sie schaut fragend aufs Blatt
Schweiß steht ihr auf der Stirn
Peinlich, wie kann man das nicht wissen
Meine Mutter schaut nur Fernsehen
Meine Mutter ist so faul
Peinlich
Wie kann man sich nur so verhalten
Lies doch mal ein Buch
Natürlich nehme ich niemanden mit nach
Hause
Bei einer Mutter wie ihr
DIE
EINANDER-FREMDEN Ich habe dir
Obst mitgebracht
Ich bin so stolz auf dich
Ich halte dich, solange ich kann
Bis meine Arme abfallen vom Dich-Halten
Hallo Tochter
Die Klassenfahrt ist bezahlt
Du hast neue Schuhe
Hallo Tochter
Für dich schlafe ich gerne im Wohnzimmer
1 Ich fange mit dem Klauen an
Wer schön sein will, muss stehlen
3 Bele sagt
1 Ich will ein Haus haben
Mich selbst finden
Und gut aussehen dabei
3 Und steckt deshalb in ihre Taschen
Lipgloss mit Piepsensoren
Dann kommen die Anzeigen
1 Meine Schwester denkt nur an Noten
3 Ich sage
Mama, du bist peinlich
Du verstehst das alles nicht
Wie du dasitzt und nie ein Buch liest
Du verstehst das nicht
Dass sie hübsch aussehen und ich
Klug sein muss
3 Meine Schwester denkt nur an ihr Aussehen
1 Ich kaufe ein bei Edeka, Cola Zero
Meine Schwester ist politisch organisiert
3 Ich bekomme jetzt Stipendien
Meine Schwester ist so klug
Deshalb verzichtet sie auf Zucker
Bis das ihr Gehirn kaputt macht
1 Ich trag jetzt Miss-Sixty-Hosen, ja
3 Aber als ich bei meiner Schulfreundin Nele zu Hause bin
Verstehe ich nichts
1 Aber als ich das erste Mal zusammenbreche
Verstehe ich nichts
3 Es gibt Tischetikette
Nele spielt Geige
1 Ich verliere meine Haare
Ich kann mich im Unterricht nicht mehr konzentrieren
3 Ich benehme mich so daneben
1 Ich benehme mich so daneben
3 Mama
Mama
Warum sagst du mir nicht, wie ich die Gabel halten soll
Mama, links oder rechts
Mama
Was ist meine Lieblingsjahreszeit von Mozart?
1 Mama, ich kann das nicht essen
Mama, ich
Mama, eine Gabel noch
Mama
1/3 Mama
Du bist
Einfach peinlich
Bitte nimm mich in den Arm
Ich fühle mich so falsch
An diesem Ort
Amala Dianor DUB 06. & 07.09. Spielzeitfest zum Tag des offenen Denkmals 08.09.
Ioannis Mandafounis Tänzer*innen der DFDC und der Palucca Hochschule für Tanz Dresden JOIN 19. – 29.09.
Der Betonklotz atmet
Er nimmt einen tiefen Atemzug
Alles bebt
KLOTZKIND manchmal wenn ein stein bricht, ist das Geräusch dumpf fast gar nicht wahrnehmbar wenn etwas herausbricht bekommen die meisten davon nichts mit erst wenn etwas Zeit vergangen ist dann fragt man sich vielleicht diese Lücke – war sie schon immer da fehlt hier was ist da eine Abwesenheit, die man spürt oder wird sie schnell genug neu befüllt hält sich alles aufrecht weiterhin fehlt in dieser Fassade ein Ziegel was macht das aus
66 Ziegel benötigt man um eine Fassade von zwei mal zwei Metern zu bauen
Den Schwund rechnet man immer irgendwie mit ein
Wann fühlt man sich zu Hause
3 Als ich in der vierten Klasse
Die Empfehlung für das Gymnasium bekomme
Lacht eine Lehrerin
Sie meint
EINE ANDERE GEWALT Ich kann mir vorstellen, dass du dir das wünschst
3 Ich bin fast die einzige auf dem Gymnasium
Die Sozialleistungen beantragt
Meine Lehrerin holt mich in einer Stillarbeitsphase nach vorne
Um den Antrag für die Klassenfahrt zu unterzeichnen
Sie spricht laut und alle können es hören
EINE ANDERE GEWALT
Anzeigen
Schauspiel Highlights 24/25
Wie jedes Jahr
Sozialhilfe also
Ja
3 Ein Lehrer kommt zu mir
Nachdem ich als Jahrgangsbeste ausgezeichnet werde
Und sagt
EINE ANDERE GEWALT
In der sechsten Klasse hätte ich nicht einmal erwartet
Dass du dein Abitur schaffst
3 Aber am Ende interessiert sich niemand für meinen 1,0-er-Schnitt
1 Es ist auch mies peinlich
So viel Zeit in die Schule zu stecken
3 Ich gehe tatsächlich studieren
An einer Uni in einer anderen Stadt ganz weit weg
Sitze zwischen Psychologiestudierenden
Und müsste denken
Ich habe es geschafft
Ich habe es geschafft
Ich lerne jeden Nachmittag
Ich bin vorbereitet
Ich liebe Theorien darüber
Dass man im Alter glücklicher wird
Und rege mich darüber auf
Dass wir immer noch Freud lernen müssen
Obwohl alle sagen, das sei längst überholt
Aber
Mir fehlt jemand
Mit dem ich abends am Wasser stehe und Bier trinke
Mir fehlt eine Schulter
Mir fehlt Rap
Mir fehlt jemand
2 Wir vermissen dich
4 Du kommst gar nicht mehr mit uns raus
1 Schämst du dich nicht, jetzt, wo du akademisch bist
Die Vermessung der Welt
TAK Theater Liechtenstein Regie: Oliver Vorwerk
Die Jahre
Deutsches Nationaltheater Weimar Regie: Jan Neumann
Leben des Galilei
TAK und Théâtre National du Luxembourg Regie: Oliver Vorwerk
Traumnovelle
Théâtre National du Luxembourg und TAK Regie: Frank Hoffmann
9
HALIM DENER, HALIM DENER, HALIM DENER, HALIM DENER, HALIM DENER, HALIM DENER, HALIM DENER, HALIM DENER
4 Geld spielte zur Zeit des Wirtschaftswunders keine Rolle
Gastarbeiter aus Jugoslawien waren billig
Und dann kamen wir
Gastarbeiterkinder
2 Wir haben alles unsicher gemacht
4 Sorry
2 Erst haben unsere Eltern die Häuser gebaut
Jetzt putzen sie sie
Und ihr findet das gruselig
4 Tut uns leid
Die wollen eure Wohnungen
Auch gar nicht putzen
Eure Häuser finden sie auch hässlich
Können nix dafür, wenn
Die Architekten keinen Geschmack haben
Finden Hannover eh kacke, was soll man machen
Ja, okay, das mit dem Diebstahl
Diskutabel, war schwierig damals
Aber die Jugend
Da sind eben andere Dinge wichtig
1 Ihr wisst ja, der Hunger
4 Tut uns wirklich aufrichtig leid
Aber keine Sorge
Ihr habt doch Helfer
Die ihr anrufen könnt
Ruft die doch einfach mal an, die
110
Die kann man anrufen
Die helfen euch
Glaube ich
110
Beltracchi - Unverfälscht
Stefan Gubser und Mona Petri
Regie: Michael Steiner
Alte Meister
Volkstheater Wien –
Eine Weiterspielen Produktion
Regie: Dušan David Parizek
The game trickster_p
Schaut doch, da sind sie schon Die sind schnell gekommen
Als sie die Adresse gehört haben Waren sie blitzschnell da
DIE GEWALT HALLO AUFMACHEN
HALLO AUFMACHEN BITTE
HALLO AUFMACHEN
POLIZEI ICH BITTE SIE AUFMACHEN
EIN LETZTES MAL SONST
MÜSSEN WIR DIE TÜR AUFBRECHEN
2 Danke, dass ihr die Polizei gerufen habt
Danke, was eine Erleichterung
Puh
Ihr Helden
Für euch sollte man ein Fest schmeißen
Der Rewe hätte sonst Verluste gemacht
Wegen der vier Ben-and-Jerrys-Eis
Puh, ehrlich
Da muss man ihn jetzt gewaltvoll auf den Boden pressen
Das ist Gerechtigkeit
3 Wusstet ihr
Dass die Höhe der Strafe bei Diebstahl
Vom Einkommen abhängt
Denn wenn eine Geldstrafe nicht bezahlt werden kann
Dann gibt es als Ersatzleistung
Knast
Und weil er nicht einen Becher geklaut hat
Sondern vier
Wirft man ihm jetzt vor
Dass er sie gestohlen hat
Um sie weiterzuverkaufen
Und das erhöht die Strafe
4 Ah
Was macht er denn da
Der Dieb Er tritt um sich
Weil er Angst hat
Er tritt den Polizisten
Das wird böse enden
SCHLAGZEILE ODER: EINE ANDERE
GEWALT Gewaltbereiter Jugendlicher greift Polizisten bei Festnahme an
2 Die Polizei musste hart durchgreifen, denn Man weiß nie, was hat er vorher gemacht
Der Junge
Aber ihr werdet euch nie fragen, was hat er vorher gemacht
Der Polizist
Das fragt ihr euch nie
3 Was ist
Eigentlich
Ein Polizist
Freund und Helfer
Gesetzeshüter
Ordnungsschaffer
Wachtmeister
Gendarm
Miliz
Der Beamte
Was ist eigentlich dieser
Schutzmann Polente
Das Auge
Der Rechtsschaffer
Die Staatsgewalt
Die Exekutive
2 Was ist eigentlich dieser
Bulle
Das Schwein
Der Hund
Der Bastard
3 Das sagt man nicht
2 Du verstehst das nicht
3 Wir müssen hier festhalten
Ein Polizist ist auch nur ein Mensch
Er hat Haare unter seinem Helm
Und unter seinen Achseln
2 Er mag schwarzen Humor
Wie Hitlersticker in WhatsApp-Chats
4 Und er hat
Am Abend des 30. Juni 1994
An einem Donnerstagabend
Den Kurden Halim Dener
Der Plakate der PKK kleben wollte
Am Steintor
Etwa zwanzig Minuten vor Mitternacht
Erschossen
Der Betonklotz ist linksradikal
Der Betonklotz versteht sich selbst nicht als Teil der lohnarbeitenden Klasse, aber nur, weil er diesen Begriff „lohnarbeitende Klasse“ noch nie gehört hat
Der Betonklotz beherbergt alle Menschen
Der Betonklotz erinnert sich unter allen Umständen an Halim Dener
Der Betonklotz schämt sich ein bisschen
Der Betonklotz hat das Gefühl
Er wird Gegenstand eines Diskurses, ohne es wirklich zu wollen
KLOTZKIND wie fühlst du dich zwischen den anderen Gebäuden dieser Stadt
Der Betonklotz schweigt zwischen dem Stuck, dem Altbau, den weißen Fassaden ich bewundere deine Ruhe du stehst im Mittelpunkt atmest ein die Zimmer dehnen sich aus die Zimmer ziehen sich zusammen man findet keinen Platz ich sehe wie die Blumen aus dem Asphalt sprießen wie das rote Geländer klare Linien zieht ich fühle über die abgeblätterten Ränder deiner Haut und die aufgestaute Hitze im Sommer aber egal, wie robust du dastehst manchmal habe ich Sorge dass du brichst
1 1974
Neu und innovativ
Der Klotz wird achtmal so groß
Wie ursprünglich geplant
3 Wer im Ihme-Zentrum wohnt, hat das Privileg
Das Ihme-Zentrum nicht sehen zu müssen
1 1995
Viele Händler, Geschäfte, ein Ort zum Leben
Und es glänzt und schimmert
Goldene Zeiten
3 1999
Mittlerweile steht die Hälfte aller Verkaufsflächen leer
1 2000
INVESTOR ENGEL kauft sich ein
2 2001
Engel stellt Baupläne vor 70 Millionen Euro Umbau
1 Schiiiiiick, du, schick wird das
2 2006
Engel verkauft seine Anteile
4 ABBRUCH ABBRUCH
3 Wieso?
2 Was soll uns dieses Wissen bringen
Es zählt nur, was jetzt ist
4 Die Fassaden, die mal bunt waren, sind nun weiß
Es schimmern durch
Die Umrisse schlecht gebauter Architektur
2 Quadratisch, praktisch, gut
3 Roher Beton
4 Granitfassade der Postmoderne
2 Das Piece, was darauf war, das von Moses und Tapes
Ist weg
Mit dem Hochdruckreiniger in meiner Hand
Weggemacht
Und damals
4 Das Zischen einer Spraydose, wenn es dunkel ist
Gegen halb vier das erste Blaulicht
Komm, wir botten vor den Cops
Wirf die Dose weg
Zieh die Handschuhe aus
Wirf’s in den Fluss
Die ganze Kriminalität im eiskalten
Wasser
4 Die kriegen uns nie, wir kennen den Block besser
2 Sie verlaufen sich in den Parkhöhen
In den Zwischenebenen
Wir können klettern über die Balkone
Durch die Fenster zurück in unsere Zimmer
4 Bis wir außer Atem ins Bett fallen
Der Betonklotz macht die Wege für manche Menschen einfacher
Wenn es notwendig ist
2 ICH WILL KÜNSTLER WERDEN
Aber ich bin nur ein Maler und Lackierer geworden
Farbflecken auf der Kleidung
Ich klettere die Wände hoch
An einem Seil und male die Fassade Weiß
Es gibt nur den Blick nach unten
Wer zu hoch möchte, fällt tief
Man muss akzeptieren
Dass es nur den Weg hinab gibt
Dass die gläserne Decke
Das Ende bleibt
Adrenalin
Das in die Zehenspitzen schießt
Beim Sprayen
Und nicht um das Graffiti
Wieder wegzumachen
Ich muss schnell sein
Damit sie mich nicht erwischen
Und das Licht meinen Körper in Blaulicht hüllt
Bevor
Sie auf das Dach klettern
Mich packen
Und eine Anzeige über 2000 Euro Sachschaden
Bei meinem Vater auf dem Küchentisch liegt
4 An manchen Tagen
Im Hinterhof stehen
Hochschauen
Hoch zum Wohnkomplex
In den man hineinzieht
Vielleicht auszieht
Und zurückkommt
Alles dicht an dicht
Es trennt nur eine dünne Wand
Die Körper vor
Zusammenstößen
2 Mir hat mal einer erzählt
Der Mensch sei von Grund auf böse
Er will einbrechen
Und die Dinge stehlen
Für die du hart gearbeitet hast
DIE EINANDER-FREMDEN
Du musst hart sein
Du musst die Arme verschränken
Haltung zeigen und nie
Darfst du etwas von dir teilen, niemals
2 Mir hat das mal einer erzählt
Dieser einer ist mein
Vater
Den Betonklotz beschämt das ein bisschen
2 An diesem Abend regnet es draußen
Ich sitze am Holztisch
4 Was ein Scheißtag
2 Wie klein man sich da fühlt
An so einem Tisch
Der wackelt
Weil er nur auf drei Beinen steht
Wie scheißeklein man sich fühlt
Wenn man die Adern seines Vaters sieht
Durch die Wut pocht
Und die Zornesfalte
Wie klein man sich fühlt
Bei dem massiven Koloss
Die trainierten Oberarme
Die schwarzen Haare
Wie klein man sich fühlt
Wenn auf den Tisch gehauen wird
Und erst der Boden, dann der Körper
Bebt
So bebt
Dass man ein einziges Vibrieren
Wird
Dass man
Scheiße
Wenn er sagt
Du bist nicht mehr mein Sohn
3 Nein, bitte hör auf
Manche Geschichten
Darfst du nicht erzählen
Die gehören nur uns
4 Brutal
Wie er in der Sonne glänzt
So einnehmend und starr
Undurchdringlich
Kaum ein Weg führt an ihm vorbei
Unbeachtet am Rande
Die Straße davor laut
Erstickt fast in den Abgasen
In dem Brummen
Ich muss kurz
Muss kurz durchhalten, muss halten
Meine eigene Hand aufkratzen
Eine Landschaft roh
Fast wie ein
Vater
Du bist nicht mein Sohn
4 Hallt durch das eine Ohr zum anderen 11
Der Betonklotz mag ab und zu eine gute Party
2 Wir alle haben doch Träume, oder
Einen Pool haben
Oder Ärztin werden
Oder Musik machen für die Kohle
Oder einfach nur
Ein sicheres Daheim
Und ich
Ich lackiere und male jetzt
Diese scheiß Wand
Keine Farben mehr
Weiße Flächen
Sauberkeit und Reinheit
Das größte Gebot
ALLE ICH UND DIE JUNGS
4 Wir haben heute unsere ersten Beats aufgenommen
Haben mit dem gecrackten Beatprogramm
Auf meinem Laptop
Ein bisschen rumgebaut
Bele hatte Gras dabei
Mascha ist übel geworden
Als sie kotzen musste
Haben wir das aufgenommen
Und es als Adlib verwendet
Wir sind 16 und bald kommen wir groß raus
ALLE ICH UND DIE JUNGS
2 Stehen auf der Wendeltreppe
Und spucken in die Ihme
Machen einen Rotzewettbewerb
Bis die Münder trocken sind
Und die Lippen brüchig
ALLE ICH UND DIE JUNGS
2 Nehmen heute in der Glocke
Das erste Mal weißes Pulver mit
3 Heute feiern wir
Wir feiern uns alle
Wenn wir reinkommen
Kommen wir rein
4 Es gibt Regeln im Block
Eine lautet
Verhalte dich genauso scheiße
Wie sie es von dir erwarten
Dann schöpft niemand Verdacht
EINE GEWALT Öffnen Sie bitte die Taschen
2 Herzrasen
EINE GEWALT Sie können weitergehen
1 Stempel holen
2 Erstmal an die Bar
4 Wir brauchen zum Überleben eine Art
Wahrnehmungsveränderung
Es wird zu Techno gestampft
In dem Beben die Gesichter sehen Fuck, sehen die gut aus heute
Die Jugend so richtig erleben
ALLE ICH UND DIE JUNGS
4 Wir holen uns Vodka O, tanzen im bebenden Bass
Und Maxim, mein bester Freund
Mit dem ich jede Nacht auf der Wiese sitze Karten spiele
Kackt fast ab Hält sich mit beiden Händen nur noch am Türrahmen fest
Es ist das allererste Mal für ihn Wenn er ein erwachsener Mann ist
Wird seine Nasenscheidewand durchgeätzt sein
1 Geil
ALLE ICH UND DIE JUNGS
2 Beobachten Abdi dabei
Wie er mit Marie flirtet
Wie sie tanzen Und es sieht nur fast gekünstelt aus Später wird er mit ihr heimgehen
