ER E ND AB SO USG A
EUR 10 / CHF 12 / www.theaterderzeit.de
August 2018 – Sonderausgabe
ISBN 9783957491725
Vorsicht Volksbühne! Das Theater. Die Stadt. Das Publikum. TdZ 08 / 2018
Vorsicht Volksbühne!
1 Editorial 2 VORSICHT VOLKSBÜHNE! EIN KONGRESS AUS GEGEBENEM ANLASS 3 Jeanine Meerapfel: Begrüßung 4 Klaus Völker: Wider das Zufallstheater 7 Evelyn Annuß: Vier-Punkte-Plan 10 Thomas Oberender: Manufaktur Volksbühne 13 Kathrin Tiedemann: Wem gehört die Volksbühne? 15 Thomas Martin: Kultur ist Erzählung 19 27 29 39
Panel 1 „Mythos Volksbühne“ Mex Schlüpfer: Hallo, hört mich jeder? Panel 2 Stadttheater, Produktionshaus oder beides? Panel 3 Volksbühne – ein Theater in Berlin
50 Nele Hertling: Versuch einer Zusammenfassung 52 Klaus Lederer: Besser scheitern 56 J. Michael Birn: NO FUTURE – A MASTERPLAN 60 DENKZEICHEN. ESSAYS FÜR EINE ZUKUNFT DER VOLKSBÜHNE 61 Thomas Köck: Parenthese 63 Wolfgang Engler: Meta-Realität kontra ästhetischer Populismus 65 Luise Meier: Die Volksbühne als Feierabendbier 68 Jakob Hayner: Orte der Überschreitung 71 Guillaume Paoli: Wer erklärt die Stadt? 73 Joachim Fiebach: Altes denken für ein Neues 75 Friedrich Dieckmann: Warten auf den Neuerer 78 Peter Laudenbach: Notwendig falsches Bewusstsein 84 Erik Zielke: Verkauft! Chronik 87 Henry Hübchen: Was wird mit der Volksbühne? 88 Impressum
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Editorial
„Kein schwierigerer Vormarsch als der zurück zur Vernunft!“, schreibt Brecht im „Messingkauf“-Fragment. Nicht leicht, zurückzufinden zur Vernunft in der festgefahrenen Debatte um die Zukunft der Berliner Volksbühne. Was ist passiert? Die Intendanz Frank Castorfs, in der es gelungen ist, mit einem Team unverwechselbarer Künstler ein geschichtsbewusstes, aber gegenwartsbezogenes politisches Theater zu machen, hat am RosaLuxemburg-Platz nach 25 Jahren ein Ende gefunden, das viele als unnötige Zäsur verstanden haben. Chris Dercon, ein Fachmann im Bereich der Bildenden Kunst, wurde als Nachfolger berufen. Die Kulturpolitik hat es versäumt, der Belegschaft der Volksbühne, ihrem Publikum, der Stadtbevölkerung die ambitionierten Pläne zu vermitteln. Ein Theaterstreit ist entbrannt – ausgefochten nicht nur in den Feuilletons, sondern etwa auch mittels einer Theaterbesetzung. Nach sieben Monaten bricht Dercons Arbeit vorzeitig, aber nicht unerwartet ab. Wie weiter? Um Wege aus der Krise zu zeigen, hat die Akademie der Künste, Berlin, mit Unterstützung des Deutschen Bühnenvereins und der Senatsverwaltung für Kultur und Europa einen „Kongress aus gegebenem Anlass“ organisiert – mit dem bedeutungsschweren Titel „Vorsicht Volksbühne!“. In drei Panels wurde fachkundig über den „Mythos Volksbühne“, die strukturellen Bedingungen der Kunstproduktion und die Bedeutung des Theaters für die Stadt diskutiert. Gerahmt wurde die Veranstaltung von kenntnisreichen und meinungsstarken Kurzstatements und pointierten Schlussbemerkungen. Die vorliegende Sonderausgabe der Zeitschrift „Theater der Zeit“ dokumentiert die vielseitigen Debattenbeiträge.
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Darüber hinaus findet sich in dem Heft die Arbeit „No Future – A Masterplan“ des Künstlers J. Michael Birn, die anhand des Areals um den Rosa-Luxemburg-Platz „die Brüche bei der Suche nach umfassender gesellschaftlicher Erneuerung“ zeigt. Unter dem Titel „Denkzeichen“, angelehnt an das Online-Medium der Volksbühne, das in den letzten Jahren Denkräume über das Theater hinaus geöffnet hat, sind in Fortführung und Erweiterung der Diskussionsveranstaltung die Stimmen verschiedener Generationen versammelt: Der Dramatiker Thomas Köck, der Kultursoziologe Wolfgang Engler, die Autorin Luise Meier, der Publizist Jakob Hayner, der Philosoph Guillaume Paoli, der Theaterwissenschaftler Joachim Fiebach, der Schriftsteller Friedrich Dieckmann und der Theaterkritiker Peter Laudenbach beziehen klare Position, was die Tradition und mögliche Zukunft des Schlachtschiffs Volksbühne anbelangt. Ein kurzer Abriss des Berliner Kulturkampfs soll helfen, den Überblick zu bewahren angesichts intransparenter und sich überstürzender Ereignisse. Das Heft schließt mit einem lautstarken Zwischenruf des VolksbühnenMatadors Henry Hübchen. Jeder Vorstoß in dieser Debatte – sei es, Castorf zurückzugewinnen, eine kollektive Intendanz einzuführen, oder, das Theater vorerst geschlossen zu lassen – muss nicht darauf geprüft werden, ob er nachvollziehbar oder gut gemeint, sondern ob er vernünftig ist, das heißt: umsetzbar und förderlich, um ein relevantes Theater auf der Berliner Bühne wieder stattfinden zu lassen. Ein solcher, wenngleich schwieriger, Vormarsch wäre lohnenswert. Klaus Lederer, Harald Müller und Erik Zielke
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Akademie der Künste, Berlin, Pariser Platz, 15. und 16. Juni 2018
Vorsicht Volksbühne! Ein Kongress aus gegebenem Anlass
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Jeanine Meerapfel: Begrüßung
Begrüßung von Jeanine Meerapfel
Ich begrüße Sie sehr herzlich in der Akademie der Künste zu einem zweitägigen Gedankenaustausch – einem Kongress aus gegebenem Anlass. „Vorsicht Volksbühne!“ – soll auch heißen: Das Thema ist nicht leicht anzufassen. Es hat die Gemüter aufgewühlt wie selten ein kulturpolitisches Thema in Berlin und es war und ist mit Verletzungen und Verwerfungen verbunden, auch darüber wird sicherlich noch zu reden sein. Die Akademie der Künste möchte, wie sie es schon mit der Diskussion zum Ensembletheater Ende des letzten Jahres getan hat, ein Forum bieten. Sie ist dabei nicht Partei, unter den Mitgliedern aller Sektionen gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten – sowohl zur Bewertung der vergangenen Entscheidungen und Debatten als auch dazu, was die Zukunft bringen sollte. Aber die Akademie der Künste nimmt sehr wohl Partei für die Kunst. Indem sie ein offenes und neutrales Forum für dieses die Stadtgesellschaft, die Theaterlandschaft und die mediale Öffentlichkeit weiterhin bewegende und kontrovers diskutierte Thema bietet. Damit tut sie das, was ihr satzungsgemäßer Auftrag ist: Sie vertritt den Anspruch der Kunst in der Gesellschaft. Sie unterstreicht, dass es bei dieser Diskussion nicht allein um das Theater als Institution, sondern um die Kunstform Theater geht, um ihre produktiven Erfordernisse, ihre Gegenwart, ihre Zukunft und immer wieder auch ihre Erneuerung.
und morgen aktiv teilnehmen. Wenn Sie die eine oder den anderen auf dem Podium vermissen, bitten wir Sie zu bedenken: Nicht alle, die wir gefragt haben, konnten es einrichten und es lag uns auch daran, Facetten des Themas zu vertiefen und kontrovers zu sein, ohne an der Oberfläche des schon Gesagten zu bleiben. Die Mitwirkenden auf dem Podium sollen circa eine Stunde Gelegenheit zu einem intensiven Gespräch haben. Danach bitten wir das Publikum, an einer gemeinsamen Debatte teilzunehmen. Wir danken allen Mitwirkenden dafür, dass sie so kurzfristig bereit waren, ihre Gedanken nochmals fokussiert auf das Thema zu richten und der Diskussion ihre Expertise zur Verfügung zu stellen. Dank an alle, die die Initiative zu dieser Veranstaltung ergriffen und sie engagiert vorbereitet haben, darunter Thomas Martin für das ehemalige künstlerische Team der Volksbühne und unsere Mitglieder Ulrich Khuon als Präsident des Deutschen Bühnenvereins und die Direktorin und der Stellvertretende Direktor der Sektion Darstellende Kunst, Nele Hertling und Christian Grashof – sowie an Caroline Rehberg, Sekretär der Sektion Darstellende Kunst. Dank auch an Klaus Dörr, den kommissarischen Intendanten der Volksbühne, dafür, dass er bereit war, sich trotz großer Anforderungen an der Diskussion zu beteiligen.
Dank an die Senatsverwaltung für Kultur und Europa für ihre Unterstützung, die es u. a. ermöglicht, die Diskussion als Livestream einer größeren Öffentlichkeit verfügbar zu machen und sie später als Sonderheft von „Theater der Zeit“ nachhaltig zu dokumentieren. Die Volksbühne ist zu einem Symbol des kulturellen Dank an die Stiftung Brandenburger Tor für die gastZusammenwachsens der Hauptstadt geworden, dafür freundliche Einladung, morgen nach Ende des Kongresses sind wir dem Ensemble, dem Intendanten Frank Castorf die Gespräche im Max Liebermann Haus ausklingen zu und allen Künstlerinnen und Künstlern der Volksbüh- lassen. ne am Rosa-Luxemburg-Platz dankbar. Dies bedeutet auch eine Verpflichtung, jetzt, wenn wir über die Zu- Ich wünsche uns allen bis dahin einen intensiven, bekunft der Volksbühne als Teil der Zukunft Berlins reichernden und konstruktiven Austausch. « wieder so genau nachdenken sollten, wie es seinerzeit übrigens auch Akademiemitglieder in dem Theatergut- Jeanine Meerapfel ist Präsidentin der Akademie der Künste, Berlin. achten 1991 taten – vor dem Hintergrund einer veränderten Welt.
Die Geschichte der Volksbühne ist mit der Akademie der Künste verbunden, auch durch ihr Archiv, das in der Akademie bewahrt wird und durch viele ihrer Mitglieder, frühere und jetzige – darunter auch Frank Castorf. Nicht alle Mitglieder können an den Diskussionen heute TdZ 08 / 2018
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Vorsicht Volksbühne!
Wider das Zufallstheater von Klaus Völker
Ist Berlin noch eine Theaterstadt oder, wie die Berliner gerne behaupten, eine Theatermetropole? Eine Theaterszene, insbesondere eine bunte, unüberschaubare freie Theaterszene gibt es zweifellos. Aber haben deren Aufführungen eine mehr als insiderische künstlerische Strahlkraft? In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts jedenfalls war Berlin unbestreitbar eine Theatermetropole. Eine Theaterstadt mit einer ganz jungen Tradition. Deutschland war ja bis zur von Napoleon erzwungenen Bildung einer Nation, die der Kleinstaaterei ein Ende bereitete, ein Residenzenstaat, und unser in der ganzen Welt sehr beneidetes Stadt- und Staatstheatersystem ist aus der Unmenge von einstigen Hof- oder Residenzbühnen hervorgegangen. Erfreulicherweise war das Bürgertum, das die monarchischen Strukturen beseitigte, am Erhalt der Theater interessiert. Als Folge der Reichsgründung und der Rolle, die Berlin nach 1870/71 als Hauptstadt zu spielen begann, kam es zu Theaterneugründungen und vielen neuen Theaterbauten. Die Zahl der bisher schon vielen Aufführungen von Possen, seichten bürgerlichen Lust- und Singspielen stieg enorm, doch gleichzeitig gewannen auch fortschrittlichere und politisch freisinnigere Bestrebungen an Boden. Mit der Gründung der Freien Bühne 1889 und dann der Übernahme der Direktion des Deutschen Theaters durch den Kritiker Otto Brahm 1894 begann das literarisch qualifizierte Theater mit dem Anspruch, eine Bühne des Volkes zu sein, eine Rolle zu spielen. Brahm war zugleich der erste Vertreter eines dezidierten Regietheaters, dessen Voraussetzung ein dramaturgisches Programm und der Aufbau eines erstklassigen Schauspielerensembles war. Er engagierte auch den jungen Max Reinhardt, der bald sein Antipode und 1905 schließlich sein Nachfolger als Direktor des Deutschen Theaters wurde. Von der Jahrhundertwende an war die Reichshauptstadt dann die unbestrittene Theatermetropole Deutschlands. Die Konzentration der Talente wirkte künstlerisch äußerst belebend, und die Konkurrenz wirkte sich in jener aufsteigenden Phase meistens positiv auf die Qualität aus. Vor allen Dingen war jedes Theater bestrebt, ein eigenes Profil zu bekommen und nicht das zu machen, womit der Konkurrent gerade enormen Er4
folg hatte. In so mancher Hinsicht war Berlin damals liberaler, weniger „zopfig“ und weltstädtischer als die gewachsenen Theaterresidenzen Wien und München. Ein besonderes Ereignis war die Gründung der Freien Volksbühne 1890, in jenem Jahr, als es der Sozialdemokratischen Partei gelang, die Sozialistengesetze zu Fall zu bringen und Bismarcks Abgang von der politischen Bühne zu erreichen. Von den fortschrittsbewussten Bürgern wurden die Theater als die von allen Bildungs- und Unterhaltungsstätten kulturell und politisch wichtigsten Einrichtungen angesehen, um die „Kunst dem Volke“ nahezubringen und sie als ein Widerstandspotential zu betrachten, als eine Möglichkeit, dem blind gehorsamen Untertan zur Entwicklung eines kritischen Bewusstseins zu verhelfen. Die Keimzelle des Volksbühnengedankens ging auf die Friedrichshagener Naturalisten zurück, auf Bruno Wille, Wilhelm Bölsche, die Gebrüder Hauptmann, die Gebrüder Hart und Peter Hille. 1890 publizierte Bruno Wille einen Aufruf zur Gründung der Freien Volksbühne. Sein hauptsächliches Bestreben war es, einen Mitgliederverein zu schaffen, der den finanziell Schwachen Eintrittskarten zu günstigem Preis vermitteln, aber auch Theaterleiter ermutigen sollte, interessante Stücke in den Spielplan zu nehmen, nicht nur sichere Kassenrenner. Außerdem konnte man, indem man eine nur für Mitglieder geschlossene Vorstellung ansetzte, eher auch Stücke spielen, die ansonsten der politischen Zensur anheimfielen. Gerhart Hauptmanns „Die Weber“ gelangten so zur Aufführung und zur Wirksamkeit. Und die Dramen von Ibsen, Hauptmann, Gorki, Tolstoi, Strindberg, Wilde und Wedekind konnten sich mit der Zeit durchsetzen. 1914 war es soweit, dass der Volksbühnenverein auch ein mit eigenen Mitteln in Auftrag gegebenes Theater eröffnen konnte, die von Oskar Kaufmann am Bülowplatz gebaute Volksbühne. Wer sollte sie leiten? Die Organisatoren begingen damals den Fehler, keinen geeigneten Theatermacher zu suchen, der um die Bedürfnisse einer Volksbühne, ihren besonderen Spielplan, ihre Ausdrucksform besorgt sein würde, sondern sie hielten nach einem großen Namen Ausschau, der ihr Haus zu einem weiteren berühmten Berliner Theater machen würde, in das „man geht“. Die Volksbühne, eine Gemeinschaft, „im Ursprung gebunden durch Arbeit, Weltbild und Gesinnung, wurde eine Abnehmerschar“ von Theatervorstellungen, wie sie das übliche bürgerliche Publikum liebte, schrieb der Kritiker Herbert Ihering in seiner 1928 publizierten Kampfschrift „Der Volksbühnen-Verrat“. Zum ersten Direktor der Volksbühne wählte man den einstigen Stellvertreter Otto Brahms, Emil Lessing – „ein Handwerker der TdZ 08 / 2018
Klaus Völker: Kurzstatement Ideen Brahms“. Die zuverlässige Handwerksgesinnung von 1890 entsprach aber nicht mehr den sozialen Problemen im Jahre 1914 und deren theatralischen Ausdrucksformen. Nach der kurzen Lessing-Zeit, inzwischen war der Erste Weltkrieg ausgebrochen, vertraute man das Geschick der Volksbühne Max Reinhardt an, dem genialen Vollender des großbürgerlichen Theaters, damals vergleichslos in seinen Leistungen und unerschöpflich in seiner künstlerischen Wandelbarkeit. Herbert Ihering kommentierte die Entscheidung, die Volksbühne dem Deutschen Theater zu assoziieren: „Max Reinhardt und die Volksbühne? Gewiß, es war Krieg; künstlerisches, technisches Personal und Besucher schmolzen zusammen, Reklamationen wurden schwieriger. Der Bestand der Volksbühne war gefährdet. Versorgung mit Vorstellungen in verwirrter Zeit – von hier aus schien die Übergabe an Reinhardt verständlich. Verständlich, wenn sich die Verantwortlichen bewußt gewesen wären, daß es eine Notaktion, eine Verlegenheit in der Gegenwart, ein Irrtum für die Zukunft sei. Der Vorstand aber hatte Blut geleckt. Ihm gefiel das Manöver. Für ihn war es bezeichnend. So waren weniger die Reinhardtjahre selbst bedenklich als die Blindheit des Vorstands vor ihren Konsequenzen. (…) Jetzt war man haltlos an die Bewunderung großer Namen ausgeliefert. Man brauchte sich nicht mehr selbst um eine richtige Lösung zu bemühen. Man wurde mit Stücken und Schauspielern beliefert. Das Deutsche Theater ließ gnädig und von oben herab seiner Filiale etwas zukommen. Die Schauspieler hatten keine Beziehung zu den Massen, für die sie spielten. (…) Künstlerisch: die Sehnsucht, dem bürgerlichen Theater gleichzukommen; organisatorisch: die Absicht, die Verantwortung zu verschleiern – alles das, was heute Schaden und Niedergang der Volksbühne bezeichnet, war damals schon vorgebildet. Auf der einen Seite: das respektvoll der Vergangenheit gewidmete Repertoire, das Einlullen durch glänzende Dekorationen und musikalisch-melodramatische Effekte, auf der anderen: das Verpachten der Theater an fremde Direktoren, denen man Mitglieder schickt; die Vermischung von Gemeinwirtschaft und Privatwirtschaft; Volksbühne und doch nicht Volksbühne.“ Solche Überlegungen spielten auch für die Herren Müller und Renner eine Rolle, als sie den „Kurator“ Dercon zum neuen Hausherrn der Volksbühne machten. Die „Strukturendebatte“, also die Vorwürfe, das Stadttheatersystem sei zu unbeweglich und verhindere Experimente, arbeitet den Politikern in die Hände, die Investitionen in Sozialarbeit und Bildung sparen wollen und diese Aufgaben den Theatern zuweisen und die Intendanten ermuntern, die Ensembles abzubauen, keine „Anrechte“ entstehen zu lassen, junge Schauspieler sind TdZ 08 / 2018
nämlich billiger. Mobile Verhältnisse sollen geschaffen werden. Kultur ist ein ökonomischer Faktor geworden. Demokratie, Mitbestimmung sind ihres politischen Inhalts beraubt. Professionalität und Qualität werden unwichtig zugunsten manipulativer Gleichmacherei. Statt mehr Möglichkeiten für unentfremdete Arbeit zu schaffen, werden Arbeitsstunden abgebaut und dafür „Freizeit“ geschaffen – die Ausbeutung ist großenteils in eine Freizeitindustrie verlagert. Auch die Volksbühne wollte der Berliner Senat in ein beliebtes Geschäftstheater verwandeln, man wollte kein Theater mehr fördern, das Mobilität als bewegliches, eingreifendes Denken versteht und dessen künstlerisches Programm zu Widerspruchsgeist, Offenherzigkeit und poetischer Freigeisterei anregen möchte. Leopold Jessner zum Beispiel wäre 1914 der richtige Mann für einen Anfang als Aufbruch gewesen. Der Vorstand des Volksbühnenvereins wollte aber nicht beginnen, sondern hinterherziehen. Das neue Haus der Volksbühne hatte eine Bühne mit allen räumlichen Möglichkeiten. Eine Bühne für Massen, für großen Ausdruck. Für politische Dramen und aggressive Revuen. Ausdrucksstarke Stücke, ausdrucksstarke Schauspieler hätte man gebraucht. Auch noch 1919, nach dem Reinhardt-Interregnum, hätte man Leopold Jessner wählen können – und eben nicht Friedrich Kayßler, der ein Priester der Schauspielkunst war. Für alle Unentschiedenheiten der Volksbühnenfunktionäre versuchte Julius Bab, der zwar ein kluger, aber zu betulicher Sozialdemokrat war, das gedankliche dramaturgische Gerüst zu liefern. Es gab zwei Regiebegabungen, deren besondere Qualität er aber nicht hervorhob: Ludwig Berger und Jürgen Fehling. Der eine verkrachte sich, der andere wurde wegengagiert. Der Vorstand erwies sich als inkompetent in künstlerischen Dingen. Sie waren SPD-Funktionäre und Kunstbanausen. Die immer einflussreicheren und im Intrigieren erfolgreichsten Strippenzieher waren die Herren Neft und Siegfried Nestriepke. Nach Kayßler kam Fritz Holl. Kein Gestalter. Nur ein mittelmäßiger Stadttheaterintendant ohne Durchsetzungskraft. Man wollte nicht einmal den Schein eines künstlerischen Direktors. Der Regisseur Erwin Piscator war der einzige, der aus der Volksbühnenbewegung hervorgegangen ist, der nicht von außen geholt wurde; aber seine künstlerische Arbeit verbreitete zu viel Unruhe, er wurde mit vielen Geschützen mundtot gemacht. Denn die Inszenierungen Piscators rührten an den Schlaf der Welt, sie wirbelten auf und schieden die Geister. So viel Unruhe ertrug man nicht. Er musste, um Theater nach seinen Vorstellungen und mit zu ihm passenden Mitarbeitern machen zu können, sein eigenes Theater gründen. » 5
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Klaus Völker ist Dramaturg, Schriftsteller und Theaterhistoriker. Von 1993 bis 2005 war er Rektor der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch.“
Klaus Völker, Ulrich Khuon und Evelyn Annuß (v. l. n. r.)
