Luk Perceval

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Arbeitsbuch 2019 • Heft Nr. 7/8

deutsch

e   nglish

EUR 24,50 / CHF 30 / www.theaterderzeit.de

Luk Perceval


Stücke 2020 16. Mai – 6. Juni 45. Mülheimer Theatertage NRW Die besten Stücke im Wettbewerb um den Mülheimer Dramatikerpreis serres-design.de

Foto: prextimize - stock.adobe.com

www.stuecke.de

Veranstalter

Gefördert von


Festival

Mehr als 60 Produktionen von Johann Kresnik | Gottfried Helnwein | Kurt Schwertsik & TANZLIN.Z, Michael Laub, Mette Ingvartsen, Dimitri Chamblas & Boris Charmatz, Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, Lisbeth Gruwez, Jérôme Bel, Steven Cohen, Ismael Ivo & Morena Nascimento / Balé da Cidade de São Paulo, Ian Karler, DD Dorvillier, Wim Vandekeybus, Dana Michel, Lenio Kaklea, Frédéric Gies, Michelle Moura, Peter Stamer & Frank Willens, Akemi Takeya, Teresa Vittucci, Maria Metsalu, Simone Aughterlony, Petra Hrašćanec & Saša Boži, Ivo Dimchev, Vladimir Miller & Claudia Hill & Julian Weber und vielen mehr im Burgtheater, Volkstheater, Akademietheater, Kasino am Schwarzenbergplatz, Odeon, MuseumsQuartier Halle E, Leopold Museum, mumok und vielen mehr

Designed by CIN CIN, cincin.at / Photo by Jork Weismann / Performer: Mani Obeya

Vienna

International

Dance

11. Juli – 11. August 2019 impulstanz.com


âžž www.hebbel-am-ufer.de


Arbeitsbuch 2019 Herausgegeben von Thomas Irmer


Spielze it 2019 & 2020

Uraufführung Die Katze und der General von Nino Haratischwili Regie Jette Steckel Uraufführung Ein Mensch brennt von Nicol Ljubić Regie Swen Lasse Awe Uraufführung Der Boxer von Szczepan Twardoch Regie Ewelina Marciniak Liliom von Ferenc Molnár Regie Kornél Mundruczó Uraufführung Neverland Ein internationales Projekt nach Motiven aus J.M. Barries „Peter Pan“ Regie Antú Romero Nunes Uraufführung Sechs Koffer von Maxim Biller Regie Elsa-Sophie Jach Die Nacht der von Neil Young Getöteten von Navid Kermani. Ein musikalischer Trip Regie Sebastian Nübling Vögel von Wajdi Mouawad Regie Hakan Savaş Mican Uraufführung Hereroland Eine deutsch-namibische Geschichte Regie David Ndjavera und Gernot Grünewald Hamlet von William Shakespeare Regie Jette Steckel Uraufführung (R)Evolution von Yael Ronen Inspiriert von „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari Regie Yael Ronen Ode an die Freiheit Ein revolutionäres Trauerspiel nach Friedrich Schiller Regie Antú Romero Nunes Deutschsprachige Erstaufführung Network Bearbeitung Lee Hall nach dem Film von Paddy Chayevsky Regie Jan Bosse Uraufführung Der Ausbruch von Albertine Sarrazin Regie Marie Rosa Tietjen Opening Night von John Cassavetes Regie Charlotte Sprenger Eine Inszenierung von Leander Haußmann thalia-theater.de/premieren


LUK PERCEVAL


Premieren 19/20 Bella Ciao Intendanz Prof. Dr. Dr. Nix

KASIMIR UND KAROLINE ab 11.10.2019

Volksstück von Ödön von Horváth Regie Christoph Nix, Zenta Haerter

WONDERFUL WORLD (ARBEITSTITEL)

ab 14.02.2020

Ein Liederabend mit den Welthits des Jazz Regie Mark Zurmühle URAUFFÜHRUNG

DIE TAGE DER COMMUNE ab 08.11.2019

Schauspiel nach Bertolt Brecht Regie Johanna Schall

WEIN UND BROT ab 13.03.2020

Freilichtspiele Münsterplatz

HERMANN DER KRUMME ODER DIE ERDE IST RUND. (ARBEITSTITEL)

ab 19.06.2020

Freilichtspektakel von Christoph Nix Regie Christoph Nix, Mark Zurmühle URAUFFÜHRUNG

Schauspiel nach dem Roman von Ignazio Silone Regie Oliver Vorwerk URAUFFÜHRUNG

ONKEL TOMS HÜTTE

GLÜCKLICHE TAGE

Bodensee

THEATERSCHIFF ATLANTIS

URAUFFÜHRUNG

Schauspiel von Samuel Beckett Regie Wolfram Mehring

ZWEI TAGE, EINE NACHT

DER HIMBEERPFLÜCKER

ab 08.05.2020

Schauspiel nach dem Filmdrama von Jean-Pierre und Luc Dardenne Regie Martin Nimz

Komödie von Fritz Hochwälder Regie Annette Gleichmann

(ARBEITSTITEL)

ab 14.12.2019

Schauspiel nach dem Roman von Harriet Beecher Stowe

ab 17.01.2020

URAUFFÜHRUNG

ab 04.04.2020

ab 24.04.2020

DIE SIEBEN TODSÜNDEN ab 15.05.2020

Ballett mit Gesang von Kurt Weill und Bertolt Brecht Regie/Choreografie Zenta Haerter

– Utopien schaffen, zum Träumen verleiten, die Zukunft erforschen Eine interaktive Schiffspassage mit Texten von Maximilian Lang Regie Andrej Woron URAUFFÜHRUNG


EDITORIAL After twenty years

Luk Perceval hat nach zwanzig Jahren Arbeit im deutschen

das Buch seinen Beitrag leisten.

Theater – an der Berliner Schaubühne, den Münchner

in German theatre – at Berlin’s Schaubühne, the Münchner

Kammerspielen und am Thalia Theater in Hamburg – ein

Kammerspiele and Thalia Theater in Hamburg – Luk Per-

großes Kapitel abgeschlossen und mit der Rückkehr nach

ceval is bringing one major chapter to a close and starting

Belgien, ans NTGent, zugleich ein neues eröffnet. Er, der

a new one as he returns to Belgium, and to NTGent.

sich einst vom deutschen Theater angezogen fühlte, hat

­Having once felt drawn to German theatre, he now leaves

es nun mit einiger Enttäuschung verlassen. Doch es ist, so

with a measure of disappointment. But it seems like a

scheint es, eine produktive Enttäuschung, die den kritischen

productive disappointment that links the great director’s

Rückblick des großen Regisseurs mit der Suche nach neuen

critical look back with a search for new pathways, a search

­Wegen verbindet, einer Suche nach den Möglichkeiten eines

for the potential of international theatre in the 21st century.

Diese künstlerische Neuausrichtung ist Anlass für Bilanz

It is an artistic reorientation that provides an opportunity for review and forecast. This workbook collects exten-

und Ausblick: Das vorliegende Arbeitsbuch versammelt

sive interviews with the director, long-term partners like

ausführliche Gespräche mit dem Regisseur, langjährige

stage designers Katrin Brack and Annette Kurz, documented

Arbeitspartner wie die Bühnenbildnerinnen Katrin Brack und

with their own selection of images representing the Perce-

Annette Kurz dokumentieren mit eigens von ihnen ausge-

val world; the actors Patrycia Ziolkowska, Thomas Thieme

suchten Bildstrecken den Perceval-Kosmos, die Schauspieler

and Burghart Klaußner talk about their work with the direc­

Patrycia Ziolkowska, Thomas Thieme und Burghart Klauß-

tor; while pianist Jens Thomas describes the live music he

ner berichten von ihrer Zusammenarbeit mit dem Regisseur,

provided for three Perceval productions.

der Pianist Jens Thomas beschreibt seine musikalische Live-Arbeit für drei Perceval-Inszenierungen. Die Rückkehr nach Belgien ist für den flämischen Re-

For the Flemish director, this return to Belgium also represents a return to a theme that he broached before many in the theatre world but which is now one of the key

gisseur auch mit der Wiederaufnahme eines Themas ver-

problems of present-day society – post-colonial reapraisal,

bunden, das er als einer der Ersten im Theater aufgriff und

an issue to which Belgium has made a decisive contribu-

das uns nun als eines der wesentlichen Probleme unserer

tion in light of its history in the Congo. German theatre, on

Gegenwart beschäftigt. Die Rede ist von der post­kolo­nia­len

the other hand, is only just beginning to address the coun-

Aufarbeitung, zu der Belgien mit seiner Geschichte im Kongo

try’s own colonial history. And it is probably no accident

Entscheidendes beizutragen hat. Das deutsche Theater

that in staging his trilogy “The Sorrows of Belgium” in his

wiederum fängt gerade erst an, sich der Kolonialgeschichte

new home, Perceval encountered an Artistic Director like

anzunehmen. Dass Perceval am neuen Wirkungsort mit

Milo Rau – activist of a global realism.

seiner Trilogie „The Sorrows of Belgium“ auf einen Inten-

Perceval, whose work is highly valued by audiences,

danten wie Milo Rau trifft, also auf den Aktivisten eines

theatre professionals and festival curators as far afield as

globalen Realismus, ist wohl alles andere als Zufall.

China, has also worked on multiple occasions in Saint

Zudem hat Perceval, dessen Arbeiten von Publikum,

Petersburg, where his Shakespeare adaptations play out

Theatermachern und Festivalkuratoren bis hin nach China

in a completely different socio-political context. London-

hoch geschätzt werden, inzwischen auch mehr­fach in

based theatre professor Maria Shevtsova explains this

Sankt Petersburg gearbeitet, wo seine beiden Shake­s­

Russian Perceval between Stanislavski and a particularly

peare-Adaptionen in einen völlig anderen gesellschafts-

Russian reception for “Macbeth”. Asja Woloshina investi-

politischen Kontext vorstießen. Die Londoner Theaterwissen-

gates his production “Romeo & Juliet, or The Merciful

schaftlerin Maria Shevtsova erläutert diesen russischen

Earth” for the Baltic House Theatre in Saint Petersburg.

Perceval zwischen Stanislawski und einer in Russland spe-

Together these contributions – starting in Belgium

ziellen „Macbeth“-Rezeption. Asja Woloshina befasst sich

and Germany before proceeding through Africa and Rus-

mit seiner Inszenierung „Romeo & Julia oder Die barm­

sia – plot a map of Luk Perceval’s current theatrical geo­

herzige Erde“ für das Baltiski Dom in Sankt Petersburg.

graphy. By reading this map we can see each of his pro-

Insofern zeichnen die Beiträge, ausgehend von Belgien und Deutschland, über Afrika und Russland, eine Art Land-

ductions as a part of something greater. That’s what this workbook aims to do, too.

karte von Luk Percevals aktueller Theatergeografie. Jede einzelne seiner Inszenierungen vermag, mit dieser Landkarte gelesen, in etwas Größerem aufzugehen: Dazu will

Thomas Irmer

E DITORIAL

internationalen Theaters für das 21. Jahrhundert.

VORWORT

VORWORT


INHALT VORWORT

CONTENT

EDITORIAL

THE CONQUEST OF SPACE by Annette Kurz

7

73 GESPRÄCHE

INTERVIEWS

STAGE DESIGNS BÜHNENBILDER von    by Annette Kurz

DIE UTOPIE VOM INTERNATIONALEN THEATER Luk Perceval und Milo Rau über ihre Vision eines Theaters für das 21. Jahrhundert im Gespräch mit Thomas Irmer

74 DER DÜNNE BUDDHA von Thomas Thieme

82

14 ARBEITEN VON

PRODUCTIONS BY LUK PERCEVAL

22

84

THE UTOPIA OF INTERNATIONAL THEATRE Luk Perceval and Milo Rau talk to Thomas Irmer about their vision for theatre in the 21st century

WIR SIND DER WIND Der norwegische Schriftsteller und Dramatiker Jon Fosse über seine Nähe zu Luk Perceval und seine Rückkehr zum Stückeschreiben im Gespräch mit Thomas Irmer

28 DER CHARMANTE BETRÜGER Luk Perceval über seine Idee eines Künstlertheaters im Gespräch mit Thomas Irmer

86

40 THE CHARMING SWINDLER Luk Perceval talks to Thomas Irmer about his conception of an artists‘ theatre

48 SCHAM UND AMBIVALENZ Luk Perceval über die Kernfragen seiner Amsterdamer Inszenierung von J. M. Coetzees Roman „Schande“ im Gespräch mit Thomas Irmer

60 SHAME AND AMBIGUITY Luk Perceval talks to Thomas Irmer about the core issues in his Amsterdam stage adaptation of J. M. Cotzees’s novel “Disgrace“

63

MITSTREITER

THE THIN BUDDHA by Thomas Thieme

WE ARE THE WIND The Norwegian writer and playwright Jon Fosse about his proximity to Luk Perceval and his return to writing plays, in conversation with Thomas Irmer

89 EINFACH LOSLASSEN Zu Luk Percevals Inszenierung „Mut und Gnade“ am Schauspiel Frankfurt von Marion Tiedkte

94 JUST LET GO On Luk Perceval’s production of “Grace and Grit“ at Schauspiel Frankfurt by Marion Tiedtke

98 AUFEINANDER UND MITEINANDER HÖREN Meine musikalische Arbeit mit Luk Perceval von Jens Thomas

104

COLLABORATORS

LISTENING TO – AND WITH – EACH OTHER My musical work with Luk Perceval by Jens Thomas

DIE EROBERUNG DES RAUMES von Annette Kurz

72

106

10


SCHAUSPIEL KOELN PREMIEREN 2019 20 DIE JUNGFRAU VON ORLEANS VON FRIEDRICH SCHILLER REGIE: PINAR KARABULUT PREMIERE: 24 APR 2020

VÖGEL

VON WAJDI MOUAWAD REGIE: STEFAN BACHMANN AUF HEBRÄISCH, ARABISCH, ENGLISCH UND DEUTSCH MIT DEUTSCHEN ÜBERTITELN PREMIERE: 20 SEP 2019

NEW OCEAN

VON RICHARD SIEGAL / BALLET OF DIFFERENCE AM SCHAUSPIEL KÖLN CHOREOGRAFIE: RICHARD SIEGAL URAUFFÜHRUNG: 27 SEP 2019

VON VIRGINIE DESPENTES DEUTSCH VON CLAUDIA STEINITZ IN EINER BÜHNENFASSUNG VON PETSCHINKA REGIE: MORITZ SOSTMANN PREMIERE: 25 OKT 2019

EINES LANGEN TAGES REISE IN DIE NACHT VON EUGENE O'NEILL REGIE: LUK PERCEVAL PREMIERE: 15 NOV 2019

DIE (LAVERDAMMTEN CADUTA DEGLI DEI)

NACH DEM GLEICHNAMIGEN FILM VON LUCHINO VISCONTI DEUTSCH VON HANS-PETER LITSCHER REGIE: ERSAN MONDTAG PREMIERE: 07 DEZ 2019

AUS DEM BÜRGERLICHEN HELDENLEBEN

NACH CARL STERNHEIMS » DIE HOSE« , » DER SNOB « , »1913 « , » DAS FOSSIL« UND DEM ROMAN » EUROPA« REGIE: FRANK CASTORF PREMIERE: 17 JAN 2020

NORA

VON HENRIK IBSEN REGIE: ROBERT BORGMANN PREMIERE: 13 MÄR 2020

KOPRODUKTION MIT DER COMPAÑÍA NACIONAL DE TEATRO, MEXIKO

LIEDGUT / NEUKREATION VON RICHARD SIEGAL / BALLET OF DIFFERENCE AM SCHAUSPIEL KÖLN CHOREOGRAFIE: RICHARD SIEGAL FRÜHJAHR 2020

EINE PRODUKTION VON SCHAUSPIEL KÖLN UND TANZ KÖLN, GEFÖRDERT IM RAHMEN VON »NEUE WEGE« DURCH DAS NRW KULTURSEKRETARIAT UND DAS MINISTERIUM FÜR KULTUR UND WISSENSCHAFT DES LANDES NRW, DURCH DAS KULTURREFERAT DER LANDESHAUPTSTADT MÜNCHEN UND DIE KUNSTSTIFTUNG NRW, EINE KOPRODUKTION MIT DEM MUFFATWERK MÜNCHEN

EINE PRODUKTION VON SCHAUSPIEL KÖLN UND TANZ KÖLN, GEFÖRDERT IM RAHMEN VON »NEUE WEGE« DURCH DAS NRW KULTURSEKRETARIAT UND DAS MINISTERIUM FÜR KULTUR UND WISSENSCHAFT DES LANDES NRW, DURCH DAS KULTURREFERAT DER LANDESHAUPTSTADT MÜNCHEN UND DIE KUNSTSTIFTUNG NRW, EINE KOPRODUKTION MIT DEM MUFFATWERK MÜNCHEN

DAS LEBEN DES VERNON SUBUTEX 1-3

DER WILDE

NACH DEM ROMAN VON GUILLERMO ARRIAGA IN EINER BÜHNENFASSUNG VON DAVID GAITÁN REGIE: DAVID GAITÁN URAUFFÜHRUNG: 15 MAI 2020

SCHÖNE NEUE WELT

VON ALDOUS HUXLEY IN EINER BÜHNENFASSUNG VON JULIA FISCHER REGIE: BASSAM GHAZI PREMIERE: 28 SEP 2019 MIT DEM IMPORT EXPORT KOLLEKTIV

EINE FRAU BEI 1000°

GEGEN DEN HASS

IN EINER THEATERFASSUNG VON THOMAS JONIGK NACH DEM GLEICHNAMIGEN BUCH VON CAROLIN EMCKE REGIE: THOMAS JONIGK URAUFFÜHRUNG: 21 SEP 2019

DIE REISE DER VERLORENEN SCHAUSPIEL VON DANIEL KEHLMANN REGIE: RAFAEL SANCHEZ DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG: 07 NOV 2019

DAS WERKZEUG DES HERRN VON LUKAS BÄRFUSS REGIE: STEFAN BACHMANN URAUFFÜHRUNG: 13 DEZ 2019

BASIEREND AUF DEM GLEICHNAMIGEN ROMAN VON HALLGRÍMUR HELGASON REGIE: MORITZ SOSTMANN DEUTSCHSPRACHIGE ERSTAUFFÜHRUNG: 25 JAN 2020

VERHAFTUNG IN GRANADA

VON DOĞAN AKHANLI REGIE: NURAN DAVID CALIS URAUFFÜHRUNG: 28 FEB 2020

DER ENDLOSE SOMMER VON MADAME NIELSEN REGIE: LUCIA BIHLER URAUFFÜHRUNG: 28 MÄR 2020

BOMB

VON MAYA ARAD YASUR REGIE: LILY SYKES URAUFFÜHRUNG: 08 FEB 2020

METRIC DOZEN / MADE FOR WALKING / NEUKREATION

VON RICHARD SIEGAL / BALLET OF DIFFERENCE AM SCHAUSPIEL KÖLN CHOREOGRAFIE: RICHARD SIEGAL FRÜHJAHR 2020

EINE PRODUKTION VON SCHAUSPIEL KÖLN UND TANZ KÖLN, GEFÖRDERT IM RAHMEN VON »NEUE WEGE« DURCH DAS NRW KULTURSEKRETARIAT UND DAS MINISTERIUM FÜR KULTUR UND WISSENSCHAFT DES LANDES NRW, DURCH DAS KULTURREFERAT DER LANDESHAUPTSTADT MÜNCHEN UND DIE KUNSTSTIFTUNG NRW, EINE KOPRODUKTION MIT DEM MUFFATWERK MÜNCHEN

IN DER STADT UTOPOLIS

VON RIMINI PROTOKOLL (HAUG/KAEGI/WETZEL) MAI 2020

IM AUFTRAG DES MANCHESTER INTERNATIONAL FESTIVAL UND DES SCHAUSPIEL KÖLN


Der Fiskus (UA) SCHAUSPIEL

Felicia Zeller R: Christoph Diem 18.01.2020

Iphigenie auf Tauris

Lichter der Großstadt (UA) Charlie Chaplin R: Christoph Diem 13.09.2019

Johann Wolfgang von Goethe R: Michael von zur Mühlen 25.01.2020

KLEINES HAUS

Reich und Himmel 15.09.2019

AQUARIUM

Wer hat Angst vor Virginia Woolf?

Home.Run

GROSSES HAUS

Gaslicht

KLEINES HAUS

23.10.2019

AQUARIUM

Der Kirschgarten

GROSSES HAUS

Anton P. Tschechow R: Dagmar Schlingmann

Franziska Linkerhand 23.05.2020

KLEINES HAUS

GROSSES HAUS

(INKLUSIVE STARTERKABEL) (UA)

22.03.2020

AQUARIUM

Koyaanisqatsi dich selber

Brigitte Reimann R: Alice Buddeberg

Batterie zum Anschließen der Liebe Lars Werner R: Josua Rösing

APRIL 2020

13.05.2020

Ein Sommernachtstraum 21.03.2020

Kooperation der HMTM Hannover, HBK Braunschweig & Staatstheater Braunschweig

AQUARIUM

JUNGES STAATSTHEATER JUNGES! Schauspiel Die Mitte der Welt Andreas Steinhöfel R: Franziska-Theresa Schütz 20.09.2019

HAUS DREI

Die feuerrote Blume

Lukas Pergande & Josef Bäcker R: Lukas Pergande

William, Shakespeare R: Nils Zapfe

Hartmut El Kurdi R: Ulrike Willberg

22.11.2019

01.02.2020

20.03.2020

Die Kinder (DEA) 28.09.2019

Kleiner Mann, was nun?

Patrick Hamilton R: Christoph Diem

Edward Albee R: Dariusch Yazdkhasti

Lucy Kirkwood R: Antje Thoms

KLEINES HAUS

Hans Fallada R: Christoph Mehler

Markus Heinzelmann & Ensemble R: Markus Heinzelmann

21.09.2019

AQUARIUM

Überzeugungstäter 2020

AQUARIUM

(Die Schöne und das Biest)

Märchen von L. Braussewitsch & I. Karnauchowa R: Jörg Wesemüller 17.11.2019

GROSSES HAUS

DEMOCRISIS (UA) KLEINES HAUS

Gameplay von Jules Buchholtz Kooperation mit dem Theater Magdeburg und dem Nationaltheater »K« Craiova, Rumänien 21.11.2019

Ein neues Stück (AT) (UA) Hartmut El Kurdi R: Jörg Wesemüller 17.05.2020

HAUS DREI

Generalintendantin Dagmar Schlingmann Leitung Schauspiel Claudia Lowin, Christoph Diem Leitung Junges Staatstheater Jörg Wesemüller

KLEINES HAUS

Staatstheater Braunschweig

HAUS DREI

Spielzeit 2019/20

WWW.staatstheater-braunschweig.de


INHALT

CONTENT

BEGEGNUNG, ZEIT, VERTRAUEN Über den langen Atem in großen Projekten von Patrycia Ziolkowska

DAS UNENDLICHE JETZT von Steven Heene

148

110

THE INFINITE NOW by Steven Heene

ENCOUNTER, TIME, TRUST On perseverance in large projects by Patrycia Ziolkowska

151 ARBEITEN VON

113

PRODUCTIONS BY LUK PERCEVAL

154

AUS DEM STEINBRUCH NEUES SCHAFFEN Burghart Klaußner über Miniaturen und Reduktion in der Arbeit mit Luk Perceval im Gespräch mit Thomas Irmer

RUSSLAND

118

RUSSIA

DIE DUNKELHEIT DES HERZENS Luk Percevals „Macbeth“ in Sankt Petersburg von Maria Shevtsova

CREATING SOMETHING NEW FROM THE QUARRY Burghart Klaußner talks to Thomas Irmer about miniatures and reduction in his work with Luk Perceval

160

120

THE DARKNESS OF THE HEART Luk Perceval’s “Macbeth“ – Made in Russia by Maria Shevtsova

REALITÄT, NICHT-REALITÄT UND DIE RÄUME DAZWISCHEN Katrin Brack über das Eigenleben ihrer Bühnen und die Zusammenarbeit mit Luk Perceval im Gespräch mit Thomas Irmer

164

122 REALITY, NON-REALITY AND THE SPACES IN BETWEEN Katrin Brack talks to Thomas Irmer about the internal life of her sets and her collaboration with Luk Perceval

ANFANG UND ENDE BLEIBEN DORT DEN MENSCHEN DUNKEL Knietief im Sozialen – der „russische“ Perceval erkundet mit Shakespeare das Territorium der Existenz von Asja Woloshina

126

168 CAUSES AND EFFECTS GET DROWNED IN MURKY WATERS Knee-deep in the social – the “Russian” Perceval explores the territory of existence with Shakespeare by Asja Woloshina

BÜHNENBILDER STAGE DESIGNS von    by Katrin Brack

130

171 BELGIEN

WERKVERZEICHNIS

BELGIUM

LIST OF PRODUCTIONS

174

DER SCHREIENDE MENSCH Luk Perceval zurück in Flandern – mit einer Oper über den Ersten Weltkrieg von Johan Thielemans

AUTORINNEN UND AUTOREN

AUTHORS

180 IMPRESSUM

140

184

THE SCREAMING MAN Luk Perceval returns to Flanders – with an opera about the First World War by Johan Thielemans

144

13

IMPRINT


GES INTERV


PRÄCHE IEWS


DIE UTOPIE VOM INTERNATIONALEN THEATER Luk Perceval und Milo Rau über ihre Vision eines Theaters für das 21. Jahrhundert im Gespräch mit Thomas Irmer

Sie beide verbindet das Interesse, Theater neu zu organisieren, dafür neue Wege zu finden, in der Überzeugung, dass dies dringend notwendig ist. Milo Rau, Sie haben für das NTGent das Genter Manifest veröffentlicht mit zehn Regeln, wie Ihr Theater arbeiten soll. Luk Perceval, Sie haben vor vielen Jahren auch Manifeste geschrieben. ­Haben Sie sich über das Genter Manifest ver­ ständigt? Milo Rau: Wir haben uns das erste Mal 2017 in Köln getroffen. Das Manifest wurde 2018 aus der Erfahrung im deutschen Theatersystem verfasst. Es ist ein Regelwerk, das aus den Bedingungen heraus entstand, wie Theater in Deutschland gemacht wird. Ich wollte die Aufmerksamkeit von der Fixierung auf das Management des Theaters auf seine eigentliche Produktion lenken, weg von der eingefahrenen Routine mit einem Spielzeitmotto, zu dem dann die geeigneten Regisseure

und Bühnenbildner und so weiter gefunden werden. Das Manifest ist keine ästhetische Maßgabe des Thea­ ters, da ist alles frei. Meine letzte Inszenierung „Orest in Mossul“ befolgt übrigens auch nicht alle Gebote. ­Ähnlich wie beim DOGMA-Manifest im Film damals, wo auch kein einziger Film nach allen Regeln des Manifests gedreht wurde. Ich wollte die übliche Pro­ duktionsweise hinterfragen, und deshalb habe ich die Regeln entwickelt, damit Inszenierungen kleiner und persönlicher werden. Luk Perceval: Zunächst einmal habe ich mich über das Manifest sehr gefreut, denn ich sehe es als eine Provokation. Provokationen kommen im Theater kaum noch vor. Während meiner 18 Jahre im deut­schen Theater wurde der ökonomische Druck immer größer, es ging nur noch um Erfolg mit einem ausverkauften Haus. Das Theater wurde dafür zuneh­mend konsumierbar. Theater als Freiraum dafür, Tabus und klassische

16


nur noch ein Fünftel des Ursprungstextes, darüber soll diskutiert werden. Noch einmal zurück zu dem Aspekt, dass Regis­ seure sich nicht über ihre Angelegenheiten aus­ tauschen. Meine Wahrnehmung vom deutschen Theater ist, dass das gar keine Harmoniegemein­ schaft ist, sondern eine Kultur der Konkurrenz, in der Leute gute Gründe haben, sich gegen­ seitig aus dem Weg zu gehen. Diese Konkurrenz verhindert doch, das System als Ganzes zu ändern, sie wirkt kontraproduktiv.

Sie sagen, das Manifest beziehe sich in erster Linie auf die Strukturen des Theaters, wie sie in Deutschland vorherrschen. Worin be­stehen denn die Unterschiede zu Flandern? Die For­de­ rung nach Mobilität und die Frage der Sprachen­ vielfalt zum Beispiel sind doch hier sowieso ­anders gelagert und dürften sich so kaum auf Belgien anwenden lassen.

Rau: Das Manifest soll vor allem eine Diskussion anstoßen über Dinge, die hier und in Deutschland seit vielen Jahren schmoren. Auch darüber, dass jemand sagt: Nein, klassische Texte sind doch immer noch wichtig, warum sollen die jetzt weg. Darüber muss gesprochen werden. Keine Adaptionen mehr, sondern

‚‚

Perceval: Das stimmt nicht. Als ich das Manifest las, war ich angenehm überrascht, wie viel sich davon auf das belgische System anwenden lässt. Das heißt nicht, dass ich hundert Prozent damit übereinstimme. Aber der wichtigste Punkt für mich ist, dass jemand sagt, wir müssen uns auf unsere eigentlichen Aufgaben konzentrieren und dafür unsere Position bestimmen. Deshalb sind wir beide hier zusammen. Denn wir brauchen diese Art von Diskurs dringend. Regisseure treffen sich ja ansonsten kaum, sind immer auf Achse, und deshalb gibt es auch viel zu wenig Austausch untereinander. Das Theater sieht sich indes als „harmoniesüchtige Gemeinschaft“. Alle träumen von Frieden und Liebe, aber Theater ist in seinem Wesen Konflikt. Wenn wir auf seine Geschichte schauen, dann war es von Anfang an ein Instrument, dem Volk eine Bühne zu geben und die Mächtigen zu provo­zieren. Hier hat das Theater seine Wurzeln in der katholischen Kirche, die es dann aus ihrem Kreis verbannte. Provokation ist also ein wesentlicher Bestandteil des Theaters. Des­ halb finde ich Milos Manifest, und dass er jetzt hier in Gent ist, wichtig. Endlich kommt mal jemand und sagt: Egal, ob ihr damit einverstanden seid, aber ich bring jetzt mal den Stein ins Rollen. Konflikt ist gut und notwendig im Theater. Ich habe ein Beispiel von letzter Woche, als wir in den Proben für „Black“ in einer Krise feststeckten. Mit den Jahren habe ich gelernt, nicht auf die belgische Weise zu r­ eagieren: Pferde am Zügel halten und so tun, als würde sich alles lautlos in Wohlgefallen auflösen. In Deutschland habe ich erfahren, wie man einen Konflikt ernst nimmt, ihn ausdiskutiert, auch wenn es weh tut, und eine Lösung sucht.

DAS MANIFEST SOLL EINE AUFFORDERUNG SEIN: KOMMT ZUSAMMEN, UM GEMEINSAM HERAUSZUFINDEN, WAS THEATER SEIN KÖNNTE. (MILO RAU)

‚‚

Rau: Das ist ein heikler Punkt. Aber ich beziehe mich auf meine Arbeit hier und stimme Luk zu, dass wir die Arbeit von Kollegen zu wenig wahrnehmen. Mal von diesem Manifest abgesehen, finde ich es ­befreiend, das Programm und den Spielplan in Gent gestalten zu können. Ersan Mondtag inszeniert hier, mit seiner ganz eigenen Arbeitsweise, die sich von Luks sehr ­unterscheidet, genauso Miet Warlop und Alain Platel. Auf diesem künstlerischen Level gibt es keine Konkurrenz, aber es kann wichtig sein, dass man erfährt, mit welchen ähnlichen Problemen andere Regisseure sich herumplagen. Das gefällt mir sehr. Ein Beispiel von meiner Warte aus: Ich hatte immer Schwierigkeiten mit dem, was abseits der Proben noch von mir vorzubereiten ist. Zu sehen, wie Luk damit umgeht, ist ein guter Erfahrungsaustausch. Man lernt durch andere. Was für mich neu war. Als Künstler will man ja nur seinen eigenen Weg gehen. Das Manifest, um es noch

17

LUK PERCEVAL UND MILO RAU

Ansichten von Theater zu brechen, ist am Verschwinden. Selbst das Theater von Frank Castorf, einer der Radikalsten, geht auf sein Ende zu.


einmal zu sagen, soll keine Begrenzungen festlegen, sondern eine Aufforderung sein: Kommt zusammen, um gemeinsam herauszufinden, was Theater sein könnte. Ein anderes Problem, das mich in Deutsch­ land sehr unzufrieden werden ließ: Gastspiele waren wegen der Kosten kaum möglich. Aber für mich ist es sehr wichtig, dass meine Arbeiten touren. Ich lege großen Wert darauf, dass die hier produzierten Arbei­ ten auch anderswo zu sehen sind. Das ist das Modell, mit dem wir hier arbeiten. Mobilität und internationaler Austausch im Theater haben in den letzten zwanzig Jahren enormen zugenommen. Percevals Inszenierun­ gen sind in vielen Ländern Europas, aber auch weltweit bis hin nach China gefragt. Die Inter­ nationalisierung hat das Theater als Ganzes ­bereits verändert. Das Manifest argumentiert da in die richtige Richtung. Trotzdem sehe ich darin auch Beschränkungen, die ein Kritiker aus Deutschland als „Tanzen in Handschellen“ beschrieben hat. Luk Perceval, Sie sagten, dass sogar Castorfs Theater auf sein Ende zugehe. Wenn wir das Manifest beim Wort nehmen, dann meint es doch auch, dass die fünfzigjährige Ära des Regie­theaters zu Ende geht: eine Theater­ kultur der Neuinterpretation alter Texte in Aus­ ein­ander­setzung mit dem Publikum. Ich verstehe das Manifest auch als Kritik dieser Tradition, ­indem ihr etwas anderes gegenübergestellt wird. Kunst lehnt sich immer gegen Traditionen auf, aber hier geht es vielleicht noch um etwas ­anderes. Rau: Nehmen wir Luks „Ten Oorlog“ („Schlach­ten!“), jetzt zwanzig Jahre her. Das war eine neue Version von Shakespeares Historiendramen, die von einem Team geschaffen wurde. Eine folgerichtige Entwicklung von Adaptionen gibt es nicht in der Theater­ geschichte. Als Student in Zürich sah ich dort Schlingensiefs „Hamlet“. Da wurde Shakespeares Text in wiederum ganz anderer Weise eingesetzt, auf jeden Fall anders als bei vorherigen „Hamlet“-Inszenierungen. Jetzt habe ich gerade die Orestie bei „Orest in Mossul“ verarbeitet und benutzte dafür verschiedene Übersetzungen. Ich bin gar nicht gegen die Verwen­ dung klassischer Texte. Ich setze sie ein, auch als Provokation. Perceval: Verglichen mit den 1960er und 1970er ­Jahren, hat sich noch etwas ganz anderes grund­ legend verändert. Ich habe mir „Hearts of Darkness“ ­angeschaut, Eleanor Coppolas Dokumentarfilm von 1991 über die Dreharbeiten von Francis Ford Coppolas

„Apocalypse Now“, und am Ende des Films sagt Coppola: In zehn oder zwanzig Jahren wird jeder eine Kamera haben und Filme machen können. Inzwischen gibt es in Amerika Festivals für mit dem iPhone gedrehte Spielfilme. Das hierarchische Modell, dass gute Kunst nur von Spezialisten gemacht wird, gilt nicht mehr. Die alte Berliner Schaubühne war sehr erfolgreich, solange sie Teil der Insel West-Berlin war. In einer Art Propagandazone des freien Westens gegen den Osten, der sie umgab. Mit dem Fall der Mauer wurde die Schau­ bühne Teil des großen Berlins, sie verlor damit ihren Gegner und die Aufgabe, auf bedrohliche Supermächte zu reagieren. Jetzt konnte man nicht mehr auf die Fins­ terlinge verweisen, die über unser Leben bestimmen. In der heutigen Welt sind wir dazu aufgefordert, uns mit Kunst im Internet zu zeigen, zugleich aber sind wir für den Klimawandel verantwortlich und in dem Bewusstsein, dass der alles durchdringende Neoliberalismus auf unserem Konsumismus basiert. Wir sind alle beteiligt und schuldig an dem, was zum Beispiel im Kongo passiert oder in Afrika insgesamt. Wir sind ein Teil davon. Das heißt auch, dass man es sich nicht so einfach machen kann wie in den 1970er Jahren, als man alles noch auf den großen Boss schieben konnte. Es ist heutzutage sogar schwieriger, den Schuldigen auszumachen, der in seinem Versteck die Fäden zieht. Die Verschleierung der Macht funktioniert heute viel ­ äden zieht, wissen raffinierter und subtiler. Wer die F wir nicht, und ehrlich gesagt, ­wir mögen doch auch unsere eigene Verschleierung. Als Theater erkennen wir diese Situation an: Okay, wenn es nicht länger möglich ist zu sagen, wer an ­etwas schuld ist, dann müssen wir uns selbst nach unserer Verantwortung fragen, nach unserer Rolle. Das hat die Perspektive von Theatermachern gewaltig verändert. Das bringt mich auf das dokumentarische Theater von heute, das ja hauptsächlich von der unbe­ kannten Gegenwart handelt, wohin­gegen das Dokumentartheater der 1960er und 1970er vor allem Sachverhalte aus der Vergangenheit ent­ hüllte. Das hat vielleicht eine Entsprechung zu diesem Wandel von der Tradition der Interpreta­ tion, für die man ja auch Gewissheiten braucht, zum Erschaffen von Adaptionen als offene Sys­ teme aus der Ungewissheit heraus, was unsere Gegenwart ausmacht. Das wäre sehr nahe an den Forderungen des Manifests, die klassischen Texte zu verwerfen, um sich der Gegenwart zu widmen. Rau: Man hat eine Menge Möglichkeiten auch mit ­einem klassischen Text. Noch einmal „Schlach­ten!“ –

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Rau: ... und jetzt wird vielleicht „Black“ von jemand anderem adaptiert. Wenn wir uns Luks Material für „Black“ anschauen, dann gibt es da diesen schwar­zen Priester, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Kongo geht. Aber der ist durch die Grenzen dessen, was man damals wusste, definiert. Wir wissen viel mehr. Wir müssen alles zusammentragen für eine ­Sicht auf diesen Völkermord. Die nächste Version von unseren Stücken wird in der Arbeit anderer Künstler wie­ der anders sein. Das meine ich mit dem Gebrauch solcher Texte. Sie dürfen nicht die gleichen bleiben. Deshalb mache ich Theater. Theater als Modell, und das ist sehr brechtisch, ist auch das, was innerhalb des Teams beim jeweiligen Projekt passiert, in der Produktion, von der dann die Premiere ja nur ein Moment ist. Es ist die kleinste Einheit für eine Reflexion dessen, was die Gesellschaft über Hamlet, die Belgier im Kongo oder die Meinungsfreiheit in Russland denkt. Es geht immer darum, dass man gemeinsam zu solchen Reflexionen findet. Dann kann man das mit dem Tanzen in Handschellen vergessen. Perceval: Lasst uns daran erinnern, dass Theater aus einer mündlichen Tradition stammt. Wir erzählen immer und immer wieder die gleichen Geschichten, auf andere Weise, in anderen Sprachen für andere Mentalitäten in anderen sozialen Verhältnissen. Dieselbe Geschichte in verschiedenen Formen. Es ist also wenig überraschend, dass auch wir das auf andere Weise tun wollen, wie ja auch das Kino seine Bildersprache in den letzten dreißig Jahren ­revolutioniert hat. Warum sollte Theater das nicht auch machen? Das ist der eine Aspekt. Aber die Notwen­ digkeit, neue Wege des Geschichtenerzählens zu ­entwickeln, gerät in Konflikt mit den ökonomischen Bedingungen des Theatermachens. Ökonomisch hängen wir, und da kommen wir auch auf das deut­sche Theater zurück, von Abonnenten ab – die Kundschaft. Wir leben von denen, die ihr Geld dafür geben. Heut­ zutage leben wir in einem Teil Europas, wo die Politiker so argumentieren: Wir subventionieren die Heizkosten für euer Theater und kommen für die Kosten eurer Gebäude auf, aber wir subventionieren nicht die Kunst. Überall in Europa muss sich die Thea­ terkunst mit den Einnahmen vom Kartenverkauf ­begnügen. Aber die Mehrheit des Publikums reagiert nur auf einen Donner in den Zeitungen oder im Netz

DAS GANZE NEOLIBERALE SYSTEM HAT DEN RAUM FÜR DAS THEATER UND SEINE KÜNSTLER VERRINGERT, WIRKLICH FÜR DIE FREIHEIT DES AUSDRUCKS UND DENKENS EINZUSTEHEN.

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(LUK PERCEVAL)

kosten auf ein absolutes Minimum, und dann hauen wir das Ding raus und hoffen auf den Erfolg. Der Vorteil hier in Flandern ist, dass der Druck hier nicht so groß ist. Die Kosten sind insgesamt ge­ringer, da fällt es nicht so ins Gewicht, ob wir jetzt für 150 oder 1000 Leute spielen. Das Thalia Theater in Hamburg muss jeden Abend 750 Zuschauer haben, sieben Tage in der Woche. Ansonsten würden sie Schul­den machen, was wiederum zur Entlassung von Leuten führt. Deshalb müssen sie „Hamlet“ machen. Es erscheint lächerlich, aber das ist die Realität, mit der wir zurechtkommen müssen. Das ganze neolibe­rale System, in dem wir in Europa gefangen sind, hat den Raum für das Theater und seine Künstler verringert, wirklich für die Freiheit des Ausdrucks und Denkens einzustehen.

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LUK PERCEVAL UND MILO RAU

Was ja mit „Schlachten!“ auch passiert ist.

oder auf einen reißerischen Titel oder auf einen Medien­star auf der Bühne. Immer wieder habe ich in Drama­turgiesitzungen von den sogenannten sicheren Erfolgsregeln gehört. Genau diese ökonomische ­Abhängigkeit von „erfolgreichen“ Produktionen hat mich nach Flandern zurückkehren lassen. Die Pflicht zu einer sicheren Einnahme im Kar­tenverkauf ist so stark und rigide wie im Londoner West End oder am Broadway: Kommen wir mit so wenig wie möglich Probenzeit aus und reduzieren wir die Produktions­

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die endgültige Version dieser Shakespeare-Bearbeitung war ein Ergebnis der Proben. Und auch die kann wieder adaptiert werden …


Milo Rau, stimmen Sie dem zu, dass es in Belgien großzügigere Produktions­bedin­gun­gen gibt? Sie sind schließlich in kür­zester Zeit durch ganz ver­ schiedene Modelle von Theater gegangen: von der freien Szene bis zur Arbeit an der Berliner Schaubühne und in großen internationalen ­Koproduktionen zusammen mit ihrer eigenen Gruppe International Institute of Political Mur­ der. Auf welcher Basis entfalten sich Ihre Mög­ lichkeiten hier in Gent? Rau: Sicher, die Bedingungen hier sind ein bisschen anders. Wir haben tatsächlich auch Abonnenten, aber in erster Linie spielen wir für ein allgemeines Publikum. Als wir mit „Lam Gods“ anfingen, war das auch, dem Manifesto entsprechend, eine Geste: Ihr seid

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AUCH HAMBURG KÖNNTE OHNE DAS „HAMLET“-SYSTEM AUSKOMMEN, ÄHNLICH, WIE WIR DAS HIER MIT UNSEREN MITTELN SCHAFFEN.

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(MILO RAU)

eingeladen, ihr seid das Theater. Dafür wurde es gegründet, und ihr bezahlt dafür. Der ökonomische Druck zwingt uns zu Gastspielen und Koproduktio­nen, und wir müssen siebzig Prozent Auslastung schaffen. Vielleicht bin ich zu idealistisch, aber ich denke, dass auch Hamburg ohne das „Hamlet“-System auskommen könnte, ähnlich, wie wir das hier mit unseren Mitteln schaffen. Das Problem ist der Apparat, und hier würde ich mit dessen Management über bull­shit jobs sprechen. Mit solchen Strukturen wie dem heiligen Gral eines großen fest angestellten Ensemb­les könnten wir Projekte wie „Lam Gods“ oder „Black“ gar nicht machen, bei denen wir Schauspieler von außerhalb engagieren oder Laien in die Besetzung aufnehmen,

wie es jeweils dafür nötig war. In der Schau­bühne würde die Direktion sagen, wenn du für deine Inszenierung 14 Schauspieler brauchst, dann stellst du dir deine Besetzung aus dem Ensemble zusammen. Hier drehen wir das System um, indem wir den Gastschau­ spielern einen Ein-Jahres-Vertrag geben und versuchen, so viel wie möglich mit ihnen zu touren, damit sie genug Geld verdienen. Das hat sicher auch seine Beschränkungen, aber hier entstehen die aus dem, was ein Regisseur will, und nicht daraus, was ein Apparat dir zu machen erlaubt, der in rigider Weise auf Effizienz getrimmt ist. Perceval: Dieser Aspekt verweist auf etwas, das ich im Theater oft vermisse: Notwendigkeit. Warum wurde diese Inszenierung gemacht, warum? Manch­mal habe ich den Eindruck, dass etwas auf die Bühne kommt, damit die Beteiligten ihre Miete zahlen können und jeder seine Rechnungen. Das ist legitim, aber für Kunst reicht das nicht. Das ist die Grundfrage: Werden wir für Kunst subventioniert oder dafür, die Leute zu ­unterhalten? Unsere europäische Kultur hat die S­ubventionierung der Kunst dafür eingerichtet, einen Freiraum zu schaffen, der auch unsere Demokratie hinterfragt, unsere Humanität. Wir sollten hauptsächlich nach dieser Dimension des Kunstschaffens streben, mit einer besonderen Perspektive, einer besonderen Interpretation der Wirklichkeit, in einer sehr persönlichen und individuellen Ausdrucksweise. Und diese kann das Publikum nur dann inspirieren, wenn sie aus einer dringenden Notwendigkeit entsteht. Was willst du unbedingt erzählen? Da diese Notwendigkeit oft fehlt, glaube ich nicht mehr an die Kraft von großen Einrichtungen mit ihren Strukturen. Die ersticken die Kunst. Milo Rau, Sie sind für eine projektbezogene ­Besetzung. Luk Perceval verstehe ich so, dass er sich noch ein langfristig zusammen­arbeiten­ des Ensemble wünscht, das vor nichtkünstleri­ schem Druck und Anforderungen bewahrt werden muss. Worin besteht der Unterschied in der konkreten Arbeit hier? Schließlich war die Frage des Ensembles auch einer der Hauptstreit­ punkte in der ganzen Volksbühnen-Affäre in Berlin. Rau: Ich möchte da das Beispiel von Andie ­Dushime nennen, die als Laienschauspielerin in „Lam Gods“ mitmacht und nun auch bei Luk in „Black“ spielt. Das Gleiche gilt für Frank Focketyn, der schon früher mit Luk gearbeitet hat. Dass das so klappt, finde ich ­wunderbar. Sie stoßen zu unserem Ensemble, das im Moment aus 25 Schauspielern besteht. Das alte

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Das unterscheidet sich nun wirk­lich von den Verhältnissen vor dreißig Jahren, wo fest ange­ stellte Schauspieler praktisch per Anweisung zu ihren Rollen kamen. Rau: Als Schauspieler zur ersten Probe gingen und Angst davor hatten, was auf sie zukommt. Dieses System zu öffnen, liegt mir sehr am Herzen. Perceval: Wir müssen dazu sagen, dass im flämi­schen Theater alle Ensemblestrukturen mit fest enga­gierten Schauspielern aufgelöst wurden. Die meisten flämi­ schen Schauspieler sind heute Freiberufler, was heißt, dass sie kaum genug Geld verdienen. Deshalb habe ich immer ein großes Nationalensemble gefor­dert, wo die Schauspieler ein Grundeinkommen be­ziehen und dann mit den Produktionen, in denen sie spielen, zusätzliche Einkünfte erhalten. Das würde die Freiheit der Arbeit in offenen Ensembles ermöglichen, und die Theater wiederum hätten größere finanzielle Mittel für ihre Produktionen. Das wäre eine größere und offe­nere Vorstellung von Ensemble, nicht nur ein festes, exklusives. Ich weiß von älteren Schauspielern, die nach einer großen Karriere im Elend gelandet sind, was für ein zivilisiertes Land eine Schande ist. Das ist ein anderer Aspekt des Ensemble-Themas, das eben nicht nur die Stadttheater betrifft, von denen wir ja nur drei haben, in Gent, Brüssel und Antwerpen. Außerdem wissen wir alle, ein gutes Ensemble besteht für sechs oder sieben Jahre, maximal zehn. Das ergibt sich aus der Chemie zwischen den Leuten. Am Anfang, im ersten Jahr, so habe ich das an verschiedenen Theatern erlebt, gibt es eine große Aufbruchsstimmung, alles ist neu und jeder sehr neugierig, mit einer enormen positiven Energie. Nach zwei Jahren sind alle erschöpft, es gibt Ungerechtigkeit und Frustra­ tionen, weil man nicht in Hauptrollen besetzt wurde. ­Daher glaube ich, es ist notwendig und gesund, an einem bestimmten Punkt aufzuhören. Andererseits ist ein großer Vorteil der längerfristigen Zusammenarbeit, dass ein Regisseur nicht alles von null an erklären muss

und es einen fortgesetzten Dialog gibt. Das bringt ja nicht nur die Schauspieler weiter, sondern auch den Regisseur. Die Förmlichkeiten des professionellen Umgangs entfallen, und die Schauspieler werden zu Teampartnern. Man kann anfangen, zusammen ins Unbekannte zu tauchen. Ein solches Miteinander kann utopisch wirken, und das wird auch vom Publikum erkannt. Eine einzigartige Theatertruppe mit ihrer besonderen Freiheit, wie es das mit dem Living Theatre oder dem Amsterdamer Werkteater gab, inspiriert das Publikum und gibt ihm die Ermutigung, anders zu denken und sich zu verhalten, geheime Gedanken, ihre Meinung, ihr Bewusstsein auszudrücken. Das ist die vitale Aufgabe des Theaters: Bewusstsein zu schaffen. Diese Inspiration kann nur durch eine besondere Form zum Ausdruck kommen, und die besondere Form war immer das Ergebnis eines starken ­Ensembles, eines besonderen Zusammentreffens von besonderen Schauspielern. Und natürlich birgt auch ein Ensemble, so wie jede Familie, jede Menge Begrenztheit in sich. Wir wissen ja alle, wie schwer es ist, ein Vater zu sein, aber wollen wir deshalb keine Kinder? Die Frage lautet also, wie kreative Energie so lange wie möglich produktiv gemacht werden kann: entweder mit einem Künstler­ensemble für Langzeitentwicklungen oder einem offenen System für einzelne Projekte? Rau: Ich denke, diese Auffassung von der großen Familie ist immer noch mit dem klassischen Kanon verbunden. Ich bin mir sicher, wir könnten mit unse­ rem Theater auch einen guten Shakespeare und vielleicht einen großartigen Tschechow schaffen. Da ist nichts gegen zu sagen. Denken wir an Peter Steins Höchstleistungen. Sein Ensemble war von hoher Qualität mit erstaunlichen Ergebnissen. Aber mit einem solchen Konzept und seiner Begrenztheit könnten wir eben nicht solche Produktionen wie „Black“ oder „Orest in Mossul“ erarbeiten. Noch einmal, das Manifest fragt auch, welche sind unsere Texte, und legt dabei nahe, dass der klassische Kanon nicht ausreicht, weil Kongo nicht nur Kongo ist, sondern Kongo ist auch hier. Wie schaffen wir einen globalen Realismus aus unserer globalen Wirklichkeit? Und wie entwickeln wir ein ­Ensemble dafür? Noch eine Bemerkung über den Kanon: Wenn man sich die flämischen Klassiker im Bereich des Dramas anschaut, dann kannst du die an einem Nachmittag lesen. (Luk Perceval lacht.)

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Was uns auf die Thematik von ­Belgiens kolonia­ler Vergangenheit bringt, auf die Ent­kolo­niali­sierung und die gegenwärtigen Debatten über Postkolo­

LUK PERCEVAL UND MILO RAU

Ensemble haben wir aufgelöst, aber mit vielen von denen in der ersten Spielzeit weitergearbeitet, was sich wohl noch fortsetzen wird. Wenn man über ­Not­wendigkeit spricht, dann gibt es die auch als besonderen Bedarf, bei diesem oder jenem Projekt mit bestimmten Schauspielern zu arbeiten und nicht, weil jemand besetzt wurde und am Bühnenrand darauf wartet, dass der Regisseur die Rolle für ihn oder sie erfindet. Die Notwendigkeit muss aus dem Projekt kommen, und das ist dann auch besser für alle Beteiligten und die Beteiligung der Schauspieler.


nialismus. Luk Perceval sprach schon darüber, als diese Themen hier in den Künsten noch gar nicht behandelt wurde. Sie als Schwei­zer haben sich ausführlich mit dem Kongo ­beschäftigt, mit dem größten und blutigs­ten Wirtschaftskrieg der Menschheitsgeschichte, und haben dazu auch einen Dokumentarfilm ­gedreht. Das Thema setzen Sie beide im Theater fort, Perceval mit der Trilo­ gie „The Sorrows of Belgium“, von der „Black“ der erste Teil ist. Das ist gewiss Sprengstoff für Belgien. Rau: Wir alle kennen die Aufarbeitung des Holocaust in Deutschland, diese gründliche Auseinandersetzung mit dem dunkelsten Kapitel seiner Geschichte. Da gibt es hier nichts Vergleichbares. Stattdessen findet man in einigen Städten noch die Reiterstatuen von König Leopold, das würde in Deutschland Denkmälern für Adolf Hitler entsprechen. Zugleich gibt es die Sorge, dass Belgien als Nation zerfallen könnte. Das ist eine Zerreißprobe.

des Überlebens im Verborgenen, wo man nicht über die Wahrheit spricht. In Belgien ist es Brauch, dass ­eigentlich nichts erlaubt, aber unterm Tisch alles mög­lich ist. Das führte zu Korruption und dem Phäno­ men, dass schreckliche Dinge im Verborgenen bleiben, wie die Geschichte im Kongo oder in unserer Zeit der Fall Dutroux. Deshalb brauchen wir auch jemanden wie Milo, der sagt, voilà, hier ist mein Manifest. Ob ihr es nun mögt oder nicht. Das ist ziemlich unbelgisch und unflämisch. Aber das Land braucht das. Und für ihn ist das einfacher als für mich. Wie es für mich einfacher war, Fallada in Deutschland auf die Bühne zu bringen als Nichtdeutscher. Rau: Es ist immer wieder eine Überraschung, hier zu hören: Oh, das haben wir ja gar nicht gewusst. Wäh­ rend der Reichtum Belgiens auf seiner kolonialen Vergangenheit ruht. Einen Konflikt gab es auch wegen des Dschihadisten in „Lam Gods“, der auf der Bühne den Kreuzfahrer in van Eycks fast sechshundert Jahre altem Gemälde repräsentiert. Als Luk Perceval vor zwanzig Jahren in Deutsch­ land anfing, sagte er, das Gute am flämischen Theater sei, dass es mit keiner Tradition belastet ist. Man kann aus einer Underdog-Position ­arbeiten und muss sich um keine große Tradition scheren. Luk Perceval, ist das immer noch so, nachdem das flämische Theater inzwi­schen gut bekannt und in ganz Europa geschätzt wird?

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WIR BRAUCHEN HIER JEMANDEN WIE MILO, DER SAGT, VOILÀ, HIER IST MEIN MANIFEST. OB IHR ES NUN MÖGT ODER NICHT.

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(LUK PERCEVAL)

Perceval: Im Moment gibt es eine Debatte da­rüber, ob Belgien sich für die Geschehnisse im Kongo ent­ schuldigen sollte. Dass das überhaupt infrage ge­stellt wurde, schockiert mich schon. Natürlich müssen wir uns entschuldigen. Dieses Land pflegt eine Kultur der Feigheit. Diese Feigheit hat ihren Ursprung im 17. Jahr­hundert, als Flandern von Spanien, von den Habsburgern, beherrscht wurde. Später von den Holländern, und schließlich wurde es in zwei Weltkriegen überrannt und besetzt. Das führte zu einer Mentalität

Perceval: Das ist immer noch so. Wenn ich mir das Belgien von heute anschaue mit seinen französisch­ sprachigen und niederländischsprachigen Teilen, dann sind das zwei verschiedene Länder. Man muss dazu wissen, dass Flämisch offiziell erst seit Ende des Zweiten Weltkriegs als Landessprache behandelt wird, das ist nicht einmal 75 Jahre her. Von Vorteil dürfte dagegen sein, zusammen mit dem schmalen Kanon, dass es kein ausgesprochen bürgerliches Publikum gibt, das nach einem bestimmten Kulturstandard verlangt. In Paris gibt es einen großen Teil des Publikums, der seinen klassischen Racine so sehen will, wie er ihn kennt. Das kulturelle Bewusstsein ist hier vielleicht weniger ausgeprägt, aber dafür gibt es auch keine so festgelegten Erwartungen. Ein weiterer Aspekt ist die Entwicklung des flämischen Theaters seit den 1980er Jahren unter dem starken Einfluss des Tanzes. Das hat das Schauspieltheater bereichert, vielleicht mehr als anderswo, und Inszenierungen wurden immer mehr zu einer Art Performance. Was wiederum zu anderen Auffassungen davon führte, wie man klassische Stücke inszeniert. Jeder weiß, wie die wichtigen Choreo­

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grafen Jan Fabre, Alain Platel und Anne Teresa De Keersmaeker das beeinflusst haben. Das hat das flämische Theater sehr physisch gemacht. Und noch dazu: Wir haben keine bürgerliche Hochsprache wie in Deutschland das Hochdeutsch oder das Oxford ­Englisch für das Theater in Großbritannien oder das Sprach­vorbild der Académie française, das alles gibt es hier nicht. Das ist auch der Grund, warum meine Generation angefangen hat, Stücke in der Sprache des Publikums zu spielen. Wir haben Tschechow im flämischen Dialekt gespielt. Daraus entstanden sehr authentische Inszenierungen, die man sogar in Russland gut aufnahm. Rau: Die Sprachensituation in Belgien macht es leichter, Sprachen im Theater zu vermischen. Für mich als Schweizer ist das ideal. Die Sprache steht hier im Theater nicht an oberster Stelle, ­wohingegen Deutsch als Literatursprache in großen Teilen des deutschen Theaters weiterhin vorherrscht. Perceval: Ein Teil meiner Theaterutopie ist, eine neue Sprache zu entwickeln, die man überall versteht, ­ ein neues Theater-Esperanto. Wenn ich in Russland arbeite, spricht kaum jemand Englisch, und ich beherrsche nur ein paar Wörter in Russisch. Aber ich mag diese Situation, wenn Leute unbedingt miteinander reden wollen, ohne eine gemeinsame Sprache zu haben. Ich mag, dass wir alle in diesem Euro-­ Englisch sprechen, welches wir aus verschie­denen Herkünften improvisieren, eine Sprache der Not­ wendigkeit, um miteinander zu verkehren und als ­Gemeinschaft zu wirken. Sprache ist in diesem Sinn ein Ausdruck von Liebe, der positiven Neugier, einer Notwendigkeit, sich zu verstehen, als Überleben. Wenn wir das in einem größeren Kontext sehen, dann wird doch klar, dass dieses internationale Theater, das Sie beide verwirklichen wollen, etwas ist, das von der Idee Europas noch übrig ist. ­Obwohl die Kultur in diesem europäischen Prozess insgesamt unter­belichtet bleibt und Theater darin eine sogar noch geringere Rolle spielt. Es könnte ja als etwas gesehen werden, das Sprachen verbindet und eine Mobilität für das Überschreiten von Kulturgrenzen demons­ triert. Sehen Sie das als eine ­Aufgabe von Theater, selbst wenn darin auch ein Schuss Egoismus steckt?

Perceval: Reisen macht einen bescheiden. Im russi­ schen Theater konnte ich erkennen, wie privile­giert wir sind mit unseren Arbeitsbedingungen in West­ europa. Und zugleich war ich mit all den Klischees von Russland konfrontiert. Am Anfang war ich überhaupt nicht begeistert davon, dort zu arbeiten, auch wegen der massiven Vorurteile, die ich hatte. Aber dann lernst du Russen kennen, sprichst mit denen und entwickelst ein komplexeres Verständnis für die Dinge dort. Es entsteht Respekt – ist das nicht auch ein ­Anliegen von Theater? Zu verstehen, den anderen zu erkennen, die ängstliche ego-basierte Perspektive aufzugeben und den anderen als Selbst zu entdecken? Ein solch tiefe­res Verstehen öffnet dein Herz und deinen Geist. Rau: Ich habe gerade im Süden Italiens meinen JesusFilm vorbereitet. Da gibt es tatsächlich eine halbe Million neuer Sklaven, und mein Hauptdarsteller war einer von ihnen. Der sagte nur: Wissen kannst du das nicht, nur erfahren. Mehr kann man nicht dazu sagen.

Rau: Ja, aber ich würde das global fassen. Ich bin überzeugt, dass Theater eine Gegenkraft im heutigen

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Aus dem Englischen von Thomas Irmer.

LUK PERCEVAL UND MILO RAU

Kapitalismus sein kann. Kapital ist überall und kennt keine Nationen. Als ich im Kongo ankam, sah ich, dass alle unsere großen Unternehmen schon da waren. Das Theater sollte in dieser Welt ein Gegengewicht bilden. Eine Utopie dessen, was der Kapitalismus einmal wollte: liberales Denken für eine freie Gemeinschaft von Einzelnen. Tatsächlich haben wir aber ein System der Macht, das vom Neoliberalismus geprägt ist. Im Theater kann man jedoch mit der gleichen ­Vision des internationalen Austauschs ein gerechteres Modell der Solidarität schaffen. Das wäre humanistisch. Um es noch mal zusammenzufassen: Theater ist nicht dafür da, Geld zu verdienen oder den Kanon fortzusetzen, und auch nicht dafür, Konkurrenz zu erzeugen. Es sollte ein anderer Raum sein, wo Ausprobieren und Zuschauen die höchs­ten Werte sind. Ich lerne ge­ rade mehr und mehr über diese Utopie, auch wenn klar ist, dass die Idee dieses internationalen Theaters ja keinesfalls neu ist. Sie wurde nur nicht verwirklicht, weil unsere Tradition nationaler Theaterkulturen verhindert hat, Grenzen zu überschrei­ten.


Arbeiten von Luk Perceval: „Mut und Gnade“ am Schauspiel Frankfurt (2018). Foto Robert Schittko



„Exiles“ an den Münchner Kammerspielen (2015). Foto Judith Buss


„Draußen vor der Tür“ am Thalia Theater in Hamburg (2011). Foto Armin Smailovic


„Macbeth“ bei der Ruhrtriennale in Gladbeck (2011). Foto Annette Kurz



THE UTOPIA OF INTERNATIONAL THEATRE Luk Perceval and Milo Rau talk to Thomas Irmer about their vision for theatre in the 21st century

One thing you both share is a sense for reorga­ nising the theatre, of finding new ways for it, something that is highly necessary. Milo Rau, you have released the Ghent manifesto for NTGent, which defines ten rules for the work of your thea­tre. Luk Perceval, you were working with manifestos many years ago. Have you talked about the Ghent manifesto? Milo Rau: We only met in 2017 for the first time, in Cologne. The manifesto was written in 2018, after I had experienced the German system. It is a very technical manifesto, but the idea behind it was the way that theatre is produced in Germany. I wanted to bring the focus away from management and back to production, and away from routine and toward working with a motto for the season and then finding the right direc­tors and designers for it and so on. The manifesto is not an aesthetic blueprint for theatre, you can do whatever you want with it. By the way, for my new production “Orestes in Mossul” I didn’t adopt all its rules myself. It is a bit like it used to be with the Dogme manifesto, where you can’t find a single film in which all of the rules were fully applied. But I wanted to bring the machine down a bit. That’s why I made the rules – to make the productions smaller and more personal. Luk Perceval: First of all, I was very happy with the manifesto because I understood it as a provocation. The aspect of provocation is disappearing more and more in theatre. During the 18 years I was working in Germany, the economic aspects took on an ever-­

increasing role, meaning productions had to bring a full house and be successful. The theatre became more and more of a consumer product. The aspect of theatre as a free space for breaking taboos and classical conceptions is on the way out. Even the theatre of Frank Castorf, one of the most provocative theatre-makers, is now coming to an end. You said the manifesto first and foremost ad­ dresses structures of theatre. When you say it relates to the German theatre system, what is the difference when we are in Flanders now? The issue of mobility and the language situa­tion, for instance, have been much different here for a long time now. Much of this may not reflect the situation in Belgium. Perceval: I wouldn’t say so. When I first read the mani­ festo, I was pleasantly surprised by the many things that can be applied to the Belgian system. That doesn’t mean I agree one hundred per cent with every point in it. For me the most important point is that somebody says let’s try to focus on what is actually our task, on what is our position. That’s also the reason why we both work here. Because we miss this “discourse” so much. Theatre directors seldom meet one another, we are constantly touring around the globe. There is almost no exchange of ideas and information. The theatre community is often stuck in something that is described in German as a “harmoniesüchtige Gemein­ schaft” (a community hooked on harmony). We all dream of peace and love. But theatre is in essence conflict. When you go back through the history of the

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THE MANIFESTO IS MEANT TO SIGNAL: LET’S COME TOGETHER AND FIND OUT WHAT THEATRE CAN BE.

Rau: The manifesto aims in the first place to create a discussion about a feeling that has been present for many years now, here and in Germany, to make it ­explicit. And it refers to a certain point where somebody says: No, I don’t agree, a classical text is important to me, why should we change this? We have to discuss things. Stop adapting and using only twenty percent of the source text, this is something we can discuss. Back to Luk’s notion of directors not meeting often enough to discuss what matters to them. My notion of German theatre is that it is not only a community of harmony but a highly competi­ tive culture where people have reason to avoid each other. This culture of competition out there prevents mutual efforts to change the system as a whole and is often counterproductive. Rau: That’s a tricky point. But, nevertheless, I refer to my own work here and agree with Luk that we don’t look to the others often enough. Moving outside the manifesto, it is liberating for me to curate the program and the repertoire a little bit here. Ersan Mondtag will be working here. He has a different approach with actors, one that is also quite removed from Luk’s; then there is Miet Warlop, who is very different again. And Alain Platel. On that level of art, there can’t be competition, except where it can be good to see how other directors are struggling and having to cope with the same problems I have to deal with too. That’s why I love it so much. To name one of these problems: For a long time, I have been having problems with preparations beyond rehearsals. Learning about how Luk

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(MILO RAU)

Mobility and international exchange have in­ creased tremendously in the last two decades. Luk’s productions are shown all over Europe and in countries as far as China. That has certainly changed theatre culture as a whole. And the manifesto picks up on this for good reason. Yet, I see limitations in some points, which one German critic even described as “dancing in handcuffs”. Luk, you have already stated that even Castorf’s theatre is about to come to an end. In fact, if we take this manifesto seriously at this moment, then we should say perhaps that an era of fifty years of Regietheater is com­ ing to an end, a culture of reinterpreting old texts and engaging with the audience. I think this manifesto is in large part a critique saying that this tradition should cease, and it is at the

LUK PERCEVAL AND MILO RAU

does that is part of this good exchange between us. For me it is really about learning through others. That’s very new for me. That’s also because, as an artist, you are so idiosyncratic, and you have to go your own way. The manifesto, again, is not meant to define limitations but to signal: Let’s come together and find out what theatre can be. To name another problem – I was very unhappy with the conditions in Germany. Touring was almost impossible, because it was too expensive. But it is extremely important to me that my work tours. That’s why I’ll also take care to tour with the work produced here. That is the structure we are working in.

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theatre, from the very beginning it was a tool that gave a platform to the people and that was used to provoke the powerful leaders. Here the theatre is rooted in the Catholic Church and was later banished from the church. Provocation is an essential part of the nature of theatre. So the reason I was attracted to Milo’s manifesto and his presence here in Ghent is that at last somebody is standing up and saying: Whether you agree or not, this is the stone I have cast into the waters. Conflict is good. Conflict is necessary in the theatre. We had a conflict last week, for example, when we had a crisis during our rehearsals of ”Black“. I have learned over the years not to react in the Belgian way. Which is, let’s hold our horses and overcome the crisis by pretending everything will pass in silence. A great lesson I learned in Germany is to trust the conflict, to discuss, even when it’s painful, and to try and find a way out.


least a confrontation with this tradition. Art al­ ways goes against tradition, doesn’t it, but here there is more to it.

to say: OK, when it is no longer clear who is responsible, we have to ask ourselves, what is my responsibility, what is my position? And that has changed the perspective of theatre-makers enormously.

