Vorwort Gravitationszentrum dieses Buchs ist die Gattung der Grand Opéra aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Anziehungskraft ihres Umgangs mit den Leidenschaften, mit Geschichte und Fremdheit wirkt auch in den nachfolgenden Untersuchungen zu Werken und Inszenierungen von Richard Wagner bis Helmut Lachenmann nach. Gefeiert durch das 19. Jahrhundert hindurch, sind die Werke von Giacomo Meyerbeer, Jacques Fromental Halévy, Daniel-FrançoisEsprit Auber und anderer im 20. Jahrhundert aus den Spielplänen verschwunden. Das geschah in Deutschland vor allem aus dem Grund, dass die bekanntesten Vertreter der Grand Opéra Juden waren. Auch nach 1945 blieb eine Rückbesinnung auf sie aus. Beschwiegen blieb, dass die Komponisten der Grand Opéra im europäischen Repertoire bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs führend vertreten waren.1 Erst in den Jahren vor der Jahrtausendwende setzte in der Forschung und in den Opernhäusern selbst eine Wiederentdeckung der Grand Opéra ein. Anselm Gerhards bahnbrechende Arbeit über Die Verstädterung der Oper2 im 19. Jahrhundert bereitete einer Fülle internationaler Publikationen und Editionen zu einzelnen Komponisten und Aspekten der Grand Opéra den Weg. Ebenso erfreulich ist die parallel verlaufende künstlerische Auseinandersetzung mit deren Werken. Inszenierungen von John Dew, Jossi Wieler und Sergio Morabito, Peter Konwitschny und Tobias Kratzer sind hier exemplarisch zu nennen. Zusammen mit der Forschung und dem Engagement der Häuser sowie der Sängerinnen und Sänger sind sie ein Zeichen dafür, dass in den Grands Opéras ein von der Geschichte Unabgegoltenes zu entdecken und für die Gegenwart fruchtbar zu machen ist. Dem will diese Arbeit auf den Grund gehen. Auf dem Grund liegt zunächst der Antisemitismus in seiner modellhaften Ausprägung auf dem Gebiet der Kunst. Über dieses reicht er weit hinaus in den unmittelbaren politischen und sozialen Hass hinein. Der Antisemitismus bildet die Folie, vor der sich die künstlerisch-politische Praxis der Komponisten der Grand Opéra, allen voran die Opern von Giacomo Meyerbeer, abhebt. Mit ihm fängt alles an. Diese Erfahrung machte auch der Autor dieses Bands. In dem ihm zur Konfirmation geschenkten Buch Du und die Musik konnte er Anfang der sechziger Jahre lesen:
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