Vor ihm nur Jürgen Fehling mit Tollers „Masse Mensch“, vielleicht noch Erich Engel mit Brechts „Mann ist Mann“ konnten die Bühnengegebenheiten der Volksbühne auch nutzen, konnten Raum- und Massentheater entfesseln, die Bühne in ihren Möglichkeiten wirklich beherrschen. Piscator verlor den Kampf mit den Funktionären. Die Mitglieder begehrten kaum auf. Die Junge Volksbühne konnte sich mit ihren Forderungen und alternativen Inszenierungen nicht durchsetzen. 1929 übernahm dann Karl Heinz Martin die Leitung. Auch ihn hatten die theatralischen Experimente der Sowjetregisseure Meyerhold, Tairow und anderer begeistert und zu vergleichbaren Revue- und zirzensischen Spektakeln angeregt. Aber er suchte die passenden Stoffe und das Zeitgemäße immer in Stücken. Und er war ein Schauspieler-Regisseur. Seine Erfolge mit „Frühlingserwachen“, „Liliom“ stärkten ihm den Rücken gegen die „Verhinderer-Bürokraten“, er wagte Döblins „Ehe“, inszenierte „Nebeneinander“ von Georg Kaiser, ließ Brecht seine Neufassung von „Mann ist Mann“ inszenieren. Er erklärte: „Ibsens Dramen und Komödien der europäischen Zivilisation, Ibsens europäische Dichtungen: Die Kronprätendenten, Peer Gynt, Kaiser und Galiläer, werden auf dem Theater einer nahen Zeit wieder erstehen, wenn Besinnung auf die Vorkämpfer möglich sein wird. Jetzt heißt es zunächst, unserer Art gemäß, den Kampf gegen die ewige kompakte Majorität zu führen. Aber wir wollen das Beispiel des großen Hassers der Menschheit, des großen Liebenden der Menschlichkeit nicht vergessen – die dramatische Bühne wird ihrem unsterblichen Balzac, wird Ibsen immer wieder Denkmale errichten.“ Das künstlerische Credo seiner drei guten Spielzeiten von 1929 bis 1931 lautete: „Mit Freude und Genugtuung sehe ich, wie die Idee der Gestaltung einer neuen Volksbühne, entgegen aller Widerstände, immer mehr Tiefe bekommt. – In bewußtem Gegensatz zum Zufallstheater, zum Zufallsspielplan, d. h. zur Wahl von Stücken und Darstellern aus zufälligen Bedingungen, aus zufälliger Konjunktur und zufälliger Geschmacksrichtung heraus, ein charaktervolles Theater zu schaffen, als Ausdruck eines vorwärtstreibenden, freiheitssüchtigen kämpferischen Willens, manifestiert im Zeitstück oder im klassischen Werk. Mit anderen Worten, die Bühne einer Vereinigung jener aufzurichten, die im Theaterbesuch nicht nur ein, sei es auch noch so künstlerisch wertvolles Einzelerlebnis suchen, sondern als Teil einer Gemeinschaft ein eigenes Theater ihres Willens und ihrer Meinung erstreben.“ «
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Evelyn Annuß: Kurzstatement
Vier-Punkte-Plan von Evelyn Annuß
Der Lappen muss keineswegs um jeden Preis hoch – zumindest nicht, wenn Theater mehr sein soll als Dienstleistung. Dafür stand die Volksbühne. Um deren Zukunft zu verhandeln, bedarf es jetzt der offenen Auseinandersetzung über ihr ästhetisches Profil, ihre Bedeutung und auch ihren Stellenwert in der Neuausrichtung derzeitiger Kultur- und Stadtpolitik. Grundfragen sind, wer an dieser Auseinandersetzung überhaupt beteiligt wird und inwiefern sie an die realen Entscheidungsprozesse gekoppelt ist: Wer spricht? Wer entscheidet? Meine Zusage zu dieser Veranstaltung ist nicht der Anmaßung geschuldet, im Namen von 40 000 Leuten zu sprechen, die ich gar nicht kenne. Vielmehr scheint es mir in Absprache mit einigen, die die Petition mit initiiert haben, notwendig, Transparenz und eine öffent-
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lich moderierte Beratung der Politik einzufordern. Und das gilt auch und gerade für die jetzige Übergangsphase. Mir ist durchaus klar, wie schwierig die momentane Situation für alle Beteiligten ist. Dieser Kongress mit Statements und Podiumsdiskussionen mag daher als Stimmungstest für die Politik dienen. Aber was er nicht ersetzen kann, ist eine nachhaltige, für alle Akteurinnen und Akteure offene, prozessuale Entscheidungsfindung. Ohne die Einberufung einer gänzlich anders ausgerichteten Beratungskommission bleibt es bei einer Alibiveranstaltung, die eher zur Entpolitisierung des Konflikts als zu einer tragfähigen Lösung beiträgt. Natürlich ist es toll, dass Leute aus den Gewerken eingeladen wurden und auch von Staub zu Glitzer, die an der inzwischen vom Staatsschutz kriminalisierten Besetzungsinszenierung im September letzten Jahres beteiligt waren. Denn die einen müssen sinnvollerweise in den Entscheidungsprozess einbezogen werden, die anderen haben die Frage, für wen diese Stadt und damit auch diese Bühne eigentlich da sein soll, performativ gestellt. Dass nun diejenigen aus dem alten Westen fehlen, die für die komplette Missachtung künstlerischer Arbeit und lokaler Strukturen verantwortlich sind, namentlich der Regierende Bürgermeister, war ohnehin zu erwarten. Dass aber auch sämtliche betroffenen Künstlerinnen und Künstler abgewinkt haben, ist symptomatisch; denn zum einen fühlen sich viele in der jetzigen Situation übergangen, zum anderen profilieren Einladungspolitik und Format dieses Kongresses vor allem bislang weitgehend unbeteiligte Akteure. Der Protest gegen die Zerstörung der Volksbühne wurde nicht vom Deutschen Bühnenverein getragen, sondern von der Stadtgesellschaft, vom Publikum – von Leuten, denen es um spezifische Produktionsprozesse und Ästhetiken geht, und von jenen, die sich dagegen wehren, dass ihre Stadt (völlig egal, woher sie ursprünglich kommen) ausverkauft wird. Diesen synergetischen Impuls im Streit um die Volksbühne mitzunehmen, wäre die Chance für eine Kulturpolitik, die sich dem Vorwurf postdemokratischer Hinterzimmerentscheidungen stellt und die Öffentlichkeit anders einbindet. Es ginge also um eine Politik, die in anderen Formaten und mit mehr Zeit die Voraussetzungen für einen ergebnisoffenen Prozess schafft – und zwar bevor weitere zentrale Entscheidungen getroffen werden. Und vielleicht wäre es ja zudem an der Zeit, sich vonseiten der Politik bei den betroffenen Künstlerinnen und Künstlern zu entschuldigen. Mein Job hingegen ist es auch, die Forderungen der Petition selbstkritisch zu hinterfragen. Diese sollte in der vergangenen Spielzeit eine letzte Geste sein, um dem Desaster der Politik etwas entgegenzusetzen, ohne 7
Vorsicht Volksbühne! diese zur Entscheidungsinstanz in ästhetischen Fragen zu machen. Daher lag der Fokus auf Schauspiel, Ensemble und Repertoire als bisheriger Kernbestimmung der Volksbühne. Allerdings ging es darum, mit Blick auf diese Spielstätte produktionsorientierte, kollektive Arbeitsprozesse und ein nachhaltiges Experimentieren mit szenischen Formen zu verteidigen, die nicht einfach unsere Sehgewohnheiten bedienen. Es ging um die Auseinandersetzung mit konkreten Raumbedingungen, darum, die Spieler als eigenständige und kollektiv agierende Künstlerinnen und Künstler einzubeziehen und durch die Form hindurch die Frage nach dem gesellschaftlichen Reflexionspotenzial von Theater bzw. nach dessen Relation zur Öffentlichkeit zu stellen. Nun aber kann die zunächst strategisch notwendige Forderung nach Schauspiel, Ensemble, Repertoire potenziell der bloßen Legitimation des Betriebs dienen. Wie sich der Presse entnehmen ließ, wurde bereits über die kommissarische Intendanz bis 2020, Neueinstellungen und Gastspiele entschieden. Gerade angesichts bereits abgeschlossener Verträge für anstehende Gastspiele wüsste ich gerne, ob die genannten Namen als Notprogramm oder als neues Profil der Volksbühne gedacht sind, die sich dann von Berliner Ensemble, Deutschem Theater oder Schaubühne nicht weiter unterscheiden würde. Und zudem wüsste ich gern, ob die Spielerinnen und Spieler, die von der alten Volksbühne durch deren Reprofilierung verdrängt wurden, überhaupt gefragt werden, ob sie wieder dort spielen wollen. Anstelle der erwarteten temporären Wiederaufnahmen von Produktionen, die für die Volksbühne und ihren spezifischen Bühnenraum erarbeitet wurden, soll beispielsweise eine gerade von der ARD in einem flankierenden Fernsehspiel promotete Passepartout-Produktion gezeigt werden. Es handelt sich um eine auf Verkäuflichkeit und Marktförmigkeit angelegte Inszenierung, die bereits getingelt ist und die ein entsprechendes Erfolgsrezept hat: politischer Aufmerksamkeitstrigger, leicht finanzierbares Solo, kommensurables Schauspiel, transportables Bühnenbild. In ihrer Betriebsmäßigkeit scheint mir eine solche Bespielung der Volksbühne um einiges weiter von deren bisherigem ästhetischen Profil entfernt zu sein als die Experimente mit einem posthumanen Konzepttheater in der letzten Spielzeit. Um nun eine kritische Reflexion über Form und Funktion der Volksbühne, über Modelle, Strukturen, ästhetische Formen und eine offene Diskussion hinsichtlich anstehender künstlerische Setzungen sicherzustellen, bedarf es keiner Alleinentscheider aus dem Feld der Politik oder der Geschäftsführung und auch keiner Findungskommission, die dank einer vorher be8
stimmten, einfach am Stadttheaterbetrieb orientierten Zusammensetzung erwartbare Ergebnisse produzieren würde. Wir brauchen stattdessen ein wirkliches Nachdenken über eine neue Volksbühne. Deshalb schlage ich erstens mehr Zeit für die zukünftige Intendanzentscheidung und zweitens die umgehende und überfällige Konstitution einer Art Beratungsgremium vor. Dieses soll maßgeblich auch Positionen berücksichtigen, die heute – neben den betroffenen Künstlerinnen und Künstlern – weitgehend fehlen: an der Auseinandersetzung längst beteiligte Intellektuelle oder Theaterwissenschaftlerinnen und Theaterwissenschaftler, die Berliner freie Szene, die die aus den Fugen geratene kulturpolitische Konstellation tangiert, unterschiedliche Sparten wie etwa den Tanz sowie Stadtsoziologinnen und Stadtsoziologen, Aktivistinnen und Aktivisten, die die Umgestaltung einer neuen Berliner Mitte und die Aftereffekte megalomanischer Dachmarkenkonzepte kritisch reflektieren. Unter Berücksichtigung der Mitarbeitenden an der Volksbühne soll diese Beratungsgruppe in den nächsten zwei Jahren ergebnisoffen einen Profilvorschlag erarbeiten und in vier Feldern arbeitsteilig tätig werden. Es geht also um eine Art Vier-PunktePlan für einander ergänzende Arbeitsgruppen: 1. Theaterrecherche (Bestandsaufnahme): Welche künstlerischen Arbeiten gibt es, mit denen sich an der Volksbühne eine Setzung vornehmen und ein eigenständiges Profil bilden ließe – und zwar auch jenseits des deutschen Horizonts, um Internationalität neu und anders als unter der Maßgabe von Citymarketing zu bestimmen? 2. Ästhetik (Reflexion): Welche zeitgemäßen Formate stehen in der Tradition der Volksbühne und berücksichtigen ihre spezifische Struktur als Produktionshaus? Wie ließen sich nicht einfach „widerständige Stoffe“ (Klaus Dörr), sondern widerständige Formen auf der Höhe der Zeit bestimmen? 3. Organisation: Wie könnte eine Volksbühne der 2020er Jahre institutionell aussehen? Wie ließe sich Intendanz jenseits großer Namen und überkommener Top-Down-Strukturen denken? Wie bestimmt man das Profil der einzelnen Volksbühnen-Spielstätten und entsprechende Zuständigkeiten? Welche spezifische Rolle könnten etwa der Prater, der Pavillon oder der Grüne Salon neben der großen Bühne spielen? 4. Politisches: Wie ließe sich ein eigenständiges, parallel laufendes Kongress- und Diskursprogramm konzipieren, in dem Aktivistinnen und Aktivisten, Soziologinnen und Soziologen städtische, gesellschaftliche Belange in einem eigenen Raum verhandelbar machen? Wie ließe sich die Volksbühne auch zu einem Aushandlungsort politischer Fragen machen – und zwar jenseits der Setzung von Spielplanthemen? TdZ 08 / 2018
Evelyn Annuß: Kurzstatement
Evelyn Annuß
Die aus diesen vier Arbeitsgruppen bestehende Beratungskommission könnte die perspektivische Übergabe der Volksbühnenleitung und die zukünftige Profilbildung reflektieren, moderieren und vorbereiten und bereits jetzt zu interimistischen Programmentscheidungen beitragen. Bei meinem Vorschlag geht es um die Volksbühne als ganz konkretes Theater mit seiner Riesenbühne, seiner Relation zu einem zunehmend den Marktbedingungen unterworfenen und zugleich umkämpften öffentlichen Raum, zu politischen Auseinandersetzungen vor Ort und zu einem seit den frühen 1990er Jahren gewachsenen, ästhetisch und politisch interessierten Publikum. Wenn wir heute tatsächlich an die Bedeutung und Geschichte der Volksbühne anknüpfen wollen, dann brauchen wir kein Theater der Funktionäre, sondern eines, das dazu beiträgt, nachzufragen, wem unsere Stadt gehört und was die Institution Theater – als Darstellungs- und sozialer Raum – jenseits der Bespaßung der bürgerlichen Mitte sein könnte. « Evelyn Annuß ist Gastprofessorin für Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Initiatorin der Petition „Zukunft der Volksbühne neu verhandeln“.
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Manufaktur Volksbühne von Thomas Oberender
Die Volksbühne war eine Bewegung, bevor sie ein Theater wurde. Bevor sie eine Spielstätte wurde, war sie bereits eine Institution und das unterscheidet sie von anderen Stadttheatern. Bevor die Volksbühne ein eigenes Haus unterhielt, mietete sie für ihre Aufführungen die verschiedensten Bühnen Berlins an, um hier geschlossene Vorstellungen für ihre Mitglieder zu zeigen. Dieses neue Publikum sollte sich an und durch neue, zeitgenössische Stücke und Aufführungsstile bilden – durch einen Spielplan, der von keinem Intendanten beschlossen wurde, sondern von einem künstlerischen Ausschuss, der engen Kontakt mit den Volksbühnen-Mitgliedern hielt. Die Volksbühnenbewegung kann man in ihrer Entwicklung gut mit der Entwicklung verschiedener Arten von Bürgerbewegungen vergleichen, die, von der westdeutschen Friedens- und Umweltbewegung bis zur oppositionellen Bewegung der DDR, von aktivistischen Kreisen gegründet wurden und zur Gründung von Institutionen führten. Wie für Die Grünen wird es immer eine Erinnerung an diese Gründung als Bewegung geben und eine Rivalität zwischen deren Idealen und der pragmatischen und geronnenen Intelligenz, wie sie in den Strukturen von Institutionen überdauert. Insofern hat auch die Diskussion über die Volksbühne heute immer zwei Ebenen: jene der Bewegung und die der Institution. So kann die Kulturpolitik heute die Institution retten, aber wenn es ungut läuft, den Geist der Bewegung zerstören. Beides kann, aber muss nicht deckungsgleich sein. Als zu Beginn der 1990er Jahre die Volksbühne abgewickelt werden sollte, war es der Widerstand der mehrheitlich ostdeutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die von ihnen öffentlich geführte Debatte um das Projekt und die Geschichte ihres Theaters, die das Blatt schließlich wendete und die Berufung Castorfs als Intendanten ermöglichte. Natürlich gab es innerhalb der Volksbühnengeschichte am Rosa-Luxemburg-Platz auch Phasen, die künstlerisch eher trübsinnig waren, kaum der Nachrede wert. Aber jene fruchtbaren Intervalle – geprägt von Piscator, Besson oder eben die langen letzten 26 Jahre mit ihrem belebenden Auf und Ab unter den drei Buchstaben „OST“ – haben über die Jahrzehnte hinweg letztlich ein Zusammengehen von 10
Projekt und Institution demonstriert, das viel mit dem Ursprungsgeist der Volksbühnenbewegung zu tun hat. Bei den anhaltenden Debatten über die Zukunft der Volksbühne stellt sich immer wieder die Frage, aus welchem Geist heraus gerade geplant und gehandelt wird – geht es eher um die Rettung der Institution, was nahe liegt, wenn von Konsolidierung und Stabilisierung gesprochen wird, oder geht es um die Rettung eines Projekts, das in anderen Kategorien operiert – in Begriffen wie Geschichte, Gegenkraft oder Glamour, was auch anklingt, wenn alternative Leitungsformen diskutiert werden, neue Wege der Entscheidungsfindung und Beratung bei der Intendantenberufung, die Forderungen nach Transparenz und einer Öffnung für die Stadtgesellschaft. Julius Bab, einer der führenden Köpfe der Volksbühnenbewegung, der in den 1920er Jahren deren „Dramaturgische Blätter“ herausgab, zählte die Gründung der Volksbühne zu den wichtigsten kulturellen Ereignissen des späten 19. Jahrhunderts, da hier zum ersten Mal das Publikum organisiert wurde – es war ein neues, bisher theaterfremdes Publikum, das sich aus eigenem, freiem Willen zusammenschloss.1
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Thomas Oberender
Vorsicht Volksbühne!
Thomas Oberender: Kurzstatement Durch diese Bürgerbewegung sich gerade verbürgerlichender Arbeiter wurde die Volksbühnenbewegung schließlich in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts zur größten Theaterbesucherbewegung der Welt, die in Westberlin noch bis in die 1990er Jahre hinein ein eigenes Haus unterhielt. Zu den Kernideen dieser Volksbühne gehörte von Beginn an die Heranbildung eines „vorurteilslosen Verständnisses moderner, d. h. aus unserer Zeit heraus geborener Dramatik und Bühnenkunst.“2 1890 im stuckverzierten Saal des Böhmischen Brauhauses in der Landsberger Allee im Osten Berlins gegründet, ging es bei der Volksbühne also von Anbeginn um mehr als nur um gutgemachtes Theater: Es ging um Meinungsfreiheit, Selbstentfaltung, um andere gesellschaftliche Organisationsformen und Neue Kunst. Die Konstruktion als Verein entzog die geschlossenen Vorstellungen der Zensur des Kaiserreiches, da sie nicht zum Zwecke der Gewinnerzielung durchgeführt wurden. Dieser marktferne Charakterzug war entscheidend für eine Form von Theater, das, so Julius Bab, „kein Geschäft“ sein dürfe, sondern „ein soziales Unternehmen“ darstellt und daher nur von „der Gemeinschaft wesensgemäß organisiert werden kann“. So erschien es den Volksbühnengründern notwendig, „soziale Formen der Führung des Theaters zu finden und durchzusetzen“.3 Nach dem Scheitern der kollektiven Mitbestimmungsmodelle in den 60er und 70er Jahren am Schauspiel Frankfurt und der Berliner Schaubühne sind mir keine Versuche, große Betriebsstrukturen kollektiv zu programmieren, mehr bekannt. Umso verblüffender ist es, dass dieses Arbeitsmodell aus der Geschichte der Volksbühne, die oft nur als Geschichte der großen Autoren- und Regienamen erzählt wird, weitestgehend ausgeblendet wird. Die Volksbühnenbewegung wollte nicht nur die Stoffe und Erzählformen des Theaters revolutionieren, sondern hielt in ihrer Gründungsphase auch einen kollektiven Betriebsmodus für unverzichtbar. Sie blieb der Idee verpflichtet, ein neues Publikum zu prägen – ein Publikum, das der Vorschein einer anderen, künftigen Gesellschaft sein sollte, die man im Labor des Theaters testweise formieren und erleben konnte. Und so empfand die Volksbühne ihren eigenen Organismus als ein soziales Unternehmen, eine Testgesellschaft im Kleinen – etwas, das auch heute noch spürbar ist im Geist der Belegschaft, wie sich in ihren Wortmeldungen in der Intendanz Dercon zeigte. Aber wie zahm und betriebsbedingt denken wir heute über die Zukunft der Volksbühne nach, wenn wir sie mit ihrem experimentellen Ursprung vergleichen. Die ursprüngliche Konstruktion der Volksbühne, die sich ja einer Initiative von Arbeiterlesevereinen, SozialTdZ 08 / 2018
demokraten und Mitgliedern freier Gewerkschaften, Intellektuellen und Dichtern verdankte, diente – in den Worten Franz Mehrings – „der Selbstbefreiung und Selbsterziehung der Arbeiter“4 Und das beförderte sie bereits in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg mit der Herausgabe von Zeitschriften, durch Führungen in Kunstausstellungen, durch Vorträge, Leseabende, Kleinkunst- und Filmveranstaltungen, Studio- und Konzertveranstaltungen. Wer immer sich an die Volksbühne von Castorf und Bert Neumann, Schlingensief und Pollesch, Marthaler und Kresnik, Fritsch und Ragnar Kjartansson erinnert, wird sich an das durchgehende Leuchten und Senden dieses Hauses auch noch hundert Jahre später erinnern. Ich glaube, die Volksbühne sucht heute keinen neuen Intendanten, sondern ein neues Projekt. Wenn wir von der Zukunft der Volksbühne sprechen, dann schauen wir nach vorne und unwillkürlich fragt man sich dann, wo heute „vorne“ ist. Fortschritt oder Modernisierung sind Vokabeln und Denkmodelle, die wie die Volksbühnenbewegung aus dem 19. Jahrhundert stammen und heute merkwürdig altertümlich klingen. Dieses Vorwärtsmarschieren, das andere Lebens- und Zeitformen in seinen Takt hineinzieht, erscheint uns heute eher gewalttätig und als Triebfeder der Zerstörung unseres Planeten. Ich denke, dass die jüngere Geschichte der Volksbühne viel damit zu tun hat, dass an diesem Hause immer die Augen offen gehalten wurden nach „Dingen, die der Zeitachse des Fortschritts nicht entsprochen haben und stets übergangen worden sind“5. Wer sind denn heute die Bürgerbewegungen in dieser Stadt, welche Gefüge von Text, bildender Kunst, Musik und Tanz bilden heute eine andere Erzählung als die des weißen Westens, setzen andere Akteure ins Recht und finden neue Sprachen? Was sind heute Lebenswelten mit einer anderen Zeitlichkeit, geprägt von anderen Formen der Kollaboration? Wer gründet Institute, Laboratorien, Vereine, die auf die Erfahrung des Prekären anders und frisch reagieren? So wie das International Institute for Political Murder oder das Zentrum für politische Schönheit – die Stadt ist voller Zentren für Kunst und Urbanistik, Staub und Glitzer. Warum haben wir, sobald wir aus den Fenstern der großen Apparate blicken, die aus diesen Bewegungen wurden, eher Angst vor solchen Akteuren, wo doch die Volksbühne als Verein der Selbstbefreiung und Selbsterziehung von mündigen Staatsbürgern begann? Ich will das nicht vertiefen, aber Spaß und Sinn macht es schon, hier anzusetzen, wenn man darüber nachdenkt, wo „vorn“ ist. Vorn in einer Zeit, da plötzlich konservative Modelle von Identität, Heimat, Kultur wieder zurückweisen, als hätte es die Bemühungen der 11
Vorsicht Volksbühne! Volksbühne um die Förderung zeitgenössischer, engagierter und oft auch sperriger Ästhetiken nie gegeben. Angesichts eines gesellschaftlichen Risses und der Kränkungs- und Enttäuschungsgeschichte des widervereinten Deutschlands wirken die Castorf-Jahre längst als frohe, klare Vorzeit. In diesen 26 Jahren unterm Räuberrad wurde die Volksbühne Deutschlands bestes Beispiel einer gelingenden Wiedervereinigung – unter dem Thema „Ost“ arbeitete ein ost-westliches Team und zeigte, dass es besser ist, auszuhalten, dass Zustände nicht eindeutig sind, als sie ideologisch zu begradigen und sich für die Politik nützlich zu machen. Wie könnte es gelingen, Leute zu finden, die wissen, was das Besondere dieser letzten 26 Jahre war und gleichzeitig ihr eigenes Wissen, ihre eigenen Ziele haben? Die alte Volksbühne hat keine neue Generation hervorgebracht. Das ist einerseits schade, andererseits eine Chance. Die Volksbühne hat weltweit Schule gemacht, aber der Lehrplan ändert sich. Aus dem „Osten“ wurde „Mitte“. Die Gegend ist gentrifiziert und der SexShop in der Luxemburgstraße pleite – ein russischer Künstler hat ihn vor der Auflösung gerettet. Wer auch immer die Leitung dieses Hauses übernimmt, sollte nicht selbst zum Revisionisten werden und auch Impulse aufnehmen, die aus der Episode Dercon zurückbleiben – es kamen sehr gute Künstlerinnen und Künstler, die digitale Bühne, die Präsenz einer jüngeren Generation. Auch hieran kann angeknüpft werden.
Wenn man fünf Punkte für die Stellenausschreibung formulieren müsste, so würde zu ihnen aber vor allem zählen, dass es ein Wissen um diese besondere Manufaktur Volksbühne mit ihren Werkstätten und Technikern geben muss, dem enormen Wissen, das hier bewahrt wird; es zählte dazu sicher auch ein notwendiges Bewusstsein vom Leben und der Bedeutung der Salons der Volksbühne, die viel zum ständigen Leuchten und vitalen Sendebetrieb dieses Hauses beigetragen haben; genauso wie die seltsame, da intellektuelle und zugleich an Geschichten und Gefühlen interessierte Volksnähe der Volksbühne, mit der sich gut vertrug, dass sie den Menschen zunächst erstmal als Abgrund sah und die in der Tat weit entfernt war von der Denkweise von Kuratoren und deren Arbeit an abstrakten Formaten; hinzu kommt die Treue der Volksbühne zu Gegengeschichten, die dem Revisionismus der Sieger entgegen stehen; und schließlich ihr Interesse am Nichteindeutigen – all das sind Werte eines reifen künstlerischen Projekts, das in sich widersprüchlich blieb und weiter bleiben sollte. « Thomas Oberender ist Intendant der Berliner Festspiele. 1 Walther G. Oschilewski: Freie Volksbühne Berlin, Berlin 1965, S. 5. 2 Ebd., S. 7. 3 Ebd., S. 5. 4 Ebd., S. 17. 5 Anna Lowenhaupt Tsing: Der Pilz am Ende der Welt, Berlin 2018, S. 37f.
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Kathrin Tiedemann: Kurzstatement
Wem gehört die Volksbühne?
Kathrin Tiedemann
von Kathrin Tiedemann
Was ist die Besetzung eines Theaters gegen dessen Zerstörung durch eine ruinöse Kulturpolitik? In einem Artikel von Axel Lier in der „B.Z.“ vom 12. Juni 2018 lese ich unter der Überschrift: „Wieder Ermittlungen gegen die Volksbühnen-Besetzer“, dass nun die Generalstaatsanwaltschaft gegen die Besetzer der Volksbühne vom September vergangenen Jahres ermittelt. Offenbar waren die Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft zuvor bereits eingestellt worden. „Die anmaßende und unberechtigte Inbesitznahme bedeutender kultureller Freiräume und die Behinderung dort arbeitender Kulturschaffender war und ist nicht akzeptabel und kein probates Mittel vorurteilsfreier gesellschaftsrelevanter Diskurse“, so wird dort die Senatskulturverwaltung zitiert.
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Diesem Statement wäre in seiner Allgemeinheit möglicherweise zuzustimmen. Aber hier geht es um die Volksbühne. Und da liegt mit der Recherche der Journalisten John Goetz und Peter Laudenbach inzwischen offen zutage, in welchem Ausmaß die Senatskulturverwaltung Versäumnisse und Fehler im Falle der Berufung Chris Dercons zu verantworten hat. Spätestens seit dem ersten offenen Brief des Volksbühnen-Ensembles hätte die Möglichkeit bestanden, einzugreifen und die „kulturellen Freiräume“ zu sichern. Es hätte die Möglichkeit bestanden, Dercons Konzeption zu überprüfen und zu erkennen, dass sie weder künstlerisch überzeugend noch ökonomisch tragfähig war. Stattdessen ließ man dem Desaster freien Lauf. Offenbar möchte die Kulturverwaltung den Konflikt über die Frage, wer über die Zukunft des „bedeutenden kulturellen Freiraums“ zu entscheiden hat, von vornherein entpolitisieren: Die Besetzung wird als legitime Form des öffentlichen Protests diskreditiert, auf die Ebene des Straftatbestands reduziert und der juristischen Verfolgung überlassen. Das halte ich im Falle einer öffentlichen Institution, wie sie ein Theater im Allgemeinen – umso mehr im Falle der Volksbühne, in deren Geschichte, wie schon der Name sagt, Kämpfe der Selbstermächtigung eingeschrieben sind – für ein fatal falsches Vorgehen. Nach allem, was bisher über die Herbeiführung des Endes der Castorf-Ära öffentlich geworden ist, und nach all dem, was über den kulturpolitischen Größenwahn öffentlich wurde, mit dem der ehemalige Staatssekretär für Kultur Tim Renner und der Regierende Bürgermeister Michael Müller Chris Dercon als Intendanten der Volksbühne installiert haben, reicht es nicht aus, nun zu einem üblichen Intendantenberufungsverfahren und damit zum politischen Tagesgeschäft überzugehen. Ich befürchte allerdings, dass genau dies gerade geschieht, und frage mich, worin dann überhaupt der Sinn dieser zweitägigen Veranstaltung bestehen könnte. Statt den jetzigen Zustand der Volksbühne mit einer Interimsintendanz zu überbrücken, um Zeit für die Suche nach einer neuen Leitung zu gewinnen, hätte ich erwartet, dass der Nullpunkt, an dem sich die Volksbühne zurzeit befindet, genutzt wird, um die vielfältigen Verstrickungen von Kultur und Politik offenzulegen und aufzuarbeiten, wie in diesem konkreten Fall das Vertrauen in die Politik verspielt wurde. Ein solcher Prozess der (Selbst-)Aufklärung wäre nicht zuletzt aus Verantwortung gegenüber den verbliebenen Mitarbeitern der Volksbühne vonnöten. Gegenüber jenen, die als Künstler zum Ruhm der Volksbühne erst beigetragen haben – ohne sie wären wir heute alle nicht hier –, 13
Vorsicht Volksbühne! aber auch gegenüber jenen, die am Beispiel der Volksbühne ihren Protest gegen den Ausverkauf der Stadt artikuliert haben. Warum also nicht die Volksbühne selbst zum Ort der Aushandlung machen, an dem über die Zukunft dieses Theaters, über Fragen eines heutigen politischen Theaters, aber vielleicht auch darüber hinaus über eine neue politische Kultur weiter nachgedacht und gestritten werden kann? Gerade weil die Pläne für das Tempelhofer Feld und die Träume vom großen Investorengeld zerplatzt sind, sollte man sich die Auswirkungen der wachsenden Durchdringung von Kultur und Ökonomie vor dem Hintergrund der strategischen Bedeutung der Kultur für die Stadtentwicklung und die Prosperität Berlins immer wieder vor Augen führen. Um Kunst geht es dabei nicht. Während es in der alten Volksbühne zumeist um nichts anderes ging. Bevor man anfangen könnte, wieder über Kunst und ihre Produktionsbedingungen zu sprechen, müsste erst einmal geklärt werden, inwieweit sich die an der Diskussion Beteiligten in Bezug auf ein paar grundlegende Fragen überhaupt auf common ground begegnen (können). Es geht um die Frage, wem die Volksbühne gehört: Inwieweit ist ein Theater noch Gemeineigentum und ein öffentlicher Ort? Die Frage stellt sich im Zusammenhang mit der nach wie vor aktuellen Forderung nach freiem Zugang zu öffentlichen Gütern wie Wohnen, Verkehr, Energie, Daten, Bildung, Gesundheit, Kunst und Kultur. Ich denke, Klaus Dörr irrt, wenn er glaubt, dass sich die Frage der Volksbühne von der Wohnungsfrage trennen lässt, indem er sich als Intendant auf sein Hausrecht beruft: In der „Stuttgarter Zeitung“ wird Dörr wie folgt zitiert: „Wir haben den Aktivisten gesagt, dass wir eine erneute Besetzung nicht tolerieren werden. Es wird keine Selbstermächtigungen geben. Ich sehe auch keine Möglichkeit, mit ihnen zu kooperieren. Im Übrigen: der Vorwurf, Chris Dercon habe die Gentrifizierung weiter vorantreiben wollen, ist absurd. Berlin-Mitte und der Prenzlauer Berg sind längst gentrifiziert. Mit den Künstlern kamen die Kneipen, die Attraktivität der Bezirke nahm zu: normale urbane Prozesse zur Aufwertung von Quartieren, weltweit. Im Grunde ist das erfreulich. Das Problem ist nur, dass damit auch der Wohnraum teurer wird. Aber das könnte die Politik verhindern.“ Wenn diese einerseits rigide, andererseits pragmatische Haltung die Basis für die Zukunft der Volksbühne sein soll, dann sollte man den Laden besser gleich schließen – ein Theater an dieser Stelle wäre überflüssig. Diese Argumentation ignoriert nämlich die Bedeutung eines der zentralen Konflikte in der 14
Stadtgesellschaft Berlins, an ihm spaltet sich die Gesellschaft in arm und reich, oben und unten, in diejenigen, die Zugang haben, und diejenigen, die ausgeschlossen sind – mit allem, was an historischen Verwerfungen darunter liegt. Die Kritik an der Stadtentwicklung, die von vielen bestehenden Initiativen, die sich für eine andere Idee von Stadt, Öffentlichkeit und Teilhabe engagieren, aufzugreifen, könnte jetzt hingegen eine einmalige Chance für die Volksbühne sein – und für die Stadt! Gestatten Sie mir abschließend noch eine Anmerkung zum Thema „Beteiligungsprozess“: Ein solcher Prozess hat seinen Namen nur verdient, wenn es tatsächlich etwas mitzuentscheiden gibt. Und nicht, wenn er dazu dienen soll, bereits feststehende Entscheidungen über das Wesentliche zu legitimieren. Wie sich ein Planungsprozess „von unten“ erfolgreich organisieren lässt, hat unlängst die PlanBude in Hamburg im Falle der abgerissenen ESSO-Häuser gezeigt. Hier ist es einer Gruppe von Künstlern, Architekten und Stadtplanern gelungen, ein öffentliches Stadtplanungsverfahren mit den Bewohnern im Stadtteil St. Pauli durchzuführen, dessen Ergebnisse nun tatsächlich realisiert werden. Sie haben einfach einen Container direkt am Ort des Geschehens aufgestellt und die Wünsche und Vorstellungen der Anwohner aufgezeichnet. Diese waren so überzeugend, dass die Stadt der PlanBude schließlich den offiziellen Planungsauftrag erteilte. Ein Beispiel, wie künstlerische und politische Praxis zusammengeführt werden können, von dem einiges zu lernen wäre. Es zeigt, wie demokratische Prozesse vielleicht doch hier und da noch möglich sind. Stichwort: kollektive Wunschproduktion. « Kathrin Tiedemann ist künstlerische Leiterin des Forums Freies Theater Düsseldorf.