Rau: Take Luk’s “Schlachten!” (Ten Oorlog!) from twenty years ago. This was a new version of Shakespeare’s classic history plays, created together with a team who rewrote the plays. There is not exactly a logical timeline of theatre history for such adaptations. I saw Schlingensief’s “Hamlet” when I was a student in ­Zurich. There the rendering of Shakespeare’s text was used in a completely different way, nothing like existing “Hamlets”. When I am doing ­Oresteia as “Orestes in Mossul” now, I use different translations, merging them. I am not against using classical text. I want to use it, also as a provo­cation. Perceval: But since the 1960s and 1970s, something has changed in a more fundamental way. I watched “Hearts of Darkness” (1991), Eleanor Coppola’s documentary about the making of Francis Ford Coppola’s “Apocalypse Now”, and at the end of the film Coppola says that, in ten or twenty years, everyone will have a camera and everybody will be able to make films. They already have festivals for iPhone feature films in America. The hierarchic model that says good art can only be made by specialists, no longer exists. That also led to a transition in the theatre which is very difficult to deal with. The old Schaubühne in Berlin was very successful as long as it was part of the island of West Berlin. It was a kind of propaganda zone for the so-called “free Western world”, against the whole of the East it was surrounded by. From the moment the Berlin Wall fell, and this Schaubühne dissolved into greater Berlin, they lost their enemy, and their role of reacting against threatening superpowers. They could no longer preach against the bad guys up there controlling our lives and pushing the buttons. We now live in a world where we are not only invited to create our own artistic presence in the internet, but at the same time we are responsible for climate change, and we also know that this all-pervading neo-liberalism is ­living off our consumerism. We are all part and parcel of what is happening, for instance in the Congo, or in Africa as a whole. We are part of that story. That means you can’t be as simplistic as you could be in the 1970s and just blame the boss. Today it’s even worse, we can’t really point to where the guy who pulls the trigger and pushes the button is hiding. The veils of power are much more sophisticated and are disguised in an almost subtle way. We don’t know who is pulling the strings, and to be honest: we ourselves love to be disguised. As a theatre we are obliged

This brings me to the issue of documentary thea­ tre today, which is largely about the unknown present, while the documentary theatre of the 1960s and 1970s was concerned with revealing facts about the past. Perhaps this has to do with the shift from the tradition of interpretation, which means you have to have knowledge of what has come before, to the creation of adap­ tations as an open system of meaning out of the uncertainty of what the present is about. This would also connect with the manifesto, where it asks that we leave the classical text behind in order to explore the present. Rau: Yet you still have a lot of decisions and options left with a classical text. Like with “Schlachten!”, the final version of Shakespeare’s text is a result of the rehearsals. And even that can be adapted again … As was the case with “Schlachten!” Rau: … and now maybe “Black” will be further adapted by someone else. When we look into Luk’s material for “Black”, we see this black priest going to the Congo at the beginning of the 20th century. But he is defined by the limits of what was known in his time. We now know much more. So we have to put everything on the table in order to develop a view of that genocide. Then, the next version of our plays will be different again for the next artists to deal with them. That’s what I mean about using such texts. It shouldn’t be the same. That’s why I do theatre. Theatre as a model, and this is very Brechtian, is also what happens within your team within a given project, what happens in the production process of which the premiere is only one moment. It is the smallest possible group reflecting what society may think about Hamlet or the Belgians in the Congo or freedom of speech in Russia. It’s all about opening the door so that we can arrive at such reflections. Then you might forget about dancing in handcuffs. Perceval: Let’s not forget that theatre is part of an oral tradition. We are telling the same stories over and over and over again, in different styles, in different langua­ ges to different mentalities, to different social realities. The same story presented in different forms. So it is no surprise that we want to do that in a different way,

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THE WHOLE NEOLIBERALIST SYSTEM HAS REDUCED THE SPACE FOR THEATRE AND FOR ARTISTS TO REALLY STAND UP FOR FREEDOM OF SPEECH AND THOUGHT.

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(LUK PERCEVAL)

way: Let’s rehearse in as short a time as possible, let’s reduce the production costs to an absolute minimum, and then send the show out, hoping for a success. That’s the advantage of working here in Flanders, where you have less of this kind of pressure. Because

the structure is less expensive, it doesn’t matter if we play for 150 or 1,000 people. The Thalia Theater in Hamburg has to have 750 people in the audience every night, seven days a week. Otherwise they accrue debt and would ultimately have to dismiss people. That forces the theatre to do “Hamlet”. It is ridiculous, but it is the reality we have to deal with. The whole neo-liberalist system we are caught up in in Europe has reduced the space for theatre and for the artists to really stand up for freedom of speech and thought. Milo Rau, do you agree with that? Are there more generous production conditions in Belgium? After all, you went through very different models of theatre and its organisation in a very short time, from independent theatre to working at Berlin’s Schaubühne and big international ­co-productions with your own International ­Institute of Political Murder as a company. On what basis do these possibilities present themselves in Ghent? Rau: Sure, the conditions here are a bit different. In fact, we have subscribers as well but we play first and foremost to the general public. When we opened with “Lam Gods” the gesture according to the manifesto was: You are invited, you are the theatre. That’s why it was founded and why you are paying for it. Because of economic pressures, we have to tour and co-produce, and we have to reach a seventy percent minimum audience turnout. Maybe I’m idealistic, but I would say that even Hamburg could have theatre without the Hamlet-system like we do here with all the tools we have. The problem is the machinery, and here I would talk to management about bullshit jobs. With structures like the holy grail of a fully-employed big ensemble we could never have done projects like “Lam Gods” or “Black” where we add actors from outside or even amateurs to the cast, depending on the needs of each respective project. At the Schaubühne, the management would say, if your production needs 14 actors, you are required to cast most of them from our ensemble. Here we reverse that system and give actors from outside a contract for a year and try to tour with them as much as possible so that they earn enough money. There are certainly limitations to that, but here they emerge from what a director wants to do and not from what a machine allows you to do because it has to provide output in its rigid ways. Perceval: This topic is emphasising something that I often feel is missing in the theatre: the necessity.

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LUK PERCEVAL AND MILO RAU

like cinema has revolutionised its language of images over the last thirty years. Why shouldn’t theatre do that? That is one aspect. But the need to change, to find more modern ways of telling stories is coming up against the economic aspect of making theatre. Economically we depend, and here we touch on the German system again, on subscribers, the theatre customers. We live from whoever brings in the money. Meanwhile, we live in a part of Europe where politicians say: We will subsidise your heating for the theatre and the cost of your building and structure, but we won’t subsidise the art. Everywhere in Europe, art is being forced to survive from the income made at the box office. And the majority of the audience reacts to a rumour in the newspapers, or on the internet, or to an eye-catching title or a media star on the stage. I’ve been in dramaturgy meetings where we had discussions about the absurdity of these holy parameters, the so-called “golden rules for success”. This economic dependency of making “successful” productions drove me back to Flanders. The obligation to create a s­ ecure box-office income has become as strict and rigid as the production system in London’s West End or Broad-


Why was this production made? Why? Sometimes I have the feeling that shows are produced just to pay the rent of the participants, to pay everybody’s bills. That’s legitimate, but it is not enough to make art. And that is the basic question: are we being subsidised to make art, or to entertain the people? Our European culture, of course, has installed the notion of subsidising art to create a free space to question our democracy, humanity I would say. So, firstly we should search for this dimension of making art, a unique perspective, a unique interpretation of reality, a very personal, very individual form of expression. And this unique way can only inspire the audience when it is rooted in a burning necessity. What do you really want to say? Because there is often a lack of necessity, I don’t believe in the force of big structures anymore. They are buried under their own load of social and economic obligations. They suffocate the art.

Frank Focketyn, who has worked with Luk before. This is a very beautiful thing to my mind. We continue to work with them and have an ensemble of 25 actors at the moment. We dissolved the previous ensemble but, strangely, most of them continued in the first season and will do so in the next. Speaking of necessity, it is about the special need of a given project and its director to work with this or that actor. And not because someone in the cast is sitting around the stage, and therefore I invent a role for him or her. The need must come from the project in the first place, and must also make for a better level of collaboration and participation by the actors. This is in fact very different to thirty years ago, where hired actors were simply ordered what role to play. Rau: When actors would come to the first rehearsals scared about what was expected of them. Opening up that system is very important to me.

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EVEN HAMBURG COULD HAVE THEATRE WITHOUT THE HAMLET-SYSTEM LIKE WE DO HERE WITH ALL THE TOOLS WE HAVE.

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(MILO RAU)

Milo Rau, you are in favour of using a projectrelated cast. Luk Perceval, as I understand, you are still in favour of the idea of a long-term ensemble that is not under any non-artistic pressure due to requirements. Where are the actual differences in your ways of working here? After all, this was one the most fiercely debated issues in the whole Volksbühne affair in Berlin. Rau: I want to look at the example of Andie Dushime, a non-professional actress in “Lam Gods” who is working again with Luk in “Black”. The same applies to

Perceval: We also have to say that, in Flemish theatre, all ensemble structures with permanently hired actors have been dissolved. Most of the Flemish actors are now freelance, which means that they hardly earn enough money to survive. That’s why I have always pleaded for a big national ensemble, where actors have a basic income, and earn extra money when they are involved in one of the productions they work for. It would also give theatre-makers the freedom to work with an open ensemble, and the theatres would have more financial means for the productions. It would be a broader and more open idea of an ensemble, and not just an exclusive one. For now, I know some older actors who ended up in poverty after a great ­career, which is a shame in a civilised country. That’s another aspect of the ensemble issue which should not only be understood as a model for city theatres, of which we only have three: in Ghent, Brussels and Antwerp. It should be a national responsibility. Also, we all know that good ensembles exist for about six, seven years, a maximum of ten years. That’s part of the chemistry between people. In the beginning, in the first year, and I have experienced this in several theatres, there is revolutionary excitement because it is new and everybody is curious, there is an enormous amount of positive energy. After two years everybody is so tired, there are injustices and frustrations about not gaining the best roles, etc… So I think it is also healthy and necessary for an ensemble to stop at some point. On the other hand there are advantages from people working together in the long term. As a

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So the question is, how can creative energy be maintained and made productive for as long as possible? Either with an artistic ensemble for long-term endeavours or an open system for single artistic projects? Rau: I think this idea of a great family is still linked to the classical canon. I am sure we could do a good Shakespeare and maybe a great Chekhov with our theatre. There’s nothing to say we wouldn’t. Think of ­Peter Stein’s achievements. His ensemble had incredible quality and output. And yet, that concept nevertheless limited us and it could not have accomplished such productions as “Black” or “Orestes in Mossul”. Again, in the manifesto we ask what texts are ours and, by doing so, there is a suggestion that the classical canon is insufficient because the Congo is not just the Congo, the Congo is here as well. How can you make a global realism out of our global reality? And develop a global ensemble for it? One more word about the canon: When you look at the Flemish ­classics, you can read them in one afternoon. (Luk Perceval laughs.) Which brings us to the issues of Belgium’s colo­ nial past and of deco­lonisation and the current debates about post-colonialism. Luk Perceval used to talk about this when it was still un­ charted territory in the arts here. You come from Switzerland, and you approached this by ­engaging with the Congo, into the biggest and bloodiest economic war in human history,

which you then made a documentary film about. That is certainly explosive for Belgium, as is your theatre and Perceval’s “Black”, which ­examines the colonial past as part of the trilogy “The Sorrows of Belgium”. Rau: Well, we all know how Germany had its “Aufarbeitung” of the Holocaust, a thorough confrontation with the worst and darkest part of its history. Nothing like that can be found here. Instead, you still find equestrian statues of King Leopold in some cities, which are basically the equivalent of having memorials for Adolf Hitler in Germany. At the same time Belgians are afraid that their nation could fall apart. It’s a very special situation. Perceval: Right now there is a debate going on about whether Belgium should apologise for what happened in the Congo or not. The fact that this is even questioned is shocking to me. Of course we should apologise. This country has a deep-rooted culture of cowardice. This started in the times when Flanders was ruled by the Spanish in the 17th century. Since then Flanders has been overruled by the Habsburgs, the Spanish, the Dutch, and then followed by two world wars in which we were overrun and occupied. That has led to a mentality of surviving undercover, not talking about the truth. The attitude in Belgium is that nothing is allowed, while everything is possible as long as it is kept hidden. That has led to corruption and other such phenomena, where horrible things are covered up, like the Congo or – more recently – the Dutroux case. That’s why we need somebody like Milo, who says: voilà, here is my manifesto. Whether you like it or not. Which is very un-Belgian and very un-Flemish. But this country needs that. And it is easier for him to do it than it is for me. Just like it was easier for me to stage Fallada as a non-German in Germany. Rau: And it is a surprise when you keep hearing here: Oh, we didn’t know about that. Even though Belgium’s ­ nother prosperity is based on its colonial past. A conflict arose from the jihadist in our “Lam Gods”, who represented the crusader in van Eyck’s painting from almost 600 years ago.

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Luk Perceval, I remember when you arrived in Germany twenty years ago you mentioned that the good thing about Flemish theatre is that there is no burden of tradition. You can work unhindered from an underdog position without worrying about tradition. Is that still the case,

LUK PERCEVAL AND MILO RAU

director you don’t have to explain everything from zero, because there is an ongoing dialogue. That not only brings the actors further but also the director. The professional formalism falls away and they become partners. You begin to dive together into the unknown. This kind of togetherness can be utopia and the audience feels it as well. A unique company of theatre people with a unique sense of freedom, like there was with the Living Theatre, or the Amsterdam Werktheater, is also inspiring and gives the audience the courage to think and act differently, to express their hidden thoughts, their opinions, their awareness. That’s the vital role of the theatre, to create awareness. This inspirational role can only be expressed by a unique form, and this unique form was always the result of a strong ensemble, a unique encounter between a unique group of actors. And, of course, an ensemble, like every family, has a lot of limitations. We know how difficult it can be to be the father of a ­family. But does that mean you don’t want children?


now that ­theatre from Flanders has become well-known and recognised all over Europe? Perceval: I think that is still the case. When I look at Belgium now, the French-speaking and the Dutchspeaking parts, they are more than ever two different countries. And then there is the important fact that we were only allowed to speak our Flemish language ­after the end of the Second World War, which is less than 75 years ago. Another advantage, along with the almost non-existing canon, is that we don’t have a bourgeois audience that demands a certain cultural standard. In Paris, for instance, there is a large section

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PART OF MY UTOPIA FOR THEATRE IS TO INVENT AND CULTIVATE A NEW LANGUAGE THAT COULD BE UNDERSTOOD EVERYWHERE.

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of the Académie française. That doesn’t exist here. Which is why my generation started to use the language of the audience on the stage. We started to perform Chekhov in a Flemish dialect. And this created very authentic performances, which were even admired in Russia. Rau: The language situation in Belgium makes it easier to mix languages on stage. For someone like me from Switzerland, this is perfect. Language here is not right up there like it is in Germany, where German remains a literary language in most of German theatre. Perceval: Part of my utopia for theatre is to invent and cultivate a new language that could be understood everywhere, a new kind of theatre Esperanto. When I work in Russia, people speak hardly any English, and I only know a few words of Russian. But I like this situa­tion where people really want to communicate without a common language. I like the fact that we all speak a kind of “Eurenglish”, a language we improvise out of different backgrounds, and a language born of great necessity of reaching each other, to be part of a community. In that sense, language is a great expression of love, of positive curiosity, of the need to understand and to be understood, also a way to survive. When you look at this in a larger context, what you find is that this kind of international theatre you both want to create is actually what is left of the idea of Europe. Although culture is under­ appreciated in this European process, and within culture theatre plays a rather marginal role. It could be seen as a special tool, as it ­combines languages and communication and demon­ strates how mobility can be pursued to connect ­cultures. Do you see this as a task for theatre, even if theatre might be pursuing this in a selfish way for its own self-preservation?

(LUK PERCEVAL)

of the public ­demanding their classical Racine be performed the way they expect it. The cultural awareness is maybe less sophisticated here, but that also means there are no fixed expectations. Another aspect is the special way that Flemish theatre has developed since the 1980s, with theatre being strongly influenced by dance in that time. This has ­enriched the theatre, maybe more than elsewhere, and has given theatre productions more and more the character of performance. That in turn has led to classical theatre texts being staged in a different way. Everybody knows about the influence of important choreographers like Jan Fabre, Alain Platel and Anne Teresa de Keersmaeker. They also made Flemish theatre very physical. And again, we don’t have a “bourgeois standard language” like they do in Germany, with Hochdeutsch for example, or Oxford English on UK stages, or the language norms

Rau: Yes, but not only in Europe, also globally. I really believe in the theatre as a counterforce to this culture of capital in our capitalism. Capital is everywhere and knows no borders. When I arrived in the Congo, I saw that our big companies are already there. So ­theatre could be a real counterweight to this situation. A utopian version of what capitalism once wanted to be: liberal thinking for a free association of individuals. In reality we have a system of power relations shaped by neo-liberalism. In theatre, you can create a more just model of solidarity with the same vision of international exchange. That’s very humanistic to me. So, to sum up, theatre to me is not about making

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Perceval: Travelling also makes you humble. In Russian theatre I could sense how privileged we are in terms of our working conditions in Western Europe and at the same time I was confronted with all the clichés that I had about Russia. In the beginning I was very hesitant, even unwilling, to work there because of the brainwashed ideas I had about Russia. But then you meet Russian people and have a dialogue and you get a much more complex sense of what is happening there. And develop much more respect; that is the goal of theatre, is it not? To understand, to comprehend, to recognise the other, to give up one’s fearful ego-defined perspective and to discover the other as myself? This deep understanding, this encounter opens your mind and your heart. Rau: I was working and researching in southern Italy for my Jesus film. There are in fact about 500,000 slave workers, and my protagonist who used to be one of them said to me: You can’t know it, you can only experience it. That’s so true!

Leitung Kommunikation, Marketing und Besucherservice (m/w/d) Die Brandenburgische Kulturstiftung Cottbus-Frankfurt (Oder) ist Trägerin des Staatstheaters Cottbus sowie des Brandenburgischen Landesmuseums für moderne Kunst mit den Standorten Cottbus und Frankfurt (Oder). Die Stiftung sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine neue Leitung der Abteilung Kommunikation, Marketing und Besucherservice. Sie umfasst neun Mitarbeiter*innen im Bereich Kommunikation, Marketing und Audience Development sowie vier Mitarbeiter*innen im Besucherservice des Theaters. Ihre Aufgaben für das Staatstheater und das Landesmuseum für moderne Kunst: Sie sind inhaltlich und budgetär verantwortlich für die Konzeption und Umsetzung einer zeitgemäßen Medien- und Kommunikationsarbeit für eine der größten Kulturinstitutionen Brandenburgs. Sie entwickeln integrierte Marketingstrategien für das Brandenburgische Landesmuseum für moderne Kunst ebenso wie für das Staatstheater mit seinen vier Sparten Orchester, Musiktheater, Tanz und Schauspiel. Einen Schwerpunkt legen Sie dabei auf den Ausbau der sozialen Medien, eine lustvolle und intelligente Präsentation unserer Inhalte sowie auf die Verknüpfung von Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen mit dem Besucherservice. Zusammen mit einer aufgeschlossenen Theaterpädagogik entwickeln Sie Maßnahmen im Rahmen eines Audience Development. Sie sind verantwortlich für alle Publikationen von der Mediaplanung bis zur Endredaktion des Spielzeithefts. Die Leitung eines engagierten Teams mit einem ganzheitlichen Ansatz, der alle Arbeitsbereiche miteinander verknüpft, die Pflege und der Ausbau des Kooperations- und Sponsorennetzwerks sowie der Umgang mit Medienvertretern gehören zu ihren kommunikativen Alltagsaufgaben. Voraussetzungen: Neben einem abgeschlossenen Studium im geistes- und/oder betriebswirtschaftlichen Bereich sowie einer mindestens dreijährigen Berufserfahrung im Bereich Kommunikation und Marketing verfügen Sie über ein sicheres und gewinnendes Auftreten, hohe Kommunikationskompetenz sowie Leidenschaft für Ihre Arbeit und ausgesprochene Teamfähigkeit. Fundierte Kenntnisse einschlägiger Software, ein versierter Umgang mit Marketinginstrumenten sowie sehr gutes sprachliches Ausdrucksvermögen und Stilsicherheit in Wort und Schrift sind für Sie selbstverständlich, ebenso wie gute Englischkenntnisse und die alltägliche Vertrautheit mit sozialen Medien. Die Vergütung erfolgt nach NV-Bühne. Bewerbungen von Frauen sind ausdrücklich erwünscht. Schwerbehinderte werden bei gleicher Qualifikation und Eignung bevorzugt berücksichtigt. Ihre Bewerbung mit aussagefähigen Unterlagen und gerne ersten konzeptionellen Vorstellungen richten Sie vorzugsweise elektronisch schnellstmöglich an die: Brandenburgische Kulturstiftung Cottbus-Frankfurt (Oder) Verwaltungsleiterin Claudia Drews Lausitzer Straße 33 03046 Cottbus personal@bkc-f.de Die im Rahmen Ihrer Bewerbung mitgeteilten personenbezogenen Daten werden auf der Grundlage des § 26 des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes verarbeitet. Sofern Sie mit der Verarbeitung der Daten nicht einverstanden sind oder die Einwilligung widerrufen, kann Ihre Bewerbung nicht berücksichtigt werden. Fahrt- und Reisekosten im Zusammenhang mit der Bewerbung können nicht erstattet werden.

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LUK PERCEVAL AND MILO RAU

money, or about repeating the canon, and it’s not about competition either – it should be a different space where just doing and watching it is the ultimate value. I am learning more and more about this utopia, although I know very well that international theatre is not a new idea. It hasn’t been done, because it has been held back by our tradition of national theatre cultures didn’t cross borders.


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SPIELZEIT 2019/2020 SCHAUSPIEL

SCHAUSPIEL

MUSIKTHEATER

Attentat oder frische Blumen für Carl Ludwig Uraufführung Mehdi Moradpour // Pınar Karabulut 13. September 2019, Kleines Haus

Die rote Zora und ihre Bande Uraufführung Kurt Held / John von Düffel // Selen Kara / 6+ 24. November 2019, Theater am Goetheplatz

Falstaff Giuseppe Verdi // Marko Letonja / Paul-Georg Dittrich 15. März 2020, Theater am Goetheplatz

MUSIKTHEATER

Der Rosenkavalier Richard Strauss // Yoel Gamzou / Frank Hilbrich 20. September 2019, Theater am Goetheplatz

SCHAUSPIEL

In Bed with Madonna Anne Sophie Domenz / Maartje Teussink 6. Dezember 2019, Kleines Haus

SCHAUSPIEL SCHAUSPIEL / MOKS

SCHAUSPIEL

The End. Eine Replikantenoper Uraufführung Jan Eichberg // Felix Rothenhäusler 26. September 2019, Kleines Haus SCHAUSPIEL

Vögel Wajdi Mouawad // Alize Zandwijk 28. September 2019, Theater am Goetheplatz

Jugend ohne Gott Ödön von Horváth // Alexander Riemenschneider / 15+ 7. Dezember 2019, Brauhaus SCHAUSPIEL / JUNGE AKTEUR*INNEN

Frühlings Erwachen Frank Wedekind // Alize Zandwijk / Tomas Bünger / 14+ 16. Januar 2020, Kleines Haus

MUSIKTHEATER

Don Giovanni Wolfgang Amadeus Mozart // Hartmut Keil / Tatjana Gürbaca 20. Oktober 2019, Theater am Goetheplatz

MUSIKTHEATER

Jakob Lenz Wolfgang Rihm // Hartmut Keil / Marco Štorman 1. Februar 2020, Theater am Goetheplatz

TANZ

Spektrum Máté Mészáros / Unusual Symptoms 24. Oktober 2019, Kleines Haus

SCHAUSPIEL

Die heilige Johanna der Schlachthöfe Bertolt Brecht // Alize Zandwijk 9. April 2020, Theater am Goetheplatz

Schäfchen im Trockenen Anke Stelling // Nina Mattenklotz 17. April 2020, Brauhauskeller JUNGE AKTEUR*INNEN

Like a Virgin Nathalie Forstman / Christiane Renziehausen / 12+ 18. April 2020, Brauhaus SCHAUSPIEL

Die Marquise von O. … — Faster, Pussycat! Kill! Kill! Uraufführung Heinrich von Kleist / Russ Meyer / Enis Maci // Elsa-Sophie Jach 30. April 2020, Kleines Haus MUSIKTHEATER

TANZ / JUNGE AKTEUR*INNEN

Young dogs do cry sometimes Samir Akika / Unusual Symptoms 14. Februar 2020, Kleines Haus

Jenůfa Leoš Janáček // Yoel Gamzou / Armin Petras 9. Mai 2020, Theater am Goetheplatz

SCHAUSPIEL

Schloss Rosmersholm Henrik Ibsen // Armin Petras 8. November 2019, Kleines Haus MUSIKTHEATER

Alcina Georg Friedrich Händel // Marco Comin / Michael Talke 10. November 2019, Theater am Goetheplatz SCHAUSPIEL

Mutter Vater Land Uraufführung Akın Emanuel Şipal // Felix Rothenhäusler 22. November 2019, Kleines Haus

SCHAUSPIEL

TANZ

Nana bekommt keine Pocken im Pro Sex Feminismus Virginie Despentes / LA FLEUR // Monika Gintersdorfer / Franck Edmond Yao 20. Februar 2020, Kleines Haus

Followers Grow Magic Núria Guiu Sagarra / Unusual Symptoms 16. Mai 2020, Kleines Haus

SCHAUSPIEL

Die Dreigroschenoper Bertolt Brecht / Kurt Weill // Klaus Schumacher / Tobias Vethake 22. Februar 2020, Theater am Goetheplatz

SCHAUSPIEL

Drei Schwestern Anton Tschechow // Dušan David Pařízek 29. Mai 2020, Theater am Goetheplatz MUSIKTHEATER

NOperas! – Chaosmos Marc Sinan / Tobias Rausch / Konrad Kästner 20. Juni 2020, Kleines Haus


2019

PREMIEREN

2020

3.8. – 11.8.2019

30.1.2020

FONTANE AM ZUG

von Theo Fransz — 21.2.2020

DAS SPEKTAKEL 2019

LIEBE GRÜßE … ODER WOHIN DAS LEBEN FÄLLT

nach Theodor Fontane von Tilo Esche, Jens-Erwin Siemssen und Katja Stoppa 

NIPPLEJESUS von Nick Hornby — 14.3.2020

nB DRINNEN

DIE STUDENTIN UND MONSIEUR HENRI

21.9.2019

AUS DEM NICHTS

von Fatih Akin Theaterfassung von Armin Petras — 12.10.2019

von Ivan Calbérac — 28.3.2020

DER SOHN (UA)

KABALE UND LIEBE

von Oliver Bukowski — 17.4.2020

von Friedrich Schiller — 19.10.2019

AM BODEN

SECHS TANZSTUNDEN IN SECHS WOCHEN

von George Brant —

BORDERLANDS – IDENTITY, DIVERSITY, COMMUNITY: NOW, BEFORE AND AFTER

von Richard Alfieri — 22.11.2019

DER ZAUBERER VON OSS von Lyman Frank Baum — 7.12.2019

FRAU MÜLLER MUSS WEG

von Lutz Hübner und Sarah Nemitz

von Futur3 

nB UNTERWEGS ab September 2019

DEINE HELDEN – MEINE TRÄUME von Karen Köhler

theater-senftenberg.de


Souvenir 1870

Theodor Fontane Kriegsgefangen auf Oleron

11. Theatertage 2019 des Deutschen Bühnenvereins Landesverband Ost

03.- 11. 08. 2019 13.- 14. 08. 2019 16.- 17. 08. 2019 20.- 22. 08. 2019 25.- 26. 08. 2019 28.- 29. 08. 2019 31. 08.- 01. 09. 2019 03.- 05. 09. 2019 07.- 08. 09. 2019

Senftenberg Cottbus Rheinsberg Frankfurt (Oder) Potsdam Stendal Celle Worpswede Geestenseth

T i c ke t s : w w w. d a s - l e t z t e - k l e i n o d . d e Das Projekt wird gefördert vom Deutschen Bühnenverein/Landesverband Ost, Land Brandenburg, Land Sachsen-Anhalt, MWK Niedersachsen, Fonds Darstellende Künste e.V., Kleist Forum Frankfurt (Oder), Kulturbetriebe Frankfurt (Oder), JKS Stiftung Potsdam, Hans-Otto-Theater, Staatstheater Cottbus, LK Oberspreewald-Lausitz, Stadt Senftenberg, nB Senftenberg, Theater der Altmark, Stadt Stendal, Lotto Sachsen-Anhalt, Stiftung für den Landkreis Ostprignitz-Ruppin, LK Ostprignitz-Ruppin, Stiftung Niedersachsen, LV Stade, LK Osterholz-Scharmbeck, LK Cuxhaven und Weser-Elbe Sparkasse.


DER CHARMANTE BETRÜGER Luk Perceval über seine Idee eines Künstlertheaters im Gespräch mit Thomas Irmer

Luk Perceval, Sie sind mit Ihrer neuesten Pro­ duktion „Black  /  The Sorrows of Belgium I: Con­ go“, die im März 2019 am NTGent herauskam, zu einem alten Thema zurückgekehrt: der immer noch nicht aufgearbeiteten belgischen Kolonial­ geschichte. Die Besetzung aus acht Schauspiele­ rinnen und Schauspielern ist sehr schön multi­ kulturell gemischt. Entspricht das Ihrem Modell von Theater, das Sie als Artist in Residence am NTGent gemeinsam mit Milo Rau, dem Inten­ danten, durchsetzen wollen? Dazu gibt’s noch eine schwarze Schauspielerin, Andie Dushime, die die männliche Hauptrolle spielt. Ja, das ist tatsächlich etwas, das wir hier durchsetzen möch­ ten. Wir möchten vom „Type-Casting“ wegkommen. Es soll vielmehr um Persönlichkeiten auf der Bühne gehen, sodass die Präsenz dieser Schauspielerinnen und Schauspieler auch bei den Zuschauern ein anderes Bewusstsein auslöst. Die Spieler sprechen manch­mal Texte, die, wenn sie von jemandem mit kongolesischen Wurzeln kommen, sehr provokativ sind, weil der Rassismus in der Gesellschaft so erst richtig deutlich wird. Das ist tatsächlich die Idee für

dieses Haus und einer der Gründe, warum ich hier bin. Im deutschen Stadttheater haben mir diese Möglich­ keiten sehr gefehlt. Das Modell des festen Ensembles in Deutschland ist einerseits sehr schön, weil es auch eine bestimmte Utopie ausdrückt, andererseits schränkt es auch sehr ein. Sie haben zwanzig Jahre in Deutschland ge­ arbeitet und diese Zeit gerade für beendet ­erklärt. Worin sehen Sie, im Sinne einer Bilanz, die Vorteile und eben auch Nachteile? Einer der Vorteile des deutschen Stadttheaters ist, dass es eine Kontinuität gibt, die ich total wichtig finde. Es gibt einen gewissen Schutz für die Beteiligten. Daraus kann eine Synergie entstehen, die weltweit einzigartig ist. Ich will gar nicht dafür plädieren, das abzuschaffen. Im Gegenteil. Nur kostet diese Sicherheit, dieser Schutz viel Geld, was dazu führt, und sicherlich heutzutage mehr als vor zwanzig Jahren, dass die Subventionen nicht reichen, um so ein System offenzuhalten und es weiter zu entwickeln. Ich bemerke, dass viele dieser Ensembles immer kleiner werden, weil das Geld nicht reicht. Die Häuser holen sich dann Gäste, oft Medien-

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An der Front des NTGent hängt ein Banner mit der Aufschrift „The City Theater of the Future“. Das ist eine starke Ansage, erzählt aber noch wenig darüber, was drinnen passiert. Ich finde es sehr gewagt, eine solche Aufschrift außen ans Theater zu hängen. Das ist ein Werbespruch, der auch zu einem Bumerang werden kann. Vielleicht zu hoch gegriffen und sogar ein bisschen prätentiös. Was aber klar sein muss: Ich bin hier Artist in Residence, das heißt, ich habe mich über drei Jahre mit dem Haus verbunden und bringe jedes Jahr einen Teil meiner Trilogie „The Sorrows of Belgium“ auf der großen Bühne heraus. Ansonsten unterrichte ich Yoga und werde noch einen Workshop für Schauspieler geben, die sich für das Haus interessieren. Dabei geht es mir darum, Schauspieler kennenzulernen, denen man sonst nie begegnet. Ich kann nicht behaupten, dass dieses Haus hundertprozentig für das steht, was ich über Theater denke. Ich habe in der Leitung auch keine Entscheidungsposition, ich bin fester Gast.

ES GEHT DARUM, DASS DIE BÜHNE REPRÄSENTATIV IST FÜR DIE GESELLSCHAFT. DAZU GEHÖREN NICHT NUR MENSCHEN ANDERER HAUTFARBE.

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­ nderer Hautfarbe. Auf gewisse Art und Weise wird a die De­batte über den Sinn des Stadttheaters auf ­modische Schlagzeilen reduziert. Das Absurdeste, was ich über die Berufung des neuen Intendanten der Münchner Kammerspiele gehört habe, ist, dass es unbedingt eine Frau sein sollte. Ich kann das im heutigen Kontext nachvollziehen, aber warum formuliert die Politik die Frage nicht so: Was ist in erster Linie für die Stadt wichtig? Was ist wichtig für das Theater? Was für eine Art von Theater braucht die Stadt? Darüber wird gar nicht debattiert, weil es gar kein politisches Interesse gibt, geschweige denn ein ausgebildetes Knowhow.

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Sie hatten bereits 2016 für das Flämische Natio­ naltheater in Brüssel die Idee eines internationa­ len Theaters entwickelt. Die Idee für Brüssel war im Grunde die gleiche, die wir hier versuchen umzusetzen: ein multikulturelles Ensemble. Obwohl ich dabei immer denke: Ja, Multikulturalität ist eine Sache, aber darauf darf es nicht beschränkt bleiben. Es müsste viel weiter gehen. ­Wa­rum gibt es keine behinderten Schauspieler? Ich habe, als ich Studiengangsleiter für Schauspiel an der Thea­terakademie Ludwigsburg war, von einem Bewerber mit Behinderung erfahren, der bei der Auf­ nahme­prüfung von der Jury abgelehnt worden war mit der Begründung, dass er ja nie Hamlet oder Faust spielen könne. Was ich total lächerlich fand … Es geht doch darum, dass die Bühne repräsentativ ist für die Gesell­schaft. Dazu gehören nicht nur Menschen

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stars, während die Ensemblemitglieder die kleineren Rollen kriegen. Das ist sogar ein internationales Phäno­ men. Um zu überleben, tauscht das Stadttheater seine künstlerischen und politischen Aufgaben gegen kommerzielle Interessen ein. Wenn man aber trotz der schwierigen Lage des Stadttheaters am Ensemble festhält, und das habe ich am Thalia Theater in Hamburg erlebt, erhalten Regisseure und Schauspieler genug Zeit und Raum, um sich zu entwickeln – und damit auch das Theater selbst, seine Sprache, seine Intelligenz und seine gesellschaftliche Resonanz. Was letztendlich künstlerisch wertvoller ist, als nur ein Event zu realisieren. Überall, ob in Frankreich, England oder Italien, sieht man jedoch, dass Ensembles ab­ gebaut werden. Auch in Flandern ist das ein großes Thema in der Theaterszene. Auch hier ist die Idee des gemeinsamen Denkens und Schaffens völlig verloren­ gegangen. Womit auch der gesellschaftliche Wert des Theaters gemindert worden ist, nämlich ein Haus als Freiraum zu haben, in dem man ideologiefrei und tabufrei Dinge benennen kann und dadurch in der Gesellschaft eine Diskussion provoziert. Diese Mög­ lich­keit gerät, auch in Deutschland, immer mehr in den Hintergrund. Es geht eher um das Überleben, nicht um die politische Haltung. Was wir hier versuchen, ist, diese Haltung und die Provokation in den Vordergrund zu stellen. Wobei die finanziellen Mittel übrigens viel bescheidener sind als in den deutschen Theatern, an denen ich gearbeitet habe. Deshalb müssen wir uns beschränken: Wir arbeiten erst mal nur mit Gästen, und dann schauen wir, ob langfristig aus dieser Gruppe ein Ensemble entsteht.


Das eine ist die kulturpolitische Agenda, das an­ dere die künstlerische Entwicklung der Theater. Ich würde aus diesem Grund der durchaus be­ rechtigten Formel vom „City Theatre of the Fu­ ture“ das Künstlertheater des 21. Jahrhunderts an die Seite stellen. Dieser Begriff versucht, das Beste aus dem Theater des 20. Jahrhunderts ins Heute zu holen. Die Ensemblekultur ist, darüber haben wir schon gesprochen, der erste Punkt, dann die enge Verbindung mit Literatur und schließlich die Befreiung der Schauspieler, ihre Umwandlung von Rollendarstellern zu Persön­ lichkeiten auf der Bühne, die im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts stattgefunden hat. Sie selbst sind ja in den deutschen Jahren auch Autor geworden. Eigentlich hat, vor allem im Schauspiel, so etwas wie eine Vermischung der Funktionen von Autor und Dramaturg im Zusammenspiel mit der Regie stattgefunden. Das würde ich heute als Ansatz für ein Künstler­ theater verstehen. Sicher. Es gibt dabei aber zwei Elemente, die sich ausschließen. Einerseits die Struktur selbst, die über die Jahre aus einem Theater erwachsen ist, das für das Bürgertum repräsentativ sein musste und dessen ­nostalgischen Hang zu alten Formen befriedigte. Die Produktionsstruktur, die daraus entstanden ist, ist leider völlig veraltet. Das Bedürfnis, Klassiker auf der Bühne zu sehen, existiert bis heute. Zuschauer wollen lieber „Hamlet“ sehen als „Hamlet“ lesen. Und sie wollen auch eine Interpretation sehen, wodurch sie das Werk neu entdecken, neue Perspektiven erleben, um dadurch sich selbst und die eigenen Sichtweisen zu revidieren. Dieses Bedürfnis bleibt und ist auch völlig legitim. In diesem Sinne bin ich mit Milo nicht einverstanden, der sagt, dass die Inszenierung eines Stücks nur zwanzig Prozent vom Original zeigen darf, was genauso dogmatisch ist wie die texttreue Arbeitsweise. Aber die Welt hat sich viel mehr demokratisiert, wir können alle unsere Meinung kundtun, öffentlich, im Internet, in der Zeitung, als Kommentar. Wir leben immer weniger in einer Welt, in der man von oben ge­ sagt bekommt, was Sache ist. In diese Richtung müsste sich auch das Theater ent­wickeln und viel mehr zugänglich sein für Widersprüche, sich befreien von alten Mustern und Arbeitsweisen. Nicht in dem Sinne, dass man die Schauspieler durch andere Spezialisten ersetzt – wenngleich wir ständig die Wirklichkeit von Spezialisten erklärt bekommen. Vielmehr müsste man die Schauspieler heraus­­ fordern, sich noch mehr zu spezialisieren auf ­bestimmte Themen, wie jetzt bei „Black“, wo die Schau­spieler als Autoren beteiligt sind, unterstützt von Wis­senschaft­lern

und Dramaturgen, Tänzern und Musikern sowie Videokünstlern. So wie heutzutage die Redaktion einer Zeitung funktioniert: vernetzt mit vielen Quellen. In der Hinsicht kann ich mich in Milos Philosophie wiederfinden. Das Problem bleibt das Erbe der veralteten Theaterstruktur; dass da mehr Leute im Apparat arbeiten als auf der Bühne stehen, was die Freiheit und Mobilität des Theaters von vornherein einschränkt. Der Wille, das zu ändern, ist zwar da, aber die Struktur erzeugt ihre eigenen Gesetze. Eigentlich möchte man niemandem kündigen, aber man sieht heutzutage, dass die Kunst immer mehr reduziert wird, denn auch Schauspielern wird gekündigt, während die ganze Verwaltung wie in Beton gegossen ist. Das nichtkünst­ lerische Personal an deutschen Theatern hat die ­gleichen Arbeitsgesetze wie die Arbeiter in der Autoindustrie, die ja bekanntlich die am besten ge­schütz­ ten Arbeiter in Deutschland sind. Das heißt aber auch, dass die Theaterstrukturen in Deutschland auf Kosten der Künstler und ihrer Kunst überleben. Oft habe ich am Thalia dafür plädiert: Warum machen wir nicht weniger, damit wir wenigstens mehr Zeit haben, länger und intensiver zu probieren, mit weniger Stress und Druck. Damit man Zeit hat, sich mit Dingen auseinanderzusetzen. Zeit hat, auch mal Gäste zu den Proben einzuladen, Spezialisten einzubeziehen. Diese Bitte war nicht realisierbar, weil es dann weniger Einnahmen geben würde, was wiederum dazu führen würde, dass man Künstlern kündigen müsste, dem nichtkünstlerischen Personal kann man ja nicht so einfach kündigen. Da wurde mir klar, ich kann hier letztendlich das System nur bedienen, um es aufrecht­ zuerhalten. Wo doch das System dafür da sein sollte, der Kunst zu dienen und nicht umgekehrt. Das hat mich in hohen Maßen frustriert. Es gibt ja für Deutschland die Formel – die Zah­ len sind gerundet –, dass in den vergangenen zwanzig Jahren zwanzig Prozent der Stellen im künstlerischen Bereich verschwunden sind, es aber gleichzeitig zwanzig Prozent mehr Insze­ nierungen und Vorstellungen gab. Eine Krise der Überproduktion. Total. Und der Überforderung. Das ist genau das, was man überall fühlt und sieht. Viele Schauspieler sind völlig fertig, haben überhaupt keine Lust, noch zu probieren. Es fehlt die Freude, die Lust. Die Theater­arbeit wurde zu einer Fließbandarbeit. Fürchterlich.

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Könnten Sie bitte einmal den in Ihren Augen idealen Schauspieler beschreiben? Vielleicht auch verschiedene Typen dieses Ideals?


Wie hat sich für Sie in diesem Zusammenhang die Rolle als Regisseur verändert? Anfangs war ich viel mehr damit beschäftigt, das, was mir vorschwebte, durchzusetzen. Jetzt erzähle ich von meiner Vision, meinen Träumen, und warte ab, wie die Schauspieler darauf reagieren. Es ist eine Arbeitsweise, die am Thalia entstanden ist, weil ich dort den Luxus hatte, viele Jahre mit meiner eigenen Truppe zu arbeiten. Die Zola-Trilogie „Liebe – Geld – Hunger“ war letztendlich eine sehr intensive gemeinsame Arbeit, in der die Erzählweise auf den Proben entstand. Und wenn ich merke, dass es nicht funktioniert, dann schmeiße ich es um und fange an, zu suchen und zu drehen, bis ich irgendwie ein Gespür kriege, dass es Qualität haben könnte. Ich arbeite dafür intuitiv mit dem Scheitern. In den dreißig Jahren, in denen ich jetzt Theater mache, ist mein Vertrauen in die Intuition viel stärker geworden. Wie wichtig sind dabei noch die Dramaturgen? Im Theater der vergangenen zwanzig bis dreißig Jahre konnte man beobachten, dass die Position des Dramaturgen praktisch in den Regisseur ­eingewandert ist. Zum Beispiel Castorf, er war ja zuerst Dramaturg und hat später als Regisseur für seine konzeptionelle Arbeit kaum Dramaturgen gebraucht.

Die Dramaturgie ist, gemäß ihrer Arbeitsweise, ständig in Bewegung, ständig wird geändert, geschrieben und gestrichen, der Text oder der Autor sind kein Ziel an sich. Der Mensch, der spricht, ist das Ziel. In dem Sinne ist der Dramaturg auch ein immer präsenter Partner, ein Mitspieler. In meiner Idealwelt müsste es aber noch viel weiter gehen, da wäre auch die Öffentlichkeits­arbeit auf der Probe dabei und würde mit Beteiligten Gespräche führen, filmen, Podcasts machen usw. Damit das Theater sich viel mehr öffnet; damit ein Diskurs entsteht, eine Auseinandersetzung, ein Raum, mit dem man sich emotional und intellektuell identi­fizieren kann; damit man die Leute, die Stadt einlädt, mitzudenken und sich auch mit uns auseinanderzusetzen. Im idealen Theater der Zukunft gäbe es keine unterschiedlichen Abteilungen mehr. Klar, die braucht man, um dem Theater eine Struktur zu geben und das zu realisieren, was man realisieren möchte. Aber der Raum für die Auseinandersetzungen, die ich mir wünsche, ist durch den Arbeitsdruck viel zu klein, viel zu eng geworden. Sind Ihre Bühnenbildpartner in diesem Sinne Mitspieler? Durch die jahrelange Arbeit mit Katrin Brack, Philip Bußmann und Annette Kurz ist tatsächlich eine Art Selbstverständlichkeit entstanden. Wir müssen uns nicht mehr darüber verständigen, dass wir nach einem Raum suchen, der mehr suggeriert als das, was man sieht, eine Art Projektionsfläche. Räume, die eine Ima­ gination freisetzen, aber auch Räume, die von den Schauspielern, von den Menschen bestimmt werden, körperlich, durch Sprache, durch Ideen. Der Mensch ist das epische Zentrum dieser Räume. Weil ich schon dreißig Jahre mit den gleichen Leuten arbeite, kann man dieser Denkweise eine immer radikalere Form geben, was uns auch mehr Spaß und Kraft gibt. Diese Konstanz ist letztlich auch ein bedingen­ des Merkmal des Künstlertheaters. Klar, letztendlich fange ich damit an, alles, was ich weiß, zur Seite zu schieben und zu schauen, was auf der Probebühne entsteht, um damit zu arbeiten. Aber um dieses Nichtwissen und die Unsicherheit zuzulassen, braucht man natürlich auch ein Gewebe von Vertrauen. Und das gibt’s insbesondere natürlich zwischen Mitarbeitern, die in vielen Jahren schon vieles zusammen durchgemacht haben. Man kennt inzwischen die Krisen und die Phasen, die es braucht, um ein be­ stimmtes Ergebnis zu erreichen. Bei „Black“ gibt es zwei Schauspieler, mit denen ich auch schon vor über zwanzig Jahren gearbeitet habe. Die wissen, es braucht diese Art von Ablauf, diese Art von Suchen und Nichtwissen, Schritt für Schritt, Tag für Tag. Es

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Der ideale Schauspieler, die ideale Schauspielerin, ich meine hier also Männer wie Frauen, ist jemand, der nicht spielt (lacht), der eigentlich immer von seiner eigenen Meinung, seiner eigenen Haltung ausgeht. In jeder Sekunde sucht er auf der Bühne seine Wahrheit, seine Authentizität. Das ist kein Schauspieler, der sich dienend aufstellt, überhaupt nicht. Es ist ein Schau­ spieler, der sich ständig infrage stellt, nicht nur auf der Bühne. Das ist der Schauspieler, die Schauspielerin, nach dem / der ich mich sehne. Was mich wahrschein­ lich von anderen Regisseuren wesentlich unterscheidet, ist, dass der Schauspieler bei mir kein Vermittler von Ideen ist. Ein Schauspieler ist ein Mensch, ich bin fasziniert und interessiert und berührt von Menschen, von Schauspielern, der emotionalen, energetischen und spirituellen Verbindung mit ihnen, dem intellektuellen Austausch. Der Schauspieler braucht deshalb Persönlichkeit, er ist mehr als eine Marionette meiner Vision, weil meine Vision, meine Inspiration, das sind die Menschen, die jeden Tag auf der Probebühne vor mir stehen, und nicht die Ideen, die ich zu Hause habe. Wenn man glaubt, dass diese Ideen immer kollektiv ausgeführt werden, ist das schon falsch. Es gibt keine Kollektivität, es gibt nur die Summe von Individuen. Mir geht es um die Kraft dieses Individuums.


kann sein, dass das, was wir heute gemacht haben, morgen nicht mehr gilt. Braucht man diese Verbündeten auch, um die anderen zu beeinflussen? Eine gute Fußballmannschaft hat eine Balance zwi­ schen Erfahrung und Jugend. Das ist im Theater genauso. Am Thalia Theater war Barbara Nüsse, mit der ich sehr viel gearbeitet habe, die wichtigste Schauspielerin für mich, weil sie mit ihrem Alter und ihrer Erfahrung ein Beispiel für das Ensemble ist. Sie inspiriert und provoziert die jüngeren Schauspieler.

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VIEL MEHR, ALS DER VERSUCH, SICH RATIONAL ZU VERSTÄNDIGEN, IST SPRACHE EINE IRRATIONALE, ENERGETISCHE SUCHE NACH VERSTÄNDIGUNG.

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Kommen wir auf „Front“ zu sprechen, eine der wichtigsten Inszenierungen der vergangenen Jahre. Darin findet man viel von dem, was Sie immer wieder als besonders erstrebenswert be­ tonen: Mehrsprachigkeit, Gesang, das Bühnen­ bild von Annette Kurz, das zugleich auch Instru­ ment für den Perkussionisten Ferdinand Försch war, aber auch die elementare Erfahrung einer historischen Katastrophe. War das eine Art Weg­ marke für Kommendes? Ganz sicher, vor allem wegen meiner Faszination für Sprache in all ihren Formen. Sprache verstehe ich als eine Art Musik. Viel mehr, als der Versuch, sich rational zu verständigen, ist Sprache, genauso wie Körpersprache, eine irrationale, energetische Suche nach Verständigung, und diese Irrationalität interessiert mich, vor allem das, was diese Irrationalität treibt. Es ist schon seit Jahren mein Ehrgeiz, mit den Schau­

spielern eine eigene Bühnensprache zu entwickeln, ein eigenes Esperanto. Eine Sprache, die für das ­Publikum in Deutschland erstmal fremd wäre – das habe ich damals schon bei „L. King of Pain“ 2002 am Schauspiel Hannover beobachten können. Das Sprach­amalgam dieses Stücks funktionierte sehr gut in Belgien, so auch in der Schweiz, zwei Ländern, in denen Mehrsprachigkeit Teil des Alltags ist. Innerhalb der deut­schen Theatertradition stößt man bei der ­Entwicklung eines europäischen Bühnenesperantos an bestimmte Grenzen. Bei der Vorbereitung der Eröffnungsinszenierung in Hamburg, „The Truth about The Kennedys“, meinte der Geschäftsführer: „Ich würde das nicht mit einem englischen Titel machen, weil das deutsche Publikum dann denkt, es würde sich um ein Gastspiel handeln.“ Ich war darüber richtig erschrocken. In einer Welt, die so über die Medien vernetzt und „amerika­nisiert“ ist. Das hat mir klar gemacht, in was für einem Elfenbeinturm das Stadt­ theater hockt. Ich habe solche Erfahrungen auch an der Berliner Schaubühne ge­macht, wo ich mehr­ mals versucht habe, die unterschiedlichen deutschen Sprachfarben und Dialekte in die Stücke einzubauen, was vom Schaubühnen-Publikum nicht gerade begeistert aufgenommen wurde. Dialekt gehört in Deutschland zum Volkstheater, aber nicht auf die heilige Schaubühne von Peter Stein. Von diesem Kästchendenken wollte ich mich befreien. Obwohl sich die Sprachnormen auf deutschen Bühnen in den vergangenen zwei Jahrzehnten doch schon sehr gelockert haben. Das hat sich geändert, das stimmt. Trotzdem ist es für das Abo-Publikum schwierig, einem Schauspieler zuzuhören, der eigentlich kaum oder fast kein Deutsch spricht. Ich habe das bei „Früchte des Zorns“ in Hamburg erlebt, wo Bert Luppens mitgespielt hat, ein Holländer, der mit seinem Akzent Deutsch sprach. Und, na klar, hat das Holländische teilweise witzig geklungen. Aber das wird dann eher so gesehen, als ob ein Dilettant auf der Bühne steht, der wird eigentlich nicht ernst genommen. Damit wusste ich endgültig, dass ich meinen eigentlichen Traum, eine internationale Truppe mit Schauspielern aufzubauen, die aus Russland, China oder von wo auch immer kommen, um mit ihnen gemeinsam eine Sprache zu erfinden und damit auch eine Utopie auszudrücken, am Stadttheater nicht werde realisieren können. Andererseits haben Sie dem deutschen Theater unvergessliche Literaturadaptionen geschenkt. Ganz konkret die Romane von Hans Fallada. Auch Fallada fasziniert mich wegen seiner Sprache, weil er die hohe Kunst versteht, mit ein paar einfachen

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Wie haben Sie Fallada eigentlich entdeckt? Ich hatte vor vielen Jahren „Kleiner Mann, was nun?“ von Peter Zadek gesehen. Eine Inszenierung, die letztlich nur funktioniert hat, weil Zadek und Tankred Dorst sie als Revue angelegt hatten. Damals hat mich das tatsächlich nur als Spektakel interessiert, der Autor ist mir gar nicht aufgefallen. Dann gab es viele Jahre später einen Moment, wo ich dachte: Ich arbeite jetzt in Deutschland, aber was verbindet mich mit den Deutschen? Ein Freund riet mir, Fallada zu lesen, und ich ent­ wickelte sofort sehr lebendige Fantasien dazu. Ich fand seine Geschichten eigentlich total bel­gisch. Da sind alle Loser, es gibt keine Helden bei Fallada. Ein anderer Autor, dessen Romane Sie in den vergangenen Jahren als Zyklus angelegt haben, war Émile Zola. Wie kam es dazu?

Wenn ich, wie jetzt in Gent, irgendwo eingeladen werde zu arbeiten, ist immer meine erste Frage: Was macht an diesem Ort Sinn, was verbindet mich mit dieser Stadt? So kam eine Einladung der Ruhr­trien­ nale. Mit solch einem „glossy“ Festival wie der Ruhr­ triennale habe ich ein Problem, weil man sehr viel Geld investiert, um der immer und überall gleichen Kulturelite mal was anderes anzubieten als die her­ kömmlichen Bühnenräume. Mein Ehrgeiz ist schon seit vielen Jahren ein Theater für alle, ein Volkstheater, das sich befreit vom Abonnenten und auch die Fuß­ ballfans anzieht. Darum war meine erste Überlegung: Was könnte man im Ruhrpott machen, um auch die Menschen, die da leben, die da wohnen, zu er­ reichen? Bei Zola geht’s um die Industrialisierung im 19. Jahrhundert und alles, was damit zusammenhängt. Von Zola kannte ich nur „Germinal“, beim Lesen seines Rougon-Macquart-Zyklus habe ich dann entdeckt, dass er neben der Tatsache, dass er literarisch sehr altmodisch wirkt, mit seinen Themen und Figu­ren gleichzeitig auch sehr modern ist. Seine Romane zeigen, wo die Wurzeln des heutigen Neoliberalismus liegen. Johan Simons wünschte sich, dass ich über die drei Jahre seiner Intendanz daraus eine Serie mache. Entspringen diese zum Teil radikalen Adaptionen großer Romane, wie etwa auch der „Blechtrom­ mel“ von Günter Grass oder „Früchte des Zorns“ von John Steinbeck, einem Wunsch, von regulä­ ren Stücken wegzukommen? Es ist mein tiefer Wunsch, die Texte für meine Inszenierungen selbst zu kreieren, sie auf den Proben ent­ stehen zu lassen. Das geht mit erzählender Literatur besser. Theatertexte engen sehr schnell ein, weil sie oft eine konkrete Situation voraussetzen, während die Literatur mehr Freiheit zulässt. Ich komme noch kaum dazu, Stücke zu lesen, die meisten Stücke langweilen mich, weil die meisten Theatertexte nach wiedererkennbaren dramaturgischen Prinzipien gebaut sind und voraussehbare Abläufe haben. Selten finde ich hier die Widersprüche und die Komplexität wie in Romanen. Im September 2019 werden Sie im Rahmen eines Jon-Fosse-Festivals am Det Norske Teatret in Oslo Fosses „Trilogie“ inszenieren. Was mich an der „Trilogie“ von Jon Fosse fasziniert, ist nicht nur die Sprache, die hochmusikalisch ist, weil es eine redundante Sprache ist, nein, es wird damit dreimal fast das Gleiche erzählt, aber aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Und durch die Wiederholung und die Musikalität wirkt es wie ein Lied, ein Mantra, ein Gebet. Es liegt sehr nah am Musiktheater. Auch das ist etwas, was ich eher in Romanen als in Theatertexten finde.

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Sätzen, ein paar einfachen Pinselstrichen sofort eine Figur zu charakterisieren. Weil er seinen Figuren einen typischen Klang, einen typischen Rhythmus gibt. Ich kenne wenige Autoren, die diese Kunst beherrschen. Und dann erzählt er Geschichten, die auf den ersten Blick sehr einfach sind, die aber letztendlich eine hohe Komplexität aufdecken, etwas, das ich im Theater immer suche. Wie im Nō-Theater geht es um einfache Zusammenhänge, die etwas Universelles berühren. Falladas Figuren haben eine Tiefe und einen Humor, wie man es sonst bei Tschechow findet, weil sie so widersprüchlich sind, weil sie so witzig und hässlich egoman sind, so banal und wiedererkennbar. Fallada hat mir Deutschland nähergebracht, weil ich durch ihn nicht nur die deutsche Seele entdeckt, sondern auch die belgische wiedererkannt habe. Diese Art von Feig­heit, die er seinen Figuren gibt, die trifft man ja überall. Das sind sehr oft Leute, die ein großes Maul haben, aber wenn es drauf ankommt, klein werden. Seine Sprache und seine Geschichten sind sehr sinnlich, und diese Sinnlichkeit ist für die Bühne unentbehrlich. Etwas, das ich sehr an den Inszenierungen von Castorf schätze. Sie sind immer extrem sinnlich und extrem irritierend. Eben unverschämt sinnlich und pro­ vokativ. Eine Mischung aus Ekel und Faszination, um auch noch auf den großen Heiner Müller anzu­spielen. Den Widerspruch des Lebens ausdrücken, Liebe und Hass im selben Moment, das ist, was das Leben schön und unbegreifbar macht. Diesen Widerspruch finde ich bei Fallada: Figuren auf der Suche nach Wahrheit, die gleichzeitig einander belügen. Das ist, was den Menschen zum Mensch macht, zum charmanten Betrüger.


In welcher Sprache ist die Bühnenversion von Fosses „Trilogie“ geschrieben? Auf Deutsch, sie musste ins Norwegische übersetzt werden. Bei jeder Romanbearbeitung muss man sich immer die Frage stellen, aus welchem Blickwinkel, aus welcher Perspektive erzählt man die Geschichte? Die Perspektive bestimmt das Konzept, die Idee, das Ziel. Bei Fosse war es nicht so einfach, weil der Roman den Erzähler verschleiert. Erst am Ende entdeckt man, dass es möglicherweise das Enkelkind einer Familie ist, das jetzt, als alte Frau, seine Familiengeschichte rekonstruiert. Der Text zeigt, wie wir zwanghaft ausgeliefert sind an die Wiederholung von bestimmten Mustern in unserer Familiengeschichte. Obwohl man sich dieser Muster bewusst ist, kann man sie kaum beeinflussen. Und je älter man wird, desto mehr wird man sich dieser Mechanismen bewusst und muss sie akzeptieren. Das Prinzip der Wiederholung in all seinen Facetten ist etwas, das mich als Phänomen immer mehr beschäftigt: der repetitive Aspekt des Lebens, der Energie, der Gedanken, der Emotionen. Sie haben sich auch mit anderen Facetten des Alterns beschäftigt: mit Demenz in „L. King of Pain“ und „Molière“, zuletzt mit Krebs in „Mut und Gnade“. Was ist interessant daran, diese Themen im Theater so intensiv, beispielsweise in Form einer einzelnen Figur, zu behandeln? Was soll man heutzutage überhaupt erzählen? Was sind die Themen, die uns beschäftigen? Klar sind das gesellschaftliche Themen, etwa wie sich Belgien mit dem Kongo auseinandersetzt, es ist für dieses Land höchste Zeit, das zu thematisieren. Wir leben aber auch in einer Gesellschaft, die älter wird. Die Angst vor dem Kontrollverlust, die Angst vor Krankheiten wie Krebs oder Depression ist ein großes Thema, das im Theater kaum thematisiert wird. Es gibt so viele Tabu­ themen im Bereich des Älterwerdens. Das Krebsthema von „Mut und Gnade“ war ein Versuch, die Krankheit und die Angst davor öffentlich zu verhandeln, weil sie letztendlich die Betroffenen auf ein Abstellgleis schiebt, in die komplette Isolierung. Nach jeder Vorstellung gab es immer sehr lebendige Diskussionen mit den Zuschauern. Was die Thematik angeht, kann man grundsätzlich in zwei Richtungen denken: Was empört uns kollektiv, was ist die kollektive Wut oder Angst – und wie können wir daraus als Theater eine positive, kreative Kraft entwickeln? Wie finden wir in dem individuellen Schmerz eine kollektive Kraft? Durch den gemein­ samen Humor? Durch die Trauer? Oder, in die andere Richtung gedacht: Was ist es, worüber wir nicht wagen zu reden, und was sollte man offenlegen? Da finde ich

Scham ein interessantes Thema. Wir tun nur so, als würden wir in einer Gesellschaft leben, wo alles ausgesprochen werden kann. Im Internet kann man alles sehen und an allem Möglichen teilnehmen. Inzwischen haben Zwölfjährige ein Smartphone und gucken Pornos und wissen gar nicht mehr, was normale Sexualität ist, sie sind völlig verwirrt über ihre Körperlichkeit und darüber, was Liebe eigentlich bedeutet. Es gibt in unserer sogenannten offenen Kultur sehr viele Ängste. Mein Neffe, der Fußball spielt und 14 Jahre alt ist, duscht nach dem Training in Unterhose. In meiner Zeit wäre das lächerlich gewesen. Inzwischen aber hat die Scham stark zugenommen, zusammen mit der Angst, auf Facebook entblößt zu werden. Durch die sozialen Medien sind junge Menschen prüder und ängstlicher. Belgien leidet unter einem kollektiven Scham­ gefühl, nur sind wir zu feige, das zuzugeben. Zu feige, um uns zu entschuldigen. Nach zwanzig Jahren Arbeit in Deutschland weiß ich seit der Rückkehr in dieses Land, was es heißt, Belgier zu sein. Es ist aber nicht nur ein belgisches Phänomen. In den sechziger Jahren war John F. Kennedy ein Held, aber es wussten alle, dass er eine Affäre mit Marilyn Monroe hatte und mit Jackie verheiratet war. Barack Obama oder Trump würden heutzutage im gleichen Fall sofort ans Kreuz genagelt und wären weg vom Fenster. Trotzdem glauben wir, dass wir freier und klüger geworden sind? Die Lüge, die man uns vorlebt und die wir auch selbst aufrechthalten, ist ein sehr spannendes Thema. Der Selbstbetrug. Sie sind durch Ihre Arbeit als Regisseur in Deutsch­ land gewissermaßen auch eine Art Kulturpsycho­ loge geworden – oder täusche ich mich da? Das kann sein. Deutschland hat mich mit großen Struk­ turen konfrontiert und Verantwortung gefordert. Wenn man als Gast arbeitet, analysiert man, was mit einem und um einen herum passiert. Und da werden einem viel mehr die Mechanismen der Kultur bewusst. Vielleicht ein Vorteil des Außenseiters. Milo Rau wiederum, das habe ich in seinen Äuße­rungen über seine ja auch schon ein paar Jahre währende Zeit in Belgien gefunden, sagt, dass er an Belgien diese creative dysfunctionality schätzt. Das ist ein interessanter Begriff. Eine Wertschätzung von Dingen, die eigentlich nicht gut funktionieren. Zum Glück haben wir genügend Thomas Bernhards in diesem Land. Wir können über ein solches Zitat laut lachen, weil wir das genauso empfinden. Belgien ist nicht umsonst nach der Aufführung einer Oper entstanden.

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Das würde ich nicht unbedingt als creative dysfunctionality bezeichnen. Vielleicht sind die Handwerker nicht das oberste Kri­ terium, aber dieses laissez faire trifft man hier auf vie­ len Ebenen. Und natürlich hat das auch was Attrakti­ ves, weil vieles nicht geht, aber letztendlich dann doch zustande kommt, weil einfach improvisiert wird. Das ist halt Belgien. Ich kann mir vorstellen, dass Milo das jetzt noch lustig findet. Noch! Und Sie selbst? Es gibt nichts, was man so sehr liebt und hasst wie das eigene Elternhaus. Ich kenne es, kann mich darüber tierisch aufregen und darüber lachen. Es war für mich eine bewusste Wahl zurückzukommen in diesen circus of disfunctionality. Weil ich es auch irgendwie vermisst

habe, die Leichtigkeit, den Leichtsinn. Am Ende wird zwei Nächte durchgearbeitet, und man kriegt es doch noch hin. Das wäre in Deutschland unmöglich. In diesem Sinne könnte man diesen Aspekt in das Programm für ein Künstlertheater des 21. Jahrhunderts mit aufnehmen: Kreative ­Dysfunktionalität hält alles lebendig. Tatsächlich muss man sich von den alten Strukturen befreien können, oder sagen wir: von altem Ballast. Vor 27 Jahren haben wir mit unserer freien Truppe mit dem Stück „Ten Oorlog“ das Nationaltheater in Antwerpen übernommen, wir haben die alte Struktur komplett aufgemischt, indem wir die vertikale Struktur mit weniger Leuten in eine horizontale Struktur verwandelt haben. Keine getrennten Abteilungen mehr. Mit Bühnentechnikern, die multi-einsetzbar waren. Dieses System hat die flämische Szene grundsätzlich verändert. Die Wege sind kürzer, die Kommunikation ist direkter. Und ja, ich glaube schon, dass dieses ­Künstlertheater ein bewegliches, mobiles Instrument sein muss, das sich an die Gegebenheit des Moments anpassen kann. Eine gewisse belgische Anarchie zuzulassen, improvisationsfähig zu sein – darum müsste es gehen.

NACH DEN LETZTEN TAGEN. EIN SPÄTABEND CHRISTOPH MARTHALER ab 21. Aug Audimax, Ruhr-Universität Bochum

ALL THE GOOD JAN LAUWERS, NEEDCOMPANY ab 22. Aug Maschinenhalle Zweckel, Gladbeck

EVERYTHING THAT HAPPENED AND WOULD HAPPEN HEINER GOEBBELS ab 23. Aug Jahrhunderthalle Bochum

(.....) EIN STÜCK, DEM ES SCHEISSEGAL IST, DASS SEIN TITEL VAGE IST Das ganze Programm 2019 unter ruhrtriennale.de

21. Aug – 29. Sept

#RT19

JETSE BATELAAN ab 18. Sept Maschinenhaus Essen

Gesellschafter und öffentliche Förderer

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Nach „Die Stumme von Portici“ von Daniel-­ François-Esprit Auber brachen 1830 in Brüssel die August-Unruhen aus. Genau. Und ein Beispiel für dieses Nichtfunktionieren wäre: Ich habe meine Wohnung in Antwerpen renovieren lassen und musste entdecken, dass belgische Handwerker schlimmer sind als russische. Da ist Deutschland ein Segen.


THE CHARMING SWINDLER Luk Perceval talks to Thomas Irmer about his conception of an artists’ theatre

Luk Perceval, with your latest production “Black/ The Sorrows of Belgium I: Congo”, which was staged at NTGent in March 2019, you have re­ turned to an old theme: Belgium’s colonial his­ tory, which it still hasn’t processed. The cast of eight actresses and actors is highly multicultural. Does this correspond to a model of theatre that you, as artist-in-residence at NTGent, want to promote together with Milo Rau, the Artistic D ­ irector? On top of that there is a black actress, Andie Dushime, playing the lead male role. Yes, that is actually something we want to promote here. We want to move away from typecasting. It should be much more about the personalities on stage, so that the presence of these actors also calls forth a different ­consciousness among the audience. The actors sometimes have lines that prove highly provocative when they are said by someone with Congolese roots, because it really lays bare the racism within society. That is in fact the idea for this theatre, and one of the reasons why I’m here. These opportunities are something I really missed in German city theatres. The model of the fixed ensemble in Germany is great on the one hand because it is also an expression of a certain utopia, on the other hand it is also very restrictive. You have worked in Germany for twenty years and you have just declared that this period is at an end. If you were to sum it up, where do you see the advantages and also the dis­ advantages?