Und uns am nächsten Tag davon berichten Sie wird ihren Freundinnen erzählen
Wie gut es war
Obwohl sie ohne Kondom gefickt haben
Beide nie gelernt zu kommunizieren
Dabei fand keiner den Sex wirklich gut
4 Das stimmt nicht
2 Bitte
4 Das stimmt nicht
Wir lagen Stunden nebeneinander
Niemand hat gefickt
Wir haben uns geküsst
Und dann hab ich gesagt
Ich fühl’s nicht
Sie hat gelacht
Dann hat sie gecheckt
Dass ich es ernst meine
Hat gefragt: Bist du schwul oder was
2 Abdi wohnt direkt im Stock über mir
Er ist mit seinem Papa hergezogen
Sein Vater hat tausende Ideen
Und immer wieder scheitern sie einzig
Und allein an seiner Staatsbürgerschaft
4 Wir wollen koksen
Aber die Security hämmert an die Tür Und lässt uns nicht
Wir verlassen zu viert das Bad
Raus
Raus aus dem Club
Die Nacht is over
2 Und du bist wirklich schwul?
4 nickt
2 Also keine Sorge
Pause
Ändert jetzt nix
Pause
Du bist immer noch mein Bro
4 Sag’s keinem
4 Was ist cool, wenn du reich bist, aber uncool, wenn du arm bist
1 Alkoholismus
2 Drogen, allgemein
1/3 Koks, Pepp, ballern
4 Was noch?
1/3 Nichts tun
2 Am Pool sitzen
4 Weiter?
3 Steuern hinterziehen
1 Boot fahren
2 Und damit im Meer ertrinken
4 Weiter?
ALLE Frau sein
1 Teure Markenkleidung
2/3 Mutter sein
4 Fällt dir mehr ein?
Premieren 2024/25
Tanztheater (UA)
Themenwoche zur Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald und zum Ende des Zweiten Weltkrieges 30.3.–6.4.2025
WIR SIND DAS VOLK
Weimarer Lebensgeschichten (UA) gesammelt und für die Bühne arrangiert von Luise Voigt und Eva Bormann Regie Luise Voigt | 17.5.2025
3 Im Auto wohnen
1 Second Hand
2 Juicy Couture
3/4 In Frankfurt leben
1 Klauen
2 Partys veranstalten
4 Noch mehr?
ALLE Digga, alles
4 Sprecht ihr mit euren Freunden über Geld
Wisst ihr, wer das letzte Mal
Ein gemeinsames Essen
Einen Gemeinsamen Abend
Die Verabredung außer Haus
Abgesagt hat
Weil sie es sich einfach nicht
Leisten konnte
EINE ANDERE GEWALT
Ich lebe minimalistisch
1 Gebt euren Kram ab
Hier, ihr könnt spenden
In überfüllte Kleiderspende-Container Ungewaschen, löchrig
Aber irgendwer kann das noch gut gebrauchen
Ihr riecht nach Matcha
ALLE Wir riechen nach Chemie
1 Das ist geil
In dieser Kleidung haben wir was erlebt
In der Hitze
Die sich angesammelt hat
In dem Polyester
Weil wir darunter kaum atmen können
Unsere kaputte Kleidung ist
Interessanter
In Pfützen getränkte Jeans
3 Die Hose
2 Mascha
Du hast dir damals einfach alles aufgerissen
4 Man hat einfach alles gesehen
Alles
3 Als wir über den Zaun geklettert sind
Um auf die höchste Ebene des Zentrums zu kommen
Die eigentlich baufällig gewesen ist
Drei Vodka-Gin und dann
Der Blick über die Stadt
Die plötzlich so klein aussah
Ich habe mich in diesem Moment
Das erste Mal wirklich verbunden gefühlt
Und welche Geschichte könnt ihr erzählen?
DIE EINANDER-FREMDEN Ich bin dabei
1 Als der Penner vor KIK wegen der Drogen abkackt
Sitzt ihr in einem Café und trinkt Kaffee
DIE EINANDER-FREMDEN Ich bin dabei
2 Als meine beste Freundin aus ihrer Wohnung raus muss
Weil der Vermieter auf lange Sicht eine „sichere Miete“ haben will Zwangsräumung und –
DIE EINANDER-FREMDEN
Ich bin dabei
Bin dabei
Bin broke
Hab ein Sparkonto
Sicheres Geld meiner Eltern
Ist doch nur eine Rücklage
Kein reales Geld
Ich bin dabei
Ich verstehe deine Armut
Hab sie miterlebt
DIE KINDER VOM BLOCK Wie schön
1 Das hier ist meine Mutter
Eine wunderschöne Frau
Eine atemberaubende Frau
Nach meiner Geburt hat sie
18 Jahre lang keinen Job mehr gefunden
Wegen Teilzeit und Krankheit
Und weil sie potenziell noch einmal schwanger werden könnte
EINE ANDERE GEWALT
Verlust für die Firma
Zu hohes Risiko für die Firma
Frauen einstellen
Die Mütter sind
Oder es werden könnten
Ist potenziell gefährlich
Für die Firma
1 Nun pennt sie auf dem Sofa in unserem Wohnzimmer
Und spielt Candy Crush den lieben langen Tag Ballert sich
Ihre Antidepressiva rein und schaut
Temptation Island
Den lieben langen Tag
Um den Wunsch, sich umzubringen Zwischen zerplatzenden, gleichfarbigen
Süßigkeiten
Und zwischen
Toxischen Beziehungen
Wegzuballern
3 Der Mann
Mit dem meine Mutter zusammen ist
1 In erster Linie ein Idiot
3 In zweiter Linie Mathematiker und Philosoph Labert meine Mutter zu
DIE EINANDER-FREMDEN Wir sind Produkte unserer Umwelt
1 Wie laut er das sagt „Produkte unserer Umwelt“
Und meint damit
Es klirren Tassen, es zerdeppert, deppert, deppert, fuck. Was zerbricht hier eigentlich?
DIE EINANDER-FREMDEN Ich kann nichts dafür
Dass ich so ein Idiot bin
1 Und dann sitzt sie
Weinend auf dem Boden
Vor meinem Kleiderschrank
DIE EINANDER-FREMDEN Ich finde niemals wieder jemanden, der ist wie er
1 Du meinst jemanden
Der dich nicht aussprechen lässt
3 Aber die Geschichte endet da nicht
1 Was
2 Du verschweigst immer den wichtigsten Teil
1 Da begebe ich mich in eine juristische
Grauzone
4 Gute Geschichten finden eben genau da statt
1 Als sie das erste Mal seine Hand greift und sagt
DIE EINANDER-FREMDEN So lasse ich nicht mit mir reden
1 Weine ich viel intensiver
Als ich es davor mit ihr
Vor dem Kleiderschrank
Immer gemacht habe
Der Betonklotz erinnert sich
Wie sie das Auto des Mannes zertrümmerten
Sie trugen Sturmmasken
Zumindest fände das der Betonklotz sehr cool
1 Und als sie das begreift
Gehen wir raus
Auf die Parkebene
Dort
Wo uns alles so bekannt ist
Und er nur ein Gast
Der im Betonklotz immer ein Fremdkörper bleiben wird
Der Betonklotz möchte die Gewalt ausspucken
Der Betonklotz möchte schützen
Der Betonklotz möchte umarmen
DIE EINANDER-FREMDEN H MI 22
1 Das ist sein Kennzeichen
DIE EINANDER-FREMDEN Ja, definitiv
1 Und dann wirft meine Mutter
DIE EINANDER-FREMDEN Wirft meine
Tochter
1 Einen Stein direkt in seine Scheibe
DIE EINANDER-FREMDEN Steine in all seine Fenster
1 Wie hat sich das angefühlt
DIE EINANDER-FREMDEN Wie soll sich sowas schon anfühlen
1 Befreiend
DIE EINANDER-FREMDEN Da muss ich noch einmal eine Nacht drüber schlafen
1 Ich hab ihr mal das Tavor stibitzt
Und nie wieder so etwas gefühlt
Nie wieder gefühlt
Ich habe ihr Ritalin geklaut
Um fürs Studium zu lernen
Und gedacht: wozu
3 Fast 75 Prozent aller Arbeiter*innenkinder
1
Die das Studium anfangen
Bringen es nicht zu Ende
Ich hänge vorm Späti, trinke Bier
Ich habe keine Hobbys
Kein Studium mehr und zu viel Zeit
Bin zu faul zum Arbeiten
Ich habe Asthma
Wo lernt man Menschen kennen
Ich habe Borderline
Ich bin zu faul zum Arbeiten
Ich zähle die toten Fliegen auf meiner Fensterbank
Ich habe Bauchschmerzen
Ich traue mich nicht zum Arzt
Ich bin zu faul für ein Studium
Ich komme morgens nicht gut aus dem Bett
Ich sammle die toten Fliegen auf meiner Fensterbank und
Werfe sie in den Müll
Ich gehe spazieren
Was anfangen mit all der Zeit
Ich sehe Freundesgruppen
Ich sehe scheiße aus
Ich bekomme den Job nicht
Ich bin zu faul zum Arbeiten
Ich setze mich an den Fluss
Ich sammle die Flaschen auf, die um mich herum liegen
Ich knibble meinen Nagellack ab
Ich habe Kopfschmerzen
Ich atme durch
Atem versagt
Ich bin zu faul zum Arbeiten
Ich rauche vier Kippen mit gefundenem Tabak
Ich lese ein Buch
Das ich eingetauscht habe gegen mein
Abiturzeugnis in der Verschenkekiste
Breche nach drei Seiten ab, weil ich mich eh nicht konzentrieren kann
Ich bin zu faul fürs Studium
Mir ist übel
Ich kratze mich am ganzen Körper
So ist das halt
Kann mein Bein nicht bewegen
Für immer hierbleiben an diesem Ort
Ich werde versagen, aber
Meine Organe zuerst
Das ist gut
Dann ist es nicht meine Schuld
Dass ich nicht arbeite 14
Kinder vom Block sind im Endeffekt auch Klotzkinder
3 Zu diesem Koloss hat jeder eine Meinung
1 Zu jeder Platte hat jeder eine Meinung
3 Zu den Platten hat jeder eine Meinung Meistens keine gute
2 Es sind turbulente Zeiten
In denen wir leben
Es gibt diese brennende Hitze draußen
Diese brennende Hitze drinnen
Und die flache Luft in unseren Wohnungen
1 Die Wände pochen
3 Ich mag, dass ich dir nah sein kann
1 Ich bin froh, dass du wieder hier bist
Mehr mit uns
3 Ich weiß, die Zimmer sind eng
Hier ist nicht so viel Platz für alles
Was wir sind
Aber es reicht aus
1 Ich bin so dankbar
Es ist so ruhig
Wir sind alle noch da Wir trinken Limo
Anders als früher
Und lehnen uns an weiche Wände
2 Es ist nicht mehr so hart wie früher
4 Ich habe immer gesagt
Ich will woanders hin
1 Wohin denn? Was hast du dir vorgestellt
4 Nach Wien
1 Und da warst du dann auch
2 Und wir haben dich vermisst
4 Es gibt keine Stadt
In der ich mir mehr vorstellen könnte
Zu wohnen
3 Die Stadt der Bourgeoisie
4 Die Stadt, in der alles ganz okay ist
Zwischen Stephansplatz und Burgtheater
Für eine Weile da bleiben
Ich versuche dort Songtexte aufzunehmen
Ich nehme einen Kredit für ein Studio auf Ich verliebe mich
Im selben Atemzug in diesen Typen „Ich bring dich ganz groß raus“
Zwischen Stephansplatz und Burgtheater
Ist alles so schön
Dass es abartig wird
„Wir machen das zusammen“ Caféjob um Caféjob
Um die Kunst zu finanzieren
Ich bin damit okay „Du bist nicht allein“
An der Donau schlafen
Neben ihm
Und Stirnküsse
Ich übe Gitarre zu spielen
Und auf meinem Tisch liegen mehr Songtexte als Rechnungen
Man kommt klar
Für eine Zeit
Aber
Irgendwann kommt man immer zurück
I promise
Der Betonklotz hat Verlustängste
Premieren Sept.– Dez. 24 / Jan. 25
Onkel Werner UA von Jan Friedrich nach Anton Tschechow Regie Jan Friedrich 21.9.24
TMonopoly –Eine Besteigung des deutschen Schuldenberges UA von Calle Fuhr Regie Calle Fuhr 21.9.24
Effibody’s Darling –One-Woman-Show UA von Annette Müller nach Theodor Fontane Regie Annette Müller 3.10.24
Kleinstadtnovelle von Ronald M. Schernikau Regie Florian Fischer 5.10.24
Käpt’n Karton und Ingrid, die Möwe UA von Claboberta Schnackvogel Regie Clara Weyde 20.10.24
MÖdipus in der Giftfabrik –Eine kleine Geschichte des Artensterbens UA von les dramaturx Idee/Konzept les dramaturx 2.11.24
Planet B von Yael Ronen und Itai Reicher Regie Nick Hartnagel 23.11.24
In einem tiefen, dunklen Wald von Paul Maar Weihnachtsmärchen Regie Swaantje Lena Kleff November 24
Das Spiel ist aus von Jean-Paul Sartre 24.1.25 Regie Clara Weyde
Kosmos #3: Das Naturtheater von Oklahoma UA von Vanessa Rust Regie Ilario Raschèr 25.1.25
Der Betonklotz seufzt
Spürst du das
1 Dieses leichte Beben
4 Als hätte jemand Angst
1 Ist dir das nie vorher aufgefallen
2 Schau aus dem Fenster
Da draußen formiert sich was
EINE ANDERE GEWALT Abreißen
2 Da ist viel Frust
Der sich nur gegen uns wendet
Weil sie nicht wissen
Wohin damit
EINE ANDERE GEWALT Abreißen
2 Sie meinen nicht das Gebäude Sie meinen uns
EINE ANDERE GEWALT Abreißen
2 Aber dieser Ort ist
Mein Zuhause
KLOTZKIND ich habe mich gefragt ob ich ein Kind bin dessen Abwesenheit spürbar ist werde ich vermisst vermisse ich gibt es eine Erinnerung einen Stich ins Herz denkt man, hier fehlt etwas die Welt ist viel zu groß
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Sp i e lze it 2024 & 2025
und ich war immer darauf bedacht Spuren zu hinterlassen überall dass sie wissen, dass ich da war ich habe viel gesehen den Himmel abgesucht nach Wegweisern Sternenbildern, Richtungen aber ich wusste nichts damit anzufangen mir war übel ich hatte das Gefühl dass ich unter diesem weiten Himmel ganz klein bin kein Teil eines großen Ganzen einer Schicksalsgemeinschaft nur ein herausgebrochener Stein ich habe Orte, Menschen Berufungen gesucht
Orte, an denen ich ganz Ziegel sein kann aber meine Beschaffenheit war immer zu viel oder zu wenig es war immer ein: Was willst du werden niemals ein: Was bist du schon ich wurde mit jedem Tag brüchiger ich habe gesucht und gesucht und gesucht bis nur noch das Suchen übrig war und egal, wo ich war ich hatte immer das Gefühl
Blue Skies UA von T.C. Boyle Regie Jan
Bosse Der Apfelgarten UA Eine katten düstere Komödie von Tschechow / Hasen / Nunes Regie
Antú Romero Nunes Barrrbie ein Puppenheim UA von Emre Akal nach Henrik Ibsen Regie Emre Akal Die Orestie nach Aischylos / Sophokles / Euripides Regie Nicolas Stemann Alles, was wir nicht erinnern UA Ein Projekt von Gernot Grünewald und Jarosław Murawski nach dem Buch von Christiane Hoffmann Regie Gernot Grünewald LEGENDE UA von Kirill Serebrennikov nach Motiven aus der Welt von Sergey Paradjanov Regie Kirill Serebrennikov Asche von Elfriede Jelinek Regie Jet te Steckel Ajax im Rausch der Tiefe UA nach Sophokles und Luc Besson Regie Christopher Rüping König Ubu von Alfred Jarry Regie Johan Simons Das letzte Fest UA Ein Projekt von Kornél Mundruczó Regie Kornél Mundruczó Die Jahre von Annie Ernaux Regie Jette Steckel thalia-theater.de/premieren
ein Teil von mir ist ganz woanders weggehen bedeutet zurücklassen weggehen ist schrecklich schutzlos auf der Straße liegen die Härte des Alltags spüren weggehen ist sich gegen sich selbst zu entscheiden woher du bist das kannst du nicht abschütteln ich wollte nicht mehr ich wollte die Stadt in Schutt legen Klotz
ich wollte eine Umarmung vielleicht einen Ort ein bisschen Wärme ein bisschen Abgrund auch weil: ich habe diesen Abgrund in mir und der geht ja nicht einfach weg ich habe dich vermisst Betonklotz ich will wieder dein Stein sein dein Fundament. Beton
Der Betonklotz fühlt eine Verfasstheit, die er nicht ganz zuordnen kann
Der Betonklotz fühlt sich hilflos
Der Betonklotz sieht angesichts der politischen Zustände schwarz für die, die er in sich
Europas Kunstfestival
Olga TOKarczuK: »empusiOn«
Regie: Artú Romero Nunes
04./05./06. September in Forst (Lausitz)
Franz KaFKa: »ein BerichT Für eine aKademie« 08. / 10. / 11. / 12. September in Weißwasser/O.L.