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Thomas Martin: Kurzstatement
Kultur ist Erzählung von Thomas Martin
Mir tut immer noch der Rücken weh, ziemlich weh. Gestern haben der Schauspieler Alexander Scheer, der Fotograf Just Loomis, der Filmregisseur Michael Busch und ich insgesamt vier Tonnen schwere Fotowände mit Fotografien aus dem Volksbühnennachlass durch Berlin geschippert. Das hat sechs Stunden gedauert. Diese Fotowände waren ein Jahr an der Stralauer Allee in so einem Self-Storage eingelagert. Von März bis Juni 2017 waren diese Wände eine Ausstellung in der Kassenhalle der Volksbühne. Sie zeigten die letzten Inszenierungen von Castorf, die man in besonderen Bildern eines Fotografen, der aus Los Angeles kommt, sehen konnte. Und mehr als die meisten Fotografien der letzten 25 Jahre, zeigten eben die des klassischen street photographers, der nie zuvor ein Theater betreten hat, die Energie der Schauspieler, Strapaze, Überdehnung und Entzerrung, Furor, Ekstase, Lust. „Rausch und Kontrolle“ haben wir die Ausstellung genannt. Rausch und Kontrolle war ein Jahr eingelagert und sollte jetzt auf den Müll. Die Werkstätten der Volksbühne haben das hergestellt, Rigips, Holz. Ein Bühnen-Bild. Es war sehr schwer, sehr solide, sah ziemlich toll aus. Und nach einem Jahr wollte niemand es haben. Wir wollten es zersägen und der Belegschaft schenken – zu schwer. Wir wollten es nach Avignon schicken – auch zu schwer. Einfach zu schwer, wie eine sehr gefährliche Metapher. Wir haben das der Akademie der Künste angeboten, die fand keinen Lagerplatz. Wir haben es dem Senat angeboten. Wir haben es dem Stadtmuseum angeboten. Wir haben es, ich weiß nicht, welchen Institutionen noch, angeboten. Niemand wollte es haben. Und am Ende sagte jemand von der Straße: „Stellt doch die Dinger einfach an die Mauer, an die East-SideGallery. Da ist doch so viel Kunst unterwegs, da fällt das gar nicht auf.“ Okay, machen wir. Wir finden keinen Parkplatz. Wir fangen an, diese Wände auszuladen, da kommt die Polizei. Also alles wieder rein und weiterfahren. Dann ruft Scheer irgendwen Bekanntes an in der Bar 25 in der Holzmarkt-Gegend. Dieses auch umstrittene Viertel, das mal eine autonome Exklave innerhalb der Stadt am Spreeufer war. Völlig überlaufen, von Touristen erobert, die vom morbiden Charme der Mauerreste schwärmen. Überteuerte Lokale und alles nur Platzhalter für die kommenden Townhouses. Wenn irgendwo der Begriff gentrifiziert passt, dann da. Wir laufen mit diesen Platten, die zwei Mann kaum tragen TdZ 08 / 2018
können, durch die Menge und stellen sie irgendwo in eine Bar und sind eigentlich nur froh, dass das hinter uns liegt. So viel zum Thema Vergangenheit. Wenn man wissen will, wo vorne ist, wie Oberender sagt, muss man natürlich auch wissen, wo hinten ist. Insofern sind die Traditionslinien, die ich immer wieder benenne und die man nochmal aufrufen sollte, wichtig. Es war ein großer Fehler der Zwischenepisode Dercon, die zu ignorieren. Ein Begriff, den ich eigentlich nicht leiden kann, der mir aber heute sehr gefallen hat: Beratergremium. Das müsste man herstellen. Ein anderer Begriff: weltgrößte Besucherorganisation. Die Volksbühnenbewegung, die es mal gab. Vielleicht ist sie ja noch da. Wir wissen im Moment nur nicht, wie sie aussieht. Wir kennen diese Organisation nicht, weil es die in organisierter Form eben nicht gibt. Es gibt verschiedene Organisationen verschiedener Formen, die kann man versuchen zu bündeln. Es gibt Staub zu Glitzer und es gibt zwei Online-Petitionen, eine kleine mit 3000 Stimmen, eine gewaltige mit 40 000 Stimmen. Wahrscheinlich auch noch weitere, die ich gar nicht kenne. Es scheint mir sinnvoll, die zu bündeln, um diese öffentlich noch etwas zerfahrene Debatte zu strukturieren. Unser Kongress heute könnte der Anfang eines solchen Beratergremiums auf der Basis einer organisierten Bewegung sein. Und es wäre das erste Mal – ist ja schon das erste Mal, jetzt eben hier –, dass die Zukunft eines deutschen Theaters in der Öffentlichkeit derart diskutiert wird und diskutiert werden kann. Anfang September letzten Jahres habe ich mich mit Christian Grashof getroffen, Sektion Darstellende Kunst, und habe ihm diesen Kongress angetragen. Damals war die Intention: Man müsste einmal all die Verantwortlichen, die seit April 2015, seitdem Dercons Intendanz bekanntgegeben wurde, all die Beteiligten aus der Politik, aus der Presse und all die Künstler auf ein Podium setzen, um das an einem Ort zu diskutieren. Und nicht nur an verschiedenen Stammtischen, Klubs, Akademien oder Feuilletons. Anfang Januar habe ich mich dann mit Mitgliedern der Akademie getroffen, die sich schließlich dazu bereit erklärt haben, diesen Kongress hier auszurichten. Dann ging die Suche nach Teilnehmern los: Als erstes muss unser Ensemble her, das alte, gar nicht so große Ensemble der Volksbühne. Es wurde schwer. Vor zwei Stunden hat Alexander Scheer abgesagt, der letzte, der noch kommen wollte. Er wäre der einzige von den Schauspielern gewesen. Viele haben gesagt, sie müssen sich abnabeln von dieser Geschichte, sie können nur noch mit Schmerz darüber reden oder sie werden verrückt. René Pollesch hat lang überlegt: „Komme ich, komme ich nicht? Nein, es würde mich zu sehr verletzen.“ Er ist auch nicht der Podiumstyp. Her15
bert Fritsch sagte ganz am Anfang: „Ja, ich werde da reden.“ Und dann: „Ich weiß gar nicht mehr, was ich sagen soll.“ Dazwischen liegen Monate und ich verstehe jeden einzelnen, der es nicht schafft, hierherzukommen. Es ist nicht unbedingt eine unterhaltsame Veranstaltung, doch schön, hier noch ein paar Überlebende der Volksbühne zu sehen. Und ich hoffe, dass sich alle äußern. Für mich selbst ist der Rosa-Luxemburg-Platz ein besonderer Ort. Ich war das erste Mal 1977 als Kind mit der Schulklasse dort im Theater. Es gab ein Stück, das hieß „Die Bauern“, schon der Titel war eine Qual. Und dann kam das Licht auf die Bühne, und da war eine riesige Treppe zu sehen, auf der grobschlächtige Schauspieler, grell geschminkt zotige Witze in sehr imposanter Sprache erzählten. Es gab echte Fahrräder, echte Küsse und, wie mir schien, echte Betrunkene dazu. An viel mehr kann ich mich nicht erinnern, Fritz Marquardt hat das inszeniert. Es war sensationell. Es hat mein damals sehr kleines Weltbild geöffnet. Ich war danach ein paar Mal im Berliner Ensemble, im Deutschen Theater, kam aber immer wieder zurück in die Volksbühne. Da gab es Inszenierungen wie „Die Schlacht“ von Heiner Müller, in der Regie von Karge/Langhoff. Da saßen vielleicht 150 Zuschauer drin. Das sind in der Volksbühne drei Stuhlreihen, da ist nicht viel los. Es war eine grelle und eine unglaublich kräftige Inszenierung. Frech. Wenn man jung ist und in der DDR aufgewachsen, guckte man sich manchmal um: „Darf so etwas überhaupt gesagt werden?“ Dieser Mut zum Besonderen, auch der Mut vor einem leeren Haus zu spielen, war interessant. Die Vielfalt der Formen, die versteckt in schwer zugänglichen Stoffen lag. „Leonce und Lena“, inzeniert von Jürgen Gosch – der Hofstaat als vergreistes, verclowntes Politbüro, der Prinz und sein Diener als Aussteiger aus der verkrusteten Gesellschaftsstruktur – nach kurzer Zeit verboten. Das waren Dinge, die ich nur bedingt bewusst mitbekommen habe, kaum verstanden. Zu verstehen war, dasss hier eine Gegenbewegung am Werk war, die über das hinausging, was allein Theater betraf. Und ab 1992, nachdem diese DDR, in der wir lebten, als Staatskonstrukt untergegangen war, blieb die Volksbühne und kam erst richtig auf Touren. Das, was ich die Gegenrepublik nenne, hat bis zum letzten Sommer am Rosa-Luxemburg-Platz existiert. Und das bedeutete die gemeinsame Arbeit von sehr unabhängigen Künstlern aus dem Osten, aus dem Westen, an einem Gesellschaftsmodell, das sich mit der Halttung einer ertrotzten und selbstbestimmten Avantgarde daran machte, die Theaterformen neu aufzumischen, das nie rein formal war und auch vor der Politik nicht halt machte. Was ich nicht mehr erlebt habe, sind die 16
Besson-Inszenierungen. Besson, der ganz wichtig war für diese Bühne und nicht nur als neutraler Schweizer sagenhaftes Theater und Spektakel gemacht hat, sondern das Theater für die Straße geöffnet hat. Er machte es, weil er aus einer bestimmten Schule kam. Und die Schule heißt Brecht. Besson hatte es am Berliner Ensemble schwer nach Brechts Tod, am Deutschen Theater leichter. Er hat dort seine Welterfolge „Der Frieden“ und „Der Drache“ gesetzt. Und bevor er an die Volksbühne kam, gab es die Generalintendanz von Wolfgang Heinz, der in einer dieser zahllosen Volksbühnen-Krisen, das Deutsche Theater, das Maxim-Gorki-Theater und die Volksbühne zusammen leiten sollte. Ich glaube, er hat ein bisschen länger durchgehalten als Dercon. 1969 kam Besson und mit ihm fing das Theater an zu tanzen. Es gab die sogenannten Volksbühnen-Spektakel. Da wurde zum ersten Mal das gemacht, wovon Piscator noch geträumt hat: Dieses Haus, den Baukörper selber, als Theater zu benutzen, zu bespielen, zu bespucken, zu beleuchten, zu beschmieren und einfach ringsherum, oben, unten, nur zu spielen und Theater zu machen. Ich kann mich nur dunkel erinnern an die sehr hell strahlenden Weltfestspiele 1973, den Alexanderplatz. Wenn ein Besson-Spektakel stattfand, war das wie die Weltfestspiele. Die Stadt lief in das Theater, die Volksbühne. Das war mit Bessons Weggang 1977 wieder beendet, ein heftiger Schnitt. Das hieß aber nicht, dass es in der Volksbühne einsam wurde. Es wurde sehr speziell: Heiner Müller fing an zu inszenieren, er machte „Der Auftrag“. Jürgen Holtz raste halbnackt wie ein Irrer dutzende Male zwischen den Brandmauern im 3. Stock hin und her und wuchtete sich gegen die Steine. Poesie und ungeheure Physis. Die düstere Müller-
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Thomas Martin
Vorsicht Volksbühne!
Thomas Martin: Kurzstatement Ästhetik, die Endgültigkeit seiner Verse. 1982 kam „Macbeth“ auf der Großen Bühne, das total unverständliche, alles wieder in Frage stellende, modernistische Theater, sehr angegriffen von der damaligen Kulturpolitik. Und dann war es nicht mehr lange und es kam der Mauerfall. Zuvor gab es noch eine auffällige Sache: eine Art staatlich verordnetes Berlin-Spektakel im Sommer 1987. Es gab an abgelegenen Orten – im Keller, in der Kantine, unterm Dach, im 3. Stock und sonstwo – kleine Arbeiten von unbequemen Autoren wie Lothar Trolle und den Brasch-Brüdern zu sehen. Und es fiel sogar der Name Schleef, der allerdings nur im Westteil der Stadt arbeiten konnte. Besondere Sachen in den Winkeln dieses Theaters, die mehr transportiert haben über die Gesellschaft, über die Stadt, als das, was auf der Großen Bühne gezeigt wurde. Berlin ist – wir wissen es alle, wir behaupten es alle – eine besondere Stadt. Nur wissen wir gerade nicht, wo vorne ist. Wir wissen nur, wo hinten ist. Wohin Berlin sich entwickelt, diese besondere Stadt – wer weiß es schon? Die Volksbühne: Fragezeichen. Der Holzmarkt, über den ich gestern mit diesen Platten spazierte und wo sich die ganze Stadtgesellschaft in ihrer Verschiedenheit trifft, ist ein interessanter Ort, weil er Entwicklung sehr komplex und komprimiert wiedergibt. Ein Thema für die Stadtentwicklung, für den Tourismus. Benjamin konnte behaupten: Paris ist die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts. Goldsmith sagt: New York ist die Hauptstadt des 20. Jahrhunderts. Ist Berlin die des 21. Jahrhunderts? Ich glaube kaum. Möglicherweise in der Hinsicht, dass Berlin – das kaum etwas anderes hat als Kultur, keine Industrie, keine Wirtschaftsmacht, nur eine politische Administration, ein historischer Ort, an dem die Regierung sitzt –, dass Berlin ein großer, Kultur saugender Schwamm ist. In der U-Bahn, im Berliner Fenster, steht: „Berlin ist die Hauptstadt der mittelständischen Betriebe“. Wahrscheinlich sind das alles Kneipen. Berlin als Partyhauptstadt? – oder wo geht Berlin hin?
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Ich glaube, wenn Berlin als Hauptstadt für etwas einstehen kann, dann ist es Reflexion. Kultur als Reflexion, Kultur als Erzählung, Erzählung als Hinterfragung. Das heißt vor allem, sich selbst in Frage zu stellen. Wenn wir Volksbühne mit Stadtgesellschaft verbinden, sind wir aufgefordert, darüber nachzudenken, was die Stadt ist. Was ist dieses besondere Stadttheater? Es war immer gut, wenn es sich auf diese Stadt bezogen hat. Und es hat diese Stadt tatsächlich groß gemacht. Stadttheater heißt, die Stadt ins Theater zu holen. Es heißt nicht Lokalpatriotismus, nein. Es heißt, über den Tellerrand gucken und sehen, was mit dieser in der Welt zentral gelegenen Stadt passiert. Wenn wir die Frage nach dem Theater, der Volksbühne, stellen, müssen wir die Frage nach der Stadt stellen. Im Moment heißt die Frage wieder: „Wie können wir die Volksbühne retten?“ Vor ein paar Jahren, während der Hundert-Jahrfeier der Volksbühne, fiel mir dieser schöne Satz von Brecht in die Hände. Wie wäre die Volksbühne zu retten aus der großen, nach dem Abgang von Piscator entstandenen Krise, die sich von 1927 bis 1930 hinzog. Von jungen Volksbühnenmitgliedern wurde ein „Kampfblatt für proletarisches Theater“ gegründet, sie starteten eine Umfrage: Welche Wege führen aus der Krise? Brecht schreibt: „Bereitet dem Vorstand seelische Aufregungen, soweit dies möglich ist. Dann geht der Vorstand vielleicht früher mit Tod ab, als jetzt zu befürchten steht. Ich meine wirklich, daß diese Leute, die sich im Besitz des schönen Hauses und so vieler frecher Ausreden gesetzt haben, einfach körperlich verschwinden müssen.“ – Man muss die Leute nicht gleich umbringen, aber die seelischen Aufregungen, die man dem Vorstand, bereiten sollte, da sollte man nicht hinten anstehen, damit umgehend loszulegen. Sobald der Vorstand da ist. « Thomas Martin ist Autor und Publizist. Von 2010 bis 2017 war er Hausautor und künstlerischer Produktionsleiter an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.
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Annett Gröschner
Klaus Dobbrick
Frank Raddatz
Oliver Kranz (Moderation)
Ulrike Köhler
Thomas Martin
Hartmut Meyer TdZ 08 / 2018
PANEL 1
Vorsicht Volksbühne!
„Mythos Volksbühne“ Oliver Kranz: Die Karre ist im Dreck. Natürlich interessiert jeden, wie es weitergeht. Wir reden jetzt aber nicht über die Zukunft, sondern über den „Mythos Volksbühne“. Von Annett Gröschner habe ich gehört, dass ihre erste Erfahrung mit der Volksbühne schon in den frühen 1980er Jahren war, „Macbeth“ von Heiner Müller. Das war eines der Theatererlebnisse, die ihr in Erinnerung geblieben sind. Warum ist das so? Annett Gröschner: Jeder hat ja sein eigenes Berlin und mein Berlin ist auch durch dieses Gebäude der Volksbühne beschrieben. Daher war es im letzten Jahr ziemlich furchtbar, daran vorbeizugehen. Für mich war die Volksbühne von Anfang an, als ich nach Berlin kam, der Ort, an den ich auch regelmäßig gegangen bin – nicht so intensiv zwischenzeitlich, weil es in der Geschichte der Volksbühne immer Atempausen gab, in denen eigentlich nichts passierte, in denen das Theater auch nicht gut war. Aber der „Macbeth“ 1982 war einfach so ein intensives Theater, das sich eben danach an der Volksbühne auch weiterentwickelt hat. Ja, diese ungeheure Energie! Es war damals auch eine Corinna Harfouch, die hochschwanger die Lady Macbeth gespielt hat und damit eine Vorgabe für Theater geliefert hat. Das ist sozusagen das Urerlebnis für gutes Theater, das ich vorher nicht so gekannt hatte. OK: Also Theater, das abhebt durch die Energie, die die Schauspieler auf die Bühne bringen. Wir haben gerade über die Zukunft spekuliert: Ich möchte, dass jeder aus dieser Runde sagt, wie er sich die zukünftige Volksbühne erträumt. Hartmut Meyer: Das ist eine Frage, auf die ich nicht so richtig vorbereitet bin. Ich bin ja eigentlich derjenige, der den Anfang mitgemacht hat, also von 1992 bis 96, aber eigentlich gehöre ich zu der neolithischen Phase von Frank Castorf, die weit in der Urzeit zurückliegt, nämlich in Anklam. Durch Frank Castorf, der dann die große wichtige Figur dieser Volksbühne wurde, hat all das funktioniert, obwohl er gar nicht so ein super Intendant war, was er mir selber immer gesagt hat: „Oh, ich bin ein bisschen schlampig, ich müsste eigentlich viel ordentlicher sein.“ Aber das hat trotzdem alles funktioniert. Wahrscheinlich steckt darin das Geheimnis, dass er das nicht perfektioniert hatte, sondern viele 20
Leute doch sehr frei und sehr offen miteinander gearbeitet haben.Castorf sagte immer: Wir müssen erstmal diese Tradition wieder herkriegen. Also was ist das eigentlich – ein Volkstheater? Mir ist damals gar nichts anderes eingefallen als dieses Pathetisch-Große: immer mit Pappe, immer große Aktionen, um dann aber jämmerlich zu scheitern. Darin bestand der Humor. Die Selbstironie war bei uns immer ganz wichtig, das Pathos und die Selbstironie des Scheiterns. Einerseits hat Castorf die Möglichkeit gesehen, ein Volkstheater zu machen, und andererseits hat er versucht, viele Leute dazu zu holen und zu integrieren: Lilienthal, Marthaler, Schlingensief. Das waren alles Leute, die potentielle Konkurrenten waren, aber er hat sie in diesen Apparat Volksbühne reingeholt und sie waren großartige Protagonisten in diesem gemeinsamen Spiel. Thomas Martin: Was die Volksbühne relevant und renitent gemacht hat und heute relevant und renitent machen kann – wofür und wogegen –, das muss wiederentdeckt werden. Und das ist im Wesentlichen die Gesellschaft, die Stadtgesellschaft – dieser gefährliche, ephemere Begriff. Der kann an der Volksbühne scharf gemacht und genutzt werden. Was ich mir wünsche, ist jetzt erstmal ganz konventionell: Theater auf der Bühne. Ich wünsche mir mehr Inszenierungen oder überhaupt Inszenierungen. Ich wünsche mir Schauspieler, ich wünsche mir die Verhandlung von Themen, die sich mit unserer Gesellschaft befassen, die in die Tiefe, auch die historische, die durch die Zentren und an die Ränder der Gesellschaft gehen. Die müssen auf der Bühne verhandelt werden. Und das muss natürlich nicht nur durch Theater sein. Diskurs kann ja ganz viele verschiedene Formen haben – er muss aber wieder zurück auf die Bühne kommen. Ins Spiel. Nur mit Reden kriegst du kein Theater voll. Ulrike Köhler: Das Gute ist, dass ich eigentlich keine Utopie zum Haus haben muss und auch nicht haben musste, sondern dass ich Begegnungen mit Menschen hatte, die das für mich hatten und die mir davon abgeben konnten und das durch die Abteilungen getragen haben. Das ist es, was ich mir zukünftig auch wünsche: autonomes, angstfreies Arbeiten. Mit einem großen Respekt vor allen Abteilungen, ohne dass alle Abteilungen mitsprechen mussten, wenn es um Belange ging, die bühnenrelevant oder dramaturgisch relevant waren. Also das Gute war: Wir mussten das nicht und das möchte ich auch gar nicht. Ich bin tatsächlich ein Freund davon, dass jeder tut, was er gut kann. Die Leute sollen mitsprechen, aber nicht unbedingt entscheiden über Dinge, die ein Theater angehen. TdZ 08 / 2018
PANEL 1 Ich war bei der Besetzung dabei. Ich fand es interessant, dass sowas passiert. Mein Herz schlägt grundsätzlich für ein solches Einschreiten. Ich bin aber nicht dafür, dass alle mitbestimmen. Unser Theater hat nie wirklich demokratisch funktioniert, musste es auch nicht, weil die Verlässlichkeit da war, dass jeder tut, was er kann. Frank Raddatz: Keine einfache Frage. Wichtig wäre es, in der gegenwärtigen Situation in Berlin, dass man sich international aufstellt. Das wäre Berlin als Kreuzpunkt zwischen West und Ost angemessen. Aber nicht in dem Sinne von Dercon: Das Dercon-Konzept war, sich hier und da einen Leckerbissen zu nehmen, um die Sachen, die woanders erfolgreich waren, zu präsentieren, um damit auf Nummer sicher zu gehen und das Theater zu festivalisieren. Nur hat er schlechte Scouts gehabt, deswegen hat das nicht funktioniert. Interessant wäre eine kontinuierliche Arbeit mit Ländern wie Libanon, Russland, China, aber nicht im Sinne einer politischen Korrektheit, sondern um eine Gegengeschichte zu etablieren, um ein gegenläufiges Zentrum zu bilden und eine Strahlkraft zu entwickeln, die eine andere Geschichte der Globalisierung erzählt. Keine Kooperationen, wo das satte Europa den anderen zeigt, wo es lang geht. Stattdessen Kooperationen als wirkliche Begegnungen. Das knüpft insofern an die Volksbühne an, weil Castorf und Neumann selber etwas gemacht haben, das mit dem Dispositiv der Geschichte zu tun hat. Von „Rheinische Rebellen“ bis „Faust“ ging es doch immer wieder um das Bewusstsein von Geschichte und den Umgang mit dieser Geschichte, die heute ausgelöscht wird. Diese Sensibilität war ganz stark durch die Ostsozialisation beeinflusst – im Sinne von Heiner Müllers Axiom: „Man muss die Toten ausgraben, wieder und wieder“ oder „Nekrophilie ist Liebe zur Zukunft“. Diese Auseinandersetzung mit der Geschichte muss man retten, wenn man wirklich mit dem Erbe dieser Ära umgehen will. Diese Konfrontation mit Geschichte bestimmte wesentlich das Einzigartige dieses Theaters in der deutschen Theaterlandschaft. Und ohne eine Obsession an einer Vergangenheit, die in Wahrheit immer noch Gegenwart ist, wird man nur so gut oder schlecht im Theater-Mainstream schwimmen wie die anderen auch. Ich fände es toll, wenn man an diesem Punkt etwas fortsetzen könnte. Klaus Dobbrick: Mir geht es ähnlich wie Ulrike Köhler. Dieser Schock über das brutale Ende der Castorf-Zeit sitzt mir noch ein bisschen in den Knochen. Die letzten Monate haben einen gewissen Abstand geschaffen, aber für eine Utopie habe ich, ehrlich gesagt, noch keine wirklichen Vorschläge. Ich glaube, dass wir in der VolksTdZ 08 / 2018
bühne tatsächlich eine Arbeitsweise erlebt haben, die sehr einmalig ist. Für mich ist absolut wichtig, dass es ein politisches Theater bleibt. Diese ganzen Extreme, die vorhin kurz aufgeblitzt sind, was alles auf die Volksbühne projiziert wird, sind ein kleiner Vorgeschmack, aber dennoch: Die Volksbühne ist vor allem ein Theater und die Volksbühne war immer ein Theater – ein Sprechtheater in erster Linie. Ich war mit fünf, sechs Jahren das erste Mal in der Volksbühne und das Theater war sehr früh ein unglaublich spannender Ort für mich, auch schon vor der Castorf-Zeit. Ich kann mich an ein paar Bilder von Benno Bessons Spektakelzeiten erinnern – das war für mich der Anfang. Ich habe manche Schauspieler später, als ich selber dort gearbeitet habe, wiedergetroffen. Für mich ist die Volksbühne ein Teil meiner Geschichte, auch wenn ich vor einem Jahr ernsthaft darüber nachgedacht habe, zu sagen: Jetzt ist der Punkt gekommen und ich muss nochmal von vorne anfangen. Ich habe mir dann aber überlegt, dass diese Zäsur sehr hart war, ich aber erstmal abwarten und gucken möchte, was da passiert. Denn ich habe auch Lust auf Neues. Ich glaube, wir brauchen nicht darüber zu philosophieren, wohin es gehen kann, indem wir alles wieder zurückdrehen. Ich halte es aber auch für nicht sehr klug, zu sagen: Wir machen jetzt alles neu, indem wir alle schlagartig zwanzig Jahre jünger werden oder indem wir nur noch Frauen an das Ruder lassen. Ich bin für alles offen; ich fände es auch großartig, wenn sich herausstellt, dass eine Frau oder zwei oder drei Frauen die Leitung dieses Hauses übernehmen. Es ist alles denkbar, weil auch vorher alles denkbar war. Es war unter Castorf sehr viel denkbar und es ist auch Unsinn passiert. Es gab Jahre, in denen man sich eine Veränderung gewünscht hat, aber unterm Strich ist dort sehr viel Ungewöhnliches passiert, und diese Situation kann man nicht mehr wieder herstellen, selbst wenn man jetzt versucht, für bestimmte Positionen wieder die gleichen oder ähnlich gute Leute zu finden. Das werden wir nicht schaffen. Aber wir müssen darüber reden, warum was dort wie passiert ist und dass auch das Politische in diesem Theater immer die DNA gewesen ist. Wenn wir das verlassen, dann ist die Volksbühne eigentlich überflüssig. AG: Die Volksbühne hatte ja ihre besten Zeiten immer dann, wenn sie an Vorheriges angeknüpft und das weiterentwickelt hat. Besson hat an Piscator angeknüpft und Castorf dann wiederum an die beiden. Wenn man sich die Volksbühne ansieht, wie sie in der Stadt liegt, ist das ja fast wie ein Tanker oder wie ein Panzerkreuzer. Dieser Panzerkreuzer kann so wahnsinnig tot sein wie in dem letzten Jahr. Es gab aber in der Geschichte der 21
Vorsicht Volksbühne! Volksbühne auch immer sehr viele Beiboote, die in die Stadt geschickt worden sind. Das war schon in der Zeit der proletarischen Volksbühne so, dass es lauter kleine Volksbühnen in der Stadt gab. Diese Verankerung in der Stadt war immer extrem wichtig für diese Bühne und ist auch weiterhin wichtig – genauso wie das Internationale wichtig war und in der Zukunft wichtig sein muss. Das hat in dem letzten Jahr überhaupt nicht funktioniert: dass man sich aus Angst, dass man piefig ist, irgendjemand von außen holt. Aber die Volksbühne selber ist ja eigentlich ein Exportartikel für die Theaterlandschaft überall in der Welt gewesen. Ich bin viel mit She She Pop unterwegs gewesen und da war überall, wo wir waren, von der Volksbühne die Rede und davon, was da passiert ist. Das ist etwas, bei dem wir auch mehr Selbstbewusstsein haben müssen: Sowas ist in Berlin möglich, weil wir wahnsinnig viele Leute hier haben, die eben gute Kunst machen. Mittlerweile ist Berlin wie so eine Art Arche Noah für Künstler aus allen möglichen Schurkenstaaten oder Quasi-Diktaturen. Auch das wird eine Form der Weiterentwicklung sein: Wir werden diverser und weiblicher werden, einfach weil diese Stadt sich verändert hat. Das wird auch die Zukunft sein, wenn dieses Theater leben will. OK: Die Volksbühne hatte in der Castorf-Zeit den Schriftzug „OST“ auf dem Dach. Auch das gehört zu ihrem Mythos. Frau Köhler, haben Sie sich als Mitarbeiterin eines Osttheaters gesehen? UK: Ja, einfach weil ich im Osten geboren bin, da gelernt habe. Das ist ein Theater, das ostsozialisiert ist im Kern der Mitarbeiter. Insofern ist es ein Osttheater, das sozusagen aus der Sozialisation, aus dem kulturellen Verständnis, aus dem Verständnis miteinander in den Westen übergegangen ist und sich damit auseinandergesetzt hat. Mit dieser Kraft kamen Castorf und Bert Neumann und die beiden haben aus unserer Geschichte, die wir mitgebracht haben, den Außenblick auf das Land, in das wir sozusagen gekommen sind, schwenken lassen, haben das reflektiert, sich damit auseinandergesetzt und viele Dinge immer wieder in Frage gestellt.