One of the advantages of the German city theatre is that there is continuity, which I find really important. There is a certain protection for the participants. This can result in a synergy that you don’t find anywhere else in the world. I would never argue for its abolition. On the contrary. It is just that this security, this protection costs a lot of money, which means – and this is definitely more the case now than it was twenty years ago – that the subsidies are no longer sufficient to keep the system open and to develop it further. I notice that many of these ensembles are getting smaller and smaller because there is not enough money. They then attract guests, often media stars, while the ensemble members get the smaller roles. In fact this is an international phenomenon. To survive, the city theatre exchanges its artistic and political function for commercial interests. But if you stick with the ensemble despite the difficult situation facing city theatres, and this is something I experienced at the Thalia Theater in Hamburg, directors and actors have enough time and space to develop themselves – and thus the theatre itself, its language, its intelligence and its social resonance. Which is ultimately of greater artistic value than just staging an event. But everywhere you go – France, England, Italy – you see ensembles being dismantled. In Flanders, too, this is a big issue in the theatre world. Here, too, the idea of communal thinking and creating has been completely lost. This also reduces the social value of the theatre as an open space where you can call things by their names, without ideology or taboos, and in so doing prompt discussion in society. This potential is increasingly receding into the background, and that goes for

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What is important for the theatre? What kind of theatre does the city need? They don’t debate these things because there is no political interest, let alone trained expertise. On the one hand you have the cultural policy agenda, on the other the artistic development of the theatre. For this reason I would align the en­ tirely justified formula of “City Theater of the Future” with the artists’ theatre of the 21st cen­ tury. It’s a term that attempts to bring the best of 20th century theatre into the present. The en­ semble culture is, as we have already discussed, the first point, then the close connection with literature and finally the liberation of the actors, their conversion from cast performers to per­ sonalities on stage, which took place in the last third of the last century. You yourself became a writer in your German years. In drama especially, there has been something like a fusion of the functions of writer and dramaturge in conjunc­ tion with direction. I would see that as an ap­ proach for the artists’ theatre of today.

The facade of NTGent bears a banner with the inscription “The City Theater of the Future”. It’s a strong statement, but it still doesn’t say much about what is going on inside. I think having an inscription like that on the front of the theatre is very daring. It is a slogan that could also become a boomerang. Maybe it is pitched too high, a bit pretentious even. But this much should be clear: I am artist-in-residence here, that means I have committed to the theatre for three years and each year I will be producing a part of my trilogy “The Sorrows of Belgium” on the main stage. Otherwise I teach yoga and I will have a workshop for any actors in the theatre who are interested. For me it’s about getting to know actors you otherwise never meet. I cannot claim that this house represents one hundred percent what I believe about theatre. I have no decision-­ making position in the management, I am an engaged guest.

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Back in 2016 you developed the idea of an inter­ national theatre for the Flemish National Theatre in Brussels. The idea for Brussels was basically the same one that we’re trying to implement here: a multicultural ensemble. Although I always think, OK, multiculturalism is one thing, but it must not be limited to that. It has to go much further. Why are there no disabled actors? When I was programme director for acting at the Theaterakademie Ludwigsburg, I heard about a candidate with a disability who was rejected by the jury during the entrance exams on the grounds that he would never be able to play Hamlet or Faust. Which I thought was totally ridiculous … We have to make the stage representative of society. That doesn’t just mean people with different skin colour. In a way, the debate about the meaning of the city theatre is reduced to fashionable headlines. The most absurd thing I heard about the appointment of the new Artistic Director of the Münchner Kammerspiele was that it definitely had to be a woman. I can understand that in the current context, but why do politicians not formulate the question like: what is most important for the city?

THE IDEAL ACTOR, THE IDEAL ACTRESS IS SOMEONE WHO DOES NOT ACT, WHO IN FACT ALWAYS PROCEEDS FROM HIS OWN OPINION, HIS OWN ATTITUDE.

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Certainly. But there are two elements that are mutually exclusive. On the one hand you have the structure itself, which over the years grew out of a theatre that had to be representative of the middle class and ­satisfy its nostalgic attachment to old forms. Unfortunately the production structure that emerged from this is completely outdated. There is a need to see

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Germany as well. The main thing is survival rather than a political position. What we are trying to do here is to bring this attitude, and provocation, to the fore. And we do it with far more modest financial means than the German theatres where I have worked. That’s why we have to limit ourselves. To begin with we only work with guests, and then we see whether this grouping is likely to evolve into an ensemble in the long term.


classics on stage that exists to this day. Audiences would prefer to see “Hamlet” than read “Hamlet”. And they also want to see an interpretation that allows them to rediscover the work, experience new perspectives and thus change themselves and their own viewpoints. This need remains and it is completely legitimate. In that sense I do not agree with Milo when he says that the staging of a piece can only show twenty percent of the original, which is just as dogmatic as an approach that is faithful to the text. But the world has become much more democratised, we can all make our opinions known publicly, on the internet, in the newspaper, as comments. We are increasingly moving away from a world in which we are dictated to from on high. And it is in this direction that theatre has to develop as well, it has to be far more open to contradictions, rid itself of old patterns and ways of working. Not in the sense that the actors are replaced by other specialists – even if reality is constantly explained to us by specialists. Rather, you have to challenge the actors to specialise even more in certain topics, like we’re doing now with “Black”, where the actors are involved as writers, supported by scholars and dramaturges, dancers and musicians as well as video artists. It is much like the way the editorial side of a newspaper functions these days – linked to numerous sources. In that respect, I can see something in Milo’s philosophy. The problem remains the legacy of the outdated ­theatre structure; that there are more people working in the apparatus than on stage, which limits the freedom and mobility of the theatre from the outset. The will to change is there, but the structure creates its own laws. Of course you don’t want to get rid of anyone, but today you see art becoming more and more reduced, because actors are being dismissed while the whole administration is set like concrete. The non-artistic staff in German theatres have the same labour laws as workers in the car industry, who as we know are the best-protected workers in Germany. But that also means that the theatre structures in Germany survive at the expense of artists and their art. At Thalia I would often say, why don’t we do less, so that we at least have more time to rehearse longer and more intensively, with less stress and pressure. So we have time to engage with things. Time to invite guests to rehearsals now and then, to get specialists involved. But it wasn’t a feasible request because then there would be less revenue, and then you would have to get rid of artists, because you can’t just terminate non-artistic staff as easily. Then I realised that ultimately all I was doing was serving the system to maintain it. Where instead the system should be there

to serve the art and not vice versa. I found that very frustrating. For Germany there is the formula – these num­ bers are rounded – that in the past twenty years twenty percent of arts positions have disap­ peared, but at the same time there are twenty percent more productions and performances. A crisis of overproduction. Totally. And overload. That’s exactly what you feel and see everywhere. Many actors are completely worn out, they have no desire to rehearse at all. There is a lack of joy, of desire. Theatre work has become assembly line work. Terrible. Could you describe what you see as your ­perfect actor? Maybe even different types of this ideal? The ideal actor, the ideal actress, so here I mean both men and women, is someone who does not act (laughs), who in fact always proceeds from his own opinion, his own attitude. Every second he is on stage he is searching for his truth, his authenticity. This is not an actor who is there to serve, not at all. He is an actor who constantly questions himself, and not just on stage. That is the actor, the actress, I long for. The thing that probably distinguishes me fundamentally from other directors is that for me, the actor is not a communicator of ideas. An actor is a person. I’m intrigued and interested and moved by people, by actors, the emotional, energetic and spiritual connection with them, the intellectual exchange. So the actor needs to have personality, he is more than a marionette of my vision, because my vision, my inspiration is the people who stand before me on the rehearsal stage every day, and not the ideas that I have at home. If you think that these ideas are always expressed collectively, you’d be wrong. There is no collectivity, there is only the sum of individuals. I am concerned with the power of this individual. How has your role of director changed in this context? Early on I was much more concerned with implementing what I had in my mind. Now I explain my ­vision, my dreams, and wait to see how the actors ­respond. It is a way of working that came about at the Thalia, because there I had the luxury of many years of working with my own troupe. The Zola trilogy of “Love”, “Money” and “Hunger” was ultimately a highly intensive joint effort in which the narrative evolved out of the rehearsals. And if I notice it’s not working, I flip it over and start looking and spinning, until

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How important are dramaturges now? In the theatre of the past twenty to thirty years, we have witnessed the position of dramaturge more or less merging with that of the director. Castorf, for instance, began as a dramaturge and became a director later on, and barely uses dramaturges for his conceptual work. Depending on the working style, the dramaturgy is constantly in motion, constantly changing, written and erased, the author’s text is not an end in itself. The person speaking is the goal. In that sense, the dramaturge is also an ever-present partner, a team mate. But in my ideal world it would have to go much further, there would be public information activities in the rehearsals and talks with the participants, films, podcasts etc. This would open theatre up much more; it would promote discourse, engagement, a space with which you can identify emotionally and intellectually; so then you can bring in people, bring in the city, and they too can engage with us. In the ideal theatre of the future you wouldn’t have different departments any more. Sure, you need them to give structure to the theatre and to bring about what you want to do. But the engagement I would like to see has become far too small, far too narrow because of the pressure of work. Are your stage design partners team mates in this sense? All my years of working with Katrin Brack, Philip Bußmann and Annette Kurz have actually resulted in a kind of matter-of-factness. We no longer have to discuss whether we are searching for a space that suggests more than what you can see, a kind of projection surface. Spaces that liberate the imagination, but also spaces that are determined by the actors, by the people, physically, through language, through ideas. People are the epic centre of these spaces. Because I have been working with the same people for thirty years, we can give increasingly radical form to this way of thinking, from which we also derive greater enjoyment and strength. Ultimately this consistency is also a distinguish­ ing feature of the artists’ theatre. Absolutely, in the end I always start by putting aside everything I know and looking at what is emerging on the rehearsal stage, and working with it. But of course

to allow this not-knowing and uncertainty you also need a web of trust. And naturally you find that most often with colleagues who have been through a lot together over many years. You come to know the ­crises and phases you need to go through to achieve a certain result. For “Black” there are two actors with whom I had worked more than twenty years previously. They know that it takes this kind of procedure, this kind of searching and not-knowing, step by step, day by day. It may be that what we do today is no longer valid tomorrow. Do you need these confederates to influence others as well? A good football team has a balance of experience and youth. It’s the same in the theatre. At the Thalia Theater there was Barbara Nüsse, with whom I worked a lot, the most important actress for me because with her age and experience she was an example to the ensemble. She inspires and provokes the younger ­actors. Let’s talk about “Front”, one of the most impor­ tant productions of recent years. It contains many of the things that you continually empha­ sise as particularly desirable – multilingualism, singing, Annette Kurz’s stage design which was also an instrument for the percussionist Ferdi­ nand Försch, but also the elemental experience of an historical catastrophe. Was this a sort of pointer to the future? Absolutely, particularly because of my fascination for language in all its forms. I see language as a kind of music. Much more than an attempt to communicate rationally, language, just like body language, is an irrational, energetic search for understanding, and I am interested in this irrationality, in particular what drives it. For years it has been my ambition to develop a stage language with the actors, our own Esperanto. A language that would be alien to German ­audiences at first – that was something I observed back in 2002 with “L. King of Pain” at the Schauspiel Hannover. The linguistic amalgam of that play works very well in Belgium, and in Switzerland, two countries where multilingualism is part of everyday life. Within the German theatre tradition, the development of a kind of stage Esperanto comes up against certain limits. In the preparation for the opening production in Hamburg, “The Truth about the Kennedys”, the Managing Director said “I wouldn’t use an English title because the German audience will think it’s a guest performance.” That really shocked me. This is in a world

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somehow I get a sense that there might be quality there. So I work intuitively with failure. In thirty years of making theatre, my trust in intuition has become much stronger.


that is so networked through media, so “Americanised”. That made me realise what an ivory tower the city theatre is. I have had similar experi­ences at the Berlin Schaubühne, where I tried on ­several occasions to incorporate different German language styles and ­dialects into the plays, which was not exactly ent­hu­ siastically received by Schau­bühne audience. In Germany dialect is part of popular theatre, not of Peter Stein’s holy Schaubühne. I wanted to get rid of this compartmental thinking.

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FALLADA BROUGHT ME CLOSER TO GERMANY, BECAUSE THROUGH HIM I NOT ONLY DISCOVERED THE GERMAN SOUL, I ALSO RECOGNISED THE BELGIAN.

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Although the language standards on the German stage have really relaxed in the last two decades. It has changed, that’s true. Nevertheless, subscription audiences find it difficult to listen to an actor who ­really speaks little German, or almost none. I experienced this in “The Grapes of Wrath” in Hamburg, in which Bert Luppens performed, a Dutchman who spoke German with an accent. And, sure, the Dutch accent sounded funny at times. But then they see as an amateur on stage, someone who is not to really be taken seriously. With that I finally realised that my true dream of creating an international troupe with actors from Russia, China or wherever, of ­inventing a language with them and thus expressing a kind of utopia, was something you can’t do in a city theatre.

On the other hand, you have given the German theatre unforgettable literary adaptations. The novels of Hans Fallada, to name one major example. I was fascinated by Fallada because of his language, because he understands the fine art of immediately depicting a character with a few simple phrases, a few simple brush strokes. Because he gives his characters a typical sound, a typical rhythm. I don’t know many authors who have mastered this art. And then he tells stories that are very simple at first glance, but ultimately reveal a great complexity, something that I am always trying to do in theatre. Like Nō theatre, it’s about simple relationships that touch on something universal. Fallada’s characters have a depth and humour that you also find in Chekhov, because they are so contradictory, because they are so funny and horribly egotistical, so banal and recognisable. Fallada brought me closer to Germany, because through him I not only discovered the German soul, I also recognised the Belgian. This kind of cowardice with which he endows his characters is something you find every­where. They are very often people with big mouths, but when it comes down to it, they’re small. His language and his stories are very sensual, and this sensuality is indispensable for the stage. It’s something I really value in Castorf’s productions. They are always extremely sensual and extremely irritating. Just shamelessly sensual and provocative. A mixture of disgust and fascination, to borrow from the great Heiner Müller. They express the contradiction of life, love and hate at the same time, that’s what makes life beautiful and incomprehensible. I find this contra­ diction with Fallada as well – characters who are in search of truth but who lie to each another at the same time. That’s what makes humans human, charming swindlers. How did you discover Fallada? Many years ago I saw “Little Man, What Now?” by ­Peter Zadek. A production that ultimately only worked be­ cause Zadek and Tankred Dorst staged it as a revue. At the time, I was really only interested in it as a spectacle, I didn’t take note of the writer at all. Then many years later there was a moment when I thought: I am working in Germany now, but what connects me with the Germans? A friend advised me to read Fallada, and it immediately and intensively sparked my imagination. Actually I found his stories completely Belgian. They are all losers, there are no heroes in Fallada.

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Do these adaptations of great novels, some of them very radical, like “The Tin Drum” by Günter Grass and “The Grapes of Wrath” by John Stein­ beck, spring from a desire to move away from regular plays? It is my deep desire is to create the texts for my productions myself, to let them emerge in rehearsals. This is something you can achieve more easily with narrative literature. Theatre texts soon constrict because they often require a concrete situation, while ­ llows more freedom. I hardly read plays literature a any more, I find most plays boring, because most ­theatre texts are built on recognisable dramaturgical principles and follow a predictable course. Rarely do I find the contradictions and the complexity I find in novels. In September 2019 you will be staging Jon Fosse’s “Trilogy” as part of a Fosse Festival at Det Norske Teatret in Oslo. What fascinates me about Jon Fosse’s “Trilogy” is not just the language, which is highly musical, because it’s redundant language, no – the same story is told almost the same way three times, but from different angles. And through repetition and musicality, it becomes like a song, a mantra, a prayer. It is very close to musical theatre. This too is something I tend to find in novels rather than theatre texts.

What language is the stage version of Fosse’s “Trilogy”? In German, it had to be translated into Norwegian. For every novel adaptation you must always ask the question, from what angle, from which perspective are you telling the story? Perspective determines the concept, the idea, the goal. It was not so easy with Fosse because the novel occludes the narrator. Only at the end do you discover that it may be the grandchild who is now an old woman and reconstructing her family history. The text shows how we are compulsively susceptible to the repetition of certain patterns in our family history. Even if you are aware of the pattern you have very little influence over it. And the older you get, the more you become aware of these mechanisms and must accept them. This principle of repetition in all its facets is a phenomenon that preoccupies me more and more; the repetitive aspect of life, of energy, of thoughts, of emotions. You have also dealt with other facets of aging – with dementia in “L. King of Pain” and “Molière”, most recently with cancer in “Grace and Grit”. What is so interesting about these issues in the theatre that you address them so intensively, in the form of a single character for instance? What stories should we be telling nowadays? What are the topics that concern us? Of course there are the societal topics, like how Belgium deals with the Congo; it is high time that this country addressed that. But we also live in a society that is getting older. The fear of losing control, the fear of diseases such as cancer and depression are big issues that are barely addressed in theatre. There are so many taboo subjects in the field of ageing. The cancer theme of “Grace and Grit” was an attempt to address the disease and the fear of it in public, because ultimately it puts those affected by it on a siding, in complete isolation. After each performance, we always had a very lively discussion with the audience. As for the subject matter, you can essentially think of it in two different directions: what are we collectively appalled by, what is the collective anger or fear – and how can we transform that into a positive, creative force through theatre? How do we find collective strength in the pain of the individual? Through shared humour? Through grief? Or, to think about it from the other direction: what is it that we dare not talk about, and what should we disclose? I find shame to be an interesting topic. We pretend that we live in a society where everything can be expressed. On the internet you can see everything and participate in all sorts of things. Meanwhile, twelve-year-olds have smartphones

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Another writer whose novels you’ve presented in a cycle in the past was Émile Zola. How did that come about? When I am invited to work somewhere, like in Ghent now, my first question is always: what makes sense in this place, what connects me to this city? So I got an invitation from the Ruhrtriennale. I have a problem with “glossy” festivals like the Ruhrtriennale, because you’re really investing a lot of money just to offer the same old cultural elite something a bit different from their usual venues. For years my ambition has been a theatre for all, a popular theatre that is not dependent on subscribers, and which also attracts football fans. So my first consideration was, what could you do in the Ruhr region to reach the people who live there? In Zola it’s all about industrialisation in the 19th century and everything that came with it. I only knew Zola from “Germinal”, but when I read his Rougon-Macquart ­cycle I discovered that although his style seems very old-fashioned, his themes and characters are very modern at the same time. His novels show where the roots of present-day neoliberalism lie. Johan Simons wanted me to do it as a series in the three years of his directorship.


and watch porn and no longer know what normal sexuality is, they are totally confused about their physicality and what love actually means. There is so much fear in our so-called open culture. My nephew, who plays football and is 14 years old, showers in his underpants after training. In my time that would have been ridiculous. Meanwhile, however, shame has ­increased dramatically, along with the fear of being exposed on Facebook. Social media is ­making young people more prudish and fearful. Belgium suffers from a collective sense of shame, but we are too cowardly to admit it. Too cowardly to apologise. After twenty years of working in Germany I know since returning to this country what it is to be Belgian. But it is not just a Belgian phenomenon. In the Sixties, John F. Kennedy was a hero, but everyone knew that he had had an affair with Marilyn Monroe and was married to Jackie. Barack Obama or Trump would immediately be nailed to the cross today in the same case, they would be gone. And yet we continue to believe that we have become freer and wiser? The lie that is put forward to us as an example and that we ourselves maintain, is a very interesting topic. Selfdeception. As a result of your work as a director in Germany you also have become a kind of cultural psycho­ logist – or am I mistaken? You could be right. Germany confronted me with great structures and demanded responsibility. When you work as a guest, you analyse what is happening to you and around you. And you become a lot more aware of the mechanisms of the culture. Perhaps it’s the advantage of the outsider. Milo Rau on the other hand, as I discovered in his comments about his time in Belgium which has lasted a few years now, says that he values this creative dysfunctionality in Belgium. This is an interesting term. Valuing things that really do not work well. Luckily we have enough Thomas Bernhards in this country. We can laugh out loud over that quote because we feel the same way. It is not for nothing that Belgium was born after an opera performance.

I would not necessarily call that a creative dys­ functionality. Perhaps workers are not the ultimate criterion, but this laissez faire is something you find here on many levels. And of course, there is also something attractive about it, because a lot of things don’t work but in the end they work out, because they’re simply improvised. That’s Belgium. I can imagine that Milo would still find it funny. For now! And you? There is nothing you love and hate as much as your own home. I know it, I can get incredibly upset about it and laugh about it. It was a conscious choice for me to come back to this circus of dysfunctionality. Because I missed it somehow, the lightness, the levity. In the end, you work right through two nights and you get it done anyway. That would be impossible in Germany. In this sense you could make that one of your criteria in a programme for an artists’ theatre of the 21st century: creative dysfunctionality keeps things lively. In fact you have to be able to free yourself from the old structures, or to put it another way: old ballast. It was 27 years ago that our independent troupe took over the National Theater in Antwerp with “Ten Oorlog”, we completely shook up the old structure by transforming the vertical structure into a horizontal structure with fewer people. No more separate departments. With stage technicians who had multiple functions. This system fundamentally changed the Flemish scene. The pathways are shorter, the communication is more direct. And yes, I believe this artists’ theatre must be an adaptable, mobile apparatus that can adjust to the conditions of the moment. Which allows a certain Belgian anarchy, is capable of improvisation – that’s what you need.

Riots broke out in Brussels in 1830 after “La muette de Portici” by Daniel-François-Esprit Auber. Exactly. And an example of this non-functioning would be: I had my apartment renovated in Antwerp and I discovered that Belgian workers are worse than the Russians. Germany is blessed in that respect.

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, T A HEIM L L O S S A W ? N I E S S A D 19.20


ENTER the zone

VORSCHAU SPIELZEIT 2019/20 # 1000 TATENZUR ERINNERUNGSKULTUR

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BORIS CHARMATZ: 10.000 GESTEN #TANZ #GROSSEBÜHNE #INTERNATIONAL, URSINA TOSSI: WITCHES #HAMBURG #FEMINISMUS #TANZ, BÉNÉDICTE SAVOY: ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT: ZUR RESTITUTION AFRIKANISCHER KULTURGÜTER #POSTKOLONIALISMUS #VORTRAG, WE MOKHTALEFS #ARABQUEER #NORDAFRIKA #PERFORMATIVESMAGAZIN, TRAJAL HARRELL: MAGGIE THE CAT #VOGUING #INTERNATIONAL, JUSTIN SHOULDER: CARRION #QUEER #BILDGEWALTIG #ZUMERSTENMALAUFKAMPNAGEL

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20 Jahre FFT Spielzeit 2019/20

Mi 11. (Premiere) – Sa 14.9.

Claudia Bosse/theatercombinat thyestes brüder! kapital

Fr 20. (Premiere) + Sa 21.9.

Siegmar Zacharias

Training für politische Vorstellungskraft – Posthumane Solidaritäten

Mi 25. (Premiere) – Sa 28.9.

Jun Tsutsui / dracom / FFT Foto: „no apocalypse not now“ von Ariel Efraim Ashbel and friends © Alona Rodeh

Shakagaike – Der Buddha-Teich

Das FFT wird gefördert durch die Landeshauptstadt Düsseldorf und das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.

Mi 20. (Premiere) – Sa 23.11. Cooperativa Maura Morales Francesca

Fr 29. + Sa 30.11.

Helena Waldmann

Der Eindringling – eine Autopsie

Fr 6. + Sa 7.12.

Ariel Efraim Ashbel and friends no apocalypse not now

Fr 17. + Sa 18.1.

Henrike Iglesias Fressen

Mi 22. – Sa 25.1.

AGORA Theater

Die drei Leben der Antigone von Slavoy Žižek

Mi 29.1. (Premiere) – Sa 1.2.

half past selber schuld The Last Mortal

Ein transhumanistischer Bühnencomic

fft-duesseldorf.de


Körpertreffer

Eine Produktion in Zusammenarbeit mit der CocoonDance Company (Gefördert im Fonds Doppelpass)

Othello

Tragödie von William Shakespeare

Ödipus, Tyrann

Heiner Müller nach Friedrich Hölderlin nach Sophokles

Leonce und Lena

Lustspiel von Georg Büchner

Der Räuber Hotzenplotz

Eine Räubergeschichte nach Otfried Preußler

Amy4Eva (UA)

Auftragswerk von Dirk Laucke

Billy Backe

Live-Hörspiel nach Markus Orths

Die 39 Stufen

Kriminalkomödie von John Buchan und Alfred Hitchcock

Drei Schwestern

Drama von Anton Tschechow

Der gute Mensch von Sezuan Theaterstück von Bertolt Brecht

Protect me from what I want

Digital Lecture Performance von Marina Miller-Dessau und Arne Vogelgesang

Ich schaue dich an (Je te regarde) von Alexandra Badea

STAAT STHEATER-DARMSTADT.DE


PREMIEREN

SCHAUSPIEL RICHARD  III. / Schauspiel von William Shakespeare / Neuübersetzung und Fassung von Juri Sternburg / Inszenierung: Angelika Zacek 14.09.2019 / Großes Haus

DAS LAND DAZWISCHEN TEIL 2: LOOKING FOR FREEDOM / Ein Rechercheprojekt im Rahmen von „Das Land dazwischen“ / Gefördert im Fond Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes / Uraufführung / Inszenierung: Dorothea Schroeder 03.10.2019 / Ateliertheater DAS KUNSTSEIDENE MÄDCHEN / Nach dem Roman von Irmgard Keun / Inszenierung: Olaf Strieb 12.10.2019 / Kleine Komödie Warnemünde KÖNIG ÖDIPUS / Tragödie von Sophokles / Koproduktion mit der hmt Rostock / Inszenierung: León S. Langhoff 19.10.2019 / Ateliertheater ANDORRA / Drama von Max Frisch / Koproduktion mit der hmt Rostock / Inszenierung: Stephan Thiel 26.10.2019 / Ateliertheater BRÜDERCHEN UND SCHWESTERCHEN / Weihnachtsmärchen nach den Gebrüdern Grimm / Ab 4 Jahren / Text & Inszenierung: Peter Dehler 16.11.2019 / Großes Haus QUALITYLAND / Von Marc-Uwe Kling / Szenisch eingerichtete Lesung 17.11.2019 / Ateliertheater DER NACKTE WAHNSINN / Komödie von Michael Frayn / Inszenierung: Andreas Merz-Raykov 11.01.2020 / Großes Haus OLEANNA / Schauspiel von David Mamet 14.03.2020 / Ateliertheater CABARET / Musical von John Kander, Fred Ebb und Joe Masteroff / Inszenierung: Amina Gusner 25.04.2020 / Großes Haus MUSIK- UND TANZTHEATER LA TRAVIATA / Oper von Giuseppe Verdi / Inszenierung: Magdalena Fuchsberger 05.10.2019 / Großes Haus DER GARTEN DER LÜSTE / Hieronymus Bosch / Tanztheater von Katja Taranu und Hung-Wen Mischnick / Uraufführung 02.11.2019 / Großes Haus HEXE HILLARY GEHT IN DIE OPER / Kinderstück mit Musik von Peter Lund / Ab 6 Jahren / Inszenierung: Anja Nicklich 08.12.2019 / Ateliertheater WEIHNACHTSSINGEN / Gemeinschaftsproduktion von F.C. Hansa Rostock und Volkstheater Rostock / 22.12.2019 / Ostseestadion LIFE LETTERS / Tanztheater / Uraufführung / Inszenierung & Choreografie: Tänzerinnen und Tänzer der Tanzcompagnie 18.01.2020 / Ateliertheater DER VETTER AUS DINGSDA / Operette von Eduard Künneke / Inszenierung: Dominik Wilgenbus 01.02.2020 / Großes Haus EUGEN ONEGIN / Oper von Peter Tschaikowsky / Inszenierung: Anja Nicklich 28.03.2020 / Großes Haus

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SCHAM UND AMBIVALENZ Luk Perceval über die Kernfragen seiner Amsterdamer Inszenierung von J. M. Coetzees Roman „Schande“ im Gespräch mit Thomas Irmer

Luk Perceval, wie sind Sie 2011 auf die Idee ge­ kommen, den Roman „Schande“ von J. M. Coetzee auf die Bühne der Toneelgroep Amsterdam zu bringen? Ich kannte Coetzee natürlich als Nobelpreisträger, hatte aber ehrlich gesagt noch nichts von ihm gelesen. Dann schlug mir der Dramaturg Peter Van Kraaij von der Toneelgroep Amsterdam „Schande“ vor. Ich habe den Roman wie gebannt in einem Zug gelesen, denn er ist mehr als bewegend. Ich hatte sofort eine Vorstellung von der theatralen Umsetzung, weil er sehr filmisch geschrieben ist. Nicht nur von der Dramaturgie her, sondern in seiner Erfassung großer Konflikte mit doch eigentlich alltäglichen Figuren. Für mich ist der Roman wie Faust in Südafrika. Ich konnte mich des­ halb sehr schnell dafür entscheiden, aber Coetzee hatte bis dahin keine Dramatisierung zugelassen. Wir waren also nicht die Ersten mit dieser Idee und haben zunächst, zusammen mit dem Schau­spieler Josse De Pauw, der sich für dieses Projekt sehr ein­ gesetzt hat, eine Arbeitsfassung geschrieben, vor ­allem mit dem Anspruch, eine Bühnensprache zu

­ nden, die die ­beschreibende Literatur in eine durch fi ­Figuren erfahrbare Sprache verwandelt. Coetzee hat dann diese Bearbeitung gelesen, und sein Okay kam sehr schnell. Die Mehrschichtigkeit von Coetzees scheinbar einfachem Stil muss doch eine besondere Heraus­forderung gewesen sein. Mich überrascht nicht, dass er über Becketts Prosa promoviert hat – er hat auch bei diesem großen Meister ­ge­lernt. Ich musste auch an Jon Fosse denken. Beides Schriftsteller, die in ihrer Literatur mit einer bestimmten ­Sach­lichkeit große innerliche Turbulenzen der Figuren beschreiben. Es ging aber grundsätzlich um die Frage, in welchem theatralen Rahmen das Buch überhaupt auf die Bühne zu bringen sei, sodass sein großes ­Potenzial dabei erhalten bleibt. Für mich war die ­Anhörung von David Lurie vor der Universitätskommission die konkrete theatrale Situation, um erstmal einen roten Faden zu finden und einen Rahmen zu setzen. Diese Anhörung am Ende des ersten Teils ballt

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Sein Handeln ist für ihn eine Routine-Verfüh­ rung, nicht wirklich eine Vergewaltigung. Es ist aber ganz klar ein Missbrauch, und zwar aus seiner gesellschaftlichen Machtposition heraus. Und das weiß Lurie auch selbst. Bei seiner Tochter würde er den Täter aber sogar dafür umbringen. Diese Paradoxien finde ich total faszinierend, weil es letztlich um die Frage geht, welches Menschenbild man empfindet. Coetzee verstärkt das noch, indem er Lurie als dann ehemaligen Professor in einem Institut für die Tötung von streunenden Hunden ankommen lässt, wo er diesen Hunden einen „menschlicheren“ Tod verschaffen will. Der sieht dann so aus, dass er den schon toten Hunden das Zerstückeln vor der Verbrennungsanlage ersparen will. Coetzee zieht hier eine Parallele zwischen Mensch und Tier, denn er zeigt auch, wie das Tier für seine Triebhaftigkeit bestraft wird und darunter leiden muss. Die Grenzen zwischen Mensch und Tier fangen an, sich aufzulösen. Wir sind einerseits Teil dieser Triebhaftigkeit, andererseits mo­ ralische Menschen – das ist ein großes Thema voller Ambivalenz. Dieser Widerspruch ist genauso unbeantwortbar wie der in „Hamlet“, und deshalb ist Coetzees Buch einem klassischen Theaterstoff vergleichbar. Das ist ja einer der Gründe, warum wir ins Theater gehen: um auf diese Fragen zu stoßen, für die es keine Antwort gibt. Die Geschichte ist ganz konkret, wurde aber auch als Allegorie Südafrikas nach der Apartheid gelesen. Man kommt dabei um diesen Begriff der Ambivalenz tatsächlich nicht herum – alles kann aus unterschiedlichen moralischen Blickwinkeln betrachtet werden, je nachdem, welches Gewicht man der historischen Schande und den Wider­ sprüchlichkeiten der neuen Ordnung zumisst. Oder gibt es doch eindeutige Antworten? Gibt es

in dieser Geschichte so etwas wie Sühne, auch wenn Lurie diese selbst gar nicht empfindet? Das ist die Frage. In Publikumsgesprächen meinten einige Zuschauer, sie sähen ihn geläutert. Ich bin damit nicht ganz einverstanden. Denn wenn wir uns Lurie am Ende anschauen, dann kann er aus all den Verlusten keine neue Kraft oder einen Glauben, keine neue Freude am Leben schöpfen. Im Gegenteil, er behauptet, das Leben sei ein Verlustprozess. Ganz nüchtern und realistisch: Der Hund, der jetzt stirbt, bin ich. Jedes Mal. Mehr erwartet er vom Leben nicht mehr. Er ist voller Enttäuschung und Bitterkeit. Auch sein Projekt einer Byron-Oper kann er nicht zu Ende bringen, eine weitere Erzählung des Scheiterns. Dieser romantische Stoff ist seine große Passion, aber gleichzeitig fragt er sich: Wer braucht das? Wer wartet darauf? Er verlacht sein romantisches Streben nach etwas Großem und Unsterblichem. Dies hat wiederum eine Entsprechung darin, dass er auch in der körper­ lichen Liebe nichts mehr empfindet. Wenn er mit seiner Kollegin in der Hundestation schläft, empfindet er das nur noch als ein Sich-gegenseitig-Helfen. Zu diesem Zeitpunkt hat er weder Mitleid mit anderen noch mit sich selbst, er bittet auch andere für sich nicht darum. Er lebt isoliert von allem und allen, getrennt auch von der Wirklichkeit. Und letztlich getrennt vom Leben, für das man schließlich auch ein paar Illusionen haben muss. Für ihn aber wird nur noch der Tod kommen. Die Ironie ist, dass dieser Mann Kommunikations­ wissenschaftler war, was er aber auch nur des­ halb wurde, weil an der Universität die Abteilung für Literatur zusammengestrichen wurde. Das wird nur beiläufig erwähnt, ist aber wie so vieles in Coetzees Roman von großer Relevanz für diesen Umsturz der Werte, den Lurie auf seinem Weg erfährt. Ein wichtiges Stichwort für Lurie ist außerdem Scham. Damit haben wir uns sehr viel beschäftigt. Vor der Kommission bekennt er sich schuldig, aber dann soll er die Details preisgeben, was er verweigert: Das geht euch gar nichts an! Er hat ja das Gefühl, eine Art Sün­ denbock zu sein für das, was viele andere auch gern tun würden, oder wovon sie zumindest träumen. Deswegen steht er bei uns auf der Bühne und schildert aus einer Art Wut heraus dem Publikum detailliert seine Sexualität, was die ihn kostet und so weiter. Als Provokation, denn auch er würde nie so darüber reden. Aber hier auf der Bühne vor Publikum denkt er: Das möchtest du doch hören, nicht wahr?

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LUK PERCEVAL

ja die Geschichte zusammen, ohne dass dabei eine ganz eindeutige Darstellung des zuvor Geschehenen entsteht – das ist wirklich dramatisch und setzt die beiden großen Themen frei: Gewalt und Doppelmoral. Lurie ist ja zunächst durch seine Stellung und auch seinen Titel als Professor geschützt. Er glaubt, unangreifbar zu sein. So verhält er sich jedenfalls vor dieser Kommission. Er geht davon aus, seinen Status selbst dann geltend machen zu können, wenn er nachweislich eine Studentin gezwungen hat, mit ihm zu schla­ fen. Wenn das Gleiche später seiner Tochter passiert, wenn auch in einem viel drastischeren Akt der Vergewaltigung, ist das für ihn natürlich etwas anderes – und dieser Frage in ihren bedeutungsvollen Nuancen muss sich auch im Theater jeder Zuschauer stellen.


Das wäre eher der Aspekt von bühnenwirksamer Schamlosigkeit. Wo ist in ihm dabei Scham im Spiel? Ihm ist ja bewusst, dass er mit dieser jungen Studentin, Melanie, zu weit geht. Er kämpft da mit seiner eigenen Triebhaftigkeit, denkt, das muss endlich aufhören, bis zur Idee der freiwilligen Kastration. Das ist Scham. Deshalb hat er ja Unterlagen gefälscht, um zu vertuschen. Er wollte nicht ertappt werden. Evozierte die Aufführung in Amsterdam auch Scham seitens der Zuschauer, als Nachfahren holländischer Kolonialherren? Coetzee ist in Holland sehr präsent, auch, weil er holländische Wurzeln hat. Er steht dort für eine offene Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit und gegen die calvinistische Verdrängung. Da spielt er eine sehr wichtige Rolle. Für die Auf­führung war aber noch von Bedeutung, dass drei schwarze Schauspieler dabei waren und ich diese dann bat, ihre Texte in Afrikaans zu sprechen. Die Weißen sprechen also das Niederländisch von heute, die Schwarzen das Holländisch der Kolonialzeit, was natürlich gar nicht deren Sprache war. Sodass der holländische Zuschauer sich durch diese Sprach­varianten in einer direkten Beziehung zu dieser Geschichte befindet. Mit dem Teil seiner eigenen Geschichte darin, die ansonsten ­natürlich einigermaßen abstrakt bliebe. Bei unserem Gastspiel in Deutschland konnte das leider nicht wahr­genommen werden. Es ist in etwa so, als ob das Deutsch des 19. Jahrhunderts auf die Sprache der Gegenwart trifft, aber mit noch viel deutlicheren ­Konnotationen, was dieses ältere, in Südafrika bis heute gesprochene Afrikaans historisch in diesem Kontext bedeutet.

Es gibt eine Theaterszene in dem Roman. Mela­ nie scheint beim Spielen einer Rolle ihr Selbst­ bewusstsein zurückzugewinnen oder vielleicht erstmals zu erlangen. Hat Sie das interessiert? Coetzee zeigt das doch in einem scharfen Kontrast, der eigentlich deutlich nahelegt, in was für einer eskapistischen Hilflosigkeit sich dieses Theater gegenüber den Problemen der Gesellschaft befindet. Luries Haus wurde geplündert, er ist weiter auf seinem Weg nach unten, aber Melanie spielt nun in einer Boulevardkomödie, in der es um einen Friseursalon geht. Die Theaterszene gehört für mich zu Luries Albtraum, bevor er in die Hundestation zurückkehrt. Er gehört nicht mehr zu dieser ihm vertrauten Kultur der städti­ schen Vergnügungen. Aber wohin er nun gehört, vermögen wir nicht zu sagen. Wie hat sich die Inszenierung in der Version, die Sie 2013 an den Münchner Kammerspielen herausbrachten, verändert? Was genau wurde durch den deutschen Kontext der Aufführung anders? Der ganze Zusammenhang zwischen Sprache und kolonialer Vergangenheit konnte in der Münchner Version nicht zur Geltung kommen, weil es in Deutsch­ land dafür kein Äquivalent gibt. Die Sprache der Kolonialisierten ist in Deutschland nicht präsent. Ande­rer­ seits weiß jeder deutsche Zuschauer, welche Folgen das eigene Superioritätsdenken haben kann, nicht nur in Afrika. In dem Sinne wurde auch das Münchner Publikum durch den Stoff und sein Thema aufgewühlt.

Wie wurde das aufgenommen? Publikum und Presse haben die Inszenierung sehr positiv aufgenommen, weil sie, glaube ich, noch einen anderen, aktuellen Diskurs berührt: Heute sind viele überzeugt, man engagiert sich in Afrika allgemein, um zu helfen, aber man geht immer noch da hin, um zu herrschen. Wenn man nicht herrschen kann, kann es nämlich auch gefährlich werden. In diesem Verständnis geht die Sache natürlich über Südafrika hinaus und dehnt sich beinahe auf den ganzen Kontinent aus. Das Gewaltpotenzial speziell in Südafrika ist deshalb so groß, weil die politischen Verhältnisse zwar radikal verkehrt wurden, sich im Alltag aber viele soziale Ge­ pflogenheiten fortsetzen: In den Shopping Malls sieht man viel schwarzes Servicepersonal für überwiegend weiße Konsumenten. Als ich das Mitte der neunziger Jahre dort gesehen habe, da empfand ich Scham.

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SHAME AND AMBIGUITY

Luk Perceval, how did you come up with the idea of bringing J. M. Coetzee’s novel “Disgrace” to the stage at Toneelgroep Amsterdam in 2011? Naturally I knew him as a Nobel laureate, but to be honest I hadn’t read anything by him. Then Peter Van Kraaij, the dramaturge at Toneelgroep Amsterdam, suggested I try “Disgrace”. I read the novel in a trance, because it is more than moving. I immediately had an idea for a theatrical adaptation, because it is written in a very cinematic way. Not just the dramaturgy, but in the way it captures major conflicts through characters who are in fact quite ordinary. For me this novel is a sort of Faust in South Africa. So I decided on it very quickly, but Coetzee had never given his permission for a dramatisation before. We were not the first to come up with the idea and so, together with the actor Josse de Pauw, who was very committed to this project, we started writing a working version, with the primary aim of coming up with a stage language that transforms descriptive literature into language experienced by the characters. Coetzee then read this adaptation and very quickly gave his OK. The multi-faceted nature of Coetzee’s decep­ tively simple style must have been a particular challenge. It doesn’t surprise me that he did a doctorate on Beckett’s prose – he too learned from the great master. It also reminded me of Jon Fosse. Both are writers whose work depicts the great inner turbulence of their characters with a certain objectivity. But it was basically a question of finding the theatrical frame in which we could bring the book to the stage in a way

that preserves its great potential. For me, David Lurie’s hearing before the university commission was the concrete theatrical situation that allowed us to find a through line and establish a framework. This hearing at the end of the first act concentrates the story without providing a particularly clear account of what came before – so it is truly dramatic and it unleashes the two great themes: violence and double standards. Lurie is initially protected by his position and his title of professor. He believes he is unassailable. In any case that’s how he conducts himself before the commission. He expects to assert his status even if it is proven that he forced a student to sleep with him. When the same thing happens to his daughter later, albeit in a much more drastic act of rape, he of course sees it as something different – and this question, in its meaningful nuances, is something every audience member has to confront. For him his actions constitute a routine seduc­ tion, not rape. But it is clearly an abuse, and one derived from his social position of power. And Lurie knows that, too. With his daughter, he would kill the culprit for it. I find these paradoxes totally fascinating, because it is ultimately a question of which conception of humanity you perceive. Coetzee reinforces this by having Lurie, now a former professor, arriving at an animal shelter where dogs are put down, where he wants to give the dogs a more “humane” death. This takes the form of him sparing the dogs, who are already dead, from ­being dismembered before they’re incinerated. Here Coetzee is drawing a parallel between humans and

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LUK PERCEVAL

Luk Perceval talks to Thomas Irmer about the core issues in his Amsterdam stage adaptation of J. M. Coetzee’s novel “Disgrace”


animals, because he also shows how the animal is punished, how it suffers for its instincts. The boundaries between humans and animals begin to dissolve. On the one hand this instinct is ours as well, on the other we are moral people – that is a major theme full of ambiguity. This contradiction is just as unanswerable as the one in “Hamlet” and that is why you can compare Coetzee’s book to classical theatre. That’s really one of the reasons we go to the theatre: to encounter these questions for which there is no answer.

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COETZEE IS VERY PRESENT IN HOLLAND, PARTLY ­BECAUSE HE HAS DUTCH ROOTS. THERE HE REPRESENTS OPEN CONFRONTATION WITH THE PAST.

He does not expect any more from life. He is full of disappointment and bitterness. And he is unable to complete his project of a By­ ron opera, another story of failure. This Romantic material is his great passion, but at the same time he wonders – who needs it? Who is waiting for it? He laughs at his own Romantic pursuit of something great and immortal. This in turn finds its parallel in the fact that he is no longer able to feel any­thing from physical love. When he sleeps with his colleague in the animal shelter, he perceives it only as mutual help. At this point he feels no sympathy for others or for himself, nor does he solicit it from others. He lives isolated from everything and everyone, isolated from reality, even. And finally separated from life, for which you ultimately need to have a few illusions. But only death awaits him. The irony is that this man was a communica­ tions lecturer, but only because the university’s department of literature was cut. This is men­ tioned only in passing, but like so much in Coetzee’s novel is of great relevance to the c­ollapse of values that Lurie experiences along his journey.

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The story is highly concrete, but it was read as an allegory for post-Apartheid South Africa. But you really can’t get around this concept of ambi­ guity – everything can be viewed from different moral perspectives, depending on the weight you give to historical disgrace and the contra­ dictions of the new order. Or are there actually unambiguous answers? Is there something like atonement in this story, even if Lurie does not feel it himself? That is the question. In discussions afterward, some members of the audience said they saw him as purified. I do not entirely agree with that. Because when you see Lurie at the end, he cannot draw renewed power or renewed faith from all the loss, he cannot generate any new joy in life. On the contrary, he claims that life is a process of loss. Highly sober and realistic – this dog that is dying now is me. Every time.

An important keyword for Lurie is shame. This is something with which we were highly preoccupied. He pleads guilty to the commission, but when he is meant to disclose the details he refuses; this is none of your business! He has the feeling that he is a scapegoat for what many others would like to do, or which they at least dream about. That’s why in our production he stands there on stage compelled by a kind of rage and describes details of his sexuality to the audience, what it cost him and so on. It’s a provocation, because he would never talk about it like that. But now the situation on stage is turned around to the audience – that’s what you want to hear, right? That is an aspect of stage-worthy shameless­ ness. Where does shame come into it for him? He is aware that he has gone too far with this young student, Melanie. He is struggling with his own instinct; he knows he really has to put a stop to it, he even contemplates voluntary castration. That is shame. That’s why he fakes documents to cover it up. He does not want to be caught.

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Did the production in Amsterdam evoke shame on the part of the audience, as descendants of Dutch colonialists?


How was it received? The audience and the press were very positive because, I believe, it touches on another, current ­discourse; today, many people are convinced that getting involved in Africa generally benefits the continent, but they still go there to rule. If you cannot rule, things can get dangerous. From that perspective, of course, it reaches beyond South Africa and extends almost to the whole continent. That’s why the potential for violence is particularly great in South Africa, because while the political conditions have radicalised, they maintain many of the same social practices in everyday life. In the shopping malls you see a lot of black service personnel for a predominantly white clientele. When I witnessed that in the mid-nineties, I felt shame.

There is a theatre scene in the novel. In playing a part Melanie seems to regain her self-confi­ dence, or maybe she gains it for the first time. Did that interest you too? But Coetzee depicts that in sharp contrast which actually flatly suggests the kind of escapist helplessness with which theatre confronts the problems of society. Lurie’s house is looted, he’s still on his downward ­trajectory, but Melanie is now in a popular comedy about a hair salon. For me, the theatre scene is part of Lurie’s nightmare before he returns to the animal shelter. He is no longer a part of this familiar culture of urban pleasures. But we cannot say where he belongs now. How did the production change in the version you staged in Munich at the Münchner Kammer­ spiele in 2013? What was actually different about the production because of the German context? That whole link between language and the colonial past was something we couldn’t bring to bear in the Munich version, because there is no equivalent in Germany. The language of the colonised is not present in Germany. On the other hand, every German audience knows where notions of superiority can potentially lead, and not just in Africa. In that sense, the Munich audience was just as shaken by the material and its subject matter.

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LUK PERCEVAL

Coetzee is very present in Holland, partly because he has Dutch roots. There he represents open confrontation with this past as opposed to Calvinist repression. He plays a very important part there. But for the production it was also important that we cast three actors of colour and I then got them to say their lines in Afrikaans. The whites speak the Dutch of today, the blacks the Dutch of the colonial age, which of course was not their language at all. So the Dutch audience enters into a direct relationship with the narrative through these linguistic variants. With part of their own story as well, which of course would otherwise remain somewhat abstract. Unfortunately, this was something audiences couldn’t really pick up on in our guest performances in Germany. It is more or less like nineteenth-century German meeting the language of the present, but with much clearer connotations of what this older language, Afrikaans, which is spoken in South Africa to this day, means historically in this context.


PREMIEREN 2019/20 Schauspiel DIE MENSCHENFABRIK (UA) 6.9.2019, Nach Oskar Panizza IKI.RADIKALMENSCH (UA) 6.9.2019, Kevin Rittberger NYOTAIMORI (DSE) 6.9.2019, Sarah Berthiaume KAFKA (UA) 26.10.2019, Nach Franz Kafka

DIE NACHT VON LISSABON 15.3.2020, Erich Maria Remarque

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG 18.4.2020, Richard Wagner

KonzertHighlights

EINIGE NACHRICHTEN AN DAS ALL 8.5.2020, Wolfram Lotz

GALATHEA 6.6.2020, Walter Braunfels

BAROCKE KLANGPRACHT 21.10.2019 Solist Andreas Scholl

VOR SONNENAUFGANG 9.5.2020 Nach Gerhart Hauptmann, von Ewald Palmetshofer

Musiktheater FALSTAFF 28.9.2019, Giuseppe Verdi

DIE MITWISSER 7.12.2019, Philipp Löhle

EINE NACHT IN VENEDIG 30.11.2019, Johann Strauß

DIE ZOFEN 25.1.2020, Jean Genet

LA CENERENTOLA 18.1.2020, Gioachino Rossini

ROMEO UND JULIA 1.2.2020, William Shakespeare

DIE COMEDIAN HARMONISTS – JETZT ODER NIE 29.2.2020 Gottfried Greiffenhagen

WILLKOMMEN 14.3.2020, Lutz Hübner, Sarah Nemitz

Musiktheater für Kinder GOLD! 6 7.3.2020, Leonard Evers

Tanz GEISTER (UA) 9.11.2019, Mauro de Candia, Ben J. Riepe GISELLE (UA) 15.2.2020, Mauro de Candia OPEN WINDOWS VIII (UA) 4.4.2020 Junge Choreograf*innen SIDE BY SIDE (UA) 23.5.2020, Ma Bo, Mauro de Candia, Kooperation mit BeijingDance/LDTX

JUBILÄUMSKONZERT 16.12.2019 Solisten Klaus Florian Vogt, Bosse Vogt SCHICKSALSKLÄNGE 10./11.5.2020 Solist Frank Peter Zimmermann

OSKAR – Junges Theater LINUS IN DER STUFENWELT (UA) 10 6.9.2019, Anne-Laure Bondoux ASCHENPUTTEL 6 13.10.2019, Susanne Lütje, Corinna Schildt, nach den Gebrüdern Grimm ANDERSONS MÜLLFAHRT (UA) 8 23.2.2020, Annalena Küspert DER TALENTIERTE MR. RIPLEY 14 19.4.2020, Patricia Highsmith

Karten 0541/76 000 76 | www.theater-osnabrueck.de

Gestaltung: KLARTEXT grafikbüro

MENSCH


Das Reich der Tiere von Roland Schimmelpfennig Regie: Thorsten Bihegue Ab 05.10.2019

Familien gegen Nazis (UA) von Laurence Young Regie: Laura N. Junghanns Ab 06.10.2019

PLAY Abriss einer Reise (UA) von Kay Voges & Ensemble Regie: Kay Voges Ab 11.10.2019

Die Dämonen nach Fjodor Dostojewski Regie: Sascha Hawemann Ab 29.11.2019

Der Widersacher nach Emmanuel Carrère Regie: Ed. Hauswirth Ab 01.12.2019

Konstellationen von Nick Payne Regie: Péter Sanyó Ab 31.01.2020

Hexenjagd von Arthur Miller Regie: Marcus Lobbes Ab 01.02.2020

Lolita (R)evolution (Rufschädigendst) – Ihr Alle seid die Lolita Eurer Selbst! (UA) von Jonathan Meese Regie: Jonathan Meese Ab 15.02.2020

you give me fiverr (UA) von Anne-Kathrin Schulz und Roman Senkl Regie: Kay Voges Ab 16.02.2020

Die Kassierer und Die Drei von der Punkstelle (UA) von Andreas Beck und Thorsten Bihegue Regie: Andreas Beck und Thorsten Bihegue Ab 07.03.2020

Showdown Die Dortmunder Dekaden-Festspiele Das große Finale zum Abschluss: neue Inszenierungen, szenische Lesungen, Konzerte, Parties, Performances und vieles mehr! Ab Frühjahr 2020

Voll normal und einzigartig Ein Stück der Theaterpartisanen Ab 14.03.2020

Festival

Inbetween Theater zwischen Vorstellung und Ausstellung 03.-05.04.2020

Shell Game – Lost in Paranoialand Ein Gesellschaftsspiel von Anna Kpok frei nach der gleichnamigen Kurzgeschichte von Philip K. Dick Ab Frühjahr 2020

Anlässlich des 30. Jahrestages des Mauerfalls

Helden wie wir Solo von und mit Andreas Beck nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Brussig Ab 09.11.2019

www.facebook.com/schauspieldortmund

www.youtube.com/schauspieldortmund www.twitter.com/schauspieldo TICKETS: 0231 /50-27222


EUROPOLIS 1 → Früher war alles besser

EUROPOLIS 2

SAG MIR, WO DU STEHST

EUROPOLIS 3 → WIR BETRETEN FEUERTRUNKEN

Die Schauspielpremieren 2019/20

DIE HAMLETMASCHINE Müller Regie: Annett Kruschke 11.10.2019

HAMLET

Ibsen Regie: Reinhard Göber 12.10.2019

WEISES KANINCHEN, ROTES KANINCHEN Soleimanpour 16.10.2019

URAUFFÜHRUNG

DR. DOLITTLE [4+]

Böhling nach Hugh Lofting Regie: Dirk Böhling 20.11.2019

RICO, OSKAR UND DIE TIEFERSCHATTEN [9+] Steinhöfel Regie: Finja Jens 24.11.2019

MONTY PYTHON’S SPAMALOT Prez / Idle Regie: Peter Rein 7.12.2019

ANGST — DER FEIND IN MEINEM HAUS

S. Löschner nach Dirk Kurbjuweit Regie: Sascha Löschner 19.3.2020 DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG

DAS ABENDLAND Jakobsen Regie: Dirk Löschner 21.3.2020

www.theater-vorpommern.de

NORA

Ibsen Regie: Reinhard Göber 28.3.2020

DIE WELLE [13+]

Tritt nach Morton Rhue und Ron Jones Regie: Sabine Kuhnert 24.4.2020

DIE WIEDERVEREINIGUNG DER BEIDEN KOREAS

Pommerat Regie: Oliver Scheer 30.4.2020

BOOKING ODER THEATERSPORT MACHT URLAUB

Kreckel / Wolf Regie: Susanne Kreckel und Michael Wolf 7.5.2020


THEATER DER JUNGEN WELT LEIPZIG

ROBINSON & CRUSOE [10 plus] Von Nino d’Introna und Giacomo Ravicchio

DIE GEISELNAHME [15 plus] Von Barrie Keeffe

PSST! [5 plus] Eine choreographische Stückentwicklung für Kinder | Von Leonie Graf | Uraufführung

BERGKRISTALL – ZWISCHEN DEN FELSEN [6 plus] Von Theo Fransz nach Adalbert Stifter | Uraufführung

OH, WIE SCHÖN IST PANAMA [4 plus] Puppentheater von Janosch | In einer Bearbeitung von Alexander Kratzer

LIEBE GRÜSSE … ODER WOHIN DAS LEBEN FÄLLT [8 plus] Von Theo Fransz | Deutsche Erstaufführung

MAN WIRD DOCH WOHL MAL WÜTEND WERDEN DÜRFEN [5 plus] Puppentheater nach dem Kinderbuch von Toon Tellegen und Marc Boutavant

M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER [15 plus] Nach dem gleichnamigen Film von Fritz Lang | In einer Bearbeitung von Winnie Karnofka

AUF SIEBEN BRÜCKEN [Abend] Open-Air Sommertheater im Leipziger Westen | Im Rahmen des Jahres der Industriekultur | Nach einer Idee von Jürgen Zielinski

www.tdjw.de


MITSTREI COLLAB


TER ORATORS


DIE EROBERUNG DES RAUMES von Annette Kurz

In meiner Arbeit, in der die Bedeutung des Raumes erst durch seine Eroberung entsteht, gilt das Credo: L’espace est la conquête de l’espace (Der Raum ist die Eroberung des Raumes). Die Komplizenschaft mit dem Regisseur ist dabei alles. Und Luk ist ein großartiger Komplize, wenn es um die Eroberung des Raumes geht. Mit seiner Erfahrung als Regisseur und Mittelfeldspieler im Fußball erkennt er die Möglichkeiten, die Räume innerhalb des Raums. Mit Überblick und Instinkt „verteilt er die Bälle“. Um das auszuloten, ist er überall. Vor, auf, hinter der Bühne. Er wechselt ständig die Position und Perspektive, blickt von innen, außen, vorn, hinten auf das sich Entwickelnde. Wie eine Art Fährmann geleitet er die Schauspieler durch den Raum, eröffnet Möglichkeiten, wie sie sich darin bewegen, wie weit sie gehen können. Er gibt den Impuls, und die Schau­ spieler forschen weiter. Er zeigt sowohl auf, wie sie den Raum „gegen den Strich bürsten“ können, als auch das Gegenteil: Er lässt sie verstehen, wo der Raum ihnen Energie gibt. Dass – wie bei „Black“ gerade geschehen – sie am stärksten sind, wenn sie mit den (bei mir oft wenigen) Elementen des Raumes (Seile, Wasser) konsequent umgehen, statt Nicht-Vorhandenes zu beschwören. Luk hat die Gabe, Poesie im Raum zu erzeugen, dadurch, dass er ihn ernst nimmt. Mit der gleichen Ernsthaftigkeit und Unbedingtheit, mit denen ein Kind auf einem umgedrehten Tisch über die Meere segelt.

Die Bühnenbildnerin Annette Kurz arbeitet seit fast zwanzig Jahren mit Luk Perceval zusammen. Auf den folgenden Seiten hat sie Fotos aus der Probenarbeit sowie aus neueren Inszenierungen mit Luk Perceval zusammengestellt.

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THE CONQUEST OF SPACE

IIn my work, in which the significance of the space only arises through its conquest, we have the credo L’éspace est la conquête de l’éspace (the space is the conquest of the space). Complicity with the director is all-important in this. And Luk is a great accomplice when it comes to conquering space. With his experience as a director and midfielder in football he recognises the opportunities, the spaces within the space. He has an overview and an instinct for “distribution of the ball”. As he sounds it out, he is everywhere at once. In front of, on, behind the stage. He constantly changes position and perspective, looking at what is developing on stage from within, outside, front, back. Like a kind of ferryman he takes the actors through the space, revealing ways in which they can move within it, how far they can go. He gives the impetus, and the actors investigate further. But he also shows them ways of going against the grain of the space. He makes them see where the space gives them energy. And that – as seen in the recent staging of “Black” – they are strongest when they engage thoroughly with the elements of the space (which are few in my case; columns, water), instead of conjuring up things that aren’t there. Luk has a gift for generating poetry in a space by taking it seriously. It is the same seriousness and unconditionality as a child sailing across the ocean on an upturned table.

Set designer Annette Kurz has worked with Luk Perceval for almost twenty years. Over the following pages she has assembled photos from rehearsals as well as new productions with Luk Perceval.

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ANNETTE KURZ

by Annette Kurz


Bühnen von Annette Kurz für Inszenierungen von Luk Perceval: „Die Blechtrommel“ am Thalia Theater in Hamburg (2015). Foto Annette Kurz


„Jeder stirbt für sich allein“ am Thalia Theater in Hamburg (2012). Foto Annette Kurz


Probe zu „Macbeth“ am Baltiski Dom in Sankt Petersburg (2014). Foto Annette Kurz



Probe zu „Liebe. Trilogie meiner Familie 1“ bei der Ruhrtriennale in der Gießhalle im Landschaftspark Duisburg-Nord (2015). Foto Annette Kurz



„Front“ am Thalia Theater in Hamburg (2014). Foto Annette Kurz


Probe zu „Black / The Sorrows of Belgium I: Congo“ am NTGent (2019). Foto Annette Kurz


DER DÜNNE BUDDHA von Thomas Thieme

Ich kenne Luk Perceval kaum. Wir haben jahrelang oft täglich stundenlang zusammen gearbeitet. Unterhalten haben wir uns nicht, getroffen nie. Er hat mich angeschaut, ich habe gespielt. Dann hat er zwei bis drei Sätze gesagt, dann war die Probe zu Ende. Nie vorher und nie danach habe ich mich auf der Theaterbühne so gut gefühlt. Ich weiß nicht, wie er ist. Ich kann aber versuchen, anhand von drei Szenen zu beschreiben, wie ich ihn erlebt habe und wie’s mir damit ging. Von mir zu sprechen, ist die einzige Möglichkeit, über LP zu s­ prechen. Ich spielte am Hamburger Schauspielhaus den Faust in DON JUAN UND FAUST von Grabbe. Der Intendant Herr Baumbauer sprach mich an und erzählte mir, dem belgischen Regisseur Luk Perceval sei vor seiner Inszenierung von SCHLACHTEN der Hauptdarsteller abhandengekommen. Herr Baumbauer könne sich vorstellen, dass ich diese Rolle mit LP probiere. LP hatte mich nie gesehen, außer im GRABBE. Dort hatte ich einen großen Monolog, den ich ziemlich lebendig aufgesagt hatte. Herr Baumbauer dele­ gierte mich in LPs Altonaer Wohnung. Das muss ca. 1998 gewesen sein. Da saßen sich – nach Brecht – zwei Grundtypen des menschlichen Elends gegenüber: ein viel zu dünner und ein viel zu dicker. Ein Introvertierter und ein

Extrovertierter. Ich weiß kein Wort mehr vom Gespräch: Es war hölzern, kam nicht in Fahrt, hatte keinen Rhythmus. Und endete irgendwann, ohne dass auch nur der Schatten eines Ergebnisses aufgetaucht wäre. Am nächsten Tag teilte mir Herr Baumbauer mit, dass ich eine krude Variante von Richard III. namens DIRTY RICH MOTHERFUCKER DER DRITTE mit LP probieren sollte, Premiere in ein paar Monaten. Ich bekam im fetten Leitzordner ein Theaterstück von ca. zehn Stunden Spielzeit in die Hand gedrückt. Ein Gutteil des Textes war in Trash-Englisch geschrieben, vor dem ich als Ossi erstmal einknickte. Ich zeigte das Werk meiner westdeutschen Freundin, die sagte: WENN DU DAS NICHT MACHST, BIST DU DOOF. Die Proben fingen an, und ich bemühte mich. Von meinen ausschließlich westdeutschen Kollegen mit Englischkenntnissen erntete ich von Anfang an Hohn und Spott. So hatten sie sich den Hauptdarsteller nicht vorgestellt. Auch LP nicht. Wenn ich mich nicht irre, rauchte er damals auf den Proben; auf jeden Fall virtuell. Der desertierte Hauptdarsteller war ein großer, schöner Mann mit wunderbarer Stimme. Nun musste LP einem dicken und mit mitteldeutschem Dialekt Englisch radebrechenden Typen bei der Arbeit zusehen. Er fand keine Bindung zu meinen Bemühungen. Ich merkte das, ich merke alles. Ich sprach ihn, den Sprachlosen, in meiner Not an, äußerte die Vermutung, dass er den

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Stunde von seinem Vater, dem Flussschiffer zwischen Antwerpen und Basel. Wir hatten mittlerweile die MÜNCHNER KAMMER­ SPIELE mit einem weißen OTHELLO neueröffnet, als wir gemeinsam an der Schaubühne landeten. Aber die Sterne standen nicht gut über dem oberen Kurfürstendamm. TOD EINES HANDLUNGSREISENDEN und MENSCHENFEIND/DON JUAN/TARTUFFE/DER GEIZIGE an einem langen Abend hatte LP auf dem Plan. Von Anfang an schien LP mit der Theateradminis­ tration dort zu fremdeln. Eine Leitungsposition war freigeworden, und man überging ihn. Das konnte sein Stolz nicht ignorieren. Auf der Bühne beim MILLER war alles gut, eine geprüfte Fassung und lebendiges Spiel. Dann kam MOLIÈRE. Ich weiß bis heute nicht, woran das letztendlich gescheitert ist. In der Dimension ein kleineres SCHLACHTEN, bekam dieser seltsame Abend nie Luft unter die Flügel. In Salzburg ­freundlich aufgenommen, fiel er in Berlin durch. Nun weiß man, wenn man so lange in Berlin Theater spielt wie ich, dass da oft das Falsche sowohl durchfällt als auch akklamiert wird. LP war konzentriert, aber nicht mehr wirklich leicht. Er musste sich (wie ich auch) mit Animositäten im kleinen Spielensemble rumschlagen. Im Grunde schreibt Molière Ein-Personen-Stücke. Und für die, die nicht in der Mitte stehen, ist es oft ein Gedulds­ spiel. Wenn man sich aber darauf einlässt, muss man Charakter beweisen. Die anmaßende Übellaunigkeit namentlich einer älteren Schauspielerin zermürbte LP. Und zermürbt und ohne innere Freiheit kommt keine Kuh zum Fliegen. Der große LP verabschiedete sich im Zwist mit einem Achtungserfolg von der Schaubühne. Ich teilte mit, dass ich das noch fünfmal spiele (Privileg eines Gastes), und dann war auch ich weg. LP ging an ein Hamburger Theater, als erster Regisseur. Ein paarmal haben wir versucht, dort wieder zusammenzukommen (Wir hatten noch HAMLET im Köcher.). Aber die dortige Administration hat das erfolgreich verhindert. Wir verloren uns aus den Augen. Letztendlich kamen wir ohne den jeweils anderen zurecht. LP mit jüngeren Schauspielern, ich, indem ich aufhörte, im Ensemble Theater zu spielen. Es gibt kein Fazit von zwanzig Jahren verwunschener Freundschaft. Weil ich sicher bin: Unser ­Alterswerk steht noch aus, wo auch immer. Und nach dem ganzen Leben, nach Inszenieren und Spielen, macht er den Netzer und ich den Hacki Wimmer in der Engel- oder Teufelmannschaft. Das war eigentlich unser Traum.