Regie: Claus Peymann
beherbergt
Der Betonklotz möchte gegen diese Zustände handlungsfähig sein
Aber im Endeffekt ist ihm auch bewusst
Dass er nur ein blödes Gebäude ist, mit steigenden Mieten, mit schlechter Verfasstheit
Ein Gebäude, das seltsamerweise, obwohl es doch nur auf einer Erdfläche steht
Irgendwem gehört, der Ansprüche erhebt
Aber der kennt den Klotz nicht mal Ertastet keine Bedürfnisse
Der Betonklotz fühlt sich angesichts dieser
Tatsache
Schuldig
Der Betonklotz nimmt das Klotzkind in den Arm
1 Dieses Gebäude macht genau das, was wir erwarten: uns schützen
Tausende Geschichten, die sich zu einer verbinden
Viele Sprachen
Die eine werden
Vom höchsten Punkt
Sieht die Stadt harmlos aus
Die Dämpfe der Fabriken
Die Supermärkte
Die vollen Plätze
Lastenräder
Sind
Wenn wir hier stehen
Gemeinsam
Keine Bedrohung mehr
Es ist dieser Ort
Der mich einsperrt
Dieser Ort
Der mich hält
Der Betonklotz atmet still
Und wir sind hier zu Hause
3 Ich denke ans Fritz Heckert
An die Platten in Grünau
Das Favoriten in Wien
1 Wer wohnt hier
2 Und wer sollte hier wohnen
1 Wir! Wir!
Wir gehen nicht
Wir gehen nicht
Auch wenn ihr ruft
ABREISSEN
Denn das ist unser Ort
4 Wir hassen euch nicht
Dafür, dass ihr wollt
Dass wir gehen
Ich meine, wozu auch
3 Deutschland, du hast all die Träume, die wir hatten
4 Verkapitalisiert
1 Unsere Armut braucht’s
Um dich zu erhalten
Irgendwer muss eine Abschreckung sein
3 Wir Kinder
Der Unterschicht
4 Wir Gastarbeiterkinder
1 Wir alle
Der Betonklotz ist sich unschlüssig, wem die letzten Worte gehören sollten
… You promised me a life
You promised me a city
Ich wollte leben
Aber alles, was ich bekam
War Beton
Dann heul doch! UA eine Recherche mit Kindern über das Weinen von Julia Brettschneider
Schauspiel ~ Kleine Bühne ~ 7+
Regie Julia Brettschneider
Premiere Sa 28. Sep 2024
Der Hase in der Vase von Marc Becker Schauspiel ~ Große Bühne ~ 6+
Regie Felicitas Loewe
Premiere Sa 26. Okt 2024
Die Schneeschwester DSE von Maja Lunde in einer Fassung von Felicitas Loewe Schauspiel ~ Große Bühne ~ 6+
Regie Jan Gehler
Premiere Sa 23. Nov 2024
Peterchens Mondfahrt mit Anneliese von Philipp Löhle nach Gerdt von Bassewitz Puppentheater
Kleine Bühne ~ 4+
Regie Julia Sontag
Premiere Sa 30. Nov 2024
Der tjg.-Klangspielraum
Konzeption & Einrichtung
Daniella Strasfogel, Lisa Fütterer, Verena Zimmermann
Studiobühne ~ 2 bis 6 Jahre
Eröffnung Do 23. Jan 2025
Das kalte Herz von Kerstin Specht nach Wilhelm Hauff Puppentheater
Kleine Bühne ~ 10+
Regie Christoph Levermann
Premiere Sa 08. Feb 2025
Wolf von Saša Stanišić Schauspiel
Studiobühne ~ 10+
Regie Julia Sontag
Premiere
Sa 08. Mrz 2025
Die Mitte der Welt von Andreas Steinhöfel Schauspiel
Große Bühne ~ 14+
Regie Julia Brettschneider
Premiere Fr 21. Mrz 2025
Time-out UA eine theatrale Unterbrechung von Sophia Keil, Dorothee Paul und Ensemble Theaterakademie
Studiobühne ~ 12+
Regie Sophia Keil, Dorothee Paul
Premiere Fr 04. Apr 2025
Arschbombe verboten UA von Ulrich Hub Puppentheater Kleine Bühne ~ 8+
Regie Ivana Sajević
Premiere Sa 12. Apr 2025
Unerhört UA eine Stückentwicklung aus unbeachteten Geschichten von Christoph Levermann und Ensemble Theaterakademie
Studiobühne ~ 12+
Regie Christoph Levermann
Premiere Fr 25. Apr 2025
tjg. tak-ticker 2025 UA Jugendliche inszenieren selbst
Premieren Do 22. Mai 2025
Till Eulenspiegel UA von Nils Zapfe nach der bekannten Schwanksammlung eine Koproduktion mit dem Zoo Dresden Schauspiel Freilichtbühne im Zoo Dresden ~ 6+
Regie Nils Zapfe
Premiere So 01. Jun 2025
tjg. theater junge generation 0351 . 3 20 42 777 ~ tjg-dresden.de
DIE MACHT DER LIEBE
SATANELLA oder DEA
Romantische Oper von Michael William Balfe
Premiere am 19. Oktober 2024
DAS UNIVERSUM VS. UA ALEX WOODS – DIE ZEIT LÄUFT
Ein Stück von Marisa Wendt nach Gavin Extence
Premiere am 2. November 2024
DAS WALZERPARADIES DEA
Wiener Operette von Oscar Straus
Premiere am 7. Dezember 2024
DER TARTUFFE oder UA DER DER PROFITEUR ÜBERSETZUNG
Komödie von Molière
Deutsch von Dirk Schäfer und Geneviève Granier-Nerlich
Premiere am 15. März 2025
DEA Deutsche Erstau ührung I UA Urau ührung
Erzgebirgische Theater- und Orchester GmbH
Eduard-von-Winterstein-Theater
Intendanz: Moritz Gogg
Buchholzer Straße 67 09456 Annaberg-Buchholz
Tel. 03733 1407-131 service@erzgebirgische.theater
www.erzgebirgische.theater
Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen Premieren Spielzeit 2024/2025
30. August 2024
THE ADDAMS FAMILY
großes Haus
Buch von Marshall Brickman und Rick Elice | Musik und Songtexte von Andrew Lippa | Deutsch von Anja Hauptmann | Basierend auf Figuren von Charles Addams
19. September 2024
Theater für Kinder unterwegs in der Oberlausitz
ČMJEŁA HANA WOČAKUJE WOPYT von Mirko Brankatschk
20./21. September 2024
MEIN KAMPF
Farce von George Tabori | Puppentheater ab 14 Jahre
Burgtheater
25. bis 29. September 2024 auf Bautzener Bühnen
THEATERFESTIVAL „WILLKOMMEN ANDERSWO VI – IN EINEM BOOT“
26. September 2024
IN EINEM BOOT?
Burgtheater
Eine Inszenierung des Thespis Zentrums zum Festival „Willkommen anderswo VI“
11. Oktober 2024 großes Haus
KURZ & NACKIG
Komödie von Jan Neumann
19. Oktober 2024
Radibor / Radwor
Theater unterwegs in der Oberlausitz WULKA WUTROBA (DAS HERZ EINES BOXERS) von Lutz Hübner | In obersorbischer Sprache mit Simultanübersetzung ins Deutsche 25./26. Oktober 2024 großes Haus
BAUTZENER BÜHNENBALL
9. November 2024
DAS WINTERMÄRCHEN
Burgtheater
nach William Shakespeare und Franz Fühmann | Puppentheater ab 10 Jahre
17. November 2024 großes Haus
DIE KLEINE HEXE von Otfried Preußler | für die Bühne bearbeitet von John von Düffel 22. November 2024 Burgtheater
JOSEF UND MARIA von Peter Turrini
29. November 2024 großes Haus
Deutsche Erstaufführung
AUF DER RÜCKSEITE DES MONDES
KATHARINA ERNST / THOMAS KÖCK / ANNEA LOUNATVOURI / MARTIN MIOTK / ANDREAS SPECHTL / MICHAEL V. ZUR MÜHLEN THE WEIRD & THE EERIE (UA)
Fr 30.8. 20.30 Uhr, Sa 31.8. 21.30 Uhr, KET-Halle
IDOLONSTUDIO / SUN SHANG-CHI / CHEN YI ALGORITHMIC HARMONY (UA)
Do 5.9. 20.30 Uhr, Fr 6.9. 18 & 20.30 Uhr, Redoute
JULIA WAHREN / RUDOLF HERZ LURIE’S LYRICS
Burgtheater
Die Geschichte der Bautzener Beat-Band HERCY von Lubina Hajduk-Veljkovićowa 16. Januar 2025
Sorbisches Jugendtheater am DSVTh PJERŠĆEŃ (DER RING) von Theo Fransz | In obersorbischer Sprache mit Simultanübersetzung ins Deutsche 15. Februar 2025 großes Haus
URAUFFÜHRUNG
SMJERĆ PO ŠTUČKACH (TOD IN STROPHEN)
Ein Spreewaldkrimi von Alexander Marusch und Madleńka Šołćic | In obersorbischer Sprache mit Simultanübersetzung ins Deutsche
7. März 2025 großes Haus
TOD EINES HANDLUNGSREISENDEN von Arthur Miller
8. März 2025
SCHLAFES BRUDER
Burgtheater
nach dem Roman von Robert Schneider | Puppentheater ab 14 Jahre | Koproduktion mit der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch | Abt. Puppenspielkunst 11. April 2025 großes Haus
KAFKA – „…UND DASS DU MIR DAS LIEBSTE BIST“
Biographical von Stefan Wolfram 13. April 2025 Burgtheater
PAULAS REISEN von Paul Maar Puppentheater ab 4 Jahre 26. April 2025 Drachhausen
Uraufführung
PÓRAJŚO SE WEN DO SWĚTA (AUF IN DIE WELT)
Eine musikalisch-szenische Collage über die sorbischen Auswanderer oder Das Fernweh der Sorben und Wenden | von Esther Undisz | In niedersorbischer Sprache mit Simultanübersetzung ins Deutsche 21. Mai 2025
Puppentheater für Kinder unterwegs in der Niederlausitz
KRALOWKA BARWOW (DIE KÖNIGIN DER FARBEN) von Jutta Bauer | Puppentheater in niedersorbischer und deutscher Sprache ab 4 Jahre
12. Juni 2025 Hof der Ortenburg
29. Bautzener Theatersommer
ALICE IM WUNDERLAND
Musical basierend auf der Geschichte von Lewis Carroll
Telefon: 03591/584-0 www.theater-bautzen.de
So 8.9. 18 Uhr, Redoute 21. AUG –08. SEP 2024
13. 09. 2024
Der Reisende von Ulrich Alexander Boschwitz Fassung, Texte und Regie Hakan Savaş Mican
05. 10. 2024
Hamlet /Ophelia nach William Shakespeare Regie Selen Kara
09. 11. 2024
Alice im Wunderland nach dem Roman von Lewis Carroll Regie Ekat Cordes
30. 11. 2024
Tabak (UA)
von Rachel J. Müller Regie Lea Oltmanns
20. 12. 2024
Istanbul
Ein musikalischer Abend von Selen Kara, Torsten Kindermann und Akın Emanuel Şipal mit Songs von Sezen Aksu Regie Selen Kara
Ab 2025
Memories of snow (UA)
Ein narrative space mit Motiven aus „I can only fall asleep if I imagine it is snowing“ von Teona Galgoţiu und Roman Senkl/ minus.eins.labs Digitale/Hybride Produktion
Common Ground www.theater –
08. 02. 2025
Ein neues Stück (UA) von Dawn King mit dem Stadt-Ensemble Plus Regie Adrian Figueroa
14. 03. 2025
Meine Schwester (UA)
nach dem Roman von Bettina Flitner Regie Bettina Engelhardt
05. 04. 2025 Sakrileg (UA) (Arbeitstitel) von Saar Magal Regie, Konzept und Choreografie Saar Magal
Mai 2025
Peer Gynt von Henrik Ibsen Regie Caner Akdeniz
Mai 2025
Anziehen
Ausziehen
Ein Bildungsauftrag (UA) (Arbeitstitel) von Anne Lepper Regie Felix Krakau Auftragswerk
Juni 2025 setup.school().
Die Lernmaschine
Ein theatrales Game von machina eX Klassenzimmerstück
Musiktheater
CARMEN
Oper von Georges Bizet
Premiere 14.9.2024
KAFKAS
SCHAM, SCHULD, PROZESS
Ein Musiktheaterexperiment in Texten von Franz Kafka mit Musik vom Barock bis zur Gegenwart
Premiere 15.9.2024
RITTER BLAUBART (BARBE-BLEUE)
Operette von Jacques Offenbach | Premiere 26.10.2024
DIE BREMER STADTMUSIKANTEN
Eine Geschichte zur Weihnachtszeit nach Grimms Märchen
Premiere 16.11.2024
LA CENERENTOLA (ASCHENPUTTEL)
Oper von Gioachino Rossini | Premiere 7.12.2024
JOLANTHE und DER FEUERVOGEL
Oper von Peter Tschaikowsky und Ballett von Igor Strawinsky | Premiere 15.2.2025
LIKE A ROLLING STONE
Rock-Pop-Punk-Theater-Party | Premiere 8.3.2025
DON CARLOS
Große Oper von Giuseppe Verdi | Premiere 6.4.2025
PETER PAN
Eine fantastische Oper von Kindern für Kinder Für alle ab 6 Jahren | Uraufführung 24.5.2025
AMERICAN MOTHER
Oper von Charlotte Bray Auftragswerk des Theaters Hagen | Uraufführung 31.5.2025
Ballett
Theater
Theater
Performances
Performances
Konzerte
Konzerte Workshops
Workshops
Dreiteiliger Tanzabend INTERACTIONS
THE LONGLONGNEVERENDING
Choreographie Emilie Leriche
LES AMANTS VOILÉS
Choreographie Francesco Nappa
MASCULINE / FEMININE
Choreographie Lukas Timulak
Premiere 5.10.2024
JOLANTHE und DER FEUERVOGEL
Diskurse
Diskurse
Oper von Peter Tschaikowsky und Ballett von Igor Strawinsky
Choreographie Francesco Nappa
Lesungen
Lesungen
Theaterführungen
Theaterführungen
Kunstparcours
Kunstparcours
Premiere 15.2.2025
LE SACRE DU PRINTEMPS
Ballett von Igor Strawinsky
Choreographie Francesco Nappa
Premiere 26.4.2025
SUBSTANZ – ALDEBARAN UND KASSIOPEIA
Tänzer*innen choreographieren
Premiere 17.6.2025
Theater Hagen
Elberfelder Straße 65 58095 Hagen
Telefon: 02331 / 207-3218
Intendant: Francis Hüsers
Das gesamte Programm des Theaters Hagen finden Sie in unserem Datenheft 2024/25 sowie auf www.theaterhagen.de
Hier erfahren Sie mehr ! →
Ab dem Frühjahr 2025 bietet die Hochschule der Künste Bern (HKB) einen Schauspiel-Master an, der Schauspielkunst in Digitalität, Film und Medien einbettet
Serie Schlaglichter #07: Fabiola Kuonen: Power – Die 48 Gesetze der Macht
Serie Post-Ost: Valerie Schönian Ausbildung Die Hochschule der Künste Bern entwickelt einen neuen Studiengang
Von Fabiola Kuonen
Mit unserer Open-Call-Reihe „Schlaglichter“ laden wir Studierende und Berufseinsteiger:innen dazu ein, eigene Denkräume zu eröffnen, Wünsche und Träume zu teilen und die Zukunft des Theaters in ihrem Können und Sollen zu erkunden. Auf diesem Weg möchten wir jungen, bislang ungehörten Stimmen Gehör verschaffen und einer sowohl künstlerischen als auch diskursiven Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Themen des Theaters einen selbstbestimmten Raum bieten.
Fabiola Kuonen arbeitet genreübergreifend als Regisseurin und Autorin. Am Residenztheater München inszenierte sie „Das Gelobte Land“ und „Die Schneekönigin“, am Staatstheater Kassel die Uraufführung der Kurzoper „NACHT“. Seit 2017 beschäftigt sie sich in verschiedenen Formaten insbesondere mit den (Un-)Möglichkeiten von Kommunikation. Sie arbeitete u. a. am Volkstheater Rostock, beim Brechtfestival Augsburg, in der Freien Szene in Berlin und Paris und wurde u. a. zum Internationalen Figurentheater Erlangen eingeladen. 2024 schließt sie ihr Regiestudium an der Theaterakademie August Everding München ab.
„All in – Ein Spiel von 13 Jugendlichen mit Sean Kellers Stück UND“, Regie Fabiola Kuonen, Bühne Lotta Thoms, Kostüm Marlene Rösch an der Theaterakademie August Everding.
Dieses Buch, gepriesen als Machiavelli des 21 Jahrhunderts, ist mir ein kleines Recherchegold, weil es in seiner Ratgeber-Manier so unverblümt brachial ist, dass ich kopfschüttelnd lachen muss: „Gesetz 3: Halte deine Absichten stets geheim.“
„Gesetz 7: Lass andere für dich arbeiten, doch streiche immer die Anerkennung dafür ein.“„Gesetz 10: Ansteckungsgefahr. Meide Unglückliche und Glücklose. “
Und doch erkenne ich darin auch Vorgehensweisen in hierarchischen Leitungsstrukturen oder den Geniekult, mit dem die Arbeit aller Beteiligten verschleiert wird. Die Machtdebatte am Theater, sie schwelt, enttarnt viele Strukturen als verdinglicht.
Was nun? Die Machtpyramide auf den Kopf stellen, die Häuser anzünden, nur noch kollektiv? Ohne Hierarchie produzieren wollen und Ungleichgewichte, die sich im Probenprozess einstellen, galant wegignorieren?
Die Macht, das Ungleichgewicht, die Hierarchie ist da. Etwa im Wissensvorsprung der Person, die drei Monate vor Probenstart bereits 13 Bücherschinken gewälzt hat, in der Entscheidungshoheit über die Steigung der Bühnenschräge, im Festlegen, wann, wie und wo geprobt wird oder im Bestimmen über Spielweise, Timing, der Verschaltung der unterschiedlichen Gewerke – und auch in der Entscheidung, wessen Geschichten von wem erzählt werden und wer Zugang zu den Publikumsreihen hat. In meinem Selbstverständnis als Regisseurin wird der Umgang mit Macht weitaus produktiver, wenn ich mit dem Begriff Verantwortung hantiere.
In einer Produktion mit Jugendlichen wurde mir bei der Sicherheitsunterweisung der Gesetzesparagraf zu meiner besonderen Fürsorgepflicht vorgelesen. Und die Technik hat recht: Ich trage als Regisseurin die Verantwortung für die künstlerischen Entscheidungen, für die Sicherheit aller Beteiligten. In jeder Produktion.
Der Duden definiert Verantwortung als die „mit einer bestimmten Aufgabe oder Stellung verbundene Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass innerhalb eines bestimmten Rahmens alles einen möglichst guten Verlauf nimmt, das jeweils Notwendige und Richtige getan wird und möglichst kein Schaden entsteht“. Ein ethischer Appell. Für mich ist die Probenarbeit auch ein immenser Schatz, weil sich mit einem Bündel an Menschen, die sich auf Verabredungen einlassen, Gegenwelten erproben lassen. In den „guten Verlauf möglichst ohne Schaden“ muss der Arbeitsprozess unbedingt in die Rechnung mit aufgenommen werden. Das transparente Aushandeln über Macht und Hierarchie sollte dabei vorrangig hinsichtlich der verfügbaren Kapazitäten, Verantwortung zu übernehmen, besprochen werden. Gleichzeitig ist es im Sinne der fürsorglichen Verantwortung essenziell, dass die Beziehungen reziprok sind: Während es meine Aufgabe ist, die entstehende Arbeit unter künstlerischer Perspektive zu spiegeln, ist es für mich ebenso wichtig, einen Raum zu schaffen, in dem meine Arbeitsweise kritisiert werden kann. Natürlich mache ich mich damit angreifbar – versus „Gesetz 17: Versetze andere in ständige Ungewissheit: Kultiviere die Aura der Unberechenbarkeit“ –, aber letztlich ist in einer Bedürfnisartikulation auch mir geholfen. Damit findet zwangsweise eine Ent-Dinglichung statt, denn ein bedürfnisorientiertes Arbeiten setzt den Menschen vor
In meinem Selbstverständnis als Regisseurin wird der Umgang mit Macht weitaus produktiver, wenn ich mit dem Begriff Verantwortung hantiere.
die Funktion. Und für alle, die sich sorgen, dass das Arbeiten so zum Selbsthilfe-Zirkel verkommt: Das Bedürfnis, eine überzeugende künstlerische Arbeit zu realisieren, teilen hoffentlich alle und ist sogar entscheidend. Die Anthropologin Rita Laura Segato spricht von zwei ethischen Impulsen: „Jenen der Konformität, also die konservative, gehorsame Ethik, und jenen der Unzufriedenheit, rastlos auf der Suche nach Wegen hin zu einer besseren Welt für mehr Menschen, durch die Herausforderung des Anderen, durch seine Andersartigkeit stimuliert und ausgelöst.“1 Das ist es, was ich erproben möchte. Eine solidarische Gemeinschaft, die in ihrer Offenheit produktiv werden kann und in der Macht als Chiffre für Verantwortung steht. T
1 Rita Laura Segato: Wider die Grausamkeit. Für einen feministischen und dekolonialen Weg. Berlin/Wien: mandelbaum, 2021.
Entwürfe für kollektives künstlerisches Produzieren
27. bis 28. Januar 2025 Ein Workshop von SHE SHE POP
bundesakademie.de/dk
Von Valerie Schönian
Im Superwahljahr 2024 mit Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg (am 1. und 22. September) laufen die Diskussionen über den Osten Deutschlands auf Hochtouren. Meist geht es dabei nur um eins: Wie viel rechts geht oder darf noch? Und damit verrutscht schon der Blick.