KD: Ich bin auch aus dem Osten, aber an die Volksbühne aus dem Westen gekommen, weil ich vorher sechs Jahre in München war. Es war definitiv kein Osttheater, sondern erstmal ein Gebäude, das im Osten steht, umgeben von einer noch überwiegend ostdeutschen Bevölkerung – mit abnehmender Tendenz. Im Haus hatten aber nach der „Wende“ etwa die Hälfte der Leute keine Ostbiografie. In den letzten 25, 26 Jahren wurde nicht der Osten pur in einer nostalgischen Form verhandelt, sondern in erster Linie Theater für die Menschen gemacht, die dort wohnen, die ja auch in Form von Steuergeldern dafür zahlen. Man hat versucht, deren Geschichte, deren Ambivalenz und Erfahrung in der neuen Gesellschaftsform, deren Hoffnung und auch Enttäuschung irgendwie zu formulieren und zwar nicht geradlinig, sondern mit sehr krassen und auch mit sehr unterhaltsamen Mitteln. Das Theater war oft einfach nur schräg und hat Spaß gemacht. Es hat aber auch immer den Anspruch gehabt, die Dinge zu verhandeln, die gerade relevant sind. Wenn ich an die Schlingensief-Zeit denke: „Berliner Republik“ war auf Augenhöhe mit der Entwicklung der Bundesrepublik, mit der Entwicklung der Bundeshauptstadt, letztlich mit der gesamten aktuellen politischen Entwicklung. Ein Tag vor dem Rücktritt von Lafontaine als Finanzminister hat er in der Volksbühne auf einem Sonderparteitag der SPD noch eine Rede gehalten und danach hat Schlingensief backstage mit Bernhard Schütz alias Gerhard Schröder und Irm Hermann alias Doris Köpf dieses berühmte Foto geschossen. Da war das Theater tatsächlich relevant und das ist natürlich ein Traumzustand. Da ging es nicht nur um den Osten, sondern um viel, viel mehr. OK: Einen schönen Satz zum Thema Osten habe ich in einem Artikel von Annett Gröschner gelesen: Unter dem „OST“ auf dem Dach der Volksbühne hätten sich Leute gesammelt, die das Individuelle im Kollektiv lebten. Wie haben Sie das gemeint?
AG: Wir, die wir aus dem Osten kamen, hatten eine bestimmte Ästhetik, eine bestimmte Art zu arbeiten, eine bestimmte Art miteinander zu reden. Dafür, dass das auch etwas war, das man einbringen konnte in diese neue gemeinsame Gesellschaft, war die Volksbühne OK: Der Schriftzug ist ja bewusst vieldeutig und man kann sagen, er ist auf das Dach gekommen in einer Zeit, auch ein Ort, an dem das einfach stattgefunden hat als die DDR abgeschafft wurde und viele im Osten eher und auch eingefordert wurde – und nicht so klein, sonverbergen wollten, dass sie aus dem Osten sind. Insofern dern ganz klar und auch provokativ: Hier sind wir und hat es was Trotziges. Trotzdem muss man auch sagen: ihr müsst mit uns klarkommen. Das war etwas, das die Viele, die an der Volksbühne gearbeitet haben, waren Volksbühne zwanzig Jahre lang getragen hat, aber jetzt Künstler, die aus dem Westen gekommen sind. Ostidenti- auch erledigt ist oder in einer gewissen Weise nicht mehr so weiterzumachen. tät an diesem Haus – wer möchte dazu was sagen? 22
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PANEL 1 Wir haben jetzt ganz andere Herausforderungen. Das sehen wir jeden Tag, wenn wir in das Netz gehen oder in die Zeitung gucken. Wir haben noch ganz andere Kämpfe zu kämpfen in der Zukunft und die Volksbühne muss eine Bühne sein, die damit ganz offensiv umgeht. FR: Ich kann das zwar nicht als jemand sagen, der das selbst erlebt hat, aber dieses Haus hat eine Anarchie nach außen vermittelt und auch gelebt. Das war als ein Unterscheidungsmerkmal zu den anderen Stadttheatern im deutschsprachigen Raum schon signifikant. Dabei war es kein Produktionshaus sondern ein Stadttheater, aber ein Anti-Stadttheater, bei dem das Funktionieren bzw. die Effizienz nicht an oberster Stelle stand. Es war meine Intention bei diesen Rechercheinterviews in „Republik Castorf“ in den Gesprächen mit den dort schaffenden Künstlern, Schauspielern und Regisseuren herauszubekommen, wo diese anarchische Kraft herkommt, die ich als eine Kraft der Fülle und des Überschusses wahrgenommen habe. Mich interessiert, wie sich diese Kraft organisiert oder formt, um für künftige Schauspielergenerationen oder Künstlergenerationen zu archivieren, mit welchem Spirit dort an die Sachen herangegangen wurde. HM: Genau. Wir sollten nicht über Immobilien sprechen, wir sollten über den Geist sprechen, der Menschen beflügelt, Theater zu machen. Es war ein sehr freier Geist und es hat natürlich auch einen Reiz, diesen Panzerkreuzer zu bezwingen. Der Gedanke war nicht, das Haus zu haben, sondern dass Theater etwas Nomadisches ist: also sich rumtreiben und aus dem theatralischen Geist, dem Volkstheatergeist oder aus dem anarchischen Prinzip heraus, Theater zu machen. Das ist eine geistige Auseinandersetzung. Wenn wir über Volksbühne reden, über das, was in Zukunft stattfindet, sollten wir zuallererst an die Inspiration denken und die Menschen, die darin inspirativ arbeiten könnten. TM: Dieser Geist existierte offenkundig auch schon vor 1992 in der Volksbühne. Ich für meinen Teil verbinde damit eben auch das Gebäude. Es ist ein merkwürdiger Ort. Er ist nicht schön; es gibt abseitige Bereiche, geheimnisvolle Katakomben. Die berühmte Kantine ist nur der kleinste Teil. Die Aura hat etwas mit dem Geist dieses Hauses zu tun und der ist offenbar immer weitergereicht worden. Nur ewig wird der nicht in dem Gemäuer bleiben. Er bleibt nur durch die Menschen, Künstler, die dort arbeiten. Die Kunst machen. Und die zeichnet sich durch Unberechenbarkeit aus. Die ist wirklich kein Verwaltungsakt und kein Diskurs. TdZ 08 / 2018
Sie entwickelt immer neue Formen, entwickelt eine aus der anderen. Und dafür war, ist die Volksbühne prädestiniert. Denn genau dort kann man wunderbar unbändiges Theater machen und tatsächlich die Welt bewegen. Wie Christoph Menke das sagt: ein unwahrscheinliches, gänzlich unzeitgemäßes Vertrauen in die Kraft der Kunst. Wenn man die Ästhetik, die Form ernst wie das Leben nimmt, wirkt sie weltverändernd. Und diese Kraft ist die Basis einer neuen Form von Kritik. Die muss man immer wieder suchen. Und dieses Schauspielhaus in der Mitte Ostberlins ist ein ideales Gefäß dafür. Man hat eine unglaublich große Bühne, einen vergleichsweise großen Saal – auf eine Art sogar ungeeignet für reines Sprechtheater, sehr kompliziert für die leisen und die Zwischentöne. Das Theater schreit danach, dass man dort Wände einreißt und hart und laut Musik macht, am besten noch auf dem Rang spielt und im Tiefkeller und oben auf dem Dach. Was ein klassisches schönes Theater, wie etwa das Deutsche, nicht so suggerieren würde. OK: Die Frage ist: Was entfesselt diese Energie? Eine Sache, die ich in vielen Schauspielerinterviews gelesen habe, war, dass Castorf nichts vorgeschrieben hat. Ist das eine Erfahrung, die Sie in den frühen 1980er Jahren, als Sie mit ihm zusammengearbeitet haben, auch schon gemacht haben? HM: Das ist ein komplizierter Prozess. Das verstehen Journalisten auch häufig nicht, die schreiben: Der Regisseur wünscht sich etwas und der Bühnenbildner macht das. Das stimmt nicht. Gerade bei den guten Regisseuren – und Castorf war ein sehr guter – ist das natürlich nicht so. Genauso wie mit Schauspielern ist es mit allen künstlerischen Partnern eine Situation der kreativen Freiheit, die da herrscht. Natürlich auch der großen Verantwortung. Das war ein Kampf auf einem höheren Level, der ausgetragen werden musste. Genauso hat er seine Intendanz gemacht. Die Leute waren in einer bestimmten Hinsicht frei, die durften auch anarchisch sein, aber es gab Regeln, die sich durch die Arbeit miteinander ergeben haben. Das ist nicht etwas, das nur von einem Haus kommt oder von einer Kantine. OK: Wie viel Freiheit hatten Sie als Leiter der Ton- und Videoabteilung, wie viel konnten Sie bei der Musik in einer Inszenierung entscheiden, was hat Castorf vorgegeben? KD: Als ich in die Volksbühne gekommen bin, kannte ich dieses Arbeitsprinzip gar nicht, sondern nur die Arbeitsweisen, dass ein Regisseur da ist und seinen 23
Vorsicht Volksbühne! Komponisten mitbringt oder eine CD. Meine erste Produktion mit Castorf war „Endstation Amerika“ und da war nichts klar. Er sagte: „Spiel doch mal diese Sache da.“ Dann fehlte mir der Background, weil ich noch nie mit Castorf gearbeitet hatte. Ich habe dann erstmal bei den Kollegen rumgefragt, was er denn meint. Dann habe ich Sachen angeboten und hatte entweder Glück und die haben gepasst oder es war Mist, dann hat er das auch sehr deutlich formuliert und man hatte noch einen Versuch. Hat es aber gepasst, war damit eigentlich auch schon die Entscheidung gefallen. Bei der nächsten Probe von dieser Szene, die dann vielleicht vier Wochen später, kurz vor der Premiere, stattfand, hat er sofort bemerkt, wenn man irgendwas anderes gemacht hat. Eigentlich ein sehr großer Freiraum. Das anzunehmen oder zu erkennen, ist natürlich ein Prozess, etwas, das man nicht aus dem Stand kann und schon gar nicht, wenn man andere Arbeitsweisen gewohnt ist. Der Freiraum ist über die Jahre durch die Vielzahl an Arbeiten und durch dieses gemeinsame Weiterentwickeln immer mehr gewachsen. Alle Soundtracks sind bei uns im Haus. Genauso die ganze Videoentwicklung. Da ist keiner eingekauft worden von außen. Als ich an die Volksbühne kam, gab es keine Videoabteilung, da gab es nur eine einzige VHS-Kamera. Die wurde gehütet wie ein Augapfel und mit einem Mal wollte Castorf sie für „Endstation Amerika“ benutzen – auf der Bühne, live – und mir wurde ganz warm, weil ich natürlich wusste: Wenn die umfällt, dann ist die Vorstellung hin und das ist dann tatsächlich anderthalb Jahre später passiert. Genau an dem Tag hatte ich die Lieferung der Ersatzkamera bekommen und habe dann bei laufender Vorstellung die Ersatzkamera in das Spiel gebracht. Das heißt, alle diese Dinge, die dort entstanden sind, sind wirklich am offenen Herzen bei der Arbeit gemeinsam entstanden und insofern könnte der Freiraum nicht größer sein. Man hat nachher nur noch grobe Verabredungen getroffen. Aber man musste vom Tag der Konzeptionsprobe bis zur Premiere, bis zur letzten Vorstellung, ob die in Berlin oder in Shanghai oder sonst wo stattgefunden hat, immer dabei sein und war damit auch Teil dieses Gefüges. Mehr Freiraum geht, glaube ich, im Theater nicht. OK: Zum „Mythos Volksbühne“ gehört auch der rasche Erfolg. 1992 hat Castorf die Intendanz übernommen und vorausgegangen war ein Gutachten von Ivan Nagel, in dem es hieß: Man sollte diesem jungen Team das Theater überlassen, in drei Jahren sind sie entweder berühmt oder tot. In Ihrem Buch habe ich im Interview mit Bert Neumann gelesen, dass die Formulierung 24
„berühmt oder tot“ für ihn total befreiend war. Hat diese Lockerheit den Erfolg mit ermöglicht? FR: Es war einfach toll, dass sie diese Chance nicht wie üblicher Weise defensiv interpretierten, um sich möglichst lange zu halten, um sich danach erneut zu verbessern. So verlaufen Theaterkarrieren ja in der Regel. An der Volksbühne lief das von Anfang an anders: Man war risikobereiter und machte sein Ding, ohne unbedingt auf den Erfolg zu schielen. Es ging weniger um das Funktionieren eines Hauses als vielmehr um dieses Prinzip, mit dieser Anarchie und Freiheit zu starten und dadurch eine Art Widerstand respektive seine Identität zu gewinnen. OK: Der Mythos entstand schnell und es kam ein Erfolg nach dem anderen. Die Volksbühne war zuerst das ungezähmte Theater, in dem man in der ersten Reihe immer Angst haben musste, dass man entweder Theaterblut oder Kartoffelsalat abbekommt. Dann kamen die großen Romanadaptionen und irgendwann kam eine Phase, in der man das Gefühl hatte: Jetzt hat es sich verbraucht. FR: Frank Castorf hatte im Westen zum ersten Mal 1988 inszeniert und zwar den „Hamlet“ in Köln. Das war das Schlimmste, was jemals im deutschen Stadttheater stattgefunden hat, wie man in den Feuilletons lesen konnte. Da wurden nicht Erfolge produziert, sondern da fand tatsächlich Theater statt und zwar in einer Form, die ein bis dahin unausgesprochenes Tabu attackierte – vor allem, was den Umgang mit dem Text betraf. Vorher kannte man das vielleicht in der DDR, aber im Westen kannte man das bis dahin nicht. Da kam eine Avantgarde aus dem verriegelten Osten in einer offensiven punkigen oder von der Energie her gesehen jedenfalls punknahen Theaterform. Das war etwas, das an die Substanz ging und wirklich etwas Neues eröffnet hat. Das Theater signierte von Anfang bis Ende durch diese Gegenläufigkeit der Formen. OK: Also das war der Spielstil, das war die Dramaturgie. Stückezertrümmerer war ein Label, das Castorf relativ früh bekommen hat, oder Klassikervernichter. Man kann sagen, er hat dadurch neue Resonanzräume für die Texte geschaffen; man kann eben auch sagen, er hat das Alte zerstört. Klar ging es nicht ohne Widerspruch. Irgendwann war das dann durchgesetzt, dann wollte das ganze Land so wie Castorf sein. Er hat überall Epigonen gehabt, es kam die Ermüdung. Thomas Martin, in den 2000er Jahren, als es die großen Dostojewski-Adaptionen gab, die Inszenierungen immer länger wurden – sieben TdZ 08 / 2018
PANEL 1 Stunden, acht Stunden –, hat man irgendwann gesagt: „Jetzt wiederholt er sich nur noch und die ganzen guten Schauspieler gehen auch weg.“ Das war die Zeit, als Sie an das Theater kamen. Was hat Sie daran gereizt?
gegnung von Herbert Fritsch mit der Volksbühne. Mit Fritsch hatte ich vorher noch nie gesprochen, ich lud ihn ein: „Willst du nicht was machen zum Spektakel? Kurzfristig, kurz und schnell?“ Wir saßen in der Kantine und Herbert meinte: „Ok, wenn es kurz sein kann, ich hab nicht viel Zeit.“ Dann lief Michael Schweighöfer TM: Zuerst nichts. Das war eher ein komischer Zufall. vorbei und sagte: „Ich würde am liebsten ‚Die spanische Ich habe mit Castorf das erste Mal 1988 am Deutschen Theater gearbeitet und danach hauptsächlich im Ausland. Fliege‘ machen.“ Und dann wieder Herbert: „Ach, das wollte ich auch mal machen. Na, dann mache ich die Dann haben wir uns lange nicht gesehen, zehn Jahre nicht. Irgendwann liefen wir uns in der Kantine über den und die Szene.“ Es kam gar nicht dazu, aber am Ende wurde diese „Spanische Fliege“, in Gänze Herberts InWeg und er fragte mich, wie viele Kinder ich eigentlich habe. Das war zum Zeitpunkt einer langen dunklen szenierung, sowas wie eine Wiedergeburt der gerade Phase an der Volksbühne, die ich nicht begleitet habe. etwas ausgelaugten Volksbühne. Weil ich, wie angedeutet, mehr mit meinen Kindern Diese Krisensituation hat nicht nur mit einem Verzu tun hatte. In der Volksbühne wurden in den letzten schleiß, Verkrustung am Haus zu tun oder damit, dass fünf Jahren vier Chefdramaturgen verbrannt. Das Theaman sich als Familie irgendwann nicht mehr ausstehen ter wurde immer wieder neu großsprecherisch definiert, kann. Es hat auch mit einer Kulturpolitik zu tun, die ohne dass wirklich was stattfand auf der Bühne. Zuimmer wieder, absichtlich oder nicht, versäumt hat, dem mindest nichts Neues. Von außen sah das Haus immer Intendanten Castorf eine längerfristige Planung einzukrustiger aus, alberne Werbung oder keine. Das war räumen. Die Spielzeit 2010/11 war zugleich die letzte, die auch die Phase, während der Bert Neumann sich aus der ich planen sollte. Doch dann gab es fortan bis zum letzten Jahr – 2017 – immer nur diese stückweisen VerKünstlerischen Leitung verabschiedet hat. Als ich da hinkam, war das alles sehr grau, sogar die Leute waren längerungen. Zwei Spielzeiten, noch zwei, noch zwei grau. Das war so eine eigenartige, nicht sehr kommuund dann nur noch eine. Da kannst du nicht langfristig planen, da bist du in einer Dauerkrise gefangen, wenn nikative Stimmung. Es hat mich überrascht, denn ich du jedes Jahr letzte Spielzeiten planen musst. Für eine hatte das anders in Erinnerung, als ich das letzte Mal da war, um 1998 ungefähr. Im Sommer 2010 verschwand Dramaturgie ist das zumindest eine Herausforderung, für die Gewerke, für die Disposition. Diese häppchendann mein Vorgänger, Rosinski hieß der, der implodierte plötzlich und war fort. Das Büro war versiegelt, die weisen Verlängerungen, die Castorf wie Brotkrumen Polizei musste es öffnen. Da war nichts mehr drin als hingeworfen wurden – zugegeben teures Brot –, waren leere Regale, ein tolles Sofa, ein Sessel und ein Flipboard, ein Grund dafür, weswegen das ohnehin zerschossene auf dem stand: Spielzeit 2010/11, darunter stand: TheEnsemble nicht mehr zu einem festeren, nicht ausgebaut ater. Das war Ende Mai/Anfang Juni und es gab keinen werden konnte. Soweit ich weiß, waren die letzten Spielplan für die kommende Spielzeit. Gespräche, die Castorf mit dem Senat, mit Müller und So war ich gebeten, mit den Dramaturgen dort mit Renner hatte, ausgerichtet auf eine Intendanz bis eine Spielzeit zu entwickeln. Was kurz vor der Sommer- 2019/20 mit der Option, ein Ensemble wiederaufzubaupause fast unmöglich ist. Es war mal wieder Krisensien und zu binden, um längerfristig planen zu können und gemeinsam mit der Politik einen Nachfolger zu tuation. Was uns dann da einfiel, war ein Anschluss an finden. Diese Nachfolgedebatte ist von Senatsseite im die Gespräche, die ich mit Castorf schon in den 1980er Frühjahr 2014 jäh beendet worden. Jahren geführt hatte – dass man Berlin zum Thema macht. Dazu gehört auch ein Traum, den Castorf dreiUK: Also von Werkstattseite aus muss man nochmal ßig Jahre lang hatte: „Der Kaufmann von Berlin“ von sagen, dass wir unter Castorf und Neumann sehr intenWalter Mehring. Ein schwieriges Stück, das keineswegs Erfolg verspricht. Wir haben dann mit einem Spektakel sive Arbeiten erlebt haben und sehr autonom arbeiten eröffnet, wir nannten das: „Extrem jerne politisch“. Das durften. Die beiden haben miteinander durch die Arbeit war eine Selbstverortung des Theaters in der Geschichte kommuniziert und sich gegenseitig die Bälle vorgelegt. und Topographie der Stadt. Angesichts der Situation, Das liegt nicht am Haus und das liegt nicht an der Kantine, dass man vor Spielzeitbeginn noch keine abgeschlossesondern an den großen Geistern, die da zugange waren nen Verträge hatte, konnte man eigentlich nur noch mit und sich wortlos miteinander künstlerisch unterhalten der Kehrschaufel durch die Stadt gehen und einkehren, konnten. Die Gewerke und die Bühnenarbeiter waren gebeten, daran teilzuhaben, und das hatten sie auch. was da ist. Das war sehr durchmischt, sehr fragil. Damit haben wir sozusagen den Bestand des Hauses gegeVor allem aber vielfältig. Es war zugleich die WiederbeTdZ 08 / 2018
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Vorsicht Volksbühne! ben. Das gehört auch zum Mythos: So viele Krisen wie wir hatten, so viel Bestand gab es auch aus dem Inneren heraus. Dieses konstante Arbeiten bringt die Qualität. Etwas Neues ist erstmal kein Qualitätsmerkmal. Das ist für mich überhaupt kein Merkmal, solange es nicht beschrieben ist und solange kein Intellekt dahintersteht. Dieser Intellekt war bei uns zum Glück auch noch sexy, was daran besonders spaßig war. Castorf war ein Kopf, der das ins Haus tragen kann. Das kann nicht jeder Einzelne, da braucht man einen, der das Haus führt, leitet und mit Ideen und einem Geist ausstattet. Wir haben über unsere Kontinuität, die wir über all die Jahre mit Castorf haben durften, so eine Verlässlichkeit miteinander entwickelt und so eine hohe Qualität in den einzelnen Bereichen hervorgebracht. AG: Ich finde, dass die Gewerke sich von einem Mythos überhaupt nichts kaufen können. Wenn man in der freien Szene gearbeitet hat so wie ich, wo es kaum Möglichkeiten gibt, mit Gewerken zu arbeiten, dann versteht man das wirklich als eine Katastrophe, dass wir das Haus mit diesen großartigen Gewerken haben, die aber nichts zu tun haben. Das ist etwas so Besonderes, dass man wirklich sehr aufpassen muss, dass es so bleibt und dass sie wieder was zu tun bekommen. OK: Das kann man auch mit Zahlen untermauern. In der letzten Spielzeit unter Chris Dercon gab es nur drei größere Eigenproduktionen, sodass die Abteilungen nicht ausgelastet sind. Haben Sie den größten Teil des Jahres herumgesessen?
neues Team diesen Apparat wieder genauso auf Hochtouren bringen, wie er es vor einem Jahr war? Oder geht da langsam die Kompetenz verloren und Leute gehen weg? UK: Nein. Also ich kann jetzt für uns sprechen und ich weiß von anderen Abteilungen auch, dass sie voll funktionstüchtig sind und – auch von den Abteilungsleitern mitgetragen – durchaus motiviert sind. Es kann sofort losgehen. KD: Das ist natürlich auch die Hoffnung. Wir haben jetzt ein Jahr durchgehalten und die Erwartung ist natürlich sehr groß, dass man wieder Theater spielt. Auch die Hoffnung, dass es wieder einen ähnlichen Zustand gibt, ist da. Aber es kann natürlich auch irgendwann stehenbleiben und dann zerfallen. Um wieder auf diese Temperatur zu kommen, muss man mehr tun, als nur viele Vorstellungen zu betreuen oder neue Produktionen zu machen: Man muss auch auf eine inhaltliche Temperatur kommen. Ob man auf diese autonome Arbeitsweise wieder zurückkommen kann, wage ich zu bezweifeln. Aber es wäre natürlich der Traum. Daran wird sich auch entscheiden, wie viel von der Kompetenz letztendlich an dem Haus bleibt und wer sich dann doch für andere Dinge entscheidet und sagt: „Hier sieht es jetzt nach Theater aus, aber das ist nicht mehr das, was mich interessiert.“ Aber noch sind die Leute alle da. Klaus Dobbrick ist Leiter der Abteilung Ton/Video an der Volksbühne Berlin. Annett Gröschner ist Schriftstellerin, Journalist und Gastprofessorin
UK: Wir waren ja zum Glück inspiriert genug von den letzten 25 Jahren. Wir haben viel Fundusarbeit geleistet und uns mit den Sachen, die wir aufbewahren wollen, beschäftigt. Wir haben einfach kleinere Sachen erledigt, die jetzt nicht auf die Bühne kamen. Aber wir haben nicht herumgesessen und nichts gemacht – wir langweilen uns nicht so gerne. Aber die Arbeit, die man am Theater gerne macht, ist die, die zu einer Premiere hinführt, und die fehlte. Das war wirklich tragisch fürs Haus, weil auf Dauer so zu arbeiten heißt, dass man die Leute wirklich nicht beschäftigt und am Ende nicht mehr brauchen würde. Deshalb ist es gut, dass das vorbei ist, dass jetzt jemand da ist, der zumindest vom Theater kommt und ein Verständnis dafür hat und weiß, wie so ein Haus funktioniert.
für Kulturjournalismus an der Universität der Künste. Ulrike Köhler ist Kostümdirektorin an der Volksbühne Berlin. Oliver Kranz ist Journalist und Theaterkritiker. Thomas Martin ist Autor und Publizist. Von 2010 bis 2017 war er Hausautor und künstlerischer Produktionsleiter an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Hartmut Meyer ist Bühnenbildner (zahlreiche Arbeiten an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz) und Leiter des Studiengangs Bühnenbild an der Universität der Künste. Frank Raddatz ist Publizist.