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THOMAS THIEME

schönen Belgier sehen will und mich sehen muss. DAS KANN SO NICHT WEITERGEHEN. Entweder er nimmt Thieme, wie Thieme ist, oder er schmeißt mich raus. Das war die Wende. Wir haben gearbeitet, mit den anderen hat er gefeiert. Ich paukte irgendein Englisch, und wir haben gearbeitet. Daraus entstand SCHLACHTEN bei den Salzburger Festspielen, in Hamburg und München. LP hat ein Meisterwerk erschaffen. Erfolg verbindet. Bei der Premierenfeier von SCHLACHTEN fragt mich LP, welchen Shakespeare ich als nächsten mit ihm machen will. Ich sage ­OTHELLO. Er sagt OK, aber vorher machen wir KING LEAR in Antwerpen. Da war er Intendant. Ungefähr zwei Jahre später sitzt LP auf einer Probe­ bühne in der Nähe des TONEELHUIS ANTWERPEN und probiert L KING OF PAIN mit Schauspielern aus Belgien, Holland, Deutschland und Österreich. Eine Familienproduktion: Der eine Bruder von LP liefert die Bearbeitung, der andere spielt den Narren. Der alte L war Bankdirektor, ist am Tod seiner geliebten Frau verrückt geworden und sitzt in der Klapsmühle. Gloster und die anderen sind dort auch Insassen. Lears Töchter besuchen ihn mit Schwiegersöhnen. Der Rest ist wie bei Shakespeare, nur alles in eineinhalb Stun­ den. LP bewegt sich traumhaft sicher und mit tänzeri­ scher Leichtigkeit durch den genialischen Unsinn. Mit drei Stunden Probe am Tag kommen wir rasant voran. Vor allem die belgischen Komiker sind eine wahre Freude. Von LP angestachelt, liefern wir Insassen uns mit den Töchterfamilien Schlachten, schmeißen uns ohne jede Rücksicht auf Verluste aus drei Metern Ent­ fernung mit voller Wucht dicke Apfelsinen und Klappstühle auf die Körper und Köpfe. LP stachelt weiter an. Er legt mir ein riesiges dickes Brett (vier Meter lang, drei Zentimeter dick) auf die Bühne. Mit dem mache ich den STURM AUF DER HEIDE. In einem Operations­ hemd mit nichts drunter donnere ich die PLANKE immer wieder auf den Boden, als Gewitter. Dabei pfeife ich durch die Zähne einen Ton, den ich mir als Halbstarker antrainiert hatte, als Sturm. Schluss war erst, als das Brett zerdroschen war. Damals hatte ich die Kraft. Der schönste Abend mit LP und der größte dieses Regisseurs. Wir waren in Rotterdam, Brügge, Amsterdam, München, Düsseldorf, Zürich und an der Berliner Schaubühne. Wir haben auf den Proben selten, danach nie mit­ einander gesprochen. Alles, was LP zu sagen hatte, habe ich ihm angesehen, alles, was ich zu sagen hatte, habe ich gespielt. Einmal – zu Gast in seinem schma­ len Antwerpener Haus – erzählte er mir über eine


THE THIN BUDDHA by Thomas Thieme

I hardly know Luk Perceval. For years we often worked alongside each other, day in, day out, for hours at a time. But we didn’t speak to each other, and never met up. He would watch me and I would act. Then he would say two or three sentences, then the rehearsal would be finished. Never before had I felt so good on the stage, and never since. I don’t know who he is. But I can try to describe how I experienced him, and how I felt about it, through the example of three scenes. Talking about myself is the only way to talk about LP. At the Hamburger Schauspielhaus I played Faust in Grabbe’s DON JUAN AND FAUST. The Artistic ­Director Mr Baumbauer approached me and said that the Belgian director Luk Perceval had lost his lead actor before his production of SCHLACHTEN. Mr Baumbauer said he could see me rehearsing this role with LP. LP had never seen me except in the GRABBE. In it I had a long monologue that I had recited quite animatedly. Mr Baumbauer sent me to LP’s Altona apartment. That must have been around 1998. There we were, two basic types of human misery as Brecht saw it: one much too thin and one much too fat. An introvert and an extrovert. I can’t remember a word of the conversation. It was awkward, it never picked up, there was no rhythm to it. And at some point it ended, without even a suggestion that we had arrived at an outcome. The next day Mr Baumbauer told me that I was to rehearse a crude version of “Richard III” entitled DIRTY RICH MODDERFOCKER THE THIRD with LP, with the premiere in a few months. I was given a play of about ten hours’

running time in a fat lever arch file. A large part of the text was written in trashy English, which presented a problem to an old East German like myself. I showed the work to my West German girlfriend who said IF YOU DON’T DO THIS YOU ARE A FOOL. The rehearsals started and I tried hard. From the beginning I received scorn and ridicule from my exclusively West German colleagues, with their knowledge of English. They had not imagined someone like me in the lead. Nor had LP. If I’m not mistaken, he used to smoke during the rehearsals back then; virtually in any case. The lead who had absconded was a tall, handsome man with a wonderful voice. Now LP had to watch a fat guy with a central German accent stammering English. He couldn’t find the connection to my efforts. I noticed that, I notice everything. And in my distress I spoke to him, the speechless one, and voiced my suspicion that he would have preferred to watch the handsome Belgian but was forced to watch me. IT CANNOT GO ON LIKE THIS. Either he takes Thieme as he is, or he dumps him. That was the turning point. We worked, with the others he mucked around. Somehow I crammed some English and we worked. This resulted in SCHLACHTEN at the Salzburg Festival, in Hamburg and Munich. LP created a masterpiece. Success builds connections. At the after party for SCHLACHTEN, LP asks me which Shakespeare I want to do next with him. I say OTHELLO. He says OK, but first we do KING LEAR in Antwerp. He was the Artistic Director there. About two years later LP is sitting in a rehearsal studio near the TONEELHUIS ANTWERP and rehearsing

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the wrong thing flops, and the wrong thing can be acclaimed as well. LP was focused, but not really as light as he had been. He had to deal with animosity in the small performance ensemble (as did I). Essentially, Molière wrote one-person plays. And for anyone who is not in the centre, it is often a game of patience. But when you sign up for it, you have to prove your mettle. The arrogance and ill temper, especially from one older actress, wore LP down. And when you’re worn down, when you have no inner freedom, it’s not going to get off the ground. The great LP came away from the dispute at the Schaubühne with a succès d’estime. I let him know that I would only be doing another five performances (the privilege of a guest) and then I was gone as well. LP went to a Hamburg theatre as First Director. We tried to get back together a couple of times (we still had HAMLET up our sleeves). But the administration there managed to prevent it. We lost touch with each other. In the end we struggled on without each other. LP with younger actors, me by no longer performing in ensemble theatre. You cannot summarise twenty years of enchanted friendship. Because I’m sure that our late work is still to come, wherever it may be. And after a whole lifetime of directing and performing, he plays the goalie and I play Hacki Wimmer in the angel/devil team. And actually that was our dream all along.

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THOMAS THIEME

L KING OF PAIN with actors from Belgium, Holland, Germany and Austria. A family production – one of LP’s brothers does the adaptation, the other plays the Fool. The old L had been a bank director, he goes ­crazy after the death of his beloved wife and is stuck in the nuthouse. Gloucester and the others are also inmates. Lear’s daughters visit him with his sons-inlaw. The rest is as it is in Shakespeare, only it’s all done in one and a half hours. LP moves with fantastical confidence, with dancing ease through the ingenious nonsense. With three hours of rehearsal a day we make rapid progress. The Belgian comedians in ­particular are a real pleasure. Spurred on by LP, we inmates wage battles with the daughters’ families, throwing oranges and folding chairs at bodies and heads from three metres’ distance with no consideration for damage. LP spurs us on further. He lays a huge thick board (four metres long, three centimetres thick) on the stage for me. With it I am to recreate the STORM ON THE HEATH. In a hospital gown with nothing underneath I slam the PLANK repeatedly on the floor to make the thunder. In the meantime, I whistle through my teeth, a sound that I had learned as a teenager, to make the storm. It would only end when the board was crushed. I still had the strength back then. The best performance with LP and the director’s greatest. We were in Rotterdam, Bruges, Amsterdam, Munich, Düsseldorf, Zurich and at the Schaubühne in Berlin. We seldom talked in rehearsals, and have never talked to each other since. All that LP had to say I could tell by looking at him, everything I had to say I performed. Once – when I was a guest in his narrow house in Antwerp – he spent an hour telling me about his father, a river boatman between Antwerp and Basel. In the meantime we had reopened the MÜNCHNER KAMMERSPIELE with a white OTHELLO when we both ended up at the Schaubühne. But the stars over Kurfürstendamm were misaligned. LP was planning to do DEATH OF A SALESMAN and THE MISANTHROPE/ DON JUAN/TARTUFFE/THE MISER in one long performance. From the beginning, LP seemed to be at odds with the theatre administration. A management position had opened up and he had been passed over. This was something his pride could not ignore. Everything was fine on stage for the MILLER, a proven version and lively performance. Then came MOLIÈRE. To this day I do not know why it failed in the end. Like a smaller SCHLACHTEN in scope, the strange production never took flight. It was well-received in Salzburg, but flopped in Berlin. Now, if you’ve performed in ­Berlin theatres as long as I have, you know that often


WIR SIND DER WIND Der norwegische Schriftsteller und Dramatiker Jon Fosse über seine Nähe zu Luk Perceval und seine Rückkehr zum Stückeschreiben im Gespräch mit Thomas Irmer

Jon Fosse, 2001 inszenierte Luk Perceval Ihr Stück „Traum im Herbst“ an den Münchner ­Kammerspielen. Diese Produktion stellte einen Wechsel in der Inszenierungsästhetik Ihrer Stücke im deutschsprachigen Theater dar. Sie betonte den Minimalismus der Dramaturgie mit einer kraftvollen Durchdringung der Innen­ welt der Figuren, unterstützt durch Mikroports für die Stimmen von Dagmar Manzel und ­Stephan Bissmeier, die unter einer riesigen ­rätselhaften Säule von Katrin Brack standen. Wie erinnern Sie sich an diese Aufführung? Rund zwanzig Jahre lang bin ich herumgereist, um meine Stücke auf der Bühne zu sehen, überall hin. Das mache ich nun nicht mehr, aber das ist eine andere Geschichte. In einem Zeitraum von 15 Jahren fanden ungefähr einhundert Premieren an verschie­ denen deutschsprachigen Theatern statt. Zugleich gab es viele Inszenierungen in anderen Ländern. Verständlich also, dass ich nur einige dieser Aufführungen gesehen habe.

Eine der besten Aufführungen war Luk Percevals ­Inszenierung von „Traum im Herbst“. Ich finde es ­interessant, was Sie sagen: dass Perceval eine neue Richtung für meine Stücke eingeschlagen habe. Es war ja wirklich eine erstaunliche Inszenierung! ­Tatsächlich habe ich den Einsatz von Mikroports – etwas, was man bis dato sonst nur aus riesigen ­Musicaltheatern kannte – hier zum ersten Mal bei einem „regulären“ Stück erlebt, in einem kleineren Raum. Danach jedoch entdeckte ich sie überall in den Aufführungen meiner Stücke, auch in Inszenierungen anderer Stücke, selbst im kleinsten Studio. Es scheint, als habe Perceval mit seinem Einsatz von Mikroports damals einen Trend gesetzt. Zumindest mir erschien es so. Ganz sicher gilt das für die von mir geschriebenen Stücke. Es ist ein tech­ nisches Detail, das aber die Möglichkeit einer anderen Art des Spielens eröffnet, gewissermaßen für eine neue Art des Theaters, sodass dieses Hilfsmittel doch wichtiger ist, als es auf den ersten Blick erscheint.

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Sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen Ihrem Schrei­ ben und Percevals Art, Regie zu führen? Zumindest wie er „Traum im Herbst“ inszeniert hat, harmonierte kongenial mit dem Stück und mit meiner Art des Schreibens. Es muss also Ähnlichkeiten geben. Ich hatte gehofft, dass er noch mehr von meinen Stücken inszeniert, da er mit „Traum im Herbst“ so tolle Momente erschaffen hat, aber dazu ist es nicht gekommen, jedenfalls bis jetzt nicht. Perceval bereitet gerade eine Adaption Ihres ­Romans „Trilogie“ für das Norske Teatret in Oslo vor, die am 6. September 2019 Premiere hat. ­ Das Buch verbindet die Erzählungen „Schlaflos“, „Olavs Träume“ und „Abendmattigkeit“. Was er­ warten Sie von seiner Bühnenadaption? Ich freue mich sehr, dass er wieder etwas macht, das ich geschrieben habe. Und ich würde ihm jetzt schon gern dafür danken. Ich habe übrigens den „Schlaflos“Teil gleich nach dem Stück „Ich bin der Wind“ geschrieben, was meinen Wechsel vom Schreiben fürs Theater zur Prosa eingeläutet hat. Jetzt habe ich zehn Jahre lang ausschließlich Prosa geschrieben – zunächst die anderen beiden Novellen für die „Trilogie“ und in den Jahren danach den längsten Text, den ich jemals geschrieben habe und schreiben werde: ein Roman mit dem Titel „Septologie“, da er aus sieben Teilen besteht, die in drei Büchern veröffentlicht werden. Das erste Buch wird im Oktober 2019 erscheinen, gleichzeitig auf Norwegisch und Deutsch anlässlich der Frankfurter Buchmesse, bei der Norwegen in

diesem Jahr Gastland ist. Später auch auf Englisch und in anderen Sprachen. Ich habe mit dem Stückeschreiben aufgehört, weil ich dachte, dass ich meine Fähigkeit, fürs Theater zu schreiben, mehr oder weniger ausgeschöpft hatte. Ich wollte kein weiteres Stück mehr schreiben. Die einzigen Texte, die seitdem noch fürs Theater entstanden sind, waren Übersetzungen und Bearbeitungen klassischer Stoffe, meistens griechischer Tragödien. Die „Trilogie“ beschäftigt sich mit Fragen nach Wirklichkeit, Erinnerung und Imagination – die drei Erzählungen sind gewissermaßen über ein schwebendes „Ungewisses“ verbunden. Das ist eine ganz schöne Herausforderung fürs Theater. Der erste Teil der „Trilogie“, „Schlaflos“, wurde nur ein paar Jahre nach seiner Veröffentlichung erfolgreich für die Bühne adaptiert. Im vergangenen Jahr wurde die „Trilogie“ am Hordaland Teater in Bergen aufgeführt, und in diesem Herbst wird der Roman am Dramaten in Stockholm inszeniert. Meine Prosa hat vermutlich etwas „Theatralisches“ an sich, wenn man sich anschaut, wie oft meine Romane schon für das Theater adaptiert wurden. Jede meiner Geschichten oder Romane seit „Melancholie 1“ landete auf der Bühne. Mit Ausnahme von „Das ist ­Alise“ vielleicht, zumindest kann ich mich an keine Adaption erinnern. Manche dieser Bearbeitungen führten zu wirklich großartigen Theaterabenden, zum Beispiel die Bühnenversion meines Kurzromans „Morgen und Abend“, der als Monolog am Nationaltheater in Oslo inszeniert wurde. Gegen Adaptionen habe ich natürlich nichts einzuwenden. Es klingt vielleicht ein bisschen seltsam, aber selbst, wenn ich nichts mehr mit dem Theater zu tun haben will, will das Theater offenbar mit mir zu tun haben. Von daher freue ich mich über die Adaptionen. Und ganz besonders darüber, dass Luk Perceval, den ich sehr bewunderte, sich entschlossen hat, die „Trilogie“ auf die Bühne zu bringen. Könnte das auch eine Inspiration für Sie sein, wieder Stücke zu schreiben, nachdem Sie so entschieden damit aufgehört haben? Diese Frage kommt im richtigen Moment. Vor einiger Zeit schickte ich die letzten Teile der „Septologie“ an meinen Verlag, die Teile VI und VII, die als dritter Band des Romans veröffentlicht werden. Und in dieser Situa­ tion, nach dem Roman, praktisch in seiner Brandung stehend, wollte ich mit großem Drang wieder ein Stück schreiben – ganz ähnlich, wie ich eine Erzäh­lung nach dem Abschluss von „Ich bin der Wind“ schreiben

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JON FOSSE

Was war das Besondere an Percevals Interpreta­ tion Ihres Stücks? Einfachheit, Präzision und dazu Musikalität. Und wirk­ lich sehr gutes Schauspiel. Perceval hat, nebenbei gesagt, viele Stellen im Text gestrichen, aber als ich dann die Aufführung sah, hatte ich das Gefühl, das ist genau das Stück, das es sein sollte. Ich habe die Striche gar nicht richtig bemerkt, außer natürlich, dass er mein Ende weggelassen hat. Danach wurde das Stück auch ohne Striche aufgeführt, beispielsweise in einer groß­ artigen Inszenierung von Patrice Chéreau. Ich denke, mit meinen Stücken, auch mit Stücken allgemein, verhält es sich so, dass diejenigen, die eine offenere Form aufweisen, durchaus Striche vertragen, jene aber, die einer strengen, geschlossenen Form folgen, durch Kürzungen beschädigt werden. Bei „Traum im Herbst“ kann man streichen, und eine Inszenierung könnte dadurch gewinnen, während es zum Beispiel bei „Da kommt noch wer“ sehr schwer ist, Striche zu setzen, die nicht gleich das ganze Stück zerstören.


wollte – und ich setzte mich hin und versuchte, ein Stück zu schreiben. Es lief sehr gut. Es war überhaupt nicht schwer, dieses Stück zu schreiben, es schrieb sich mehr oder weniger von selbst. Das ist für mich ein sehr gutes Zeichen, wenn ein Text sich sozusagen von selbst schreibt. Wenn er zu mir kommt, irgendwie nach mir sucht und nicht ich nach dem Text suche. Dieses eher kurze Stück hat den Titel „Sterk vind“ (Starker Wind). Das Stück wird am Norske Teatret in Oslo heraus­­kommen, dem Theater, wo Luk Perceval die „Trilogie“ inszeniert. Ich bin mir sicher, dass ich nicht mehr so viel fürs Theater schreiben werde, wie das in den Zeiten meiner dramatischen Raserei der Fall war, aber „Starker Wind“ wird definitiv nicht mein letztes Stück gewesen sein. Ich glaube, ich kann noch einige weitere Stücke schreiben, zusammen mit Prosa und auch Lyrik. Als ich all die Stücke schrieb, schrieb ich kein einziges Gedicht, aber als ich mit dem Schreiben fürs Theater aufhörte, veröffentlichte ich zwei Bände Lyrik. Eine Auswahl meiner Gedichte ist auf Deutsch vor ein paar Jahren in „Diese unerklärliche Stille“ erschienen. Für mich ist ein Stück näher am Gedicht als an der Erzäh­ lung oder einem Roman, deshalb, vermute ich, habe ich kein einziges Gedicht geschrieben, als ich all diese Stücke schrieb. Dieses neue Stück habe ich übrigens „ein szenisches Gedicht“ genannt.

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WE ARE THE WIND

Jon Fosse, in 2001 Luk Perceval staged your play “Dream of Autumn” at the Münchner Kammer­ spiele. This production marked a change in the aesthetics of how your plays are staged in the German-speaking countries. It emphasised the minimalism of your dramatic art with a powerful exploration of the characters’ inner world using microports for the voices of Dagmar Manzel and Stephan Bissmeier, who were positioned under a large enigmatic column. How do you view this production? For some twenty years I travelled to see productions of my plays all over the place. Then I stopped doing it, but that’s another story. For a period of some fifteen years I had around one hundred opening-nights in the German-speaking countries. In the same period, I also had very many opening-nights in other countries. It goes without saying that I have seen only a few of these productions. And one of the best I have seen is Luk Perceval’s production of “Dream of Autumn”. What you said is interesting to me: that Perceval’s production marked a change in the way my plays were staged. It was indeed an amazing production! It was in fact the first time I saw microports – which are commonly used in big musical theatres – on the stage in a “normal” play, in a rather small auditorium. But since then I have seen them used all the time, even in the smallest ­auditoriums, in plays of mine, but also in pieces by other playwrights. To me at least, it looks like Perceval’s production started a trend by using microports.

It certainly did in productions of plays written by me. It is a technical detail, but at the same time it also ­presents the possibility of a different kind of acting, for a new kind of theatre, so it is more important than it might seem. What was special about Perceval’s approach to your play? Simplicity, precision, you could also say musicality. And really, really good acting. Perceval, by the way, made a number of cuts in my text, but when I saw the production, I felt that the play was exactly as it should be. I hardly even recognized the cuts, only that my ending was omitted, obviously. Later on, the play was of course also produced without any cuts, for instance in a great production by Patrice Chéreau. I think that’s the way it is with my plays, and with plays in general. That is, there are plays that are kind of more open in form, where you can make cuts, and then there are plays with a strict and closed form, where you would damage the text by cutting it. In “Dream of Autumn” it is possible to cut, and a ­production can gain from it, while in a play like “Somebody Will Come”, for example, is difficult to cut in it without destroying the play. Do you see similarities between the way you write and the way Perceval directs? At least the way Perceval directed “Dream of Autumn” was consistent with the play, and with the way I write. So there must be similarities. I hoped that Perceval

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JON FOSSE

The Norwegian writer and playwright Jon Fosse about his proximity to Luk Perceval and his return to writing plays, in conversation with Thomas Irmer


would stage more of my plays, because he did such great things with “Dream of Autumn”, but he hasn’t done so to date. Now Perceval is working on an adaptation of your novel “Trilogy” for the Norske Teatret in Oslo. The play will premiere on 6 September. The novel combines the novellas “Wakefulness”, “Olav’s Dreams” and “Weariness”. How do you feel about Perceval adapting this for the stage? I am really happy that Luk Perceval is again working with something I have written. And I would like to thank him for doing it. By the way, I wrote the “Wakefulness” part directly after writing “I Am the Wind”, which in fact made me change from writing for the theatre to writing prose. I have been writing prose now for ten years – the two other novellas in “Trilogy”, and in later years the longest text I have ever written, and will ever write, a novel that I have given the general title “Septology”, as it is written in seven parts and will be published in three books. The first book will be out in October this year, in both Norwegian and in German, released in time for the Frankfurt Book Fair, where Norway is the guest country this year. It will also appear in English and other languages. I actually stopped writing plays, because I more or less felt I had emptied out my ability to write for the theatre. I felt no need to write another play. The only texts I have written for the theatre since are translations, and adaptations of classical texts, mostly Greek tragedies. The “Trilogy” raises questions about reality, memory and imagination – in a way the three pieces are linked with a hovering ‘unknown’ – quite a challenge for the stage. The first part of “Trilogy”, the “Wakefulness” part, was adapted for the stage with great success only a couple of years after it was published. Last year “­Trilogy” was adapted for the stage by Hordaland Teater in Bergen, and this coming autumn there will also be a production of the novel at Dramaten in Stockholm. My prose has, I guess, something “theatrical” to it, since there have been so many adaptations of my novels. I think every story, or novel, I have written since “Melancholia I” has ended up on the stage. Except “Aliss at the Fire”, perhaps. At least I cannot recall any stage adaptation of that novel. And some of these ­adaptations have become really, really great theatre. For example, my short novel “Morning and Night” transformed into a monologue by National­theatret in Oslo. I have nothing against adaptations, of course.

It may sound a bit strange, but even if I don’t want to have anything to do with the theatre, the theatre wants to have something to do with me. And of course, I am happy with the adaptations. And especially when Luk Perceval, whom I admire a great deal, decided to adapt “Trilogy”. Could this inspire you to return to drama, even though you declared you were not going to write plays anymore? Your question couldn’t have come at a better moment. Some time ago I sent the finished last parts of “Septo­ logy” to my publisher, the VI-VII parts, which will be published as the third volume of that novel. While I was still very much experiencing the aftermath of that novel, I wanted, needed even to write a play again – just like I wanted to write a story after I had finished writing “I Am the Wind”. And so, I sat down and tried to write a play. And it went very well. It wasn’t hard at all to write that play, it more or less wrote itself. I consider it a really good sign if a text, so to say, writes itself. Or if the text comes to me, is somehow searching for me, instead of feeling like it is me who is searching for the text. This rather short play is called “Sterk vind” (Strong Wind). The play will have its first opening-night at Det Norske Teatret in Oslo, the same theatre where Luk Perceval’s adaptation of “Trilogy” will have its world premiere. I am sure I will not write as much as I once did for the theatre, in what I think of as my dramatic frenzy, but I am fairly certain that “Sterk vind” will not be my last play. I think I have some more plays to write, but I will also continue to write prose, and poetry as well. When I was writing all those plays, I didn’t write a s­ ingle poem, but since I stopped writing for the theatre, I have published two collections of poetry, and some of these poems are included in “That Inexplicable ­Silence”, a selection of my poems published a couple of years ago and translated into German. To me a play is closer to a poem than to a story, a novel; I guess that’s why I didn’t write poems at all when I wrote all those plays. By the way, I have labelled this latest play of mine “a scenic poem”.

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PREMIEREN 19|20 MUSIKTHEATER CORO FANTASTICO Chorprojekt Regie Tom Ryser 27. September 2019 Marguerre-Saal, Alter Saal, Foyer MADAMA BUTTERFLY von Giacomo Puccini Regie Adriana Altaras 9. November 2019 | Marguerre-Saal DIE GETREUE ALCESTE von Georg Caspar Schürmann Regie Jan Eßinger 1. Dezember 2019 | Schwetzingen FIDELIO (halbszenische Aufführung) von Ludwig van Beethoven 30. Januar 2020 | Marguerre-Saal DIE HEILIGE ENTE von Hans Gál Regie Sonja Trebes 7. März 2020 | Marguerre-Saal IL BARBIERE DI SIVIGLIA von Gioachino Rossini Regie Inga Levant 17. Mai 2020 | Marguerre-Saal IM WEISSEN RÖSSL von Ralph Benatzky Regie Felix Seiler 26. Juni 2020 | Heidelberger Schloss

SCHAUSPIEL DER SECHSTE KONTINENT von Lothar Kittstein, Bernhard Mikeska Uraufführung | Regie Bernhard Mikeska 20. September 2019 | Zoo Heidelberg ANIMAL FARM – FARM DER TIERE nach George Orwell Regie Luise Voigt 12. Oktober 2019 | Marguerre-Saal

DER DIENER ZWEIER HERREN von Carlo Goldoni Regie Holger Schultze Übernahme von den Heidelberger Schlossfestspielen 29. November 2019 | Marguerre-Saal DER UNTERTAN nach Heinrich Mann Regie Markolf Naujoks 7. Dezember 2019 | Zwinger 1 DER GOTT DES GEMETZELS von Yasmina Reza Regie Holger Schultze 21. Dezember 2019 | Marguerre-Saal OLEANNA von David Mamet Regie Fabian Appelshäuser 31. Januar 2020 | Zwinger 1 LA FLAUTA MÁGICA/ DIE ZAUBERFLÖTE Ein internationales Kooperationsprojekt frei nach Emanuel Schikaneder (in Planung) | Uraufführung Regie Antú Romero Nunes 1. Februar 2020 | Marguerre-Saal DER KIRSCHGARTEN von Anton Tschechow Regie Milan Peschel 29. März 2020 | Alter Saal PROFESSOR MAMLOCK von Friedrich Wolf Regie Brit Bartkowiak 4. April 2020 | Marguerre-Saal DAS WEISSE DORF von Teresa Dopler | Uraufführung Regie N. N. 24. April 2020 | Zwinger 1 MORD IM ORIENTEXPRESS nach Agatha Christie Regie Christian Brey 13. Juni 2020 | Marguerre-Saal

TANZ EXHAUSTING SPACE Choreografie und Konzept Iván Pérez Deutsche Erstaufführung 8. November 2019 | Zwinger 1 DIMENSION Choreografie und Regie Iván Pérez Uraufführung 24. Januar 2020 | Marguerre-Saal MOMENTUM Dreiteiliger Abend Choreografie Astrid Boons | Uraufführung Choreografie Yi-Wei Lo | Dt. Erstaufführung Choreografie Iván Pérez | Dt. Zweitaufführung 14. März 2020 | Zwinger 1 JUNGES THEATER DIE WANZE von Paul Shipton | 9+ Regie Jasaman Roushanaei 21. September 2019 Botanischer Garten PINOCCHIO nach Carlo Collodi | 6+ Regie Natascha Kalmbach 3. November 2019 | Alter Saal DIE ZERTRENNLICHEN von Fabrice Melquiot | 10+ Regie Yvonne Kespohl 10. November 2019 | Zwinger 3 DIE FLUT von Charles Way | 11+ Regie Ulrike Günther 1. März 2020 | Zwinger 3 BAMBI nach Felix Salten | 12+ Regie Ekat Cordes 19. April 2020 | Zwinger 3 ORPHEUS. OHNE ANGST mit Musik von Christoph Willibald Gluck u. a. Uraufführung | 12+ Regie Natascha Kalmbach 19. Mai 2020 | Zwinger 3 DIE VERZAUBERTEN BRÜDER von Jewgeni Schwarz | 6+ Regie Marco Süß 14. Juni 2020 | Heidelberger Schloss


Glaube Liebe Hoffnung

von Ödön von Horváth | Regie: Florian Fiedler Premiere am 20.9.2019 im Großen Haus

Oh yeah, Baby!

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Choreographie und Regie: Leandro Kees Premiere am 20.9.2019 im Saal 2

Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften 8

von Irmgard Keun | Regie: Hannah Biedermann Premiere am 5.10.2019 im Saal 2

Alles ist wahr – Die neun Leben der Marita Lorenz Uraufführung von Dominik Busch | Regie: Babett Grube Premiere am 11.10.2019 im Großen Haus

Premieren Spiel 19/20

Keloğlan Eulenspiegel Hase Hase

von Coline Serreau | Regie: Florian Fiedler Premiere am 6.12.2019 im Großen Haus

Uraufführung Spin David Gieselmann I: Christian Schlüter 06.09.19

Uraufführung Neujahr Juli Zeh I: Dariusch Yazdkhasti 21.11.19

Der eingebildete Kranke Molière I: Christian Schlüter 21.03.20

Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui Bertolt Brecht I: Prinzip Gonzo 08.09.19

Uraufführung Requiem (AT) RAUM + ZEIT (Kittstein/Mikeska) Eine szenische Installation I: Bernhard Mikeska 10.01.20

Die Affäre Rue de Lourcine Eugène Labiche I: Clara Weyde 26.03.20

Demian Hermann Hesse I: Michael Heicks 13.09.19 Uraufführung Jugendliebe Ivan Calbérac I: Michael Heicks 08.11.19 Der Zauberer von Oz Lyman Frank Baum I: Christian Schlüter 09.11.19 Uraufführung TransitTage Ein Anna-SeghersProjekt I: Swen Lasse Awe 16.11.19

Deutschsprachige Erstaufführung Text Dmitry Glukhovsky I: Dariusch Yazdkhasti 24.01.20 Die Jagd Thomas Vinterberg I: Michael Heicks 31.01.20

The Black Rider Tom Waits, William S. Burroughs, Robert Wilson Spartenübergreifende Produktion I: Michael Heicks 23.05.20 Uraufführung Voluptas & die hungrigen Kinder Ein Ensemble-Projekt I: Schauspielensemble 17.05.20

Rose Bernd Gerhart Hauptmann I: Alice Buddeberg 14.03.20 Uraufführung Das Material I: Konrad Kästner 20.03.20

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Regie: Ania Michaelis Premiere am 16.11.2019 im Großen Haus

Einige Nachrichten an das All

von Wolfram Lotz | Regie: Franziska Henschel Premiere am 13.12.2019 im Saal 2

Peer Gynt

von Henrik Ibsen | Regie: Martin G. Berger Premiere am 11.1.2020 im Großen Haus

Mojo Mickybo

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von Owen McCafferty | Regie: Emel Aydoğdu Premiere am 31.1.2020 im Saal 2

(save me) not

von Frauen und Fiktion Premiere am 7.3.2020 im Saal 2

Der Funke Leben

von Erich Maria Remarque | Regie: Lars-Ole Walburg Premiere am 13.3.2020 im Großen Haus

Kleiner Mann - was nun?

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von Hans Fallada | Regie: Babett Grube Premiere am 27.3.2020 im Saal 2

Prinzessinnendramen – Der Tod und das Mädchen I-V Regie: Paulina Neukampf Premiere am 24.4.2020 im Saal 2

Was Ihr wollt: [.............…]

Regie: Nele Stuhler, Falk Rößler (FUX) Premiere am 15.5.2020 im Großen Haus

Rückkehr nach Oberhausen Intendant Michael Heicks Schauspieldirektor Christian Schlüter

Regie: Bert Zander Premiere am 24.5.2020 irgendwo in Oberhausen

Extras

Der Ursprung der Liebe

von Liv Strömquist | Ein Projekt von Ronja Oppelt, Lise Wolle und Line Behrens im Pool 12

Die Känguru-Chroniken

Eine Serie nach Marc-Uwe Kling | Regie: Florian Fiedler

Selfies einer Utopie

Eine Serie von Nicola Bremer | Regie: Nicola Bremer


Premieren 19/20

Schauspiel | Junges Staatstheater KEINE PANIK!

HERR PUNTILA UND SEIN KNECHT MATTI

Uraufführung von Marc Becker Regie: Marc Becker 06.09.2019

von Bertolt Brecht Musik von Paul Dessau Regie: Maria Viktoria Linke 23.11.2019

DINGE, DIE ICH SICHER WEISS

MISSION MARS

Uraufführung von Björn SC Deigner Regie: Kevin Barz 10.01.2020

von Andrew Bovell Regie: Peter Hailer 14.09.2019

MEDEA

FAUST. EINE TRAGÖDIE.

Dramatisches Gedicht frei nach Franz Grillparzer Regie: Mirja Biel 03.10.2019

von Johann Wolfgang von Goethe Regie: Robert Gerloff 07.03.2020

BAMBI. EINE LEBENSGESCHICHTE AUS DEM WALDE.

ÜBER MEINE LEICHE nach Stefan Hornbach Regie: Franziska Stuhr 08.05.2020

nach dem Roman von Felix Salten Regie: Eike Gerrit Hannemann 20.10.2019

GOTT

von Ferdinand von Schirach Regie: Peter Hailer 13.05.2020

DER GESTIEFELTE KATER

EINE LACHT, EINE WEINT, EINE BLEIBT

von Finegan Kruckemeyer Regie: Franziska Stuhr 16.11.2019

flausen + BANDEN!

Festival performativer Allianzen/ Performing Arts Academy Oldenburgisches Staatstheater/ theater wrede +/ Theaterhaus Hildesheim 14. — 17.05.2020

Foto: Stephan Walzl

von Thomas Freyer nach den Gebrüdern Grimm Regie: Krystyn Tuschhoff 10.11.2019

TEL 0441.2225-111 | WWW.STAATSTHEATER.DE


EINFACH LOSLASSEN Zu Luk Percevals Inszenierung „Mut und Gnade“ am Schauspiel Frankfurt von Marion Tiedtke

Da stehen sie in Alltagskleidern vor einer großen schwarzen Wasserfläche. Ein langes Schweigen folgt, bevor sich ein Gelächter Bahn bricht, das alle nach­ einander ansteckt. Sie biegen sich vor Lachen und stürzen sich schließlich in das kalte Nass. Acht Schau­ spieler, vier Männer und vier Frauen, erleben über zwei Stunden einen Kampf mit dem Wasser und ringen mit Texten, die vom Kampf gegen Krebs erzählen. Es ist kein Roman, es ist kein Drama, es gibt hier keine acht unterschiedlichen Rollen, in die hinein­zuschlüpfen die schauspielerische Aufgabe wäre, um Figuren zu beglaubigen: Um all das geht es hier nicht. Es ist vielmehr eine wahre Geschichte, die es auf die Bühne zu bringen gilt. „Mut und Gnade“ heißt das 1991 erschienene Buch des Amerikaners Ken Wilber. Es ist ein autobiografisches Zeugnis über das Leben und Sterben der Treya Wilber. Der transpersonale Psychologe, Autodidakt und renommierte Theoretiker lernte spät seine zukünftige Frau kennen. Im Sommer 1983 trafen sie einander und nannten es „Liebe auf die erste Be­ rührung“.1 Nach vier Monaten folgte die Hochzeit,

nach zehn Tagen als Ehepaar die Diagnose Brustkrebs. Die fünf gemeinsamen Jahre erlebten Treya und Ken als Kampf an den Grenzen von Leben und Tod. Dabei rangen sie meist um ihre Liebe, suchten nach dem Sinn zwischen Hoffen und Bangen und hielten immer wieder in ihren Tagebuchaufzeichnungen und Briefen ihre Schuldgefühle, ihre Angst und ihre Einsamkeit fest. Nach der ersten Therapie kam bald ein Rückfall, dann wieder Heilung, eine Schwangerschaft, die nicht ausgetragen werden durfte, erneute Krebsdiagnose, Diabetes, Chemotherapien und Folgeerscheinungen, die Treyas Körper nach und nach zerstörten. Sie gab nicht auf, sie half anderen Krebspatienten, sie hielt Vorträge, sie trieb Sport – auch noch mit Sauerstoffgerät. Sie ließ nichts unversucht. Über all die Zeit ­konfrontierte sie sich mehr und mehr mit dem Tod: eine Auseinandersetzung, die sie lehrte, die Gegenwart neu zu erleben – fernab von Geld, Schönheit und Karriere und all den Werten, die unsere heutige Gesellschaft prägen. Andere Werte wurden wichtig: Empathie und Hingabe. Sie nannte es: „Einfach loslassen!“2 Nach fünf Jahren des Leidens ging sie

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AUF DER BÜHNE GEHT ES DARUM, EINE POETISCHE FORM FÜR DIE EMPATHISCHE VORSTELLUNG VON LEID ZU FINDEN.

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einmal die Grundsatzfrage, wer überhaupt mitspielen möchte. Sie mögen sich frei entscheiden. Die Schau­ spieler antworten zögernd, geben die Belastung zu, aber auch die große Sorge, wie sie jemals glaubwürdig diese Krankheitsgeschichte im wahrsten Sinne des Wortes verkörpern können. Natürlich kann es nicht darum gehen, das Leid auf der Bühne realistisch zu zeigen, sondern in der gemeinsamen Probenzeit eine poetische Form zu finden: „Die Kraft der Kunst ist die Imagination, die Tatsache, dass man sich über die Form empathisch vorstellen kann, was dieses Leiden ist“5 – so formuliert Luk Perceval seine Aufgabe. Und genau daran müssen wir arbeiten. Dabei hilft als allererstes die Entscheidung, dass es nicht nur ein Paar gibt, sondern jeder Mann auf der Bühne die Position

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,Sinn des Sinnlosen‘ eine rituelle Zusammen­gehörig­ keit schenkt. Nicht-Einsamkeit. Einen Moment des Trostes, des gemeinsamen Trauerns oder Lachens in dem Bewusstsein, dass so viel sinnloses Leiden, so viel sinnlose Gewalt keine Antworten mehr zulassen – nur Verständnis verlangen und Mitleid“.4 Wenn dies das Ziel unserer Aufführung ist, dann ist der Weg unserer Proben weit. Einfach ist es für die Schauspieler nicht, sich in den acht Wochen Inszenierungsarbeit auf diese Leidensgeschichte einzulassen. Jeder von ihnen kennt einen Menschen aus dem engsten Familien- oder ­Freundeskreis, der an Krebs erkrankt oder verstorben ist. Perceval weiß, was er seinem Ensemble zumutet und stellt daher nach der ersten Probenwoche noch

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dem Tod entgegen. Mut und Gnade nannte sie die Pfeiler ihres Lebens. Luk Perceval hat diese Geschichte schon lange auf die Bühne bringen wollen, aber viele Theater waren davon abgeschreckt: Welcher Zuschauer will schon ein Stück über Krebs sehen? Das Buch ist voll von medizinischen Berichten, esoterischen Erfahrungen und buddhistischem Gedankengut, die ich als Dramaturgin bei der ersten Arbeit an der Bühnen­ adaption schon weitgehend ausgespart hatte, denn ich wusste, was Luk Perceval wirklich an dem Stoff interessiert. In einer Zeit, in der Selbstoptimierung und Narzissmus wieder „neue Helden“ auf die politische Bühne bringen, sucht Perceval nach Themen, die den Menschen in einem tragischen Licht darstellen. Die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit rückt das Leben in ein richtiges Maß in maßlosen Zeiten von Fremdausbeutung und Selbstüberschätzung. Diese Geschichte hat auf dem Theater die Dimension eines antiken Dramas. Die Krankheit markiert ein Schicksal, das uns gnadenlos ereilen kann, dem wir machtlos ausgeliefert sind – und das in einer hochtechnisierten Welt, in der Krebs nach wie vor die zweithäufigste Todesursache ist. Mit der Wahl dieses Stoffs für die Bühne ringt Perceval als Künstler auch um die Erfahrung des menschlichen Leidens als unabwendbarem Bestandteil allen Lebens. Nur der Blick auf das Leiden bietet uns die Möglichkeit, Demut und Empathie zu lernen. Wie anders kommen wir sonst aus dem täglichen Kampf um Anerkennung in einer kapitalistischen Gesellschaft heraus, die uns fast nur noch zu Konkurrenten macht? In einer sich ins Gigantische ausweitenden Konsumwelt wird der Mensch mehr und mehr selbst zur Ware, die einen Marktwert hat und zugleich austauschbar ist. Die Krankheit zum Tode widersetzt sich diesem kapitalistischen Gebot der „erotischen Attraktivität und des Geldes“.3 Krebs fordert den Blick auf die eigene Sterblichkeit heraus – das große Thema in allen Inszenierungen von Perceval: der eigenen Vergänglichkeit begegnen. Treya Wilbers Geschichte trifft aber noch einmal mehr den Nerv von Percevals Theaterverständnis: ­Immer wieder war sie auf der Suche nach dem Sinn. Warum passiert ausgerechnet ihr das? Welche Schuld trifft sie? Was soll sie tun, um die Krankheit abzuwen­ den? Was ist richtig? Was ist falsch? Die Muster unse­ res Denkens greifen nicht, um diese Fragen jemals beantworten zu können. Am Ende bleibt nur Sinnlosigkeit. Hat die Krankheit etwa einen Sinn? Für Luk Percevals Theaterarbeit ganz sicher, denn eine gelungene Aufführung ist für ihn „eine außergewöhnliche Form der Hingabe in dieser hektischen Welt, die Zu­ schauern wie Schauspielern in ihrer Suche nach dem


von Ken und jede Frau die von Treya einnimmt. Daraus resultiert zugleich die Suche nach dem Umgang mit dem Text: Wie können vier Frauen die Situation auf der Bühne gleichzeitig erleben und sprechen? Dasselbe gilt für die Männer. Die ersten beiden Probenwochen dienen hauptsächlich dieser Textarbeit. Es wird nicht nur gemeinsam die Bühnenadaption des Buchs gekürzt, sondern bestimmt, wann wer was sagt. So entstehen Formen von chorischem, kanon- oder fugenartigem Sprechen, zeitgleichem Sprechen in unterschiedlichen emotionalen Zustän­ den oder aber ein gezielt unkontrolliertes Durcheinanderreden und nicht zu vergessen: immer wieder große Pausen, Momente des Schweigens. Es sind musikalische Prinzipien, die wir bei der Text­behand­ lung ausprobieren – und das in einer Inszenierung, die fast ganz auf Musik verzichten will. Die Stimmen können durch acht an der Bühnenkante hängende Mikrofone verstärkt werden. Wir probieren aus, welche Spielmomente sich dafür am besten eignen. Viel Ungewohntes erleben in den kommenden Wochen

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ARBEITEN VON LUK PERCEVAL LASSEN SICH WIE EINE ART FREEJAZZ CHARAKTERISIEREN.

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die acht Schauspieler, die noch nie miteinander ge­ spielt haben und sich als neues Ensemble am Schau­ spiel Frankfurt nicht gut kennen. Die szenischen Abläufe werden zunächst einmal wie eine Choreografie angelegt, häufig agieren dabei die Frauen zusammen, und die Männer reagieren darauf. Situa­ tive Vorgänge sind in vier verschiedenen Varianten gleichzeitig zu sehen, weil vier Paare dieselben Kon­ flikte unterschiedlich ausagieren – sodass eine per-

manente Simultanität auf der Bühne entsteht, die mit verschiedenen Perspektiven verknüpft ist. Der Zuschauer soll sich am Ende entscheiden können, welches Paar er verfolgen, wo er hinschauen will, um den Preis, womöglich etwas anderes zu verpassen. Zwischendurch wechseln die Paarkonstellationen wie im Tanztheater. Der amerikanische Choreograf und Tänzer Ted Stoffer, der die Probenarbeit begleitet, achtet in den Bewegungsimprovisationen streng auf den individuellen körperlichen Ausdruck jedes Schauspielers, sodass es bei aller Simultanität nie um Synchronisation geht und tänzerische Bewegungen mög­lichst vermieden werden. Ab und an fokussiert sich das Spiel auf einen Darsteller, während die anderen als Gruppe agieren. Dann wieder entstehen Vereinzelungen aller im Raum und immer wieder lange Momente des Schweigens, in denen nichts passiert und die Zeit still zu stehen scheint. Das ist schwierig für die Schauspieler, die über ihre Spiel­routine ein Bühnentempo entwickelt haben, das sie antreibt, ­längere Pausen für die Zuschauer als M ­ omente der Verun­sicherung zu unterlassen. Tag­täglich helfen die Videoaufzeichnungen der Proben­arbeit, die vielen Ver­abredungen im Zusammenspiel noch einmal mit dem Ensemble zu überprüfen. Dabei übernimmt jeder ein Stück weit auch den Blick des Regisseurs, wenn er sich selber im Mitschnitt agieren sieht. Das ist für die Schauspieler oft nicht leicht: Diese Rolle der Mitgestaltung und Selbstkritik kennen sie nicht. Meist ent­ stehen schon daraus viele Ge­spräche über die Szenen und die gewünschte Intention der Inszenierung. Das gemeinsame Agieren und Sprechen erfordert ein hohes Maß an Achtsamkeit füreinander – genaues Zuhören, genaues Reagieren auf das, was der andere macht. Als ausgebildeter Yoga-Lehrer bietet Luk Perceval jeden Morgen eine Trainingseinheit an, um die Wahrnehmung füreinander zu sensibilisieren. Sind diese ersten Verabredungen getroffen, merken die Spieler schnell, dass es hier nicht darauf ankommt, festgelegte Regieanweisungen zu reproduzieren, sondern die Situation, mit der sie konfrontiert sind, immer wieder neu zu erleben. Viele Arbeiten von Luk Perceval lassen sich deshalb wie eine Art Freejazz charakterisieren: Es gibt zwar eine Partitur in Form von Text und Choreografie, aber das Erleben, das Spiel im eigentlichen Sinne ist immer wieder neu zu suchen. „Ich schätze sehr, wie Luk jedem einzelnen Spieler die Freiheit schenkt, die darin besteht, dass du absolute Eigenverantwortung trägst, etwas zu bestimmen, zu gestalten“, sagt Patrycia Ziolkowska, die schon an ­vielen Inszenierungen von Luk Perceval beteiligt war.6 Hier geht es also nicht um das Herstellen von Rollen, sondern um das Sein in einer für die Bühne klar

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das Publikum.“7 Die Leidensgeschichte von Treya Wilber duldet auf der Bühne keine Theatertöne, keine Behauptungen, keine Verstellung, kein Pathos. Hier wird nicht Krankheit gespielt, hier wird um das Leben im Moment des Spiels gerungen. Acht Schauspielerinnen und Schauspieler in körperlicher Höchstleistung gehen bis an ihre Grenzen, scheuen keine Strapazen, und am Rande dieser Erschöpfung beglaubigt ihr Atem Treyas Worte: „Weil ich den Tod nicht mehr ­ignorieren kann, achte ich mehr auf das Leben.“8 Die befürchtete Scham der Schauspieler, eine solche Krankheit darstellen zu müssen, ist nicht eingetreten, alle Skepsis und Unsicherheit, die schwer auf dem Probenbeginn lasteten, beseitigt. Stattdessen hat sich ein Ensemble gefunden, das sich in jeder Vorstellung neu begegnet und ausliefert. Für die Schauspieler ist es nicht nur die Darstellung eines langsamen Todes, sondern durch den enormen Körper- und Spieleinsatz auch ein „Fest des Lebens“.9 Wenn sie spielen, ent­ decke ich immer wieder faszinierende Momente von großer Schönheit: Wie Menschen sich ansehen, berühren, wie die Stille sich breit macht ... und mir fällt ein, was Laurie Anderson zum Tod von Lou Reed schrieb: „Es lebe die Schönheit, die uns alle ereilt und durch uns hindurchgeht.“10 Die Inszenierungen von Luk Perceval erzählen davon.

1 Ken Wilber: „Mut und Gnade. Die Geschichte einer großen Liebe – das Leben und Sterben der Treya Wilber“. Deutsche Übersetzung von Jochen Lehner. S. Fischer, Frankfurt am Main 2014, 5. Auflage, S. 14. 2 Ebenda, S. 340. 3 Michel Houellebecq: „Die Welt als Supermarkt“. Aus dem Französischen von Hella Faust, DuMont Buchverlag, Köln 1999, S. 31. 4 Luk Perceval: „Theater und Ritual“, herausgegeben von Thomas Irmer, Alexander Verlag, Berlin 2005, S. 13. 5 Programmheft Nr. 35 zur Aufführung „Mut und Gnade“, Schauspiel Frankfurt, Spielzeit 2018/19, S. 16. 6 Ebenda, S. 22. 7 Ebenda, S. 22. 8 „Mut und Gnade, S. 400. 9 Programmheft „Mut und Gnade“, S. 23. 10 Laurie Andersons Todesanzeige für Lou Reed, in: Spiegel online am 1. November 2013.

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definierten Situation. Was das genau meint, begreifen die Schauspieler schnell: Ihre gewohnten Spielangebote werden oft ausgeschlagen, und die er­lernte Professionalität bringt sie hier nicht wirklich weiter. Dass die Spieler es dennoch schaffen, einander neugierig, offen statt routiniert zu begegnen, ist eine große Herausforderung, die sie bald tagtäglich mit ihrem neuen Partner während der drei Wochen Bühnenproben leisten müssen: gemeinsam mit dem Wasser! Spätestens jetzt nämlich erfordert das Spiel besondere Wachsamkeit und vollen Körpereinsatz, weil das Element an den Kräften zehrt, weil es Vorsicht verlangt, wenn die vielen choreografischen Vorgänge voll ausagiert werden sollen. Bei all dieser Anstrengung ist täglich nur eine Probe mit Wasser möglich, obgleich wir allein hier auf der Bühne viele Spielvorgänge ent­ scheiden und überprüfen können. Jetzt erst realisie­ ren wir, wie stark die Atmung einen eigenen Klang in die Aufführung bringt. Jetzt erst hören wir das Wasser ständig, bei jeder Bewegung, selbst noch in der Stille tropft es an den abgekämpften Leibern herab. Es ent­ steht eine akustische Gesamtkomposition, ganz und gar ohne Musik – erst im Schlussbild spielen wir Treyas Lieblingskomponisten ein: Eine Mozart-Sinfonie begleitete sie in den Tod. Das alte Bockenheimer Depot, das mit seinem massiven Holzgewölbe und hohen Stahlpfeilern einstmals Straßenbahnen beherbergte, verwandelt sich durch das riesige Wasserbecken des Bühnenbildners Philip Bußmann zu einer Zisterne – und wenn das Zuschauerlicht ausgeht, erscheint es wie ein sakraler Bau. Alles spiegelt sich im Schwarz des Wassers und hebt die Raumgesetze auf: Oben ist unten, gespiegelt die Körper, verzerrt schillernd. Es kann losgehen: Das Spiel mit dem Leben, mit der Liebe – als Planschen im Wasser, als Toben, Springen, Rutschen, Laufen, Umarmen und als Kampf gegen die Krankheit, gegen den Tod – als Rennen, Schlagen, Fallen, Stampfen, Schlittern, Treten, Wüten gegen das Wasser. Statt vierhundert Seiten Tagebücher und Briefe, statt einhundert Seiten Bühnenadaption gibt es nur noch knapp dreißig Seiten Bühnentext: Die Geschichte erzählt sich über die starken Bilder im Wasserspiegel, über den körperlichen Ausdruck, über die vorsichtigen Berührungen, über das direkte Zusammenspiel. Dass sich überhaupt diese wahre Geschichte mit solcher Wucht und Unmittelbarkeit darstellen lässt, ist Luk Percevals Kompromisslosigkeit zu verdanken. Unablässig treibt er die Schauspieler da hin, wo sie ihre eigenen Fähigkeiten voll ausschöpfen müssen. Er hindert sie daran, sich auszuweichen oder gar einzurichten: „Überrasche dich selbst. Gehe einen anderen Weg. Überrasche deinen Partner. Überrasche auch


JUST LET GO On Luk Perceval’s production of “Grace and Grit” at Schauspiel Frankfurt by Marion Tiedtke

They stand there in everyday clothes before a large black body of water. A long silence follows, finally interrupted by laughter which infects everyone in turn. They double over laughing and finally plunge into the cold water. Eight actors, four men and four women, spend over two hours fighting the water and wrestling with texts that describe a fight against cancer. It isn’t a novel, it isn’t a drama, there aren’t eight different roles for the actors to slip into, to authenticate the characters; that’s not what this is about at all. Instead, it is a true story being brought to the stage. “Grace and Grit” is the title of the 1991 book by an American author, Ken Wilber. It is an autobiographical testimony of the life and death of Treya Wilber. The transpersonal psychologist, autodidact and renowned theoretician only got to know his future wife late in life. In the summer of 1983, they met each other and called it “love at first touch”.1 Four months later came the wedding, after ten days as a married couple came the diagnosis of breast cancer. The five years that Treya and Ken had together were a battle on the frontier of life and death. Mostly they were fighting for their love, searching for the meaning amid hope and fear and repeatedly recording their feelings of guilt, their fear and their loneliness in their diary entries. The initial therapy was soon followed by a relapse, then renewed recovery, a pregnancy that she couldn’t carry to full term, another cancer diagnosis, diabetes, chemotherapy and after effects that gradually destroyed Treya’s body. She didn’t give up, instead she helped other cancer patients, she lectured, she played sport – even with an oxygen unit. She left no stone unturned. Throughout this whole time, she was in-

creasingly confronting death, a struggle that taught her anew how to live in the present – but with none of the money, beauty, career or any of the other values that ​​ shape our society today. Other values ​​took their place: empathy and dedication. Or as she put it, “just let go!”2 After five years of suffering, she went to face death. She referred to grace and grit as the pillars of her life. Luk Perceval had long wanted to bring this story to the stage, but it put a lot of theatres off. Why should audiences pay to see a play about cancer? The book is full of medical reports, esoteric experiences, and Buddhist teachings that I, as the dramaturge in the initial work on the stage adaptation, had largely avoided, because I knew what it was in the material that really interested Luk Perceval. In a time when selfoptimisation and narcissism keep bringing us “new ­heroes” on the political stage, Perceval is looking for subjects that present people in a tragic light. This confrontation with one’s own mortality shifts life toward the right balance, in an immoderate age of exploitation by ­others and overconfidence in oneself. In the theatre, this story assumes the scope of ancient drama. The disease denotes a destiny that can mercilessly overtake us, and against which we are powerless – in a highly technological world where cancer is still the second most common cause of death. In choosing this material for the stage, Perceval the artist was also struggling with the experience of human suffering as an inescapable part of every life. It is only in witnessing suffering that we have the opportunity to learn humility and empathy. How else can we remove ourselves from the daily struggle for recognition

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ON STAGE WE TRY TO FIND A POETIC FORM THROUGH WHICH ONE CAN EMPATHETICALLY IMAGINE WHAT SUFFERING IS.

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Over the ensuing weeks the eight actors, who have never performed together and who as a new ensemble at the Schauspiel Frankfurt do not know each ­other well, encounter much that is unfamiliar. The sequence of scenes is first created like choreography; often the women act together, and the men respond. Situational processes can be seen in four different variations simultaneously, because four pairs act out the same conflicts differently, leading to a permanent simultaneity on the stage that is linked to different perspectives. In the end, the idea is that audience members are free to decide which pair to follow, where to look, and risk missing the pay-off, or something else. In between, the pairs swap partners like they do in dance. The American choreographer and

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same time? The same goes for the men. The first two weeks of rehearsals are largely devoted to this text work. Not only is the stage adaptation of the book shortened, but we also determine who says what. This results in forms of choral, canonical or fugue-like speech, simultaneous speech in different emotional states or a deliberately uncontrolled confusion, and of course, frequent long pauses, moments of silence. These are the musical principles that we try out in our treatment of the text – for a production in which there is almost no music at all. The voices can be amplified by eight microphones hanging on the edge of the stage. We try out the moments in the performance that are best suited to this.

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in a capitalist society that makes us little more than competitors? In a world of consumption which is a­ssuming monstrous dimensions, people themselves are increasingly becoming commodities who have a market value and yet are somehow interchangeable at the same time. Terminal disease defies this capitalist imperative of “erotic allure and money”.3 Cancer makes us view our own mortality – and confront our own transience, the major theme of all of Perceval’s productions. But Treya Wilber’s story hits the nerve of Perceval’s understanding of theatre in another way: time and again she was searching for meaning. Why was this happening to her? How was she to blame? What could she do to fend off the disease? What is right? What is wrong? The patterns of our thinking never manage to answer these questions. In the end, only meaninglessness remains. Does illness have any meaning? For Luk Perceval’s theatrical work certainly, because for him a successful performance is “an extraordinary form of devotion in this hectic world, providing audiences and actors with a ritual cohesion in their search for the ‘meaning of the meaningless’. Non-solitude. A moment of consolation, of shared mourning or laughter in the knowledge that so much meaningless suffering, so much meaningless violence does not allow answers – it merely calls for understanding and compassion.”4 If this is the goal of our performance, then we have a long way to go in our rehearsals. It is not easy for the actors to engage with this tale of suffering in the eight weeks of production work. Each of them has a close relative or friend who has cancer, or has died of it. Perceval knows what he is doing to his ensemble, so after the first rehearsal week he once again asks if they want to keep performing at all. The choice is theirs. The ­actors respond hesitantly, admit that it is a strain, but also that they are very concerned about how they can ever authentically embody – in the truest sense of the word – this story of illness. Of course, it cannot be about depicting her suffering on stage in a realistic way, but rather finding a poetic form together in their rehearsals. “The power of art is the imagination, the fact that through this form you can empathetically imagine what this suffering is”5 – that’s how Luk Perceval expresses his task. And that’s precisely what we have to work on. It helps that we decide from the off that there is not just one couple, but that every man on the stage assumes the position of Ken and every woman that of Treya. At the same time, this means we have to find a way to approach the text. How can four women experience and verbalise the situation on stage at the


dancer Ted Stoffer, who is present during the rehearsals, pays close attention to the individual physical expression of every actor in the movement improvisations, so that all that simultaneity never becomes synchronization, and they avoid “dance” movements as much as possible. Sometimes the action focuses on one actor, while the others perform as a group. Then everyone in the space will separate once more, there are more long moments of silence in which nothing happens and time seems to stand still. This is difficult for the actors, who have developed a stage tempo through their performance routine which tempts them to leave out these longer breaks, these moments of uncertainty for the audience. Every day, the video recordings of the rehearsals help the ensemble to review the many arrangements in interaction. At the same time, everyone can watch themselves on the recording and look through the director’s eyes to an extent. This is often difficult for the actors, unfamiliar as they are with this role of participation and self-criticism. It usually leads to extensive discussion about the scenes and the desired intention of the production.

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WORKS BY LUK PERCEVAL CAN BE CHARACTERISED AS A KIND OF FREE JAZZ.

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This mutual acting and speaking requires a high degree of mutual mindfulness – listening carefully, responding carefully to what the other person is doing. As a trained yoga teacher, Luk Perceval offers a session each morning to increase their awareness of each other. Once these initial arrangements are made, the performers quickly realise that they are not being

called upon to reproduce fixed stage directions, but to constantly re-experience the situation with which they are confronted. Consequently, many works by Luk Perceval can be characterised as a kind of free jazz; while there is a score in the form of text and choreography, the experience, the performance in the actual sense has to be constantly rediscovered anew. “I really appreciate how Luk gives every single performer the freedom that comes from having absolute personal responsibility for defining, for forming something,” says Patrycia Ziolkowska, who has been involved in many of Luk Perceval’s productions.6 So this is not about creating roles, but about being in a situation that is clearly defined for the stage. The actors quickly grasp what that actually means – often they have to drop their performing methods, and they can’t really rely on their acquired professionalism. For the performers to face each other with curiosity and openness rather than routine is a major challenge that they will have to manage anew with a new partner for every day of the three weeks of rehearsals. And then there’s the water! At this point the performance demands even greater vigilance and total physical exertion, because the element saps your strength, because it demands caution in fully acting out many of the choreographic sequences. For all this effort they can only rehearse once a day with water, although just on the stage we can arrange and assess numerous sequences. It is only now that we realise how breathing makes its own sonic contribution to the performance. Only now do we hear the water constantly, with every movement; even in the quiet moments it drips down weary bodies. The result is a complete acoustic composition, completely without music; only in the final scene do we hear Treya’s favourite composer in a Mozart symphony that was playing as she died. The old Bockenheimer depot, which once housed trams with its massive wooden vaults and high steel pillars, transforms into a cistern with the huge water basin by stage designer Philip Bußmann – and when the auditorium lights go out it looks like a sacred structure. Everything is reflected in the black of the water and it revokes the laws of space – up is down, the body is reflected, distorted and dazzling. Then it begins. Playing with life, with love – splashing in the water, romping, jumping, sliding, running, hugging and as the struggle against the disease, against death, racing, beating, falling, pounding, sliding, kicking, raging against the water. Rather than four hundred pages of diaries and letters, instead of one hundred pages of the stage adaptation, there are less than thirty pages of stage text. The story is told through the powerful im-

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1 Ken Wilber: “Grace and Grit: Spirituality in the Life and Death of Treya Killam Wilber” 2 ibid 3 Michel Houellebecq: “Interventions” 4 Luk Perceval: “Theater and Ritual” 5 Programme no. 35 for the production of “Grace and Grit”, Schauspiel Frankfurt, 2018/19 season 6 ibid 7 ibid 8 “Grace and Grit” 9 Programme for “Grace and Grit” 10 Laurie Anderson’s obituary for Lou Reed, East Hampton Star, 31 October 2013

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MARION TIEDTKE

ages in the surface of the water, through physical expression, through tentative contact, through direct interaction. The fact that this true story can be portrayed with such force and immediacy comes from Luk Perceval’s refusal to compromise. He incessantly pushes the actors to the point where they have to make full use of their own abilities. He prevents them from evading it or even settling into it. “Surprise yourself. Take another route. Surprise your partner. Surprise the audience too.”7 The story of Treya Wilber’s suffering won’t stand for theatrical touches, statements, pretence or pathos on the stage. It is not illness that is being performed, this is a struggle for life in the moment of performance. Eight actors push themselves to the limits of physical performance, never shying away from the difficulty of it all, and on the brink of exhaustion their breath confirms Treya’s words: “Because I can no longer ignore death, I pay more attention to life.”8 The actors’ fear that there will be shame in presenting such a disease has not materialised, removing all the scepticism and uncertainty that weighed so heavily at the beginning of rehearsals. Instead, an ensemble has discovered itself, and encounters itself anew, surrenders itself anew in every performance. For the actors, it is not just the depiction of a slow death, the enormous physicality and performance makes it a “cele­ bration of life”9 as well. When they perform, I keep discovering compelling moments of great beauty. How people look at each other, touch, how the silence spreads ... and then I recall what Laurie Anderson wrote on the death of Lou Reed: “Long live the beauty that comes down and through and onto all of us.”10 This is what Luk Perceval’s productions show us.


Zwei Monster

Spielzeit 2019/20

Effi Briest

Die lächerliche Finsternis

PREMIERENVORSCHAU Uckermärkische Bühnen Schwedt

SPIELZEIT 2019/20

24 Stunden im Leben einer Frau

FRIDAYS FOR FUTURE (Arbeitstitel) Klassenzimmerstück | Uraufführung

Bestellt und nicht abgeholt

NÜRNBERG

That’s Life! Patricks Trick 4Min 12Sek Die kleine Hexe Freie Wahl (UA) Rockin’ Around the Christmas Tree

Premiere: 5. September 2019 Schauspiel von Wojciech Tomczyk

Premieren: 13./14. September 2019 TILL ULENSPIEGEL – EINE LIEBE FÜR FLANDERN Rockmusical von Jan Kirsten, Max Beinemann, Uli Herrmann-Schroedter, Maren Rögner, Reinhard Simon | Uraufführung

Premiere: 5. Oktober 2019 KITSCH! DarstellBar Musikalisch-szenisches Kleinkunstprogramm

Premiere: 31. Oktober 2019 DIE SCHÖNE UND DAS BIEST

Tschechow-Variationen

Märchen nach Jeanne-Marie Le Prince de Beaumont | Uraufführung

Der rote Löwe

Vorpremiere: 10. November 2019 | Kleist Forum Frankfurt (Oder) Premiere: 20. November 2019

Pampa Blues Die Werkstatt der Schmetterlinge Judas Wende.Punkte

Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt) Roland rettet die Hanse (UA)

DER ZERBROCHNE KRUG Lustspiel von Heinrich von Kleist

Premieren: 29./30. November 2019 DIE PRINZESSIN UND DER PJÄR Jugendstück von Milena Baisch

Premiere: 25. Februar 2020 MEINE BRAUT, SEIN VATER UND ICH Boulevardkomödie von Gerard Bitton und Michel Munz

Premiere: 13. März 2020 ANTIGONE Schauspiel von Sophokles

Premieren: 20./21. März 2020 DAS BLAUE VOM HIMMEL Trash-Schlager-Revue von Katja Kettner und Heike Scharpff

Premiere: 23. April 2020 ROBINSON CRUSOE Schauspiel von Frank Radüg | Uraufführung

Premiere: 23. Mai 2020 DIE NEUEN ABENTEUER DES BARON MÜNCHHAUSEN

Landestheater Sachsen-Anhalt Nord Karlstraße 6, 39576 Stendal www.tda-stendal.de

Familienmusical von Jan Kirsten | Uraufführung

Premiere: 6. Juni 2020 Infos und Ticketservice Tel. 03332 – 538 111 E-Mail: kasse@theater-schwedt.de www.theater-schwedt.de


Spielzeit 2019/20

am Theater Lübeck Schauspieldirektor Pit Holzwarth von und nach William Shakespeare

Game of Crowns 1

I Pit Holzwarth A Werner Brenner M Achim Gieseler Premiere Fr 06/09/19, Kammerspiele

von Friedrich Schiller

Die Räuber

I Andreas Nathusius A Annette Breuer M Felix Huber V Thomas Lippick Premiere Fr 13/09/19, Großes Haus

von Tony Kushner

Engel in Amerika

I Marco Štorman B Michael Köpke K Sara Kittelmann M Thomas Seher Premiere Fr 08/11/19, Kammerspiele von Ewald Palmetshofer nach Gerhart Hauptmann

Vor Sonnenaufgang

I/B Mirja Biel K Hannah Petersen M Stella Sommer Premiere Sa 30/11/19, Kammerspiele

von Ödön von Horváth

Zur schönen Aussicht I Friederike Harmstorf B N.N. K Sibylle Wallum M Carolina Bigge Premiere Fr 31/01/20, Kammerspiele

nach Lewis Carroll

Alice

I Malte C. Lachmann ML Willy Daum B Luisa Wandschneider K Tanja Liebermann C Tiago Manquinho Premiere Sa 08/02/20, Großes Haus von und nach William Shakespeare

Game of Crowns 2

I Lily Sykes B Jelena Nagorni K Ines Koehler-Klünenberg Premiere Do 02/04/20, Kammerspiele von Wajdi Mouawad

Vögel

I Pit Holzwarth A Werner Brenner Premiere Fr 01/05/20, Kammerspiele

Theater Lübeck Beckergrube 16, 23552 Lübeck Theaterkasse 0451/399600 www.theaterluebeck.de


AUFEINANDER UND MITEINANDER HÖREN Meine musikalische Arbeit mit Luk Perceval von Jens Thomas

Luk Perceval suchte für seine „Othello“-Inszenierung an den Münchner Kammerspielen 2003 einen improvisierenden Pianisten. Auf Empfehlung von Laurent Simonetti kamen wir in Kontakt. Nachdem Luk meine CDs gehört hatte, trafen wir uns im Frühjahr 2002 zum ersten Mal. Ich spielte ein Konzert mit dem Saxophonisten Christof Lauer in einer Stadt, deren Namen ich vergessen habe. Gut erinnern kann ich mich aber an den Mann mit Glatze und ohne Hut (!), der mir im Zuschauerraum des Clubs kurz vor Konzertbeginn entgegenkam. „Hab’ einfach Spaß“, sagte er, und das hatten wir. Damit war das Mantra unserer Zusammenarbeit im Prinzip schon gefunden. Während der Proben verwandelte es sich zu: „Mach dein Ding“. Was ich bei unserer ersten Begegnung wusste: Der Mann meint es ernst. Mit allem. Vor allem aber, und das war für mich entscheidend: mit meiner Freiheit, die Musik zu improvisieren. Improvisation nicht als das „Erfinden“ von etwas, sondern als das Hörbarmachen von dem, was unsichtbar wirkt. Das zentrale Element war immer die Behauptung, dass alles jetzt, in diesem Moment entsteht, jeden Abend aufs Neue.