In dieser neuen Serie meldet sich die Generation Post-Ost zu Wort, also Menschen, die von der Herkunft aus Ostdeutschland, aber nicht mehr direkt durch die DDR geprägt sind, Leute aus den verschiedensten Theaterberufen sowie bereits renommierte Autor:innen und Journalist:innen.
7 ½ BRÜCKEN Ein Potsdam-Po rät von Jan Neumann mit Ensemble URAUFFÜHRUNG 20-SEP-2024
DAS BESTE ALLER MÖGLICHEN
LEBEN von Noah Haidle PREMIERE 21-SEP-2024
Neulich fragte mich wieder jemand nach dem Unterschied zwischen gleichaltrigen Westdeutschen und mir. Das werde ich oft gefragt, es gibt darauf viele Antworten. Eine ist ganz einfach, sie klingt fast banal: Ich bin eben in Ostdeutschland aufgewachsen. Und der Osten ist nicht einfach verschwunden mit der DDR, er ist ein anderer Sozialisations- und Erfahrungsraum geblieben. Für die anderen Antworten muss man etwas ausholen. Also von vorn. Dass ich in Ostdeutschland aufgewachsen bin, das war mir lange selbst nicht klar. Ich bin geboren im Herbst 1990, wenige Tage vor der Wiedervereinigung, in Gardelegen in Sachsen-Anhalt. Aufgewachsen bin ich in Magdeburg. Damit gehöre ich zur ersten Ostgeneration, die Pampers trug statt Windeln aus Baumwolle, für die das Nutella immer ganz selbstverständlich neben dem Nudossi stand. Trotzdem hat das Thema für mich lange keine Rolle gespielt. Während ich zur Schule ging, bestand Deutschland für mich aus 16 Bundesländern, Ost und West waren Himmelsrichtungen, die DDR-Geschichte wie das Römerreich: abgeschlossen und vorbei. Dass sich das geändert hat, war ein Prozess. Angefangen hat dieser, als ich für kurze Zeit nach München zog. Das war im Jahr 2014, als Pegida in Dresden anfing zu marschieren. Ich stand in München auf einer Gegendemonstration, doch etwas unterschied mich von den Leuten um mich herum, so war mein Gefühl. Sie sahen in den Demonstrierenden in Dresden nicht irgendwelche Leute, sie sahen zuallererst Ostdeutsche. Da wurden auf einmal Klischees aus der Schublade geholt, von denen ich dachte, es sei ein Klischee, dass es die noch geben würde. Eine Freundin gestand mir, dass sie wegen Pegida in ganz finstere Rollenmuster zurückfalle, sodass sie denke: „Scheiß Ossis, ihr Jammerlappen, dass ihr euch immer noch benachteiligt fühlt.“
Damals widersprach ich ihr nicht.
Überhaupt habe ich keinerlei Gegenwind gegeben, mich nicht gewehrt, obwohl irgendetwas in mir sich angegriffen fühlte. Warum? Vermutlich, weil ich nicht in Verdacht geraten wollte, Pegida
LAZARUS Musical von David Bowie und Enda Walsh / nach dem Roman „The Man Who Fell To Ea h“ von Walter Tevis / Deutsch von Peter Torberg PREMIERE 19-OKT-2024
MEIN KAMPF von George Tabori PREMIERE 22-NOV-2024
BLUTBUCH nach dem Roman von Kim de L’Horizon PREMIERE 17-JAN-2025
STERN 111 nach Motiven des Romans von Lutz Seiler
URAUFFÜHRUNG 31-JAN-2025
LEBEN DES GALILEI von Be olt Brecht / Musik von Hanns Eisler PREMIERE 14-MÄRZ-2025
DER NACKTE WAHNSINN
Komödie von Michael Frayn PREMIERE 11-APR-2025
MARIE-ANTOINETTE ODER KUCHEN FÜR ALLE! von Peter Jordan PREMIERE 26-APRIL-2025 / PALAIS LICHTENAU
BONDI BEACH von Rebekka Kricheldo PREMIERE 16-MAI-2025
AKADEMIE nach der Erzählung von Franz Kafka PREMIERE 31-MAI-2025
DER TOLLSTE TAG von Peter Turrini frei nach Beaumarchais PREMIERE 14-JUN-2025 / SOMMERBÜHNE AM TIEFEN SEE
Premieren JUNGES HANS OTTO THEATER auf: hansottotheater.de
Die AfD wird gern als ostdeutsches Phänomen abgetan. Zuletzt nach der Europawahl wieder. Ich muss ehrlich sagen: Das hat mich überrascht. Ich dachte, wir seien weiter.
zu verharmlosen, wenn ich die Ostdeutschen verteidigte. Ich hatte keine Sprache dafür, dass es auch anders geht.
Damals begann das, was ich meine Ossi-Werdung nenne. Zu dieser gehörte auf der einen Seite ein gewisser Trotz. Ich begann, auf einmal darauf zu bestehen, Rotkäppchen-Sekt zu kaufen, Riesaer Spirelli, und ich schmuggelte ostdeutsche Lieder auf die Playlist von Betriebsfeiern und WG-Partys („Kling Klang“!). Auf der anderen Seite waren da die politischen Entwicklungen, die mir zeigten, dass etwas im deutsch-deutschen Verhältnis nicht so in Ordnung ist, wie ich dachte: In Sachsen-Anhalt, meinem Heimatbundesland, wurde die AfD im Frühjahr 2016 das erste Mal in ein Landesparlament gewählt und dann gleich als zweitstärkste Kraft. Danach waren meine Social-Media-Kanäle durchzogen von Menschen, die auf den Osten schimpften: „Diese Hohlköpfe!“, hieß es da. Ich bekam das Gefühl, einige würden die Mauer gern wieder aufziehen, manche forderten das ganz direkt.
Ich war auch entsetzt über das Wahlergebnis. Aber ich war genauso entsetzt darüber, welche Pauschalitäten und Vorurteile dieses Wahlergebnis hervorholte gegenüber der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, und den Menschen dort.
Ich begann, mich immer mehr damit zu beschäftigen, woher das alles rührt; was dort, in Ostdeutschland, eigentlich passiert ist in den vergangenen 30 Jahren und davor. Das erste Mal begann ich, meiner Familie Fragen zu stellen und ihre Antworten zu hören. Doch was mich selbst überraschte: Die wollten zuerst überhaupt nicht reden. Als ich begann, meinen Vater nach dem Osten zu fragen, beharrte er darauf, dass das „vorbei“ sei. Er verteidigte zwar sein Leben in der DDR („Wir haben mit dem Leben nicht gewartet, bis die Mauer weg war!“), aber bestritt, dass der Osten noch irgendein Thema sei („Nur weil du eine Ost-West-Geschichte schreiben willst, brauchst du uns doch jetzt nichts einzureden!“).
Solche Reaktionen habe ich seither oft erlebt, wenn ich mit älteren Ostdeutschen ins Gespräch kam, welche die DDR und den Umbruch bewusst erlebt haben; von vielen Nachwendekindern habe ich Ähnliches gehört. Ich glaube, an diesen Reaktionen erkennt man, wie schief der Ostdiskurs jahrzehntelang gelaufen ist. Sobald es um den Osten ging, ging es um etwas Negatives – die Stasi, die Nazis, die Lohnunterschiede. Es ging immer um einen Unterschied, der verschwinden sollte; der der deutschen Einheit im Weg stand.
Deswegen habe ich später verstanden, warum mein Vater so reagierte: Die Ostdeutschen haben lange daran gearbeitet, diesen Unterschied verschwinden zu lassen, sich anzugleichen. Wenn dann seine Tochter daherkommt mit ihrer neu entdeckten Ostidentität, dann wirkt das erst mal seltsam und ist vielleicht sogar verletzend, so als würde ich ihnen sagen: Ihr habt das nicht geschafft.
Aber ich glaube, da muss ein Umdenken stattfinden, das tut es auch bereits: Denn es ist etwas Gutes, wenn wir jetzt wieder so viel über den Osten reden, es ist auch notwendig.
Denn noch immer wird viel von der Geschichte, Erfahrung, Perspektive Ostdeutschlands in Westdeutschland nicht gesehen. Kennen Sie Dirk Oschmann? Das ist der ostdeutsche Megabestseller des letzten Jahres („Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“) – ich begegne immer wieder Westdeutschen, die sich eigentlich gut mit Büchern auskennen, doch denen der Name nichts sagt. Aus ostdeutscher Sicht ist das, als würde man Juli Zeh nicht kennen.
Wenn die ostdeutsche Perspektive also noch immer so wenig gesehen und schnell übersehen wird, dann ist es wichtig, sie ganz bewusst sichtbar zu machen.
Da geht es nicht nur um Gefühliges – so was wie halt ein bisschen Anerkennung für die Ostdeutschen; auch nicht um Klischees oder die Frage, was denn jetzt typisch ostdeutsche oder westdeutsche Charaktereigenschaften seien. Es geht um Strukturen, um Macht. Um die Frage, wer bekommt wie viel vom Kuchen in diesem Land? Denn die wirtschaftliche Macht, die politische, die Diskursmacht, die historische Haupterzählung: Das alles ist noch immer westdeutsch geprägt – und das ist dann auch etwas, was für mich im Vergleich zu meinen westdeutschen Altersgenoss:innen eine Rolle spielt (Stichwort Erbe, Repräsentanz, Elitenförderung). Damit sich das ändert, braucht es im ersten Schritt erst einmal eine Bewusstheit für das Problem, und dafür müssen wir, na klar, darüber reden – auch, um auf die politische Notwendigkeit hinzuweisen. Die erkennt man gerade in diesem Moment auch wieder, in dem in Brandenburg, Thüringen, Sachsen gewählt wird und eine in Teilen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Partei droht, politische Macht zu erhalten. Damit will ich nicht sagen: Wir reden jetzt einfach wieder mehr über Ostdeutschland und schon sind alle Probleme gelöst. So einfach ist es nicht. Und doch hängt eben alles mit allem zusammen, und es muss vieles auf einmal passieren. Und es ist einfach wichtig, gerade jetzt mehr auf Ostdeutschland, auf die spezifischen Erfahrungen und Gegebenheiten zu schauen – aber nicht nur mit Skepsis oder Ablehnung, sondern mit Neugier und dem Wunsch nach Erkenntnisgewinn, um zu lernen und zwar als Gesamtdeutschland.
Die AfD wird gern als ostdeutsches Phänomen abgetan. Zuletzt nach der Europawahl wieder, von zumindest manchen. Ich muss ehrlich sagen: Das hat mich überrascht. Ich dachte, wir seien weiter. Ich dachte, nachdem die AfD auch in Süddeutschland beachtliche Ergebnisse erlangt, genau wie in Hessen, wissen wir, dass das Erstarken des Rechtspopulismus ein Problem des ganzen Landes ist.
Und auch bei dieser Europawahl hat man es gesehen: In Nordrhein-Westfalen haben absolut gesehen so viele Menschen die AfD gewählt wie in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg zusammen. In Pforzheim in Baden-Württemberg wurde die AfD bei der Wahl zum Stadtrat stärkste Kraft. Dort erhielt die Partei mehr Prozent als beispielsweise in Halle.
Nicht falsch verstehen: Natürlich ist die AfD in Ostdeutschland relativ gesehen noch viel stärker; und Menschen mit sichtbarer Migrationsgeschichte berichten, dass sie sich dort an vielen Orten einer stärkeren Form des Alltagsrassismus ausgesetzt se-
hen – daran gibt es nichts zu beschönigen. Aber gern wird aus westdeutscher Sicht Rassismus als Problem auf Ostdeutschland abgeschoben, um sich nicht selbst damit auseinandersetzen zu müssen. Und das funktioniert nicht, es ist sogar gefährlich. Denn auch Westdeutschland ist vor solchen Entwicklungen nicht gefeit. Viele Entwicklungen, die in Ostdeutschland u. a. zu Frust führen, gibt es auch in Westdeutschland: Überalterung, Stadtflucht, Abstiegsangst, Migrationsskepsis. Auch dort kann die AfD noch stärker werden. Und wir sehen ja auch, dass das Erstarken des Rechtspopulismus ein europäisches, ein globales Phänomen ist.
Das bedeutet einerseits: Ist die Demokratie, wie wir sie kennen, im Osten bedroht, ist sie dies überall. Das bedeutet andererseits: Man könnte, man muss, vom Osten auch lernen, wie man sie retten kann.
Denn was oft vergessen wird: Die Menschen, die das versuchen, die am meisten für einen gerechten Osten streiten – die sind im Osten. Und die sind auch mitgemeint, wenn der Osten pauschal abgeschrieben wird. Was sie aber stattdessen bräuchten, ist Sichtbarkeit, ist Zuspruch und Geld, wofür es wiederum Ersteres braucht.
Im August gingen erschreckende, verstörenden Bilder aus Bautzen durch die Medien: Ein Aufzug von 700 Neonazis, die durch die Stadt marschierten, um eine Demonstration des Christopher Street Day – eine Demonstration für Vielfalt, Toleranz und die Rechte queerer Menschen – zu stören.
Aber was daneben fast unterging: Trotz dieses Aufgebots, trotz der Mobilisierung der Rechtsextremen hat der CSD stattgefunden mit 1000 Menschen, die sich nicht einschüchtern lassen haben, die trotzdem auf die Straße gingen – fast dreimal so viele Menschen wie noch ein Jahr zuvor. Die Leute vor Ort baten danach darum, bitte nicht nur die Nazi-Bilder zu teilen, sondern auch die Bilder ihrer Demonstration – der bunten, glitzernden, fröhlichen Menschen. Sie wollten, dass ihr Erfolg gesehen wird, ihr Mut, ihr Weitermachen.
Noch einmal zurück zur Frage, was mich und gleichaltrige Westdeutsche unterscheidet: Wenn ich nach einer Wahl über die Ergebnisse frustriert bin, habe ich schlicht nicht die Möglichkeit, mich einfach abzuwenden oder zu fordern, man sollte doch die Mauer wieder hochziehen – denn ich komme von da, meine Familie lebt da, ich bin dort beruflich und privat ständig unterwegs, der Osten hat ein Gesicht für mich. Und daraus ergibt sich immer wieder ein anderes Bild, ein differenziertes.
Natürlich, auch mir machen viele Entwicklungen Sorgen. Aber in sorgenvollen Momenten rufe ich mir ganz bewusst die anderen Seiten in Erinnerung, die schönen und mutmachenden. Denn gerade in schwierigen Zeiten ist Hoffnung auch eine bewusste Entscheidung. Doch Hoffnung braucht es, um weiterzumachen. Und es gibt sie.
Zurzeit finden in ganz Ostdeutschlands CDSs statt – es ist gerade die queere Bewegung, die vor den Landtagswahlen Demonstrationen für Vielfalt organisiert hat und damit ein Zeichen gegen Rechtsextremismus setzt.
Ein paar Wochen vor den Bildern aus Bautzen geriet ich zufällig in den CSD in Dresden. Bunt und glitzernd angezogene Menschen tanzten stundenlang durch die Straßen. Der Zug endete in der Innenstadt, ein paar Meter von dort, wo Pegida entstand. T
Premieren
Spielzeit 2024/25
Komödie von Jan Neumann / Regie: Yvonne Kespohl ▶ 21. September 2024, Zwinger 1
Der kaukasische Kreidekreis
von Bertolt Brecht / Musik von Paul Dessau
Regie: Holger Schultze ▶ 29. September 2024, Marguerre-Saal
Der talentierte Mr. Ripley
nach Patricia Highsmith / Regie: Corinna Reichle ▶ 29. November 2024, Zwinger 1
Planet B
von Yael Ronen und Itai Reicher / Regie: Cilli Drexel ▶ 13. Dezember 2024, Marguerre-Saal
Unter euch UA
von Thomas Depryck / Deutsch von Frank Weigand Auftragswerk des Theaters und Orchesters
Heidelberg / Regie: Suzanne Emond
▶ 21. Februar 2025, Zwinger 1
Die Ärztin
von Robert Icke / sehr frei nach »Professor Bernhardi« von Arthur Schnitzler / Deutsch von Christina Schlögl / Regie: Pia Richter
▶ 1. März 2025, Marguerre-Saal
Mephisto
nach Klaus Mann / Regie: Daniel Foerster
▶ 12. April 2025, Marguerre-Saal
Tod eines Handlungsreisenden
von Arthur Miller / Regie: Ronny Jakubaschk
▶ 16. April 2025, Alter Saal
2×241 Titel doppelt so gut wie Martin Kippenberger UA
von der Frankfurter Hauptschule
▶ 25. April 2025, Zwinger 1 Eröffnung des 42. Heidelberger Stückemarkts
König Lear
Tragödie von William Shakespeare in einer Fassung von Pavlo Arie und Stas Zhyrkov
Regie: Stas Zhyrkov
▶ 5. Juli 2025, Marguerre-Saal
tickets@theater.heidelberg.de 06221 / 5820 000 www.theaterheidelberg.de
Die Hochschule der Künste Bern entwickelt einen neuen Studiengang
Von Anna Bertram
Künstler:innen proben im Green-Screen-Studio
Körper in Motion-Capture-Anzügen auf der Bühne, Serien-Hypes, Social Media im Alltag und hybride Theater-Games: Film und Medien haben längst die Lebenswelten der Künste erreicht. Von manchen mit offenen Armen empfangen, von anderen weiterhin skeptisch betrachtet, ist Digitalität inzwischen doch ein unumgänglicher und fester Bestandteil der täglichen Normalität. Und damit auch für die Kulturproduktion und ihr Publikum. Für die Institutionen und ihre Zuschauenden bedeutet der digitale Wandel, die eigenen Praxis- und Sehgewohnheiten zu überdenken, sich auf neue Erzählweisen einzulassen. Doch was bedeutet der Umzug in das Digitale für die Schauspielkunst selbst? Schließlich ist es sie, die die Theaterkunst begründete, das Spiel mit Körper und Sprache. Eine Antwort gibt es dort zu finden, wo das Schauspiel seinen Ursprung hat: in der Auseinandersetzung mit der menschlichen Erfahrung und der Umwelt, im kreativen Eintauchen in emotionale und gesellschaftliche Realitäten. Stehen wir nun also am Beginn eines Zeitalters des digitalen Schauspiels – und wie wird es aussehen?
Ab dem Frühjahr 2025 bietet die Hochschule der Künste Bern (HKB) einen Schauspiel-Master an, der Schauspielkunst in Digitalität, Film und Medien einbettet. Es scheint kein Zufall zu sein, dass gerade die HKB als erste staatliche Theaterhochschule im deutschsprachigen Raum diesen Weg eines Schauspielstudiengangs beschreitet, der die herkömmliche Spielpraxis ins Mediale erweitert. „Seit den achtziger oder neunziger Jahren gelten wir als die ‚Performance Schule‘, wir sind die sogenannten Freaks“, erzählt Wolfram Heberle lachend. „… das war ein Klischee. Unser Ziel war es immer, Studierende so vorzubereiten, dass sie als Spielende in einer sich verändernden Berufswelt wirksam werden und diese mitgestalten können.“ Er ist Leiter der Theaterausbildung in Bern und seit 16 Jahren maßgeblich an der Konzeption der Ausbildung beteiligt. Die HKB setzt seit Jahren auf eine internationale Studierendenschaft, in der die einzelnen Auszubildenden unterschiedliche Hintergründe mitbringen. Performance und Schauspiel, Literatur, Physical Theatre und Bildende Künste treffen hier aufeinander. Im Unterricht selbst stehen der performative Ansatz und die Entwicklung einer individuellen künstlerischen Praxis im Vordergrund. Was für das konventionelle, psychologisch ausgerichtete Sprechtheater ungewöhnlich erscheinen mag, bedeutet an der HKB für die Auszubildenden, neue Spielweisen und Dramaturgien mit Körper und Sprache zu erproben. Derzeit wird dies neben einem Grundlagen-Bachelor im Master „Expanded Theater“ umgesetzt.