OK: Nun hat der Kultursenator gesagt, er braucht noch Zeit zum Nachdenken, die Abteilungen sind aber trotzdem da. Wie lange bleibt so ein Organismus, wenn er nicht richtig gefordert wird, bestehen. Könnte jetzt ein 26
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Hallo, hört mich jeder? Eine performative Intervention
Mex Schlüpfer
von Mex Schlüpfer Ich habe auch von 1431 bis 2017 mit Frank Castorf zusammenarbeiten dürfen. Ich würde mal gerne was klarstellen: Wir unterhalten uns gerade über ein Gebäude, das leicht Riefenstahl-mäßig aussieht und einfach nur eine Hülse ist. Und diese Hülse wurde belebt von einer Batterie. Und diese Batterie – man kann sagen, was man will – waren Frank Castorf und der liebe Bruder Bert Neumann. Ohne diese Batterie wäre dieses Haus nie zum Glühen gebracht worden. Sonst könnte man sich über irgendein anderes Gebäude unterhalten. Frank und Bert haben sich dann irgendwie entwickelt über Dick und Doof, Smith & Wesson zu Asterix und Obelix. Und Asterix und Obelix haben uns eins vor Augen geführt: dass Gallien besetzt ist, aber nicht ganz Gallien! Jetzt werden hier Anekdoten ausgetauscht über den Widerstandskampf und über den belgischen Badeurlaub und über alles Mögliche. Aber niemand fragt sich, wie die Freiräume, die mit einer kurzen Fremdübernahme behaftet wurden, wieder zurückerobert werden. Der Austausch von Anekdoten könnte meinetwegen jetzt einige Stunden dauern, das kann man mir wirklich glauben. Aber vielleicht fragen wir uns jetzt einige mathematische Dinge:
Was hat uns der belgische Badeurlaub gekostet? Wer hat jetzt die Macht und wie wird die Macht überhaupt strukturiert? Wir müssen jetzt die letzte kleine Bastion des Widerstands verteidigen, statt Anekdoten auszutauschen, und über die Zukunft sprechen. Wir verhandeln hier die Volksbühne, nicht die Schlaubühne, auch nicht das Mex-im-Gorki – das ist mir auch scheißegal. Da haben Menschen ein Kraftfeld erschaffen. Ich will jetzt nicht sentimental werden, aber deswegen sitzen wir hier. Wir sitzen hier nicht wegen irgendeinem bescheuerten Riefenstahl-Gebäude, sondern wegen der Batterie. Es geht um die Bankräuber, nicht um die scheiß Bank. Die Tatsache, dass wir hier sitzen, verdanken wir einfach der Energie und der Hingabe und dem Durchhaltevermögen gegenüber Widerständen, gegenüber einer immer wieder versuchten Abschaffung – auch der Gewerke. Das ist Weltklasse: So was gibt es überhaupt auf der ganzen Welt nicht noch mal. Dieser Mut zum Widerstand. Und nicht dieses Franchise-Kultursystem, das sowieso alle Individualität abschaffen will. Das ist Weltklasse und deswegen sind wir wahrscheinlich auch alle hier. Weil wir schon jetzt natürlich einen gewissen Phantomschmerz empfinden. Wir sollten anfangen, Banden zu bilden. Dieser Geist der Revolution, der ist nicht geschenkt worden, Der ist durch Arbeit entstanden und durch die Bewältigung von Widerständen. Und das sollten wir hier alle nicht vergessen. Ich kann euch auch noch tausend Anekdoten erzählen. Aber es geht darum, wie wir das erhalten. Das heißt: Wie strukturiert man den Widerstand? Ich will jetzt hier keinen vollquatschen. Ich will nur, dass die Energie, die sich hier zusammenfindet, ein sinnvolles Ziel hat, dass sie nicht verpufft. Man kann sich treffen, man kann sich tausendmal treffen und Meinungen austauschen oder was weiß ich. Aber wir werden immer mehr entwaffnet. Uns gehört bald nichts mehr. Alle Freiräume werden einfach weggeräumt und wir stehen einfach nur da wie die Pappnasen! Und unterhalten uns über die Vergangenheit oder darüber, wie toll das war, und tauschen Anekdoten aus. Aber – bei aller Liebe – irgendwie wäre es schlauer, wenn man jetzt einfach mal begreift, dass man vielleicht abwechslungsweise mal Gemeinsamkeiten betonen sollte statt Unterschiede, dann könnten sie uns nicht mehr so leicht entwaffnen.
So sieht es einfach aus. Mex Schlüpfer ist Schauspieler. Er war Ensemblemitglied der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. www.facebook.com/Bockelson
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Esther Slevogt
Iris Laufenberg
Ulrich Khuon
Wolfgang Engler
Anna Bergmann
Dorte Lena Eilers (Moderation) TdZ 08 / 2018
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Vorsicht Volksbühne!
Stadttheater, Kunsthaus oder beides?
Ich glaube aber, dass man die Zukunft nicht gestalten kann, wenn man nicht erst aufarbeitet, was da passiert ist. Tim Renner hat ganz gute Chancen als der Gustav Noske der Berliner Kulturpolitik in die Geschichte einzugehen. Aus dieser Geschichte kann man lernen, dass Fronten befriedet werden müssen. Es müsste sich zum Beispiel Michael Müller, unser Bürgermeister und damals verantwortlicher Kultursenator, hinstellen und sagen: „Das war ein Fehler. Es tut mir leid.“ Davon ist Dorte Lena Eilers: Es geht weiter. Nur wie? Heute wollen noch keiner gestorben. Eine Zukunft der Volksbühne wir über eine zukünftige Volksbühne nachdenken. ist auch nicht zu gestalten ohne Dialog mit den vertrieUnser Thema lautet: Stadttheater, Kunsthaus oder beibenen Zuschauern, die seitdem das Feld immer wüdes? Auf der Begriffs- und Organisationsebene werden wir uns also über die Frage unterhalten, ob die Volks- tender beherrscht haben und deren Grollen auch bei diesem Symposium schon wieder vernehmbar wurde, bühne, so wie es Klaus Dörr vor ein paar Tagen in der „Stuttgarter Zeitung“ formulierte, wieder zu einem Ensem- einfach weil man ihnen nicht zuhört, sie beleidigt wurden ble- und Repertoiretheater zurückfinden soll. Oder als Identitäre, als Rechte oder gar AfD-nahe Leute. Dabei waren das ganz normale Menschen, die einfach ob auch ein anderes Profil, andere Kunst- und Produknur für ihr Theater gekämpft haben. tionsformen denkbar sind. Evelyn Annuß formulierte in ihrem Statement die Sorge, dass die Forderung der 40 000 Unterzeichner der Volksbühnen-Petition nach DLE: Herr Engler, Sie waren langjähriger Begleiter der einem Ensemble-, Schauspiel- und Repertoiretheater Volksbühne unter Frank Castorf. Zugleich waren Sie nur wieder zur bloßen Legitimation des Betriebes als Rektor der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst dienen könnte, welcher eben nicht Möglichkeiten des Busch“ in Berlin für die Ausbildung der Theatermacher der Zukunft zuständig. Sie sagten mir, dass Sie die kollektiven Produzierens und Experimentierens mit szenischen Formen einschlösse. Doch scheint mir auch kurze Amtszeit von Chris Dercon nicht so wahnsinnig intensiv verfolgt haben. War das ein stiller Protest wichtig, nicht nur über die doch sehr bürokratischen gegen die Art von Theater, die dort gezeigt wurde? Begriffe Kunsthaus oder Stadttheater zu diskutieren, über Intendantenmodell, Kollektivleitung und Kuratoren- Sollte die Volksbühne wieder zu einem Ensemble- und Sprechtheater zurückfinden? system, sondern auch die Frage zu untersuchen, wie an einer zukünftigen Volksbühne dieser schwer zu defiWolfgang Engler: Ein Gutteil meiner ästhetischen nierende Aspekt des „Freiraums“ zu erzeugen wäre, Erziehung hat sich in der Volksbühne vollzogen. Deshalb der bezogen auf die Castorf-Ära gestern auch Anarchie oder, wie Hartmut Meyer es bezeichnete, produktive hatte dieses Haus immer meine Sympathie, auch wenn Schlampigkeit genannt wurde, und der radikale, widerCastorf eine Durststrecke in den 2000er Jahren hatte. ständige Kunst überhaupt erst ermöglicht. Aber er hat sich dann wieder aufgerappelt, gerade in den Wo und wie dieser Freiraum zu erzeugen ist für letzten Jahren. Das war kein bruchloses Verhältnis zwischen der Volksbühne und der „Ernst Busch“-Hochdie künstlerische Produktion, ob er überhaupt zu erzeugen ist, welche Komponenten der verschiedenen Sys- schule. Im Kollegium gab es durchaus den einen oder die andere, die die Ästhetik und Politik dieses Hauses teme diesen Freiraum einschränken könnten, darüber werden wir heute sprechen. Wir haben keinen Vertreter nicht übermäßig gemocht hat. Bei den Studentinnen und Studenten sah das weitgehend anders aus. eines Produktionshauses oder der freien Szene hier Als Thomas Ostermeier noch bei uns Student war, sitzen, der Partei ergreifen könnte für andere Formen des Produzierens. Deshalb werde ich versuchen, diese war das, auch für die Schauspielklasse, das Haus, wo Position in Form von Zitaten einzuspeisen. Esther Slevogt man sein musste und dem man nacheifern wollte. Auch aufgrund dieser Bindungen habe ich ausnahmsweise hat den Wunsch geäußert, ein Vorwort zu sprechen. nicht gezögert, als ich gebeten wurde, die Petition „ZuBevor wir in die thematische Debatte einsteigen, würde ich gerne ihr das erste Wort übergeben. kunft der Volksbühne neu verhandeln“ als Erstunterzeichner mit zu unterschreiben. Es war mir eine HerzensEsther Slevogt: Die Beendigung der Ära Castorf und das angelegenheit. Die Entsorgung des Hauses und seiner Geschichte Durchsetzen der unausgegorenen Pläne danach waren ein riesiger kulturpolitischer Gewaltakt. Für diese Zerstörung und die Installierung von Chris Dercon und seiner Mannhat bisher niemand die Verantwortung übernommen. schaft haben zum Teil damit zu tun, dass sich keiner fand, 30
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PANEL 2 der die Traute hatte, Castorf zu beerben. Es ist nicht so, dass nicht doch hier und da jemand gefragt wurde. Aber das empfanden manche möglicherweise als ein zu großes Wagnis, in diese Fußstapfen zu treten. Man kann es auch irgendwie verstehen nach dieser 25-jährigen im Großen und Ganzen ziemlich grandiosen Geschichte. Das war ein Theater, das Weltgeschichte geschrieben hat, dessen Ästhetik unendlich viele Nachahmungen und Plagiate gefunden hat. Die Erwartungen werden sehr hoch sein auf den oder die, das Team, das die Nachfolge antritt. Natürlich wird man dem nicht sofort gerecht werden können. Viele, die ein Theater erfolgreich geführt haben und dann ein anderes Haus übernehmen, merken, dass es nicht so leicht ist, am neuen Ort anzukommen, heimisch zu werden. Der Blick wird sehr kritisch und voreingenommen sein. Man wird sagen: „Schon das Verfahren hat uns nicht gefallen. Die Leute gefallen uns auch nicht.“ Das wird mit Schwierigkeiten einhergehen, mit Rückschlägen. Man wird möglicherweise auch mal in die Irre gehen. Das wird nicht eine Spielzeit, sondern länger dauern. Da ist es schon außerordentlich hilfreich, wenn zumindest ein Teil der Leute, die das Theater machen, auch an dem Ort lebt. Das muss nicht bedeuten, dass das auf Kosten der Flexibilität eines solchen Hauses geht. Die Volksbühne war kein Haus, das stur Programm abgespielt hat. Ein solches Haus muss sich auch irritieren und verunsichern lassen. Dass es andere Spielweisen, Theaterformen, Formate ins Haus holt, versteht sich bei der Volksbühne von ganz allein. Ich würde den Gegensatz gar nicht aufmachen wollen zwischen Stadttheater in einem irgendwie festgefahrenen Sinn auf der einen Seite und den beweglicheren, plattformmäßig organisierten Ad-hocFormen von Theater auf der anderen Seite. Zur Volksbühne und ihrer Geschichte passt das schon gar nicht. Iris Laufenberg: Ich bin 2012 aus Berlin weggegangen und da war es so, dass man auf den Messias wartete, der das performative, das diverse, das immersive Theater hierherbringt. Zu diesem Zeitpunkt gab es eine Entwicklung an den Berliner Festspielen: Auf einmal hatte man das Gefühl, zum alten Eisen zu gehören, weil Stadttheater was Altbackenes und in der Krise sei. Es ist alles old-fashioned, es sollte alles neu und performativ werden. Ich hatte das Gefühl, dass nicht nur die Politik in der Stadt das wollte. Ich habe mich damit beschäftigt, was denn das Performative überhaupt sein soll. Mich gefragt: Ist das Kunst aus der „freien Szene“ und kann diese große Theaterhäuser bespielen? Ich habe mich auf die Suche gemacht und habe Dercons Beginn hier mit Tino Sehgal verfolgt. Ich war in Venedig in der TdZ 08 / 2018
Fondazione Prada und habe mir diese wunderbare Ausstellung, „The boat is Leaking. The Captain Lied.“ von Thomas Demand, Alexander Kluge und Anna Viebrock angeguckt, auf die sich Dercon anfangs auch bezog. Da habe ich auch etwas gefunden, nämlich dass man Heiner Müller mit Alexander Kluge in Interviews begegnet, einen Schritt zurück macht und sich gleichzeitig auch neu entdeckt, indem man durch die Viebrock-Bühnenbilder schreitet, mit Demands Bildern an Wänden inszeniert. Solche Räume zu öffnen, ist erst mal toll. Aber das ist überhaupt nicht das, was saisonal eine Bühne füllen kann. Auch das Gemecker gegen „Bildungsbürgerbespaßung“ – was ist das? Das Bildungsbürgertum zerfällt sowieso in ganz diverse Publika. Damit beschäftigen wir uns. Und nicht erst seit heute. DLE: Herr Khuon, am Deutschen Theater gibt es Kooperationen mit Gruppen aus der sogenannten freien Szene, die andere Formen und Formate mit ans Haus bringen. Allerdings findet diese Zusammenarbeit nicht so raumgreifend statt, wie es zum Beispiel Matthias Lilienthal an den Münchner Kammerspielen versucht. Warum ist das so schwierig? Ulrich Khuon: Der Begriff Ensemble- und Repertoiretheater war ein Schimpfwort, bis die Volksbühne geschlossen wurde. Dann haben viele allmählich gemerkt, dass das eigentlich ein Ensemble- und Repertoiretheater im anarchischen Sinn war. Plötzlich hat man gespürt, dass darin vielleicht doch eine Qualität liegen kann. Die Kampflinien sind aus meiner Sicht völlig veraltet. Es ist nicht entweder das Eine oder das Andere; die Formen durchdringen sich. Trotzdem ist natürlich Ensembletheater eine Kernfrage, die man wollen muss oder nicht. Wir haben vierzig Schauspielerinnen und Schauspieler, ein großes Ensemble. Deswegen bauen wir auch nicht so an wie Matthias Lilienthal. Mein Herzblut gilt dem Ensemble und einer Reihe von Regisseuren, mit denen wir sehr unterschiedliche Dinge gestalten. Sebastian Hartmann ist in seiner Arbeitsweise nicht sehr weit entfernt von bestimmten performativen Formen. Diese künstlichen Grenzziehungen sind relativ angestrengt. Natürlich gibt es performative Katastrophen und Stadttheater-Katastrophen. Es gibt langweiliges Theater. Das kann man am jeweiligen Ort ganz gut ablesen und beschreiben. Wichtig ist bei der Volksbühne die Frage nach dem Raum. Die wird zu nachlässig diskutiert. Es ist dieses Schlachtschiff und da ist im Zentrum ein riesiger Raum, der mit bestimmten Formen nur mühsam gefüllt werden könnte. Kampnagel und HAU sind architektonisch anders. Man weiß, was wo gelingen kann. 31
Vorsicht Volksbühne! DLE: Die Volksbühne hat unter Castorf immer eine große Formen- und Genrevielfalt gezeigt. Das heißt also eben nicht, dass man jetzt nur noch großes Schauspieltheater in Betracht ziehen sollte. Dennoch ist die Frage, welche Formen den Raum füllen könnten, essenziell. Wobei es eben auch ein Fabian Hinrichs schafft, allein diese riesige Bühne zu bespielen.
DLE: Anna Bergmann, muss denn das Volksbühnenensemble zwingend nur aus Schauspielern bestehen? Anna Bergmann: Zum Ersten wollte ich sagen, dass ich es wahnsinnig toll finde, dass Klaus Dörr diese schwierige Aufgabe übernimmt und versucht, weiter spannendes Theater zu machen. Ich wünsche ihm dafür extrem viel Glück. Das Zweite ist, dass wir in Karlsruhe die Hälfte des Ensembles auch neu gestaltet haben. Es ist nicht so, dass wir allen gesagt haben: „Ihr müsst jetzt kündigen. Wir lösen den Vertrag auf.“, sondern wir haben die Hälfte behalten und die Hälfte der Spieler ist neu dazugekommen. Bei der Volksbühne ist es so, dass die Menschen, die in die Volksbühne gegangen sind, sich größtenteils mit den Schauspielern identifiziert haben. Neben den Regiehandschriften sind die Schauspieler sehr wichtig gewesen. Das waren die Stars. Deswegen haben die Leute gesagt: „Wir gucken uns fünf Stunden Quatsch an, für zwei Stunden geniales Schauspieltheater. Weil die durchhalten, halten wir durch.“ Deswegen glaube ich total daran, dass man so viele Leute wie möglich zurückholen sollte.
UK: Man kann das nicht dogmatisch beantworten, deswegen ist der Kongress so wichtig, überhaupt das allgemeine Reden und das geduldige Zuhören. Es ist schwierig zu sagen, ob jetzt Tanz dazukommen muss oder drei starke Regisseurinnen oder Regisseure das machen müssen. In der letzten erfolgreichen Phase waren es interessanterweise die drei großen Handschriften von Pollesch, Fritsch und dem sich erholt habenden Castorf. Aber es sind ganz unterschiedliche Varianten möglich. Es arbeiten 250 fähige Menschen dort und die sind im Grunde für ein Ensemble- und Repertoiretheater da. Das kann man nicht einfach so ändern – und das ist eigentlich mein Hauptvorwurf an Tim Renner, dass er gar nicht kapiert hat, was er macht. Man erlebt es so selten, dass Leute anschließend sagen, was sie falsch gemacht haben. Damit rechne ich DLE: Da müsste Herr Khuon allerdings Sophie Rois wieder ziehen lassen. schon gar nicht mehr. Lux, Kušej und ich haben direkt nach der Wahl von Dercon gesagt, dass es ein Riesenfehler ist. Später war AB: Ich glaube, sie hat unschlagbare Konditionen bei Herrn Khuon. Man müsste aber etwas total Neues, ich der Meinung, man müsse Dercon jetzt mal machen lassen. Man kann jemanden nicht dauernd zermörsern. Kreatives schaffen, indem man auch feste Tänzer in das Ensemble holt. Oder man engagiert, wie zum Beispiel Jetzt haben wir dieses Ensemble, diese wunderbare Truppe. Man muss ein Ensembletheater machen – mit in Darmstadt, Schauspieler mit Behinderung. Oder man Ausuferungen, Anbau, Entgrenzungen, anderen Neugier- vergrößert das Ensemble grundsätzlich – das Geld Potenzialen und Möglichkeiten. Das kann Tanz sein, sollte irgendwann wieder dafür da sein. Kunst ist wichtig das kann etwas Internationales sein. Es gibt viele Möglich- und Theater auch, deswegen plädiere ich total für das Ensembletheater in Kombination mit freien Gruppen. keiten. Das Anti-Dogmatische und gemeinsame Suchen Ich gebe den Kollegen vollkommen Recht, dass das am sind das Wichtigste. Wir haben am Deutschen Theater ein großes Stadttheater sowieso schon passiert. Das wird auch Ensemble. Ich habe mal vor Jahren mit Rimini Protokoll bei uns in Karlsruhe passieren. Nur dass ich für ein totagesprochen, die gesagt haben: „Wir machen gern was les Ungerechtigkeitstheater bin. Theater muss und bei euch auf der Probebühne. Damit reisen wir dann rum – kann auch ungerecht sein. Deswegen dürfen bei mir nur als Kooperation.“ Ich habe zurückgefragt: „Hättet ihr Frauen inszenieren. Es ist wichtig, dass man klare auch Lust auf das Ensemble?“ Woraufhin sie sagten: „Das politische Statements bringt. Das ist mir eine Herzensangelegenheit. Ich möchte polarisieren. Ich möchte hat keinen Sinn, daran haben wir gerade kein Interesse.“ Eine solche Art der „Zusammenarbeit“ wäre mir wie ein auch, dass die Leute sagen: „Das ist eine Irre.“ Wenn ich absoluter Fremdkörper vorgekommen. Auftrag: Lorey nach drei Jahren merke, das geht alles gar nicht, dann hingegen haben Lust auf das Ensemble. Das ist nicht un- inszeniere ich wieder ausschließlich. Lange Rede, kurzer kompliziert, weil es ganz andere Theatersprachen Sinn: Mein Vorschlag wäre ein Ensembletheater mit sind. Die muss man üben. Wir haben also eher kleine Erweiterung in alle anderen künstlerischen Bereiche, die Fühler in unterschiedliche Richtungen ausgestreckt, Oper eingeschlossen. Ich träume grundsätzlich von die aber für uns insgesamt sehr wichtig sind, weil sie Crossover-Projekten. Die Oper, wie sie ist, ist sowieso Wesentliches zur Politisierung beitragen. höchst überdenkenswert. 32
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PANEL 2 DLE: Doch selbst wenn man so viele Leute zurückholt wie möglich, wird es niemals wieder so werden wie früher. AB: Ja, das ist doch gut. DLE: Selbst wenn es dann heißt, bei Castorf war alles besser? AB: Das ist natürlich ein Risiko. Es gibt Schauspieler, die muss man zu händeln wissen. Man spielt auch nicht mit Pistolen, wenn man nicht schießen kann. Man muss einfach gucken, wie man den Umgang findet. Wenn die Schauspieler sagen, dass sie Lust haben, zurückzukommen – warum sollte man das Experiment nicht wagen? Bei Castorf hieß es auch: „nach drei Jahren tot oder berühmt“. ES: Ich glaube nicht daran, dass eine Reparatur möglich ist, wenn man sich nur an Strukturfragen orientiert. Man hat es doch zuerst einmal mit einem Haus zu tun, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Die Volksbühne ist kurz vor dem Ersten Weltkrieg gebaut worden von einem Architekten – Oskar Kaufmann –, der dieses Haus als architektonische Antithese zum Reichstag in die Stadt gestellt hat. Es stand über dem Reichstag „Dem Deutschen Volke“. Über der Volksbühne stand ursprünglich „Die Kunst dem Volke“. Das war ein unheimlicher Machtanspruch, den das Theater damals in der Gesellschaft gestellt hat. Die Volksbühne ist immer dann am besten gewesen, wenn sie diesen Machtanspruch voll ausgefüllt hat. Das heißt: Es ist ein so geschichtsträchtiges Haus, dazu muss man sich erst einmal verhalten. Innen ist Marmor aus Hitlers Reichskanzlei verlegt. Die Russische Besatzungsmacht hat das im Zuge der Abtragung der Ruinen der Reichskanzlei und des Wiederaufbaus der Volksbühne nach dem Krieg dort verlegen lassen. Der aus Deutschland damals schon emigrierte Volksbühnenarchitekt Oskar Kaufmann hat 1933 in Tel Aviv die Habimah, das spätere israelische Nationaltheater, gebaut. Es schwingt also wahnsinnig viel Geschichte an diesem Ort mit. Die Volksbühne ist nicht nur räumlich ein riesiger Ort. Deshalb hilft es nicht, nur die Strukturfrage zu stellen. Es müssen inhaltliche Fragen gestellt werden. Es braucht kraftvolle ästhetische Positionen und die Volksbühne muss erst einmal gedanklich durchmessen werden. Dieses Haus hat einen der größten Theaterräume dieser Stadt. Wer den nicht füllen kann, hat verloren. Diesen Raum kann man nicht mit Ideologie füllen, man kann ihn auch nicht mit Konzepten füllen oder mit Struktur, sondern nur mit Kunst, mit Ideen und Gedanken. TdZ 08 / 2018