Nicht gespielt, sondern wirklich körperlich hervor­ gebracht. So ergriff mich das emotionale Spiel der Schauspieler derartig, dass ich auf einer Probe, ohne es zu merken, zu singen begann. Da Luk alle Proben auf Video aufnahm, konnte ich diese Initialzündung selbst beobachten. Meine Scham wurde von ihm und dem Ensemble weggewischt: „Mach dein Ding“. Luks Grundidee war, „Othello“ zugleich theatral als auch musikalisch zu erzählen. Deshalb spielte ich fast durchgehend. Daran mussten sich die Schau­ spieler gewöhnen. Und ich musste mich im Gegensatz zu meinen Konzerten reduzieren und mit weniger Tönen auskommen. Die ersten Wochen zofften wir uns immer wieder, bis irgendwann alle ein Gefühl bekamen: Hier entsteht etwas Besonderes. Wir merkten, dass es nur funktionieren würde, wenn wir wirk­ lich aufeinander hörten und die Musik dabei ganz ­eigenständig blieb und eben nicht die Inszenierung bebilderte. Musikalisch schälten sich kleine Motive heraus, die Bestand hatten an bestimmten Stellen. Doch wusste ich nie, wo und wie ich begann und wohin

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LUK PERCEVAL IST EIN MEISTER DES RHYTHMUS.

Wenn es aber gelang, hatte ich in allen drei Inszenierungen nach den Vorstellungen das Empfinden, bei etwas zutiefst Sinnvollem dabei gewesen zu sein. Dann löste sich etwas in mir, und über solch eine Art von Katharsis habe ich oft auch Zuschauer sprechen hören. Luk Perceval ist ein Meister des Rhythmus. Insofern ist er ein sehr musikalischer Regisseur. In seinen geistig-emotionalen Räumen fühlte ich mich stets am richtigen Platz, fühlte mich frei und als Künst­ler erkannt, obgleich ich nur ein kleiner Teil eines großen Ganzen war. Wo gibt es das sonst noch?

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JENS THOMAS

­ ialekte flogen mir um die Ohren, und das Irre war: D egal. Ich verstand nichts, aber begriff trotzdem, worum es ging. Da wurde Sprache endgültig zum Klang, der Kommunikation jenseits des rationalen Verstandes ermöglicht. „Platonow“ sollte laut Luk „ein Konzert“ werden. So konzentrierten wir uns ganz auf den Klang, und das Hören rückte erneut in das Zentrum der Zusammenarbeit. Dabei wurde die Stille so wichtig wie der Ton. Doch es wollte eben eine gehörte Stille sein. Eine ungeheure Konzentration war deshalb gefragt, und das wurde für uns alle auch immer wieder zu einer Überforderung. Manchmal hatte ich das Gefühl, in einem schwarzen Loch zu versinken. Dann fand ich nichts, was ich hätte spielen können, denn die Quelle für meine Musik sind letztlich immer die Emotion und die Energie der Schauspieler. Um die Dramaturgie des Stücks nicht zu gefährden, hatte ich zuweilen das Gefühl, „etwas tun“ zu müssen, mich anzustrengen, um bestimmte emotionale Zustände auf der Bühne zu erreichen. Dann verflog für mich der Zauber. Vor den Aufführungen erinnerten wir uns deshalb gegenseitig an das Zuhören. Doch der Mensch ist keine Maschine, und so gehört das Scheitern an der gestellten Aufgabe eben auch zur Kunst.

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mich das führte. Temperaturen, Aggregatzustände und Texturen wandelten sich ständig im Zusammenspiel, und so blieb die Musik bis zur letzten Vorstellung frei improvisiert. Ich versuchte immer, zwischen die Zeilen der Schauspieler zu kommen, sodass sich ein Dialog zwischen Melodien und Sätzen ergab. Dabei haben wir in neun Jahren und mehr als einhundert Vorstellungen als Gruppe auf der Bühne eine Kommu­ nikation entwickelt, die ich in ihrer Intensität, Nähe und Kraft erst wieder in der Zusammenarbeit mit ­Matthias Brandt entdeckt habe. Bei „Othello“ waren wir irgendwann wie ein Organismus, der seinem eigenen Bewusstsein folgt, um diese Geschichte jedes Mal aufs Neue, jedes Mal etwas anders gefärbt zu erzählen. Für zwei Stunden tauchte ich ab, vergaß mich und hörte nur auf jeden Atmer, jede Veränderung in den Stimmen und Stimmungen. Ich erlebte das Hören in einer ganz neuen Dimension, und je mehr ich den Schauspielern zuhörte, desto mehr explodierte ich in meinen Freiräumen. In „Hamlet“, meiner zweiten Arbeit mit Luk, saß ich nicht mehr auf der Bühne, sondern im Orchestergraben des Thalia Theaters in Hamburg. Während ich bei „Othello“ noch ohne Verstärkung spielte, gab es hier durch Mikrofone neue Möglichkeiten, mit meiner Stimme leichter und entspannter umzugehen. Ein neuer Schritt und eine ganz andere Herangehensweise. Zwar war auch bei „Hamlet“ die Interaktion mit Text und Schauspielern das Wesentliche, doch spielten wir eher eine Art Oper, nur eben mit improvisierter Musik und mir als einzigem Sänger. Diese ­Inszenierung indes war, schon aufgrund der Vielzahl der Beteiligten, schwieriger in einen sich selbst hervorbringenden Fluss zu bringen. Es funktionierte zwar immer wieder, doch lauerte für mich ständig die Gefahr, nur einen Klangteppich zu aufgesagtem Text zu spielen. Aber selbst wenn wir während der ersten ­einhundert Minuten nicht volle Fahrt aufgenommen hatten, haute mich jedes Mal der Sprechchor der Kinder, der den sich vollkommen verausgabenden Jörg Pohl als Echo begleitete, in der letzten Viertel­ stunde vom Hocker. Irgendwie sollte ich dazu noch musikalisch „einen draufsetzen“. Eigentlich unmöglich, doch durch die schiere Verausgabung entstand zum Ende ein Tsunami aus Wort und Klang, der für mich meist damit endete, dass mir schwarz vor Augen wurde, weil ich vor dem Satz „Der Rest ist Schweigen“ noch den letzten Ton singend bis zum Erbrechen aushielt. Bei unserer dritten Zusammenarbeit, „Platonow“ in Gent, saß ich mit meinem Flügel auf einer sich über die Bühne bewegenden Plattform und verstand kein Wort von dem, was da geredet wurde. Flämische


LISTENING TO – AND WITH – EACH OTHER My musical work with Luk Perceval by Jens Thomas

For his 2003 production of “Othello” at the Münchner Kammerspiele, Luk Perceval was looking for an improvisational pianist. We came into contact through a recommendation from Laurent Simonetti. Once Luk had heard my CDs, we met for the first time in the spring of 2002. I was doing a concert with saxopho­ nist Christof Lauer in a town whose name I forget. But I can certainly remember the bald man without a hat (!) who approached me in the auditorium of the club shortly before the start of the concert. “Just have fun,” he said, and we did. And that essentially became the mantra of our collaboration. During rehearsals it transformed into “do your thing”. And from our first encounter I realised – the guy really means it. With everything. But above all – and this was the key for me – with my freedom to improvise the music. Not improvising as an “invention” of something, instead making audible something that seems invisible. The central element was always the assertion that everything arises in the moment, and differently every night. Not played, but actually physically called forth. I was so absorbed by the emotional acting of the actors that at one rehearsal, without noticing I started singing. Because Luk recorded all of his rehearsals on video, I was able to witness this initial ignition for myself. He and the ensemble wiped away my shame: “do your thing”. Luk’s underlying idea was to tell “Othello” theatrically and musically at the same time. So I was playing the whole time, just about. The actors had to get used to it. And in contrast to my concerts I had to reduce my playing and use fewer notes. The first few weeks we kept arguing, until finally we all realised – there is

something special happening here. We recognised that it would only work if we really listened to each other and the music remained completely independent without having to illustrate the production. Musically, small enduring motifs would emerge in certain spots. But I never knew where and how I had started and where it would lead me. Temperatures, aggregate states and textures changed constantly in the interaction, and so the music remained freely improvised until the last performance. I always tried to come in between the actors’ lines, so that there would be a dialogue between melodies and phrases. In nine years and more than one hundred performances as a group on stage we developed a way of communicating of an intensity, closeness and strength that I only encountered again in collaborating with Matthias Brandt. At some point in “Othello” we were like an organism that follows its own consciousness to tell the story anew every time, shaded a little differently each time. For two hours I would dive down, forget myself, and listen to every breath, every change in voice and mood. I experienced listening in an entirely new dimension, and the more I listened to the actors, the more I exploded within my space. In “Hamlet”, my second work with Luk, I wasn’t on stage, but rather in the orchestra pit of the Thalia Theater in Hamburg. Whereas I played “Othello” without amplification, here a microphone opened up new opportunities for using my voice in a lighter and more relaxed way. A new step and a completely different approach. Although the interaction with lyrics and actors was essential to “Hamlet” as well, it was more a kind of opera we were making, only with improvised

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music and me as the only singer. But the sheer number of participants meant that this production was harder to get into a self-regenerating flow. It always worked, but I was constantly wary of the danger that it would just be a soundscape accompaniment to recited text. But even if we had not got up to full speed during the first one hundred minutes, every time the spoken choir of the children, who accompanied the completely spent Jörg Pohl as an echo, would knock me from my seat in the last quarter hour. Somehow I had to musically “top that”. Actually it was impossible, but the sheer exhaustion at the end led to a tsunami of words and sound that usually ended with everything going black before my eyes, because I would hold the last note before the phrase “the rest is silence” to the point of throwing up.

always the emotion and energy of the actors. To avoid jeopardising the dramaturgy of the piece, I sometimes felt like I had to “do something”, to push myself to achieve certain emotional states on stage. That’s when the magic vanished for me. So before the performances we reminded each other to listen. But we’re not machines, and failing at the task at hand is a part of art. But when it worked, in all three productions, after the performance I would have the sense of having been involved in something profoundly meaningful. Then something would come undone within me, and I often heard audience members talking about exactly this kind of catharsis as well. Luk Perceval is a master of rhythm. In that sense, he is a very musical director. In his spiritual, emotional spaces I always felt I was in the right place, I felt free and acknowledged as an artist, although I was only a small part of a large whole. Where else do you get that?

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JENS THOMAS

THE SILENCE WAS JUST AS IMPORTANT AS SOUND.

For our third collaboration, “Platonov” in Ghent, I sat with my grand piano on a platform moving across the stage and didn’t understand a word of what they were saying. Flemish dialect flew around my ears, and the weird thing was it didn’t matter. I didn’t understand anything, but I still understood what it was about. And finally language would become sound, enabling communication beyond reason. Luk thought that “Platonov” should become “a concert”. So we focused entirely on the sound, and listening was once again at the heart of our collaboration. The silence was just as important as sound. But it was supposed to be a heard silence. So it took enormous concentration, and for each of us it would become all too much now and again. Sometimes I felt like I was sinking into a black hole. Then I wouldn’t be able to find anything to play, because ultimately the source of my music is

musik.festival.theater B.L.O. Ateliers 23.-25. August 2019 Das Helmi mit Cora Frost Vanessa Stern + glanz & krawall + Romano Melentini + Tanga Elektra

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www.berlinisnotbayreuth.de


Glücksgriff! Die Spielzeit ⁄ Die Dreigroschenoper Der Meister und Margarita Wer hat Angst vor Virginia Woolf? | Tartuffe Das Tagebuch der Anne Frank Der Raub der Sabinerinnen Der Tod und das Mädchen Elling | Mein Kühlraum Tschick | Szenen einer Ehe Ol‘ Blue Eyes Leonce und Lena Jin Jiyan – Der Aufbruch (UA) Ein palästinensisches Stück (UA) Wilhelm Tell

Premieren im Schauspiel 2019 2020

12. SEP 2019 | SCHAUSPIELHAUS

MINNA VON BARNHELM Lustspiel von Gotthold Ephraim Lessing Regie Charlotte Sprenger

Uraufführung 13. SEP 2019 | WERKSTATT

IN STANNIOLPAPIER von Björn SC Deigner | Regie Matthias Köhler

2. OKT 2019 | SCHAUSPIELHAUS

VOR SONNENAUFGANG von Ewald Palmetshofer | nach Gerhart Hauptmann Regie Sascha Hawemann

Uraufführung 28. SEP 2019 | SCHAUSPIELHAUS, FOYER

VIELE GRÜSSE, DEINE GIRAFFE nach dem Kinderbuch von Megumi Iwasa | Regie Nadine Schwitter

31. OKT 2019 | WERKSTATT

DIE INSTALLATION DER ANGST von Rui Zink | Regie Clara Weyde

8. NOV 2019 | SCHAUSPIELHAUS

DIE MARQUISE VON O. von Heinrich von Kleist | Regie Martin Nimz

6. DEZ 2019 | SCHAUSPIELHAUS

DER EINGEBILDETE KRANKE Komödie von Molière | Regie Simone Blattner

Uraufführung 19. DEZ 2019 | WERKSTATT

LIEBER GOLD IM MUND ALS PORZELLAN IM SAFE eine Kooperation mit dem fringe ensemble | Regie Frank Heuel

Uraufführung 24. JAN 2020 | WERKSTATT

APEIRON von Anja Hilling | Regie Ludger Engels

31. JAN 2020 | SCHAUSPIELHAUS

DIE RÄUBER von Friedrich Schiller | Regie Simon Solberg

28. FEB 2020 | SCHAUSPIELHAUS

KÖNIG LEAR von William Shakespeare | Regie Luise Voigt

29. FEB 2020 | WERKSTATT

MÄDCHEN WIE DIE von Evan Placey | Regie Carina Eberle

27. MÄRZ 2020 | SCHAUSPIELHAUS

SZENEN EINER EHE von Ingmar Bergman | Regie Jan Neumann

4. APR 2020 | OPERNHAUS

WIE IM HIMMEL Koproduktion von Schauspiel und Oper des Theater Bonn und Junges Theater Bonn von Kay Pollak | Regie Tatjana Rese

23. APR 2020 | WERKSTATT

DAS ENDE VON IFLINGEN von Wolfram Lotz | Regie Corinna von Rad

Uraufführung 24. APR 2020 | SCHAUSPIELHAUS

BABEL BONN ein partizipatives Rechercheprojekt von Simon Solberg

www.theater-kr-mg.de

WWW.THEATER-BONN.DE


2019.2020

SCHAUSPIEL WUPPERTAL

Weltten

SPIELZEIT 2019/20

geschich

DER GEIZIGE von Molière Regie: Alexander Marusch ab Sa. 28. Sept. 2019

ATLAS von Thomas Köck Regie: Jenke Nordalm ab Sa. 1. Feb. 2020

DAS MISSVERSTÄNDNIS von Albert Camus Regie: Martin Kindervater ab Sa. 5. Okt. 2019

ROMEO UND JULIA von William Shakespeare Regie: Nicolas Charaux ab Sa. 28. März 2020

DER KLEINE LORD nach Motiven von Frances Hodgson Burnett Regie: Henner Kallmeyer ab Sa. 16. Nov. 2019 BILDER DEINER GROSSEN LIEBE von Wolfgang Herrndorf Regie: Barbara Büchmann ab Sa. 7. Dez. 2019

TOD EINES HANDLUNGSREISENDEN von Arthur Miller Regie: Jakob Fedler ab Sa. 9. Mai 2020 BENEFIZ – JEDER RETTET EINEN AFRIKANER von Ingrid Lausund Regie: Anna-Elisabeth Frick ab Fr. 12. Juni 2020

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Kehlmann Die Vermessung der Welt Weisenborn/Wecker Der Illegale Barillet/Grédy Das Schmuckstück Wilpert nichts, was uns passiert Fassbinder/MüllerScherz Welt am Draht Brasch Mercedes Labiche Das Sparschwein Plüschke #Hungerkünstler Brandau Himmel und Hände Preußler/von Düffel Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete Schober Sonnenstrahl im Kopfsalat Gößner What on Earth ?! Schlender/Grimm Rapunzel oder Wen die Liebe trifft

07.06.19 11:00


BEGEGNUNG, ZEIT, VERTRAUEN Über den langen Atem in großen Projekten von Patrycia Ziolkowska

„Komm, ich will dir einen Freund vorstellen.“ Ich schreibe im Zug auf dem Weg nach Hamburg, ­alter Heimathafen und zentraler Ort unserer gemeinsamen Arbeit in den vergangenen Jahren, Dreh- und Angelpunkt gemeinsamer Geschichte. Inzwischen haben wir uns beide wieder auf den Weg gemacht, die Anker gelichtet. Unsere gemeinsame Reise, die uns nach Hamburg führen sollte, begann im Herbst 2006 in Berlin. Komm, ich will dir einen Freund vorstellen, sagte sie und zog mich in einen ruhigeren Winkel des Raums. An der Wand lehnte ein mir unbekannter Mann, ein stiller Beobachter, zurückhaltende Erscheinung und gleichzeitig offenes Wesen, in sich ruhend und doch mit wachem, neugierigem Blick. Ein lieber Freund, sagte sie, mit dem sie schon viel gearbeitet hätte und der gerade für ein anstehendes Projekt noch auf der Suche nach einer jungen Schauspielerin sei. Sie selbst könne leider nicht dabei sein. Da habe sie an mich gedacht. So führte uns der Zufall und der Instinkt einer ­Freundin und Kollegin, die glaubte, dass da zwei Men-

schen zusammenpassen könnten, zueinander. Dies war eine Begegnung, die weitgreifend fortdauern, wachsen und mich künstlerisch prägen sollte. Welche Dimension diese Zusammenkunft in meinem Leben einnehmen würde, konnte ich an jenem Abend im Oktober nicht erahnen. Der Freund also, mit dem sie mich bekannt machen wollte, war Luk Perceval. Zwar kannte ich den Namen, hatte einiges über seine Arbei­ ten gehört, jedoch weder eine seiner Inszenierungen gesehen noch wusste ich, wie er aussah. Diese erste Begegnung war unmittelbar, wie aus heiterem Himmel und ohne Vorankündigung. Wir kamen ins Gespräch, und er erzählte mir von einem MolièreProjekt, das er gerade in Zusammenarbeit mit den ­Autoren Feridun Zaimoglu und Günter Senkel ent­ wickelte. Dass er noch auf der Suche sei nach einer jungen Schauspielerin, die an der Seite von Thomas Thieme, als dessen Partnerin, fünf Monate am Stück in Berlin probieren und den Sommer in Salzburg spielend verbringen könnte. Ob ich mir das grund­ sätzlich vorstellen und kommende Woche zum Vorsprechen an die Schaubühne kommen könne? Ich war perplex, verlegen, still vor Freude und Staunen.

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FREIHEIT, SELBSTSTÄNDIGKEIT, EIGENVERANTWORTUNG UND HINGABE DES SPIELERS SIND DIE GRUNDVORAUSSETZUNG.

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Luks Wunsch war es, dass alle Schauspieler immer auf der Bühne sind und bleiben, es gab keine Auf- und Abtritte. Katrin Brack hatte uns einen wunderbaren Raum geschenkt, eine leere Bühne mit lose verteilten großen Lautsprecherboxen, die wie kleine Inseln waren. Zentrales Element war der Schnee, den sie unablässig aus dem Schnürboden auf die Büh­nenlandschaft und die Akteure schneien ließ. Diese perma­nente Bewegung durch das Herabfallen der Schneeflocken, welche die Landschaft bedeckten und veränderten, erzeugte einen nahezu psychedelischen Effekt beim Zuschauer. Das Auge des Betrachters wurde in die Irre geführt, plötzlich geriet der Raum an sich in Bewegung und begann aufzusteigen, zu fliegen. Dadurch, dass immer alle auf der Bühne waren, war es wichtig, zunächst eine gemeinsame Energie

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PATRYCIA ZIOLKOWSKA

Der Text war die Basis und bildete das Fundament, auf dem wir gemeinsam anfingen, unseren Kosmos auf der Bühne zu entwickeln und aufzubauen. Feridun Zaimoglu und Günter Senkel, die bereits für „Othello“ mit Luk zusammengearbeitet hatten, bearbeiteten den Stoff sprachlich in einer unverwechselbaren Weise. Eine klare Brechung mit der klassischen Sprache Molières, ein eigener Rhythmus, ein eigener Sound. Der tragische Kern Molières wurde freigelegt. Fünf Monate Proben in Berlin, Endproben und Premiere auf der Perner Insel bei den Salzburger Festspielen.

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Die Komponenten von „zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein“ stimmten hier auf wundersame Weise überein. Obwohl die Situation eines Vorsprechens oft eher unbefriedigend oder unangenehm sein kann, verlief das Ganze dieses Mal etwas anders und für mich irri­ tierend neu. Diese Irritation ließ mich aufhorchen, machte mich hellwach, brachte mich derart aus der Fassung, dass ich alles Vorgenommene spontan über Bord werfen musste. Natürlich blieb das Gerüst dessen, was ich mir erarbeitet hatte, bestehen, aber es kam etwas für den Moment Entscheidendes hinzu. Es war mir nicht fremd, während eines Vorsprechens zu arbeiten, aber das Besondere daran war, mit welch fordernden und auch zugewandten Energien dieser Regisseur arbeitet. Während er sich gleichzeitig mit mir auf der Bühne befand und mich durch die Linse einer Kamera beobachtete und filmte, stellte er, während ich spielte, mit seinen Einwürfen mein ge­ samtes Konzept auf den Kopf, provozierte, stellte Fragen und forderte mich aufs Schönste heraus. Er hatte mich aus meinem „sicheren Terrain“ gelockt. Er wollte kein perfektes Vorsprechen sehen, sondern den Menschen, der da steht und etwas Persönliches von sich offenbart, die Risse, das Vorher/Nachher, einen Nullpunkt. Diese Begegnung wirbelte bei mir einiges durcheinander. Verwirrt, auch verunsichert, aber auf seltsame Weise glücklich taumelte ich aus diesem Vorsprechen. Einige Tage später bekam ich einen Anruf. Es war Luk höchstpersönlich, der mir zusagte und mich einlud, bei „Molière. Eine Passion“ zu spielen. Es war ein großangelegtes Projekt, welches vier Werke von Molière, die großen Charakterkomödien, in einem Stück vereinen sollte. Als Erzählung eines Le­ bensweges, dem von Molière, in Gestalt der jeweiligen Hauptcharaktere der Stücke, also Alceste, Don Juan, Tartuffe und Harpagnon. Diese vier Charaktere aus „Der Menschenfeind“, „Don Juan“, „Tartuffe“ und „Der Geizige“ sollten zu einer Art Alter Ego des Dichters selbst verschmelzen. Diese Setzung der Figuren­ verschmelzung ergab sich teilweise auch für andere Charaktere. So eben auch für den Part, den ich zu spielen hatte. Meine Figur begann als Celimène an der Seite von Thomas Thieme als Alceste und entwickelte sich in den nachfolgenden Stücken aus den anderen Frauenfiguren an seiner Seite, blieb aber für mich im Kern immer Celimène. Die eine große Liebe, die Frau, die Molière immer wieder an neuralgischen Stationen auf seinem Lebensweg begegnet und die ihn bis zu seinem Ende begleitet. Die Widersprüchlichkeit der einzelnen Stücke und die Kombination der Haupt­ charaktere barg unglaublich reizvolles Potenzial in sich.


als Grundvoraussetzung zu kreieren. Eine Energie, die es ermöglichte, trotz permanenter Präsenz aller im Raum, zu zirkulieren, aber auch zu fokussieren. Das setzte sowohl eine hohe Konzentration und Wachsamkeit als auch Beweglichkeit und Großzügigkeit im Umgang mit den eigenen Kräften wie mit denen der Kollegen voraus. Die lange Probenphase ermöglichte uns nicht nur, wirklich zu forschen, zu entdecken, ausgetretene Pfade zu verlassen, nicht geradlinig und sofort ergebnisorien­ tiert zu arbeiten, sondern auch auf Umwegen zu ­neuen Erkenntnissen zu gelangen, zu suchen und zu sammeln. Vor allem aber war die Art und Weise, wie Luk arbeitete, für mich ungeheuer impulsgebend und kreativ. Er ließ mich machen und erfinden, schaute mir aufmerksam dabei zu und führte mich über Grenzen hinaus, trieb mich in physische Erschöpfungs­ zustände, die mich zwangen, Kräfte und Gedanken zu bündeln. Ich erlebte ihn oft mit einer unglaublich for­dern­ den Energie und Empathie, einem liebevollen Blick und großem Vertrauen. Freiheit, Selbstständigkeit, ­Eigenverantwortung und Hingabe des Spielers sind die Grundvoraussetzung für eine solche Arbeit. Es geht darum, sich aus Konventionen zu befreien, um etwas Neues, etwas Außerordentliches zu erfahren und an den Punkt zu kommen, wo man nicht mehr „spielt“. Das klingt zwar paradox, beschreibt aber genau den Arbeitsprozess, den Versuch, zu einem Kern durchzudringen, der sich unmittelbar, pur, direkt und unverstellt zeigt. Für diese Prozesse schafft Luk den Raum. Zu sich kommen, bei sich bleiben und in einem intensiven Zustand von Wachheit und Auf­ merksamkeit im Augenblick sein, um auf das Außen, die Partner reagieren zu können. Und zwar auf persönliche, individuelle Weise. Zeit ist ein wesentlicher Bestandteil für die Er­ arbeitung von Projekten wie „Molière“ oder auch der Zola-Trilogie „Liebe“, „Geld“ und „Hunger“. Bei „Molière“ waren es fünf Monate am Stück, die mir erlaubten, ­ aus vier Figuren vier unterschiedlicher Stücke letztlich einen durchgehenden Charakter zu bauen. „Molière“ dauerte bei seiner Uraufführung in Salzburg sechs Stunden. Der maßgebliche Unterschied von „Molière“ zum Zola-Projekt bestand zunächst darin, dass die drei Teile „Liebe“, „Geld“ und „Hunger“ in einem Zeit­ raum über drei Jahre erarbeitet wurden. Jedes Jahr entstand ab dem Frühsommer über zwei Monate ein neuer Teil. „Trilogie meiner Familie“ beruhte auf sieben Romanen aus Émile Zolas Zyklus „Die Rougon-Macquart“. Das Ganze war eine Unternehmung, für die sich zwölf Schauspielerinnen und Schauspieler des Thalia-Theater-Ensembles für drei Jahre im Vorfeld

verpflichteten. Welche Romane es sein würden, war uns bekannt, eine Fassung und Rollenzuschreibungen jedoch gab es zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht, alles war offen. Luk bat um unser Vertrauen und um Geduld.

„Jeder ist mal König und jeder ist mal Bettler.“ Seine Sehnsucht war es, eine Gemeinschaft zu bilden, die sich über drei Jahre miteinander in diese Materie vertieft, das Stück miteinander entwickelt und dadurch eine eigene Welt entstehen lässt. Er glaubt sehr an die Kraft des Ensembles. Es geht ihm um die Begegnung von Menschen. Die Zeit, die wir während dieser drei Jahre miteinander verbrachten, um am Ende alle drei Stücke in einem Marathon von circa neun Stunden zu zeigen, war ein Geschenk.

„Ich komme mit leeren Händen.“ Luk ist ein Suchender. In all der überbordenden Energie und in dem Ringen um Wahrhaftigkeit und Erkenntnis, für sich und andere, empfinde ich ihn als zutiefst ­me­lancholisch. Er will dem Sinn des Daseins auf den ­Grund gehen. Für ihn ist Theater ein Ort der Rituale, des gemeinschaftlichen Erlebens und Teilens. Seines Erachtens ist der Schauspieler, der Mensch auf der Bühne, das Zentrum, der Faktor, der das Theater bewegt. Die Konzepte tun dies seiner Mei­ nung nach nur bedingt. Er vertritt die Idee, „dass das Theater einen höchstpersönlichen Ausdruck sucht. Und dieser kann nicht allein im Kopf des Regisseurs entstehen, sondern sollte eine Kreation von einer Truppe sein, die zusammenkommt und sich überlegt, was ihre gemeinsame Verantwortung ist.“ Seine Arbeit folgt keinerlei vordergründiger Methodik, vielmehr scheint er für sich verinnerlicht zu haben, was für ihn die Notwendigkeit und Unbedingtheit ausmacht, sich in immer neuen Konstellationen den existenziellen Fragen des Menschen und des Lebens zu stellen. Entscheidend dabei sind seine Mitstreiter, die sich dafür aus ihrer Persönlichkeit heraus offen, hingebungsvoll, mit großer Lust und Neugier zur Disposition stellen und dabei in ihrer eigenen Suche autonom bleiben. Begegnung ist das Herzstück seiner Arbeit. „Molière. Eine Passion“, „Kinder der Sonne“, „Die Brüder Karamasow“, „Liebe“, „Geld“, „Hunger“ und ­zuletzt „Mut und Gnade“ – ich danke Luk für all diese Arbeiten und die gemeinsam verbrachte Zeit. Ich durfte Ihnen einen Freund vorstellen.

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ENCOUNTER, TIME, TRUST On perseverance in large projects

“Come here, let me introduce you to a friend.” I am writing on the train to Hamburg, old home port and a central location for our shared work in recent years, the meeting place of our shared history. Since then we have both weighed our anchors and set off again. Our shared journey, the one that would take us to Hamburg, began in Berlin in autumn 2006. Come here, let me introduce you to a friend, she said, pulling me over to a quieter corner of the room. There, leaning against the wall, was a man I didn’t know, a silent observer, of restrained appearance but with an open nature, at peace with himself yet alert, curious in his gaze. A dear friend, she said, with whom she had already worked a lot and who was just then looking for a young actress for an upcoming project. She herself couldn’t do it. And then she thought of me. So chance and the instinct of a friend and colleague, who believed that two people might make a good match, led us to each other. This was an encounter that was to expand enormously, grow, and shape me artistically. But that evening in October I couldn’t have guessed the scope that this encounter would assume in my life. The friend to whom she wanted to introduce me was Luk Perceval. Although I knew the name and had heard a few things about his work, I hadn’t seen any of his productions, nor did I know what he looked like. This first encounter was immediate, out of the blue and without warning. We started talking and he told me about a Molière project he was developing in collaboration with the authors Feridun Zaimoglu and Günter Senkel. And that he was still looking for a young actress who could rehearse as

a partner for Thomas Thieme for five solid months in Berlin and perform in Salzburg in the summer. Was this something I could theoretically imagine, and could I come to the Schaubühne for an audition next week? I was perplexed, awkward, silent with joy and amazement. The elements of “accidentally being in the right place at the right time” had aligned in miraculous fashion. Although the reality of an audition can often be somewhat unsatisfactory or unpleasant, the whole thing was a little different this time and disconcertingly new to me. But because I was disconcerted I listened, I was completely alert, it threw me so much that I had to abandon everything on the spot. Of course the framework of what I had prepared was still there, but there was something else in that moment, something decisive. It’s not that I wasn’t used to working through an audition, but the difference here was the demanding and yet well-disposed energy of this director. While he was on stage with me, viewing me through the lens of a camera and filming, he turned my whole concept upside down with his interventions as I performed, provoking, asking questions and really challenging me. He had coaxed me out of my comfort zone. He didn’t want to see a perfect audition, but rather the person who stands there and reveals something personal, the cracks, the before-and-after, a starting point. This encounter shook up everything within me. I stumbled out of this audition confused, and unsettled, but strangely happy. A few days later, I got a call. It was Luk himself, who gave me the green light and invited me to perform in “Molière. A Passion”.

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PATRYCIA ZIOLKOWSKA

by Patrycia Ziolkowska


It was a large-scale project that was to combine four of Molière’s works, the great character comedies, in one. It was to be a narrative of a life journey, that of Molière, in the form of the respective protagonists of the pieces, i.e. Alceste, Don Juan, Tartuffe and Harpagnon. These four characters from “The Misanthrope”, “Don Juan”, “Tartuffe” and “The Miser” were to merge into a kind of alter ego of the writer himself. This setting of character fusion also applied for other characters. Including the part that I was to play. My character began as Celimène alongside Thomas Thieme as ­Alceste and in the subsequent plays developed into other female characters alongside, but for me she ­always remained Celimène at heart. The one great love, the woman who meets Molière again and again at critical points in his life and who accompanies him to the end. There was incredible potential in the contradictions between the individual plays and combinations of the main characters.

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FREEDOM, AUTONOMY, PERSONAL RESPONSIBILITY AND THE DEDICATION OF THE PERFORMER ARE THE BASIC REQUIREMENTS.

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The text was the base, forming the foundation upon which we now began to develop and build our cosmos on stage. Feridun Zaimoglu and Günter Senkel, who had already worked with Luk on “Othello”, processed the material linguistically in a unique way. A clear break with the classical language of Molière, a rhythm of its own, its own sound. The tragic nucleus of Molière was revealed. Five months of rehearsals in Berlin, final rehearsals and premiere on Perner Island at the Salzburg Festival.

It was Luk’s wish that all the actors should be on stage and stay on stage, that there would be no exits or ­entrances. Katrin Brack had given us a wonderful space, an empty stage with loosely distributed loudspeakers like little islands. The central element was the snow, which she had falling from the flies onto the stage landscape and the actors. The constant ­motion of the falling snowflakes that covered and ­altered the landscape had a near-psychedelic effect on the audience. The eye of the beholder was led astray, suddenly the space itself began to move and began to rise, to fly. With everyone on stage all the time, one important, basic requirement was to first create a common energy. An energy that enabled us to circulate, but also to focus, despite the permanent presence of ­everyone in the space. This required a high degree of concentration and alertness as well as agility and generosity in dealing with your own strengths and those of your colleagues. The long rehearsal phase not only enabled us to really research, to discover, to abandon well-trodden paths, to avoid working in straightforward or immediately result-oriented ways, but to take detours, to discover, seek out and gather new insights. Most of all, I found Luk’s working method tremendously stimulating and creative. He let me create and invent, watched me attentively, and pushed me beyond my limitations, driving me into physical states of exhaustion, forcing me to gather my strengths and my thoughts. I often experienced an incredibly demanding ­energy and empathy in him, an affectionate look and great trust. Freedom, autonomy, personal responsibility and the dedication of the performer are the basic requirements for this kind of work. It’s about liberating yourself from conventions to experience something new, something extraordinary, and getting to a point where you’re no longer “acting”. This may sound paradoxical, but it’s a precise description of the working process, the attempt to penetrate to a core that is immediate, pure, direct and genuine. Luk creates the space for these processes. To come into yourself, to stay with yourself and remain in an intense state of alertness and awareness in the moment, so you can respond to external stimuli, to your partners. And in a personal, individual way. Time is an essential element for working on pro­ jects like “Molière” or the Zola trilogy “Love”, “Money” and “Hunger”. For “Molière” it was five months in one stretch, which allowed me to build a coherent character from four figures from four different plays. “Molière” lasted six hours at its premiere in Salzburg. The main difference between “Molière” and the Zola

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His dream was to build a community that would be engrossed in this material for three years, developing the piece together and creating a world of their own. He believes in the power of the ensemble. He is concerned with encounters between people. The time we spent together during these three years, to then present all three pieces in a marathon of about nine hours, was a gift.

“I come empty handed.” Luk is a seeker. In all his exuberant energy and in his struggle for truth and knowledge, for himself and for others, I see in him a profound melancholy. He wants to get to the bottom of the meaning of existence. For him, theatre is a place of ritual, communal experience and sharing. In his opinion, the performer, the person on stage, is the centre, the factor that moves the theatre. Concepts, he believes, can only do this conditionally. He advocates the idea “that theatre seeks highly personal expression. And this cannot arise in the director’s mind alone, but must be the creation of a troupe that comes together and considers what its shared responsibility should be.” His work does not follow any superficial methodology, rather he seems to have internalised the things that represent necessity and unconditionality for him, to face the existential questions of humanity and of life in ever-changing variations. Critical to this are his colleagues who put their personalities at its service, open, devoted, with great pleasure and curiosity, while remaining autonomous in their own quest. Encounter is at the heart of his work. “Molière. A Passion”, “Children of the Sun”, “The Brothers Karamazov”, “Love”, “Money”, “Hunger” and finally “Grace and Grit” – I thank Luk for all these works and the time we’ve spent together. And the person I introduce to you is now a friend.

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DIE ZWÖLF GESCHWORENEN Reginald Rose | 21.09.2019 DER FRIEDEN Peter Hacks | 27.09.2019 GLORIOUS! DIE WAHRE GESCHICHTE DER FLORENCE FOSTER JENKINS Peter Quilter | 12.10.2019 FEINDLICHE ÜBERNAHME (UA) 08.11.2019

PATRYCIA ZIOLKOWSKA

“Everybody is a king and everybody is a beggar.”

PREMIEREN 19 | 20 SCHAUSPIEL CHEMNITZ

MONDLICHT UND MAGNOLIEN Ron Hutchinson | 22.11.2019 DIE UNENDLICHE GESCHICHTE Nach Michael Ende | 23.11.2019 BIOGRAFIE: EIN SPIEL Max Frisch | 01.02.2020 DIE GLASMENAGERIE Tennessee Williams | 28.02.2020 DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER Nach Johann Wolfgang v. Goethe | 20.03.2020 DER DRACHE Jewgeni Schwarz | 21.03.2020 CHEMNITZER THEATERPREIS FÜR JUNGE DRAMATIK 2020 (UA) 08.05.2020 UNDINE – DIE KLEINE WELLE Carsten Knödler, Steffan Claußner nach Friedrich de la Motte Fouqué 09.05.2020

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Faust II © Dieter Wuschanski

project was that the three parts, “Love”, “Money” and “Hunger”, were developed over a three-year period. Every year a new part was created, for two months starting in early summer. “Trilogy of My Family” was based on seven novels from Émile Zola’s “RougonMacquart” cycle. The whole thing was an undertaking to which twelve actors of the Thalia Theater ensemble committed themselves for three years in advance. We knew which novels it would be, but there was no form, no parts assigned at this early stage, everything was open. Luk asked for our trust and patience.


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AUS DEM STEINBRUCH NEUES SCHAFFEN Burghart Klaußner über Miniaturen und Reduktion in der Arbeit mit Luk Perceval im Gespräch mit Thomas Irmer

Herr Klaußner, Sie haben bei Luk Perceval in „Front“ und „Die Brüder Karamasow“ gespielt, beides Produktionen am Thalia Theater in Ham­ burg. „Front“ könnte man als eine Art musika­ lisch-textliche Installation beschreiben. Zudem war die Inszenierung, als Koproduktion mit dem NTGent, mehrsprachig. Alle Auftritte, die nicht Teil der musikalischen Textpräsentation waren, boten eigentlich nur so etwas wie Miniaturrollen, die man in zwei Sekunden auf die Bühne zu stel­ len hatte. Man war mit einer Minierzählung kurz Teil des Ganzen, dann aber schon wieder weg und kam in dieser Rolle auch nie wieder. Ich er­ innere mich besonders an den zynischen Lehrer, den seine ehemaligen Schüler während ihres Fronturlaubs besuchen und der, anstatt diese armen Kerle zu bemitleiden, anzügliche Bemer­ kungen über den „Stellungskrieg“ macht. Die ganze Situation bestand nur aus wenigen Wor­ ten und ein, zwei Gesten. Richtig, das waren Miniaturen, das ist aber auch etwas sehr Spannendes und macht großen Spaß, aus dem

Ärmel heraus so Figuren zu zeichnen, hinzuschmei­ ßen und wieder rauszugehen. Ich spielte haupt­ sächlich Katczinsky, den Elder Statesman unter den ­Frontsoldaten, den mit der größten Erfahrung. Das Kenn­­zeichen dieser Aufführung aber war die Mehrsprachigkeit, um genau zu sein: Viersprachigkeit. Also einmal das Flämische und das Deutsche, dann gab es Passagen auf Französisch und auf Englisch. Das war natürlich der Versuch, die Internationalität des Kon­ flikts abzubilden. Ich fand das gelungen, ich mochte das sehr. Ich bin sowieso ein Sprachen-Fex, und je mehr Sprachen gesprochen werden, desto mehr lebe ich auf. Dieses Orchester, als das wir da quasi figurier­ ten, denn jeder hatte einen Notenständer vor sich, war fast ein Orchester des Todes, ein Orchester des Wartens, denn auch das war Teil der Übung, diesen jahrelangen Stellungskrieg irgendwie abbilden zu wollen, in dem nichts geschieht als ein Warten – und dann plötzlich ein furchtbares Granatengewitter. Das alles in einem relativ dunklen Ambiente, denn sehr hell beleuchtet war die Bühne nicht. Begleitet – ein ganz wesentlicher Punkt – von einem großen Künstler des

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Wenn ein Regisseur ein System schafft, in dem der darstellerische Ausdruck zurück­genommen wird und doch innerhalb dieser ­musikalischen Anordnung abrufbar bleibt, könnte man das als „gebremste“ Schauspielerei bezeichnen? Das würde ich so nicht sagen. Und ich glaube auch nicht, dass das so war. Wenn ich an meinen flämi­ schen Kollegen denke, Steven van Watermeulen, der sich mit einer ungeheuren Energie in seine Figur des Lieutnant de Wit hineinwarf, da konnte von einer epi­ schen Spielweise á la Brecht nicht im Entferntesten die Rede sein, ganz im Gegenteil. Da ging es wirklich ans Eingemachte des psychologischen Theaters. Die offene Form oder das offene System war am ehesten dadurch gegeben, dass die Figuren nicht linear durcherzählt wurden und in der Gestaltung Luks Wunsch nach Reduktion folgten. Das ist vielleicht das wichtigste Stichwort: ­Reduktion. Damals in Hamburg hat er gegen Ende der Probenzeit immer wieder angemahnt: „Mach weniger!“ Ja, genau. Er hat einen ganz starken Wunsch nach Reduktion, und mir ist nicht ganz klar, wo der hinführt. Bei unserer zweiten Arbeit, „Die Brüder Karamasow“, hatten wir sicher deshalb einen Dissens über einen Riesenstrich, den er mir nach der Premiere für die ­Figur des Staatsanwalts gemacht hat: Der gesamte

ER GEHT VON KLASSIKERN AUS UND BENUTZT SIE – WIE HEINER MÜLLER MAL GESAGT HAT – WIE EINEN „STEINBRUCH“.

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Es scheint ja unmöglich, solche Themen wie den Ers­ ten Weltkrieg oder auch den Kolonialismus an einem Abend zu erzählen. Das ist schier ausgeschlossen. Also kann man nur in Fragmenten, in einem „offenen System“ arbeiten. Ich habe mich damals sehr intensiv mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigt, mit dem wir uns ja alle eher wenig beschäftigt hatten bis dato. Hatte natürlich Christopher Clarks „Die Schlafwandler“ ge­ lesen, auch Herfried Münklers Buch über den Ersten Weltkrieg und noch zwei Werke. Percevals Vorlagen bestanden bekanntlich aus „Im Westen nichts Neues“, woraus auch meine Figur entwickelt war, und „Le Feu“ von Henry Barbusse, gewissermaßen das Pendant auf Französisch. Da sieht man eben auch, wie er arbeitet. Er geht von Klassikern aus und benutzt sie – wie Heiner Müller mal gesagt hat – wie einen „Steinbruch“, aber birgt darin auch interessante Fundstücke, die er dann zusammenfügt. Auch deswegen war „Front“ eine so besondere Arbeit.

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BURGHART KLAUSSNER

Wie haben sich die Reaktionen des Publikums in den Ländern, in denen die Inszenierung gezeigt wurde, unterschieden? Wir haben es nach der Premiere erstmal lange im Thalia gespielt. Sind dann auf Gastspielreise gegangen, und zwar durch ganz Europa, von Edinburgh bis nach Sarajevo und Belgrad. Auch in Sankt Petersburg haben wir gespielt und natürlich in Gent, in dem Theater, in dem Luk Perceval jetzt Hausregisseur ist. Die Reaktion war eigentlich in all diesen Ländern dieselbe. Ich kann jetzt nicht sagen, „da war es mehr so, und da war es mehr so“ … vielleicht mit der einen Einschränkung, dass mir das deutsche Publikum am betroffensten erschien. Das muss ich wirklich sagen. Ich hatte den Eindruck, ganz so mitgenommen wie bei uns in Hamburg waren die Leute in anderen Ländern nicht unbedingt.

Schlussmonolog von zwanzig Minuten gestrichen. Das war natürlich sehr unerfreulich. Ich glaube, es wird für ihn bestimmt sehr produktiv sein, wieder in Belgien zu arbeiten, back to the roots zu gehen und da mit seinen Landsleuten seine Quellen aufzusuchen.

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modernen Musikmachens, Ferdinand Försch, der hauptsächlich mit Blechen, außerdem mit Glocken und Schlagwerken arbeitete und das Ganze mit diesem Stahlgewitter unterfütterte. Das machte einen tiefen Eindruck auf die Leute. Es gab eine sehr betroffene Gemeinde, die da nach der Vorstellung rausging.


CREATING SOMETHING NEW FROM THE QUARRY Burghart Klaußner talks to Thomas Irmer about miniatures and reduction in his work with Luk Perceval

Mr Klaußner, you performed for Luk Perceval in “Front” and “The Brothers Karamazov”, both productions at the Thalia Theater in Hamburg. “Front” could be described as a kind of musicaltextual installation. And as a co-production with NTGent, the staging was multilingual. All of the performances that were not part of the musical text presentation were really more or less cam­ eo roles that had to be created on the stage in two seconds. They appeared with their ministories as part of the whole, but then they would be gone again, never to return in that role. I particularly remember the cynical teach­ er on leave from the front who visits his former students and, instead of sympathising with them, makes lewd remarks about “positional warfare”. The whole situation consisted of nothing more than a few words and one or two gestures. Right, they were miniatures, but that can be very exciting and it’s great fun to pull characters from your sleeve, plunk them down and then go out again. I mainly played Katczinsky, the elder statesman among the frontline soldiers, the one with the greatest experience. But the characteristic element of the performance was that it was multilingual, or to be precise, quadrilingual. So you had Flemish and German, then there were passages in French and English. This, of course, was an attempt to depict the internationality of the conflict. I thought it worked, I really liked it. I’m a language buff anyway, and the more ­languages ​​there are, the more I come alive. We constituted an orchestra more or less, with everyone

­ ositioned at a music stand, but it was almost an p ­orchestra of death, an orchestra of waiting, because that was part of the exercise, we wanted to somehow depict these years of positional warfare in which nothing happens but waiting – and then suddenly a terrible hail of grenades. And all this in a relatively dark atmosphere, because the stage was not very brightly lit. Accompanied – this is a very important point – by a great artist of modern music, Ferdinand Försch, mainly working with sheet metal, also bells and percussion and the whole thing supported by this storm of steel. That made a deep impression on people. It was a highly emotional group of people that filed out after the performance. What differences did you notice in audience re­ actions in the countries in which the production was staged? After the premiere we performed for a long time at the Thalia. Then we went on tour throughout the whole of Europe, from Edinburgh to Sarajevo and ­Belgrade. We even played in Saint Petersburg and of course in Ghent, in the theatre where Luk Perceval is now a house director. Actually the reaction was the same in all of those countries. I couldn’t say to you, “it was like this here, there it was like this” … with the one possible exception that the German audience appeared most affected. I really have to stress that. I had the impression that people in other countries were not quite as swept up as they were in Hamburg.

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When a director creates a system in which ­representational expression recedes and yet


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HE STARTS WITH THE CLASSICS AND USES THEM – AS HEINER MÜLLER ONCE SAID – AS A “QUARRY”.

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This is perhaps the most important word here: reduction. At the end of the rehearsal period back then in Hamburg he kept on insisting: “Do less!” Yes, exactly. He has a very strong desire for reduction, and I’m not really sure where that leads. For our second work, “The Brothers Karamazov”, that is certainly why we disagreed about a giant cut he made after the premiere in my part, the character of the prosecutor – the entire closing monologue, twenty minutes long, cut! Naturally that wasn’t much fun at all. I think it will be incredibly productive for him to work in Belgium again, to go back to his roots, go back to the source with his compatriots. It seems like an impossible task, relating subjects like the First World War or colonialism in just one performance. You really can’t do it. So you can only work in fragments, in an “open system”. At that time I was intensively engaged with the First World War, something that all of us have engaged too little with before. Of course I had read Christopher Clark’s “The Sleepwalkers”, and Herfried Münkler’s book about the First World War and two other works. As we know, Perceval’s models were “All Quiet on the Western Front”, which was the source for my character, and “Under Fire” by Henri Barbusse, which was the equivalent in French, more or less. From that you can see how he works. He starts with the classics and uses them – as Heiner Müller once said – as a “quarry”, but he finds such interesting things in them, which he then puts together. Which is why “Front” was such a special work.

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BURGHART KLAUSSNER

r­ emains available within this musical arrange­ ment, could it be described as acting “with the brakes on”? I wouldn’t put it like that. And I don’t think that’s what was going on. When I think about my Flemish colleague, Steven van Watermeulen, who threw himself into his character of Lieutenant de Wit with tremendous energy, you couldn’t remotely describe that as a Brechtian epic performance style; quite the contrary. There it was really straying into the preserve of psychological theatre. The open form or the open system most likely came from the fact that the characters were not presented in a linear way and that the design pursued Luk’s desire for reduction.


REALITÄT, NICHT-REALITÄT UND DIE RÄUME DAZWISCHEN Katrin Brack über das Eigenleben ihrer Bühnen und die Zusammenarbeit mit Luk Perceval im Gespräch mit Thomas Irmer

Katrin Brack, Sie arbeiten seit 28 Jahren mit Luk Perceval zusammen. Eine so lange Arbeitsbezie­ hung zwischen einer Bühnenbildnerin und einem Regisseur ist höchst ungewöhnlich. Ihre Bühnenräume entstehen durch Reduktion, ver­ weisen auf Abwesendes; sie weigern sich, „Aus­ stattung“ zu sein, operieren nicht mit Zeichen, Symbolen, sondern sind sinnlich, generieren ­Atmosphären und fordern beim Publikum Asso­ ziationen und die Eigenaktivität der Wahrneh­ mung heraus. Auch Luk Perceval ist dafür be­ kannt, dass Reduktion, das Prinzip des Wenigen beziehungsweise Weglassens, eines seiner we­ sentlichen Arbeitsprinzipien ist. Bei der flämi­ schen Inszenierung von „Schlachten!“ in Gent 1997 soll – das haben Sie mir erzählt – der ­Beleuchter, Enrico Bagnioli, gesagt habt: „Wenn ihr zwei zusammen seid, bleibt nichts mehr ­übrig. Weniger, noch weniger, noch weniger.“ Doch wurde gerade aus diesem „Weniger“ über die ganzen Jahre eine intensive, sehr ­produktive Arbeitsbeziehung. Was macht aus

Ihrer Sicht das Besondere dieser Zusammen­ arbeit aus? Lassen Sie mich nicht mit einem Beispiel aus unserer ganz frühen Arbeitsphase beginnen, sondern mit „Molière“, einem von Feridun Zaimoglu, Günter Senkel und Luk entwickelten Stück, das wir 2007 an der Berliner Schaubühne gemacht haben. Ich habe damals während der gesamten Aufführungsdauer Schnee auf die Bühne fallen lassen. Als Kontrast zur Welt Molières, seinen Stücken und dieser Textfassung wollte ich ein Bild „unberührter Natur“ setzen, das war die Idee. Prinzipiell arbeite ich ja so, dass ich meist nur ein ­Material oder einen Gegenstand verwende – immer sehr konkrete Elemente, entweder Dinge, die jeder aus dem Alltag kennt, oder theaterimmanente Mittel und Bühnentechnik, die ich anders als üblich einsetze. In „Molière“ sollte der Schnee die Assoziation „Natur“ hervorrufen, zugleich war er stets als Theater-Kunstschnee erkennbar. Schnee im Theater, das sind Plastik­ schnipsel. Man erkennt das als Schnee, aber es ist Schnee, der nicht schmutzig wird und nicht schmilzt. Er ist nicht mal kalt, aber jeder akzeptiert die Verein-

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Besonders durch das Licht können sich die Räume und die Materialien darin stark verändern. Auch beeinflusst es das Spiel der Schauspieler. Inwie­ fern ist das in dem offenen System Ihrer Raum­ entwürfe vorgeplant?

ERST ABER DURCH DAS SPIEL BEGINNEN MEINE BÜHNEN ZU „SPIELEN“.

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Manche Schauspieler empfinden sich in diesen Räumen als haltlos, als existenziell auf sich ­zurückgeworfen. Bei den Proben zu „Traum im Herbst“ an den Münchner Kammerspielen 2001 etwa stand Stephan Bissmeier auf der Bühne und sagte: „Ich weiß gar nicht, was ich mit meinen Händen machen soll.“ Und Luk erwiderte: „Das ist gerade das Spannende.“ Andere Schauspieler, wie beispielsweise Thomas Thieme, der in ­„Mo­lière“ mitspielte oder auch die Titelrolle in „Othello“ an den Münchner Kammerspielen 2003 übernahm, berichten hingegen, wie im Kampf mit den Brack’schen Schneehaufen, ­Bäumen, Girlanden, leeren Flächen „Reibung“, „Hitze“ und Spielideen entstehen: „Ich habe oft dagesessen und auf ihre Bühnen geschaut und mich ganz darin verloren“, sagt Thieme. „In diesen Momenten entstand eine Geschichte, die da spielt; sie kann ganz anders sein als die, die im Buch steht …“ Meine Bühnen sind Verdichtungen, die ich in Auseinandersetzung mit dem Stücktext entwickle. Prinzipiell geht es darum, atmosphärisch aufgeladene Bühnenräume zu erzeugen, die prägnante und weitreichende Assoziationen ermöglichen und auch körperlich in-

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KATRIN BRACK

Der permanente Schneefall und der sich auf dem Bühnenboden anhäufende weiße Schnee ließen tatsächlich, wie Sie sagen, an vermeintlich un­ berührte Natur denken, zugleich verwies das ständige Rieseln auf vergehende Zeit. Wie so oft in Ihren Räumen, entstand hier der Eindruck, als ob das Material – ein Element, das in großen Mengen auftritt – gleichsam selbst agiert. Ver­ stehen Sie Ihre Bühnenräume als Mitspieler oder sind es autonome Räume, in denen das Spiel an­ derer stattfindet? In gewisser Weise trifft beides zu. Meine Räume stehen nicht allein, können nicht isoliert betrachtet werden, sondern brauchen die Schauspieler. Denn erst mit den Schauspielern, mit dem, was sie in und mit den Räumen tun, entsteht etwas, das darin ge­ lesen werden kann, sich als Emotion vermittelt und für das Publikum zum Interpretationsangebot werden kann. Ich bin in den letzten Jahren häufig gefragt worden, ob meine Räume Kunst sind, und die Antwort, die ich immer wieder gebe, lautet: Sie denken nicht darüber nach, ob sie Kunst sind oder nicht. Die Räume und ihre Elemente sind nicht autonom, aber auch niemals nur Requisit. Ich würde es so formulie­ ren – und dieser Gedanke war auch in der Zusammenarbeit mit Luk als Regisseur immer wichtig: Mit meinen Räumen schaffe ich Voraussetzungen für ­einen Zusammenhang, der offen ist, nicht kalkuliert werden kann. Erst aber durch das Spiel der Schau­ spieler, durch die Kostüme von Ilse Vandenbussche und das Licht von Mark Van Denesse beginnen meine Bühnen zu „spielen“, Gestalt anzunehmen, und es kann sein, dass dann etwas ganz Neues ent­ steht.

Ich baue Modelle und probiere das mit einer Taschenlampe aus, insofern ist es vorgeplant, auch mit der Regie. Aber wenn dann auf der Bühne der Beleuchter Mark Van Denesse dazukommt, hat auch er meist noch Vorschläge, sodass auch in dieser Hinsicht Neues entstehen kann.

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barung: Das ist Schnee. Dieser lautlos fallende Schnee trat in der Aufführung der starken, drastischen Sprache von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel, die in ihrer Fassung vier Molière-Stücke miteinander verschnitten und bearbeitet hatten, gegenüber. Für mich hatte dieser Theaterschnee – der hier nicht „Winterlandschaft“ meinte, sondern bedeutungsoffen blieb – in Verbindung mit den Molière-Stücken auch etwas sehr Barockes. Zugleich sah man stets die Kistenaufhän­ gung über der Bühne, aus der der Schnee rieselte: Die Technik, mit der er erzeugt wurde, blieb sichtbar. Das sollte so sein.


tensive Eindrücke hervorrufen. Zweitens sollen meine Räume – gerade in der beschriebenen Offenheit – dem Regisseur, den Schauspielern und Schauspielerinnen Bedingungen bieten, unter denen sie ihre ­Kon­­zepte und Interpretationen bestmöglich und fokus­siert umsetzen können. Es ist beglückend, wenn das gelingt. Aber auch, was die Interpretations­angebote an die Zuschauer betrifft, sind diese Bühnen ­offen.

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VON BEGINN EINER PRODUKTION AN WEISS ER, WAS ER MIT EINEM STÜCK ODER STOFF MACHEN WILL.

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Tatsächlich war die Bühne von „Molière“ nicht nur visuell zu erleben, sondern – auch für das Publi­ kum – geradezu körperlich. Der Flimmereffekt der hell beleuchteten Schneeflocken war so stark, dass einigen Zuschauern sogar schlecht wurde. Man kennt das von Stroboskop-Licht, aber auch beleuchteter, flirrender, rieselnder Kunstschnee kann offenbar zu körperlichen Reaktionen führen. Über die fünf Stunden hinweg bekam dieses Flirren etwas Meditatives, bei manchen bewirkte es eine Art Trance, Verschiebungen des Bewusstseins. Es gab Leute mit ­Halluzinationen, anderen wurde übel, und es gab ein paar Leute mit Kreislaufbeschwerden. Andere berich­teten von dem Eindruck, der Bühnenraum würde auf sie zufahren, und fragten, wie das gemacht wurde. Sie hatten Dinge gesehen, die es nicht gibt. Solche Verschiebungen der Wahrnehmung, ausgelöst durch ein Bühnenbild, sind natürlich sehr interessant. Sind diese Ansätze in der langen Zusammen­ arbeit mit Luk Perceval entstanden? Und gab

es in dieser Zusammenarbeit unterschiedliche ­Phasen? Ich würde sagen, besonders am Anfang hatte Luk ­etwas sehr Freies, Unabhängiges, das auch für mich eine Inspiration war. Er hatte einen ganz eigenartigen, eigenwilligen Zugang zu Stücken, ging sie draufgänge­ risch an, irgendwie Fußballer-mäßig. Davon ist bis heute geblieben, dass er von Beginn einer Produktion an weiß, was er mit einem Stück oder Stoff machen will und wohin er damit will. Das ist ganz wichtig für mich – seine tollen Gedanken, auch wenn ich dann etwas anderes entwickle, als er sich vorgestellt hatte. In den ersten Proben spielt er selbst noch viel vor, mit Witz und Humor, der alle mitreißt und für die grundlegenden Ideen der Produktion begeistert. Und jedes Mal ist es ein völlig neuer Ansatz, nichts wiederholt sich. Die frühen Jahre mit der Blauwe Maandag ­Compagnie, die Perceval 1984 mit Guy Joosten gründete, waren von Einschränkungen und Sparsamkeit geprägt, alles musste in einen Kleintransporter passen und durfte fast nichts kosten, damit in Flandern und Holland auch ­kleinere Spielorte angefahren werden konnten. Ja, wir ließen alles weg, was man nicht unbedingt brauchte. Diese Beschränktheit der Mittel habe ich aber nicht als Beschränkung, sondern als produktive Situation erlebt. Sie zwingt einen zur Konzentration auf das Wesentliche und ist förderlich bei der Suche nach kreativen Lösungen. Das Prinzip des Weglassens, des Wenigen bedeutete Reduktion, aber es gab nie nur eine schwarze Bühne. Immer war etwas da – sei es ein Baum oder der damals in weniger üppigen Mengen vorhandene Kunstschnee –, mit dem man neue Räume entstehen lassen konnte. Zu Ihren jüngeren gemeinsamen Arbeiten zählen Produktionen wie „Schande“ an den Münchner Kammerspielen, eine Adaption des Romans von J.M. Coetzee über das Südafrika nach der Apart­ heid, die in zwei Versionen entstand, 2011 in Amsterdam und 2013 in München. Es ist eine sehr politische Arbeit, die das große Thema des Postkolonialismus behandelt. Sie haben dafür beinahe lebensechte Puppen auf die Bühne ge­ stellt. Das waren schwarze Schaufensterpuppen. Schaufensterpuppen sind stilisierte Abbilder von Menschen – künstliche, nach gewissen Schönheitsnormen überhöhte Repräsentationen. Ihrer Funktion nach sind sie Werbeträger in Warenschaufenstern, Figurinen, ­Kleiderständer. Nimmt man sie aus ihrem Gebrauchs­

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Das ist eine Art von Repräsentation, die bei ­anderen Inszenierungen zu dieser Thematik ­mitunter sehr kritisiert wurde, Stichwort: Black­ facing-Debatte. Die Schaufensterpuppen habe ich in Belgien bei einer Firma gekauft, die die Puppen so herstellt. Blackfacing wäre – im übertragenen Sinne – gewesen, wenn wir weiße Puppen schwarz geschminkt hätten, was nicht der Fall war. In den Niederlanden und Belgien leben so viele farbige Menschen, dass man auch schwarze Puppen produziert, die in den Schaufenstern neben weißen stehen; man will an alle Kleider verkaufen. ­Sicherlich ist die Schaufensterpuppe keine Erfindung afrikanischer Kultur, sondern ein (aus vielerlei Gründen problematisches) Medium westlichen Konsums, das hier auf der Bühne – den Blick starr, fast bedrohlich über die Schauspieler hinweg auf das Publikum ge­ richtet – gleichsam als Versammlung Untoter auftrat. Insbesondere interessierte uns auch die Medialität der Puppe, ihre Eigenschaften als Mittler an der Grenze zwischen Anwesenheit und Abwesenheit, Leben und Tod. Das Verfließen von Totem und Lebendigem war ein wichtiger Aspekt in der Inszenierung von „Schande“.

Das stimmt, und es sollte auch herausfallen. Die Frage ist immer: Wie steht eine Bühne zu dem, was in ihr verhandelt oder bearbeitet wird? Sicherlich kann man so viel sagen: Meine Bühnen – in der Weise, wie sie als „Mitspieler“ operieren – sind nicht vordergründig politisch; wie sich mit „Schande“ andeutete, haben sie aber potenziell eine politische Dimension. Ein anderes Beispiel: In der Bearbeitung des Romans „Schnee“ von Orhan Pamuk, auch eine Arbeit mit Luk, die 2016 am NTGent herauskam, habe ich Unmengen von verschie­ denfarbigen Stoffbahnen aufgehängt, wie Fahnen, aber ohne Embleme. Türkische Mitarbeiter des Thea­ ters haben öfter zugeschaut und meinten, diese ­Fahnen stünden für sie wirklich für die Türkei. In der Generalprobe saßen ebenfalls viele Türken, und es gab einen Riesenzoff, weil sie glaubten, einzelne Stoffbahnen ergäben in der Farbzusammenstellung die PKK-Fahne. Die Farbauswahl war nur aus ästhetischen Gründen erfolgt, aber beim Publikum stellte sich die Wahrnehmung bestimmter Fahnen ein. Das Theater schlug vor, die farbigen Tücher umzuhängen, was ich verhindert habe. Diese Bedeutungszuschrei­ bung lag nicht in meiner Absicht, aber ich wollte kei­ nesfalls zensieren. Schließlich sind auch Kurden Teil der türkischen Realität. Es ist vielen meiner Arbeiten inhärent, das sie – in actu – unterschiedliche Asso­zia­ tionen, Bedeutungszuschreibungen oder – wie bei „Molière“ – sogar Halluzinationen hervorrufen. Frank M. Raddatz hat diese künstlerische Praxis als phänomenologisches Verfahren beschrieben, das beim Publikum Eigenaktivitäten der Wahrnehmung und des assoziierenden Bewusstseins befördert. Das wiederum kann heißen, dass jeder Zuschauer, jede Zuschauerin in einer Aufführung etwas anderes sieht. Die Ansichten darüber, was nunmehr Realität beanspruchen darf oder nicht, mögen – wie unter anderem in Gent die Produktion „Schnee“ zeigte – kontrovers sein. Dafür zu sensibilisieren, auch das kann Theater. Die Bühnenbildnerin Katrin Brack arbeitet seit fast dreißig Jahren mit Luk Perceval zusammen. Auf den folgenden Seiten hat sie Fotos aus neueren Inszenierungen mit Luk Perceval zusammengestellt.

Formal fällt diese Verwendung von lebensgroßen Puppen zur quasi-mimetischen Darstellung von Menschen aus dem Repertoire Ihrer sonstigen Arbeiten heraus.

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KATRIN BRACK

kontext, sind sie erst einmal nichts anderes als ein bestimmtes Material, das man einsetzen kann. Wir hatten Frauen, Männer, Kinder auf der Bühne; durch ihre große, den Raum ausfüllende Anzahl ergab sich die Wirkung, dass sie die Schauspieler zu verschlucken schienen, man sah die Spieler verschwinden und wieder auftauchen. Wenn sich die Schauspieler ­ zwischen den Figuren bewegten (und vor allem, wenn sie stillstanden), wusste man nicht, wer lebendig war und wer nicht. Gekleidet waren die Schaufenster­ puppen in die abgelegte Kleidung der reichen west­ lichen Bevölkerung, wie aus den Sammlungen, die man von hier nach Afrika schickt. Luk und ich haben über die Möglichkeiten der Bühne diskutiert, und ich fand „Menschen“ oder besser: ihre Stellvertreter auf der Bühne am stimmigsten. Sie stehen da in großer Dichte, wie in einer südafrikanischen Straßensituation. Dazu kam dann noch der alte Pick-up-Truck, den man häufig in Fernsehberichten aus Afrika sieht. Ein Auto, das bei uns keiner mehr fahren würde. Der Pick-up ist typisch als Transportmittel für Nahrung, Waffen oder Menschen. Das alles zusammen kann wie ein Marktplatz erscheinen.


REALITY, NON-REALITY AND THE SPACES IN BETWEEN Katrin Brack talks to Thomas Irmer about the internal life of her sets and her collaboration with Luk Perceval

Katrin Brack, you’ve been working with Luk Per­ ceval for 28 years. A working relationship be­ tween a stage designer and a director of such duration is highly unusual. Your stage spaces come into being through reduction, they refer to absence; they refuse to be “settings”, they do not operate with signs or symbols, instead they are sensual, generative atmospheres, and they challenge the audience with associations and the workings of their own perception. Luk Per­ ceval is also known for his key working principle of reduction, the principle of sparsity, of omis­ sion. In the 1997 Flemish staging of “Schlachten!” in Ghent, you told me that the lighting director, Enrico Bagnioli, said: “When you two get together, there is nothing left. Less, even less, even less.” But it was precisely this “less” that has led to an intense and very productive working rela­ tionship that has lasted for years. From your point of view, what is special about this co­ operation? I don’t want to begin with an example from our very early work together, but rather with “Molière”, a piece developed by Feridun Zaimoglu, Günter Senkel and Luk, which we did in 2007 at the Berlin Schaubühne. I had snow falling on the stage for the entire duration of the performance. I wanted to contrast this image of “untouched nature” with the world of Molière, his plays and this textual version, that was the idea. In general I work mostly with just one material or one object – always highly concrete elements, either things that everyone knows from everyday life, or means and technology that are intrinsic to the stage,

which I use in unusual ways. In “Molière” the snow was supposed to evoke the association of “nature”, but at the same time it was always recognisable as theatrical fake snow. Theatre snow is just plastic shavings. You can recognise it as snow, but it’s snow that never gets dirty and never melts. It’s not even cold, but everyone accepts the agreement: this is snow. In the performance this silently falling snow was a contrast to the powerful, dramatic language of Feridun Zaimoglu and Günter Senkel, who blended and edited four Molière plays together for the piece. For me, this theatrical snow – which here was not meant to signify “winter landscape” but instead remained open to ­interpretation – also had something very Baroque about it in the context of Molière plays. At the same time, you could always see the box suspended over the stage from which the snow trickled; the technique with which it was produced remained visible. It was supposed to be. The constant snowfall and the white snow that accumulated on the stage floor actually made you think, as you say, of ostensibly untouched nature. At the same time, the constant trickling indicated the passing of time. As so often in your spaces, there was an impression that the material – an element that occurs in large ­quantities – had agency, almost. Do you see your sets as fellow performers, or are they ­autonomous spaces in which others perform? In a sense, both things are true. My spaces do not stand alone, they cannot be considered in isolation, rather they need the actors. For it is only with the

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Some actors feel unstable in these spaces, re­ duced to their own essence. During the rehears­ als for “Dream of Autumn” at the Münchner Kammerspiele in 2001, Stephan Bissmeier was on stage and said: “I don’t know what to do with my hands.” And Luk said: “That’s what’s so excit­ ing.” On the other hand there are actors like Thomas Thieme, who performed in “Molière” and took the lead in “Othello” at the Münchner Kammerspiele in 2003, who relate how “fric­ tion”, “heat” and performance ideas arise in the battle with Brackian snowdrifts, trees, garlands and empty surfaces. “I have often sat there and looked at her stages and lost myself in them completely,” says Thieme. “In those moments, a story would arise and play out there; sometimes entirely different to the one in the script …” My stages are compressions that I develop as I engage with the text. Essentially it is about creating atmospherically charged stage spaces which allow concise and far-reaching associations and also arouse physically intense impressions. Secondly, my spaces – ­especially in the openness you mention – are meant to offer the director and the actors conditions under

In fact, the stage for “Molière” was not just expe­ rienced visually, it was almost physical – for the audience as well. The flickering effect of the brightly lit snowflakes was so strong that some audience members even felt ill. This is something we know from strobe lights, but illuminated, shimmering, trickling artificial snow can apparently also trigger physical reactions. Over the five hours, the fluttering became meditative, for some people it induced a kind of trance, a shift in consciousness. There were people who were hallucinating, others felt sick, and there were a few people with circulatory problems. Others reported the impression that the stage was coming closer, and they asked how we did it. They were seeing things that did not exist. To have such shifts in perception triggered by a stage design is, of course, very interesting.