Doch Theater wäre nicht Theater, ließe es sich nicht noch weiter expandieren. Der Master „Acting for Screen & Digital Media“ wird den bisherigen Master-Studiengang ablösen. Die internationale Ausrichtung bleibt erhalten, die Vielfalt der Disziplinen tritt einen Schritt zurück und macht Platz für Interessierte, die in den performativen Disziplinen gearbeitet haben oder ausgebildet wurden. Der Schwerpunkt wird konkreter und handfester: Er liegt nun nicht mehr bloß auf dem Erproben zeitgenössischer Theaterdramaturgien, sondern Schauspiel, das bisweilen vor allem auf Theater ausgerichtet war, wird weiter in den Film hinein vertieft. Medi-
schausp I elhaus M e IN J ahr D er ruhe u ND e NT spa NN u N g von Ottessa Moshfegh, Regie: Ewelina Marciniak, Österreichische Erstaufführung / chr ONIK D er lau F e ND e N e NT gle Isu N ge N – aus T r I a re VI s IT e D von Thomas Köck, Regie: Marie Bues, Uraufführung des Auftragswerks, Koproduktion mit dem Schauspielhaus Wien in Kooperation mit dem steirischen herbst / MINN a VON B ar N hel M OD er DI e KO s T e N D es gl Ü c K s Lustspiel von Gotthold Ephraim Lessing, Regie: Ulrike Arnold / ech T ze IT al T er nach dem Roman von Tonio Schachinger, Regie: F. Wiesel und Timon Jansen, Uraufführung / ru T her FO r D & s O h N Drama von Githa Sowerby, Regie: Jakab Tarnóczi, Österreichische Erstaufführung / sl I pper Y sl Ope – F as T e IN M us I cal von Yael Ronen und Shlomi Shaban mit Riah May Knight und Itai Reicher, Regie: Felix Hafner, Österreichische Erstaufführung / DI e h Ö lle au F er D e N Komödie von Maria Lazar, Regie: Katrin Plötner / IMM er NO ch h I er – VON Ä N gs T e N u ND al T e N u ND al T e N Ä N gsT e N von Rebekka David & Ensemble mit Texten von Molière, Shakespeare und Tschechow, Regie: Rebekka David, Uraufführung / D er B Ö se ge I s T lu Mpaz IV aga B u ND us Zauberposse mit Musik von Johann Nestroy, Regie: Matthias Rippert schaurau M K a FK a | he IMK ehr Ein Theaterprojekt mit Texten von Franz Kafka, Regie: Jan Philipp Gloger, Andrea Vilter, Österreichische Erstaufführung / ra B a TT Komödie von Nora Abdel-Maksoud, Regie: Basil Zecchinel, Österreichische Erstaufführung / I OK as T e von Roland Schimmelpfennig / Aischylos / Euripides, Regie: Anne Bader, Österreichische Erstaufführung / IM r Ü c K sp I egel Eine performative Anordnung zu kollektiver Erinnerung vom Planetenparty Prinzip, Regie: Miriam Schmid, Uraufführung KON s O le M asch IN e N gespr Ä che OD er : I ch l I e B e es , W e NN s I r I M e IN e N N a M e N sag T von Kristina Malyseva, F. Wiesel & künstlichen Intelligenzen, Uraufführung, in Kooperation mit der KUG / DI g IT hal I a Festival für virtuelle Theaterformen kuratiert von F. Wiesel
www.schauspielhaus-graz.com
en und Digitalität werden eingebunden. Warum? „Wir haben den Eindruck, dass sich der Raum, in dem die Studierenden ihre Themen verhandeln, verändert hat. Das Theater ist nicht verschwunden, sondern erweitert worden, teilweise ins Digitale verschoben“, erklärt Heberle. „Natürlich ist Theater nach wie vor ein spannender und wichtiger Bezugsrahmen. Aber Theater ist nicht alles.“
Heberle hat recht. Denn ein Blick aus den Theatern hinaus und in die Gesellschaft hinein unterstreicht die Frage nach der politischen Relevanz von Theater, Kultur und eines Publikums. Wen haben Theater in den letzten Jahren erreicht und wen nicht? Für wen ist das Theater überhaupt ein Bezugsraum? Eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2023 ergab, dass sich zwei Drittel der Bevölkerung, insbesondere in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen, kaum oder gar nicht für Theateraufführungen interessiert. Das Theater hat an Breitenwirkung eingebüßt. Auch bei den Studierenden an der Hochschule selbst haben, so Heberle, Gespräche über Filme, Serien oder Social-Media-Trends den Austausch über die letzte Inszenierung an der Zürcher Gessnerallee oder dem Theater Basel ersetzt. Wo also anfangen mit einer Transformation von Kunst, wenn selbst Theaterstudierenden die Bezüge des Theaters in die eigenen Lebenswelten fehlen? Die HKB sucht Antworten darauf in der Schauspielkunst selbst. Und es scheint konsequent, dass die Bewegung weg von einem exklusiven The-
ater hin zu offenen Ästhetiken über die Miteinbezugnahme des Alltags mitsamt seiner digitalen und medialen Facetten geschieht.
„Allein schon, sich mit Medien zu bewegen, macht einen anderen Raum auf“, sagt Heberle. Der Nachdruck im Gespräch liegt immer wieder auf der Selbstwirksamkeit der Studierenden und scheint ein durchgehendes Motiv im Konzept der Ausbildung zu sein. Diese beinhaltet zum einen einen starken Methodenteil, in dem Method-Acting erprobt wird mit Praktiken wie denen von Meisner und Chubbuck. Das Proben wird vor und mit Kameras stattfinden, in Settings verschiedener Medien, mit Anlagen in Mikrofon- und Synchronsprechen. Begleitet wird die Praxis dabei von Theorie- und Reflexionsmodulen, die von Filmanalyse bis hin zu Fragen nach dem Dialog von Kunst und Technologie greifen. Was ist eine Kameraeinstellung, wie werde ich geframed? Was bedeutet das für mein Spiel, meine Körpersprache? Wie funktioniert ein Drehbuch? Und wie kommuniziere ich aus dem Schauspiel heraus mit Professionellen aus der Software-Entwicklung? Das Vorhaben ist klar: Kompetenzen ausbilden, um eine künstlerische Positionierung an der Schnittstelle zwischen Schauspiel und Technik zu entwickeln. Es geht um das Erproben neuer Erzählweisen und neuer Strukturen im digitalen Zeitalter. Sibylle Heim ist Assistentin im bisherigen Master und hat den neuen Studiengang mitentwickelt. Sie erklärt, dass in bisherigen Berufskontexten vor
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Hedda Gabler
Schauspiel von Henrik Ibsen
Wiederaufnahme: 1.9.24
Inszenierung: Heike Goetze
Sofja Petrowna / Republik der Taubheit
Schauspiel nach einem Roman von Lydia Tschukowskaja und einem Gedichtband von Ilya Kaminsky
Premiere: 17.10.24
Inszenierung: Barbara-David Brüesch
The Rocky Horror Show
Musical von Richard O‘Brien
Premiere: 19.10.24
Inszenierung: Christian Brey
Das komische Theater des Signore Goldoni
Schauspiel nach Der Diener zweier Herren von Carlo Goldoni
Premiere: 30.11.24
Inszenierung: Max Merker
Tyll
Schauspiel nach einem Roman von Daniel Kehlmann
Premiere: 7.2.25
Inszenierung: Corinna von Rad
Leonce & LenaHORA total!
Lustspiel von Georg Büchner 13./14.3.25
Das Käthchen von Heilbronn
Grosses historisches Ritterschauspiel von Heinrich von Kleist
Premiere: 22.3.25
Inszenierung: Anna Bergmann zwei herren von real madrid
Schauspiel von Leo Meier
Premiere: 7.5.25
Inszenierung: Manuel Bürgin
Medea‘s Children Schauspiel von Milo Rau 23./24.5.25
hildensaga. ein königinnendrama
Schauspiel von Ferdinand Schmalz Premiere: 12.6.25
Inszenierung: Barbara-David Brüesch
Der Wolf kommt nicht Kinderstück nach einem Bilderbuch von Myriam Ouyessad Spring doch Kinderstück von Andri Beyeler
Die drei Räuber Familienstück nach Toni Ungerer
Künstlerische Leitung Schauspiel: Barbara-David Brüesch
konzertundtheater.ch
Kameras und im Film meist wenig Raum für Ausprobieren und Versuche gegeben ist – als wesentlicher Unterschied zur Arbeit im Theater. „Man ist sehr viel auf sich selbst geworfen.“ Denn Abläufe sind klar gesetzt, Zeit limitiert und Ressourcen begrenzt. „Acting for Screen & Digital Media“ möchte die Studierenden in der Ausbildung darauf vorbereiten, dass sie sich selbstständig auf diese verkürzten oder nicht vorhandenen Proben vorbereiten können.
Für das Theater der Zukunft bedeutet die Zusammenarbeit und das Kreieren mit medial ausgebildeten Spielenden vor allem eine Sicherheit im Umgang mit Techniken und ihrer ästhetischen Möglichkeiten. Film, Gaming, Virtual und Augmented Reality: Das Verständnis von Theater wird sich dabei verändern. Doch die Interdisziplinarität der Ausbildung verankert sich genau in der Abwesenheit der abgegrenzten Kategorien und Disziplinen. Die verschiedenen Medien greifen viel eher ineinander über, bearbeiten und reflektieren sich. „Es geht nicht um ein Entweder-oder oder darum, das eine gegen das andere auszuspielen, sondern um das Sowohl-als-auch“, erklärt Sibylle Heim die Diskrepanz zwischen Analogie und Digitalität. Und auch im Umgang mit verschiedenen Sprachen wird sich eine Diversifizierung ergeben, wie die mehrsprachige Gestaltung des internationalen Studiengangs bereits jetzt erahnen lässt. „In welcher Sprache wird gedreht? Wird akzeptiert, dass ich auf Englisch drehe, aber meinen Akzent habe? Da löst sich gerade was auf. Und das ist etwas, was wir antizipieren, aber auch thematisieren wollen“, schildert Heberle.
Die Ausbildung wird eng mit der Berufspraxis verknüpft sein, ein fester Bestandteil des Programms sind Unterrichtseinheiten mit Fachleuten aus der Theater-, Film- und Casting-Branche. Auch ein aktiver Austausch mit Streaming-Plattformen und der digitalen Industrie wird gefördert, die Arbeiten der Studierenden sollen regelmäßig nach außen präsentiert werden und möglichst früh mit der Berufswelt in Kontakt treten. Versprochen auf der Website des neuen Studiengangs sind letztlich Kompetenzen in den Bereichen Film, digitale Medien und eine Vernetzung in der Arbeitswelt. Mit all diesen Vorhaben – wie können wir die Entwicklung an der HKB also begreifen? Der Paradigmenwechsel in der Berner Theaterausbildung scheint an der Schnittstelle von Ästhetik, künstlerischer Forschung, Industrie und kulturpolitischer Relevanz angesiedelt zu sein. Wenn Theater weiterhin als ein Forschungslabor für die Gesellschaft und ihre Gegenwart spricht, so zeigt die HKB, dass das Aufrechterhalten eines methodischen Handwerks Hand in Hand gehen kann mit neuen Räumen und einem offenen Profil zwischen Analogie und Digitalität. Etabliertes Schauspielwissen wird nicht nur reflektiert, sondern mithilfe von Medien weiterentwickelt und in Synergien zwischen Körpern und Techniken übersetzt. In Studios, vor dem Greenscreen oder in der Blackbox wird die so oft beschriebene Transition stattfinden, ganz im Hier und Jetzt und parallel zum rasanten Tempo der technologischen Entwicklungen. Fast wie ein Innehalten, ein kurzer Moment der Ruhe, wirkt dieses Vorhaben. Wie ein sich verflüchtigender Körper zwischen gestern und morgen, der an der Idee einer Schauspielkunst festhält und sie zugleich für etwas Neues gehen lässt. T
Musik und Lyrik. Von Liebe und Tod I 7. SEP Aus seinem
Mitterer I UA I 21. SEP
Merker I UA I 2. OKT
Strindberg I 31. OKT
Kästner I 29. NOV
Bertschy I UA I 15. JAN
Jelinek I 15. FEB
Mozart/Da Ponte I 9. MÄR
Kafka I 17. MAI
Goethe I 17. APR
brütt oder die seufzenden Gärten
Mayröcker I 20. SEP
Egger I UA I 14. DEZ
Schmerzambulanz
Messner I UA I 26. FEB
landestheatervorarlberg
27. September bis 13. Oktober 2024 nur 9-mal
→ Die Werkstattsanierung & der Anbau sind das erste Gebäudeprojekt, das mit Mitteln des Programms „Strukturentwicklung Lausitz“ gefördert wird.
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Premieren
Tierische Briefe | Premiere am 13.09.2024 von Toon Tellegen | aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler Regie: Frank Soehnle | Originaltitel: „Briefe vom Eichhorn an die Ameise“
Der gestiefelte Kater | Premiere am 16.11.2024 nach dem Märchen der Brüder Grimm | Regie: Sonja Keßner
Angstmän | Premiere: 21.02.2025 von Hartmut El Kurdi | Regie: Naemi Friedmann
Macbeth! | Premiere am 10.04.2025 | Koproduktion mit dem Theater Erfurt von Giuseppe Verdi und William Shakespeare Regie: Christian Georg Fuchs
Wolfswimpern | Premiere am 21.06.2025 nach einem japanischen Volksmärchen | Regie: Kristine Stahl
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Epidauros ist die bedeutendste antike Kultstätte für den Heilgott Asklepios in Griechenland
Epidauros Theodoros Terzopoulos inszeniert eine in Skepsis und Protest endende „Orestie“ Karlsruhe Schauspieldirektorin Anna Bergmann verabschiedet sich Argentinien Einige Schlaglichter auf das Theater von Buenos Aires in Zeiten von Javier Milei
Theodoros Terzopoulos inszeniert für das Epidauros-Festival eine in Skepsis und Protest endende „Orestie“ von Aischylos
Von Thomas Irmer
Am Anfang brummen Tausende Fliegen durch Lautsprecher, das letzte Abendblau steht bei 30 Grad über dem riesigen Amphitheater von Epidauros mit 12 000 Zuschauer:innen, für die sich die Zeit schlagartig verändert. Aber welche Zeit an diesem einzigartigen Ort auf dem östlichen Peloponnes rund 100 km von Athen entfernt nun gilt, eine vorgeschichtliche, moderne oder ganz gegenwärtige, das wird an dem langen Abend mit den drei
Beim beklemmenden Schlussbild hält das steile Halbrund der 12 000 Zuschauer:innen den Atem an.
Teilen von Aischylos’ „Orestie“ immer wieder wechseln – und auch verschwimmen als ein jedenfalls mit dieser Inszenierung herausforderndes Zeitgefühl. Der einst als Kultautor verehrte amerikanische Schriftsteller Henry Miller schrieb 1940, kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, den großen Satz: „Die Straße nach Epidauros ist wie die Straße zur Schöpfung.“
Für den zunächst erscheinenden Wächter ist es das zehnte Jahr des Krieges der Griechen gegen Troja und genau der Moment, als über Feuerzeichen sein Ende gemeldet wird. Für ihn ein Ende qualvoll ermüdender Ausschau, und mit genau dieser Erschöpfung stattet Tasos Dimas im atemrhythmischen Stammeln seiner Worte die Figur für eine Art Prolog aus.
Der darauf in einer langen Reihe mit stilisierten Bewegungen hereinschreitende Chor schafft seinen Rhythmus ebenfalls mit Atemstößen. Er wirkt wie eine Prozession auf die kreisrunde Scheibe, die Terzopoulos selbst für seine Inszenierung entworfen hat und in deren Rand in regelmäßigem Abstand große Messer stecken.
Dieser Chor ist der große Wurf der Inszenierung, er kann sich in seiner Erscheinung wie eine lebende Skulptur immer wieder verändern, er ist durchgängig in großen Bildern choreografiert – aber er spricht nicht im Chor, sondern es sprechen die Texte des Chors immer nur Einzelne darin. Ein ziemlich verblüffender, dabei sich wandelnder Effekt, der am Ende des Abends sogar in einem gewaltigen Schlusschor aufgehen wird, der vielleicht gar nicht mehr zur Inszenierung gehört.
Wer Terzopoulos’ Theater auch nur ein bisschen kennt, und hier ist auch sein eigenes Attis-Theater in Athen gemeint, weiß, dass es damit um eine von ihm entwickelte Methode der Einheit von Physis, Bewegung und Sprechen geht, teilweise aus alten Techniken rekonstruiert und für eine moderne Formsprache der Darstellung gestaltet. Dieser Chor kommt leicht erkennbar aus den Attis-Workshops für ein neues „Theater des Dionysos“ mit ihrem speziellen Körpertraining in Gruppenformationen, während die Inszenierung der „Orestie“ eine Produktion des Nationaltheaters Athen ist, überraschenderweise die erste Zusammenarbeit von Terzopoulos mit dieser Institution überhaupt.
Gewehrfeuer statt Demokratie
Es wäre also nicht falsch zu behaupten, dass der 21-köpfige Chor hier in den Rang eines äußerst differenziert gestalteten Protagonisten erhoben wurde, der zugleich als Bühnenbild Atmosphäre und die visuell-räumliche Ordnung der Inszenierung der drei Dramen für ein Theater wie das in Epidauros bildet. In „Agamem-
non“ stehen freilich erst mal die Figuren im Vordergrund: Sophia Hill trägt als eine zu allem entschlossene Klytaimnestra das Netz, mit dem sie Agamemnon töten wird, als folienartige Schleppe überm goldenen Kostüm. Jener wiederum erscheint in einer abgewetzten goldenen Hose mit freiem Oberkörper als Kriegsherr wie ein Gladiator. Savvas Stroumpos kann – ohne Mikroport, wie
Der Chor bildet dazu Formationen mit Messern der Gewalt und Bedrängnis. Mal am Boden liegend oder als schmale Gasse der Ausweglosigkeit und hinter dem Geschehen stehenden Volk.
die anderen auch – die für diese Inszenierung entstandene neugriechische Übersetzung von Eleni Varopoulou ohne Mühe selbstverblendet ins Rund donnern. Kassandra, seine Kriegsbeute und erzwungene Mätresse, liegt für ihren Monolog kopfunter auf den Stufen einer kleinen Treppe, die den Palast andeutet. Am Ende ihres Auftritts geht Evelyn Assouad, Schauspielerin mit syrischen Wurzeln, mit einem langen arabischen Trauergesang in den Tod. Hier öffnet die Inszenierung Troja-Mykene zum ersten Mal direkt in die Gegenwart. Der Aegisth von David Malteze bleibt, wie in neueren Interpretationen üblich, als Mittäter beim Königsmord ein kleines Licht.