IL: Zu sagen, es wird alles wie das Alte und alle kommen zurück, kann es nicht sein. Wir haben gerade keine charismatische Regisseurspersönlichkeit wie Castorf, der die Nachfolge zugetraut wird, deswegen gibt es eben keine Idee, wie weitermachen. Und man ist nicht automatisch international, wenn man jemanden aus dem Ausland holt. Auch bedarf es für eine Nachfolge einer langwierigen und strategischen Planung. Was ist denn eine „Volksbühne“ heute? Ein Ort, wo Denkräume aufgemacht werden, oder? Gentrifizierung ist ein Thema, für das es auch einen Raum geben muss. Aber es muss jemanden geben – und zwar ein Team –, der bzw. das vor- und nachdenkt. Wir denken doch immer drei bis fünf Jahre im Voraus. Ich plane meine Spielzeit 2020–2023 ab jetzt. Letztendlich ist ein Theater auch ein Betrieb und das heißt, man muss alle Leute dort auf die Reise mitnehmen. Castorf hat das mit seiner Persönlichkeit geschafft. Aber es hat sicher viele in der zweiten, dritten Reihe gegeben, die mitgedacht und mitgezogen haben. Es klingt nicht sexy, aber es ist ein Betrieb und den muss man auch leiten können. Nicht jeder tolle Regisseur kann auch ein Haus toll leiten. WE: Wenn ich den Alexanderplatz im Rücken hatte und mich auf die Volksbühne zubewegte, war da dieses in Versalien hingeknallte „OST“. Das hat mich immer fasziniert. Das hatte seinen Sinn und seine Bestimmung, das sollten wir vielleicht auch nicht ganz aus dem Auge verlieren. Das war nichts Provinzielles, nicht Ost-Berlin oder Ost-Deutschland, sondern das Drehkreuz zwischen Ost und West, stand für die Konflikte, die sich da auftaten. Das hat Spielplanpositionen bestimmt. Da wurden Dinge verhandelt, die heute nicht vom Tisch sind, sondern – im Gegenteil – Anknüpfungspunkte für eine zu findende Ästhetik bilden könnten. Der Ost-West-Konflikt in Deutschland und in Europa ist lebendiger denn je, wenn man sich überlegt, womit der Osten heute identifiziert wird, also auch der Osten Deutschlands: NSU, PEGIDA, Neue Rechte. Das ist schon fast ein Dauervorwurf, dem man sich stellen muss. Kommt man aus dem Osten, hat man Pech gehabt und muss sich erklären, warum man anders drauf ist, als man vermutet, wie die Ostler drauf sind. Solchen Fragen hat sich das Haus immer gestellt und sie sind dort dringlich zu verhandeln: Form follows function. ES: Ich bin ja westsozialisiert, doch für mich stand „OST“ nie für den Osten, sondern verwies eher grundsätzlich auf die Verlustgeschichte, die der Zusammenbruch des Kommunismus überall bedeutet hat. Da wurde ja vieles einfach untergepflügt, gab es Ideen, 33
Vorsicht Volksbühne! die vielleicht verfolgenswert gewesen wären, sich aber nicht haben durchsetzen können, weil es eben die Falschen gemacht haben. Es ist immer zu kurz gegriffen, wenn man dieses „OST“ auf der CastorfVolksbühne nur auf den Osten bezieht. Ich habe es als Westler zumindest nie so verstanden, sondern eher als Markierung einer Leerstelle. Nach 1990 wurde die Demokratie so gefeiert und um die, die durch den Rost fielen, hat man sich nicht gekümmert. Die Folgen spürt man ja gerade jetzt sehr deutlich. DLE: Was ist die Volksbühne für die Stadt, die Stadtgesellschaft? Herr Engler, Sie hatten im Vorgespräch die Achse Berlin-Warschau-Moskau genannt. Aber was ist beispielsweise mit der Achse Silicon Valley-Berlin-Manila? Was bedeuten supranational agierende Konzerne wie Facebook und Google für eine Gesellschaft? Welche Art von Meinungsbildung oder sogar -manipulation findet hier statt? Sollten diese Fragen nicht auch für die Volksbühne relevant sein? WE: Ich will einen Prozess beschreiben, der vielleicht interessant sein könnte, weil ich mir für dieses Haus auch eine forschende Haltung wünsche. Nicht nur im Sinne von Vielfalt von Theaterformen, von Spielweisen, von Formaten generell, sondern auch im Sinne davon, eine Perspektive einzunehmen, die normalerweise Künstler nicht einnehmen. Damals hatte eine Forschergruppe relativ viel Geld akquiriert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, um damit in die ostdeutsche Provinz, in die Prignitz, zu gehen und anhand der Stadt Wittenberge das ganze Drama dieses Strukturbruchs zu untersuchen, den ökonomischen Kahlschlag. Ein damals charakteristischer Ort, auch heute noch für viele Regionen im Osten und im Norden Deutschlands. Ich kannte die beiden, die das machten, Heinz Bude und Andreas Willisch. Sie wollten das nicht nur aus der wissenschaftlichen Perspektive machen, sondern auch eine künstlerische, eine theatrale Sicht und Verarbeitung dieser Prozesse mit in ihr Projekt einbeziehen. Ich stellte dann den Kontakt zu Armin Petras und Klaus Dörr her und das Haus war sofort dabei. Ich habe das damals auch in die Hochschule getragen. Es waren auch Studenten, Studentinnen dabei. Es wurden Stückaufträge verteilt; Armin Petras selber schrieb ein Stück, „We are blood“. Drei andere schrieben Stücke, junge Regisseure, Regisseurinnen wurden ausgewählt, gefragt, ob sie inszenieren wollten. Sie nahmen an diesen Untersuchungen teil. Das war schwierig, weil Wissenschaftler, Künstler und Theaterleute nicht denselben Blick 34
teilen. Da gab es viele Reibungen. Der Abschlusskongress fand im Gorki-Theater statt, wo das auch zur Sprache kam, aber der Ertrag war erheblich. Es gab vier Inszenierungen am Haus, es gab Debatten, das Publikum wurde mit einer anderen Erfahrung konfrontiert. Es war nicht diese öde Mittelstandssoße, die uns oben wie unten immer in diesem Wohlfühlgestus einlullt, selbst wenn wir gerade mal wieder nicht einverstanden sind. Plötzlich war die Wirklichkeit, die dieses Haus umgibt, achtzig Kilometer nordöstlich, in das Theater geholt. So etwas wünsche ich mir für die künftige Volksbühne. UK: „OST“ hat auch mit Selbstbewusstsein, Selbstvergewisserung, mit einer Art von Trotz und Gegnerschaft zu tun. Aber im Grunde ist das Thema nach rechts gewandert. Unsere Auseinandersetzung hier in Berlin damit fand ich bei der Demo gegen die AfD hoffnungsgebend, weil es friedlich, spielerisch, freundlich war und gegen diese ganze martialische Tendenz. Die AfD, im Gegensatz zu früheren rechten Bewegungen, setzt voll auf Kultur. Kunst muss immer forschen oder lernen, nicht wissen, sondern suchen. Es muss aber auch die Frage sein: Wen interessiert das? Was ist das für ein Publikum? Was wäre das Volkstheater heute? Gibt es das in dieser diversen Gesellschaft überhaupt? Das große Paradigma ist das Thema der Geschlechtergerechtigkeit. Wie viele Frauen gibt es im Theater? Das kann man natürlich nicht nur übers Personal lösen, aber vielleicht auch darüber. Sonst sitzen wir als Männer wieder da und verhandeln das. Es ist kein Zufall, dass Castorf keine Nachfolgerinnen und Nachfolger aufgebaut hat. Das ist Teil des anarchischen Duktus des Ganzen. Da geht dann auch irgendwie der ganze Laden unter, wenn man selber weg ist. Das ist die Kehrseite von dieser anarchischen und bindungsstarken Persönlichkeit. Da bin ich extrem skeptisch. Ich glaube, es braucht einen Neuansatz – allerdings mit diesen 250 Menschen, die da arbeiten. Es muss eine total politisch-theatrale Setzung sein, die die Gegenwart meint. DLE: Sie sprachen gerade von einem Rechtsruck. Kennzeichnend für das Castorf-Theater war auch eine Art von Gegenerzählung, eine nicht einfache Konsumierbarkeit. Wir wollen kein Konsenstheater, sondern eines, das polarisiert, die eigene Position hinterfragt. ES: Frank Castorfs Theater war ein Theater, das stark aus der Perspektive der Erniedrigten und Beleidigten gedacht war und gesprochen hat. Diese Zeit ist jetzt vielleicht zu Ende. Vielleicht hat nun die Zeit der Aneignung begonnen, müsste jetzt aus der PerspekTdZ 08 / 2018
PANEL 2 tive des Erniedrigt- und Beleidigt-Seins herausgetreten werden und Teilhabe und Aneignung verhandelt werden. Nehmen wir zum Beispiel das Internet. Theater findet in einer städtischen Öffentlichkeit statt, aber inzwischen hat die Digitalisierung einen sehr mächtigen Einfluss auf das, was Öffentlichkeit ausmacht. Dabei sind es bisher fast ausschließlich private Wirtschaftsinteressen, von denen das Internet gestaltet wird. Die Theater haben es bisher versäumt, sich da miteinzubringen, also auch im digitalen Raum Öffentlichkeit zu gestalten. In der Dercon-Volksbühne hat es vorsichtige Ansätze gegeben, wobei nie ganz klar war, ob das eigentlich nur in Folge eines kulturpolitischen Auftrags geschah, den man dann eher grollend erfüllt hat. Denn was da an digitalen Projekten passiert ist, ließ nicht wirklich auf eine eigene Vision von digitaler Bühne oder den Zusammenhängen von Digitalität und Theater schließen. Im Grunde war die DerconVolksbühne ja noch nicht mal in der Lage, ihre SocialMedia-Kanäle vernünftig zu bespielen. Die Volksbühne war hier schon zu Castorfs Zeiten Vorreiter. Denken Sie an das Projekt „Hamlet_X“ von Herbert Fritsch, eines der ersten Netzprojekte eines deutschen Stadttheaters überhaupt. Auch konnte man schon vor ungefähr 15 Jahren auf der Webseite der Volksbühne kleine Computerspiele spielen, gab es interaktive Gadgets. Das wurde später wieder abgeschafft. Vielleicht hat damals noch niemand wirklich mitgemacht, weil die Volksbühne der Zeit damit zu weit vorausgeeilt war. Darüber nachzudenken, wie das Theater auch den digitalen Raum, die Öffentlichkeit gestalten könnte, ist für mich eine Aufgabe, die dazugehört, wenn man von der Zukunft eines Theaters spricht. Ich will es den Theatern nicht verordnen, aber ich würde es ihnen doch ans Herz legen, wenn sie auch im 21. Jahrhundert noch an vorderster Front mitspielen möchten. WE: Die Hochschule, die ich viele Jahre geleitet habe, war immer schon, aber von Jahr zu Jahr mehr, kulturell divers, wenn auch nicht sozial. Das ist der blinde Fleck dieses Konzepts: Diversität hat alle Chancen zum Leitideologem der Kulturlinken zu werden, weil wir freuen uns, dass wir aus vielen Hautfarben, Ethnien und kulturellen Hintergründen bestehen. Ob das sozial vielfältig ist, ist uns eigentlich völlig Wurst. Diesen Mittelstandsblick gönnen wir uns; die da unten kommen nicht vor, aber wir in der Mitte besetzen das Feld komplett. Natürlich haben wir in der Tat Leute aus vielen Ländern ausgebildet, auch in der Regie. Ich habe mich gerade vor ein paar Tagen wieder mit einem Absolventen, der aus Polen kommt, unterhalten. Wir haben Leute, die haben in Russland gearbeitet, TdZ 08 / 2018
die haben hier gearbeitet und deren Theaterarbeit ist natürlich von diesem Doppelblick geprägt. In OstMitteleuropa ist man vielfach schon ein Stück weiter als wir in dieser Rechtsverschiebung des politischen Spektrums, und sie erzählen diese Geschichte auf je ihre Weise. Uns mit ihnen über ihre Erfahrungen zu verständigen, ist außerordentlich hilfreich. Das meinte ich mit Achse Berlin-Warschau-Moskau. Das sind Prozesse, die global stattfinden. Der Kapitalismus ist in einer Krise und alle Wasser werden auf die Mühlen der neuen Rechten geleitet. Warum eigentlich? Da können uns Leute, die aus diesen Ländern kommen und dort immer wieder arbeiten, vor Augen führen – warum nicht auch, gerade in diesem Haus? DLE: Es gab die Idee, die Interimszeit zu nutzen, um Künstler einzuladen, die in ihren Ländern immer mehr unter Druck geraten, beispielsweise aus Polen oder Ungarn. Anna Bergmann, ich würde ganz gerne unter einem anderen Aspekt zurückkommen auf das Thema Freiheit. Sie haben 2010 in einem Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt, dass sich der Druck eines Betriebes auch als eine Art von Erfolgsdruck auf den Regisseur auswirkt. So sahen Sie sich vor ein paar Jahren dazu gezwungen, eine Produktion am Thalia Theater Hamburg rauszubringen, hinter der Sie gar nicht standen. Welche Fähigkeiten müsste eine Leitung an der Volksbühne haben, um – auch rein strukturell – Freiheiten zu ermöglichen? AB: Wenn man am Theater arbeitet, hat man mit bestimmten Sachzwängen zu tun. Das ist Geld, das ist Zeit und das sind natürlich die Thematiken, mit denen man sich umgibt, und die Schauspieler, mit denen man das Stück erarbeitet. Innerhalb dieser Punkte muss man schauen, dass man eine Inszenierung auf die Bühne bringt. Die größtmögliche Freiheit hat man in dem Moment, wenn man im Vorhinein weiß, dass man beispielsweise acht Wochen Probenzeit und davon im Glücksfall vier bis fünf Wochen alle Schauspieler zur Verfügung hat. Das ist eine sehr gute Probensituation im heutigen Stadttheater, weil alle Vorstellungen, Gastspiele spielen müssen, vielleicht noch andere Verpflichtungen haben. DLE: Hätten Sie denn gerne mehr Zeit? AB: Es ist immer gut, wenn man wie Gotscheff drei Monate Zeit hat, in ein Laboratorium zu gehen. Da sind wir bei dem Kern der Frage: Freiheit entsteht in dem Moment, wenn man Zeit hat. Wenn man weiß, dass man drei Monate Zeit hat, mit dem Ensem35
Vorsicht Volksbühne! ble gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten, ist das natürlich luxuriös. Aber dann kann man auch spinnen, drei, fünf, zehn Proben lang irgendeinen Quatsch machen und muss nicht zu einem finalen Erfolgsergebnis kommen. Wenn man sich davon verabschiedet, dass es immer ein großer Erfolg sein muss, hätte man natürlich die größte Freiheit. Aber dann schafft sich das Theater selber ab. Zu viel Freiheit ist also auch nicht gut. Es muss sich dazwischen bewegen. DLE: Auf wundersame Weise hat es die Volksbühne geschafft, diesen Erfolgsdruck auszuklammern. Auch aufgrund dieser einzigartigen Schauspieler, die, wie Frank Raddatz gestern sagte, nicht aufs Funktionieren getrimmt sind. AB: Man muss dazu sagen, dass das Ensemble in 25 Jahren mit der künstlerischen Arbeit von Herrn Castorf gewachsen ist. Die haben sich blind verstanden. Auch wenn er mal ausgerastet ist und jemanden unmöglich beleidigt hat, kamen sie trotzdem wieder und haben nicht gesagt: „Ich hasse dich für immer!“ Im Gegenteil: Die Liebe wuchs auf irgendeine Art und Weise. Bei dieser Art von Eingespieltheit, bei der man über so viele Jahre mit einem Künstler zusammenarbeitet, der das gleiche Bild immer wieder übermalt, überschreibt, collagiert, passiert dieses hundertprozentige Scheitern gar nicht mehr. IL: Ich komme aus dem Theater der Alt-68er, die autoritär waren und das Theater sehr hierarchisch geführt haben. Ich behaupte, dass ich nicht Intendant „spiele“, sondern dass wir wie ein Dorf sind, mit unseren 140 Mitarbeitern: Da gibt es den Bürgermeister und die Handwerker. Aber allem voran stehen natürlich die Schauspieler! Es wird auch immer wieder in diesen Theaterbetrieben vergessen, dass der Betrieb für die Schauspieler da ist und nicht umgekehrt. Das heißt aber auch, dass der Schauspieler gepflegt wird, dass wir immer wieder ins Gespräch kommen. Ich bin nicht für dieses Star-Ensemble, sondern für ein wirkliches Ensemble, in dem im besten Fall alle alles spielen können. Das ist viel Arbeit. – Und zur angeblichen Stadttheater-„Krise“: Ich sehe das als Zuschauerin, wenn ich Dienstreisen mache. Ich fahre nach Freiburg im Breisgau und dort ist das große Theater voll mit Besuchern. Dann fahre ich nach Hamburg, dort sind beide Häuser ausverkauft. Dann fahre ich nach Mainz, dort ist es auch ausverkauft und die Begeisterung ist da. Hier wie dort und auch bei uns gibt es Standing Ovations. Das Publikum ist da, es gibt also eine Sehnsucht nach dem Ort 36
Theater und nach der Identifikation mit den Schauspielern und Schauspielerinnen. WE: Auch Gotscheff hat in seinen besten schlechtesten Zeiten sechs, sieben Sachen im Jahr auf die Bühne gesetzt. Natürlich konnten die nicht alle gut werden. Ich habe mal für „Theater der Zeit“ ein Interview mit Ostermeier gemacht (TdZ 2/2016, die Red.) und da kamen wir auf den wunden Punkt, wie dieses Output-Regime funktioniert, welche Folgen es zeitigt. Er sagte: „Wir proben gerade drei Sachen parallel, dann haben wir Auslandsverpflichtungen und Eidinger muss auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Manchmal wissen wir nicht, wie das alles gehen soll, aber wir brauchen diese Auslandsproduktionen, um unser Budget aufzubessern.“ Und er fügte selbstkritisch hinzu: „Wir sind die größten Kritiker des Neoliberalismus und selbst die größten Neoliberalen.“ Das ist doch ein echtes Problem. Institutionen, die eigentlich Entschleunigung, Reflexion befördern sollen, operieren im selben atemlosen Modus wie die Welt da draußen. Man schaue in die Spielpläne für die neue Saison: Ein mittleres Haus und trotzdem 23 Produktionen im Jahr? So wird das doch nichts! IL: Graz zählt auch zu den Theatern, wo es definitiv zu viele Premieren gibt. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem Großen Haus. Aber dann gibt es eben die große Leidenschaft und wir spüren auch den gesellschaftlichen Druck, das heißt: Wir nehmen uns der Aufgabe an und nicht weil wir unbedingt produzieren wollen, sondern differenziert erzählen und unterschiedliche Publika erreichen möchten. Wir machen mit den Dramaturgen eine Bürgerbühne, weil wir kein ideologisches Theater machen wollen. Wir müssen die Leute ins Theater reinholen. Deswegen laden wir „Experten des Alltags“ mit ihren Geschichten ein. Natürlich sind wir auch in Stadtteilen, die von Investoren bebaut werden sollen, in Graz unterwegs, wo sich eine alternative Szene aufgebaut hat. Natürlich solidarisieren wir uns, gehen dahin, spielen dort und zeigen der Politik, dass wir da sind. Wir besetzen auch andere Räume als unsere eigenen. Klar ist das ein bisschen viel, aber wenn wir das nicht machen, sind wir nicht wirklich „Stadt“-Theater und bespielen „nur“ die Bühne. Wir wollen aber mehr! DLE: Aber kommt dieser Spirit auch im Ensemble an? Es sind letztlich die Schauspieler, die diesen wahnsinnigen Produktionsdurchlauf mitmachen müssen. UK: Man kann nicht sagen: „Das ist das Symptom und so geht es allen.“ Ich bin weit davon entfernt, zu sagen: Wir halten der Gesellschaft den Spiegel vor, weil wir besTdZ 08 / 2018
PANEL 2 ser sind. Die ganzen Theater, überhaupt alle Moralinstitutionen, sind meistens besonders gefährdet, das falsch zu machen, was sie moralisch reflektieren im Hinblick auf die Gesellschaft. Da ist das Theater nicht allein. Einfach so zu sagen: „Wir sind selber wahnsinnig neoliberal“, finde ich eher heikel. Man sollte doch wenigstens überlegen, wie man korrigierend daran arbeiten kann, dass wir nicht ganz so neoliberal sind. Man hat ja doch mehr Spielräume, auch mit dem Geld. Bestimmte Theater müssen zugeben, dass sie mit dem Geld hinkommen. Das ist auch zynisch, wenn man auf andere guckt und dann sagt, man habe es auch schwer. Wir haben es relativ gut. Deswegen haben wir vierzig Schauspieler. Es gibt riesige Unterschiede. Ich bin vor diesem Kongress auch vom Rundfunk gefragt worden: „Ist die Volksbühne symptomatisch für das deutsche Theater?“ Nein, im Gegenteil! Das ist ein Sonderfall. Das Scheitern ist ein absoluter Sonderfall. Die Kulturpolitik wird einfach nicht bemerkt, wenn sie gut funkioniert. In der Staatsoper wurde völlig geräuschlos ein neuer Intendant etabliert. Keiner hat gesagt: „Das habt ihr aber toll gemacht.“ Es gibt wahnsinnig viele Personalentscheidungen, die sehr weitreichend sind. Bei Tim Renner habe ich das allerdings schon kommen sehen. Der hat auch lichte Momente und Qualitäten, gerade im Bereich des Digitalen hat er Anstöße gegeben. Aber bei der Durchdringung von dem, was Kultur in dieser Stadt ist, was die Künste leisten können, gab es keinen lernenden Anspruch. Das ist genau das Problem: Man muss nicht alles gleich beherrschen, aber man muss eine Neugierde haben, sich etwas aneignen wollen. Zur Freiheit gehört auch, welche Freiheit man den Schauspielern schafft. Auch da ist wahrscheinlich Castorf ein gutes Beispiel, Gotscheff mit der Family, die auch angebaut und ausgebaut war. Tolle Schauspieler müssen nicht acht Wochen irgendwas üben. Die können ein Stück in einer Woche machen. Die suchen sich ihre Wege. Grundsätzlich ist es sicher ein Weg, Zusammenhänge zu schaffen, in denen großes Vertrauen herrscht und in denen man auch weiß, was man abgeben kann und welche Freiheiten man schafft. Allerdings sind Zeiträume trotzdem Symptome. DLE: „Talent ist Neugier“, sagt Brecht. Auch ein gutes Wort für die Kulturpolitik. Wir haben jetzt alle unsere Ideen, Konzepte, Wünsche für eine zukünftige Volksbühne formuliert, die teilweise auch mit den Prozessen zu tun haben, an denen man selbst dran ist. Was aber könnte das spezifische Profil der Volksbühne sein, damit sie sich von anderen Berliner Häusern unterscheidet? WE: Wir säßen hier nicht beieinander, wenn Renners Coup nicht auf so heftigen Widerstand gestoßen wäre, TdZ 08 / 2018
auf starke mediale Kritik – nicht durchgehend, aber doch überwiegend –, auf die Resolution mit 40 000 Unterschriften – keine Kleinigkeit –, die zeitweilige Besetzung der Volksbühne und dann medialer Dauerbeschuss der Produktionen. Etwas von dieser Widerborstigkeit, Ruppigkeit und Rotzigkeit der Berliner müsste in dieses Haus Eingang finden. Das ist das Erbe, das es überhaupt möglich macht, dass sich dieses Haus noch mal öffnen lässt. Keine Ahnung, in welcher Form das geschehen könnte und ob das profilbestimmend wird. Aber dass sich eine Stadt das nicht hat gefallen lassen, ist doch großartig und sollte Folgen haben. ES: Die Volksbühne sollte wirklich versuchen, den Gedanken weiterzuverfolgen: Was ist eigentlich Stadttheater im 21. Jahrhundert? Und zwar im Sinne von Stadt, im Sinne von 21. Jahrhundert und im Sinne von Theater. Es ist ein breites Feld, das hier zu erforschen wäre. Ich habe immer das Gefühl, es gibt ganz wenige Theater, die überhaupt im 21. Jahrhundert schon angekommen sind. Da gibt es also Nachholbedarf, und die Volksbühne könnte versuchen, hier eine Vorreiterposition einzunehmen. Es gibt strukturelle, ästhetische und politische Fragen: Wer ist überhaupt das Volk, das in die Volksbühne kommen soll? Wie sieht überhaupt eine Bühne im 21. Jahrhundert aus? Wie sind hier dann Publikum und Kunst einander zugeordnet? Wer macht Kunst im 21. Jahrhundert? Wie sieht der digitale Raum aus, der dem analogen Theaterraum inzwischen längst angelagert ist? IL: Es gibt genug Räume – interessante, auch kleine Räume – von den Salons bis zum Prater, die Möglichkeiten bieten, viele Menschen einzuladen, wirklich frei Kunst zu machen. Aber das muss wirklich durchdacht werden und ich glaube, dass Anarchie da wenig hilft. UK: Ich würde die Volksbühne nicht mit solchen wahnsinnigen Erwartungen konfrontieren, weil das auch Neugierde, Lust und Wagemut mindert. Ich würde eher fragen: Wo gibt es eine oder mehrere wagemutige Personen, die große Lust haben auf die Leute, die da arbeiten? Wenn nicht nur gefragt wird, wem die Volksbühne, sondern auch, wem die Stadt gehört, finde ich das Stichwort Volkstheater gut. Aber es sollten nicht nur in bestimmten Sphären Diskurse angeregt werden, die selbst wir nicht mehr verstehen. Häuser muss man leiten können. Das hört sich so hierarchisch an, ist aber nicht so gemeint: Man muss ein Theater mit Liebe und Sorgfalt leiten und nicht immer selber der King sein wollen. Wichtig sind Lust und Zugewandtheit zur Stadt und zum Theater und Mut. 37
Vorsicht Volksbühne! AB: Ich fände es toll, wenn man die Volksbühne vergrößern würde, wenn man das Große Haus wieder auf 2000 Plätze ausweiten würde. Das wäre auf jeden Fall ein eklatanter Unterschied zu den anderen Häusern und man hat noch mehr Menschen, die man fürs Theater begeistern könnte. Ich würde sagen: Einfach größer denken!
Anna Bergmann ist Regisseurin, ab der Spielzeit 2018/19 Intendantin für das Schauspiel am Badischen Staatstheater Karlsruhe. Dorte Lena Eilers ist Redakteurin von „Theater der Zeit“. Wolfgang Engler ist Kultursoziologe und Publizist. Von 2005 bis 2017 war er Rektor der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Ulrich Khuon ist Intendant des Deutschen Theaters Berlin und Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Iris Laufenberg ist Intendantin am Schauspiel Graz.
DLE: Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, vielen Dank an dieses Panel.
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Esther Slevogt ist Mitbegründerin und Redakteurin von „nachtkritik.de“.
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Hannah Schopf
Nils Bunjaku
Christian Grashof
Silvia Fehrmann
Amelie Deuflhard
Klaus Dörr
Janis El-Bira (Moderation) TdZ 08 / 2018
PANEL 3
Vorsicht Volksbühne!