BUT ONLY THROUGH THE PERFORMANCE MY STAGES BEGIN TO “PERFORM”.

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Did this kind of approach come from your long collaboration with Luk Perceval? And are there different phases to this collaboration? I would say there was something very free, independent about Luk, particularly at the beginning, which was also an inspiration to me. He had a very peculiar, idiosyncratic approach to plays, he tackled them reck-

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KATRIN BRACK

The space and materials within it can change enormously with light. It also influences the ­performance of the actors. How much of that is pre-planned in the open system of your spatial designs? I build models and test them with a torch, so in that sense it’s pre-planned, with the direction as well. But when lighting director Mark Van Denesse comes to the stage, he usually has suggestions, so in this respect new things can arise.

which they can carry out their ideas and interpretations in the best, most focused way possible. It is fantastic when it succeeds. But the stages are also open in terms of the audience’s interpretation.

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­ ctors, with what they do in and with the spaces, a that something arises that can be read into, that is conveyed as emotion and which offers the audience scope for interpretation. I’ve often been asked in recent years if my spaces are art, and the answer I keep coming up with is: they don’t think about whether they’re art or not. The spaces and their elements are not autonomous, but at the same time they are never just props. I would put it like this – and this is an idea that was always key in my collaboration with Luk as a director: with my spaces, I create conditions for a context that is open, that cannot be predetermined. But only through the performance of the actors, through the costumes of Ilse Vandenbussche, through the lighting design of Mark Van Denesse do my stages begin to “perform”, to take shape, and this may give rise to something entirely new.


lessly, almost like a football player. And to this day, he always knows from the outset of a production what he wants to do with a play or with the material, and where he wants to go with it. This is very important to me – his wonderful way of thinking, even if I then develop something different to what he had imagined. In the early rehearsals he still acts out a lot himself, with wit and humour, which sweeps everybody up and gets them excited for the underlying ideas of the production. And every time it’s a completely new approach, there’s no repetition.

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HE ALWAYS KNOWS FROM THE OUTSET OF A PRODUCTION WHAT HE WANTS TO DO WITH A PLAY OR WITH THE MATERIAL.

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The early years with the Blauwe Maandag Com­ pagnie, which Perceval founded with Guy Joos­ ten in 1984, were characterised by limitations and frugality, everything had to fit into a van and had to cost almost nothing, so that you could travel to smaller venues in Flanders and Holland. Yes, we left behind everything that we didn’t absolutely need. However, I didn’t experience these limitations as restriction, but as a productive situation. It forces you to focus on the essentials and it’s conducive to creative solutions. The principle of omission and sparsity meant reduction, but there was never just a black stage. There was always something there that allowed you to create a new space – whether it was a tree or the artificial snow which we had in less lavish amounts back then. Among your recent joint credits are productions like “Disgrace” at the Münchner Kammerspiele in Munich, an adaptation of the novel by J. M. Coetzee

about South Africa after apartheid, which was created in two versions, 2011 in Amsterdam and 2013 in Munich. It is a highly political work that addresses the major issue of post-colonialism. For this you put almost life-like dolls on the stage. They were black mannequins. Mannequins are stylised images of humans – artificial representations according to certain inflated standards of beauty. Depending on their function, they are used as advertising media in shop windows, figurines, clothes racks. If you take them out of their utilitarian context, they are nothing more than a particular material that you can use. We had women, men, children on stage; there were so many that they filled the space and it seemed as though they were swallowing the actors, and you saw the performers disappearing and reappearing. When the actors moved between the figures (and particularly when they were standing still), you could not tell who was alive and who wasn’t. The mannequins were dressed in the discarded clothing of the rich Western population, like the clothes that are collected here and sent to Africa. Luk and I discussed the possibilities of the stage and I found “people” or rather their representatives on stage to be the most appropriate. They stand there in great density, like you find in a South African street scene. Then you had the old pick-up truck, which you often see in television reports from Africa. The kind of car that no one here would drive any more. The pick-up is a typical means of transport for food, weapons and people. Put all of it together and it can seem like a marketplace. This is a kind of representation that has been criticised in other productions on this subject as “blackface”. I bought the mannequins in Belgium from a company that makes them that way. Blackface would have been – in the figurative sense – if we made white dolls black, which was not the case. So many people of colour live in the Netherlands and Belgium that they have produced black mannequins that stand in the shop windows next to the white ones, they want to sell the clothes to everyone. Certainly, mannequins are not an invention of African culture, but a medium of Western consumption (which is problematic for many reasons), which there on the stage – with their gaze fixed beyond the actors directly at the audience in a way that was almost menacing – felt like an assembly of the undead. In particular, we were interested in the mediality of the mannequin, its qualities as a mediator on the border between presence and absence, life and death. The fusion of totem and life was an important aspect in the staging of “Disgrace”.

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Set designer Katrin Brack has worked with Luk Perceval for almost thirty years. Over the following pages she has assembled photos from new productions with Luk Perceval.

Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen

Premieren Spielzeit 2019/2020 14. September 2019

Burgtheater

20. September 2019

Burgtheater

27. September 2019

Burgtheater

4./5. Oktober 2019

Burgtheater

13. Oktober 2019

großes Haus

1. November 2019

großes Haus

8.,9. November 2019

großes Haus

22. November 2019

großes Haus

24. November 2019

Burgtheater

10. Januar 2020

Burgtheater

19. Januar 2020

Burgtheater

26. Januar 2020

Burgtheater

8. Februar 2020

großes Haus

28. Februar 2020

großes Haus

20. März 2020

großes Haus

5. April 2020

Burgtheater

18. April 2020

Drachhausen

28. April 2020

in der Niederlausitz

ŁAPANJE ŠEFA FEINDLICHE ÜBERNAHME Komödie von Thomas Steinke in obersorbischer Sprache mit Simultanübersetzung ins Deutsche

DIETER UND DER WOLF Eine tragische Komödie aus dem ländlichen Raum von Holger Böhme

WARTEN IN GODOW Gedöns vonner Insel – Folge 1 Spieltrieb von und mit Stephan Siegfried ANGST ESSEN SEELE AUF von Rainer Werner Fassbinder DER ZAUBERER DER SMARAGDENSTADT von Alexander Wolkow Für die Bühne bearbeitet von Stephan Beer und Georg Burger EXTRAWURST Komödie von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob BAUTZENER BÜHNENBALL 2019 In Zusammenarbeit mit dem Sorbischen National-Ensemble

Deutschsprachige Erstaufführung DAS LEERE HAUS von Carla Niewöhner Förderpreisträgerin Stückewettbewerb „Lausitzen 2017“

PECHVOGEL UND GLÜCKSKIND Puppentheater nach dem gleichnamigen Märchen von Richard von Volkmann SELFIES EINER UTOPIE Eine Theaterserie von Nicola Bremer in 5 Folgen 7 GEISSLEIN Puppentheater nach dem Märchen der Brüder Grimm

KITO UND DIE TANZFIEDEL Puppentheater nach Gerat Hendrich und Illustrationen v. Jutta Mirtschin DOŁHOŽ FENKI BĚŽA UND EWIG RAUSCHEN DIE GELDER Komödie von Michael Cooney in obersorbischer Sprache mit Simultanübersetzung ins Deutsche NATHAN DER WEISE Dramatisches Gedicht von Gotthold Ephraim Lessing

PRĚKI – DURICH - LOBORKA Gemeinschaftsprojekt des Sorbischen Jugendtheaters und dem Steinhaus e.V. im Rahmen von Pop2Go NUR EIN TAG Puppentheater nach dem Stück von Martin Baltscheit

JAJA Z KRAJA LANDEIER Komödie von Frederik Holtkamp in niedersorbischer Sprache mit Simultanübersetzung ins Deutsche

MAŁY NYKUS DER KLEINE WASSERMANN Marionettenspiel nach Otfried Preußler Puppentheater in niedersorbischer/wendischer und deutscher Sprache 8. Mai 2020

großes Haus

1. Juni 2020

Burgtheater

DIE WIEDERVEREINIGUNG DER BEIDEN KOREAS von Joël Pommerat aus dem Französischen von Isabelle Rivoal ARCHE NORA Puppentheater von Stephan Siegfried 25. Juni 2020

Hof der Ortenburg

25. Bautzener Theatersommer HOLMES UND DAS BIEST VON BAUTZEN nach Arthur Conan Doyle Auf die Bühne gesetzt von Lutz Hillmann

Telefon: 03591/584-0 www.theater-bautzen.de

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KATRIN BRACK

In a formal sense, this use of life-sized puppets as a quasi-mimetic representation of people sets it apart from the rest of your repertoire of work. That’s true, and it was meant to be different. The question is always: where does the stage stand in relation to what is being negotiated or processed on it? Certainly you can say this much: my sets – in the way they operate as “performers” – are not superficially political. But as “Disgrace” indicated, they all potentially have a political dimension. Another example: in the adaptation of the novel “Snow” by Orhan Pamuk, another work with Luk which NTGent put on in 2016, I hung up tons of different coloured fabric, like flags, but without emblems. Turkish employees of the theatre had often looked in and they said that these flags really represented Turkey for them. There was also a large Turkish contingent at the dress rehearsal, and there was a huge uproar because they believed that individual panels of cloth were reproducing the colours of the PKK flag. The colour selection was made solely on aesthetic grounds, but the audience perceived certain flags in them. The theatre suggested rehanging the coloured cloths, but I refused. This ­attribution of meaning was not my intention, but I did not want to censor it at all. After all, the Kurds are part of the Turkish reality too. It is intrinsic to many of my works that they evoke – in actu – different associations, attributions of meaning or even – as with “Molière” – hallucinations. Frank M. Raddatz described this artistic practice as a phenomenological process that triggers the internal workings of perception among the audience, and their associative consciousness. This in turn can mean that every member of the audience sees something different in the performance. Views on what may or may not constitute reality – as the “snow” in our production in Ghent showed – can be controversial. To increase awareness of this – this is yet another thing that the­a­ tre can do.


Bühnen von Katrin Brack für Inszenierungen von Luk Perceval: „Kirschgarten“ am Thalia Theater in Hamburg (2012). Foto Jennifer Wjertzoch


„Molière. Eine Passion“ an der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin (2007). Foto Matthias Horn


„Tod eines Handlungsreisenden“ an der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin (2006). Foto Matthias Horn


„Anatol“ an der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin (2008). Foto Matthias Horn


„Het jaar van de kreeft“ der Toneelgroep Amsterdam an der Stadsschouwburg in Amsterdam (2016). Foto Sanne Peper


„Schande“ an den Münchner Kammerspielen (2013). Foto Julian Röder


„Rosa oder Die barmherzige Erde“ am Akademietheater in Wien (2018). Foto Reinhard Werner


„Sneeuw“ am NTGent (2016). Foto Katrin Brack


BELGIEN


BELGIUM


DER SCHREIENDE MENSCH Luk Perceval zurück in Flandern – mit einer Oper über den Ersten Weltkrieg von Johan Thielemans

Ich möchte die künstlerische Laufbahn von Luk Perceval in drei große Perioden einteilen: Da ist zunächst die flämische Periode mit der Blauwe Maandag Compagnie (Kompanie Blauer Montag) in Antwerpen (1984 bis 1997), einem, wie wir in Flandern gern sagen, „Theater am Rand“, jedoch mit großem Erfolg bei Publikum und Kritik. Hierauf folgte 1997 die Leitung des Stadttheaters in Antwerpen, der Koninklijke Ne­der­ landse Schouwburg (KNS), die Luk Perceval mit einem neuen Namen versah: Het Toneelhuis (Das Theaterhaus). Fast zeitgleich brachte er in Gent sein Opus Magnum heraus: „Ten Oorlog“ nach Shakespeares Königsdramen in einer Textfassung von Tom Lanoye. Percevals gesamte Erfahrungen als Theatermacher flossen in diesen Marathon ein, aus dem er und Lanoye später die deutsche Version „Schlachten!“ entwickelten, die bei den Salzburger Festspielen 1999 zur Uraufführung kam. An dieser Stelle begann die zweite Periode der künstlerischen Laufbahn von Luk Perceval, in der er zunehmend in Deutschland tätig ist. Er arbeitete an der Berliner Schaubühne und am Thalia Theater in Hamburg, wo er Hausregisseur wurde. In dieser Zeit ­erfuhr er mehr und mehr Anerkennung als Regisseur.

Fünf Produktionen fanden ihren Weg zum Berliner Theatertreffen. Dennoch lässt Perceval nach Jahren des Erfolgs in diversen Interviews irgendwann durchblicken, dass er sich in deutschen Theatern nicht mehr wohlfühle. Zu hierarchisch, zu schwerfällig sei das System. Merkwürdig ist, dass ihm dies erst nach so vielen Jahren als unproduktiv erscheint. Er würde lieber, wie er sagte, in kleineren Organisationsformen arbeiten, losgelöst von den dominanten Strukturen. Eine ähnliche Kritik hatte er schon einmal formuliert: in Bezug auf das flämische Theater. Es war diese Unzufriedenheit, die der Grün­ dung der Blauwe Maandag Compagnie zugrunde lag. Als im Jahr 2014 in zahlreichen Veranstaltungen an die Schrecken des Ersten Weltkriegs vor einhundert Jahren erinnert wird, wittert Perceval die Chance, seine Träume zu verwirklichen. Es gelingt ihm, eine Koproduktion zwischen dem Thalia Theater in Hamburg und dem NTGent ins Leben zu rufen. 2014 hat „Front“ Premiere. Die Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg verbinden mehrere europäische Länder und Spra­chen. Perceval entscheidet sich dafür, sich auf die Erfahrungen der Soldaten in den Schützengräben zu konzentrieren. Dabei ist es ihm wichtig, das Leiden

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ihnen weiterzuarbeiten. Die erdachte Kompanie sollte laut Perceval eine neue Form bekommen, unabhängig sein von bestehenden, institutionellen Strukturen, seien sie nun städtisch oder national verankert. Dass diese Kompanie, ihrer Ausrichtung nach, in europä­ischen Dimensionen gedacht werden müsse, schien ihm im gegebenen politischen Kontext eine not­wendige neue Spielart. Aus diesem Grund sollte sein Theater auch eines sein, das sich nicht hinter den Grenzen einer bestimmten Sprachkultur verschließt. Peter Brook verfolgte eine solche Idee bereits in den achtziger Jahren, und zwar nicht nur bezogen ­auf den europäischen Kontext, sondern auf den der ganzen Welt. Perceval dagegen wollte in erster Linie regelmäßig in Brüssel produzieren, um dann mit den Stücken international zu touren. In diesen Produktio­nen sollte jeder Teilnehmer seine eigene Sprache sprechen, was für ihn in Zeiten der Globalisierung ­einen notwendigen neuen Schritt darstellte. Übertitelung – als das neue Hilfsmittel, das gegenwärtig internationales Touren möglich macht wollte er dabei vermeiden. Als er seine Ideen dem KVS-Intendanten Michaël De Cock vorstellt, ist dieser zunächst begeistert. Dann aber wird gerechnet, und De Cock muss passen. Das Projekt lag außerhalb der Möglichkeiten der Brüsseler KVS. Auch künstlerische Abwägungen ließen De Cock zweifeln, ob ein solch außergewöhnliches Projekt, das vor allem auf den internationalen Markt ausgerichtet ist, zu seiner Idee eines Stadttheaters passt. Seine Träume zielten auf ein Theater ab, das die Realitäten der Stadt Brüssel reflektiert. Für De Cock blieb die lokale Bedeutung Priorität. Die Besprechungen strandeten, dennoch blieb Perceval Flandern treu. Es gelingt ihm, eine zweite Koproduktion zwi­ schen dem Thalia Theater und dem NTGent auf die Beine zu stellen. Er wählt eine Bearbeitung des Romans „Früchte des Zorns“ von John Steinbeck. Es sei ein Roman über Migration, sagt Perceval, und darum sei diese Geschichte aus dem Jahr 1939 auch heute re­ levant. In „Früchte des Zorns“ (2016) widmete sich Perceval erneut der Frage, wie verschiedene Sprachen in einer Produktion zusammenkommen könnten. Er arbeitete mit einem niederländischen, einem flämischen und einem deutschen Schauspieler sowie einer russi­ schen Schauspielerin und tastete sich an der Über­ legung entlang, wie viel vom Text das Publikum tat­ sächlich begreifen muss. Je nachdem, wo das Stück gezeigt wurde, entstand ein jeweils anderes Verhältnis zwischen Begreifen und Verfremden. Er entwickelte zwei Methoden: So wurden zum Beispiel kurze Passa­ gen ohne direkte Übersetzung auf Russisch ge­spro­chen. Was jedoch die niederländischen und flämi­schen

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aller Beteiligten, unabhängig davon, auf welcher Seite sie standen, zu thematisieren. Die Inszenierung vermittelt eine humanistische Botschaft, die nichts gemein hat mit Heldentum und aufgeblasenem Patrio­ tismus. „Front“ basiert größtenteils auf zwei Texten: „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque sowie dem viel weniger bekannten Roman „Das Feuer“ des französischen Autors Henri Barbusse. Außerdem dienen Perceval und seinem Dramaturgen Steven Heene Briefe und Dokumente der Zeit als Quelle. ­Neben diesen (Zeit-)Zeugnissen von Männern fügt Perceval mit den Erfahrungen einer belgischen ­Mutter sowie einer englischen Krankenschwester auch zwei weibliche Charaktere hinzu. Dadurch ­entsteht eine Art postdramatisches, gesprochenes Oratorium. Der Kulturjournalist Falk Schreiber nennt es auf nachtkritik.de ein „Textkonzert“. Entdramatisiertes Theater wäre vielleicht ein passenderer Begriff als postdramatisches. Die Schauspielerinnen und Schauspieler des internationalen Ensembles stehen in einer Reihe an der Rampe, jeder hinter einem Mikrofon. Sie schauen ge­ radeaus in den Saal. Sehr bewusst wird auf jegliches Spiel verzichtet. Alle Konzentration liegt auf den Wor­ ten, wobei Perceval jeden seine eigene Sprache sprechen lässt, Deutsch, Niederländisch, Französisch und Englisch. Hinter den Schauspielern ist die Bühne so gut wie leer – bis auf eine große Metallplatte, die im Hinter­ grund aufrecht vor der Brandmauer hängt. Sie soll auf eine Zimmerdecke der Titanic anspielen – eine Assoziation, die dem Publikum jedoch ziemlich sicher ­ent­­geht (Bühne Annette Kurz). Diese Platte wird als Musikinstrument eingesetzt (Schlagwerk Ferdinand Försch). Durch das Schlagen entstehen industrielle Geräusche, eine Art musique concrète. Die Atmo­ sphäre ist dunkel, unangenehm, dabei aber fast voll­ kom­men frei von Emotionalitäten. Ein radikales ­Kon­zept, das auf Kargheit setzt und mit der Einbildungskraft des Zuschauers spielt. Mit dieser Aufführung wird klar, dass Perceval wieder Verbindungen nach Flandern knüpft. Das ­ent­geht seinem Vaterland natürlich nicht. Michaël De Cock, in seiner Funktion als neuer Direktor der Konink­lijke Vlaamse Schouwburg (KVS) in Brüssel, bietet ihm eine Zusammenarbeit an. Es scheint, als wäre Perceval seinem Traum, eine internationale, multikulturelle Kompanie zu gründen, einen weiteren Schritt nähergekommen. Die Motivation dazu speiste sich aus verschie­ denen persönlichen Erfahrungen, die er als Regisseur und Theaterdozent gesammelt hatte. In Russland und China traf er junge Talente. Ihre Persönlichkeiten be­ eindruckten ihn so stark, dass er davon träumte, mit


Schauspieler Bert Luppes und Kristof Van Boven betraf, ließ er die Repliken sowohl auf Deutsch als auch auf Niederländisch sprechen. Die Schauspieler übersetzten somit Stück für Stück ihren jeweiligen Text. Das verlangte eine große linguistische Virtuosität. Jedoch wirkte die Entscheidung für diese Methode auch forciert. Ob die vielen durcheinander gespro­chenen Sprachen eine Bereicherung sind, blieb nach diesem Versuch eine offene Frage. In Deutschland wurde die Aufführung nicht gut aufgenommen, auch weil Perceval eine abstrakte Form gewählt hatte, die nicht zu überzeugen wusste.

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DER SCHRECKEN DER FRONT WIRD ZUM SCHRECKEN DES ZUHÖRERS.

Inzwischen war Aviel Cahn, der Intendant der Flämi­ schen Oper in Antwerpen, bei einer Aufführung von „Front“ der israelischen Komponistin Chaya Czernowin begegnet. Sie war derart bewegt von dem Stück, dass sie unmittelbar über eine Opernbearbeitung nachdachte. Aviel Cahn biss sofort an. Gerne will er neue Werke ins Programm nehmen. Da er schon einige Jahre in Antwerpen arbeitet, kennt er das flämische Theaterleben ausgezeichnet. Regelmäßig vergibt er Aufträge an flämische Regisseure. Hier bietet sich ihm eine einmalige Chance: ein gewichtiges Thema, ein flämischer Regisseur und eine israelische Kompo­nistin. Chaya Chernowin schrieb für „Infinite Now“ eine Partitur, in der sich verschiedene Geräuschlagen über­ einanderschieben, erzeugt von elektronischen Gitarren, einer klassischen Orchesterbesetzung und einem reichen Repertoire an Live-Elektronik (unter Mitarbeit von Carlo Laurenzi vom Pariser Forschungsinstitut IRCAM). Die Lautsprecheraufstellung sorgt dafür, dass die Klänge im Raum wandern können, sodass der Zuhörer ganz in den Geräuschstrom aufgenommen

werden kann. Eine weitere Ebene besteht aus musique concrète: Geräusch eines Zugs, schmutzige Luft (so steht es in der Partitur), Maschinen und Steine. ­Dabei legt Chernowin, was die Klangproduktion angeht, fast schon eine Spur Besessenheit an den Tag: Die Noten – auffallend sind die vielen Viertelnoten – sind mit zahlreichen Anweisungen versehen. Dennoch lässt sie den Ausführenden Freiheiten: Sie legt zwar Parameter fest, aber innerhalb des gesteckten Rahmens dürfen die Ausführenden selbst bestimmen, wofür sie sich entscheiden. Auch arbeitet Chernowin mit auffallend vielen Taktwechseln. So notierte ich beispielsweise bei Nummer 1367 der Partitur von ­„Infinite Now“ die Reihenfolge 3/4, 3/8, 2/4, 3/8, 3/4 und 5/4 – all das innerhalb weniger Takte. Die Partitur besteht also aus einer unendlichen Anzahl subtiler Nuancen. In verschiedenen Momenten verlässt Chernowin die traditionelle Notationsweise, fegt über die Notenbalken hinaus oder zeichnet Steine hinein. Für die Vokalbesetzung kombiniert Chernowin Sänger und Schauspieler. Alle Möglichkeiten der Stimme werden eingesetzt: Singen, Sprechen, Seufzen, Atmen (Letzteres während langer Passagen). Auch bewahrt sie die Mehrsprachigkeit. Es erklingen Nie­derländisch, Englisch, Deutsch, Französisch und selbst Mandarin. Beim Hören dieses komplizierten Konstrukts prägt sich vor allem der Eindruck einer Klangmasse ein, die sehr aggressiv wirkt und in der Geräusche die Oberhand über die Klänge gewinnen. Der Schrecken der Front wird zum Schrecken des Zuhörers. Das korres­ pondiert gut mit den Texten, in denen Ausdrücke wie „ausbrechendes Gebrüll ohne Ende“ in einer Welt von „unterdrücktem Wahnsinn“ den Ton angeben. Eine angenehme Musik habe sie ganz sicher nicht schreiben wollen, versichert Czernowin angesichts der Partitur, die sich größtenteils als Klanglandschaft hören lässt. Dem Zuhörer möchte sie eine Erfahrung bieten, die durch ein vollkommenes Eintauchen entsteht. So erschließt sich auch die Bedeutung des neuen Titels: ­„Infinite Now“. Denn dieses Werk ist eben jenes un­ endliche Jetzt, ohne Entwicklung, eine 180-minütige Starre. Am Ende der Oper scheint als eine Art Trost das Wort „Leben“ am Horizont auf, verbunden mit einer Schlussfolgerung: „Das Leben, das mich durch diese Jahre trug, ist noch in meinen Händen und Augen. Ob ich es überwunden habe, weiß ich nicht. Aber so lange es da ist, wird es sich seinen Weg suchen, mag dieses, das in mir ,ich‘ sagt, wollen oder nicht.“ Ein unterdrücktes Happy End ist dieser Schluss jedoch nicht. Hoffnung scheint hier vollständig abwesend. Im Wesentlichen bleibt die Oper dem Theaterstück treu. Aber durch die Gewalt der Klänge bekommt das

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SPIELZEIT 2019–2020 SCHAUSPIEL

PREMIEREN Henrik Ibsen JOHN GABRIEL BORKMAN 13.09.2019 – Großes Haus Ernst Toller HINKEMANN 03.10.2019 – Kammerspiele Patrick Barlow DER MESSIAS 05.12.2019 – Kammerspiele Sarah Berthiaume NYOTAIMORI 20.02.2020 – Kammerspiele Tennessee Williams SÜSSER VOGEL JUGEND 28.02.2020 – Großes Haus Carl Sternheim DIE KASSETTE 24.04.2020 – Großes Haus Annett Kruschke DER CAMILLE-CLAUDEL-KOMPLEX 01.05.2020 – Kammerspiele Walter Brandon Thomas CHARLEYS TANTE 11.06.2020 – Kammerspiele Friedrich Dürrenmatt DER BESUCH DER ALTEN DAME 19.06.2020 – Großes Haus

Aus dem Niederländischen von Astrid Kaminski.

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Karten erhältlich unter 03693-451-222 /-137 und www.meininger-staatstheater.de

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Ganze emotional einen anderen Gehalt. Luk Perceval legte sein eigenes Theaterkonzept zur Seite und schuf eine vollkommen neue Aufführung, in der die Musik zu ihrem Recht kommen kann. Aus diesem Grund ­arbeitete er auch mit einem neuen Bühnenbild, das von Philip Bussman stammt. Im ersten Bild stehen alle Spieler wieder in einer Reihe an der Rampe. Langsam fährt nun auf spezielle Art Leben in sie: Die Körper der Sänger und Schauspieler beginnen sich zu verkrampfen. Eine Polyphonie leidender Gesichter. In der folgenden Szene öffnet sich der Vorhang, der Bühnenraum wird sichtbar, darin Leinwände, auf die Perceval die Texte projizieren lässt. So sieht ein künstlerisch verantwor­ te­ter Gebrauch von Übertitelung aus: Die Wörter werden Teil des Konzepts, das im Fortgang der Auf­ führung einen interessanten Verlauf nehmen wird. Szene für Szene wird der Raum leerer und damit größer. Alle Aufführenden benutzen stilisierte Gebär­ den, die allesamt Schmerz ausdrücken und die Perceval zusammen mit dem Choreografen Ted Stoffer ent­ wickelt hat – bis es wirkt wie ein Ritual sich bewe­ gender Körper, ob allein oder zusammen in der Gruppe. Ein einziges Mal, als sich die Spieler über ­einen Toten beugen, scheint ein realistisches Moment auf. An­ sonsten aber verzichtet Perceval auf alles Anek­do­ti­ sche und entscheidet sich klar für Abstraktion. Dennoch gewinnt die Aufführung durch das ­pathetische Repertoire der Gebärden eine große emotionale Kraft. Wenn bei „Front“ der abwesende Körper im Mittelpunkt stand, dann entsteht hier im Gegenteil eine überwältigende körperliche Präsenz. Auf diese Art sind beide Aufführungen Beispiele für den Theaterstil, den Perceval gegenwärtig ent­ wickelt. Einerseits eine fortschreitende Kargheit, ­andererseits ein sehr kontrolliertes, physisches Be­ wegungsmaterial, das sich in Verbindung mit expressionistischen Idiomen bringen lässt. Zu sehen, wie die Sänger dabei völlig engagiert sind, überzeugt und ­bewegt, vor allem am Schluss. Die Qualität dieser ­bei­spielhaften Arbeit scheint somit auch der Tatsache geschuldet, dass Perceval die Opernsänger ganz und gar aus ihrer Komfortzone herausholt, sodass sie mit einer verblüffend neuen Präsenz auf der Bühne stehen. Die Aufführung ist, könnte man schlussfolgern, in einer einzigen Tonart geschrieben und inszeniert: Im fürchterlichen, statischen Jetzt steht ein schreiender Mensch – schreiend aus bodenloser Verzweiflung und Schmerz. Zweieinhalb Stunden lang sieht, hört und fühlt man den „Schrei“ von Edvard Munch. Würde man für die Essenz von „Infinite Now“ ein Bild suchen, dann wäre es dieses Gemälde.


THE SCREAMING MAN Luk Perceval returns to Flanders – with an opera about the First World War by Johan Thielemans

I would divide the artistic career of Luk Perceval into three major periods. First came the Flemish period with the Blauwe Maandag Compagnie (Blue Monday Company) in Antwerp (1984 to 1997), a “theatre on the margins” as we call them in Flanders, but one that found great success with audiences and critics. This was followed in 1997 by his management of the city theatre in Antwerp, the Koninklijke Nederlandse Schouwburg (KNS), to which Luk Perceval gave a new name: Het Toneelhuis (The Theater House). Around the same time he published his magnum opus in Ghent – “Ten Oorlog” (To War) based on Shakespeare’s royal dramas in a text version by Tom Lanoye. Perceval poured the entirety of his experience as a theatre-maker into this marathon, from which he and Lanoye later developed the German version “Schlachten!” (Battles!), which premiered at the Salzburg Festival in 1999. It is at this point that the second phase of Luk Perceval’s artistic career begins, one in which he is increasingly active in Germany. He was engaged at the Schaubühne in Berlin and the Thalia Theater in Hamburg, where he became a house ­director. This period saw him increasingly gaining r­ecognition as a director, with five productions ­making their way to the Berliner Theatertreffen. Despite these years of success, at a certain point Perceval’s interviews indicated that he no longer felt comfortable in German theatres, that he found the system too hierarchical, too cumbersome. The strange thing is that it was only years into this work that it struck him as unproductive. He aired his preference for working in smaller organisational forms detached from dominant structures. He had once ex-

pressed a similar critique – in relation to Flemish theatre, and in fact it was this disaffection that inspired the establishment of the Blauwe Maandag Compagnie. With numerous events throughout 2014 commemorating the horrors of the First World War a hundred years previously, Perceval sensed an opportunity to make one of his dreams a reality. He succeeded in putting together a co-production between the Thalia Theater in Hamburg and NTGent, and in 2014 came the premiere of “Front”. Remembrances of the First World War are common to multiple European countries and languages. Perceval decided to focus on the experience of the soldiers in the trenches. He believed it is important to address the suffering of everyone involved, no matter what side they were on. The production had a humanistic message entirely divorced from heroism and puffed-up patriotism. “Front” is largely based on two texts: “All Quiet on the Western Front” by Erich Maria Remarque, and the far less celebrated novel “Under Fire” by French author Henri Barbusse. Perceval and his dramaturge Steven Heene also used letters and documents of the time as source material. Alongside this testimony from men, Perceval added two female characters who reflected the experience of a Belgian mother and an English nurse, creating a kind of post-dramatic, spoken oratorio. Perhaps de-dramatised theatre would be a more appropriate term; on nachtkritik.de, cultural journalist Falk Schreiber called it a “text concert”. The members of the international ensemble stand in a row at the front of the stage, each behind a microphone. They look straight ahead into the auditorium. Quite deliberately they do not “act” as such.

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significance remained the priority. The meetings floundered, but Perceval remained loyal to Flanders. He succeeded in mounting a second ­co-production between the Thalia Theater and the NTGent, choosing an adaptation of “The Grapes of Wrath”, the novel by John Steinbeck. As Perceval ­noted, this is a novel about migration, which explains why a story from 1939 remains relevant today. In “The Grapes of Wrath” (2016), Perceval once again addressed the question of how different languages ​​might come together in one production. He worked with a trio of Dutch, Flemish and German ­actors, as well as a Russian actress, and pondered ​ how much of the text the audience actually needed to understand. The ratio of comprehension to alienation would differ depending on where the play was staged. He developed two methods, the first of which involved brief passages from the Russian, say, without direct translation. But he would then have the Dutch and Flemish actors Bert Luppes and Kristof Van Boven reproducing this in both German and Dutch. The actors were thus translating their texts piece by piece, which demanded a high degree of linguistic virtuosity. However, the decision to use this method seemed forced. Whether or not there was anything to actually gain from the multiplicity of criss-crossing languages was a question that remained unanswered after the attempt. The production was not well received in Germany, in part because Perceval had adopted an abstract form that did not prove persuasive to audiences. Meanwhile, Aviel Cahn, Artistic Director of the Flemish Opera in Antwerp, had met Israeli composer Chaya Czernowin at a performance of “Front”. She was so moved by the play that she immediately thought about adapting it as an opera. Keen to get new works onto his programme, Aviel Cahn was on board immediately. Having worked in Antwerp for some years he came to the project with outstanding knowledge of the Flemish theatre world. He regularly hired Flemish directors and now here he was presented with a unique opportunity – a weighty subject, a Flemish director and an Israeli composer. Chaya Czernowin wrote a score for “The Infinite Now” which superimposes various layers of sound produced by electric guitars, a traditional orchestra and a rich repertoire of live electronics (by collaborator Carlo Laurenzi of the Paris research institute IRCAM). The arrangement of speakers ensures that all of this travels around the space, completely absorbing the listener in the flow of sound. Another layer comes with musique concrète – the sound of a train, dirty air (as it says in the score), machines and stones. When it comes to the production of sound Czernowin dis-

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The entire focus is on the words, with Perceval letting the performers speak in their respective languages – German, Dutch, French and English. The stage behind the actors is virtually empty – except for a large metal plate that hangs upright against the firewall in the background. It is an allusion to a ceiling on the Titanic – yet it is an association that the audience almost certainly misses (set by Annette Kurz). This plate is used as a musical instrument (by Ferdinand Försch), with this drumming producing industrial sounds, a kind of musique concrète. The atmosphere is dark and unsettling, but there is almost no emoting. It is a radical concept that relies on austerity and plays with the viewer’s imagination. From this production it was clear that Perceval was reconnecting with Flanders. Naturally this didn’t escape the attention of his fatherland. Michael De Cock, in his new capacity as Artistic Director of Koninklijke Vlaamse Schouwburg (KVS) in Brussels, proposed a cooperation. It seemed that Perceval had come one step closer to his dream of founding an international, multicultural company. His motivation here came from his experience as a director and theatre teacher. He had come into contact with talented young theatre practitioners in Russia and China and was so impressed he dreamed of continuing their work together in some way. According to Perceval, this notional company was to have a new form independent of existing institutional structures, whether municipal or national. By its nature the company would have to be conceived on a European scale, which struck him as essential given the political context. And for this reason he didn’t want to see his theatre closed off within the frontiers of a particular linguistic culture. Peter Brook was pursuing a similar idea back in the 1980s, not just in a ­European context, but for the world as a whole. ­Perceval, on the other hand, wanted to mount regular productions in Brussels and then tour with them internationally. In these productions, participants were to speak their own languages, which he regarded as a vital new step in times of globalisation. He wanted to avoid surtitles, the new tool then helping to make international tours possible. He presented his ideas to KVS director Michael De Cock, who expressed initial enthusiasm. But then he did the sums and had to pass it up; the project was beyond the scope of the KVS. And from an artistic perspective, De Cock doubted whether such an extra­ ordinary project, one aimed primarily at the international market, was compatible with his notion of ​​a city theatre. His focus was a theatre that reflected the ­realities of the city of Brussels and for De Cock local


plays an almost obsessive quality. The amount of quarter notes is striking, and the whole score comes with numerous directions. But she also gives the performers scope, by setting the parameters and then allowing them to determine for themselves what they elect to do within that framework. The tempi in Czernowin’s work change frequently. For number 1367 in the score of “The Infinite Now”, for instance, I found a sequence of 3/4, 3/8, 2/4, 3/8, 3/4 and 5/4 – all within a few bars. And so the score is made up of an limitless amount of subtle nuances. At various moments Czernowin abandons traditional notation entirely and sweeps across the staves or draws stones on them. For the vocal elements Czernowin fuses the roles of singer and actor. The work employs voice in all its permutations – singing, speaking, sighing, breathing (the latter during extensive passages). She also preserves the multilingual approach of the play, which resounds with Dutch, English, German, French and even Mandarin voices. On listening to this complicated construct, the dominant impression is of a highly aggressive block of noise which comes to overpower the sounds. The horror of the front becomes the horror of the listener. This corresponds with the text in which expressions like “erupting roar without end” set the tone in a realm of “repressed insanity”. It is certainly not meant to be pleasant, as Czernowin says in describing a score that can largely be taken as a soundscape. She wants to offer the listener an experience that arises from complete immersion. This also prompted the new title: “The Infinite Now”. For this work is just that – an endless present with no development, stasis maintained for 180 minutes. At the end of the opera the word “life” appears on the horizon as a sort of consolation, and with it a conclusion: “The life that carried me through these years is still in my hands and my eyes. Whether I overcame it, I do not know. But as long as it is there it will seek a way, whether that within me that says ‘I’ wishes it so or not.” However, this is not a repressed happy ending. Hope seems completely absent here. In its essence the opera remains faithful to the play, yet the violence of the sounds lends it a different emotional substance. Luk Perceval put his own theatrical concept aside and created a completely new piece in which the music comes into its own. For this reason he also worked with a new stage set, this time by Philip Bussman. In the first scene, all the performers are once again in a row at the front of the stage. Slowly, they come to life in a strange way – the bodies of the singers and actors start to cramp. A polyphony of faces in torment. In the following scene the curtain opens, the stage space becomes visible, in-

cluding the screens onto which Perceval projects the text. Here he demonstrates how you can use surtitles in an artistically accountable way; the words become part of the concept, which pursues an interesting course as the performance progresses. Scene by scene, the room becomes emptier and thus larger. The performers use stylised gestures that all express pain, which Perceval developed with choreographer Ted Stoffer – until the whole thing seems like a ritual of moving bodies, alone or grouped. Only one moment, when the players bow over a dead body, seems to issue from the real world. Otherwise Perceval eschews all that is anecdotal and opts squarely for abstraction. Nevertheless the performance gains great emotional force through the pathos generated by this repertoire of gestures. Where “Front” focussed on the absent body, here there is an overwhelming physicality, a presence. As such, the two productions together exemplify the style of theatre that Perceval is currently developing. On the one hand there is a progressive austerity, on the other highly controlled, physical movement material that can be combined with expressionistic idioms. All the while the singers are utterly committed, convinced and transported, especially at the end. The quality of this exemplary work comes from Perceval drawing opera singers completely out of their comfort zone so that they can inhabit the stage with an astonishing new presence. You might well conclude that the performance is written and staged in a single key – amid the frightful, static present there is a screaming individual, screaming with fathomless desperation and pain. Over two and a half hours you see, hear and feel Edvard Munch’s “The Scream”. For it is this painting that is the ultimate summary of “The Infinite Now”.

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ReaLiTäTen ReaLiTies Spielzeit 2019 / 2020 premieren Macbeth William Shakespeare / regie: Carola Unser türken, Feuer / ua Özlem Özgül Dündar / regie: Anna-elisabeth Frick Der Junge iM rock / ua Kerstin Brichzin / regie: Katharina Birch nina. Feuer. eine Musikalische hoMMage an nina siMone / ua von und mit zenzi Huber Deine helDen – Meine träuMe Karen Köhler / regie: Anne Decker Der hauptMann von köpenick Carl zuckmayer / regie: nina pichler Das tagebuch Der anne Frank Anne Frank / regie: tomasz Cymerman Die schneekönigin Hans Christian Andersen / regie: eva lange Die barbaren nino Haratischwili / regie: twyla zuschneid nora oDer ein puppenheiM nach Henrik ibsen / regie: laura n. Junghanns blutige anFänger*innen / ua Janna pinsker & Wicki Bernhardt ab Jetzt zusaMMen! / ua regie: Carola Unser Die Welt iM rücken thomas melle / regie: eva lange pollesch Wäre Das nicht passiert / ua Anah Filou / regie: romy lehmann Das stück zur zeit Autor*in noch unbekannt / regie: philip lütgenau hair Gerome ragni, James rado, Galt macDermot, nico rabenald / regie: Carola Unser

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DAS UNENDLICHE JETZT von Steven Heene

Am 26. Januar 2013 hatte „Platonow“ in Gent Premiere. Tschechows allseits bekannter Klassiker war kaum wiederzuerkennen – zumindest nicht auf den ersten Blick. Die Bühne war fast leer, abgesehen von den neun Schauspielern und dem Pianisten Jens Thomas. In der radikalen Bearbeitung durch den Regisseur Luk Perceval war das Stück, in dem Tschechow eine Gruppe von Leuten in einer Villa am Ende eines Winters zusammenkommen lässt, auf das Wesentliche heruntergebrochen. Weder Heil noch Hilfe. Dieses Gefühl der Verwüstung wurde durch eine Verabredung der Spieler unterstrichen: Sie alle starrten ins Publikum. Nicht, um mit ihm Kontakt aufzunehmen, sie starrten ins Unendliche, mit einem Ausdruck der Verzweiflung, deren Intensität in Momenten schwer zu ertragen war. Wie es in der Besprechung von Evelyne Coussens in De Morgen hieß: „Das ist so nackt, so wesentlich, dass es in den Augen schmerzt.“ „Platonow“ am NTGent, dem Stadttheater, war nach langer Zeit die erste Arbeit von Luk Perceval in Flandern. Er war noch Hausregisseur am Thalia Theater in Hamburg nach vielen Jahren in Deutschland – ein

Kapitel, das im Jahr 1999 mit „Schlachten!“ bei den Salzburger Festspielen begonnen hatte. Dieser berühmte Theatermarathon, von dem belgischen ­Autor Tom Lanoye zusammen mit Perceval geschrieben, basierte auf den sogenannten Rosenkriegen von W ­ illiam Shakespeare. Die flämische Version „Ten ­Oorlog“ (wörtlich: Zum Krieg) hatte 1997 Premiere und wird als ein Meilenstein des niederländischspra­ chigen Theaters angesehen. Die Idee einer deutsch­ sprachigen Version für die Festspiele hatte Gerard Mortier, damals Intendant in Salzburg. Es liegen also mehr als zehn Jahre zwischen „Ten Oorlog“ und „Platonow“. Aber es gibt doch Ähnlich­ keiten zwischen den beiden Arbeiten, darin, allen ­Ballast über Bord zu werfen und eine Geschichte so minimalistisch wie möglich zu erzählen, mit einem philosophischen Unterton des Existenzialismus. Nach „Platonow“ hat Perceval fast jedes Jahr eine neue Inszenierung in Flandern herausgebracht, meistens am NTGent, wo er jetzt Artist in Residence ist: „Front“ (2014, in Koproduktion mit dem Thalia Theater in Hamburg), „Früchte des Zorns / Oogst van de wrok“

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Ein zweites Merkmal von Perceval als Regisseur ist sein Bedürfnis nach Stille und Stillstand, seine Neigung, die Handlung bis zu einem Punkt zu verlang­ samen, wo die Bühne fast zum Standbild aus einem Film einfriert, oder zu einer Fotografie oder sogar ­einem Gemälde. Diese künstlerische Notwendigkeit rührt in den meisten Inszenierungen aus dem Existenzialismus als tieferer Schicht, ist aber auch das Resultat seines Yoga-Unterrichts. Seit vielen Jahren unterrichtet Perceval Yoga und trainiert sich selbst und seine Schauspieler, wie Körper und Seele „im Moment“ zusammenfinden durch bestimmte Atemtechniken und Meditation, aber auch Muskeltraining. Die Entscheidung, einen erheblichen Teil seiner Zeit in Yoga zu investieren, war eine Reaktion auf seine ungesunde Lebensweise in den neunziger Jahren, als er ständig unterwegs war und wenig auf seinen Körper achtgab. Diese Stille ist beinahe das Gegenteil von dem Drang des Schauspielers, sich durch Sprechen auszudrücken und aufzutrumpfen, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf jede mögliche Weise zu erlangen. Um der Kunst willen wird hier also ein interessanter Kontrast gesetzt: werden Aktion und Stille in Balance gehalten. Dieser Kontrast kam in „Platonow“ auf extreme Weise zur Anwendung, wenn Schauspieler lange wie eingefroren in die Leere starrten. Aber auch die Dynamik von „Black“ war durch den Wechsel zwischen ­Ensemblespiel und Augenblicken der völligen visuellen Stille bestimmt. Diese Elemente im Gleichgewicht zu halten, dafür muss der Regisseur nicht nur bei der Arbeit den Überblick behalten, sondern auch in der Dramaturgie, insbesondere wenn das Material aus verschiedenen Quellen stammt. Die Komplexität der Montage war zum Beispiel bei „Front“ eine besondere Herausfor­ derung. Die Produktion begann als Adaption von „Im Westen nichts Neues“ am Thalia Theater in der Dramaturgie von Christina Bellingen. Aber nach dem erfolgreichen Comeback in Flandern mit „Platonow“ entwickelte Perceval die Idee einer Doppelversion: mit deutschen und belgischen Schauspielern, über den Horror des Ersten Weltkriegs auf beiden Seiten der Front. Auf unserer Suche nach passendem Material für die belgische Seite kombinierten wir eine Vielzahl historischer Stimmen, darunter französische ­Autoren wie Henri Barbusse und sein Roman „Das Feuer“ (1916). Auch in „Black“ ist die Erzählung alles andere als eindimensional. Das Stück erinnert an die Schrecken im Kongo um 1900, mit einer Besetzung aus vier schwarzen und vier weißen Schauspielern, begleitet von dem Schlagzeuger und Multiinstrumentalisten Sam Gysel, der kongolesischer Abstammung ist.

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(2016, ebenfalls mit dem Thalia Theater), „Sneeuw“ (2016, nach Orhan Pamuks „Schnee“) und vor Kurzem „Black“, der erste Teil einer Trilogie „The Sorrows of Belgium“. Ich hatte das Glück, an allen diesen Arbeiten als Dramaturg mitzuwirken und werde nun einige charakteristische Züge von Luk Perceval vorzustellen versuchen, auch anhand von Erfahrungen aus meinem früheren Leben als Theaterkritiker. Über Perceval und seine Arbeitsmethoden nachzudenken, dabei fallen mir gleich eine ganze Reihe von Sachen ein. Zuallererst ist er ja selbst ausgebildeter Schauspieler. Das ist bei Regisseuren im Theater nicht immer der Fall – tatsächlich haben viele eine andere Laufbahn mit anderem Profil hinter sich. Aber Perceval weiß, worum es beim „Spielen“ geht, und er geht sein Material entsprechend an: Wie wird ein Text glaubhaft, wie wird ein Inhalt auf dem Papier so vital und attraktiv, dass er die Neugier und Imagination der Zuschauer erregt? Das ist der Punkt, wo in den meisten seiner Arbeiten die Suche nach der „Musikalität“ beginnt: nicht über Musik auf der Bühne oder vom Band, sondern in der Art und Weise des Sprechens von jedem einzelnen Schauspieler – und der ganzen Besetzung als „Chor“ der Zeugen. Über die Sprache kommt häufig auch der Humor zum Tragen. Dazu muss man wissen, dass Flandern wirklich ein Flickenteppich verschiedener Dialekte ist. Alle zwanzig Kilometer wird ein anderer Dialekt gesprochen, geschätzt als Mittel der Alltagskommunikation und abgegrenzt von der offiziellen Hochsprache in Flandern, nämlich Niederländisch. Der Einsatz dieser Dialekte verleiht dem jeweiligen Stück einen musikalischen Ton und stellt zugleich ein leicht subversives Statement dar. Denn es widersetzt sich der Idee vom Theater als Kunst für eine Elite oder allein für die Bourgeoisie. Das veranschaulicht Percevals Überzeugung von einem Theater für alle und die verschiedensten Arten von Publikum. Diese Haltung größtmög­licher Inklusion teilen auch Milo Rau und das jetzige NTGent. Manchmal wurde der Einsatz der flämischen ­Dialekte direkt durch den Stoff angeregt. Sowohl in „Front“ als auch in „Black“ sind die Figuren in einer Zeit situiert, als Niederländisch noch nicht als Standardsprache in Flandern etabliert war. In „Front“ erleben wir Soldaten in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs von 1914 bis 1918, als die meisten der belgischen Offiziere Französisch sprachen und die Solda­ten in der Regel einen flämischen Dialekt. „Black“ ­dagegen handelt von der Kolonisierung des Kongo in den Jahren des Kongo-Freistaats unter König Leopold II. zwischen 1885 und 1908. In beiden Inszenierungen ist der Dialekt auf der Bühne mit der historischen Wirk­lichkeit verbunden.


Die Handlung von „Black“ basiert auf den Journalen ­William Henry Sheppards, eines Afroamerikaners, der als einer der ersten Missionare in den Kongo ging, um die Einheimischen zu bekehren. Er wurde Zeuge der Gräueltaten der sogenannten Force Publique, einer Söldnerarmee unter Führung belgischer Militärs, die von König Leopold II. eingesetzt wurde. Sheppards Journal ist aber nur der Ausgangspunkt für ganz ­verschiedene Stimmen, darunter Texte, die von den Schauspielern selbst geschrieben wurden, über ­Rassismus im Belgien der Gegenwart. Um all das ­zusammenzubringen, wurde, wie bei „Front“, viel ­Arbeit in die Montage investiert: Wie kann man die Geschichte so bauen, dass sie verschiedene Blick­ winkel und Sprünge zwischen Zeitebenen enthält, ohne dass das Publikum den Faden verliert? Man sollte hervorheben, dass Perceval auch ein großartiger Schnittmeister von Theatertexten ist. Nicht nur nach dem Prinzip kill your darlings, wenn es ­während der dramaturgischen Vorbereitung und der Proben nötig ist, sondern in der Herstellung einer ­wirkungs- und bedeutungsvollen Montage des Gesamtprojekts. Es handelt sich um ein Feingefühl für das Formen einer Sequenz zum Bestmöglichen, auch als Voraussetzung für die Gestaltung der Übergänge zwischen den einzelnen Szenen. Häufig wirken diese Übergänge ein bisschen zufällig und unverblümt. ­Perceval weiß aber als Regisseur, dass die Qualität der Erzählung auch von diesen Übergängen abhängt − wie im Film. Um sein Vorgehen bei der Entwicklung einer Inszenierung zu erläutern, bezieht er sich auf Filmtechniken, auch, um den Schauspielern damit zu helfen. Eine Szene kann von ihm zum Beispiel als ­Close-up angelegt sein, oder er beschreibt sie als ­Kamerabewegung, sodass die Schauspieler sich die Szene aus deren Perspektive vorstellen können und wissen, wie die Geschichte am Ende geschnitten wird. Ab und zu wird dieser Ansatz bei den Proben eins zu eins umgesetzt, wenn Perceval mit einer Kamera filmt. Danach zeigt er den Schauspielern seine Montage. Auf diese Weise können sie erfahren, wie sein „Auge“ sie sieht, auch wenn am Ende keine Kamera auf der Bühne sein wird. Es geht darum, ein kollektives Bewusstsein zu schaffen, um Energie und Spannung so hoch wie möglich zu halten. Das erinnert mich an eine Aussage oder Regie­ anweisung, die Perceval oft in den zwei Wochen Endproben von „Black“ an die Schauspieler richtete. Die Proben fanden bereits auf der Bühne statt, „alles mit allem“, das heißt mit Kostümen, Beleuchtung und Bühnenbild. Die während dieser Tage oft zu hörende Anweisung lautete: „Jetzt ausdehnen!“ Was bedeutete, dass die Schauspieler sich Zeit nehmen sollten,

eine Szene für sich selbst sprechen zu lassen. Indem sie stillstanden und die Spannung hielten. Für ein paar Sekunden oder Minuten. Durch die Ausdehnung des Moments dessen Emotion mitzudehnen. Man könnte meinen, diese Anweisung hat einen gewissen YogaTouch. Aber in diesem Fall handelt es sich um die raffi­nierte Kunst eines Meisterbildhauers, der mit seinem Theaterstück unsere Gedanken und Gefühle formt. Es war also anfangs keine künstlerische Entscheidung, aber sie hat gewiss Einfluss auf seine jetzige Arbeit. Perceval ist unter anderem ein Meister der theatralen Landschaft auf der Bühne, zusammen mit seinen Szenografen wie der deutschen Bühnenbildnerin Annette Kurz, dem flämischen Lichtdesigner Mark Van Denesse und der Kostümbildnerin Ilse ­Vandenbussche. Das sind Leute, denen er vertraut, eine Künstlerfamilie mit einem ähnlichen ästhetischen Geschmack. Wenn man über das Regiehandwerk Luk Percevals nachdenkt, kann man ein paar flämische Elemente in seiner Arbeit entdecken. Zum Beispiel die Verwendung „vulgärer“ Dialekte auf der Bühne. Zugleich ist seine Theatersprache ganz universal, sehr einfach. Es handelt sich um das erstaunliche Paradox großer Kunst, die das Singuläre und das Universelle in einem Zug verbindet − in einem Atemzug. Was mich an ein Zitat aus der letzten Szene von „Black“ erinnert, wo einer der Schauspieler sagt: „Wir tragen unsere ­Geschichte in uns. Wir sind unsere Geschichte.“ Als Mensch und Künstler bringt Perceval gewiss seine ­eigene Geschichte in seiner Arbeit zum Ausdruck. Mit seiner mehrschichtigen Identität ist er in der Lage, auf verschiedenste Menschen in verschiedenen ­Kontexten zuzugehen. Dem liegt ein weiteres Paradox zugrunde, nämlich: „Zuhause“ als Idee oder Konzept. Vor vielen Jahren umarmte Perceval die Welt als sein Zuhause, dabei kann er sehr unterhaltsame Erinnerungen an seine frühe Kindheit in seiner besonderen Familie erzählen. Indem er auf das Universelle zielt, ohne die Anekdote zu vergessen, lässt er die schönste Kunst entstehen.

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Aus dem Englischen von Thomas Irmer.


THE INFINITE NOW

On 26 January 2013, “Platonov” opened in Ghent. The play, a well-known classic by Anton Chekhov, was hardly recognisable – at least, not at first sight. The stage was almost empty, apart from the nine actors and one piano player, Jens Thomas. In the radical adaptation by director Luk Perceval, the play, in which Chekhov presents a group of characters coming together in a mansion after the winter, was completely stripped down. Nowhere to run, nowhere to hide. This feeling of desolation was emphasised by a code between the players, all of whom were staring into the auditorium. This wasn’t an attempt to make contact with the audience, they were staring into the infinite, expressing their despair with an intensity that was, at times, hard to look at. Like Evelyne Coussens’ in her review in De Morgen said: “This is so bare, so essential, that it hurts the eyes.” “Platonov”, performed at NTGent, the city theatre of Ghent, was the first production in a long time by Luk Perceval in Flanders, Belgium. He was still a house director at Thalia Theater, Hamburg, and had worked in Germany for many years – a chapter which more or less started with the creation in 1999 of “Schlachten!” for the Salzburg Festival. This acclaimed theatre ­marathon, originally written by the Belgian author Tom Lanoye and Perceval himself, was based on W­illiam Shakespeare’s “Wars of the Roses” plays. The Flemish version of “Ten Oorlog”, opened in 1997 and is considered a milestone in the history of Dutchlanguage theatre. The invitation to make a Germanlanguage version for the festival was the idea of Gerard Mortier, at the time the Artistic Director at Salzburg.

More than a decade lies between “Ten Oorlog” and “Platonov”. There are nevertheless certain similarities between both productions, in their attempt to throw all ballast overboard, to tell a story in the most minimal way possible, with a philosophical undertone of human existentialism. Since “Platonov”, Perceval has directed a new production in Flanders almost every year, mostly at NTGent, where he is artist-in-residence: “Front” (2014, a coproduction with Thalia Theater, Hamburg), “The Grapes of Wrath / Oogst van de wrok” (2016, with Thalia Theater), “Snow” (2016) and, more recently, “Black”, the first part of the trilogy “The Sorrows of Belgium”. I was fortunate enough to work on all these productions as a dramaturge, and I will try to name a number of characteristics of Luk Perceval’s signature, based on my experience in a ­former life as a theatre critic as well. Reflecting on Perceval and his working methods as a director, a number of things come to mind. First of all, he himself is an actor by training. This is not always the case in theatre – in fact, a lot of directors have a different trajectory and/or artistic profile. But Perceval knows what ‘acting’ is about and approaches the material in that way: how can you make a text believable; how can you make content on paper so vital and attractive that it opens the curiosity and the imagination of the spectator? In most of his productions, this is where the search for ‘musicality’ starts: not in the music on stage or on tape, but in the way the words are spoken by every individual actor – and by the whole cast as a “choir” of testimonies. A lot of the time it is also through the language that the humour arises in. To understand this aspect,

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STEVEN HEENE

by Steven Heene


one has to know that Flanders is a real patchwork of dialects. Almost every twenty kilometres they speak a different dialect, cherished as the daily means of communication, as opposed to the official language in Flanders, namely Dutch. To use these dialects means adding color to the play in a musical way, but it’s also a slightly subversive statement. This is because it rejects the idea of theatre in itself as an art form for the elite or for the bourgeoisie only. It’s an illustration of Perceval’s firm belief in art or theatre for everybody, reaching out to all kinds of audiences. This approach of being as inclusive as possible is shared by Milo Rau and NTGent. Sometimes, the decision to include Flemish dialect is inspired by the material itself. In both “Front” and “Black”, the characters are situated in a time when Dutch hadn’t really been established as the standard language in Flanders. In “Front” we meet soldiers in the trenches of the First World War, in 1914-1918, when most of the Belgian officers spoke French and most of the ­soldiers spoke a Flemish dialect. In “Black”, the story concerns the colonisation of the Congo, during the years of the Congo Free State under King Leopold II between 1885 and 1908. So in both these productions, the dialect on stage is based on the historical reality. A second characteristic of Perceval as a director is his need for stillness, his desire and ability to slow down the action on stage to a point where the scene becomes almost like a still from a movie, or a photo, or even a painting. This artistic necessity is inspired by the existentialism, as a deeper layer, in most of his productions, but it’s also a result of his training as a yogi. For many years now, Perceval has been teaching yoga, training himself and his actors to connect body and mind ‘in the moment’ using breathing techniques and meditation, but also by flexing every muscle. The decision to invest a significant amount of his time in yoga was a reaction against his unhealthy lifestyle in the nineties, when he was on the road all the time and not taking care of his body. So it wasn’t initially an artistic decision, but it has certainly had an influence on his work. This stillness is almost the opposite, in a way, to the urge of an actor to express himself, by speaking, making noises, grabbing the attention of the audience in any way possible. So, there is a very interesting contrast being activated here, for art’s sake, in the balance between action and stillness. This contrast was applied in an extreme way in “Platonov”, with actors standing frozen for a long time, gazing into the void. But in “Black”, too, the dynamics of the evening are determined by the regular shifts between, let’s say, ensemble theatre and moments of complete, visual silence.

Balancing these elements requires an overview from the director at work but also in the dramaturgy, especially when the material is coming from different sources. The complexity of the montage was, for ­example, a major challenge in the making of “Front”. This production started as an adaptation of “All Quiet on the Western Front” by Thalia Theater, with Christina Bellingen as a dramaturge. But after his successful comeback in Flanders in 2013 with “Platonov”, Perceval launched the idea of making a “double” version of it, in other words with both German and Belgian actors on stage, evoking the horror of the First World War on both sides of the frontline. In our search for relevant material on the Belgian side, we combined a lot of historical voices, including French authors like Henri Barbusse, the author of “Under Fire” (1916). In “Black”, too, the narrative is far from one-dimensional. This play is an evocation of the horrors in the Congo around 1900, with a cast consisting of four black and four white actors, accompanied on stage by the drummer and multi-instrumentalist Sam Gysel, who has Congolese roots. The story of “Black” is inspired by the journals of William Henry Sheppard, an African American and one of the first missionaries who went to the Congo to convert the locals. He witnessed the cruelty of the Force Publique, an army of mercenaries led by Belgian troopers, installed by King Leopold II. Sheppard’s journal is merely a starting point for very different voices, including texts written by the actors themselves about racism in Belgium today. To combine all that, as in “Front”, a lot of work was put into the editing. How can we build up a story with opposing points of view, jumping back and forth in time in such a way that the audience doesn’t get lost or confused?
It must be said that Perceval is a great editor of theatre texts as well. Not only by applying the “kill your darlings” principle when necessary, in the dramaturgical preparation and during rehearsals, but also by creating an effective, meaningful montage for the entire project. It’s a sensitivity for shaping a whole sequence in the best form, which has a lot to do with the transitions between scenes as well. Often these transitions are somewhat random, or even blunt. Perceval knows, as a director, that the quality of the story also depends on these transitions, like it does in film. To explain how he works and how he looks at the ­development of the project, he often refers to film techniques – also helps the actors. He will call one scene a close-up, for example, or he refers to the movement of the camera, so the actors can imagine how the scene is captured, and how the story will be cut. A number of times during the rehearsal process, this approach becomes reality, when

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signer Annette Kurz, Flemish lighting designer Mark Van ­Denesse and costume designer Ilse Vandenbussche. These are people he trusts, like an artistic family, and they have similar aesthetic tastes. Thinking about the craftmanship of Luk Perceval as a director, I can detect some, let’s say, typical Flemish elements in his work. Like the use of “vulgar” dialect on stage. At the same time, his theatre language is very universal, very basic. It’s the amazing paradox of great art, as we know, to combine the singular and the universal in one movement – or breath. Which reminds me of a quote from “Black”, from the last scene, when one of the actors says: “We carry our history with us. We are our history.” As a person and as an artist, Perceval expresses his own history through his work, that’s for sure. It’s because of this layered identity that he is able to connect to different people in different contexts. It’s also possible because of another paradox, namely: “home” as an idea or concept. Many years ago, Perceval embraced the world as his home, yet he can be highly entertaining in recalling memories from his early childhood, about his colorful family. By choosing the universal, without ­ignoring the anecdotal, he creates the most beautiful art.

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STEEVEN HEENE

the director Perceval uses his camera to capture what is happening in the room. Afterwards, he briefly edits the recording and presents it to the cast. This way, they can see how his “eye” is looking at them, even though there will be no camera on stage in the end. It’s about creating an awareness, as a collective, to keep the energy and the tension as high as possible. It reminds me of a word, or a director’s note, that Perceval often used in the last two weeks before the opening night of “Black” this year. The rehearsals had already transferred to the stage of the theater, with all the costumes and the lights and the sets. The phrase we often heard in these days was: “Now stretch”. Meaning that the actors had to take their time to let a scene speak for itself by standing there, in silence, keeping the tension. For a few seconds, or a few ­minutes more. By stretching the moment, and the emotion of that moment, you could argue that this note has a certain yoga feel to it. But in this case, it’s an example of the refined art a theatre play can be, in sculpting our thoughts and our feelings, when ­directed by a master-sculptor. Perceval is, among other things, a master in ­composing theatrical landscapes on stage, together with his team of designers, like German stage de-


Arbeiten von Luk Perceval: Mit Schauspielern auf einer Probe zu „Früchte des Zorns“ am Thalia Theater in Hamburg (2016). Foto Annette Kurz


„L. King of Pain“ an der Stadsschouwburg Brügge (2002). Foto Phile Deprez


„Infinite Now“ an der Opera Vlaanderen in Gent/Antwerpen, dem Nationaltheater Mannheim und dem IRCAM, Paris (2017). Foto Hans Jörg Michel


Luk Perceval mit Schauspielern auf einer Probe zu „Black / The Sorrows of Belgium I: Congo“ am NTGent (2019). Foto Annette Kurz


RUSSLAN


D RUSSIA


DIE DUNKELHEIT DES HERZENS Luk Percevals „Macbeth“ in Sankt Petersburg von Maria Shevtsova

Luk Perceval ist ein vom russischen Publikum geschätzter Name, hauptsächlich wegen seiner auf dem Festival Baltiski Dom (Baltisches Haus) in Sankt Petersburg gezeigten Inszenierungen. Das jährliche ­Festival wurde 1990 an dem gleichnamigen Theater gegründet, um Gastspiele aus den Ländern des Ostseeraums einzuladen. Es war die Zeit des unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruchs der Sowjet­union. Die dringliche Aufgabe bestand darin, sich weder von der früheren sowjetischen Einflusssphäre zu isolieren noch vom kapitalistischen Europa, denn Sankt Petersburg war seit seiner Gründung durch ­Peter I. immer eine euro­päische Metropole gewesen. Percevals „Othello“ von den Münchner Kammerspielen war die erste Einladung zum Baltiski Dom (2005), gefolgt von „Onkel Wanja“ (Het Toneelhuis, Antwerpen, 2006), „Tod eines Handlungsreisenden“ (Schaubühne, Berlin, 2008) sowie „Der Kirschgarten“

(2012) und „Die Brüder Karamasow“ (2013), beide vom Thalia Theater in Hamburg. Percevals „Macbeth“ hatte im Mai 2014 in Sankt Petersburg Premiere. Es war die erste Auftragsarbeit des Baltischen Hauses, mit einer Besetzung aus dem eigenen Ensemble. Bis heute steht das Stück auf dem Spielplan. 2017 zeigte das Festival Percevals Sechs-StundenInszenierung „Liebe – Geld – Hunger. Trilogie meiner Familie“ (2015 bis 2017), eine Adaption des „RougonMacquart-Zyklus“ von Émile Zola für das Thalia Thea­ ter in Kooperation mit den Ruhrfestspielen. Im selben Jahr vereinbarte Andrej Mogutschi, der umtriebige Intendant des Bolschoi-Drama-Theaters in Sankt ­Petersburg, mit Luk Perceval eine Inszenierung von „Romeo und Julia“ an seinem Haus, das einst während der Breschnew-Zeit durch die innovativen Arbeiten von Georgi Towstonogow international bekannt wurde. In diesem Text soll es jedoch vorrangig um

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ER LOTETE DIE EMOTIONALITÄT DER SCHAUSPIELER AUS, INDEM ER SIE ANTRIEB, ÜBER DIE GEWOHNTE SKALA IHRES AUSDRUCKS HINAUSZUGEHEN.