Der Chor bildet dazu Formationen mit Messern der Gewalt und Bedrängnis. Mal am Boden liegend oder nur als schmale Gasse der Ausweglosigkeit und hinter dem Geschehen stehenden Volk mit Gesten und Mimik der Auflehnung oder Ablehnung.
Das Wunder der Demokratie scheint nicht nur bedroht, sondern verspielt oder am Ende zu sein. Eine solch radikale, mit der politischen Aufführungstradition brechende Deutung dürfte dem Theater einiges zu denken geben.
Im dritten Teil, „Die Eumeniden“, sticht die Verbindung zur Gegenwart deutlich ins Auge bzw. ins Ohr. Nachdem Athena (Aglaia Pappa) die Erinnyen für den Weg in eine demokratische Ordnung befriedet hat, sind extrem laut Maschinengewehrfeuer und Nachrichten von aktuellen Kriegen zu hören – als fast schmerzhafter Einbruch der äußeren Welt in diese bis dahin formal streng stilisierte Inszenierung. Am Ende sammelt Giulio Germani Cervi aus dem Chor (in anderen Vorstellungen nach Epidauros: Yannis Sanidas) die im Kreis herumliegenden blutigen Leichentücher ein und liegt dann unter ihnen im roten Licht wie in einem Feuer. Ein beklemmendes Schlussbild, das steile Halbrund der 12 000 hält den Atem an. Terzopoulos hat eine mit Blick auf die Gegenwart äußerst pessimistische Deutung der „Orestie“ vorgelegt. Das Wunder der Demokratie, letztlich ja mit dem Areopag nach der Entsühnung Orests ein Geschenk der Götter, scheint nicht nur bedroht, sondern verspielt oder am Ende zu sein. Eine solch radikale, mit der politischen Aufführungstradition des antiken Großstücks brechende Deutung dürfte dem Theater, und nicht nur diesem, einiges zu denken geben.
Dem an Polymyalgie schwer erkrankten Regisseur, der diese Inszenierung als seine letzte große künstlerische Arbeit ankündigte, galten bei den beiden Vorstellungen in Epidauros Standing Ovations, die er sichtlich geschwächt mit einem sanften Lächeln genoss. Ein großer Moment der Anerkennung für Theodoros Terzopoulos’ Beitrag zum Welttheater, den er mit dieser „Orestie“ aufs Neue bekräftigte. Danach kam der Chor mit seinen meist jungen Spieler:innen zurück und animierte, nun erstmals im gemeinsamen Sprechgesang und in heftiger Erregung, das Publikum zu „Free Palestine!“-Rufen. Die vielen Zeiten der „Orestie“ wurden noch einmal versetzt.
Zu sehen ist die Inszenierung zum Abschluss ihrer Tournee im September noch sechs Mal in Athen und zwei Mal in Vicenza. T
Nach sechs Jahren verabschiedet sich Schauspieldirektorin Anna Bergmann aus Karlsruhe – eine Bilanz
Von Elisabeth Maier
„Anna
Mit einem starken Zeichen für die weibliche Perspektive um Theater begann vor sechs Jahren die Schauspieldirektion von Anna Bergmann am Staatstheater Karlsruhe. Ihre Ankündigung, in der ersten Spielzeit nur mit Regisseurinnen zu arbeiten, verhalf der Bühne nicht nur zu bundesweiter Medienpräsenz. Der Paukenschlag war sogar der New York Times eine Meldung wert. Das „Feminat“ an dem Haus in der badischen Residenzstadt hat ein Umdenken in der Theaterszene ausgelöst. Vom nachhaltigen strukturellen Wandel, den sich die 46-jährige Theater- und Opernregisseurin für die Gleichberechtigung der Geschlechter wünscht, ist die deutsche Szene aber auch heute noch meilenweit entfernt.
Da erfüllt es die Vordenkerin mit Wehmut, dass ab der nächsten Spielzeit auch in ihrem ehemaligen Haus die Uhren bei der Geschlechtergerechtigkeit wieder zurückgedreht werden.
Claus Caesar, langjähriger Chefdramaturg von Ulrich Khuon am Deutschen Theater in Berlin, leitet die Schauspielsparte unter dem neuen Intendanten Christian Firmbach. Bei ihm sind die Führungspositionen in der ersten Reihe allesamt mit Männern besetzt. Frauen kommen in zweiter Reihe zum Zug. Oberspielleiterin im Schauspiel wird die Regisseurin Brit Bartkowiak, als leitende Opern- und Konzertdramaturgin ist Stephanie Twiehaus engagiert, die Ehefrau des neuen Intendanten.
Dass der Reformkurs, den Bergmann und ihr Leitungsteam in den vergangenen sechs Jahren eingeschlagen haben, nicht weitergeführt wird, macht die scheidende Schauspielchefin traurig. Denn obwohl nach ihrem Vorstoß in Karlsruhe 2020 auch das Berliner Theatertreffen nachzog und bei den Einladungen der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen im deutschsprachigen Theater eine Frauenquote einführte, sind Regisseurinnen und Intendantinnen noch in der Minderheit. Dass sie mit ihrem Team da im Badischen bundesweite Impulse gegeben hat, macht Anna Bergmann dennoch stolz. Jedoch fällt ihre Bilanz realistisch aus. Denn das Missverhältnis sei noch lange nicht beseitigt. Noch immer sind die Regiepositionen an vielen Bühnen rein männlich besetzt. Das Umdenken, das sie und ihr Team mit ihren radikal weiblichen Positionen in Gang gebracht haben, wirkt nachhaltig.
In Karlsruhe übernahm Bergmann ihre erste Schauspielintendanz. Als der Anruf vom damaligen Intendanten Peter Spuhler kam, war ihr Sohn Louis eineinhalb Jahre alt. Damals hat sie in Schweden inszeniert. Das Angebot, eine Sparte zu übernehmen und damit auch Strukturen neu zu ordnen, gefiel der Regisseurin. „Voraussetzung war, dass ich das Schauspiel im Team leite und Frauen fördere“, blickt sie zurück. Mit den Dramaturg:innen Sonja Walter, Anna Haas und Christian Schürmann hat sie dieses Modell erfolgreich weiterentwickelt. Trotz eines konsequent kollektiven Ansatzes hatte der Apparat des Mehrsparten-Staatstheaters für Anna Haas eine große „Schwerfälligkeit“. Die Querelen um den autoritären Führungsstil des damaligen Intendanten Peter Spuhler haben die Arbeit zusätzlich erschwert. Trotzdem hat das Team viel erreicht für eine neue Führungskultur und für die künstlerische Entwicklung von Frauen am Theater.
Dass die Arbeit von Regisseurinnen am Theater schon durch starre Arbeitszeitmodelle behindert wird, haben Anna Bergmann und Anna Haas als junge Mütter und Führungskräfte in Karlsruhe selbst erfahren. Da Arbeitszeitmodelle auch im vermeintlich starren Theaterbetrieb neu zu denken, fand Anna Haas herausfordernd, „aber wir haben viel geschafft“. Die Dramaturgin ist überzeugt, dass mehr Frauen der Weg in Leitungspositionen ermöglicht wird, wenn die strukturellen Barrieren verschwinden. Man habe viel in Bewegung gebracht, ist Christian Schürmann überzeugt. Die Vereinbarkeit von Familie und künstlerischen Berufen war für das Team gesetzt. Mit ihren stilbildenden Inszenierungen hat Anna Bergmann das Profil des Hauses geprägt. Als Kooperation des Deutschen
Die Dramaturgin Anna Haas ist überzeugt, dass mehr Frauen der Weg in Leitungspositionen ermöglicht wird, wenn die strukturellen Barrieren verschwinden.
Theaters Berlin und des Malmö Stadsteater hat sie Ingmar Bergmans Experimentalfilm „Persona“ für die Bühne adaptiert. Das psychologisch tiefenscharfe Spiel um die Konstruktion weiblicher Identitäten war 2019 zum Theatertreffen in Berlin eingeladen. Mit der Starschauspielerin Corinna Harfouch und mit Karin Lithman realisierte die deutsche Regisseurin die Kooperation mit der schwedischen Bühne. Der Blick in die skandinavische Szene zeigt Bergmann, dass Frauen in Führungspositionen an Theatern dort viel selbstverständlicher sind. Mit der Theaterchefin Petra Brylander verbindet sie eine jahrelange Arbeitsfreundschaft. Über Grenzen hinweg entwickeln die beiden Künstlerinnen ein europäisches Theater ohne Stil- und Sprachbarrieren.
Mit „The Broken Circle“ ist 2019 in Zusammenarbeit mit dem Uppsala Stadsteater eine der berührendsten Regiearbeiten von Anna Bergmann entstanden. Das düstere Stück von Johan Heldenbergh und Mieke Dobbels hat sie zur deutschen Erstaufführung gebracht. Als Tätowiererin und Sängerin, die ihr Kind an die tödliche Krankheit Krebs verliert, ist die Schauspielerin und Opernsängerin Frida Österberg zu erleben, die seit vier Jahren festes Ensemblemitglied in Karlsruhe ist. Die Regisseurin erzählt das Leben aus weiblicher Sicht. Frida Österbergs psychologische Tiefenschärfe ergänzt Bergmanns Konzept kongenial. Dabei denken beide stets politisch. Als Johan Heldenbergh und Mieke Dobbels das Stück 2007 schrieben, hatte der damalige US-Präsident George W. Bush zum zweiten Mal ein Gesetz zur embryonalen Stammzellenforschung gestoppt. Damit zerstörte er die Hoffnung vieler Eltern krebskranker Kinder. Was eine politische Entscheidung in einer Familie anrichten kann, bringen Bergmann und Österberg klug auf den Punkt.
Der europäische Weitblick der Schauspielchefin setzte sich in der Auswahl der Regieteams fort. Sie hat die englische Regisseurin Lily Sykes nach Karlsruhe geholt, die mit ihrem feministischen Blick auf Shakespeares Komödie „Viel Lärm um nichts“ den Klassiker aus weiblicher Sicht neu las. Ab der zweiten Spielzeit haben Bergmann und ihr Team gezielt Stücke von Autorinnen ins Repertoire genommen. Die slowakische Regisseurin Sláva Daubnerová inszenierte zunächst Elfriede Jelineks „Am Königsweg“. Ihre sensible Lesart von George Sands „Gabriel“ über eine junge Frau, die seit der Kindheit als Mann erzogen wird, legte die gesellschaftliche Brisanz des Stoffes aus dem 19. Jahrhundert offen. Da reflektiert die Regisseurin mit dem Ensemble weibliche und männliche Identitäten, schlägt Brücken zu queeren Positionen im 21. Jahrhundert.
Die „inhaltliche Auseinandersetzung mit weiblichen Positionen in der Regie und in der Autorenschaft“ stand für Anna Haas immer im Mittelpunkt der Karlsruher Theaterarbeit. Dass das Karlsruher „Feminat“ von manchen auf einen „Marketing-Gag“ des damaligen Intendanten Spuhler reduziert wurde, ärgert die Theaterfrau. Für Anna Bergmann geht die Saat der konsequenten Frauenförderung nach sechs Jahren in Karlsruhe dennoch auf. Besonders stolz macht die Schauspielchefin, dass sie jungen Regietalenten den Weg geebnet hat. „Die jungen Regisseurinnen brauchen Vorbilder und die Möglichkeit, ihre Haltung zu finden“, sagt die Regisseurin. Die kleine Karlsruher Studiobühne bot unter dem Dach des Theaterbaus aus Anna Bergmanns Sicht einen großartigen Experimentierraum. Nele Lindemanns bilderstarke Lesart von Caren Jeß’ Frauenstück „Dem Marder die Taube“ lief ebenso
Mit der Aufführung von Shakespeares klassischer Liebestragödie „Romeo und Julia“ endete die Intendanz Bergmann. Den Stoff erzählt die Regisseurin aus weiblicher Sicht.
erfolgreich wie die Bühnenfassung von Anais Durand-Mauptits Adaption von Ingeborg Bachmanns Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“. Diese jungen Talente haben Bergmann und ihr Team gefördert, ohne sie einzuengen.
Das immense Spektrum, das Bergmann und ihr Team in Karlsruhe öffneten, zeigte das Abschiedswochenende am Badischen Staatstheater, das zurzeit umgebaut wird – bei laufendem Betrieb. Mit der Performance „Kein Sportstück“ von Alia Luque und dem Trio ACE zeigte das Ensemble noch einmal seine unbändige Lust am Experiment. Lustvoll interagierten die Schauspieler mit dem Publikum. In der Oase, die eigentlich keine war, tanzten die Zuschauer:innen mit den Akteur:innen und studierten eine Choreografie ein. Auf dem schmalen Grat zwischen humorvollem Spiel und Existenzangst balancierten die Spieler:innen, die sich mit Bergmann großartig weiterentwickelt haben.
Mit der letzten Aufführung von Shakespeares klassischer Liebestragödie „Romeo und Julia“ endete die Intendanz Bergmann. Den Stoff, der Generationen aufwühlt, erzählt die Regisseurin aus weiblicher Sicht. Die Position der jungen Frau, die in der kalten Gesellschaft ihrer Eltern ihre erwachende Sexualität entdeckt, kommt in dieser Sicht schön zum Tragen. Die Dramatikerin Ulrike Syha hat für Bergmanns zeitgenössische Fassung Texte geschrieben, die Mechanismen der Liebe in der modernen Gesellschaft offenlegen. Dieser klare, politisch fundierte Blick auf das klassische Repertoire macht den Reiz von Anna Bergmanns Theaterkunst aus. Starke Porträts mit psychologischer Tiefenschärfe gelingen ihr auch hier. Die großen Bilder, die ihr im surrealen BühnenTraum-Raum von Jo Schramm gelingen, prägen ihre Regiekunst. Nach dem Abschiedsfest reiste Bergmann weiter, um bei den Tiroler Volksschauspielen in Telfs mit einem Starensemble Heinrich von Kleists „Der zerbrochne Krug“ zu inszenieren. Tobias Moretti, Corinna Harfouch, Harald Schrott und Sibylle Canonica stehen dort auf der Bühne. Ob sie wieder eine Schauspieldirektion oder Intendanz übernehmen wird, lässt Anna Bergmann offen. Es ist zu hoffen, denn der Umbruch, den Bergmann für die Frauen am Theater in Gang gebracht hat, darf nicht ins Stocken geraten. Um die Sicht der Frauen in Regie und Dramatik weiter zu etablieren, braucht es Kämpferinnen ihres Kalibers. T
05.10. Krabat [13+] ab 26.10. Drei Männer im Schnee ab 25.01. Macbeth
28.02. Lyonesse (DSE) ab 12.04. Once Upon a Mattress - Die wahre Geschichte der Prinzessin auf der Erbse ab 09.05. Amsterdam ab 21.06. Tyll ab 24.11. Alice im Wunderland [5+]
Schlaglichter auf die Theaterszene von Buenos Aires in Zeiten von Javier Milei
Von Halima Tahan Ferreyra
„Los días afuera“, ein hybrides Musical von Lola Arias
„Sobre sí mismo“, ein Projekt von Melisa Zulberti, wo Tanz, Musik und Live-Video zusammenkommen Foto
Schauen wir gleich als Erstes auf eine Lichtinstallation von Sergio Avello, die die argentinische Flagge darstellt und segmentweise aktiviert wird. Die blauen und weißen Leuchtstoffröhren – die Farben der Nationalflagge – blinken in unregelmäßigen Abständen auf. Dieses Blinken, so Avello selbst, fasst „auf visuelle und exemplarische Weise die Ohnmacht und Zyklen des ‚Ein- und Ausschaltens‘ zusammen, die unser Land durchlebt“, es „suggeriert die gegenwärtigen wirtschaftlichen und sozialen Probleme vieler Länder. Daher leuchtet es als Metapher eines historischen Moments.“ Diese instabile Flagge Avellos verweist nicht nur auf das Land, sondern stellt auch die Idee des „Argentinischen“ selbst infrage, die sie problematisiert und unter Spannung setzt. Unter dem flackernden Licht dieser metaphorischen Flagge wollen wir auf die folgenden Beispiele blicken, als Ausschnitte der weitläufigen und heterogenen Szene des heutigen Theaters in Buenos Aires, der südlichsten Theaterhauptstadt der Welt.
Über die ganze Stadt verteilt prägen zahlreiche Theater, große und kleine, staatliche, kommerzielle und „unabhängige“, das Bild. Aus all diesen speist sich das heterogene Theaterangebot, das Buenos Aires auszeichnet. Diese einzelnen Sphären (offiziell, kommerziell und unabhängig) – die zudem nicht die einzigen sind – sind nicht durch eine Art Maginot-Linie voneinander getrennt, es gibt ständige Wechselwirkungen zwischen ihnen. Die Programme der zahlreichen Kulturzentren in Buenos Aires erweitern das ohnehin schon riesige Theaterangebot; daneben die Performances an unkonventionellen Orten: in einem Privathaus, in einem Bekleidungsgeschäft, in der Umkleidekabine eines Stadions, in Bars … Aufführungen, in denen der Ort ebenso wie die Teilnahme des Publikums eine entscheidende Rolle spielen.
Gonzalo Pérez, Präsident der ARTEI, einer Vereinigung, die mehr als 100 Spielstätten mit einer Kapazität von 25 bis 200 Plätzen vereint, erklärt, dass die größte Herausforderung für all diese Theater heute darin besteht, inmitten der wirtschaftlichen Rezession und Inflation zu überleben, bei steigenden Tarifen und Mietkosten sowie Verzögerungen bei der Auszahlung von staatlichen Subventionen.
Obwohl diese Theater ein sehr treues Publikum haben, ist der Besuch zurückgegangen, ebenso die Zahl neuer Produktionen. Dennoch kommen derzeit etwa 300 Neuinszenierungen im Jahr zustande, was von einer gewissen Vitalität und auch Widerstandskraft zeugt. Gonzalo Pérez leitet seit zehn Jahren ein kleines Theater als markantes Zeichen dieser Widerstandskraft. Gonzalo erklärt, stolz auf die Leitung seines Theaters zu sein, die viel Zeit und unbezahlte Arbeit erfordert. Workshops und Kurse generieren neben den Aufführungen Einnahmen für alle weiteren Projekte. Angesichts der Krise kann sich das Theater auf diese Weise
behaupten und lässt so vielleicht eine zukünftige Veränderung der Szene erahnen.
Die ARTEI-Theater gehören traditionell zum unabhängigen Theater – einer Bewegung, die 1930 begann und eine Identitätsmarke des argentinischen Theaters darstellt. Obwohl es einige Unterschiede zum historischen Ideal dieser Bewegung gibt, bewahren sie unverändert „das wesentliche Kriterium, dass die Ästhetik der produzierten Werke nicht den Vorgaben des kommerziellen Theaters entspricht“. Es sei daran erinnert, dass alle großen Meister des argentinischen Theaters aus dieser Bewegung hervorgegangen sind.
Allgemein gesprochen ist Theater eine faszinierende Erinnerungsmaschine. Die folgenden Inszenierungen sind jedoch auf besondere Weise dadurch verbunden, dass sie das Thema Erinnerung – in unterschiedlichem Maße und aus sehr unterschiedlichen ästhetisch-ideologischen Perspektiven – zum dramatischen Material gemacht haben. All diese Arbeiten sind in der Theaterlandschaft der Stadt verankert.