Volksbühne – ein Theater in Berlin Janis El-Bira: Herzlich Willkommen zur dritten Runde der Konferenz, „Volksbühne – ein Theater in Berlin“. Ich bin angesichts der sehr emotionalisierten Debatte versucht, den unbestimmten Artikel zu betonen und zu sagen: ein Theater in Berlin. Es gibt, auch wenn man es kaum glauben mag, noch andere Theater mit Problemen und Leitungswechseln. Doch die Volksbühne ist nicht irgendein Theater. Schon gar nicht irgendein Theater in Berlin. Diedrich Diederichsen hat in einem für die ganze Debatte inzwischen fast klassisch gewordenen Text geschrieben, die Volksbühne sei in ihren besten Jahren eine Art Archiv der Erfahrungen gewesen, was es bedeutet, in dieser Stadt zu leben oder gelebt zu haben. Wie sie das werden konnte und vielleicht in Zukunft wieder sein kann, darüber wollen wir jetzt diskutieren. Da so viele Fragen aufkamen, die vor allen Dingen Herr Dörr beantworten könnte, würde ich das übrige Podium einen kleinen Moment um Geduld bitten. Klaus Lederer hat gesagt, er habe noch keinen fixen Plan für die Volksbühne. Es sei noch nichts entschieden, nichts abgeschlossen. Sie haben im Interview mit der „Stuttgarter Zeitung“ gesagt, Sie gehen davon aus, dass die Findung einer neuen Intendanz vermutlich bis Ende des Jahres abgeschlossen sein könnte. Wie passt das zusammen? Da muss ja ganz, ganz schnell ganz, ganz viel passieren – in nicht mal sechs Monaten. Klaus Dörr: Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. So geht es mir eigentlich seit acht Wochen. Das erste, was ich feststellen musste, ist, dass das alles nicht zu schaffen ist. Wenn man das weiß, kann man anfangen zu arbeiten. Was die Zeitpläne angeht: Ich bin zunächst nicht Interimsintendant, sondern kommissarischer Intendant. Darum hatte mich Klaus Lederer gebeten am 12. April 2018. Am 13. April war eine Personalversammlung, danach sind wir an die Presse gegangen. Unterdessen gab es diverse Gespräche, wie eine Zwischenzeit zu gestalten ist. Dann wurde an mich herangetragen, das für die nächsten beiden Spielzeiten offiziell als Intendant zu machen. Für den Zeitplan zieht man in erster Linie die eigenen Erfahrungen heran: Ich habe das zweimal mit Armin Petras gemacht – eine Vorbereitung für eine Intendanz: für das Maxim-Gorki-Theater und das Schauspiel Stuttgart. Wir hatten jeweils eineinhalb Jahre Zeit. Das ist sport40
lich, aber leistbar. Innerhalb von sechs Monaten kann man eine Entscheidung treffen, wie es perspektivisch weitergeht, aber ob der Senat, im Speziellen Klaus Lederer, das bis Dezember machen will, ist seine Sache. JE-B: Was an dem Findungsprozess stark kritisiert wurde, ist die fehlende Transparenz. Es wurde von Hinterzimmerpolitik gesprochen. Jetzt geistern in den Medien die Begriffe Findungskommission und Beratungsgremium herum. Können Sie etwas zu diesen Begriffen sagen? Wie ist Ihr Einfluss auf die Findung einer neuen Intendanz? Haben Sie da Mitspracherecht? KD: Ich kann nicht die Fragen beantworten, die Klaus Lederer nicht beantworten kann oder will, weil er erstmal abwarten möchte, welche Vorschläge es gibt. Nach meiner Erfahrung aus den letzten zwanzig Jahren ist es so, dass sich die Politik immer beraten lässt von Fachleuten: Ob das offiziell Findungskommission heißt oder die Beratungsprozesse anders organisiert sind, ist je unterschiedlich. Ich saß selbst schon in einer Findungskommission für eine andere Institution. Da saßen 14 oder 16 Menschen am Tisch, die in zwei Runden darüber beraten haben, wer das letztendlich wird. Wenn ich mir im Nachhinein vorstelle, das wäre gestreamt worden, wären alle Kandidaten, die es nicht wurden, anschließend beschädigt gewesen. JE-B: Aber es gibt diese Kommission zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht? KD: Nicht, dass ich wüsste. Ich habe keinen Einfluss auf die Findung einer möglichen Lösung für die Zukunft. Das ist Aufgabe der Kulturpolitik. Ich soll jetzt dafür sorgen, dass das Theater wieder als Theater funktioniert. JE-B: Vorhin wurde gesagt, dass viele gefragte Regisseurinnen und Regisseure in einem Fünf-Jahres-Rhythmus planen, also sich jetzt über 2023 Gedanken machen müssen. Heißt das im Umkehrschluss, dass möglicherweise die Volksbühne noch für die nächsten vier bis fünf Jahre die Handschrift von Klaus Dörr tragen könnte? KD: Diese Frage stellt sich nicht. Es gibt eine klare Verabredung: Ich bin seit dem 13. April kommissarischer Intendant bis zum 31. Juli 2018. Danach geht es um zwei Spielzeiten bis Sommer 2020. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, war es Iris Laufenberg, die beschrieben hat, dass sie jetzt über 2023 nachdenkt – in einem Prozess, in dem sie bereits als Intendantin arbeitet. Sie kann mittel- und langfristig Projekte planen. Das können wir zurzeit nicht. TdZ 08 / 2018
PANEL 3 JE-B: Das heißt, die konkrete Planung für die Zeit ab 2020 wird auf jeden Fall von einer neuen Intendanz übernommen? KD: Davon würde ich im Moment ausgehen. Dieser Zeitplan ist so wichtig, weil man dafür einfach Zeit braucht. Die meisten Regisseure bzw. Regieteams sind für die nächsten zwei bis drei Spielzeiten verplant. JE-B: Es wird noch in Ihre Intendanz fallen, dass der Prater wieder frei wird. Das ist ein Ort, mit dem die Volksbühne sehr stark in den Stadtraum eingegriffen hat. Ein kleiner Raum, der vielleicht nicht die großen Herausforderungen dieser Riesenbühne mitbringt. Gibt es da schon irgendwelche Pläne? KD: Der Prater wird saniert und der Zeitpunkt der Wiedereröffnung ist ungeklärt zurzeit. Insofern wüsste ich nichts von Plänen, was den Prater angeht. JE-B: Thomas Oberender hat gesagt: Es gab an der Intendanz Dercon/Piekenbrock durchaus Sehenswertes, auch Zukunftsfähiges. Sie haben sich ursprünglich beworben auf eine Position an diesem Haus noch unter der Intendanz von Dercon. Was hat Sie an dem Haus überzeugt, dass Sie als geschäftsführender Direktor dort tätig werden wollten, als Sie noch nicht wissen konnten, dass diese Zeit sehr bald endet? KD: Nein, das war zu dem Zeitpunkt noch nicht klar. Die Ausschreibung ging im Oktober 2017 raus. Wie zumindest ein Teil der Kollegen, die hier sitzen, wissen, kenne ich beide Produktionssysteme: Ich habe angefangen am Berliner Ensemble und war danach sieben Jahre in der freien Szene unterwegs. Ich bin dann mit Armin Petras ans Maxim-Gorki-Theater und von dort aus nach Stuttgart gegangen. Wir haben an beiden Theatern versucht, auch mit anderen Produktionsformen, anderen Ästhetiken zu arbeiten. Unlängst geschah das in Stuttgart mit Hofmann & Lindholm. Es gibt auch eine langjährige Verbindung zum Theater T1 und Thorsten Lensing. Wir hatten in Stuttgart Gastspiele von Alain Platel und Wim Vandekeybus, also aus der Tanzszene. Mich hat immer interessiert, wie diese unterschiedlichen Produktionssysteme und Ästhetiken zusammenkommen können. Dass das so, wie das konfiguriert war unter Dercon, nicht funktionieren konnte, war eigentlich von Anfang an klar, spätestens mit der Programmpressekonferenz im Mai 2017. Ich wollte gerne mitarbeiten daran, dass dieses Theater auch ein Theater bleibt. TdZ 08 / 2018
JE-B: Sie hatten also eigentlich vor, gegen das Konzept von Chris Dercon zu agieren? KD: Auf gar keinen Fall. Zumindest sprachen die Kollegen zu dem Zeitpunkt noch davon, dass sie ein Ensemble bilden, eigene Produktionen machen wollen. Ob sie das wirklich wollten, das sei mal dahingestellt. Im Laufe der Gespräche war klar, dass das, was sie machen, an dem Ort nicht funktionieren wird. JE-B: Wenn man den Blick nach vorne wirft, muss man auch immer den Blick zurück wagen. Wenn man heute davon spricht, dass die Theater sich stärker in die Stadt einbetten müssen, sich zur Stadt hin öffnen müssen, dann fällt mir auf, dass die Volksbühne unter der Intendanz von Frank Castorf ganz viele von diesen landläufigen Konzepten – also ein starkes Education-Programm, das Theater als Kooperationspartner in der Stadt, das Theater, das stark in die Stadt ausgreift – zumindest in den letzten zehn Jahren gar nicht so stark verfolgt hat. Trotzdem wurde dieses Theater eigentlich von Anfang an wie kein anderes von den Berlinerinnen und Berlinern als ihr Theater angenommen. Herr Grashof, wie ist es Ihrer Einschätzung nach gelungen, dass diese Ästhetik und dieses Theaterkonzept seit 1992 so stark von den Berlinern angenommen wurden? Christian Grashof: Das hängt auch damit zusammen, wo dieses Theater steht, wo es Wurzeln und Ursprünge hat. Das gilt auch für den Regisseur. Dieses Zusammenspiel über viele Jahre hat dazu geführt, dass Menschen sehr einfach meinten, sie können sich mit dem Theater verstehen. Die Gabe hatte Castorf von Anfang an: zu vermitteln, dass er mehr einer von ihnen ist als einer, der ihnen etwas mitteilt. Er war ein Mitteilender, ein Künstler, der von ihnen kam – aus der Stadt, aus dem Bezirk. Bei der Wahl der Themen und Autoren haben sich immer sehr viele mitgenommen gefühlt. Aus unterschiedlichsten Gründen. Und dann hat Castorf etwas, das man bei der Suche des Neuen so einfach nicht wird wiederherstellen können: etwas nicht Formulierbares, Verführerisches. Es kommt hinzu, dass er einer der klügsten Regisseure war, die ich je kennengelernt habe. Das Vermitteln von Dingen, die Bindung im Ensemble funktionierten so gut, dass das Theater nach außen verstanden wurde. Man hat es angenommen. Besson wusste wie auch Castorf, beides sehr kluge Theaterleute, dass man das Theater mit den Schäbigkeiten seiner Toiletten so lassen muss. Man kann an diesem Theater nichts verbessern. Die Leute hatten die Gabe, dieses Haus so anzunehmen, wie es ist. Wenn man überlegt, wie Castorf das geführt hat, fällt 41
Vorsicht Volksbühne! einem auf, wie jung er war. Er hatte den Mut oder die Frechheit, zu sagen: „Ich nehme das.“ Bei der Suche nach jemandem würde ich immer darauf achten, eine Person oder Gruppen zu finden, die auch jung sind und Mut zu sich selbst haben. Und zu Themen. Bei der Vermittlung der Themen hatte Castorf eine Art, sodass man als Schauspieler geschützt war durch seine Denkschemen, dass man auch einen Mathematikprofessor spielen konnte, obwohl man nicht rechnen konnte. Dieses geistige Gerüst hat er soweit gegeben, dass der Schauspieler mit einer Zehn- oder Acht-Klassen-Bildung kein Problem hatte, bei ihm zu sprechen. Man wusste, dass noch rumexperimentiert wird mit neuen Texten, die alle zur Findung des Denkmusters beitrugen, das man vermitteln will. Ich würde immer vor allem Junge an dieses Haus lassen, weil die nicht so eine Angst haben, wenn die Stühle zusammenbrechen, die Treppen knarren, die Duschen nicht gehen. Man kann trotzdem Theater machen. Silvia Fehrmann: Ich möchte Ihnen nicht widersprechen darin, dass Frank Castorf ein unheimlich verführerischer, kluger Mensch ist. Er hat aber das Berliner Publikum nicht deswegen verführt, weil er „von ihnen kam“, eine vermeintliche Ostberliner Essenz verkörperte, sondern weil er historische Erfahrungen ernst genommen hat, die entwertet waren. Das war für viele Berliner – für Ost-, West- und internationale Berliner – ein großartiges Angebot. Castorfs charmantes Berlinerische ist nicht der Grund, warum internationale Theaterleute sich für ihn interessieren, sondern die Tatsache, dass er mit der Volksbühne eine ganze Tradition politischer Erfahrungen aufgewertet hat, die im damaligen Diskurs als vollkommen wertlos galten. Das waren die Erfahrungen der Menschen, die sich in der DDR engagiert hatten für eine bessere Gesellschaft, aber auch der Menschen im Westen oder in der Welt da draußen, die eine andere Vorstellung von Gesellschaft hatten. Und er hat damit in der Volksbühne, um nochmal auf Diederichsens Text zurückzukommen, ein „Archiv der Erfahrungen“ ermöglicht, die diejenigen machten, die den Epochenwechsel in Berlin erlebten. Und das war ein ganz wesentlicher Punkt, warum Berliner und Berlinerinnen jenseits ihrer Herkunft ihn wertschätzen. Auch weiterhin. Nicht als „einer von uns“ – denn da wäre zu definieren, wer ist dieses Wir –, sondern als Teil einer Gesellschaft, die durch gemeinsames Handeln entstand. CG: Ich würde da nicht widersprechen. Aber natürlich hängt das damit zusammen, wo Castorf das formuliert hat. Dass er beides wusste, das haben die Menschen 42
auch bemerkt, die in sein Theater gekommen sind. Er kannte mehr von Deutschland als nur Prenzlauer Berg. Und das merkte man ihm auch an. SF: Genau, auch von der Welt kannte er mehr. Sehr oft wird jetzt so getan, als müsse man die Geschichte der Volksbühne reduzieren auf das Schriftbild „OST“ auf dem Dach. Dieses „OST“ war für so viele Menschen attraktiv, weil es für eine Leerstelle stand oder für eine politische Frage. Ein Teil der Grabenkämpfe, die es im letzten Jahr gegeben hat, taten so, als sei die Volksbühne die Wagenburg für eine festgeschriebene Identität des Ostens, die es zu verteidigen gelte. Wir werden nicht weiterkommen, wenn wir nicht verstehen, dass diese Leerstelle das Interessante war. Es geht jetzt darum, welche politischen und ästhetischen Erfahrungen der Volksbühne wertgeschätzt werden. Amelie Deuflhard: Die ganze Volksbühne war immer widerständig. Es wurden aber auch nur Künstlerinnen und Künstler – überwiegend männliche Künstler – geholt, die gegen den Mainstream waren: Pollesch, der seine Stücke über Jahrzehnte mit Kapitalismuskritik gemacht hat und sich dann vom Prater zur großen Bühne katapultiert hat; Marthaler, der eine Ästhetik verfolgt hat, die extrem ungewöhnlich war – dieses Langsame war extrem provokativ; Castorf selbst in Personalunion mit Bert Neumann mit seinem bildreichen Text-KonvolutGroßtheater; Schlingensief, der Agent Provocateur mit seinen Aktionen, Filmen und seiner Erfindung eines wirklich integrativen Theaters. Dann gab es diese ganzen Diskursveranstaltungen: immer links-intellektuell, immer widerständig, immer gegen den Mainstream. Die Volksbühne hat den Menschen einfach ein riesiges Identifikationspotential geboten. Übrigens nicht für die ganze Stadt, sondern für all die, die auch widerständig sind, die nicht zu hundert Prozent einverstanden sind mit dem System, die es wagen, von einer anderen Welt zu träumen. Deswegen sind auch alle relativ ratlos, wer das wieder anbieten kann. Kann der Osten noch die Leerstelle in der Zukunft sein? JE-B: Von Ihnen, Frau Deuflhard, als Vertreterin der freien Szene, wird der Begriff des Ensemble- und des Repertoiretheaters stark gemacht als ein besonderes Vehikel, um ein Theater an eine Stadt zu binden. Nun arbeiten Sie in Hamburg auf Kampnagel an einem freien Produktionshaus, bei dem ich trotzdem den Eindruck habe, dass es in Hamburg sehr stark verankert ist. Gibt es also gar nicht diesen Gegensatz von Repertoire- und Ensemblebetrieb und freier Produktion, die da eigentlich fälschlicherweise gegeneinander ausgespielt werden? TdZ 08 / 2018
PANEL 3 AD: Unter Dercon wurde das ausgespielt, weil er nicht produziert hat, sich mit Theater nicht auskannte und es nicht geschafft hat, die Strukturmechanismen eines Theaters zu verstehen. Die haben keine Stücke erarbeitet und damit eine andere Art von Leerstelle geschaffen. Daraus kann man aber nicht zwingend schließen, die Volksbühne könnte nicht auch international sein. Natürlich gibt es immer noch den Osten. Aber man kann nicht sagen: Wir fangen jetzt wieder an, wo die alte Volksbühne aufgehört hat. Das könnte niemand leisten und es würde auch keinen Sinn machen. Die Frage müsste eher heißen: Wo sind denn heute die Beleidigten und Erniedrigten? Wir haben Spaltungen in der Welt, zwischen arm und reich. Bei uns bricht gerade die Regierung zusammen wegen der Fragen nach Migration und Flucht. Heute werden Grenzen aufgebaut; damals wurde eine Grenze abgebaut. Das sind Fragestellungen, die kommen mir sofort in den Sinn, wenn ich über Volksbühne nachdenke. Und natürlich muss da produziert werden. Auch ein Repertoire. Ich finde diese Kampfposition freie Szene – Stadttheater eher ein bisschen langweilig. Es geht darum, wie man etwas gemeinsam entwickeln kann. Ich fände es großartig, wenn diese offene Debatte erstmal noch weitergeführt wird, nicht schon das Gremium kommt, das vor oder hinter den Türen tagt. Man kann das vielleicht in einem halben Jahr schaffen, aber es gibt so viel zu sagen. Von so vielen Menschen, auch von euch, die ihr hier seid, und vielen anderen.
verbinden. Herr Grashof hatte es vorhin schon gesagt: Es ist wichtig, dass wieder junge Leute das Theater übernehmen. Hannah Schopf, Sie gehören sozusagen zu dieser dritten Generation an der Volksbühne oder haben dazugehört. Was würden Sie übernehmen für die Zukunft? Und was von dem, was da größtenteils auch von älteren Männern gemacht wurde, würden Sie vielleicht anders machen?
Hannah Schopf: Ganz wichtig ist es, dass das Arbeiten da so gut war – das autonome Arbeiten unter Künstlern. Das lief über eine Vision, die von einer künstlerischen Truppe ausging. Es ist auch ein Missverständnis, dass Castorf der Alleinherrscher war, der dieses Wunder zustande gebracht hat. Es war immer eine Truppe, die darin gewohnt hat, die eine bestimmte Art hatte zu arbeiten. Ich wünsche mir eigentlich, dass man jetzt wieder nach so einer Truppe sucht, die von einer künstlerischen Vision getragen wird. Ich weiß, dass das sehr schwer ist. Wir waren gerade bei dem „OST“-Zeichen: Ich bin für die Jubiläumsspielzeit an die Volksbühne gekommen, als ich gerade 24 war und wurde von Thomas Martin in das Archiv der Volksbühne geschickt, um die ganze Geschichte aufzuarbeiten. Es ist auch lustig, dass die Volksbühne sich eine 1989 geborene Münchnerin sucht, um das zu tun. Ich habe in dieser Zeit meine eigene Haltung gefunden zur Ostthematik. Ich bin überhaupt damit erstmals der DDR begegnet, weil ich in München aufgewachsen bin und dachte, die DDR – das sind Spreewaldgurken, SF: Ich halte den „Mythos Volksbühne“ als FraTrabbis und ein lustiger Dialekt. Dann ist man damit konfrontiert und merkt, dass dieses „OST“-Zeichen für ming für diese Diskussion für extrem problematisch. mich gar nicht für Nostalgie stehen kann. Es stand Wir müssen uns kritisch mit der Geschichte der Volksbühne auseinandersetzen, das Archiv der für mich immer nur für die Freiheit, etwas anderes zu Volksbühne auf seine vielen großartigen Momente der sein als das, was einem angetragen wird durch den Widerspenstigkeit befragen. Der Mythos macht uns Mainstream. Das ist die Haltung, die ich mir auch weihandlungsunfähig. Wir können nicht weiterdenken, terhin für die Zukunft wünschen würde. wenn wir ständig daran arbeiten, uns zurückzuziehen Ich war Dramaturgieassistentin an der Volksauf irgendein goldenes Zeitalter der Volksbühne. Die bühne. Für mich und auch für die Regie- und KostümVolksbühne war immer wieder in hundert Jahren assistenten war es sehr schwer bis unmöglich, in dieGeschichte stark, wenn sie widerständig war, wenn sem Schatten, in dem man gelebt hat, und in diesem sie an der Weiterentwicklung von Theaterformen Sog, für den man gearbeitet hat, ein eigenständiger gearbeitet hat. Das war von Anfang an intermedial, Künstler zu werden. Ich musste dafür vom Haus weg interdisziplinär, bezog andere Kunstsparten ein, war und etwas ganz anderes machen. Vielleicht musste experimentierfreudig in den Phasen, in denen es gelang, Castorf sich nicht darum kümmern, Epigonen heranzuindem man „dem Vorstand Aufregungen bereitete“. In züchten, weil das in der Volksbühne jemand anderes den Phasen, in denen einfach nur Sprechtheater mit gemacht hat: Vanessa Unzalu Troya, die Leiterin von großer Geste auf dieser großen Bühne gemacht wurde, P14, dem Jugendtheater der Volksbühne. Aus diesem wurde es langweilig. Jugendtheater sind nämlich sehr wohl einige Persönlichkeiten hervorgegangen, die mit diesem Theater aufJE-B: Ich würde diese Kritik an dem Blick in die Vergewachsen sind. Im Publikum sitzt Lars Werner, der Leiter vom Berliner Ringtheater. Das ist ein kleines gangenheit aufnehmen und mit der Generationenfrage TdZ 08 / 2018
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Vorsicht Volksbühne! den Plena ging es um diverse Themen. Um Fragen der Arbeit: Wie wollen wir arbeiten? Wie denken wir Theater neu? Es gab Momente, in denen sich Leute eingebracht haben, die teilweise sehr tief im Theaterbetrieb stecken, aber auch junge Leute, die damit noch nicht beschäftigt waren, die sich dann organisiert haben. Was wir vor allen Dingen genutzt haben, sind Arbeitsgruppen. Gerade die Thematik der Verdrängung JE-B: Jemand, der auch ins Haus gekommen ist und betrifft nicht unbedingt junge Leute, sondern die gedort Kunst machen wollte bzw. zumindest mit sehr hohem Kunstanspruch an der Tür gerüttelt und die auch samte Stadtgesellschaft. Diese Leute zu nehmen und zu überwunden hat, ist Nils Bunjaku, stellvertretend für organisieren, heißt diesen widerständigen Geist, den das Künstlerkollektiv Staub zu Glitzer, das im verganwir in der Volksbühne haben, zu aktivieren, indem wir den Leuten die Möglichkeit geben, tatsächlich zu partigenen Jahr die Volksbühne besetzt hat. Ich hatte den Eindruck, dass man, als man erstmal im Haus war, mit zipieren. Sie kommen nicht nur ins Theater und setzen dem großen Raum dort nicht so richtig was anzufansich rein, sondern sie sind Mitwirkende. Sie werden gen wusste. Was ist denn für Sie übriggeblieben von die- mit Themen konfrontiert. Wir hatten unsere klaren, proser Aktion? Sehen Sie Spuren, die das hinterlassen hat? gressiven Prämissen: Wir sind feministisch, antirassistisch, für gleichwertige Lebensbedingungen. Wir haben auch die Frage nach der kollektiven InNils Bunjaku: Ja, ganz klar. Es wurde schon viel davon gesprochen, welche Rolle es spielt, junge Leute wieder tendanz gestellt: Theater weist hierarchische Strukturen ins Haus zu holen. Es wird viel über den widerständiauf. Wir wollen diese Machtstrukturen, die es am Theagen Geist der Volksbühne gesprochen, den sie traditioter gibt, hinterfragen. Plötzlich haben wir darüber eine Debatte. Arbeitsgruppen bilden sich und gleichzeitig nell innehat. Wir waren diejenigen, die die Debatten, sprechen im Haus Menschen darüber, wie wir Theater die es um die Volksbühne gab und über drei Jahre geneu denken wollen. Die Arbeit geht weiter. Es gibt ein führt wurden, in eine Handlung gebracht haben. Konzept mit konkreten Dingen, von denen wir uns auch Wir sind vor Ort gewesen – in diesem Haus. Wir haben es sechs Tage lang bespielt. Wir wissen auch, dass wünschen, dass sie so wieder an die Volksbühne kommen. die Gefühle über diese sechs Tage unterschiedlich sind. Ich freue mich sehr, dass wir in den Köpfen der Leute ge- JE-B: Klaus Dörr, sind Sie miteinander im Austausch blieben sind. Wir hatten die Plenumssituation, bei der gewesen, ob da was passieren kann? Leute aus der Stadtgesellschaft zusammengekommen sind und widersprüchlich miteinander geredet haben. KD: Ich habe in den letzten acht Wochen mit ganz Wir hatten diverse Aktionen, die aus den Plena hervorvielen Künstlern, Künstlerinnen, ganz unterschiedlichen gegangen sind. Das Haus war sehr belebt. Es war sehr Gruppen und u. a. auch mit dem Kollektiv Staub zu emotional. Ich glaube, es ist immer schwer, so ein Glitzer gesprochen. Die Vorschläge sind Legionen. Damit Gefühl in ein paar Worten darzulegen. Siegried Wein könnte man fünf Volksbühnen füllen. Man bräuchte von der Parkaue kam eines Tages zu mir und meinte: aber ungefähr den zehnfachen Etat. Und diese Vorschläge „Was ihr macht, ist großartig.“ Diese Idee, das Haus zu werden natürlich alle auch innerhalb der Volksbühne öffnen für junge Leute, ist nicht neu. Das gab es mit dem Team diskutiert. schon mal. Es wurde auch bereits von den Spektakeln NB: Entscheidend ist, dass es gerade ein enormes Intean der Volksbühne geredet. Momente, in denen das Haus geöffnet wurde für junge Leute, für Menschen aus resse gibt. Es gibt viele Menschen, die sich mit diesen der Stadtgesellschaft und die drängenden Fragen, die Konzepten auseinandergesetzt haben. Es hat einen Grund, die Gesellschaft, die Berlin betreffen, gestellt wurden. wieso man die Ideen und Impulse, die wir gesetzt haWir haben mit unterschiedlichen Formaten gearbeitet. ben, besonders hervorheben sollte. Wir haben gemerkt, Wir haben über stadtpolitische Fragen gesprochen – dass die Thematik von Stadtfragen an der Volksbühne einfach ein Thema, das die Berlinerinnen und Berliner wirklich gewünscht war. Wir wollen nicht nur einzelne, extrem betrifft. Wenn wir darüber sprechen, Theater für widerständige Stücke an der Volksbühne, sondern wir vermögensarme Menschen zu öffnen, dann ist das das wären eine Möglichkeit, die Volksbühne selbst in diesem Thema Gentrifizierung: Menschen, die verdrängt werden, widerständigen Charakter darzustellen. Bereits dann, die keinen Wohnraum haben. Es geht darum, genau die wenn wir sagen: Es gab diesen widerständigen Moment, einzubeziehen, junge Leute ans Theater zu holen. Bei es gab die Empörung in der Stadtgesellschaft. Die wurTheater, auch im Osten der Stadt, das entstanden ist, als die Volksbühne kaputtgegangen ist. An diesem Theater sind lauter junge Leute, die mit dem Geist der alten Volksbühne neue Sachen machen, nicht davon träumen, die Intendanz am Rosa-Luxemburg-Platz zu übernehmen, sondern einfach ihre Kunst machen.