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Im Vergleich sei Percevals Arbeit mit den Schauspie­ lern viel freier und flüssiger gewesen, was die russi­ schen Schauspieler sofort zu schätzen wussten. Er lotete ihre Emotionalität aus, indem er sie antrieb, höher, tiefer und über die gewohnte Skala ihres Ausdrucks hinauszugehen und so nicht nur professionell, sondern auch menschlich ihren Horizont zu erwei­ tern. Eine Methode, um es einmal deutlich zu sagen, die der Stanislawski-Schule und deren Arbeit mit dem Schauspieler näher ist als alles andere. Russische Kritiker haben ausnahmslos die Einfachheit und Klarheit von Luk Percevals Arbeiten gelobt, Charakteristika, die zuletzt noch einmal in Bezug auf die „Trilogie meiner Familie“ hervorgehoben wurden. Die Kommentare zu „Macbeth“ indes waren zuvor etwas mehrdeutiger ausgefallen. Die Kritiker

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MARIA SHEVTSOVA

welche Rolle der Regisseur ihnen am Ende zuteilt. Es wurde von ihnen absolute Textsicherheit erwartet – im russischen Theater gänzlich unbekannt. In Russland, so Alimov, hätten die Schauspieler ihren Text höchstens nach drei Monaten Proben drauf. Die kurze Probenzeit empfand Alimov als erfrischend, und er schätzte dabei besonders, dass ­Perceval mit einem detaillierten Produktionsplan und klaren Ideen für die Schauspieler anreiste. Er ­unterstrich, wie sehr sich dieses Verfahren von den Ausprobiermethoden russischer Regisseure unterschied.

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Percevals erste Arbeit für das Baltiski Dom ­gehen, da sich die russischen Kritiker daran ganz besonders abarbeiteten. Niemand, schrieb die Kritikerin Alexandra Tychins­ kaja in Leinwand und Bühne (18. Juni 2014) voller Zustimmung, habe eine traditionelle Lesart von diesem Regisseur erwartet. Und dennoch sorgte die Inszenierung für große Diskussionen. Perceval selbst hatte das Stück, das er zuvor bereits zweimal insze­ niert hatte, vorgeschlagen, um es bei diesem dritten Versuch endgültig zu durchdringen. Leonid Alimov, der die Titelrolle spielte, berichtete mir in einem Interview, das wir am 14. November 2018 führten, dass Percevals Absicht darin bestanden habe, „über seinen Vater und seine Mutter“ zu sprechen. Er habe sich daher auf die intime Dynamik eines Paares konzentrieren wollen, anstatt Shakespeares größeren Rahmen von Politik und Krieg zu verfolgen. In dieser Hinsicht rückte Perceval tatsächlich von der Tradition früherer Interpretationen ab, in denen Themen wie Herrschaft, Machtanspruch, Mord, Erbfolgekrieg im Fokus stan­ den – all die thematischen Leitfäden, die die Geschichte Macbeth’ mit der anscheinend zweitrangigen, aber in Wahrheit zentralen Figur Banquos verbinden. Schließlich ist es Banquos Nachkomme, der der zu­ künftige König Schottlands wird, genau so, wie es die drei Hexen vorausgesagt haben. Perceval vernachlässigt keinesfalls diese Bedeutung von Banquo, deutet sie aber nur an, indem er Banquo zusammen mit seinem Sohn wie eine Geistererscheinung auftreten lässt. Alimov bemerkte, dass Perceval während der Proben von „Macbeth“ in Sankt Petersburg an der „Trilogie meiner Familie“ zu schreiben begann, und vermutet, dass die Überlappung der beiden Projekte zu einer gegenseitigen Beeinflussung geführt habe. Was ihn aber am meisten überraschte, war die Geschwindigkeit, mit der Perceval die Inszenierung in praktisch nur vier Wochen erarbeitete. Das kommt dem Zeitplan einer Produktion im westeuropäischen Theater nahe – so ist es die Norm in Großbritannien. Für das russische Theater indes, wo Rollen während langer Probenzeiten in einer Art Co-Autorschaft zwischen Regisseur und Schauspieler entwickelt werden – und nicht wie nach westlicher Stanislawski-Tradition auf Grundlage der Regiehörigkeit der Schauspieler –, war das höchst ungewöhnlich. Alimov war fasziniert von Percevals Methode, den Text für sich zu bearbeiten. Er ließ die deutsche Übersetzung von Thomas Brasch ins Russische übertragen (Übersetzung Marina Koreneva) und schickte ihn lange vor Probenbeginn nach Sankt Petersburg, damit die Schauspieler sich auf mehrere ihnen zugewiesene Rollen vorbereiten konnten, ohne indes zu wissen,


hatten bei „Macbeth“ wie gewohnt eine durchorgani­ sierte Inszenierung voll schlichter Kunstfertigkeit erwartet. Stattdessen erlebten sie, wie es in den Kritiken hieß, eine verwirrende Simplifizierung des Stücks und seiner Handlung. Außerdem empfanden die Kritiker in der zurechtgestutzten, ahistorischen Form der Inszenierung eine Leerstelle; das Böse schien ganz ohne Grund zu existieren, was den russischen Zuschauer ratlos machte und ihm die Möglichkeit nahm, „sich in die Hauptfiguren einzufühlen“ (Bureau 24/7, 2. Juni 2014). Grund für diese mangelnde Empathie-Erfah­ rung seitens der Zuschauer sei gewesen, dass die Schauspieler, so vermuteten es die Kritiker, nicht genügend Raum für die emotionale Verbindung zum Publikum gehabt hätten. Alimov indes hatte das Gegenteil erlebt: Perceval habe seine Schauspieler permanent dazu ermutigt, mit dem Publikum Kontakt aufzunehmen. Insbesondere ihn und Maria Shulga in der Rolle der Lady Macbeth. Tatsächlich gibt es in der Inszenierung vieles, das Empathie erzeugt, beginnend mit dem fesselnden Bühnenbild von Annette Kurz: metallische Röhren, die, an Ketten aufgehängt und sich in der Luft kreu­ zend, fast die ganze Bühnenbreite einnehmen. Zudem wird der Raum von kalten Lichtstrahlen durchschnitten, die, sobald sie auf die leicht beweglichen Röhren treffen, diese blitzen lassen wie Stahl. Mark van Denesse, der Lichtdesigner, lässt das Licht fortwährend schräg einfallen, sodass auf der Bühne lange Schatten entstehen, ohne dass die Silhouetten, Gesichter und Mimik der Figuren reduziert wird. Zu Beginn wogt ­dichter Nebel ins Parkett und umgibt alle Figuren mit einer dunklen, schmerzhaften, ahnungsvollen und mystischen Aura. Die kargen, pulsierenden elektro­ nischen Klänge von Lothar Müller und Pawel Miklejew erzeugen dazu einen unheimlichen Sound. Die Figuren kommen langsam, zu zweit oder zu dritt, an die Rampe, als ob sie sich dem Publikum vorstellen wollten. Einige Frauenfiguren, deren Haare bis zu den Füßen reichen und ihre nackten Körper verhüllen (auch ihre Gesichter bleiben unsichtbar), gleiten wie verdammte Seelen in der Hölle in einer Art Schneckentempo-Choreografie über den Boden und richten sich gelegentlich an den Röhren auf. Eine Choreografie (Ted Stoffer), die mit Percevals Regie harmoniert. Unter den Frauen befinden sich die drei Hexen, die den Samen des Bösen in Macbeth ein­ pflanzen, allerdings sind sie nur flüchtig ein- oder zweimal als Trio klar zu erkennen. Diese ständig präsenten Seelen aus der Hölle, die alle gleich aus­ sehen und stumm bleiben, versinnbildlichen die dunkle Seite des Herzens und deuten an, was aus Macbeth und Lady Macbeth im Verlauf der Aufführung

werden wird. Der Abstieg des Paares in die Verdam­m­ nis bildet die dramatische Handlung der Inszenie­rung. Alles andere ist nur Beiwerk zu ihrem Duett, das man in seiner Zielstrebigkeit und Intensität durchaus opern­ haft nennen kann. Selbstbewusst schält Perceval dieses Zentralkon­ strukt heraus, ohne dabei Duncan, Banquo, McDuff, Lady McDuff und deren Kinder (Duncan hat keine) zu vergessen. Die Figuren vermessen auf der Bühne dia­gonale Linien verschiedener Länge und fügen sich so in die Geometrie der Röhren und Lichtbalken ein. Sie haben kurze Auftritte und knappe Dialoge, gerade genug, um etwa die Ermordung Duncans darzustellen, bevor sie einer nach dem anderen zu lebenden Toten werden. Physisch verbleiben sie auf der Bühne und werden stumm Teil des Dramas der anderen, vor allem von Macbeth und Lady Macbeth. Russische Kritiker sahen darin die visualisierte Gedankenwelt von Macbeth beziehungsweise dessen Wahnbilder (Kommersant, 5. Juni 2014, und Teatr, 7. Juli 2014), aber mir erscheinen sie viel präziser als reale Geister – so real wie die Hexen in Shakespeares Kosmos, der metaphysisch und moralisch zugleich ist und mit dem Percevals Inszenierung erkennbar wetteifert. Alles wird mittels Auslassungen, Andeutungen, Bewegungen und Atmosphären zum Ausdruck gebracht, was auch heißt, dass Empathie mit den Hauptfiguren nur indirekt entstehen kann, niemals frontal, wie bei geradlinigen Erzählweisen. Eine Ausnahme bildet eine Szene, die vergleichsweise grob und schockierend erscheint: die Vergewaltigung von Lady Macbeth durch Duncan. Mit bis zu den Füßen herun­ tergerutschtem Slip lässt Perceval Lady Macbeth von einem Treffen mit Duncan zurückkehren, das offenbar in seinem Schlafzimmer stattgefunden hat. Der Text bei Shakespeare, der dieser von Perceval erfundenen Szene vorausgeht, bezieht sich auf die großzügige Gastfreundlichkeit der Lady, die alle Wünsche ihrer Gäste erfüllen möchte. Etwas weniger krass, wahrscheinlich, weil das Symbol wie ein Witz funktioniert, ist die weiße Pappkrone, mit der Duncan auftritt. Auch Banquos Sohn trägt gelegentlich eine solche Krone, ebenso Macbeth und seine Gattin, wenn sie den Thron besteigen. Perceval legt mit dieser Krone nahe, dass es sich nur um eingebildete Macht handelt. Vulgäres Theaterblut, um die Ermordung Duncans darzustellen, gibt es auf dieser Bühne nicht, ebenso wenig klebt solches Blut an den Händen von Macbeth und Lady Macbeth, um deren Schuld zu verdeutlichen. Stattdessen gibt es durchgehend Wasser – Eimer voll Wasser, in die Alimov seinen Kopf taucht oder mit denen er sich übergießt, um Macbeth’ größte Sünde abzuwaschen. Alimovs Macbeth weiß, dass das Aus-

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wodurch sie auch der Fähigkeit zu lieben beraubt ist. Sie zeigt den schnellen Verfall ihrer Figur durch traum­ hafte und impulsive Phasen des Orientierungsverlusts und der Gleichgültigkeit. Der Regisseur unterstützt diese Darstellung: Er lässt einen der Höllenschatten aus dem Hintergrund immer näher an sie heranrücken, tänzerisch, als versuche er, Lady Macbeth in seinen Wirbel hineinzuziehen. Die Art des Tanzens ist sanft und zurückhaltend, sodass sich eine undefinierbare Traurigkeit von der Bühne auf die Zuschauer überträgt. Alimov beendet die Inszenierung mit Macbeth’ trotziger Behauptung seiner Unsterblichkeit. Die Schauspieler tragen nun Alltagskleidung, Shulga ein fleischfarbenes Hemd, Alimov Hemd und Hose, ­andere Anzüge, Lady McDuff ein Umstandskleid für Schwangere. Auf diese Weise lassen sie die Tragödie sinnloser Zerstörung geradewegs in unserer Gegenwart ankommen. Der Verlust dessen, was einmal ein glückliches Leben hätte werden können, ist fühlbar. Handelt es sich noch um eine Tragödie, wenn die Inszenierung nicht die kanonische Erwartung erfüllt, dass es hier um die großen Taten bekannter Helden geht? An dieser Genrefrage wurde viel herumgekrittelt. Stattdessen sollte man darauf hinweisen, wie erschütternd schön diese Inszenierung in ihrem düsteren und sparsamen Glanz war. Aufs Ganze gesehen war Percevals „Macbeth“ eine faszinierende Erfahrung. Die Art und Weise, wie diese Inszenierung bis in die unsichtbaren Dimensionen der menschlichen Existenz reichte, sollte uns daran erinnern, dass das Wesen des Menschen sichtbar gemacht und somit erklärt werden kann. Aus dem Englischen von Thomas Irmer und Dorte Lena Eilers.

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MARIA SHEVTSOVA

löschen eines Menschenlebens ein Verbrechen ist, das größte Sakrileg, das man nicht sühnen kann. Als die Eimer leer sind, gießt er Flaschen voll Wasser über seinem Kopf aus, um diesen in seiner heißen Qual zu kühlen. Auch trinkt er es gierig, um seine schwarze, leidende Seele zu reinigen. Einige russische Kritiker glaubten zu meinem Erstaunen, Macbeth würde sei­ nen Kummer in Wein zu ertränken versuchen. Dabei war die Allgegenwart von Wasser mit seiner religiösen Konnotation der Reinigung so gewaltig, dass sie ­eigentlich keine andere Interpretation zuließ. Alimov ist ein Schauspieler mit einer außerordentlich breiten emotionalen Klaviatur, mittels derer er mühelos die wechselnden Gefühlszustände von Macbeth wiedergeben kann. Die Liebe seiner Figur zu Lady Macbeth zeigt sich in allen Schattierungen seines psychophysischen Ausdrucks, und zwar so stark, dass die Liebe im Gegensatz zu Percevals vorherigen „Macbeth“-Inszenierungen hier sehr viel mehr präsent ist. Es ist erschütternd, wie sehr Alimov durch die ­Betonung der Liebe die feinsten Nuancen in der Darstellung der Lady Macbeth durch Maria Shulga unterstützt – besonders, als Lady Macbeth erkennt, dass diese Liebe durch den gemeinsam mit Macbeth verübten Mord an Duncan unwiederbringlich verloren ist. Der Aufruhr ihres Gewissens ist ihr in den Körper förmlich eingeschrieben. In diese Liebe ist auch ihr sexuelles Verlangen eingebettet, das Macbeth – in einer expliziten Sexszene – nicht befriedigen kann. Die unmittelbare Ursache scheinen seine Schuld- und Reuegefühle zu sein, wohingegen sich Alimov eher Percevals Deutung anschließt, dass der Krieg die s­exuelle Energie von Macbeth ausgelöscht habe, er praktisch impotent sei (Interview vom 14. November 2018). Maria Shulgas phänomenale Darstellung der Lady Macbeth zeigt deren Verlust der geistigen Gesundheit,


THE DARKNESS OF THE HEART Luk Perceval’s “Macbeth” – Made in Russia by Maria Shevtsova

Luk Perceval is a figure admired by Russian ­theatregoers, mainly for the productions performed at the Baltic House Festival in Saint Petersburg, an ­annual event founded in 1990 to maintain contact with the countries on the Baltic rim by showcasing their theatres. This was the time shortly before the collapse of the Soviet Union, and the imperative not to become ­isolated from former Soviet-sphere regions or from capitalist Europe was all the more pressing because the city constructed by Peter I was always intended to be a European city. “Othello”, performed with the Münchner Kammerspiele, was the first of Perceval’s productions to be invited to Baltic House (2005), followed by “Uncle Vanya” (Het Toneelhuis, Antwerpen, 2006), “Death of a Salesman” (Schaubühne, Berlin, 2008), “The Cherry Orchard” (2012) and “The Brothers Karamazov” (2013), the latter two originating from Hamburg’s Thalia ­Theatre. “Macbeth”, which premiered in May 2014, was the first commissioned by Baltic House to be ­performed in Russia with this theatre’s actors, and it has remained in repertoire to the present day. The 2017 festival brought Perceval’s six-hour “Trilogy of My Family – Love, Money, Hunger” (2015–2017), which he adapted from Émile Zola’s twenty-volume “Les Rougon-Macquart”, staged for the Thalia Theater in Hamburg in cooperation with the Ruhrtriennale. In this same year, the enterprising director Andrey Moguchy commissioned “Romeo and Juliet” for the Bolshoi Drama Theatre, made internationally famous during the Brezhnev period by Georgy Tovstonogov’s innovative work. Critic Aleksandra Tychinskaya, writing about “Macbeth” in Screen and Stage (18 June 2014), ob-

served approvingly that by that stage ‘nobody expected a traditional reading of a classical text’ from this director. The choice of play came from Perceval, who had directed two versions already and strongly felt that he had to come to grips with “Macbeth” once and for all in his third attempt. According to Leonid Alimov, who performed the title role, Perceval’s aim was “to talk about his father and mother” (in interview with me on 14 November 2018) and thus focus on the intimate dynamics of a couple rather than survey Shakespeare’s broader picture of politics and war. In this respect, Perceval did, indeed, move away from traditional, historically oriented views of a text that highlighted issues of kingship, the right to rule and the usurpation of power, and how power gained through murder dislocates heredity – all major thematic and narrative threads that link Macbeth’s story to the seemingly secondary but actually pivotal character of Banquo. It is, after all, Banquo’s progeny who will become the future kings of Scotland, as predicted by Shakespeare’s three witches. Perceval by no means ignores Banquo’s importance, evoking rather than asserting it by having him appear with his son, more like a ghost than flesh and blood. Alimov noted that Perceval began to write the “Trilogy of My Family” while he was rehearsing “Macbeth” in Saint Petersburg, suggesting that the overlap between the two was bound to have some impact on their subject matter and emphasis. But what struck him the most was the speed with which Perceval prepared the work, essentially taking just four weeks to ready the production for its Russian premiere. This equates to the timescale of rehearsal to stage typical

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HE EXPLORED THEIR EMOTIONAL CAPACITIES, PUSHING THEM TO GO BEYOND THEIR CUSTOMARY RANGE.

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In fact, the production has plenty of scope for generating empathy, starting with Annette Kurz’s ­arresting stage design – metallic pipes almost the length of the vast stage that crisscross in the air, suspended from the ceiling by what look like chains. Long low shafts of light catch the gentle movement of these pipes, making them glisten here and there like steel. Light designer Mark Van Denesse keeps his light shafts oblique at all times, including those that shine from above, to create deep shadows on the stage without drowning out the silhouettes, faces and facial expressions of any of the characters. Thick, billowing smoke rolling out into the auditorium envelops each and every protagonist at the beginning of the per­for­ mance to sustain the sensation of dark, dimly ­painful and foreboding mystery instantly created by the set

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critics saw a void in the production’s pruned-back, ahistorical form in which evil seemed to exist for no reason whatsoever and left the Russian audiences lost, unable to “empathise with the main protagonists” (Bureau 24/7, 2 June 2014). The critics blamed this apparent lack of empathy on the limited scope for emotional connection between actors and audiences, although this was the opposite of what Alimov saw in Perceval’s subtle encouragement of the entire cast and, especially, of himself and Maria Shulga in the role of Lady Macbeth.

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of theatres in western Europe – it is certainly the norm in Great Britain – but is highly unusual in Russia, where roles are developed and mature slowly within the framework of actor-director-co-authorship ­established by Stanislavsky rather than the actor’s ­dependency on a director, which Stanislavsky had ­adamantly criticised. This kind of slower, cumulative approach to the whole preparatory process, including how the actors learn their lines, has served the Russian theatre well for decades but may now be facing problems in the accelerated pace and changing values of the ‘new’ Russian society. Certainly the latest generation of directors is looking to faster, smallerscale production of texts written for the occasion by themselves or their friends, or of collectively devised pieces where directorial craftsmanship is not necessarily a prerequisite. Alimov was certainly attracted by Perceval’s methodical schema in which the director modified the text translated into Russian from German (Marina Koreneva, using the translation by Thomas Brasch), sending pages of it well before arriving in Saint Petersburg for rehearsals and insisting, beforehand, that all the actors learn the dialogue for multiple parts, without knowing which part he would ultimately assign them. Once the actors were cast, they were expected to know their lines perfectly – which was unheard of, Alimov commented, in the Russian theatre, where ­actors take their time and might not know their lines until three months into ­rehearsals. Not only did Alimov find the short rehearsal period refreshing, but he also appreciated the fact that Perceval came with a worked-out production plan and firm ideas as to what he wanted from the actors. He noted again how different this method was from the trial-and-error approach of Russian directors. Having pointed this out, Alimov was quite clear that Perceval’s work with actors was freer and more fluid in ways that Russian actors immediately recognised. He explored their emotional capacities, pushing them to go higher, deeper and beyond their customary range to open and stretch them not only professionally but also personally as human beings. Nothing, it must be said, could be closer to the Stanislavskian school of acting than this. Russian critics have commented without exception on the simplicity and clarity of structure and exposition of Perceval’s productions in general and “Trilogy of My Family” in particular. But they were more equivocal in their assessment of “Macbeth”. They saw it less as an example of clean-cut organization and simple ­artistry, as of confusing oversimplification of the play’s narrative, plot and sequence of events. Furthermore,


and the eerie effect of throbbing, sparse electronic sounds of ­the musical score by Lothar Müller and Pavel Mikleyev. The characters come forward very slowly in twos and threes, as if to introduce themselves to the audience, while the figures of women, whose hair falls from their heads to their toes and hides their naked bodies (their faces are perpetually invisible), slide, glide, writhe and occasionally rise along the pipes and the stage at a snail’s pace in a non-stop choreography of damned souls in hell. Into this choreographer Ted Stoffer, collaborating in perfect harmony with Perceval, blends the three witches who plant the seed of evil in Macbeth; but the “witches”, while configured fleetingly once or twice as a trio, are never singled out for particular attention. All exactly alike and all silent, these ever-present souls of hell are images of the darkness of the human heart and, as such, they embody precisely what Macbeth and Lady Macbeth will become during the performance. The couple’s descent into damnation is the dramatic action of the entire production and everyone and everything else is ancillary to their duet, which can only be termed operatic by its single-minded focus and intensity. Perceval confidently etched out this central construct without, however, erasing Duncan, Banquo, Mcduff, Lady Mcduff and their respective children (although Duncan is childless). The characters mark out diagonal lines of various length to blend into the diagonal composition of pipes and lights integral to both the subject and atmosphere of the production. They make brief appearances and have short dialogues, with just enough substance to situate Duncan’s murder before they are transformed into the living dead, one by one. Physically they return to the stage to remain, silently, part of the drama of others, above all that of Macbeth and Lady Macbeth. Russian critics saw them as Macbeth’s thoughts or emanations of his madness (Kommersant, 5 June 2014 and Teatr, 7 July 2014), but it seems to me that they are more accurately understood as “real” ghosts – as real as the witches in Shakespeare’s cosmos, which is metaphysi­ cal and moral at the same time and with which Perceval’s production manifestly concurs. Everything is communicated by ellipsis, innuendo, movement and atmosphere, which means that empathy with the central protagonists can only be generated indirectly, never head-on, as is common for straightforward narrative procedures. One exception seems crude by comparison, although it has a shocking edge, and that is the suggestion that Duncan has raped Lady Macbeth. The obvious hint comes from the latter’s re-emergence, when she returns from her

welcome meeting with Duncan dazed and with her underpants at her ankles; the meeting is supposed to have occurred in his bedroom. The line of dialogue in Shakespeare preceding the event imagined in Perceval’s production refers to Lady Macbeth’s generous hospitality in seeing to her guest’s every wish. Less crude, probably because the image functions as a mild joke, is the white paper crown Duncan wears when he enters. Banquo’s son fleetingly wears such a crown and so do Macbeth and his wife when they become monarchs. For Perceval, this crown is a symbol of power that is merely illusory. There is nothing as vulgar as stage blood to denote Duncan’s murder, nor is there blood on Macbeth’s or Lady Macbeth’s hands to denote their guilt. What is constantly present is water – buckets full of water that Alimov sticks his head into or pours in sheets over his body to wash away Macbeth’s greatest sin. Alimov’s Macbeth knows that t­ aking a human life is a sacrilege like no other and a crime that cannot be absolved. Even so, when the buckets are empty, he pours bottles of water over his head to cool its hot agony, or he gulps some of it down, spilling water over himself while he does so, to cleanse his black yet suffering soul. Never did it occur to me, as some Russian critics believed, that Macbeth was attempting to drown his sorrows in wine. The omnipresence of water and washing with its religious connotations was so powerful that it cancelled out any other possible explanation. Alimov is an actor with an extraordinarily broad emotional range which he summons effortlessly as he merges one moment of Macbeth’s fluctuating feelings into the next. He shows his character’s profound love for Lady Macbeth in every shade of psychophysical expression, so much so that love appears to have been the element missing from all other productions of this play before Perceval’s. It is striking just how much love underpins the finest nuances of Shulga’s performance in which she embodies the turmoil of Lady Macbeth’s conscience as she brings her sense of irrevocable loss into view. This is the loss of the love that she shared with Macbeth in the wake of their shared murder of Duncan. Embedded in that love is ­ xplicitly sexual scene, her sexual desire, which, in an e Macbeth is unable to satisfy. The immediate cause seems to be his guilt and repentance, while Alimov has quoted Perceval as saying that war had depleted Macbeth’s sexual energy, rendering him virtually impotent (14 November 2018). Shulga’s phenomenal evocation of Lady Macbeth shows her increasing insanity, which also robs her of her capa­city for love. She shows her character’s swift

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PREMIEREN 2019 | 2020 Biedermann und die Brandstifter von Max Frisch 20.9.2019

Der Reichsbürger

von Annalena und Konstantin Küspert 21.9.2019

Sign Here (UA)

theatrales Adventure-Game von machina eX 28.9.2019

Der Stein

von Marius von Mayenburg 26.10.2019

Hinter verzauberten Fenstern von Cornelia Funke 16.11.2019

Peer Gynt

von Henrik Ibsen, 13.12.2019

After Midnight (UA) von Florian Heller 14.12.2019

Kleiner Mann – was nun? von Hans Fallada 28.2.2020

INF²erno (UA)

Live Animation Cinema von sputnic 29.2.2020

Die Marquise von O… von Heinrich von Kleist 24.4.2020

Die Rundköpfe und die Spitzköpfe oder Reich und reich gesellt sich gern von Bertolt Brecht 25.4.2020

Intendant Christian Tombeil

Tickets T 02 01 81 22-200 www.theater-essen.de

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­ egeneration through dream-like as well as catatonic d states of disorientation and detachment. The director, meanwhile, “shadows” Shulga’s performance: he has one of the shadowy figures of hell draw closer and closer to her, as if she were drawing Lady Macbeth into her vortex. The dancing quality of their movements is gentle and discreet, sending waves of some sort of indefinable sadness from the stage into the audience. Alimov closes the production reciting Macbeth’s defiant assertions of his immortality. The actors are dressed in everyday street clothes. Shulga is in a flesh-coloured shift, Alimov in shirt and trousers, others in combinations of trousers and jackets, Lady Mcduff in maternity wear. Dressed as they are, all of them bring this tragedy of senseless human destruction straight into our contemporary life. The loss of what could have been fulfilled and happy lives is palpable. So is it still a tragedy if the production doesn’t fulfill the canonical expectation of identifiable heroes and great deeds? There was much discussion of these niggling questions of genre. But it would be better to point out just how startlingly beautiful it was in its sombre, austere beauty. The way in which this production broached invisible dimensions of human ­existence is a reminder that the human spirit can be made visible – and thus be acknowledged.


ANFANG UND ENDE BLEIBEN DORT DEN MENSCHEN DUNKEL Knietief im Sozialen – der „russische“ Perceval erkundet mit Shakespeare das Territorium der Existenz von Asja Woloshina Im September 2018 inszenierte Luk Perceval, nach seinem „Macbeth“ am Baltiski Dom 2014, zum zweiten Mal in Sankt Petersburg, nun „Romeo und Julia“ auf der Bühne des Bolschoi-Drama-Theaters. Zweimal Shakespeare. Sein „Macbeth“ erforschte die Reife als Höhepunkt der Vitalität, war ein Gipfel der Gier nach Leben, zeigte die Unterordnung des Fleisches und das Diktat des Körpers. Sein Protagonist war indes auch ein Mann, der seine Libido verliert und seiner Frau, die in Leidenschaft schmachtet, um das Gefühl des Versagens zu vermeiden, Thanatos anstelle von Eros zum Geschenk macht. Mit dieser Inszenierung tauchte Perceval in die Tiefe des Lebens ein, während er zugleich eine Subtraktion des Lebens durchführte mit diesem Märchen, „erzählt von einem Idioten, voll Schall und Wut, / ganz ohne Sinn“. Der Regisseur hatte buchstäblich in „Macbeth“ gebadet, dabei die Metaphysik aus dem Stück gewaschen, um sich selbst und die Protagonisten in irdische, feuchte Leidenschaft einzutauchen, die dann zur treibenden Kraft wurde. Seine Inszenierung „Romeo & Julia oder Die barmherzige Erde“ ist dagegen eine Studie über die

letzten Momente vor dem Tod, wenn der Geist dem Körper entflieht. Als Textgrundlage verwendete Perceval den Roman „Der Bibliothekar, der lieber dement war als zu Hause bei seiner Frau“ des belgischen ­Autors Dimitri Verhulst, der in einigen Motiven auf der Tragödie Shakespeares basiert. Hier scheint es kein Schicksal mehr zu geben. Mit Verhulsts Text etabliert Perceval seinen Romeo als einen, der sich aus der Welt in ein Altersheim zurückgezogen hat. Die Aufführung spielt auf einer runden Holzbühne, die sowohl an ein russisches Sommertheater erinnert wie auch an das Skelett eines riesigen, an Land gewor­ fenen Fischs. Auf Bänken sitzen alte Frauen mit er­ loschenen Augen – wie ein stummer und gleich­ gültiger Chor, der nur ein Mal in diesem Altersheim singen wird. Der Bibliothekar Desiree – mit 74 Jahren aus der Welt geflohen und nun ein Gefangener der Lange­ weile − trifft im Pflegeheim unerwartet seine erste Liebe Rosa wieder. Mit diesem Mädchen sprach er nur ein einziges Mal während eines Balls auf dem Balkon, schaffte es aber in diesem Moment nicht, sich in

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der Jacken und das Grau der Gesichter unmissverständlich diesen Raum für das russische Publikum. Das macht ihn nicht nur existenziell, sondern auch soziokulturell symbolisch. Er ordnet das Zeitlose, Außertheoretische, Existenzielle, Metaphysische („wir sind das Vergängliche, und die ganze Welt ist vergänglich“) in einen genau definierten lokalen Kontext ein. In einen konkreten, und kranken. Wird eine Tragödie dadurch größer oder kleiner? Die große russisch-ukrainische Filmregisseurin Kira

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AUF EINE FAST MYSTISCHE WEISE SCHEINT DAS SOZIALE DENNOCH DURCH DAS TRAGISCHE HINDURCH.

Muratova schrieb Mitte der 1970er Jahre das Drehbuch „Junge Frau mit einem Buch in der Hand“. Diese junge Frau mit dem Buch in der Hand rennt sorglos durch Odessa, durch ein fremdes, grobes und raues Leben voller Konventionen, Routinen, Vorurteile und Übergriffen – es wird ein Spiel und ein Kampf um Selbstbehauptung, auch gegen die absolute Liebeshoffnungslosigkeit. (Die junge Frau ist übrigens eine Erzieherin im Kindergarten.) Sie läuft und läuft, und am Ende begeht sie zusammen mit ihrem idealen Liebhaber einen doppelten Selbstmord am Meer. Die Handlung scheint nach Shakespeare-Art zeitlos. Jedoch machen die Natur des Lebens, welches die Protagonistin durchläuft, die Routine und die Hoffnungslosigkeit das Gleichnis sehr konkret. Nicht nur existenziell, sondern auch schmerzlich sozial. Gezwungenermaßen antisowjetisch. In dieser Hinsicht hatte der sensible „Zensor“, der das Drehbuch in den 1970er Jahren nicht durchgehen ließ, recht: So was darf man nicht zulassen. Jener Zensor schrieb in ­seinem Bescheid: „Ihre Protagonisten sind von den wirklichen sozialen Problemen unserer Gesellschaft weit entfernt. Es ist zwar klar, dass die zwischen-

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­ omeo zu verwandeln und ihre Aufmerksamkeit zu R erlangen, wonach er sie nie wiedersah. Sein Leben lang. Jetzt blickt sie, wie der Protagonist beschreibt, in die Leere und saugt an einem Finger − sie ist abwesend, sie ist irgendwo am Rande des Todes, aber er ist voller Liebe zu ihr. Der 54-jährige Dmitry Vorobyov spielt Desiree, ein Star des Bolschoi-Drama-Ensembles. Die Figur der jungen Rosa verkörpert Maria Shulga, Schauspielerin des Baltijskij Dom, die dort bei Perceval die Lady Macbeth spielte. Vorobyov flüstert und schreit Romeos Monologe ins Leere, voller Liebe und voll des Wunsches, ein Charakter von einer anderen Qualität zu sein − nicht wie alle anderen, in deren ­Leben der Alltag die Hauptbeschäftigung ist. Will er seinen fatalen Fehler korrigieren, der ihn auf dieser Bühne in das falsche Genre geführt hat? So entsteht in der Zusammenschau von „Macbeth“ und „Romeo & Julia oder Die barmherzige Erde“ eine interessante Petersburger Dramaturgie: In „Romeo und Julia“ geht es Perceval um einen Kurzschluss von Anfang (Werden) und Ende (Vergehen). In einem quasi aristotelischen Verständnis bildet sein „Macbeth“ in dieser Denk­ bewegung genau die Mitte. Das ist auch in Hinsicht auf die Genre-Transformation in beiden Inszenierungen bemerkenswert. „Bei Shakespeare hat sich mir eine wichtige Einsicht offenbart: Ich erkannte, dass all seine Tragödien auf einem bestimmten Ritual beruhen, das darauf ­hinausläuft, dass wir zusammen mit der ganzen Welt vergänglich sind“, sagt Perceval. Nackte Wesen. Überraschenderweise trifft er, ein europäischer Regisseur, der in seiner Version von „Romeo und Julia“ einen europäischen Text über ein europäisches Pflegeheim verwendet, damit mitten ins Herz Russlands. In den am meisten erkrankten Teil. In einen Krebstumor. „Anfang und Ende bleiben dort den Menschen dunkel“ – die Zeile entstammt dem Gedicht „Fünfter Jahrestag“ des russischen Dichters und Nobelpreis­ trägers Joseph Brodsky. Gemeint ist der Jahrestag seines amerikanischen Exils nach der Ausbürgerung aus der Sowjetunion. In ihr liegt eine der genauesten und skrupellosesten Diagnosen des Landes. Vielleicht ist das in Deutschland nicht leicht zu verstehen. Aber die Geburtsklinik, die Kindergärten, Kinder- und Alters­ heime – „Anfang und Ende“ − waren in der Sowjetunion und bleiben auch im heu­tigen Russland der Inbegriff aller hässlichen, beschämend langweiligen, elenden, eiternden Orte, nichts also für neugierige Blicke − wie eine Abstellkammer voller Mäuse oder ein von Insekten verseuchtes Badezimmer. Obwohl Perceval ein europäisches und zivilisiertes Pflegeheim mit Chorgesang und zeremoniellen Besuchen von Verwandten zeigt, markieren die Grautöne


menschlichen Beziehungen ein Forschungsgegenstand in der Kunst waren, sind und sein werden, aber diese Beziehungen werden erst dann zu einem Gegenstand der Kunst, wenn es dem Künstler gelingt, in der privaten Welt des Menschen soziale Prozesse zu zeigen. Geschieht dies nicht, wird im besten Fall eine medizinische Abhandlung über die Fremdartigkeit des biologischen Verhaltens eines Menschen erstellt.“ Perceval versucht natürlich nicht, „soziale Prozesse zu zeigen“, sondern abstrahiert maximal davon. Aber auf eine fast mystische Weise scheint das Soziale dennoch durch das Tragische hindurch. Wie in der Geschichte einer jungen Frau mit einem Buch in der Hand ist seine Inszenierung eine Geschichte über die ästhetische Unerträglichkeit des Lebens. Über das Leben als antiästhetisches Phänomen. Das Leben eines Staates, das Leben in einem Staat, wozu das alles? Perceval hat auf der Grundlage von Shakespeare und Verhelst eine absolut russische Performance über die russische Realität erschaffen. Weil er das Territorium der Existenz betrat und knietief im Sozialen endete? Oder, weil der Boden hier in Sankt Petersburg sowieso so beschaffen ist, dass das eine sich mit dem anderen schon lange vermischt hat? Der russisch-ukrainische Klassiker Gogol appelliert in seinem Roman „Die toten Seelen“ an den Leser: „Der begeisterte Jüngling von heute würde entsetzt zurückprallen, wenn man ihm sein Altersbild vorhalten wollte. Nehmt darum, wenn ihr aus den sanften Jünglingsjahren in das raue, härtende Mannesalter tretet, alle menschlichen Regungen mit, lasset nichts unterwegs liegen: ihr werdet es später nicht mehr auflesen können!“ Desiree versucht aber, die verlorenen Regungen aufzulesen. Zwei Jahre vor der Premiere schlossen sich im grauen Herbst in einer kleinen russischen Stadt in der Nähe von Sankt Petersburg zwei verliebte Teenager in ein Haus ein und schossen auf graue Zäune. Alles ­online, in der Erwartung zu sterben, und sie starben tatsächlich – an den Schüssen, die sie gegen sich selbst richteten. Die Eltern waren gegen ihre Beziehung. Die Handlung scheint in Shakespeares Werk verewigt – aber woher stammen diese grauen Zäune? In dieser Geschichte gab es etwas absolut Russisches, obwohl es eigentlich überall hätte passieren können, weil diese beiden einfach nirgendwo ihren „Anfang“ hätten leben können. Die Realität schreit, als würde Gogol, hinter jedem Zaun stehend, schreien: „Nicht auflesen!“ Und das Tragische zeigt sich im Sozialen. Romeo hatte eine ganze Nacht zwischen dem ersten und dem zweiten Treffen mit seiner Geliebten, Desiree hatte ein ganzes Leben. Er protestiert, er kämpft, er will den Gang seines Schicksals korrigieren

und entlarven, das Sein verlassen. Ein Spiel mit der Demenz bietet schließlich die Möglichkeit, auf die eigene Persönlichkeit zu verzichten: Shakespeare rezitierend, versucht er, zu einem Helden der Tragödie zu werden, für den es nur Liebe und Tod gibt. Der ­Anfang und das Ende. Und dazwischen kein langes düsteres Leben, sondern eine blitzschnelle Peripetie. Desiree bläst Trübsal, taucht in die Dunkelheit ­seines Bewusstseins ein, trifft an seinem Geburtstag seine Frau und Tochter, tut so, als wäre er bewusstlos. Er wirkt gleichgültig und versucht alles abzustreifen. Die bitterste und aufschlussreichste Szene: Der Chor der alten Frauen verlässt die Bühne, der Protagonist bleibt mit seiner Tochter allein. Sie spricht einen traumatischen Monolog voller psychoanalytischer Vorwürfe gegen falsche Handlungen und Unterlassungen des Vaters in der Vergangenheit, die ihre gegenwär­ tige Existenz unerträglich machen. Er bleibt still und gelassen, wie ein Grabstein. Im Grunde ist er ein Grabstein, und sie kam zu ihm wie zu einem Grab. Wahrscheinlich sind all ihre Vorwürfe gerechtfertigt, und all ihre Wunden sind bemitleidenswert. Jedoch erzeugen diese Vorwürfe nur so viel Mitleid in uns, als hätten wir eine Szene gesehen, in der sich die Hauptfiguren von „Sex and the City“ beim „Raben“ von ­Edgar Allan Poe über das Leben beschweren. Die Tochter sagt: „Zehn Jahre zurückspulen“. Tatsächlich würde er sein ganzes Leben zurückspulen wollen. Man muss am Ende von aller Alltäglichkeit absehen und das Geschehen bis zum glänzenden Skelett der Tragödie durchleuchten. Einerseits scheint Percevals Shakespeare-Inszenierung sowohl die Genremerk­male als auch die Stückproblematik und -thematik zu verkleinern: Die tragischen Protagonisten Shakespeares sind eigentlich ungeeignet für eine solch ­gewöhnliche Existenz mit ihren alltäglichen Intrigen. Aber um die Züge des Tragischen hervorzuheben, steckt der Regisseur das Stück in ein stinkendes ­Krankenhauskleid: Um ein modernes Drama mit vielen Details, um den Säuberungsprozess bis hin zu einem glänzenden ­Skelett zeigen zu können, damit diese Performance zur Meta-Handlung wird. Natürlich ist der Versuch von Romeo/Desiree, seine Natur zu betrügen und sein Wesen in der Realität zu ändern, zum Scheitern verurteilt. Die Schlussszene indes eröffnet eine andere Interpretation: Sie stirbt unter dem Leichentuch, er stirbt, der Leere zugewandt. Das Alter wird zur Möglichkeit eines glücklichen Endes: Der Tod von Romeo und ­Julia ist nicht tragisch. Die Liebenden v­ ereinen sich im Tod, in diesem Paradox des verborgenen Blicks.

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Aus dem Russischen von Anastasia Klimovskaya.


CAUSES AND EFFECTS GET DROWNED IN MURKY WATERS Knee-deep in the social – the “Russian” Perceval explores the territory of existence with Shakespeare

In September 2018, Luk Perceval followed his 2014 “Macbeth” at Saint Petersburg’s Baltic House Theatre with a second production in the city – “Romeo and Juliet” at the Bolshoi Drama Theatre. Another Shakes­ peare. His “Macbeth” was a study of maturity as a peak of vitality and a summit in lust for life, the subordination of the flesh and the dictates of the body. Yet his Macbeth was also a man who lost his libido and gave his wife the gift of Thanatos rather than Eros, and she in turn languished in passion to avoid a sense of failure. This staging plunged into the depths of life – but at the same time Perceval performed a subtraction of life with this “tale told by an idiot, full of sound and fury, signifying nothing.” The director literally bathed in “Macbeth”, while also washing the metaphysics away from the play to immerse himself and the protagonists in the earthly, moist passion that became its driving force. By contrast, his production of “Romeo & Juliet, or The Merciful Earth” is a study of the last moments before death when the mind escapes from the body. It is based on a novel by Belgian author Dimitri Verhulst entitled “The Latecomer”, which draws some of its motifs from Shakespeare’s tragedy. Fate no longer seems present here. Using Verhulst’s text, Perceval presents a Romeo who has withdrawn from the world into a nursing home. The performance takes place on a round wooden stage, which recalls a Russian summer theatre but also the skeleton of a huge fish washed up on shore. Blank-eyed old women sit on benches – like a mute, indifferent choir who will sing just once in this nursing home. Librarian Desiree – fleeing the world at the age of 74 and now a prisoner of boredom – unexpectedly

encounters his first love Rosa in the nursing home. He had only spoken to the girl once on a balcony during a ball, but did not manage to turn into Romeo in this moment and capture her attention, and then he never saw her again. His whole life long. Now he sees her, as the protagonist says, peering into space and sucking her finger – she is absent, she is somewhere on the verge of death, but he is full of love for her. The 54-year-old Dmitry Vorobyov, a star of the Bolshoi drama ensemble, plays Desiree. The character of the young Rosa is played by Maria Shulga, an actress from the Baltic House Theatre who had been Perceval’s Lady Macbeth. Vorobyov whispers and shouts his monologues into the air, full of love and full of the desire to be a character of an entirely different quality – not like all the others who are largely preoccupied by the everyday. Will he correct the fatal flaw that has led him to the wrong genre on this stage? In Saint Petersburg, the integration of “Macbeth” and “Romeo & Juliet, or The Merciful Earth” results in an interesting dramaturgy; because in a quasi-Aristotelian sense his “Macbeth” forms the mid-point of Perceval’s beginning-and-end bypass in “Romeo and Juliet”. Which is also remarkable in terms of the genre transformation in both productions. “With Shakespeare I arrived at an important insight: I realised that all his tragedies are based on a certain ritual, in which it turns out that we and the rest of our world are transitory,” says Perceval. Naked existences. Surprisingly for a European director engaged with a European text about a European nursing home, his version of “Romeo and Juliet” aims right at the heart of Russia. At the most diseased part of it. At a cancerous tumour.

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ASJA WOLOSHINA

by Asja Woloshina


“Causes and effects get drowned in murky waters” – the title phrase comes from the poem “The Fifth Anniversary” by Russian poet and Nobel Prize winner ­Joseph Brodsky, marking five years of American exile after his expulsion from the Soviet Union. And in it we find one of the most accurate and ruthless diagnoses of the country. Perhaps it’s harder to understand in Germany. But in the Soviet Union and in today’s Russia, the maternity clinic, kindergartens, children’s and old age homes – “causes and effects”, or beginnings and ends – were bywords for all that is ugly, shameful, boring, miserable and murky, and not for prying eyes - like a storeroom crawling with mice, a bathroom plagued by insects.

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IN AN ALMOST MYSTICAL WAY THE SOCIAL STILL APPEARS THROUGH THE TRAGIC.

Although Perceval depicts a European, civilised nursing home with a choir and ceremonial visits by relatives, the grey of the jackets and the grey of the faces clearly define this space for Russian audiences. This makes this space not only existentially symbolic but also socioculturally. It classifies the timeless, non-theoretical, existential, metaphysical (“we are the transient, and the whole world is transitory”) into a well-defined ­local context. Precisely, morbidly. Is it a larger of smaller tragedy because of it? In the mid-1970s, the great Russian-Ukrainian film director Kira Muratova wrote the script, “Young Woman with a Book in Her Hand”. The young woman with the book in her hand runs through Odessa, through a strange, coarse, raw life full of conventions, routines, prejudices and attacks – it becomes a game and a battle for self-assertion, and against absolute romantic hopelessness (the young woman is, as it happens, a kindergarten teacher). She runs and runs, and in the

end she and her ideal lover commit suicide by the sea. The plot feels timeless in the Shakespearean manner. Yet the nature of the life through which the protagonist runs, the routine and the hopelessness of this life make the parable highly concrete. And not just existentially but also – in a painful way – socially. Necessarily anti-Soviet. In that sense, the sensitive “censor” who rejected the screenplay in the 1970s was right; this is something one should not allow. In his verdict the censor wrote: “Her protagonists are a very long way from the real social problems of our society. While it is clear that interpersonal relationships have been, are, will be the subject of investigation in art, these relationships are only a subject of art when the artist manages to depict social processes within the private world of the individual. If not, what you have is, at best, a medical treatise on the strangeness of the biological behaviour of a human being.” Naturally Perceval is not trying to “depict social processes”, but instead abstracts from them as much as he can. But in an almost mystical way the social still appears through the tragic. Like the story of the young woman with a book in her hand, his staging is a story about the aesthetic intolerability of life. About life as an anti-aesthetic phenomenon. The life of a state, life within a state, what for? Perceval, building on Shakespeare and Verhulst, has presented an absolutely Russian performance about Russian reality. Because he broached the territory of existence and got knee-deep in the social? Or because the ground here in Saint Petersburg is such that one has long mixed with the other and become indissoluble? In his novel “Dead Souls”, classic RussianUkrainian author Gogol appeals to the reader: “The ardent youth of today would start back in horror if you could show him his portrait in old age. As you pass from the soft years of youth into harsh, hardening manhood, be sure you take with you on the way all the human emotions, do not leave them on the road: you will not pick them up again afterwards!” But Desiree tries to collect them, to bury a seventeen year old. Two years before the premiere, a teenage couple shut themselves away in a house in a small Russian town near Saint Petersburg, in the grey autumn, and shot at grey fences. All this they did online in the ­expectation of dying and they did indeed shoot themselves. Their parents were opposed to their relationship. The narrative seems to be immortalised in Shakespeare’s work, but where did the grey fences come from? There was something absolutely Russian in this story – although it could in fact have happened anywhere – because the pair simply had nowhere to go for their “beginning”. Reality screams; it’s as though

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Uraufführung

Haummas net sche?

Uraufführung

Die Merowinger oder Die totale Familie In der Strafkolonie nach dem Roman von Heimito von Doderer in der Bearbeitung von Franzobel Regie Anna Badora Premiere 11. September 2019

Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss nach dem Roman von Horace McCoy Regie Miloš Lolić Premiere 22. September 2019

Der gute Mensch von Sezuan von Bertolt Brecht Regie Robert Gerloff Premiere 12. Oktober 2019 Deutschsprachige Erstaufführung

Wer hat meinen Vater umgebracht nach dem Buch von Édouard Louis mit Motiven aus Das Ende von Eddy von Édouard Louis Bühnenbearbeitung von Christina Rast und Heike Müller-Merten Regie Christina Rast Premiere 15. November 2019

Peer Gynt

von Franz Kafka Regie Felix Hafner

Premiere im Jänner 2020

Urfaust / FaustIn and out von Johann Wolfgang Goethe/Elfriede Jelinek Regie Bérénice Hebenstreit Premiere im Februar 2020

Raunen – Ein Stadtlabor Ein Projekt des Jungen Volkstheaters von Constance Cauers und Malte Andritter von Oktober 2019 bis Mai 2020 Uraufführung

Körper-Krieg von Armin Petras nach Motiven aus Verlorene Spiele von Ines Geipel und anderen Athlet/innen-Berichten Regie Armin Petras Premiere im März 2020 Uraufführung

Wir Hungerkünstler/innen (AT) Ein Projekt von Florentina Holzinger Premiere im Mai 2020

von Henrik Ibsen Regie Viktor Bodó Premiere 7. Dezember 2019

Österreichische Erstaufführung

Uraufführung

von David Lindsay-Abaire Regie Anna Marboe Premiere 27. September 2019

nach dem gleichnamigen Roman von David Schalko Bühnenbearbeitung von Anita Augustin Regie Alexander Charim Premiere 15. Jänner 2020

Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

Schwere Knochen

Uraufführung

Schuld & Söhne (AT) Regie Christine Eder Musik Eva Jantschitsch Premiere 15. Februar 2020

Die Reißleine

von Éric-Emmanuel Schmitt Regie Jan Gehler Premiere 29. November 2019

Weh dem, der lügt! von Franz Grillparzer Regie Martin Pfaff Premiere 14. Februar 2020

Warten auf Godot

Arthur-Schnitzler-Platz 1, 1070 Wien T +43 (0)1 52111–0, info@volkstheater.at

2019-20_Anz_86,5x240_theaterderzeit.indd 1

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Eine Reise durch die Geschichten des Wiener Gemeindebaus mit Christine Nöstlinger Regie Sara Ostertag Premiere 10. Oktober 2019

ASJA WOLOSHINA

Gogol were shouting at each fence: “Don’t take them with you!” And we see the tragic in the social. Romeo had one whole night between the first and second meeting with his lover, Desiree had an entire lifetime. He protests, he struggles, he wants to correct and expose the course of his destiny and depart existence. Playing with dementia ultimately offers him the opportunity of renouncing his own personality; quoting Shakespeare he seeks to become a hero of the tragedy for which there is only love and death. The beginning and the end. And in between, rather than a long gloomy life, but a lightning-fast peripeteia. Desiree mopes, plunges into the darkness of his mind, sees his wife and daughter on his birthday, pretends to be insensible. He appears indifferent and tries to cast off everything. The most bitter and enlightening scene: the old women leave, the protagonist is left alone with his daughter. She utters a traumatic monologue full of psychoanalytic reproaches against her father’s mistreatments and failures in the past that make her present existence unbearable. He remains quiet and calm, like a tombstone. And essentially he is a tombstone, and she comes to him as to a grave. Most likely all her accusations are justified, all her wounds pitiable. But these allegations only generate as much sympathy in us as a scene in which the lead characters of “Sex and the City” complain about life through Edgar Allan Poe’s “Raven”. The daughter says, “rewind ten years,” and in fact he would like to rewind his whole life. Ultimately one must see past all that is ordinary in the whole affair and peer through to the gleaming skeleton of the tragedy. On the one hand, Perceval’s Shakespearean staging seems to reduce both the genre features and the problems and issues of the play; Shakespeare’s tragic protagonists are actually ill-suited to such an ordinary existence with its everyday intrigues. But to emphasise the traits of the tragic, the director dresses the play into a stinking hospital gown. To present a modern drama with numerous details, to show the cleaning process that leaves ­behind a glowing skeleton, so that the performance becomes a meta-narrative. Naturally Romeo/Desiree’s attempt to cheat ­nature and his own existence is doomed to failure in reality. But there is a new resolutory scene – she dies beneath the shroud, he dies turned toward the void. Age becomes the opportunity for a happy ending. The death of Romeo and Juliet is not tragic. The ­lovers unite in death, in this paradox of the hidden view.

von Samuel Beckett Regie Jonas Knecht Premiere 24. April 2020

29.05.19 10:57


WERKVERZEICHNIS Schauspiel/Oper

1984 De Geschiedenis van Don Quichote door Cide Hamete Benengeli waarin verhald wordt hetgeen men erin zal ervaren (Die Geschichte von Don Quijote nach Cide Hamete Benengeli, in der erzählt werden soll, was man darin erfahren wird / The Story of Don Quixote) von Miguel de Cervantes Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Kristin Arras, Camilia Blereau, Vic de Wachter, Anke Helsen, Luk Perceval. Bühne/Ausstattung: Ensemble. Premiere: 14.6.1984, Blauwe Maandag Cie, King Kong, Antwerpen

LIST OF PRODUCTIONS

Brit Alen, Warre Borgmans, Ludo Busschots, Veerle Eyckermans, Hans ­ Royaards, Johan van Assche, Dirk van Dijck. Bühne: Ensemble. Kostüme: Beate Pohl. Musik: Fred van Hove. Licht: Steve Kemp. Premiere: 21.11.1986, Blauwe Maandag Cie, Beursschouwburg, Brüssel

Karin Seydthe. Licht: Steve Kemp. Ausstattung: Manfred Dittrich. Premiere: 10.11.1989, Blauwe Maandag Cie. Koproduktion mit Het Zuidelijk Toneel, Schouwburg, Eindhoven

1987

Strange Interlude (Seltsames Zwischenspiel) von Eugene O’Neill Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Jakob Beks, Stany Crets, Katelijne Damen, Vic de Wachter, Michel van Dousselaere, Victor Löw, Carina van der Sande. Dramaturgie: Gommer van Rousselt. Bühne: Jan Maillard. Kostüme: Greet Prové. Licht: Steve Kemp. Premiere: 30.3.1990, Grand Theatre Groningen. Blauwe Maandag Cie. Koproduktion mit Noordelijk Theater De Voorziening, Groningen

1985

Oidipoes. Kommentaar (Ödipus.Kommentar / Oedipus.Comment) nach Sophokles Bearbeitung: Guy Joosten und Luk Perceval. Regie: Guy Joosten. Besetzung: Damiaan de Schrijver, Frank Focketyn, Luk Perceval. Ausstattung: Ysbrant van Wyngaarden. Premiere: 7.4.1987, Blauwe Maandag Cie. Koproduktion mit dem Brüsseler Kammertheater B.K.T., Brüssel, De Brakke Grond, Amsterdam

Cucaracha – of ons kleiner lot van ver­ bijstering (Cucaracha – oder unser kleines Schicksal der Verwirrung / Cucaracha – or our little destiny of confusion) Regie: Luk Perceval. Besetzung: Cris ­Deleu, Luk Perceval, Rikkert van Dijck. Ausstattung: K. Mats. Premiere: 18.1.1985, Blauwe Maandag Cie, I.C.C. Meir, Antwerpen

Een Stuk van twee Dagen (Ein Stück in zwei Tagen / A Play in Two Days) nach „Die linkshändige Frau“ von Peter Handke Bearbeitung: Luk Perceval. Regie Guy Joosten. Ausstattung: Johan Herbosch. Premiere: 17.6.1987, Blauwe Maandag Cie. Eine Koproduktion mit Theaterunie, De Brakke Grond, Amsterdam

Merkwaardige Paaren nach Merkwür­ dige Paare (Strange Couples) von Gray Lucas Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval, Guy Joosten. Besetzung: Gilda de Bal, Vic de Wachter, Wim van Gansbeke. Premiere: 11.3.1985, Blauwe Maandag Cie, Raamtheater a/d Drink, Antwerpen

Pinokkio (Die Abenteuer des Pinocchio / The Adventures of Pinocchio) von Carlo Collodi Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Roger Bolders, Warre Borgmans, Els Dottermans, Koen Krucke, Peter Marichael, Mark Maillard, Erik van Herreweghe, Mark Willems u. a. Ausstattung: Jan Maillard. Licht: Jan Gheysens. Premiere: 19.12.1987, Nederlands Toneel Gent

Totale Sprakeloosheid (Totale Sprachlosigkeit / Total Speechlessness) nach Peter Handkes „Wunschloses Unglück“ Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval, Guy Joosten. Besetzung: Gilda de Bal, Vic de Wachter, Wim van Gansbeke. Bühne/Ausstattung: K. Mats. Premiere: 26.4.1985, Blauwe Maandag Cie, Antwerpen Alles Liebe (Everything Love) nach Lope de Vegas „La Dama Boba“ Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval, Guy Joosten. Besetzung: Dimitri Dupont, Dirk van Dyck, Carry Goossens, Danni Heylen, Anita Koninckx, Mark Peeters, Dirk Roofthooft, Bob Snijers. Bühne: K. Mats. Kostüme: Chris Wyn. Premiere: 24.10.1985, Reizend Volkstheater, Arenbergschouwburg, Antwerpen 1986 Othello von William Shakespeare Bearbeitung: Johan van Assche. Regie: Luk Perceval, Guy Joosten. Besetzung:

1988 De Meeuw (Die Möwe / The Seagull) von Anton Tschechow Bearbeitung: Luk Perceval, Gommer van Rousselt. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Brit Alen, Jacob Beks, Jan Decleir, Els Dottermans, Chris Lomme, Peter van den Begin, Rikkert van Dijck, Koen van Impe, Ria Verschaeren, Dries Wieme. Dramaturgie: Gommer van Rousselt. Bühne: Johan Herbosch. Kostüme: Greet Prové. Licht: Steve Kemp. Pre­ miere: 2.11.1988, Blauwe Maandag Cie, Beursschouwburg, Brüssel 1989 Zomergasten (Sommergäste / Summer­ folk) von Maxim Gorki Bearbeitung: Guy Joosten, Luk Perceval und Gommer van Rousselt. Regie: Guy Joosten. Besetzung: Jakob Beks, Vic de Wachter, Victor Löw, Joan Nederlof, Luk Perceval, Hèlen Suyderhoud u. a. Ausstattung: Manfred Dittrich. Kostüme:

1990

der. Besetzung: Jakob Beks, Stany Crets, Gilda de Bal, Vic de Wachter, Els Dottermans, Ilse Uitterlinden, Michel van Dousselaere. Dramaturgie: Gommer van Rousselt. Bühne: Johan Dehollander. Kostüme: Pynoo. Licht: Kees van de Lagemaat. Premiere: 6.2.1992, Blauwe Maandag Cie, Kunstzentrum Vooruit, Gent Repetitie/1 (Probe/1 / Rehearsal/1) nach dem Fernsehfilm „Efter Repitionen“ von Ingmar Bergman Bearbeitung: Luk Perceval, Gommer van Rousselt. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Gilda de Bal, Jan Decleir, Els Dottermans. Dramaturgie: Gommer van Rousselt. Bühne/Ausstattung: Ensemble. Premiere: 28.4.1992, Blauwe Maandag Cie, Rodenbachstraat Borgerhout, Antwerpen 1993

Voader (Der Vater / The Father) von August Strindberg Regie: Luk Perceval. Besetzung: Jakob Beks, Stany Crets, Luk d’Heu, Elke Dom, Els Dottermans, Dimitri Dupont, Ilse Uitterlinden. Bühne: Johan Dehollander. Kostüme: Greet Prové. Dramaturgie: Gommer van Rousselt. Licht: Steve Kemp. Premiere: 9.11.1990, Blauwe Maandag Cie, De Warande, Turnhout 1991 Ivanov von Anton Tschechow Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Julien Croiset, Bart Kiene, Leontien Nelissen, Roelant Radier, Marleen Stolz, Hèlen Suyderhoud, Peter Tuinman, Peter van den Begin, René van Asten, Toon van Daele, Koen van Impe, Guusje van Tilborgh, Kris van Trier. Dramaturgie: Tineke Daniëls Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Uschi Rensenbrink. Musik: Fred van Hove. Licht: Steve Kemp. Premiere: 30.3.1991, Het Nationale Toneel, Koninklijke Schouwburg, Den Haag Wilde Lea (Savage Lea) von Nestor De Tière Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Warre Borgmans, Stany Crets, Katelijne Damen, Vic de Wachter, Els Dottermans, Peter van den Begin, Lucas van den Eynde, Michel van Dousselaere. Dramaturgie: Gommer van Rousselt. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Pynoo. Choreografie: Peter van den Begin. Licht: Steve Kemp. Premiere: 10.10.1991, Blauwe Maandag Cie, Kunstzentrum Vooruit, Gent 1992 Boste von Arne Sierens Regie: Luk Perceval, Johan Dehollan-

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All for Love (Alles aus Liebe) nach John Dryden Bearbeitung: Benno Barnard, Luk Perceval, Hans van Dam. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Gilda de Bal, Jan Decleir, Els Dottermans, Mike Ho-Sam-Sooi, Erik Koningsberger, Victor Löw, Peter van den Begin, Michel van Dousselaere. Dramaturgie: Hans van Dam, Johan ­ ­Dehollander. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Pynoo. Musik: Fred van Hove. Licht: Kees van de Lagemaat. Premiere: 4.3.1993, Blauwe Maandag Cie, Kunstzentrum Vooruit, Gent Joko – Joko fête son anniversaire (Joko feiert seinen Jahrestag / Joko’s Anniversary) von Roland Topor Bearbeitung: Luk Perceval, Hans van Dam, Johan Dehollander. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Jakob Beks, Stany Crets, Gilda de Bal, Els Dottermans, Ilse Uitterlinden, Peter van den Begin, Guy van Sande. Dramaturgie: Hans van Dam. Bühne: Johan Dehollander. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Musik: Fred van Hove. Choreografie: Ria de Corte. Licht: Kees van de Lagemaat. Premiere: 17.11.1993, Blauwe Maandag Cie, Kunst­ zentrum Vooruit, Gent 1994 O’Neill − en geef ons de schaduwen (Und gib uns die Schatten / And Give Us the Shadows) von Lars Norén Regie: Luk Perceval. Besetzung: Stany Crets, Vic de Wachter, Ilse Uitterlinden, Peter van den Begin. Dramaturgie: Hans van Dam. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Licht: Enrico Bagnoli. Premiere: 5.10.1994, Blauwe Maandag Cie, Kunstzentrum Vooruit, Gent


1998 Voor het Pensioen (Vor dem Ruhestand / Eve of Retirement) von Thomas Bernhard Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Jan Bijvoet, Reinhilde Decleir, Dimitri Dupont. Dramaturgie: Luc Joosten, Hans van Dam. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Licht: Francis Gahide. Premiere: 2.4.1998, Blauwe Maandag Cie, Kunstzentrum Vooruit, Gent

2000

1999

Ridders (Ritter / Knights) Text nach Improvisationen Regie: Luk Perceval. Besetzung: Jochen Balbaert, Nele Bauwens, Tiny Bertels, Maarten Bosmans, Inge Paulussen, Jeroen Perceval. Dramaturgie: Kiki ­ Vervloessem. Bühne: Anne Habermann. Kostüme: Danai Anestiadou. Licht: Luk Perceval, Mark van Denesse. Premiere: 17.11.2000, Het Toneelhuis, Bourla, Antwerpen

Schlachten! (Slaughter!) von Tom Lanoye und Luk Perceval nach William Shakespeare Regie: Luk Perceval. Besetzung: Wolf Bachofner, Jytte-Merle Böhrnsen, Marion Breckwoldt, Haluka Chimoto, Anna Duhm, René Dumont, Gundi Ellert, Bernd Grawert, Andreas Grothgar, Max Hopp, Nina Kunzendorf, Oliver Masucci, Wolfgang Pregler, Roland Renner, ­Thomas Thieme, Oda Thormeyer. Dramaturgie: Hans van Dam, Luc Joosten, Wilfried Schulz. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Licht: Enrico Bagnoli. Premieren: 25.7.1999 (Salzburg), 2.10.1999 (Hamburg). Koproduktion des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg und der Salzburger Festspiele

Aars! (Arsch! / Ass!) von Peter Verhelst und Luk Perceval nach der „Orestie“ von Aischylos Regie: Luk Perceval. Besetzung: Diane Belmans, Eavesdropper, Katrien Meganck, Wim Opbrouck, Stefan Perceval. Dramaturgie: Kurt Melens. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ilse Vanden­ ­ bussche. Musik: Eavesdropper. Licht: Enrico Bagnoli, Luk Perceval, Mark van Denesse. Premiere: 11.6.2000, Het Toneel­ huis in Koproduktion mit dem Holland Festival, Antwerpen

2001 Der Kirschgarten (The Cherry Orchard) von Anton Tschechow Regie: Luk Perceval. Besetzung: Wolf Bachofner, Marion Breckwoldt, Moritz Dürr, Simone Henn, Franziska Henschel, Benjamin Höppner, Heinz Kreitzen, Peter René Lüdicke, Oliver Masucci, ­

Tim Porath, Oda Thormeyer. Dramaturgie: Regina Guhl. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ursula Renzenbrink. Licht: Olaf Freese. Premiere: 21.4.2001, Schauspiel Hannover Asem (Täter / Perpetrators) von Thomas Jonigk Bearbeitung: Jan van Dyck und Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Jan Bijvoet, Pepijn Caudron, Katelijne Damen, Luk d’Heu, Veerle Eyckermans, Lorenza Goos, Inge Paulussen. Dramaturgie: Jan van Dyck. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Musik: Johan de Smet. Licht: Luk Perceval, Mark van Denesse. Premiere: 20.9.2001, Het Toneelhuis, Bourla, Antwerpen Traum im Herbst (Dream of Autumn) von Jon Fosse Regie: Luk Perceval. Besetzung: Stephan Bissmeier, Gundi Ellert, Cornelia Heyse, Dagmar Manzel, Werner Rehm. Dramaturgie: Marion Tiedtke. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ursula Renzenbrink. Musik: Laurent Simonetti. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 29.11.2001, Münchner Kammerspiele 2002 L. King of Pain nach „König Lear“ von William Shake­s­ peare Bearbeitung: Peter Perceval, Luk Per-

L IST OF PRODUCTIONS

Ten Oorlog (Zum Krieg / To War) von Tom Lanoye und Luk Perceval nach William Shakespeare Regie: Luk Perceval. Besetzung: Jakob Beks, David Busschots, Evelyn Busschots, Joeri Busschots, Jan Decleir, Reinhilde Decleir, Vic de Wachter, Els Dottermans, Francis Gahide, Johan Heldenbergh, Charlotte Nuyts, Wim Opbrouck, Kyoko Scholiers, Peter Seynaeve, Els Ingeborg Smits, Lucas van den Eynde, Michiel van der Sande, Koen van Kaam, Ariane van Vliet. Dramaturgie: Hans van Dam, Luc Joosten, Wilfried Schulz. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Musik: Fred van Hove. Licht: Enrico Bagnoli. Premiere: 22.11.1997, Blauwe Maandag Cie, Kunstzentrum Vooruit, Gent

Franciska (Franziska) von Frank Wedekind Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Vic de Wachter, Stefan Perceval, Bas Teeken, Katrien Vandendries, Koen van Kaam, Ariane van Vliet, Denise Zimmerman. Dramaturgie: Luc Joosten, Hans van Dam. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Musik: Marc Verhaegen & Beethoven Academie (Jan Caeyers/ Koen Kessels). Licht: Enrico Bagnoli. Premiere: 25.11.1998, Het Toneelhuis, Bourla, Antwerpen. Koproduktion mit der Beethoven Academie