„Los días afuera“, das jüngste Projekt von Lola Arias, ist ein hybrides Musical, das die Autorin selbst als noch nicht abgeschlossen mit echten Menschen und deren Körpern bezeichnet (und das nach der Aufführung in Avignon beim Sommerfestival auf Kampnagel zu sehen war). Für Arias ist dies die umstrittenste Inszenierung, die sie bisher gemacht hat: Viele „werden verärgert und verstört sein, weil sie solche Geschichten nicht hören wollen“. Es geht um die Geschichten von sechs Menschen, cis und trans, die kürzlich ihre Freiheit wiedererlangt haben: Yoseli, Paula, Carla, Estefanía, Noelia und Ignacio erzählen ihre Lebensgeschichten. Diese individuellen Zeugnisse erhalten auf der Bühne eine chorale Dimension. Die Arbeit im Theater – in einer staatlichen Spielstätte – ermächtigt sie und ermöglicht es ihnen, sich eine Zukunft zu vorzustellen; das Projekt hat ihnen die Möglichkeit einer Integration und so die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben eröffnet.
Einige Beispiele als Ausschnitte der weitläufigen und heterogenen Szene des heutigen Theaters in Buenos Aires, der südlichsten
Theaterhauptstadt der Welt.
Auf der großen Bühne der argentinischen Polis werden jedoch ganz andere Performances aufgeführt, wie die Demonstrationen, die Anfang des Jahres im ganzen Land stattfanden.
„Potestad“, ein Stück des Dramatikers Eduardo Pavlovsky, handelt von einem Phänomen, das der Autor als „Monstrosität“ bezeichnet: die Kindesentführungen in Argentinien während der Diktatur. Die Neuinszenierung wurde von Norman Briski auf die Bühne gebracht, einer Ikone der argentinischen Szene, der in den achtziger Jahren zusammen mit Pavlovsky im Exil war, als dieser das brisante Stück schrieb. In einem Interview erklärte Briski: „Heute habe ich das Gefühl, dass ‚Potestad‘ eine Aktualität hat, die es nicht einmal bei seiner Uraufführung 1985 hatte.“
„Lo que el Río Hace“ ist indes ein sehr erfolgreiches Stück von María und Paula Marull. Die Zwillingsschwestern setzen als Schauspielerinnen ihre physische Ähnlichkeit als theatrales Mittel ein für eine Geschichte als Komödie. Erzählt wird die Rückkehr der Protagonistin in das Dorf ihrer Kindheit nach dem Tod ihres
Vaters. Dort ist nichts mehr so, wie sie es in Erinnerung hatte. Nur der Fluss wirft in der doppelten Figur Fragen auf, die sie dazu bringen, ihre Identität und den Wert ihrer Erinnerungen an die Vergangenheit neu zu überdenken. Diese Reise eröffnet ihr eine Dimension ihrer Subjektivität, die bisher unterdrückt wurde, und neue Perspektiven im Leben. Das Lachen des Publikums begleitet wie ein Chor die Reise im Stück.
Und dann das Dokumentarstück „Seré“: Am 24. März 1978, mitten in der Nacht, fliehen vier Männer aus dem geheimen Gefangenenlager Mansión Seré im Großraum Buenos Aires. Einer von ihnen war Guillermo Fernández, der von diesen Ereignissen sowie von seiner Entführung 1976 während des Prozesses gegen die Militärjunta 1985 Zeugnis ablegte. Die Performance „Seré“, inszeniert von Lautaro Delgado Tymruk und Sofía Brito, bringt das Zeugnis von Fernández auf die Bühne und holt die Erinnerung an diese Ereignisse in die Gegenwart mit Mitteln des Dokumentarischen durch Tonaufnahmen für eine fiktive Handlung. „Seré“ wurde von seinen Schöpfern als dringende Aufgabe definiert: „Es gibt keine Zeit: Wir müssen das kollektive Gedächtnis erneuern …“.Wir müssen handeln, um zu verhindern, dass die Erinnerung an diese Ereignisse verloren geht, und nach Alternativen für die Zukunft suchen.
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Premiere: 4.10.2024
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Premiere: 13.10.2024
„Sobre sí mismo“ ist hingegen ein Projekt von Melisa Zulberti, in dem Tanz, Musik und Live-Video zusammenkommen mit „drei drehbaren Platten, die auf die Bewegung der Tänzerinnen reagieren. Die Platten enthalten ein internes Kamerasystem, das von innen live eine neue Perspektive für den Zuschauer:innen bietet und durch die audiovisuelle Sprache neue poetische Diskurse ermöglicht.“ Die Performance, die im Grunde auch das Thema Erinnerung aufgreift, wurde im Centro Cultural Borges präsentiert. Anschließend vertrat Zulberti Argentinien bei der Biennale di Danza di Venezia 2024 mit ihrem neuen Werk „Posguerra“. Zulberti stellt sich die Frage: „Wie kann man eine vielversprechende Zukunft entstehen lassen?“ Und beantwortet sie selbst: „Ich möchte glauben, dass es für uns alle eine vielversprechende Zukunft gibt.“
Auf der großen Bühne der argentinischen Polis werden jedoch ganz andere Performances aufgeführt, wie die Demonstrationen, die Anfang dieses Jahres in Buenos Aires und im ganzen Land stattfanden. Die Künstler:innen Argentiniens organisierten Demonstrationen und eine symbolische Umarmung ihrer kulturellen Institutionen, um gegen ein Gesetzesvorhaben der neuen Regierung zu protestieren, das die Abschaffung des Nationalen Theaterinstituts (INT) und die Aufhebung des Nationalen Theatergesetzes vorsieht. Den ganzen Sommer über gingen verschiedene soziale und politische Gruppen in Massenprotesten auf die Straße.
Für die Arbeit an der Erinnerung mit Blick auf die Gegenwart stehen noch andere Manifestationen. Etwa die des Malers Antonio Berni aus dem Jahr 1934 und die darauf bezugnehmenden Arbeiten des 1999 gegründeten Künstlerkollektivs Mondongo. Derzeit sind beider Werke im Museo de Arte Latinoamericano de Buenos Aires (MALBA) im Rahmen der Mondongo-Ausstellung zu sehen, die den Titel „Manifestación“ trägt. Berni sagte, dass Künstler:innen angesichts „einer Realität, die die Augen öffnet, mit offenen Augen leben sollten“. T
Spielzeit 2024/25 Premieren
14.9.2024
Richard O’Brien’s
The Rocky Horror Show
21.9.2024 Es ist, was nicht war
6.10.2024 Sei ein Frosch!
9.11.2024
Der Zauberer von Oz
30.11.2024
Venedig im Schnee
18.1.2025 Sibirien
1.2.2025 Rishi
1.3.2025 Dantons Tod
5.4.2025 Shenzhen bedeutet Hölle
12.4.2025
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Poesie, Heimat und Politik Theater Willy Praml Herausgegeben von Wolfgang Schneider 250 S., 25 € (Paperback oder E-Book)
„Ich war nie in einem Theaterbetrieb, ich war immer frei“ Willy Praml.
Mit seiner künstlerischen Arbeit behauptet Willy Praml ein selbstbestimmtes und politisches Theater. Seit den 1970er Jahren erregte er Aufsehen durch die Erprobung neuer theatraler Formen mit Lehrlingen, im ländlichen Raum und mit dem „Faust 1 & 2“ in der Frankfurter Paulskirche. Nachdem sein Theaterkollektiv 2000 in einem Industriedenkmal, der Naxos-Halle, seine Heimat fand, inszeniert das „Theater Willy Praml“ dort Gesamtkunstwerke, literarisch sowie musikalisch und immer wieder auch interkulturell mit Geflüchteten. Mittlerweile ist aus dem Provisorium ein Produktionshaus geworden. Autor:innen aus Feuilleton und Wissenschaft beschreiben und reflektieren in ihren Beiträgen fünfzig Jahre dieser Theatergeschichte.
Intendanz-Generationen auf Kampnagel, 2022, v.l.n.r. Amelie Deuflhard (2007 bis heute), András Siebold (Leitung Sommerfestival 2013 bis heute), Mücke Quinckhardt (1985–1990), Res Bosshart (1994–2001), Hannah Hurtzig (1985–1990), Dieter Jaenicke (Leitung Sommerfestival 1985–1990), Hans Man in’t Veld (1990–1995) – es fehlt: Gordana Vnuk (2001–2007)
Workbook zum Jubiläum
»Never demolish. Always transform, with and for the inhabitants«
Dieses Credo beschreibt die Herangehensweise des Architekturduos Lacaton & Vassal an den größten Transformationsprozess des Kampnagel-Geländes, seitdem die ehemalige Kranfabrik 1982 zum Kunstgelände wurde. Genau an dieser Schnittstelle zwischen den letzten 40 Jahren, dem aktuellen „State of the Art“ und den kommenden 40 Jahren ist das vorliegende Buch entstanden. Es beschreibt die Geschichte eines Fabrikgeländes, das in den 1980er Jahren durch das Schauspielhaus und Teile der Freien Szene Hamburgs umgenutzt wurde. Heute ist Kampnagel eines der wichtigsten Produktionszentren für internationalen Tanz und Performing Arts in Europa und hat sich auf den Weg gemacht, auch baulich eines der modernsten zu werden. Seit 2020 ist Kampnagel eines der vier Staatstheater Hamburgs und das mit zumindest dem impliziten Auftrag, ein neues Modell von Staatstheater zu entwerfen. Kampnagel ist traditionell ein Haus mit international-avantgardistischem Programm, agilen Produk-
tionsstrukturen und flachen Hierarchien, lokal wie international hochgradig vernetzt. Aktuell wird hier eine Institution erprobt, die auf Basis des Freiheitsstrebens der Anfänge eine Vision für die Zukunft entwickelt.
Nicht umsonst trägt dieses Buch den Titel „Vierzig Jahre Widerspruch“: Kampnagel hat sich in seiner Geschichte niemals im Affirmativen angesiedelt, sondern immer versucht, Gegenwart zu hinterfragen – künstlerisch, gesellschaftlich und politisch. Kampnagel ist damit zu einem Ort geworden, von dem Haltung und Stellungnahme erwartet wird – auch zu Krisen der Gegenwart. Unsere Künstler*innen sind Spezialist*innen für die Welten und für die Gesellschaften, in denen sie leben.
Aus dem Editorial von Amelie Deuflhard
Kampnagel Hamburg. 40 Jahre Widerspruch Workbook zum Jubiläum Herausgegeben von Amelie Deuflhard
300 S., (30 € Broschur oder E-Book)
Wir haben es einfach gemacht!
Wir haben es einfach gemacht!
Reisen in internationale Theaterwelten
Siegmar Schröder und Henning Fülle (Hg.) 320 Seiten, 25 € (Paperback oder E-Book)
Das Theaterlabor Bielefeld, gegründet 1983 von Siegmar Schröder gemeinsam mit Studierenden, ist ein prägnantes Beispiel für die Entwicklungen, die seit den 1980ern zu einer Modernisierung des deutschen Theaters und in Folge zur Konstituierung des Freien Theaters als „Zweiter Säule“ der Theaterlandschaft führen sollten. Ein Ensemble, das kollektiv und egalitär die Gegenstände und Themen seiner künstlerischen Arbeit selbst bestimmte und schließlich eine Institution bildete, die Bestand hat und inzwischen von einer nachgewachsenen Generation übernommen wurde.
Die Entwicklung dieser Theaterkunst aus der Kraft der Selbstermächtigung wird von Siegmar Schröder und Henning Fülle in Berichten und Interviews, Gesprächen und Erinnerungen nachgezeichnet und in den Kontext der künstlerischen und institutionellen Aufbrüche der westdeutschen Theaterlandschaft seit den 1970er Jahren eingebettet.
Mit Interviews und Texten von Eugenio Barba, Yoshi Oida, Leo Bassi, Margaret Pikes, Horacio Czertok, Nullo Facchini, Robert Jakobson, u.v.m.
Theaterlabor/Dah Teatar, Missing People –Die Macht der Erinnerung, 2014
„Der Ring des Nibelungen. Die Afterhour der Geschichte“ von Necati Öziri. Regie Julia Wissert am Theater Dortmund, 2024.
Sie inszenieren an großen Theatern, ihre Arbeiten werden zu großen Festivals eingeladen, sie leiten sogar Häuser – und sie sind jung! Das im deutschsprachigen Raum viel diskutierte Regietheater hat eine neue Generation an Theatermacher:innen hervorgebracht, die etwas mehr als zwanzig Jahre nach dem Theater der Zeit Arbeitsbuch „Werk-Stück“ (2003) erstmals in dieser Zusammenstellung porträtiert werden will. In Inhalt und Darstellung disparat, eigensinnig und ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit. Das Arbeitsbuch 2024 stellt die Personen und Arbeiten der neuen Regie-Generation vor. Wir fragen: Welche Themen treiben sie um? Welche Haltungen haben sie? Wie arbeiten sie? Wie sehen sie ihre Zukunft? Und wem gehört sie?
Zwanzig Porträts: Lucia Bihler, Claudia Bossard, Alexander Eisenach, Jan-Christoph Gockel, Julien Gosselin, Sapir Heller, Florentina Holzinger, Heinrich Horwitz, Elsa-Sophie Jach, Pınar Karabulut, Ewelina Marciniak, Antú Romero Nunes, Bonn Park, Christopher Rüping, Marie Schleef, Rieke Süßkow, Luise Voigt, Wilke Weermann, Julia Wissert, Stas Zhyrkov
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13.9. Buchpremiere Theaterlabor Bielefeld in Bielefeld
25.9. 40 Jahre Widerspruch. Workbook zum Jubiläum, Kampnagel Hamburg 15.11. Notizen zu Piscator, FFT Düsseldorf 5.12. Scène 24. Neue französischsprachige Theaterstücke, Hans Otto Theater Potsdam
Judith Malina: Notizen zu Piscator
Annette Menting: Schauspielhaus Chemnitz Matthias Rothe: Tropen des Kollektiven Teresa Kovacs: Theater der Leere
Birgit Wiens: Bühne. Perspektiven der Szenografie und Performance Design Studies
Arbeitsbuch 2024 Werk-Stück II. Die neue Regie-Generation Herausgegeben von Nathalie Eckstein 140 S., 24,50 € (Paperback oder E-Book)
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Das Pina Bausch Zentrum zeigt die zweite Ausgabe des Festivals FRAGILE für junges TanzMusikTheater
Von Stefan Keim
Das Pina Bausch Zentrum in Wuppertal befindet sich weiterhin „under construction“. Neben einer Heimat für das berühmte Tanztheater soll es das Archiv der Arbeiten von Pina Bausch beherbergen und erforschen, ein Produktionszentrum werden und mit dem partizipativen Forum Wupperbogen gesellschaftspolitisch wirken. Die letzten beiden Aspekte vereint zum zweiten Mal das Festival FRAGILE für junges TanzMusikTheater. Übergreifendes Thema ist die Nachhaltigkeit. Vom 24. September bis 6. Oktober gastieren Aufführungen internationaler Kompagnien in
Wuppertal. Bettina Milz, Leiterin der Vorlaufphase des Pina Bausch Zentrums und Ko-Kuratorin des Festivals, verrät Einzelheiten.
Ein Schwerpunkt des Festivals liegt auf partizipativen und generationenübergreifenden Projekten. Warum nehmen Aufführungen dieser Art einen so großen Platz ein?
BM: Partizipation – in der Kunst und in der Gesellschaft – bedeutet gemeinsame Autor*innenschaft. Ich mache nicht nur mit, sondern ich gestalte. Ist das nicht genau das, was wir dringend brauchen? Wir eröffnen mit Kate McIntoshs „LAKE LIFE“, ein gemeinschaftliches Spiel, ein Puzzle und ein Fest. Sie fragt: Wie gehen wir miteinander und mit der Welt um? Das Fantastische am Theater ist doch, es kann ein Ort sein, an dem Welt entworfen wird, zugleich imaginär und real. Gegen die Zerbrechlichkeit und Unsicherheit der heutigen Zeit setzt McIntosh die (Wieder-)Entdeckung von Vertrauen, Spaß und freier Vorstellungskraft. Das Stück richtet sich wie das Festival an Menschen jeden Alters.
Die meisten Aufführungen dauern nicht einmal eine Stunde. Liegt in der Kürze die Zukunft des Tanzes?
BM: Es gibt elf tolle Arbeiten mit ganz verschiedenen Ästhetiken, mit Krump, Urban Dance, gemeinsamem Tanzen und der Erkundung der Tanzformen von Pflanzen und Meerestieren. Ich liebe Stücke, etwa von Pina Bausch, die über drei Stunden dauern. Es braucht Zeit für Veränderung. Dauer ist für mich eine der zentralen Qualitäten in der Kunst. Die Welt wird jedoch schneller, schneller geschnitten, ungeduldiger, leider. Stücke zwischen 55 und 90 Minuten sind im Tanz nichts Neues.
Der Amazonas-Regenwald ist ebenso Thema wie Naturkatastrophen in Japan. Bleibt es bei Beschreibungen der leidenden Natur? Oder formulieren die Künstler:innen Auswege?
BM: Tanz, ebenso wie Theater, ist selten beschreibend. Spannende Kunst wirft Fragen auf, macht Widersprüche sichtbar, lässt scheinbar Unauflösbares Form wer-
den, dem wir täglich begegnen. Wir haben uns gefragt: Welche besondere Kraft haben die unterschiedlichen Formate von Tanz bis Performance, Workshop bis Debatte, Tanz erleben und gemeinsam tanzen, um globale Empathie zu entwickeln? Denn die brauchen wir angesichts der uns umgebenden Herausforderungen mehr denn je. Wir wollen mit dem Festival ermutigen, auch wenn ich zugeben muss, dass uns das die Realität gerade nicht leicht macht. Es geht darum, die Schönheit der Natur, deren Teil wir sind, gemeinsam zu erfahren. Warum tun wir nicht das, was wir wissen und auch schon können? Für uns Menschen wird es gefährlich und auch sehr teuer, wenn wir über 50 Jahre nach dem ersten Bericht des Club of Rome Grenzen des Wachstums weiter ignorieren. Die Herausforderungen, denen wir täglich begegnen, sind nur gemeinsam zu bewältigen. Das Theater als analoger Ort der Begegnung wird gebraucht.
Das ist die zweite Ausgabe des FRAGILE Festivals. Soll es eine dauerhafte Einrichtung werden?
BM: Das Festival wird durch das Programm ZERO der Kulturstiftung des Bundes, gefördert von der BKM, 2023 und 2024 ermöglicht. Wir wünschen uns, dass das Festival zu Nachhaltigkeit und Kunst weitergeht. Denn das Pina Bausch Zentrum soll ein Best-Practice-Beispiel in Sachen Kultur und Nachhaltigkeit werden – ökologisch, ökonomisch und sozial, architektonisch und inhaltlich. Mit Förderung von Stadt, Land und Bund und der Architektur des fantastischen New Yorker Studios Diller Scofidio + Renfro entsteht ein zukunftsorientiertes Gesamtkonzept aus denkmalgeschütztem Schauspielhaus und Neubau, offen für alle, 24/7. T
Der Regisseur Christopher Rüping bekommt ein umfangreiches Fanboybuch
Von Stefan Keim
Die meisten bedeutenden Regisseure haben eine wiedererkennbare Handschrift. Sie schreiben ihren eigenen Kosmos fort, was im Glücksfall zu immer weiteren Vertiefungen und Verfeinerungen führt. Es kann aber auch langweilig werden. Wenn der kreative Quell gerade mal nicht so sprudelt, gerät dieses Theater schnell zur Konfektionsware. Bei Christopher Rüping gibt es das bisher nicht. Die Inszenierungen des 38-Jährigen überraschen immer wieder mit neuen ästhetischen Ideen, radikalen Bildsetzungen und großer Emotionalität. Dabei spricht das Ensemble das Publikum zu Beginn oft direkt an, holt es hinein in die Auseinandersetzung mit dem Thema. Und dann stößt es sich ab und fliegt, es entsteht Theaterzauber. Ein Buch über einen Theatermacher, der noch nicht mal 40 ist, scheint auf den ersten Blick recht früh. Doch diesen RüpingStil zu ergründen und seine Arbeitsweise zu reflektieren lohnt sich sehr. Denn der Mut, der dahintersteht, auch die enge Zusammenarbeit mit den Schauspielenden, könnte inspirierend wirken. Vasco Boenisch – der neue Hannoveraner Intendant – und Malte Ubenauf arbeiten seit vielen Jahren eng mit Rüping zusammen und haben nun ein Buch in der Reihe „Nahaufnahme“ des Alexander Verlags herausgegeben. Der Untertitel stapelt eher tief: „Gespräche, Begegnungen, Materialien“. Zu Recht, denn es fehlen Analysen, Beschreibungen, Einordnungen.
Das Buch beginnt mit einer Inszenierungsliste, normalerweise etwas, das in den Anhang gehört. Bilder aus diesen Inszenierungen folgen erst viel später. Das macht schon deutlich, dass hier nicht das breitere Publikum gemeint ist, sondern die RüpingJünger. Auch in den folgenden Gesprächen wird die Kenntnis der Inszenierungen vorausgesetzt, ebenso das brennende Interesse, alle möglichen Details und Hintergründe erfahren zu wollen. Im Zentrum des Buches steht „Der Zoom“, das Protokoll einer Videokonferenz von 35 künstlerischen Weggefährt:innen, die in Form eines „digitalen Daydrinkings“ ihre Erinnerungen austauschen. Ein Gedanken-Durcheinander.
Hier wird die große Schwäche des Buches deutlich. Niemand will sich zu einer Deutung aufschwingen, es geht um die Vielfalt, das Nebeneinander, die Multiperspektivität. Das Buch ist keine Inszenierung, sondern wirkt wie eine Konzeptbesprechung, eine Materialsammlung zu Probenbeginn, aus der im Theater dann im besten Fall et-
was entsteht, das man einem Publikum präsentieren kann. Doch diese Mühe hat sich niemand gemacht.
Wer sich auf den Wulst an Informationen einlässt, findet durchaus interessante Momente. Rüping ist ein sehr reflektierter Regisseur. In einem langen Gespräch mit den Herausgebern geht es z. B. um die Fetischisierung der künstlerischen Handschrift im Theaterbetrieb. „Spätestens“, sagt Rüping, „wenn ich Fragen zu Konzept und Ästhetik letztlich nur mit meinem persönlichen Geschmack beantworten kann, muss ich mir ernsthaft Gedanken machen.“
Ein Höhepunkt ist ein Gespräch mit Andrea Breth, die in vieler Hinsicht einen künstlerischen Gegenpol zu Rüpings Arbeit darstellt. Er hat sich die Begegnung gewünscht, und die beiden stellen überraschende Parallelen fest. Sie denken über ihre jeweiligen Blasen hinaus. „Wenn wir alle das Gleiche machen würden“, sagt Andrea Breth „bräuchte es uns nicht. Man kann auch fragen, wenn man etwas nicht gleich versteht.“
Es wäre sehr lohnend, die Materialsammlung zu konzentrieren und eine Darstellung zu gewinnen, die dem Schaffen von Christopher Rüping gerecht wird. Diese „Nahaufnahme“ jedenfalls kommt über den Status eines Fanboybuchs nicht hinaus. T
Nahaufnahme Christopher Rüping. Gespräche, Begegnungen, Material. Herausgegeben von Vasco Boenisch und Malte Ubenauf. Alexander Verlag, Berlin 2024, 284 S., 28 Euro
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Das Theater Heilbronn sucht zur Spielzeit 2026/2027 eine
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Theater der Zeit. Die Zeitschrift für Theater und Politik
1946 gegründet von Fritz Erpenbeck und Bruno Henschel
1993 neubegründet von Friedrich Dieckmann, Martin Linzer, Harald Müller und Frank Raddatz
Herausgeber Harald Müller
Redaktion Thomas Irmer (V.i.S.d.P.), Elisabeth Maier, Michael Helbing und Stefan Keim, Stefanie Schaefer Rodes (Assistenz), +49 (0) 30.44 35 28 5-18, redaktion@tdz.de, Lina Wölfel (Online), Nathalie Eckstein (Online)
Laura Weinheimer (Hospitanz)
Mitarbeit Iris Weissenböck (Korrektur)
Verlag Theater der Zeit GmbH
Geschaftsführender Gesellschafter Paul Tischler, Berlin Programm und Geschäftsführung
Harald Müller +49 (0) 30.44 35 28 5-20, h.mueller@tdz.de
Paul Tischler +49 (0) 30.44 35 28 5-21, p.tischler@tdz.de
Verlagsbeirat Kathrin Tiedemann, Prof. Dr. Matthias Warstat
Anzeigen +49 (0) 30.44 35 28 5-21, anzeigen@tdz.de
Gestaltung Gudrun Hommers, Gestaltungskonzept Hannes Aechter Bildbearbeitung Holger Herschel
Abo / Vertrieb Stefan Schulz +49(0)30.4435285-12, abo-vertrieb@tdz.de
Einzelpreis EUR 10,50 (Print) / EUR 9,50 (Digital); Jahresabonnement EUR 105,– (Print) / EUR 84,– (Digital) / EUR 115,– (Digital & Print) / 10 Ausgaben & 1 Arbeitsbuch, Preise gültig innerhalb Deutschlands inkl. Versand. Für Lieferungen außerhalb Deutschlands wird zzgl. ein Versandkostenanteil von EUR 35,– berechnet. 20 % Reduzierung des Jahresabonnements für Studierende, Rentner:innen, Arbeitslose bei Vorlage eines gültigen Nachweises.
© an der Textsammlung in dieser Ausgabe: Theater der Zeit
© am Einzeltext: Autorinnen und Autoren. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags
© Fotos: Fotografinnen und Fotografen
Druck: Druckhaus Sportflieger, Berlin
79. Jahrgang. Heft Nr. 9, September 2024. ISSN-Nr. 0040-5418
Redaktionsschluss für dieses Heft 05.08.2024
Redaktionsanschrift Winsstraße 72, D-10405 Berlin
Tel +49 (0) 30.44 35 28 5-0 / Fax +49 (0) 30.44 35 28 5-44
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tdz.de
Anna Bertram, Journalistin, Zürich
Otto Paul Burkhardt, Kritiker, Stuttgart
Anne Fritsch, Journalistin und Redakteurin, München
Fabiola Kuonen, Regisseurin, München
Christoph Leibold, Kritiker und Redakteur, München
Graciela Peralta, Literatur- und Filmwissenschaftlerin, Leipzig
Hartmut Rosa, Soziologe und Politikwissenschaftler, Jena
Marie Schleef, Regisseurin, Berlin
Valerie Schönian, Journalistin, Berlin
Hans-Dieter Schütt, Autor, Berlin
Halima Tahan, Theaterwissenschaftlerin, Buenos Aires
Juliane Voigt, Kulturjournalistin und Kritikerin, Stralsund
Lara Wenzel, Autorin, Leipzig
Jonas Zipf, Kulturmanager, Hamburg
Erratum
In der Juni-Ausgabe druckten wir auf S. 9 ein Foto der „akademie der autodidakten“, welches wir fälschlicherweise dem Ballhaus Naunystraße zugeordnet haben. Es gehört jedoch zum FLURSTÜCKE-Festival Münster. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
nächste Ausgabe von Theater der Zeit erscheint am 1. Oktober 2024
Die Gründung von Bertolt Brechts Berliner Ensemble jährt sich im November zum 75. Mal. Einstmals Theatermodell der Zukunft lautet die Frage: Was ist aus dieser Idee von Ensemble geworden? Vorübergehende Gruppenbildung oder doch das von einem höheren Programm und entsprechenden Arbeitsweisen inspirierte Künstlerkollektiv? Wir sprechen mit verschiedenen Theaterleiter:innen im Schwerpunkt.
Start einer neuen Serie: „Dramaturgie der Zeitenwende“. Krieg, Klima, Kapitalismus und noch anderes – das gesellschaftlich wache Theater ist auf neue Weise herausgefordert. Jörg Bochow, Chefdramaturg des Staatsschauspiel Dresden, eröffnet mit seinem Essay die Debatte.
Dazu ein Porträt des albanischen Regie-Shootingstars Mario Banushi.
Miru Miroslava Svolikova Europa flieht nach Europa
13.09.2024
Ulrich Plenzdorf Die neuen Leiden des jungen W. 14.09.2024
Ray Cooney Funny Money
28.09.2024
Laura Naumann
Zwischen den Dingen sind wir sicher 02.10.2024
Carlo Collodi Pinocchio
23.11.2024
Bogdan Koca Herr Lem 31.01.2025
Friedrich Schiller
Die Verschwörung des Fiesco zu Genua 01.02.2025
Lutz Hübner / Sarah Nemitz
Was war und was wird
21.03.2025
Generalintendant: Dr. Christoph Dittrich | Schauspieldirektor: Carsten Knödler
Tickets +49 (0)371 4000-430 | www.theater-chemnitz.de
Bob-Dylan-Abend Rolling Thunder
22.03.2025
Karin Eppler
Banana Jane 02.05.2025
Sommertheater nach Oscar Wilde
Das Bildnis des Dorian Gray 06.06.2025
Sommertheater nach Mark Twain
Die Abenteuer des Tom Sawyer 14.06.2025
20.09.2024
Die Nashörner
Eugène Ionesco
R: Sandra Bezler
27.09.2024
Ende einer Verhandlung (UA)
Anna Gmeyner
R: Frank Behnke
16.11.2024
Der große Gatsby
Rebekka Kricheldorf nach
F. Scott Fitzgerald
R: Dominique Schnizer
17.01.2025
Herr Puntila und sein Knecht
Matti
Bertolt Brecht
R, B: Andreas Kriegenburg
14.03.2025
Thüringer Spezialitäten (UA)
Frank Behnke, Bettina Ostermeier
R: Frank Behnke
22.03.2025
Die Rückeroberung der Hoffnung (UA)
Miriam Haltmeier
R: Miriam Haltmeier
09.05.2025
Ein Sommernachtstraum
William Shakespeare
R: Nicolas Charaux
24.05.2025
Es war Sommer und weil es Sommer war, war es warm (UA)
Maria Milisavljević
R: Anna Stiepani
Im Gespräch mit Nathalie Eckstein
Raphaela Bardutzky studierte Schauspieldramaturgie, Philosophie und Literaturwissenschaft. Mit Theresa Seraphin gründete sie 2016 das Netzwerk der Münchner Theatertexter:innen. Ihr Stück „Fischer Fritz“, 2021 beim Heidelberger Stückemarkt nominiert, erhielt den Publikumspreis zum Förderpreis für Neue Dramatik an den Münchner Kammerspielen; die Uraufführung war im Rahmen der Autor:innentheatertage am Deutschen Theater Berlin zu sehen. Seit 2019 gehört Raphaela Bardutzky zum Kurator:innenteam der LIX Lesereihe im Münchner Theater HochX und engagiert sich für sinnvolle Strukturen und faire Bezahlung in der freien Literaturszene. Für den Verband der Theaterautor:innen (VTheA) hat sie an der Broschüre zu Honorarstandards mitgearbeitet.
Der Verband der Theaterautor:innen hat kürzlich eine Broschüre für Honorarstandards für Autor:innen veröffentlicht. Welche Mythen gilt es zu entzaubern, wenn es ums Schreiben für Theater geht?
RB: Es gibt eigentlich drei große Mythen. Der erste ist, Stückaufträge seien fair bezahlt. Unsere Umfrage bei VThea hat kürzlich ergeben, dass Stückaufträge durchschnittlich mit 9300 Euro dotiert sind, im Median 9500 Euro. Das bedeutet, gemessen an der Honoraruntergrenze des Bundesverbands für Darstellende Künste (BfDK), dass man eigentlich in drei Monaten ein Stück schreiben muss. Die meisten Autor:innen brauchen aber viel länger, je nachdem, was das für ein Projekt ist. Der zweite Mythos ist, dass Autor:innen von Tantiemen leben können oder dass man reich wird, wenn man viel gespielt wird. Wenn man an einer kleinen Spielstätte gespielt wird, wo neue Dramatik meistens stattfindet, bekommt man für zwölf Vorstellungen etwa 2000 Euro Tantiemen. Und der dritte Mythos ist, dass je besser Autor:innen sind, desto besser können sie davon leben. Es ist ein hartnäckiges, neoliberales Gerücht, dass der Markt hier aussieben würde. Auch sehr gute Autor:innen machen Nebenjobs. Auch bekannte Autor:innen benutzen ihre Preisgelder, um damit das Leben und die Miete zu bezahlen.
Wie verhält sich Kunstfreiheit in diesem Gefüge von Zeit und Geld als Theaterautorin?
RB: Ich kann das nur für mich und mein Schreiben beantworten: Wenn ich einen Text in der Qualität schreiben will, die mich zufriedenstellt, dann brauche ich Geld, das mir Recherche und Schreibzeit finanziert. Das ist alles langwierig. Wenn ich dieses Geld nicht zur Verfügung habe oder wenn ich schneller und damit schludriger fertig werden muss, dann beschneidet das natürlich meine künstlerische Arbeit, dann kann ich letztlich das Kunstwerk nicht so gestalten, wie ich gerne würde. Das Gleiche gilt natürlich, wenn ich als Autor:in nur engagiert werde, um über bestimmte Themen zu schreiben, und ich aus finanziellen Gründen solche Aufträge annehmen muss.
Theater:autorinnen sind, anders als viele andere an der Uraufführung Beteiligte,
nicht am Theater angestellt und profitieren nicht von Tarifsteigerungen. Was wäre also die Lösung, um die Situation für Theaterautor:innen zu verbessern?
RB: Der VTheA fordert, dass wir uns für die Vergütung von Honoraraufträgen an der Honoraruntergrenze des BfDKs orientieren, wie das in der Freien Szene schon üblich ist. Das wären 3100 Euro pro Monat. Das bedeutet, wenn ich als Theater einen Auftrag vergebe, dann frage ich mein:e
Autor:in: Wie lange brauchst du dafür? Autor:innen können ihre Schreibzeit nach einer Weile ganz gut einschätzen. Also sagen die Autor:innen, an diesem Projekt schreibe ich sechs Monate, das macht dann 18 600 Euro. Oder ich schreibe neun Monate, dann sind es 27 900 Euro. Das ist nicht utopisch. Die Kulturministerkonferenz hat diese Art der Honorarberechnung bereits 2022 angestoßen. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) hat im Juli eingeführt, dass bei Fördergeldern vom Bund die Honoraruntergrenzen zu gelten hat. Grundsätzlich geht es für mich bei solchen Forderungen auch um Verteilungsgerechtigkeit. Solange Vermögen in unserer Gesellschaft derart ungleich verteilt ist, dürfen wir uns als Künstler:innen inadäquate Honorare nicht gefallen lassen. Wir als Künstler:innen bereichern dieses Land, dafür sollten wir fair bezahlt werden. Als Theaterschaffende müssen wir uns hier gegenseitig unterstützen und gegenüber der Politik angemessene Honorare fordern. Wir Autor:innen brauchen da dringend die Solidarität der anderen Gewerke.
Welche Rolle kann der VTheA als Dachverband spielen?
RB: Dank VTheA können Autor:innen offener über Geld sprechen. Seit wir sprechen, wird klar, dass wir alle kollektiv in dieselbe Falle tappen. Ich dachte am Anfang, ich bekomme so wenig Geld, weil ich einfach noch nicht so gut oder bekannt bin. Aber bei VTheA hab ich begriffen: Das geht allen so. Und ich hab aufgehört, die Honorarfrage mit dem Selbstwert zu verknüpfen. T
DROGE FAUST von Janette Mickan / r : Hanna Müller / Uraufführung 06.09.2024
NATHAN DER WEISE von Gotthold Ephraim Lessing / r : Hermann Schmidt-Rahmer / 07.09.2024
NULLERJAHRE von Hendrik Bolz / r : Kajetan Skurski / 08.09.2024
DAS WINTERMÄRCHEN von William Shakespeare / r : Lily Sykes / 27.09.2024
IM SPIEGELSAAL nach Liv Strömquist / r : Katrin Plötner / 05.10.2024
WONDERFUL WORLD Tanztheater von Kinsun Chan und Martin Zimmermann / 17.10.2024
JUSTITIA von Ulrike Günther / r : Ulrike Günther / Uraufführung 19.10.2024
DIE SCHNEEKÖNIGIN von Hans Christian Andersen / r : Nora Bussenius / 09.11.2024
FAST FORWARD Europäisches Festival für junge Regie / 14.–17.11.2024
DER EINSAME WESTEN von Martin McDonagh / r : Kilian Bauer / 24.11.2024
EINES LANGEN TAGES REISE IN DIE NACHT von Eugene O’Neill / r : Sebastian Hartmann / 29.11.2024
CYRANO DE BERGERAC von Martin Crimp / r : Nicolai Sykosch / 30.11.2024
KLASSENBESTE von Christiane Lehmann / r : Christiane Lehmann / Uraufführung 18.01.2025
DER KOMET nach Durs Grünbein / r : Tilmann Köhler / Uraufführung 24.01.2025
DIE RATTEN von Gerhart Hauptmann / r : Daniela Löffner / 25.01.2025
WAS IHR WOLLT von William Shakespeare / r : Simon Werdelis / 21.02.2025
BANDSCHEIBENVORFALL von Ingrid Lausund / r : Philipp Lux / 22.02.2025
JANE EYRE nach Charlotte Brontë / r : Lily Sykes / 21.03.2025
BAUERN, BONZEN UND BOMBEN nach Hans Fallada / r : Tom Kühnel / 22.03.2025
DIE WEISSE ROSE (Fassung: 1967) von Udo Zimmermann / ml: Franz Brochhagen / r : Susanne Knapp / 12.04.2025
DANTONS TOD von Georg Büchner / r : Frank Castorf / 25.04.2025
APOKALYPSE 2033 (Arbeitstitel) von Paul Spittler / r : Paul Spittler / Uraufführung 16.05.2025
PRIMA FACIE von Suzie Miller / r : Monique Hamelmann / 17.05.2025
EIN SOMMERNACHTSTRAUM von William Shakespeare / r : Robert Gerloff / 31.05.2025
YOU CAME, YOU SAW – EIN NO ESCAPE ROOM (Arbeitstitel) von Ayşe Güvendiren / r : Ayşe Güvendiren / Uraufführung 14.06.2025