WERKVERZEICHNIS

1997

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ceval und Klaus Reichert. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Wolf Bachofner, Jan Bijvoet, Lorenza Goos, Ruud Gielens, Yvon Jansen, Han Kerckhoffs, Katrien Meganck, Wim Opbrouck, Stefan Perceval, Edgar Schäfer, Thomas Thieme, Jan van Hecke. Dramaturgie: Jan van Dyck. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Musik: Bart Maris. Licht: Enrico Bagnoli. Premiere: 24.4.2002, Stadsschouwburg Brügge. Koproduktion von Het Toneelhuis, Antwerpen, Schauspiel Hannover und Schau­spiel­haus Zürich Andromak (Andromache) nach „Andromache“ von Jean Racine Bearbeitung: Peter und Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Gilda de Bal, Tom Dewispelaere, Peter Seynaeve, Koen van Kaam, Ariane van Vliet. Dramaturgie: Jan van Dyck. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 3.10.2002, Het Toneelhuis, Bourla, Antwerpen Das kalte Kind (The Cold Child) von Marius von Mayenburg Regie: Luk Perceval. Besetzung: Thomas Bading, Robert Beyer, Bruno Cathomas, Stephanie Eidt, Christina Geiße, Cristin König, Ronald Kukulies, Katharina Schüttler. Dramaturgie: Maja Zade. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Musik: Torsten Reibold. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 7.12.2002, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin 2003 Othello von William Shakespeare Bearbeitung: Feridun Zaimoglu, Günter Senkel. Regie: Luk Perceval. Besetzung 29.3.2003: Bernd Grawert, Sheri Hagen, Wolfgang Hinze, Julia Jentsch, Stefan Merki, Wolfgang Pregler, Werner Rehm, Thomas Thieme. Besetzung ab 13.9.2009: Bernd Grawert, Nathalie Hünermund, Julia Jentsch, Matthias Leja, Peter Maertens, Thomas Niehaus, Wolfgang Pregler, Thomas Thieme. Dramaturgie: Marion Tiedtke. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ursula Renzenbrink. Musik: Jens Thomas. Licht: Max Keller. Premiere: 29.3.2003, Münchner Kammerspiele Het kouwe Kind (Das kalte Kind  /  The Cold Child) von Marius von Mayenburg Regie: Luk Perceval. Besetzung: Jan Bijvoet, Lorenza Goos, Abke Haring, Inge Paulussen, Isabelle van Hecke, Jan van Hecke, Koen van Kaam. Dramaturgie: Jan van Dyck. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 11.6.2003, Het Toneelhuis, Bourla, Antwerpen Oom Vanja (Onkel Wanja / Uncle Vanya) von Anton Tschechow Bearbeitung: Jan van Dyck, Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Kristin Arras, Ruth Becquart, Gilda de

Bal, Vic de Wachter, Tom de Wispelaere, Hans van Dam, Jos Van Gorp, Ariane van Vliet. Dramaturgie: Jan van Dyck. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 23.10.2003, Het Toneelhuis, Bourla, Antwerpen Andromache nach Jean Racine Bearbeitung: Peter und Luk Perceval. ­Regie: Luk Perceval. Besetzung: Yvon Jansen, Ronald Kukulies, Jutta Lampe, André Szymanski, Mark Waschke. Dramaturgie: Maja Zade. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 3.12.2003, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin 2004 Macbeth von William Shakespeare Bearbeitung: Gerardjan Rijnders. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Kristien de Proost, Els Dottermans, Wim Opbrouck, Ariane van Vliet, Wim Willaert, Denise Zimmermann u. a. Dramaturgie: Jan van Dyck. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Inge Büsscher. Musik: Piet Jorens. Licht: Enrico Bagnoli. Premiere: 25.3.2004, Het Toneelhuis, Bourla, Antwerpen Tristan und Isolde (Tristan and Isolde) von Richard Wagner Regie: Luk Perceval. Musikalische Leitung: Lothar Zagrosek. Besetzung: Philip Ens, Lisa Gasteen, Heinz Göhrig, Roderic Keating, Michael Nagy, Daniel Ohlmann, Gabriel Sadé, Wolfgang Schöne, Micha­ ela Schuster, Gunilla Stephen-Kallin, Elena Zhidkova. Dramaturgie: Juliane Vo­tt­ eler. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ursula Renzenbrink. Video: Philip Bußmann. Chor: Michael Alber. Licht: Mark van ­Denesse. Premiere: 4.7.2004, Staatsoper Stuttgart Dood van een handelsreiziger (Tod eines Handlungsreisenden / Death of a Sales­man) von Arthur Miller Regie: Luk Perceval. Besetzung: Benny Claessens, Gilda de Bal, Josse de Pauw, Ruud Gielens, Lorenza Goos, Titus ­Muizelaar, Stefan Perceval, Peter Seynaeve, Louis van der Waal. Drama­ turgie: Jan van Dyck, David Cornille. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 10.11.2004, Het Toneelhuis, Bourla, Antwerpen 2005 Die Sache Makropulos (The Makropoulos Affair) von Leoš Janáček Regie: Luk Perceval. Musikalische Leitung: Shao-Chia Lü. Besetzung: Daniel Henriks, Christiane Iven, Hans Kittelmann, Michael König, Tomas Möwes/ Klaus-Michael Reeh, Christoph Rosen-

baum/Thomas Ruud, Carola Renz, Edgar Schäfer, Helga Schmidt/Gertraud Wagner, Michaela Schneider, Frank Schneiders, Chor der Staatsoper Hannover/Staatsorchester Hannover. Dramaturgie: Dominica Volkert. Dramaturgie, Trailer und Video-Edit: Imanuel Schipper. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ursula Renzenbrink. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 13.2.2005, Staats­oper Hannover Turista von Marius von Mayenburg Regie: Luk Perceval. Besetzung: Steve Arnouts, Thomas Bading, R ­ obert ­Beyer, Jan Bijvoet, Bruno C ­ athomas, Benny Claessens, Judith Engel, Christina Geiße, Ruud Gielens, Abke Haring, Femke Heijens, Yvon Jansen, Steffi Küh­nert, Ursina Lardi, Matthias Matschke, David Ruland, André Szymanski, Hans van Dam, Jos ­ van Gorp, Isabella van Hecke, Jan van Hecke, Eric van Herreweghe, Mark Waschke u.  a. Dramaturgie: Maja Zade, Jan van Dyck. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. ­ Video/ Projektionen: Philip Bußmann. Musik: Laurent Simonetti. Licht: Mark van Denesse. Premieren: 17.5.2005 (Wien), 26.5.2007 (Berlin), 10.6.2005 Antwerpen). Koproduktion von Schau­bühne am Lehniner Platz in Berlin, Het Toneelhuis in Antwerpen und Wiener Fest­wochen Lulu live nach Frank Wedekind Bearbeitung: Feridun Zaimoglu, Günter Senkel. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Stephan Bissmeier, Peter Brombacher, Bernd Grawert, Julia Jentsch, Christof Luser, Oliver Mallison, Annette Paulmann, Hildegard Schmahl, Henriette Schmidt. Dramaturgie: Marion Tiedtke. Bühne: K ­ atrin Brack. Kostüme: Ursula Renzenbrink. Video: Philip Bußmann und Fausto Molina/Tourette TV. Musik: Laurent S ­ imonetti, Lothar Müller. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 22.10.2005, Münchner Kammerspiele 2006 Maria Stuart von Friedrich Schiller Regie: Luk Perceval. Besetzung: Thomas Bading, Jule Böwe, Jean Chaize, Patrice Luc Doumeyrou, Bernd Grawert, Ezard Haußmann, Femke Heijens, Yvon Jansen, Erhard Marggraf, Werner Rehm, Falk Rockstroh, David Ruland, Alexander von Hugo. Dramaturgie: Maja Zade. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ursula Renzenbrink. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 11.2.2006, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin Platonow (Platonov) von Anton Tschechow Bearbeitung: Maja Zade, Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Thomas Bading, Lea Draeger, Christina Geiße, Bernd Grawert, Horst Hiemer, ­ Yvon Jansen, Erhard Marggraf, Karin

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Neuhäuser, Michael Rastl, David Ruland, Felix Römer, Kay Bartholomäus Schulze, André Szymanski, Thomas Thieme, Ulrich Voß. Dramaturgie: Maja Zade. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ursula Renzenbrink. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 26.5.2006, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin Tod eines Handlungsreisenden (Death of a Salesman) von Arthur Miller Regie: Luk Perceval. Besetzung: Bruno Cathomas, Christina Geiße, Ulrich Hoppe, Michael Rastl, Carola Regnier, Marcus Schinkel, Christian Schmidt, André Szymanski, Thomas Thieme. Drama­ turgie: Maja Zade. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 28.9.2006, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin 2007 Marienvesper / Il combattimento di Tancredi e Clorinda (Vespers for the Blessed Virgin / Il combattimento di Tancredi e Clorinda) von Claudio Monteverdi Regie: Luk Perceval. Musikalische Leitung: René Jacobs. Besetzung: Antonio Abete, Marie-Claude Chappuis, Johannes Chum, Stéphane Degout, Sergio Foresti, David Hansen, Nathalie Hünermund, Sunhae Im, Maria-Cristina Kiehr, Sylvia Schwartz, Michael Slatter; Concerto Vocale, Vocalconsort Berlin, Aka­ demie für Alte Musik Berlin. Dramaturgie: Francis Hüsers. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ursula Renzenbrink. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 19.1.2007, Staatsoper Unter den Linden, Berlin Moliére. Eine Passion (Moliére. A Passion) Textfassung: Feridun Zaimoglu, Günter Senkel, Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Thomas Bading, Christina Geiße, Horst Hiemer, Ulrich Hoppe, Karin Neuhäuser, Felix Römer, Kay Bartholomäus Schulze, Stefan Stern, Thomas Thieme, Patrycia Ziol­kowska. Dramaturgie: Maja Zade. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Musik: Laurent Simo­netti. Licht: Mark van Denesse. Premieren: 30.7.2007 (Salzburg), 31.8.2007 (Berlin). Koproduktion der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin mit den Salzburger Festspielen 2008 Penthesilea von Heinrich von Kleist Regie: Luk Perceval. Besetzung: Christina Geiße, Manuel Harder, Ulrich Hoppe, Heiko Raulin, Michael Rastl, Carola Regnier, Katharina Schüttler, Rafael ­Stachowiak, Bettina Stucky. Dramaturgie: Maja Zade. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ursula Renzenbrink. Musik: Jean-Paul Bourelly. Licht: Jörg Hentschel. Premiere: 21.2.2008, Schau­ bühne am Lehniner Platz, Berlin


2009 Nach der Probe (After the Rehearsal) von Ingmar Bergman Regie: Luk Perceval. Besetzung: Wolf-Dietrich Sprenger, Oda Thormeyer, Picco von Groote/Nadja Schönfeldt. Dramaturgie: Beate Heine. Bühne: Annette Kurz, Lena Müller. Kostüme: Ursula Renzenbrink. Licht: Mark van Denesse. Premieren: 25.1.2009 (Hannover), 9.9.2009 (Hamburg), 29.9.2009 (Dresden). Koproduktion des Thalia Theaters in Hamburg mit dem Schauspiel Hannover und dem Staatsschauspiel Dresden Kleiner Mann – was nun? (Little Man, What Now?) von Hans Fallada Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Peter Brom­ bacher, Gundi Ellert, Paul Herwig, An­ dré Jung, Tina Keserovic, Hans Kremer, Stefan Merki, Annette Paulmann, Wolfgang Pregler. Dramaturgie: Matthias Günther. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Video: Martin Noweck, Philipp Trauer, Luk Perceval. Musik: Mathis B. Nitschke. Licht: Max Keller. Premiere: 25.4.2009, Münchner Kammerspiele 2BORNOT2B Performance Konzept: Luk Perceval und Annette Kurz. Besetzung: Colin Hausberg. Premiere: 3.9.2009, Thalia Theater, Hamburg The truth about the Kennedys von Luk Perceval Regie: Luk Perceval. Besetzung: Bibiana Beglau, Sandra Flubacher, Christina Geiße, Bernd Grawert, Hans Kremer, Na-

2010 Kinder der Sonne (Children of the Sun) von Maxim Gorki Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Marina Galic, Christina Geiße, Lisa Hagmeister, Jens Harzer, Hans Kremer, Josef Ostendorf, Nadja Schönfeldt, André Szymanski, Oda Thormeyer, Marina Wandruszka, Tilo Werner, Sebastian Zimmler, Partrycia Ziolkowska. Dramaturgie: Beate Heine. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ursula Renzenbrink. Licht: Paulus Vogt. Premiere: 24.3.2010, Thalia Theater, Hamburg Große Freiheit Nr. 7 (Great Freedom No. 7) nach dem Film von Helmut Käutner Regie: Luk Perceval. Besetzung: Julian Greis, Franziska Hartmann, Matthias Leja, Peter Maertens, Thomas Niehaus, Gabriela Maria Schmeide, Cathérine Seifert, Rafael Stachowiak. Dramaturgie: Sandra Küpper. Bühne: Luk Perceval nach Entwürfen von Aurel Lenfert. Mitarbeit Bühne: Lani Tran-Duc, Attila Plangger. Kostüme: Jasna Bosnjak. ­usik: Hasja Kabaş, Albin Krasche; M Musiker: Jan Baruschke, Sven Kagel­ mann, Hans-Georg Spiegel. Premiere: 23.4.2010, Thalia Theater, Hamburg Hamlet von William Shakespeare Bearbeitung: Feridun Zaimoglu, Günter Senkel. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Mirco Kreibich, Peter Maertens, Barbara Nüsse, Josef Ostendorf, Jörg Pohl, Gabriela Maria Schmeide, Birte Schnöink, André Szymanski, Sebastian Zimmler. Dramaturgie: Susanne Meister. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Musik: Jens Thomas. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 18.9.2010, Thalia Theater, Hamburg 2011 Draußen vor der Tür (The Man Outside) von Wolfgang Borchert Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Felix Knopp, Peter Maertens, Barbara Nüsse sowie Nora Fiedler, Nikolas Gerlach, Josefine Großkinsky, Mila-Zoe Meier, Joana Orth, Paul Kai Schröder, Daniel Tietjen, Swatina Wutha. Musiker: Martin Dog Kessler, Dirk Ritz, Marco Schmedtje. Dramaturgie: Tarun Kade. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Anja Sohre. Musik: My Darkest Star.

Musikregie. Paul Lemp/Stefan Wulff. Licht: Paulus Vogt. Premiere: 2.4.2011, Thalia Theater, Hamburg Macbeth von William Shakespeare Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Bruno Cathomas, Julius Feldmeier/Sven Schelker, Rabea Lübbe, Peter Maertens, Thomas Niehaus, Maja Schöne, Alexander Simon. Dramaturgie: Susanne Meister. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Musik: Lothar Müller. Choreografie: Ted Stoffer. Licht: Mark van Denesse. Premieren: 2.9.2011 (Gladbeck), 22.10.2011 (Hamburg). Koproduktion des Thalia Theaters in Hamburg mit der Ruhrtriennale A Failed Entertainment nach „Unendlicher Spaß” von David Foster Wallace Regie: Luk Perceval. Besetzung: Odine Johne, Natascha Kuch, Michaela Maxi Schulz u. a. (Studierende der Akademie für Darstellende Kunst Baden Württemberg). Premiere 10.7.2011, Ludwigsburg In Ongenade – Disgrace (Schande) von J. M. Coetzee Textfassung: Josse Depauw. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Felix Burleson, Charlie-Chan Dagelet, Janni Goslinga, Sergio Hasselbaink, Hugo Koolschijn, Djamila Landbrug, Chris Nietvelt, Celia Nufaar, Vanja Rukavina, Gijs Scholten van Aschat. Dramaturgie: Peter van Kraaij. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 4.12.2011, Toneelgroep Amsterdam, Stadsschouwburg, Amsterdam 2012 Die Welt im Ich – Das Ich in der Welt (The World in Me – Me in the World) nach „Dein Name“ von Navid Kermani Textfassung: Navid Kermani, Carl Hegemann. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Alicia Aumüller, Katja Danowski, Marlen Diekhoff, Sandra Flubacher, Bernd Grawert, Lisa Hagmeister, Ute Hannig, Stefan Haschke, Carl Hegemann, Hannes Hellmann, Navid Kermani, Felix Knopp, Hanns Jörg Krumpholz, Matthias Leja, Marie Löcker, Barbara Nüsse, Josef Ostendorf, Sebastian Rudolph, Erik Schäffler, Günter Schaupp, Cathérine Seifert, Oana Solomon, Wolf-Dietrich Sprenger, Rafael Stachowiak, André Szymanski, Oda Thormeyer, Victoria Trauttmansdorff, Marina Wandruszka, Maria Magdalena Wardzinska, Samuel Weiss, Tilo Werner. Dramaturgie: Carl Hegemann. Bühne/Ausstattung: Annette Kurz. Premiere: 18.1.2012, Lessingtage 2012, Thalia Theater, Hamburg. Kooperation mit den Deichtorhallen und dem Deutschen Schauspielhaus, Hamburg

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Der Kirschgarten (The Cherry Orchard) von Anton Tschechow Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Matthias Leja, Barbara Nüsse, Sebastian Rudolph, Cathé­ rine Seifert, Alexander Simon, Oana Solomon, Wolf-Dietrich Sprenger, Rafael Stachowiak, Oda Thormeyer, Tilo Werner. Dramaturgie: Carl Hegemann. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Anja Sohre. Musik: Lutz Krajenski, Lothar Müller. Choreografie: Ted Stoffer. Licht: Paulus Vogt. Premiere: 3.3.2012, Thalia Theater, Hamburg Jeder stirbt für sich allein (Alone in Berlin) von Hans Fallada Bearbeitung: Luk Perceval, Christina Bellingen. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Benjamin-Lew Klon, Mirco Kreibich, Daniel Lommatzsch, Thomas Niehaus, Barbara Nüsse, Gabriela Maria Schmeide, Maja Schöne, Cathérine Seifert, Alexander Simon, André Szymanski, Oda Thormeyer. Dramaturgie: Christina Bellingen. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Musik: Lothar Müller. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 13.10.2012, Thalia Theater, Hamburg 2013 Platonow (Platonov) von Anton Tschechow Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Elsie de Brauw, Briek Lesage, Katrin Lohmann, Bert Luppes, Peter Seynaeve, Alejandra Theus, Zoë Thielemans, Steven van Watermeulen, Hugo van den Berghe, Lien Wildemeersch. Dramaturgie: Koen Haagdorens. Bühne: Philip Bußmann. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Musik: Jens Thomas. Choreografie: Ted Stoffer. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 26.1.2013, NTGent, Gent Die Brüder Karamasow (The Brothers Karamazov) von Fjodor M. Dostojewski Bearbeitung: Susanne Meister, Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Alicia Aumüller, Marina Galic, Bernd ­Grawert, Jens Harzer, Burghart Klaußner, Benjamin-Lew Klon, Peter Maertens, Alexander Simon, Rafael Stacho­ wiak, Patrycia Ziolkowska. Dramaturgie: Susanne Meister. Bühne und Klang­ installation: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Musik: Ferdinand Försch, Lothar Müller. Licht: Paulus Vogt. Premiere: 30.4.2013, Thalia Theater, Hamburg Der nackte Wahnsinn (Noises Off) von Michael Frayn Bearbeitung: Luk Perceval, Susanne Meister. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Alicia Aumüller, Felix Knopp, Matthias Leja, Barbara Nüsse, Cathérine Seifert, Wolf-Dietrich Sprenger, Oda Thormeyer, Victoria Trauttmansdorff, Tilo Werner.

L IST OF PRODUCTIONS

Anatol von Arthur Schnitzler Bearbeitung: Carl Hegemann, Maja Zade, Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Thomas Bading, Jule Böwe, Bruno Cathomas, Timo Kreuser, André Szymanski. Dramaturgie: Maja Zade. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Musik: Timo Kreuser. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 1.11.2008, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin

dja Schönfeldt, Rafael Stachowiak, André Szymanski, Oda Thormeyer. Dramaturgie: Malte Ubenauf, Marion Tiedtke. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Video: Philip Bußmann. Musik: Lothar Müller. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 4.9.2009, Thalia Theater, Hamburg. Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst und der Goethe-Universität in Frankfurt/Main

WERKVERZEICHNIS

Troilus und Cressida (Troilus and Cressida) von William Shakespeare Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Peter Brombacher, Bernd Grawert, Joel Harmsen, Julia Jentsch, Hans Kremer, Christoph Luser, Oliver Mallison, Stefan Merki, Barbara Nüsse, Annette Paulmann, Wolfgang Pregler. Dramaturgie: Matthias Günther. Bühne: Luk Perceval. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Musik: Laurent Simonetti. Licht: Max Keller, Luk Perceval. Premieren: 12.5.2008 (Wien), 30.5.2008 (München). Koproduktion der Münchner Kammerspiele mit den Wiener Festwochen


Musiker: Paul Kaiser, Lutz Krajenski, Lothar Müller. Dramaturgie: Susanne Meister. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Musik: Lothar Müller. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 5.10.2013, Thalia Theater, Hamburg Schande (Disgrace) von J. M. Coetzee Bearbeitung: Josse de Pauw. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Aaron Amoatey, Marc Benjamin/Jeff Wilbusch, Stephan Bissmeier, Felix Burleson, Barbara Dussler, Brigitte Hobmeier, Lorna Ishema, Angelika Krautzberger, Annette Paulmann, Wolfgang Pregler. Dramaturgie: Jeroen Versteele. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ilse Vandenbussche, Pascale Martin. Musikalische Beratung: Mathis B. Nitschke. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 20.12.2013, Münchner Kammerspiele 2014 Front – Im Westen nichts Neues. Poly­ phonie (Front − All Quiet on the Western Front. Polyphony) nach Erich Maria Remarque, Henri Barbusse und Zeitdokumenten Text und Bearbeitung: Luk Perceval, Christina Bellingen, Steven Heene. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Patrick Bartsch, Bernd Grawert, Burghart Klauß­ ner, Benjamin-Lew Klon, Peter Sey­ naeve, Steffen Siegmund, Oana Solo­ mon, Oscar van Rompay, Steven van Watermeulen, Katelijne Verbeke, Gilles Welinski. Dramaturgie: Christina Bellingen, Steven Heene. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Video: Philip Bußmann. Musik: Ferdinand Försch. Licht: Mark van Denesse. Premieren: 22.3.2014 (Hamburg), 24.9.2014 (Gent). Koproduktion des Thalia Theaters in Hamburg mit dem NTGent, Gent Macbeth von William Shakespeare Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Leonid Alimov, Anna Budanova, Evgenia Chetvertkova, Anatolij Dubanov, Juri Elagin, Dmitrij Girev, Yulia Gorbatenko, Elena Karpova, Natalia Kolesnichenko, Alexander ­Muravitski, Yulia Rudina, Maria Shulga, Natalia Zhestovskaya. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Irina Rjabow. Musik: ­Lothar Müller, Pavel Mikheev. Choreografie: Ted Stoffer. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 30.5.2014, Baltiski ­ Dom, Sankt Petersburg Exiles von James Joyce Bearbeitung: Jeroen Versteele. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Stephan Bissmeier, Dine Doneff, Marie Jung, Sylvana Krappatsch, Kristof van Boven. Dramaturgie: Jeroen Versteele. Bühne/Kostüme: Katrin Brack. Musik: Dine Doneff. Licht: Mark van Denesse, Premiere: 19.12.2014, Münchner Kammerspiele

2015 Die Blechtrommel (The Tin Drum) von Günter Grass Bearbeitung: Luk Perceval, Christina Bellingen. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Thomas Niehaus, Barbara Nüsse, Gabriela Maria Schmeide, Cathérine Seifert, Alexander Simon, André Szymanski, Tilo Werner. Dramaturgie: Christina Bellingen. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. ­Video: Philip Bußmann. Musik: Lothar Müller, Martin von Allmen. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 28.3.2015, Thalia Theater, Hamburg Liebe. Trilogie meiner Familie 1 (Love. Trilogy of My Family 1) nach Émile Zola Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Patrick Bartsch, Stephan Bissmeier, Pascal Houdus, Marie Jung, Barbara Nüsse, Sebastian ­ Rudolph, Gabriela Maria Schmeide, Maja Schöne, Rafael Stachowiak, Oda Thormeyer, Tilo Werner, Patrycia Ziolkowska. Dramaturgie: Susanne Meister, Jeroen Versteele. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Musik: Lothar Müller. Licht: Mark van Denesse. Premieren: 9.9.2015 (Landschaftspark Duisburg-Nord, Gießhalle), 26.9.2015 (Hamburg). Koproduktion der Ruhrtriennale mit dem Thalia Theater, Hamburg 2016 Früchte des Zorns (Grapes of Wrath) von Frank Galati nach John Steinbeck Regie: Luk Perceval. Besetzung: Marina Galic, Bert Luppes, Nick Monu, Maria Shulga, Rafael Stachowiak, Kristof Van Boven. Dramaturgie: Steven Heene, Julia Lochte. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Annelies Vanlaere. Video: Philip Bußmann. Musikalische Leitung: Catharina Boutari. Licht: Jan Haas. Premieren: 23.1.2016 (Hamburg), 1.3.2016 (Gent). Koproduktion des Thalia Theaters in Hamburg mit dem NTGent, Gent Het jaar van de kreeft (Das Jahr des Krebses / The Year of the Cancer) von Hugo Claus Bearbeitung: Peter van Kraaij. Regie: Luk Perceval, Tatiana Pratley. Besetzung: Maria Kraakman, Gijs Scholten van Aschat. Dramaturgie: Peter van Kraaij. Choreografie: Ted Stoffer. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Annelies Vanlaere. Licht: Mark Van Denesse. Musik: Jeroen van Veen. Premiere: ­ 26.3.2016, Toneelgroep Amsterdam Geld. Trilogie meiner Familie 2 (Money. Trilogy of My Family 2) nach Émile Zola Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Patrick Bartsch, Stephan Bissmeier, Ferdinand Försch, Pascal Houdus, Marie Jung, Barbara Nüsse, Sebastian Rudolph, Gabriela Maria Schmeide, Maja Schöne, Rafael

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Stachowiak, Oda Thormeyer, Tilo Werner, Patrycia Ziolkowska. Dramaturgie: Susanne Meister, Jeroen Versteele. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse ­ Vandenbussche. Licht: Mark van Denesse.­Musik: Ferdinand Försch. Premieren: 7.9.2016 (Duisburg), 1.10.2016 (Hamburg). Koproduktion der Ruhrtriennale mit dem Thalia Theater, Hamburg Sneeuw (Schnee / Snow) von Orhan Pamuk Bearbeitung: Steven Heene. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Pierre Bokma, Els Dottermans, Frank Focketyn, Melih Gençboyaci, Dilan Yurkadul, Celil Toksöz. Dramaturgie: Steven Heene. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 25.11.2016, NTGent 2017 Wer einmal aus dem Blechnapf frisst (Once a Jailbird) von Hans Fallada Bearbeitung: Christina Bellingen und Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Stephan Bissmeier, Christina Geiße, Bernd Grawert, Oliver Mallison, Kristof van Boven, Tilo Werner. Gesang: Hendrik Lücke. Dramaturgie: Christina Bellingen. Bühne: Annette Kurz. Kos­ tüme: Annelies Vanlaere. Premiere: 24.2.2017, Thalia Theater, Hamburg Infinite Now von Chaya Czernowin Regie: Luk Perceval. Musikalische Leitung: Titus Engel. Besetzung: Didier De Neck, Noa Frenkel, Benjamin-Lew Klon, Vincenzo Neri, Kai Rüütel, David Salsbery Fry, Oana Solomon, Rainer Süßmilch, Karen Vourc’h, Gilles Welinski, Terry Wey. Dramaturgie: Luc Joosten. Bühne & Video: Philip Bußmann. Kos­ tüme: Ilse Vandenbussche. Licht: Mark van Denesse. Choreografie: Ted Stoffer. Premiere: 18.4.2017 (Gent), 30.4.2017 (Antwerpen), 26.5.2017 (Mannheim), 14.6.2017 (Paris). Kooperation der Opera Vlaanderen in Gent/Antwerpen, des Nationaltheaters Mannheim und des IRCAM, Paris Hunger. Trilogie meiner Familie 3 (Hunger. Trilogy of My Family 3) nach Émile Zola Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Patrick Bartsch, Stephan Bissmeier, Pascal Houdus, Marie Jung, Barbara Nüsse, Sebastian Rudolph, Gabriela Maria Schmeide, Maja Schöne, Rafael Stachowiak, Oda Thormeyer, Tilo Werner, Patrycia Ziolkowska. Dramaturgie: Susanne Meister. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Musik: Ferdinand Försch, Sebastian Gille, Lothar Müller. Choreografische Mitarbeit: Ted Stoffer. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 7.9.2017 (Duisburg), 23.9.2017 (Hamburg). Koproduktion von Ruhrtriennale und Thalia Theater, Hamburg

2018 Rosa oder Die barmherzige Erde (Rosa, or The Merciful Earth) nach „Der Bibliothekar, der lieber dement war als zu Hause bei seiner Frau“ von Dimitri Verhulst und „Romeo und Julia“ von William Shakespeare Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Sabine Haupt, Daniel Jesch, Gertraud Jesserer, Marta Kizyma, Tobias Moretti, Sylvie Rohrer, Maria Shulga, Stefan Wieland und der Vergissmeinnicht-Chor. Dramaturgie: Eva-Maria Voigtländer. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Licht: Mark van Denesse. Musik: Mathis Nitschke. Premiere: 10.3.2018, Akademietheater, Wien Romeo & Julia oder Die barmherzige Erde (Romeo & Juliet, or The Merciful Earth) Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Polina Dudkina, Rustam Nasyrov, Varvara Pavlova, Maria Shulga, Irate Veralite, Dmitry Vorobiev u. a. Bühne: Katrin Brack. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Licht: Peter Schult­ heiss. Musik: Mathis Nitschke. Premiere: 30.9.2018, Bolschoi Drama Theater, Sankt Petersburg Mut und Gnade (Grace and Grit) von Ken Wilber Bearbeitung: Marion Tiedtke und Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Katharina Bach, Claude De Demo, Sebastian Kuschmann, Rainer Süßmilch, Luana Velis, Andreas Vögler, Uwe Zerwer, Patrycia Ziolkowska. Dramaturgie: Marion Tiedtke. Bühne: Philip Bußmann. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Choreografie: Ted Stoffer. Premiere: 1.12.2018, Schauspiel Frankfurt 2019 Black / The Sorrows of Belgium I: Congo von Luk Perceval nach Texten von Fiston Mwanza Mujila, William Sheppard, Aminata Demba, Steven Heene u. a. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Aminata Demba, Tom de Wispelaere, Andie Dushime, Frank Focketyn, Yolanda Mpelé, Nganji Mutiri, Peter Seynaeve, Chris Thys. Dramaturgie: Steven Heene. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Licht: Mark van Denesse. Premiere: 16.3.2019, NTGent Trilogien (Trilogie / Trilogy) von Jon Fosse Bearbeitung: Luk Perceval. Regie: Luk Perceval. Besetzung: Jon Bleiklie Devik, Madalena Sousa Helly-Hansen, Unn Vibeke Hol, Gjertrud Jynge, Christian Ruud Kallum, Lasse Kolsrud, Marianne Krogh, Julie Moe Sandø. Dramaturgie: Matilde Holdhus. Bühne: Annette Kurz. Kostüme: Ilse Vandenbussche. Licht: Mark van Denesse. Choreografie: Ted Stoffer. Musik: Rainer Süssmilch. Premiere: 6.9.2019, Det Norske Teatret, Oslo


Der Kirschgarten (The Cherry Orchard) Probendokumentation der gleichnamigen Inszenierung Regie, Kamera und Schnitt: Luk Perceval. Mit: Wolf Bachofner, Marion Breckwoldt, Moritz Dürr, Simone Henn, Franziska Henschel, Benjamin Höppner, Heinz Kreitzen, Peter René Lüdicke, Oliver Masucci, Tim Porath, Oda Thormeyer Asem (Täter / Perpetrators) Regie, Kamera und Schnitt: Luk Perceval. Mit: Jan Bijvoet, Pepijn Caudron, Katelijne Damen, Luk d’Heu, Veerle Eyckermans, Lorenza Goos, Inge Paulussen

Platonow Regie, Kamera und Schnitt: Luk Perceval, Nikolai Eberth. Mit: Thomas Bading, Lea Draeger, Christina Geiße, Bernd Grawert, Horst Hiemer, Yvon Jansen, Erhard Marggraf, Karin Neuhäuser, Michael Rastl, Felix Römer, David ­ Ruland, Kay Bartholomäus Schulze, ­ ­André Szymanski, Thomas Thieme, Ulrich Voß Platonow Probendokumentation der Inszenierung an der Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin Regie, Kamera und Schnitt: Luk Perceval, Nikolai Eberth 2008/2009

Traum im Herbst (Dream of Autumn) Regie, Kamera und Schnitt: Luk Perceval. Mit: Stephan Bissmeier, Gundi Ellert, Cornelia Heyse, Dagmar Manzel, Werner Rehm 2002 Andromak (Andromache) Regie, Kamera und Schnitt: Luk Perceval. Mit: Gilda de Bal, Tom Dewispelaere, Peter Seynaeve, Koen van Kaam, Ariane van Vliet

Düsseldorf, mon amour TV-Dokumentarserie in 10 Episoden Buch: Thomas Jonigk, Luk Perceval. Regie und Kamera: Luk Perceval. Zusätz­ liche Kamera: Nikolai Eberth. Schnitt: Jana Godintschuk. Mit: Larissa Breidbach, Jean-Luc Bubert, Michele Cuciuffo, ­Markus Danzeisen, Nadine Geyersbach, Esther Hausmann, Winfried Küppers, Kath­leen Morgeneyer, Ilja Niederkirchner, Wolfram Rupperti, Janina Sachau

2003

Am kürzeren Ende der Sonnenallee Komödie von Thomas Brussig in einer Bühnenfassung von Peter Dehler 21. September 2019 | Große Bühne

Pfefferminztee auf dem Dach

UA

Schneeweißchen und Rosenrot

UA

Jugendstück fürs Klassenzimmer von Berenika Szymanski | ab 12 Jahren 26. September 2019 | in einem Klassenzimmer in der Region Kinderstück von Ann-Kathrin Hanss nach den Gebrüdern Grimm | ab 5 Jahren 14. November 2019 | Große Bühne Vielen Dank für die Förderung der Produktion

Schlafende Hunde

Schauspiel von Thomas Baum 30. November 2019 | Foyerbühne

2009 Das kalte Kind (The Cold Child) Regie, Kamera und Schnitt: Luk Perceval. Mit: Thomas Bading, Robert Beyer, Bruno Cathomas, Stephanie Eidt, Christina Geiße, Cristin König, Ronald Kukulies, Katharina Schüttler

Spielzeit 2019 | 2020 Premieren

Die verborgene Stadt (The Hidden City) Dokumentarfilm Buch und Regie: Luk Perceval. Kamera: Nikolai Eberth, Luk Perceval. Schnitt: Natalie Kurz. Ton: Linda Björk. Erzähler, Texte: Felix Römer. Musik: Robert Merdzo. Dramaturgie, Texte: Margit Nieder­huber. Produzent: Johannes Rosenberger

Oom Vanja (Onkel Wanja / Uncle Vanya) Regie, Kamera und Schnitt: Luk Perceval, Camille Reynders. Mit: Kristin Arras, Ruth Becquart, Gilda de Bal, Vic de Wachter, Tom de Wispelaere, Hans van Dam, Jos Van Gorp, Ariane van Vliet

Nolife

Jugendstück von Marzena Ryłko | ab 14 Jahren 20. Februar 2020 | Foyerbühne

UA

Biedermann und die Brandstifter

Ein Lehrstück ohne Lehre von Max Frisch 14. März 2020 | Große Bühne

Ziemlich beste Freunde

Komödie nach dem Film von Éric Toledano und Olivier Nakache in einer Bühnenfassung von René Heinerdorff 25. April 2020 | Foyerbühne

Ginpuin. Auf der Suche nach dem großen Glück

2004

Kinderstück von Barbara van den Speulhof und Winnie Karnofa | ab 4 Jahren 14. Mai 2020 | Große Bühne

Dood van een handelsreiziger (Tod eines Handlungsreisenden / Death of a Salesman) Regie, Kamera und Schnitt: Luk Perceval, Camille Reynders. Mit: Benny Claes­ sens, Gilda de Bal, Josse de Pauw, Ruud Gielens, Lorenza Goos, Titus Muizelaar, Stefan Perceval, Peter Seynaeve, Louis van der Waal

Extrawurst

Komödie von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob 20. Juni 2020 | Foyerbühne Änderungen vorbehalten

THEATER EISLEBEN | Landwehr 5 06295 Lutherstadt Eisleben www.theater-eisleben.de

2005 Lulu live Regie, Kamera und Schnitt: Luk Perceval, Philip Bußmann und Fausto Molina/ Tourette TV. Mit: Stephan Bissmeier, Peter Brombacher, Bernd Grawert, Julia Jentsch, Christof Luser, Oliver ­ Mallison, Annette Paulmann, Hildegard Schmahl, Henriette Schmidt

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L IST OF PRODUCTIONS

2001

2006

WERVERZEICHNIS

Film


AUTORINNEN UND AUTOREN

AUTHORS

KATRIN BRACK, geboren in Hamburg, ist eine der

er Dramaturg von „Black / The Sorrows of Belgium I: Congo“, dem

bedeutendsten Bühnenbildnerinnen im deutschsprachigen Raum.

ersten Teil einer Belgien-Trilogie in der Regie von Luk Perceval.

Für ihre Bühnenentwürfe erhielt sie zahlreiche Preise, darunter den

Steven Heene, born 1969 in Ghent, graduated in 1992 from

Theaterpreis Der Faust (2006), den Nestroy-Preis (2007 und 2017)

Sint-Lucas, where he studied interior architecture. In 1993 he became

sowie den Goldenen Löwen auf der Theaterbiennale in Venedig (2017).

a journalist and theatre critic for the newspapers De Gentenaar/Het

Dreimal war sie Bühnenbildnerin des Jahres. Mit Luk Perceval ver-

Nieuwsblad and De Standaard. Between 1997 and 2000 he was a

bindet sie seit den neunziger Jahren eine kontinuierliche Zusammen-

theatre and art critic for De Morgen. From 2001 to 2004 he was a

arbeit, unter anderem bei „Schlachten!“ (Deutsches Schauspielhaus

programmer at the arts centre Vooruit in Ghent. From 2004 to 2009

Hamburg/Salzburger Festspiele 1999), „Traum im Herbst“ (Münch-

he was a programmer for the festival Theater aan Zee (TAZ) in Ostend,

ner Kammerspiele 2001), „Moliére. Eine Passion“ (Schaubühne am

a platform for young theatre makers. Since February 2009 he has been

Lehni­ner Platz/Salzburger Festspiele 2007), „Schande“ (Münchner

working for NTGent as a dramaturge and, between 2010 and 2015,

Kammerspiele 2013), „Schnee“ (NTGent 2016) sowie „Rosa oder Die

Artistic Coordinator. As a dramaturge he collaborated on such pro-

barmherzige Erde“ (Burgtheater, Wien 2018). Ab Beginn der Nuller-

ductions as “Front” (2014), “The Grapes of Wrath” and “Snow” (2016).

jahre entstanden weitere prägende Bühnen für Inszenierungen von

Since November 2016 Heene has been head of the theatre’s artistic

Dimiter Gotscheff. Seit 2009 ist Katrin Brack Professorin für Büh-

office. In spring 2017 he joined forces with Milo Rau and Stefan Bläske

nenbild und -kostüm an der Akademie der Bildenden Künste Mün-

to apply for the artistic leadership of NTGent. In season 2018/19, he

chen.

was the dramaturge for “Black”, the first part of the trilogy “The Sorrows

Katrin Brack, born in Hamburg, is one of the most

important stage designers in German-language theatre. She has received numerous prizes for her stage designs, including the German Theatre Prize Der Faust (2006), the Nestroy Prize (2007 and 2017) as

of Belgium” directed by Luk Perceval.

BURGHART KLAUSSNER, geboren in Berlin,

well as the Golden Lion at the Theatre Biennale in Venice (2017). She

begann 1969 an der Freien Universität Berlin ein Studium der Ger-

has been named as stage designer of the year three times. Her asso-

manistik und der Theaterwissenschaft und ergänzte dieses 1970

ciation with Luk Perceval dates back to the 1990s, a continual collabo-

durch eine Schauspielausbildung an der Max-Reinhardt-Schule

ration that includes such productions as “Schlachten!” (Deutsches

Berlin. Er debütierte bei Tabori und ging 1971 an die Schaubühne

Schauspielhaus Hamburg/Salzburg Festival 1999), “Dream of Autumn”

am Halleschen Ufer. Danach führten ihn Engagements ans Schiller-

(Münchner Kammerspiele 2001), “Molière. A Passion” (Schaubühne am

Theater Berlin, nach Frankfurt, Stuttgart und Köln sowie ans Deut-

Lehniner Platz/Salzburg Festival 2007), “Disgrace” (Münchner Kam-

sche Schauspielhaus in Hamburg. Später dann ans Schauspielhaus

merspiele 2013), “Snow” (NTGent 2016) as well as “Rosa, or The Merci-

Zürich und an das Burgtheater in Wien. Am Thalia Theater in Ham-

ful Earth” (Burg­theater, Vienna 2018). Around the beginning of the

burg arbeitete er mit Luk Perceval zusammen in „Die Brüder Kara-

millennium came further important sets for productions by Dimiter

masow“ (2013) und „Front – Im Westen nichts Neues. Polyphonie“

Gotscheff. Since 2009 Katrin Brack has been Professor for Set Design

(2014). Seit 2005 ist er auch als Theaterregisseur tätig. Einem brei-

and Costumes at the Akademie der Bildenden Künste, Munich.

ten Publikum wurde er mit seinen Rollen in Kinofilmen wie „Good

STEVEN HEENE, geboren 1969 in Gent, studierte

bye, Lenin!“ (2003), „Die fetten Jahre sind vorbei“ (2004), „Das weiße Band“ (2009), „Der Staat gegen Fritz Bauer“ (2015) sowie

Innenarchitektur an der Genter Kunsthochschule Sint-Lucas. Ab

als Brecht in dem gleichnamigen Film von Heinrich Breloer (2019)

1993 arbeitete er als Journalist und Theaterkritiker für die Zeitun-

bekannt. Er wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, unter

gen De Gentenaar/Het Nieuwsblad und De Standaard, von 1997 bis

anderem mit dem Deutschen Filmpreis, dem Deutschen Hörbuch-

2000 als Theater- und Kunstkritiker für De Morgen. Als Kurator war

preis sowie dem Deutschen Theaterpreis Der Faust. Burghart

er von 2001 bis 2004 am Kunstzentrum Vooruit in Gent tätig, von

Klaußner ist Mitglied der Freien Akademie der Künste in Hamburg

2004 bis 2009 für das Festival Theater aan Zee (TAZ) in Ostend,

und der Deutschen Filmakademie. 2018 erschien sein Roman

einer Plattform für junge Theatermacher. Seit Februar 2009 arbeitet

„Vor dem Anfang“.

er für das NTGent. Von 2010 bis 2015 war er dort als künstlerischer

studying German and theatre studies at the Freie Universität Berlin in

Koordinator und Dramaturg tätig, unter anderem bei Luk Percevals

1969, followed by acting training at the Max-Reinhardt-Schule Berlin

Inszenierungen „Front – Im Westen nichts Neues. Polyphonie“

in 1970. He debuted with Tabori and in 1971 joined the Schau­bühne

Burghart Klaußner, born in Berlin, began

(2014), „Früchte des Zorns“ (2016) und „Schnee“ (2016). Seit

am Halleschen Ufer. He followed this with engagements at the Schill-

­November 2016 ist Heene Leiter des künstlerischen Büros. Ge­

er-Theater Berlin, in Frankfurt, Stuttgart and Cologne as well as the

meinsam mit Milo Rau und Stefan Bläske bewarb er sich 2017 für

Deutsche Schauspielhaus in Hamburg. He later appeared at the

die künstlerische Leitung des NTGent. In der Saison 2018/19 war

Schauspielhaus Zurich and the Burgtheater in Vienna. At the Thalia

182


Theater in Hamburg he worked with Luk Perceval on “The Brother

dem Brüsseler Kunstenfestivaldesarts. Seine Arbeiten tourten bis-

Karamazov” (2013) and “Front – All Quiet on the Western Front. Poly­

lang durch über dreißig Länder weltweit. Er wurde mehrfach aus-

phony” (2014). Since 2005 he has also worked as a theatre director. He

gezeichnet, unter anderem mit dem renommierten ITI-Preis des

reached large audiences with roles in such films as “Goodbye, Lenin!”

Welttheatertages 2016, dem Peter-Weiss-Preis 2017, dem 3sat-Preis

(2003), “The Edukators” (2004), “The White Ribbon” (2009), “The People

2017 und der Saarbrücker Poetik-Dozentur für Dramatik 2017. 2018

vs. Fritz Bauer” (2015) as well as his portrayal of Brecht in the film of the

erhielt er den Europäischen Theaterpreis, 2019 wurde er zum ers-

same name by Heinrich Breloer (2019). He has received a number of

ten Ehrendoktor des Theaterdepartments der Lunds Universitet

awards, including the German Film Prize, the German Audio Book Prize

(Schweden) ernannt. Seit der Spielzeit 2018/19 leitet Milo Rau das

and the German Theatre Prize Der Faust. Burghart Klaußner is a member

NTGent.

of the Freie Akademie der Künste in Hamburg and the Deutsche Film­

German and Romance studies in Paris, Berlin and Zurich under such

akademie. His novel “Vor dem Anfang” was published in 2018.

teachers as Pierre Bourdieu and Tzvetan Todorov. Since 2002 he has published over fifty plays, films, books and actions. His productions

studierte zunächst Bildende Kunst und Kunstgeschichte in Paris,

Berliner Theatertreffen, the Festival d’Avignon, the Venice Biennale,

dann Bühnen- und Kostümbild an der École Supérieure d´Art Dra-

Vienna Festival and the Brussels Kunstenfestivaldesarts. His works have

matique du Théâtre National de Strasbourg. Dem Studium folgten

been seen in over thirty countries throughout the world. He has re-

Assistenzen am Deutschen Schauspielhaus Hamburg bei Anna Vie-

ceived numerous awards including the World Theatre Day’s ITI Award

brock. Von 2009 bis 2019 war sie Ausstattungsleiterin am Thalia

in 2016, the Peter Weiss Prize in 2017, the 3sat Prize 2017 and the

Theater in Hamburg. Seitdem ist sie als freischaffende Bühnenbild-

Saarbrück Poetics Lectureship for drama, 2017. In 2018 he received

nerin/Szenografin tätig. Ihre szenischen Objekte und Bühnenbilder

the European Theatre Prize, and in 2019 he received the first honorary

wurden vielfach ausgezeichnet. So wurde sie 2013 zur Bühnenbild-

doctorate from the Theatre department of the Lund University (Swe-

nerin des Jahres gewählt für ihre Bühneninstallation bei „Jeder stirbt

den). Milo Rau has been head of NTGent since the 2018/2019 season.

für sich allein“ von Hans Fallada (Regie Luk Perceval), für die sie 2015 ebenfalls den deutschen Theaterpreis Der Faust erhielt. Im selben

MARIA SHEVTSOVA ist Mitherausgeberin von

Jahr wurde ihr Bühnenbild für die Oper „La Traviata“ (Regie Johannes

New Theatre Quarterly und Teil des Redaktionsteams von Critical

Erath) mit dem Rolf-Mares-Preis ihrer Heimatstadt Hamburg ausge-

Stages – The Journal of the International Association of Theatre

zeichnet. Mit Luk Perceval verbindet sie seit beinahe zwanzig Jahren

Critics. Sie ist Professorin für Drama und Theatre Arts am Gold­

eine kongeniale Arbeitsbeziehung. Im März 2019 hatte am NTGent

smiths College der Universität London. In ihrer Forschung beschäf-

ihre Produktion „Black / The Sorrows of Belgium I: Congo“ Premiere.

tigt sie sich mit zeitgenössischen Theaterregisseuren und Kompa-

Annette Kurz was born in Hamburg. After initially studying

nien in sozialen und kulturellen Kontexten. Sie ist Autorin

visual arts and art history in Paris, she studied stage and ­costume design

zahlreicher Bücher, darunter „Dodin and the Maly Drama Theatre:

at the École supérieure d’art dramatique du Théâtre National de Stras-

Process to Performance“ (2004), „Robert Wilson“ (zweite Auflage

bourg. These studies were followed by assistant ­directing engagements

2018), „Directors/Directing: Conversations on Theatre“ (2009)

at the Deutsches Schauspielhaus Hamburg with Anna Viebrock. Between

sowie, als Mitherausgeberin, „The Cambridge Introduction to Thea-

2009 and 2019 she was head of stage design at Thalia Theater in

tre Directing“ (2013). Ihre neueste Publikation, „Rediscovering

­Hamburg. Since then she has worked as an independent stage designer.

Stanislavsky“ ist für 2019 geplant.

Her staged objects and stage designs have attracted numerous awards.

of New Theatre Quarterly and part of the editorial team of Critical

In 2013 she was named stage designer of the year for her stage installa-

Stages – The Journal of the International Association of Theatre

tion in Hans Fallada’s “Every Man Dies Alone” (directed by Luk Perceval),

­Critics. She is Professor of Drama and Theatre Arts at Goldsmiths,

for which she received the German Theatre Prize Der Faust in 2015. In

Uni­versity of London and focuses on the work of contemporary

the same year she received the Rolf Mares Prize issued by her home city

­theatre directors and their companies in social and cultural contexts.

of Hamburg for the stage design for the opera “La Traviata” (directed by

She is the author of many books, including “Dodin and the Maly Drama

Johannes Erath). Her close association with Luk Perceval extends back

Theatre: Process to Performance” (2004), “Robert Wilson” (second

almost twenty years. Her production of “Black / The Sorrows of Belgium I:

edition 2018), “Directors/Directing: Conversations on Theatre” (2009),

Congo” premiered at NTGent in March 2019.

“The Cambridge Introduction to Theatre Directing” (co-autho­red,

MILO RAU, geboren 1977 in Bern, studierte Soziologie,

Maria Shevtsova is co-editor

2013). Her “Rediscovering Stanislavsky” is forthcoming 2019.

Germanistik und Romanistik in Paris, Berlin und Zürich, unter ande-

MARION TIEDTKE, geboren in Köln, ist Professorin

ren bei Pierre Bourdieu und Tzvetan Todorov. Seit 2002 veröffent-

für Schauspiel und seit 2017 Chefdramaturgin und Stellvertretende

lichte er über fünfzig Theaterstücke, Filme, Bücher und Aktionen.

Intendantin am Schauspiel Frankfurt. Nach ihrem abgeschlossenen

Seine Produktionen waren bei allen großen internationalen Festivals

Studium der Philosophie, Germanistik und Geschichte in Freiburg

zu sehen, darunter beim Berliner Theatertreffen, beim Festival

und Berlin begann 1989 ihre Theaterlaufbahn als Dramaturgie­

d‘Avignon, bei der Biennale Venedig, den Wiener Festwochen und

assistentin an der Schaubühne in Berlin. Danach folgten Festengage-

183

A UTHORS

have been invited to all the major international festivals, including the

AUTORINNENEN UND AUTOREN

ANNETTE KURZ wurde in Hamburg geboren. Sie

Milo Rau, born in Bern in 1977, studied sociology,


ments als Dramaturgin am Berliner Schiller-Theater, am Bremer

am Lehniner Platz in Berlin. Er arbeitete unter anderen mit Einar

Theater, am Bayerischen Staatsschauspiel in München, am Burg-

Schleef, Robert Wilson, Frank Castorf und Falk Richter zusammen.

theater in Wien und an den Münchner Kammerspielen. Von 2007

Unter Luk Percevals Regie spielte er unter anderem in „Schlach-

bis 2017 war sie Ausbildungsdirektorin für Schauspiel an der Hoch-

ten!“ (Deutsches Schauspielhaus Hamburg/Salzburger Festspiele

schule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main, in den

1999), „L. King of Pain“ (Stadsschouwburg Brügge/Het Toneelhuis

Jahren 2011 bis 2014 leitete sie dort den gesamten Fachbereich

Antwerpen/Schauspiel Hannover/Schauspielhaus Zürich 2002),

Darstellende Kunst. Mit Luk Perceval hat sie an den Münchner

„Othello“ (Münchner Kammerspiele 2003) „Tod eines Handlungs-

Kammerspielen „Traum im Herbst“ (2001), „Othello“ (2003), „Lulu

reisenden“ (Schaubühne am Lehniner Platz 2006), „Moliére. Eine

live“ (2005) erarbeitet, am Thalia Theater „The truth about the

Passion“ (Schaubühne am Lehniner Platz/Salzburger Festspiele

Kennedys“ (2009) und am Schauspiel Frankfurt „Mut und Gnade“

2007). Thieme wirkte in zahlreichen Filmen und Serien mit, so zum

(2018).

Beispiel im Oscar-prämierten Film von Florian Henckel von Don-

Marion Tiedtke, born in Cologne, is Professor of

Acting and since 2017 Head Dramaturge and Deputy Artistic Director

nersmarck „Das Leben der Anderen“. Für seine Arbeit wurde er

at Schauspiel Frankfurt. After completing studies in philosophy, Ger-

mehrfach ausgezeichnet, unter anderem als Schauspieler des

man and history in Freiburg and Berlin, she began her career in 1989

Jahres 2000, 2013 mit dem Hessischen Fernsehpreis als Bester

as an assistant dramaturge at the Schaubühne in Berlin. This was

Schauspieler und 2014 mit der Goldenen Kamera als Bester Schau-

followed by permanent dramaturgical engagements at the Schiller-

spieler. Seit 2002 ist Thomas Thieme auch als Regisseur tätig.

Theater, Berlin, at Theater Bremen, at the Bayerisches Staatsschau­

Thomas Thieme, born in Weimar in 1948, attended the state

spiel in Munic, at the Burgtheater in Vienna and the Münchner Kam-

acting school in East Berlin before taking up theatre engagements in

merspiele. Between 2007 and 2017 she was Head of Acting Training

Magdeburg, Zittau and Halle. In 1984 he left East Germany and per-

at the Frankfurt University of Music and Performing Arts, and between

formed in such institutions as Schauspiel Frankfurt, the Burgtheater

2011 and 2014 she led the university’s Performing Arts department.

in Vienna and the Schaubühne in Berlin. He has worked with such

She has worked with Luk Perceval on “Dream of Autumn” (2001),

directors as Einar Schleef, Robert Wilson, Frank Castorf and Falk

“Othello” (2003), “Lulu live” (2005) at the Münchner Kammerspiele,

Richter. Under Luk Perceval’s direction he has performed in such

“The truth about the Kennedys” at the Thalia Theater (2009) as well as

productions as “Schlachten!” (Deutsches Schauspielhaus Hamburg/

“Grace and Grit” at Schauspiel Frankfurt.

Salzburg Festival 1999), “L. King of Pain” (Stadsschouwburg Bruges/

JOHAN THIELEMANS, geboren 1939 in Evere

Het Toneelhuis Antwerp/Schauspiel Hanover/Schauspielhaus Zurich 2002), “Othello” (Münchner Kammerspiele 2003) “Death of a Sales-

(Belgien), ist Theater- und Opernkritiker. Er arbeitete als Drama-

man” (Schaubühne, Berlin 2006), “Molière. A Passion” (Schaubühne/

turg an der Niederländischen Oper in Amsterdam und schrieb zwei

Salzburg Festival 2007). Thieme has appeared in numerous films and

Opernlibretti. Er war Mitbegründer der Theaterzeitschrift Etcetera,

TV series, including Florian Henckel von Donnersmarck’s Oscar-

Moderator der Kultursendung „Eiland“ im flämischen Fernsehen

winning film “The Lives of Others”. He has received numerous awards

und veröffentlichte Bücher über die Kulturlandschaft Chicagos,

for his work, including actor of the year in 2000, the Hesse Fern­

den Opernregisseur Gerard Mortier und den Dramatiker Hugo

sehpreis for best actor in 2013 und the Golden Camera for best actor

Claus. Derzeit ist Johan Thielemans als freier Mitarbeiter beim

in 2014. Since 2002 Thomas Thieme has also worked as a theatre

Flämischen Rundfunk (BRT-3) tätig, wo er für amerikanische Lite-

director.

ratur zuständig ist, und lehrt Theatergeschichte im Rahmen der Schauspielausbildung am Konservatorium in Antwerpen.

JENS THOMAS, geboren 1970 in Braunschweig, ist

Johan Thielemans, born in Evere (Belgium) in 1939, is a theatre and

Pianist, Komponist und Stimm­performer. Jazz-­Klavierstudium an

opera critic. He worked as a dramaturge at the Netherlands Opera in

der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, seit 1996 interna-

Amsterdam and has written two opera libretti. He was a co-founder

tionale Konzerttätigkeit, zahlreiche CD-Veröffentlichungen (ACT,

of the theatre journal Etcetera, presenter of the culture programme

Roofmusic), Festivalauftritte (u.  a. Montreux, Paris, Berlin) und

“Eiland” on Flemish television, and has published books on the cul-

Auszeichnungen (u. a. Europ‘Jazz Contest Belgium, SWR Jazzpreis,

tural landscape of Chicago, the opera director Gerard Mortier and the

Internationaler Jazzpreis der Nürnberger Nachrichten). 1999 bis

writer Hugo Claus. Johan Thielemans currently works in a freelance

2004 Lehraufträge an den Musikhochschulen Berlin und Hanno-

capacity for Flemish radio (BRT-3), where he is responsible for Ameri-

ver. Artist in Residence von 2005 bis 2007 am Schauspielhaus

can literature, and teaches theatre history as part of the Antwerp

Bochum. 2003 bis 2015 Theaterproduktionen mit Luk Perceval:

Conservatorium’s acting training.

„Othello“ an den Münchner Kammerspielen 2003, „Hamlet“ am

THOMAS THIEME, geboren 1948 in Weimar, besuchte die staatliche Schauspielschule in Ost-Berlin und war da-

Thalia Theater in Hamburg 2010 und „Platonow“ am NTGent 2013. Seit 2013 intensive Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Matthias Brandt. Stimmtraining/Kreative Beratung mit der „Musikalischen

nach an den Theatern in Magdeburg, Zittau und Halle engagiert.

Apotheke“ seit 2009.

1984 reiste er aus und spielte unter anderem am Schauspiel Frank-

in 1970, is pianist, composer and voice actor. Jazz piano studies

furt/Main, am Burgtheater in Wien sowie an der Schaubühne

at the Hochschule für Musik und Theater Hamburg, international

184

Jens Thomas, born in Braunschweig


concert appearances since 1996, numerous CD releases (ACT, Roof-

wichtige künstlerische Weggefährten waren Dimiter Gotscheff und

music), festival appearances (including Montreux, Paris, Berlin) and

Nicolas Stemann. Für ihre Kriemhild in „Die Nibelungen“ (Schau-

awards (including Europ’Jazz Contest Belgium, SWR Jazz Prize, Inter-

spiel Köln 2008) wird Ziolkowska als Beste Hauptdarstellerin NRWs

national Jazz Prize of the Nürnberger Nachrichten). Teaching com-

geehrt. 2012 wurde ihr für ihre heraus­ragende darstellerische

missions at music colleges in Berlin and Hanover between 1999 and

Leistung in „Faust I+II“ der Rolf-Mares-Preis der Stadt Hamburg

2004. Artist-in-residence between 2005 and 2007 at the Schauspiel-

verliehen. 2001 wurde Patrycia Ziolkowska von Fatih Akin fürs Kino

haus Bochum. Theatre productions with Luk Perceval between 2003

entdeckt, dreht mit ihm den Film „Solino“ sowie den mehrfach

and 2015: “Othello” at the Münchner Kammerspiele 2003, “Hamlet”

ausgezeichneten Film „Auf der anderen ­Seite“, der 2007 als Wett-

at Thalia Theater in Hamburg 2010 and “Platonov” at NTGent 2013.

bewerbsbeitrag in Cannes Premiere feierte.

Intensive collaboration with the actor Matthias Brandt since 2013.

­Ziolkowska, born near Warsaw in 1979, trained i­nitially at the West-

Voice training/creative consultation with the “Musikalische Apotheke”

fälische Schauspielschule in Bochum. This was followed by engage-

since 2009.

ments in Hanover, Bonn, Cologne, at the Deutsches Schauspielhaus Hamburg, the Volksbühne and Schaubühne am Lehniner Platz in

was a member of the ensemble at Thalia Theater in Hamburg before

darstellenden Kunst in Sankt Petersburg. Seitdem ist sie als Drama-

switching to Schauspiel Frankfurt in 2017. Her collaborations with Luk

tikerin tätig. Ihre Theaterstücke wurden ins Französische, Englische,

Perceval include “Molière. A Passion” (Schaubühne/Salzburg Festival

Polnische und Spanische übersetzt und in zahlreichen russischen

2007), “Children of the Sun” (Thalia Theater 2010), “The Brothers

Städten sowie in Polen, Frankreich und Estland inszeniert. 2018

Karamazov” (Thalia Theater 2013), “Love. Money. Hunger. Trilogy of

eröffnete das Moskauer Künstlertheater MChAT die Spielzeit mit

My Family” (Ruhrtriennale /T   halia Theater 2015–2017), “Grace and Grit”

ihrem Stück „The Man of Fish“ in der Regie des renommierten

(Schauspiel Frankfurt 2018). Other key artistic associates include

russischen Regisseurs Jurij Butusov. Ihr Stück „An Optimistic

Dimiter Gotscheff und Nicolas Stemann. Ziolkowska was named as

­Tragedy. A Farewell Ball“ in der Regie von Viktor Ryzhakov am

best lead actress in the state of NRW for her portrayal of Kriemhild in

Alexandrinskij Theater in Sankt Petersburg wurde 2019 mit der

“Die Nibelungen” (Schauspiel Köln 2008). In 2012 she received the

Goldenen Maske als beste Inszenierung der Spielzeit ausgezeichnet.

city of Hamburg’s Rolf Mares Prize for her outstanding artistic perfor-

2018 erschien der Sammelband „Der Chor stirbt: Vier Theater­

mance in “Faust I+II”. In 2001 Patrycia Ziolkowska was discovered by

stücke über Russland“ mit Werken von Asja Woloshina.

film director Fatih Akin who cast her in “Solino” as well as the multiple

Asya Voloshina, born in Rostov-on-Don in 1985, studied dramaturgy

award-winning “The Edge of Heaven” which premiered in Cannes as

at the Russian Academy of Fine Arts in Saint Petersburg before starting

a competition entry in 2007.

on her stage writing career. Her plays have been translated into French, English, Polish and Spanish and staged in numerous Russian cities as well as in Poland, France and Estonia. In 2018 the Moscow Art Theatre launched their season with her play “The Man of Fish” staged by the renowned Russian director Yury Butusov. Her play “An Optimistic Tragedy. A Farewell Ball” directed by Viktor Ryzhakov at Alexandrinsky Theatre in Saint Petersburg was awarded the Golden Mask for best production of the season in 2019. The anthology “The Choir is Dying: Four Plays about Russia”, which includes works by Asya Voloshina, appeared in 2018.

PATRYCIA ZIOLKOWSKA, geboren 1979 in der Nähe von Warschau, erhielt ihre Ausbildung an der Westfälischen Schauspielschule Bochum. Engagements in Hannover, Bonn, Köln, am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, der Volksbühne und der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin sowie bei den Salzburger Festspielen folgten. Von 2009 bis 2016 war sie Ensemblemitglied am Thalia Theater in Hamburg, 2017 wechselte sie ans Schauspiel Frankfurt. Unter Luk Percevals Regie spielte sie in „Moliére. Eine Passion“ (Schaubühne am Lehniner Platz / Salz­ burger Festspiele 2007), „Kinder der Sonne“ (Thalia Theater 2010), „Die Brüder Karamasow“ (Thalia Theater 2013), „Liebe. Geld. Hunger. Trilogie meiner Familie“ (Ruhrtriennale / Thalia Theater 2015 bis 2017), „Mut und Gnade“ (Schauspiel Frankfurt 2018). Weitere

185

A UTHORS

Berlin as well as the Salzburg Festival. Between 2009 and 2016 she

Don, studierte Dramaturgie am Russischen Staatlichen Institut der

AUTORINNENEN UND AUTOREN

ASJA WOLOSHINA, geboren 1985 in Rostow am

Patrycia


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IMPRINT

Trial subscription (3 issues) Germany EUR 18,00 (Outside Germany plus EUR 25,00 shipping)

Luk Perceval Arbeitsbuch 2019

www.theaterderzeit.de

Herausgegeben von Thomas Irmer

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Volume 74; Nr. 7/8 2019 74. Jahrgang ISBN 978-3-95749-190-9 Redaktionsschluss

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schauspiel

SPIELZEIT 2019.2020 premieren FRAU VERSCHWINDET (VERSIONEN) (UA) JULIA HAENNI Regie: Marie Blues | ab 07. Sep 2019, Vidmar 2 DER SOHN (UA) ELMAR GOERDEN Regie: Elmar Goerden | ab 20. Sep 2019, Vidmar 1 DER GROSSE DIKTATOR (DEA) CHARLIE CHAPLIN Regie: Cihan Inan | ab 19. Okt 2019, Stadttheater DER LETZTE SCHNEE (UA) ARNO CAMENISCH Regie: Jonas Knecht | ab 08. Nov 2019, Vidmar 1 CENGALO, DER GLETSCHERFLOH (UA) FRANZ HOHLER Regie: Meret Matter | ab 15. Nov 2019, Stadttheater ORESTIE (SEA) NACH SOPHOKLES, AISCHYLOS, EURIPIDES Regie: Sophia Aurich | ab 18. Dez 2019, Vidmar 2 FIFA (UA) EIN PROJEKT VON CHRISTOPH FRICK & ENSEMBLE Regie: Christoph Frick | ab 19. Dez 2019, Vidmar 1

wiederaufnahmen MEISTERIN HÜPF UND DER SCHEUE KÖNIG (UA) FABIENNE BIEVER Regie & Konzept: Fabienne Biever ab 13. Feb 2020, Stadttheater Mansarde

TOD EINES HANDLUNGSREISENDEN ARTHUR MILLER Regie: Gerd Heinz | ab 15. Feb 2020, Stadttheater

FREIGÄNGER (UA) ANNA PAPST Regie: Anna Papst | ab 17. Sep 2019, Vidmar 2

JEMANDLAND (UA) IVONA BRDJANOVIC Regie: Sophia Aurich | ab 22. Okt 2019, Vidmar 2 DER GOALIE BIN IG (UA) PEDRO LENZ Regie: Till Wyler von Ballmoos ab 28. Nov 2019, Vidmar 1

SCHULD UND SÜHNE FJODOR M. DOSTOJEWSKIJ Regie: Henri Hüster | ab 27. Feb 2020, Vidmar 1 FRÄULEIN JULIE AUGUST STRINDBERG Regie: Alexandra Wilke | ab 25. Mrz 2020, Vidmar 2 ALLES ÜBER HEATHER (UA) MATTHEW WEINER Regie: Kieran Joel | ab 27. Mrz 2020, Vidmar 1 MEIN SOMMER MIT KIM (UA) LUKAS LINDER Regie: Katharina Ramser | ab 15. Mai 2020, Vidmar 1 DIE HAND IST EIN EINSAMER JÄGER (SEA) KATJA BRUNNER Regie: Jonas Junker | ab 23. Mai 2020, Vidmar 2 WALDEN (UA) SHOWCASE BEAT LE MOT ab 06. Sep 2019, Vidmar +

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The Broken Circle

PREMIEREN STRUWWELPETER – SHOCKHEADED PETER MUSICAL Tiger Lillies, Crouch, McDermott & Jacques | Cordes 29.9.19 PASSION – SEHNSUCHT DER FRAUEN UA | Bergman | Bergmann 5.10.19 WOYZECK UA | Büchner & Habermehl | Habermehl 28.11.19 FRAUENSACHE UA | AUFTRAGSWERK Hübner & Nemitz | Liedtke 30.11.19 BUNBURY Wilde & Jelinek | Karabulut 12.1.20 PENTHESILEA Kleist | Bader 9.2.20 DER SUSAN-EFFEKT UA | Høeg | Mederlind 7.3.20 IN DEN GÄRTEN ODER LYSISTRATA 2 DEA | Berg | Tscharyiski 29.3.20 DIE NEUEN TODSÜNDEN UA | Bergmann 9.5.20 DIE VERWANDLUNG Kafka | Bilmen 10.5.20 SPECIALS MEIN JAHR OHNE UDO JÜRGENS UA | Maier | Wengenroth 15.9.19 EIN SPORTSTÜCK Jelinek | Luque 27.6.20

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