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PANEL 3 de auf der Bühne in eine Aktion gebracht und die Leute haben sich beteiligt. Diese Diskurse, die wir da geführt haben, wollen wir aufgreifen. Es wäre tatsächlich unsere Idee, dass wir uns nicht mit Inszenierungen auf der großen Bühne, sondern mit den ganzen Formaten, den Plenarsitzungen, diesen Impulsen, beteiligen. SF: Ich finde diese Zwischennutzungsphase, die jetzt ansteht, extrem spannend. Der Volksbühne blieb erspart, eine Zwischennutzung anzugehen, wie sie alle möglichen Häuser in der Stadt 1991 hatten. Es gab einen relativ fließenden Übergang. Und das Paradoxe war ja, dass eine derart solide Institution in der Lage war, das Denken dieser Stadt, das Denken über Theater, das Denken über Politik auf so dynamische Weise mitzugestalten – in einer Zeit wie den 1990er Jahren, in der weltweit Institutionen abgebaut wurden. Mit dem Ende von Castorfs Intendanz wurde plötzlich eine nachholende Entwicklung forciert und das ist auch eine der Verwundungen, die vielen so schmerzten, da war eine Institution über die Wendezeit hindurch gerettet worden und nach über 25 Jahren fällt sie doch zusammen. Aber diese Zwischennutzung kann auch eine extrem spannende Phase sein, wenn sich die Volksbühne darauf besinnt, dass es eine ihrer Stärken war, das Publikum zu organisieren, wie es so schön in einem der ersten Manifeste stand. In dem politischen Moment, in dem wir stehen, geht es auch darum, bestimmte Fragestellungen neu zu verhandeln. Dazu gehört auch das Umgehen mit der Geschichte des Ostens. Die Weise, in der das teilweise jetzt verhandelt wird, führt uns nicht aus der Krise. Da hat die Volksbühne eine riesige Aufgabe. Und dazu gehört es auch, dieses Archiv der Erfahrungen der Volksbühne so zu aktivieren, dass sichtbar wird, welche internationalen Ansätze es gab. Jeder hat so seine Erinnerung an Dinge, die wertvoll waren, die für jetzige Debatten relevant sind. Auch mit internationalen Blicken. Da muss man auch mit dekolonialen Perspektiven aufarbeiten, was passiert. Es war immer ein stark in Berlin verortetes, aber international agierendes Haus. Wir dürfen es jetzt nicht zum Ostberliner Biotop deklarieren. AD: Ich finde es einen genialen Beitrag, das, was jetzt kommt, Zwischennutzung zu nennen. Einfach deshalb, weil Zwischennutzungen die Wege in die Zukunft bahnen können. Diese Zeit muss man einfach nutzen, nicht überstürzt oder in einem Parallelprozess. Da finde ich auch Nils Bunjakus Forderung, Staub zu Glitzer an dem Prozess zu beteiligen, richtig. Ich war zweimal bei eurer Besetzung und bin jetzt erstaunt, TdZ 08 / 2018
dass es nur sechs Tage waren, weil die Nachhaltigkeit so groß war, weil ihr tatsächlich einen Impact gegeben habt zu der ganzen Debatte. Insofern würde ich dafür plädieren, dass man euch einbezieht, um auch Ideen für die Zukunft zu entwickeln, dieses Engagement, eure politische Widerständigkeit, eure Kritik an der Stadtpolitik einzubeziehen. Gerade nicht für die große Bühne, sondern drum herum zu arbeiten – das finde ich total interessant. JE-B: Nils Bunjaku hat gesagt, dass die Besetzerinnen und Besetzer damals auch mit dem Anspruch in die Volksbühne gekommen sind, antirassistisch und feministisch zu sein. Silvia Fehrmann hat gerade gesagt, es brauche eine postkoloniale, antikoloniale Perspektive. Ich finde interessant, was auch Diedrich Diederichsen in seinem Text stark thematisiert hat: dass der Streit um die Volksbühne sich entlang zweier Lager entwickelt. Einerseits eine altlinke Perspektive, die ihre Wurzeln in der Arbeiterbewegung hat, und andererseits eine neue Linke, die queerfeministisch, transnational, postkolonial ist. Mein Eindruck war, auch während der kurzen Intendanz von Chris Dercon, dass sich aus diesem zweiten Lager sehr viele Menschen an dieser neuen Volksbühne wiedergefunden haben. SF: Das sehe ich anders. Viele der 40 000 Unterzeichner der Volksbühnen-Petition kommen eher aus der, wenn Sie das so wollen, neuen Linken. Wir wären zu diesem politischen Zeitpunkt wirklich bescheuert, wenn wir uns entlang dieser Frontenbildung aufstellen lassen. In den großen Momenten der 1990er und Nuller Jahre war die Volksbühne ein Ort, in dem beides zusammenkam. Frank Castorf hat sich immer wieder mit antikolonialer Theorie befasst. Über sein Frauenbild könnte man sich streiten und man muss das auch. Aber wir brauchen jetzt ein postheroisches Zeitalter. Es war eine großartige anarchische Bande, die mit sehr starken Organisationsformen geführt wurde. Jetzt ist das Feld durch diese Dercon-Phase neu bestellt und man muss diese Polarisierungen überwinden, weil auch der politische Moment das erfordert. Es gibt dafür genug Anhaltspunkte in der Geschichte der Volksbühne, übrigens auch die nichtbürgerlichen Lebensformen und das andere Verständnis von Geschlechterfragen, die in der DDR eine Rolle gespielt haben. HS: Es scheinen ganz klar zwei Fragen durch, die beide mit Legitimation zu tun haben. Die eine Frage, die ganz dringend wird, ist die nach dem Prozess, der zu einer neuen Leitung führt. Die zweite Frage, die im Raum steht, ist: Wie kann ein anderes Modell von Intendanz 45
Vorsicht Volksbühne! JE-B: Sie, Herr Dörr, haben in dem Interview mit der aussehen, das eben nicht hierarchisch und paternalis„Stuttgarter Zeitung“ gesagt, dass diese Gentrifizierungstisch ist? Denn was entspricht mehr dieser Gegenwart, die sich immer feministischer, gleichberechtigter und fragen Fragen der Politik sind, die das mit einer Mietkollektiver entwickelt? preisbremse angehen müsste. Sind Sie wirklich so realis Ich würde mir wünschen, dass du nochmal tisch-pessimistisch, dass das Theater da keine Wirkkonkreter sagst, wie die Arbeit von Staub zu Glitzer aus- macht hat? sehen würde. KD: Ein Theater lebt immer im Widerspruch. Anders geht es gar nicht. Der Widerspruch besteht darin, einerNB: Wir haben in den letzten Monaten, ganz konkrete seits Kunst zu produzieren und andererseits ein Ort des Formate entwickelt, mit denen wir gerne an die Volksbühne gehen würden. Wir wollen, weil wir ein Ensem- öffentlichen Diskurses, des Austauschs zu sein. Real an ble- und Sprechtheater fördern wollen, es aber selber Mieten ranzugehen, ist nicht die Möglichkeit, die ein nicht stemmen können, die Möglichkeit, das nebenein- Theater hat. Wir können den Finger in eine Wunde legen, ander laufen zu lassen. Wir planen unter anderem eine alles, was genannt wurde an Punkten, in den Diskurs bringen. Möglicherweise gibt es Künstler, die das auch Theaterkonferenz in unserem radikalen Stil, zu der wir ästhetisch transformieren können. Aber ich würde daTheaterschaffende aller Abteilungen aus ganz Deutschland einladen wollen, um über die Situation von Mitar- vor warnen, anzunehmen, dass die Volksbühne alle polibeitenden am Theater zu sprechen, ihre prekären Artischen Probleme lösen kann. Ich bin froh, wenn wir beitsverhältnisse. Wir haben Debatten zur Stadtpolitik, es schaffen, in den nächsten Monaten Theater zu spiedie wir weitertragen wollen. Wir haben ein Konzept len und Diskurse zu organisieren. für Wohnungslosenparlamente entwickelt. Wir wünschen uns die Plenardebatte wieder als Format der ZusamNB: Es geht gar nicht unbedingt darum, Probleme zu menkunft, als Forum in der Volksbühne, aber nicht auf lösen. Das haben wir uns auch nie angemaßt. Es geht der Hauptbühne. Das Ziel dieses Prozesses ist ein darum, die Fragen, die eine Stadtgesellschaft stellt, weiKonzept für eine kollektive Intendanz. Das heißt: Wir terhin wahrzunehmen im Theater. Das Theater kann sind nicht die kollektive Intendanz, sondern die, die ein Ort sein, wo genau über das geredet wird: Wie woldiesen Prozess organisatorisch begleiten und einen len wir Stadt, wie wollen wir Arbeit neu denken und künstlerischen Rahmen bieten. der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten? Die Stadt kommt Die Debatte in der Akademie der Künste ist, gemomentan mit den Fragen der Gentrifizierung nicht nau genommen, auf sich selbst begrenzt. Die Frage ist, zurecht. Es ist ein ganz konkretes Problem für Menschen. wie man weiter Gespräche führt. Jetzt wird über eine Wir leben in Zeiten, in denen sich auch junge Leute Findungskommission geredet, aus der am Ende eine kol- die Frage stellen: Wie wollen sie zukünftig arbeiten? Wie lektive Intendanz entstehen könnte. Wir würden in wollen sie zukünftig leben? Das nehmen wir auf. Dafür würden wir ihnen erstmal den Raum geben. Wir der Zwischennutzungszeit gerne darüber reden, was sagen ja nicht: wir lösen jetzt das Problem und haben denn Konzepte für eine kollektive Intendanz wären. Was bedeutet das, Hierarchie am Theater zu hinterfragen? diese eine große Inszenierung, die das Thema angeht, sondern wir öffnen überhaupt den Raum für eine DeBedeutet das nur, dass man quotiert, zwei Frauen und zwei Männer? Bedeutet es ganz andere Konzepte? Wie batte darüber. Die Volksbühne könnte genau dafür der will man den Raum nutzen? Wie bindet man PolitiOrt sein. sches ein? Genau diese Fragen in Plenumssituationen zu klären, den Diskurs für eine Stadtgesellschaft aufAD: Das Theater ist natürlich ein öffentliches Forum. Aber es darf auf keinen Fall ausschließlich von euch zumachen zusammen mit der Mitarbeiterschaft in Arbeitsstrukturen – das ist etwas, das wir uns trauen genutzt werden, was damals euer Anspruch war. Die Desollten, das Berlin sich trauen sollte. Wenn es am Ende batten über Gentrifizierung, Migration und Flucht nichts wird, dann ist es so. Es ist wichtig, sich hinzuaber auch über Postkolonialismus, sind riesige Fragen. Wenn ich mich hier umgucke, sehe ich nur überwiesetzen und zu sagen: Wir nehmen die Leute aus dem Publikum, Leute aus der Stadt, Leute von den Clubgend weiße, deutschstämmige Menschen. Wir müssen kollektiven. Wir haben in der Stadt über die letzten Mo- uns fragen: Wer ist heute unser Volk? Wie viel Prozent Einwanderer haben wir in Berlin? Kommen sie in die nate ein Netzwerk geschaffen. Wir waren mit vielen Theater? Daran müssen wir arbeiten. Wir müssen in Kontakt, wir reden über Theater und darüber, was es für junge Leute bedeutet. Das würden wir in konkrete am Publikum arbeiten und es diversifizieren. Für dieses Vorschläge umwandeln. Theater, das nun einmal eine Volksbühne ist. Wir 46
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PANEL 3 können uns nicht nur auf Gentrifizierung und unsere eigene Verdrängung beziehen. Es gibt Menschen, die leben über Jahre wesentlich unkomfortabler in Flüchtlingsheimen. Dafür kann man an so einem Haus einen Diskursraum anbieten. Deshalb fände ich es absurd, wenn man an der Volksbühne ausschließlich über Gentrifizierung debattiert. Im Kern muss im Haus herausragendes Theater stattfinden, das formal und ästhetisch Zukunft produziert und Fragestellungen der Gegenwart aufwirft. Dass ein so formuliertes Theater auch andere Kunstsparten und andere Kulturen einbezieht, finde ich selbstverständlich. HS: Es steht außer Frage, dass die Volksbühne das richtige Theater für solche Diskurse ist. Das passt auch zu dem, was die Volksbühne immer gemacht hat: mit der Ukraine-Konferenz, dem PDS-Hungerstreik, der Mieterkonferenz. Die ganzen Themen waren immer da – in verschiedenen Formaten. Man kann das sicher noch intensiver machen und auch kollektiver gestalten. Aber die Frage bleibt: Was ist mit der Kunst? Wer entscheidet, wer Kunst macht? Und welche Kunst in dieser Zeit? Die andere Frage ist die nach der Erarbeitung eines Strukturmodells für kollektive Leitungen. Was macht ihr, wenn ihr in zwei Jahren ein Modell erarbeitet habt und sagt: Die optimale Leitung besteht aus vier Leuten, quotiert – zwei Männer, zwei Frauen, verschiedene Bildungs- und sonstige Hintergründe. Geht man dann in die Welt und guckt, wo man ein Quartett findet, das genau auf diese Anforderungen passt? Da wird das Pferd von der falschen Seite aufgezäumt! Man müsste doch erstmal konkret gucken, was für kollektive Leitungen es gibt. Wie funktionieren die? Am Ringtheater gibt es eine kollektive Leitung – nicht aus der Theorie entwickelt.
SF: Ich würde gerne zur Frage der Kunst wechseln, denn ich glaube, dass während der Konferenz klar geworden ist, dass die Kolleginnen und Kollegen der Gewerke an der Volksbühne ein Interesse haben, die Volksbühne weiterzuentwickeln und weiterzudenken. Ich glaube, es ist auch klar geworden, dass sie vor allem arbeiten wollen. Es ist in der Geschichte der Volksbühne angelegt, dass es kollektive Leitungsstrukturen geben kann und verschiedene Experimente. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, was das heute bedeuten könnte. Es ist auch klar geworden, dass wir solche Formate wie diese Diskussion brauchen. Wir müssen weiterhin darüber diskutieren, denn die Volksbühne ist nicht ein weiteres Theater in der Stadt, sondern ein ganz spezifisches. Ein Theater, das aus der Arbeiterbewegung hervorgegangen ist. Dieser Baukörper, dieser Tanker, der über zig Manifeste und über zig Kulturtechniken eine ganz bestimmte Auffassung von ästhetischen wie politischen Experimenten weiterentwickelt hat – daran muss man anknüpfen. Piscator sagte: Man muss diesen Baukörper beherrschen können. Darüber muss man ganz stark nachdenken. Was macht man mit dieser riesigen Bühne? Das ist in der Castorf-Ära zur Hochleistung gekommen. Aber wie denkt man das im 21 Jahrhundert weiter? Da ist die Zwischennutzung für mich eine interessante Sache, um nochmal andere Handschriften, andere Bildwelten zum Wirken zu bringen. JE-B: Das ist eigentlich ein schönes offenes Schlusswort, weil wir damit wieder am Anfang stehen: Die Volksbühne ist kein Theater wie jedes andere. Nils Bunjaku ist Teil des Künstlerkollektivs Staub zu Glitzer. Amelie Deuflhard ist Intendantin von Kampnagel Hamburg. Klaus Dörr ist Intendant der Volksbühne Berlin. Janis El-Bira ist Journalist.
NB: Es geht gar nicht so sehr um das Endergebnis, das du jetzt gerade angesprochen hast, sondern darum, den Prozess überhaupt erstmal zu schärfen und stattfinden zu lassen. Wir überlegen uns erst einmal gemeinsam genau, wie sowas funktionieren kann. Ich glaube, uns auf Gentrifizierung zu reduzieren, ist nicht richtig. Auch uns diesen ganzheitlichen Anspruch zuzusprechen, ist falsch. Natürlich waren es sehr streitbare sechs Tage, als wir im Haus waren. Das hat aber nie bedeutet, dass wir das ganze Haus wollen. Wir wollten die Proben nicht stören. Wir haben uns sehr darum bemüht, dass es einen guten Dialog gibt. Gerade wenn wir darüber reden, welche Themen wir aufnehmen in unseren Diskurs, geht es nicht nur um Gentrifizierung, sondern um Fragen, die die Menschen beschäftigen. TdZ 08 / 2018
Silvia Fehrmann ist Leiterin des Berliner Künstlerprogramms des DAAD und Sprecherin des Rates für die Künste. Christian Grashof ist Schauspieler und Stellvertretender Direktor der Sektion Darstellende Kunst an der Akademie der Künste, Berlin. Hannah Schopf ist freie Autorin und Dramaturgin. Sie war an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz tätig.
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Vorsicht Volksbühne!
Versuch einer Zusammenfassung von Nele Hertling
Nach den vielfältigen Debatten während der letzten anderthalb Tage ist in so kurzer Zeit kein „Ergebnis“ zu formulieren. Doch ich will versuchen, wenigstens die wichtigsten Punkte aus den Diskussionen zusammenzufassen. Zunächst erinnere ich noch einmal daran, wie und warum diese Konferenz, die selber zeitweilig Gegenstand der Kritik wurde und als „Alibiveranstaltung“ bezeichnet wurde, zustande gekommen ist. Der Wunsch nach einer öffentlichen Debatte wurde vor längerer Zeit aus dem Kreis der Mitarbeiter der Volksbühne an die Akademie der Künste herangetragen. Das war noch vor dem Ende der Dercon-Zeit und hatte damit einen anderen Fokus als die jetzt ausgerichtete Veranstaltung. Die Akademie hat diese Anregung gern aufgegriffen, auch dem Auftrag folgend der im Akademiegesetz formuliert ist: den Staat in Fragen von Kunst und Kultur zu beraten, in diesem Fall dem Kultursenator die Möglichkeit zu geben, die unterschiedlichen Stimmen und kritischen Reaktionen auf die entstandene Situation zu hören. In keinem Fall war diese Konferenz als eine „Findungskommission“ gedacht. Der Senator sah sich selber als „Zuhörer“, um auf dem Weg zu einer zukünftigen Entscheidung alle nur möglichen Anregungen und Vorschläge wie auch die grundsätzlich kritischen Positionen aufnehmen zu können. Die Akademie sieht sich als öffentlicher Ort in der Verpflichtung, Prozessen dieser Art in der Stadt einen Raum zu geben und als Plattform für die unterschiedlichen Akteure zur Verfügung zu stehen. In diesem Sinn haben wir versucht, mit Unterstützung des Deutschen Bühnenvereins und der Senatsverwaltung möglichst viele Persönlichkeiten zu den Diskussionen einzuladen – ein schwieriger Vorgang, der viel Zeit und Mühe gekostet hat. Sie werden sicher den einen oder anderen möglichen Mitredner vermissen, aber zum Beispiel war es uns nicht möglich, Schauspieler aus dem ehemaligen Künstlerteam der Volksbühne zur Beteiligung zu gewinnen, und auch die Zusammenarbeit mit Interessengruppierungen und Initiativen war schwierig. Doch von Beginn an war und ist es unsere Hoffnung, dass dieser Konferenz andere Veranstaltungen zum Thema Zukunft der Volksbühne folgen werden. Vieles ist in den zwei Tagen zur Sprache gekommen: Gemeinsamkeiten und Widersprüche wurden deut50
lich wie immer wieder die Frage einer zukünftigen Struktur für eine neue Volksbühne, zum Beispiel die Möglichkeiten einer kollektiven Intendanz oder eines Mitbestimmungsmodells gegen eine klassische Intendantenstruktur. Es ging um die Frage der Bedeutung des Gebäudes, des Raumes, die Herausforderung durch die enorme Größe der zu bespielenden Bühne, aber mehr noch um den „Geist“ des Ortes, dieses speziellen Ortes, aus dem sich ein Programm, eine Identität entwickeln könnte. Wie ist dieser „Geist“ zu formulieren in der Notwendigkeit, die Vielfalt der Stadtgesellschaft einzubeziehen? Wie ist die so prägende „Widerständigkeit“ der Castorf-Epoche zu erhalten oder neu zu gewinnen? Viel beschworen wurde der „Mythos“ Volksbühne – vor allem die Mitarbeiter konnten deutlich machen, wie unter Frank Castorf und Bert Neumann und den anderen dort arbeitenden Künstlern in langen Jahren Vertrauen entstand, nicht nur mit den Schauspielern, auch mit allen anderen Beteiligten, und wie auf dieser Vertrauensbasis die so notwendigen Freiheiten und Freiräume für die künstlerische Arbeit entstanden. Die Ergebnisse machten die Volksbühne so faszinierend für ein Publikum weit über Berlin hinaus. Die Frage heute stellt sich dringend: Wo bleibt für die Zukunft dieses angesammelte Wissen, die Erfahrung und die Energie? Welche Struktur ist dafür die notwendige Voraussetzung und wie ist die Verpflichtung gegenüber den Menschen, die dort arbeiten, zu erhalten und fruchtbar zu machen? Nachgedacht wurde auch über eine Volksbühne, die im Wissen um ihre vielfältige Vergangenheit und Geschichte, verändert im veränderten gesellschaftlichen und kulturellen Kontext als ein Ort, an dem ein soziales Programm in Verbindung mit künstlerischen Überzeugungen und der Existenz eines Ensembles großartiger Schauspieler und eines eingeschworenen Teams in Zukunft wieder entstehen kann. Zu finden wäre nicht zuerst ein Intendant, sondern ein „Projekt“, ein Konzept, und vor allem jetzt der Weg dahin – strukturell, konzeptionell und mit den richtigen Personen. Ist es eine „Zwischennutzung“, ein Übergang oder ein Anfang? Geht es nur darum, das Haus zu bespielen, oder schon darum, etwas aufzubauen? Wie lassen sich Übergang und Zukunft verbinden? Gefragt wird nach dem Prozess der Entscheidungen: Wer und wie? Wer ist zu beteiligen, wer hat die „Macht“? Es wird letztlich die schwierige Aufgabe des Senators sein, den richtigen Weg zu finden, wobei es klar ist, dass niemals alle Wünsche zu erfüllen sind und dass es immer Widerspruch und Kritik geben wird. Doch vielleicht – und das ist die Hoffnung – können diese TdZ 08 / 2018
Nele Hertling: Schlussbemerkung Gespräche heute hier und in Zukunft dabei helfen, Verständnis zu erzeugen für die Komplexität und die Risiken dieses Prozesses, der sicher streitbar sein wird, aber doch mit dem notwendigen Respekt vor unterschiedlichen Positionen geführt werden sollte. Vieles wird erwartet, vielleicht zu viel – diese Erwartungen dürfen den Neubeginn nicht verhindern. Wer überhaupt kann sich zutrauen, nach Castorf und dem „Mythos“ dort anzutreten? Gewünscht wird von vielen ein junges experimentierfreudiges Team mit einer eigenen Vision von Theater in der Mitte der Stadt. Für mich ist ein Theater ein Ort, ein Haus, in dem Menschen unterschiedlicher Profession gemeinsam arbeiten können mit einer gemeinsamen Idee und der Überzeugung, dass Theater eine wundervolle Möglichkeit bietet, dem Ausdruck zu geben, was Menschen bewegt – und es gibt heute so viele Themen wie Rassismus, Migration, Klima, soziale Unterschiede. Dafür müssen die überzeugende künstlerische Sprache und Form gefunden und die Menschen in aller Vielfalt der Herkunft und Kulturen erreicht werden. Nachgedacht wurde in der Debatte auch über den Schriftzug „OST“ auf dem Haus, der nicht nur den Bezug zur DDR-Geschichte herstellte, sondern zu einer anderen Lebensform und einem anderen Verständnis von Gesellschaft und Kunst. Es bleibt auch heute ein dringendes Thema, nicht nur im Verhältnis zu den großen Städten wie Warschau oder Moskau, sondern auch zu den Nachbarn im Baltikum, Rumänien, Bulgarien, Ungarn – in einem großen europäischen Kontext. Ablehnung und Feindseligkeit entstehen dort auch im Bereich von Kunst und Kultur aus dem Gefühl, nicht ernsthaft wahrgenommen, nicht wirklich mit Interesse und kreativer Neugier betrachtet und einbezogen zu werden. Auch dies könnte und sollte in einer zukünftigen Volksbühne zum Thema werden. So auch eine weitere Aufgabe: Theater als ein Ort der speziellen Forschung zu verstehen. Volksbühne – welches Volk ist eigentlich gemeint und angesprochen? Thematisiert wurde auch die Genderfrage – der Vorschlag: Drei starke Frauen sollten die neue Volksbühne gestalten. Vor allem wurde immer wieder über die Bedeutung von „Ensemble“ gesprochen. Ein Ensemble als eine Struktur, die in ihrer künstlerischen Wirkungsmöglichkeit Theater aus Deutschland zu einem beneideten und bewunderten Erfolgsmodell im Ausland gemacht hat (dort inzwischen vielleicht positiver besetzt als bei uns). Ist Ensemble heute nicht auch offener, vielfältiger und durchlässiger zu interpretieren? Damit werden die freie Szene, alternative Modelle, zum Diskussionspunkt. Welche Rolle können oder müssen sie TdZ 08 / 2018
bei der Gestaltung der zukünftigen Volksbühne spielen? Könnte es hier vielleicht einen Lernprozess geben für die Stadttheater von der freien Szene, ihrer strukturellen und künstlerischen Vielfältigkeit und damit oft größerer Aktualität? Entsprechende Beispiele gibt es seit Jahren. Darauf baut auch die Initiative Staub zu Glitzer, die daran denkt, neben dem künstlerischen Programm auf der großen Bühne mit diskursiven Veranstaltungen das Haus zu einem Ort der Begegnung für eine offene Stadtgesellschaft zu machen. Entgegnet wird, dass Theater seine öffentliche Wirksamkeit nur erhalten kann, wenn es primär Menschen anzieht mit seiner künstlerischen Ausstrahlung und mit der Exzellenz seiner Schauspieler. Nebenaktivitäten können das nur ergänzen. Die Attraktion eines Theaters beruht häufig auf der Bewunderung seiner Schauspieler, sie bilden die Anziehungskraft für ein Haus. Das war unvergesslich mit dem alten Castorf-Team und die Frage wird gestellt, ob das ehemalige Ensemble zurückzuholen wäre oder ob und wie ein neues Team, aufbauend auf dem alten, entstehen könnte. Wie wäre ein solcher Prozess, der viel Zeit und Einfühlung braucht, zu gestalten mit dem notwendigen Respekt vor dem Bestehenden und großer Offenheit für ein zukünftiges Modell? Die zwei Tage der Konferenz sollten der Beginn und nicht das Ende eines Weges sein, von vielen aufzugreifen und weiter zu führen. Am Ende muss ein Theater dabei entstehen, das, wie Ulrich Khuon es formulierte, mit Lust und Zugewandtheit zur Stadt und ihrer vielfältigen Gesellschaft agiert. Gesagt sei auch, dass Theater als ein Ort gemeinsamen Erlebens eine wunderbare Erfahrung ist und auch ein Erlebnis, das Spaß und Freude machen kann. Ich wünsche dem Senator die notwenige Zeit, Konzentration und Weisheit auf dem Weg zu einer Entscheidung, die am Ende er selber verantworten muss. Ich schließe mit einem Zitat von Ivan Nagel: „Wir schlagen vor, dass das Land Berlin die Volksbühne am Luxemburgplatz einer jungen Truppe gibt: einer Truppe, die ihr Theater machen will. Die sozialen, kulturellen Schocks und Wirrnisse unserer Lage könnten sich gerade in Berlin umsetzen: in einen neuen erhellenden und verstörenden Blick des Theaters.“ « Nele Hertling ist Direktorin der Sektion Darstellende Kunst der Akademie der Künste, Berlin.
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Klaus Lederer: Schlussbemerkung
Nele Hertling
von Klaus Lederer
Fragen über Fragen – und auf jede gibt es mehr als eine Antwort. Ich fühlte mich mitunter in eine MarthalerInszenierung zurückversetzt, in der Irm Hermann auf der Bühne steht und chinesische Glückskekse aufbricht. An einer Stelle holt sie einen Zettel raus, auf dem steht: „Du sollst dich im Zweifelsfall für das Richtige entscheiden.“ Nur ist das nicht so ganz einfach angesichts der außergewöhnlichen Situation, in der wir stecken. Außergewöhnliche Situationen erfordern mitunter außergewöhnliche Wege. Petra Kohse schreibt über diesen Kongress in der „Berliner Zeitung“: Hier finde erstmalig in der kulturpolitischen Geschichte Berlins eine öffentliche Auseinandersetzung über ein Theater statt, bevor dessen Schicksal besiegelt ist. Vielleicht können wir das, was hier passiert, als etwas nehmen, das es bisher so noch nicht gegeben hat. Es ist vielleicht ein Schritt auf einem anderen Weg, um eine Lösung für die Volksbühne als Theater in der Mitte Berlins zu finden. Es ist in der Tat so, dass ich hier vor allem zum Zuhören war. Die Dinge, die ich jetzt zunächst vorwegsage, habe ich in der vergangenen Woche den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Volksbühne bereits erzählt. Ich will das hier nochmal deutlich machen: An dem Tag, an dem ich die Zusammenarbeit mit Chris Dercon beendet habe, war mein erster Weg der zu den Beschäftigten der Volksbühne, um ihnen das zu übermitteln – und zwar bevor es die Öffentlichkeit erfährt. Ich glaube, wir können jede Debatte führen, aber eines funktioniert nicht: Wir können nicht eine Idee nehmen und diese Idee über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stülpen in der Hoffnung, dass das dann irgendwas wird. Ulrike Köhler und Klaus Dobbrick haben das sehr gut zum Ausdruck gebracht: Es kommt am Ende darauf an, eine Konstellation zu entwickeln, die dazu führt, dass sie alles das, was sie gut können, möglichst frei machen können. Das ist dann eine Frage des Führungsstils. Es ist nicht so, dass die durchgesickerten Entscheidungen irgendwas präjudizieren, sondern es ist andersrum. Ich habe an dem Tag der Verabschiedung Chris Dercons Klaus Dörr gebeten, uns gewissermaßen aus der Patsche zu helfen. Denn es gab keinen Plan B. Und man kann als Kultursenator, auch wenn man eine kulturpolitische Entscheidung immer falsch fand, sobald man ein Amt innehat, nicht einfach durchexerzieren. Man hat die Pflicht, den Leuten zumindest die Chance zu geben, zu zeigen, was sie draufhaben. Schließlich sind TdZ 08 / 2018
sie vorher durch eine kulturpolitische Entscheidung in dieses Mandat gekommen. Man kann den Weg kritisieren, wie das passiert ist, aber man sollte nicht den Esel schlagen, wenn man den Sack meint. Das ist in der Tat etwas, das die kulturpolitisch Verantwortlichen trifft, die damals diese Entscheidung gefällt haben. Von denen zu erwarten, dass sie sich dazu nochmal äußern, ist eine Illusion. Ich würde es mir wünschen, aber sie wären diejenigen, die sich dazu durchringen müssten. Ich habe diese Entscheidung nicht getroffen und kann mich nicht für andere entschuldigen. Das müssten sie schon selbst tun. Die Entscheidung, Klaus Dörr für die Spielzeiten 2018/19 und 2019/20 zu betrauen, hat auch etwas damit zu tun, dass wir uns Zeit und Luft verschaffen wollen. Vielleicht reichen diese zwei Jahre auch nicht. Wenn ich es wüsste, wenn ich das Ergebnis schon hätte, wenn der Prozess schon klar wäre, hätten wir uns das alles hier sparen können. Klaus Dörr wird die Aufgabe haben, die Maschinerie des Hauses als sozialen Organismus wieder hochzufahren, es wieder zu einem Produktionshaus zu machen. Dazu gehören natürlich Experimente und das Ausprobieren mit großer Sicherheit auch. Aber erstmal soll wieder gespielt werden. Das wird nicht alle Erwartungen erfüllen, das ist völlig normal. Iris Laufenberg hat etwas über die nötigen Produktionsvorläufe gesagt, um langfristig Repertoire und Spielbetrieb zu organisieren. Klaus Dörr ist im Grunde seit zwei Monaten dabei, zu überlegen, was in der nächsten Spielzeit im Haus passieren soll. Ich trenne kommissarische Intendanz und Kulturpolitik sehr streng. Die einzige Aufgabe der Kulturpolitik ist es, alle paar Jahre darüber zu entscheiden, wem die Leitung solcher Häuser anvertraut werden soll. Was in den Häusern dann passiert, ist Aufgabe der Leitung. Es ist leidenschaftlich und kontrovers diskutiert worden und das freut mich sehr. Wir haben diesen Kongress deswegen gemacht, weil die Art und Weise, wie die Entscheidung zur Ablösung von Frank Castorf und zur Installation von Chris Dercon getroffen wurde, eine enorme Auswirkung auf den Organismus Volksbühne, auf die künstlerischen Inhalte, genauso wie auf die Produktionsweisen und die Arbeitsabläufe im Betrieb hat. Eben weil diese Entscheidung tatsächlich ziemlich einsam und nicht ehrlich getroffen worden ist. Selbst als sie öffentlich verkündet wurde, wurde nicht auf die Konsequenzen hingewiesen; sie wurden sogar offensiv geleugnet. Ich habe immer wieder versucht, die inhaltliche Begründung für diese Entscheidung zu fassen, konnte es aber nicht. Denn es wurde jede Woche etwas Neues erzählt. Einmal sollte es ein Repertoire- und
Klaus Lederer
Besser scheitern
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Vorsicht Volksbühne! Ensembletheater sein, dann sollte das komplett überwunden werden, dann sollten völlig neue Formen her. Bis zum Schluss bin ich nicht schlau daraus geworden, was dieses Konzept, das da gescheitert ist, eigentlich war und sein sollte. Übrig blieb nur – und das ist vielleicht das Problem –, dass es die Antipode zu Castorf sein sollte. Das hat die Frustrationen und den berechtigten Ärger und Gegenwind aus der Stadtgesellschaft ausgelöst. Wenn sowas passiert, dann kann man nicht irgendjemanden holen, der das machen soll. Wir müssen nach neuen Wegen suchen, deswegen bin ich der Akademie der Künste sehr dankbar. Thomas Martin, Christian Grashof und Nele Hertling haben schon länger überlegt, wie dieser „Komplex Volksbühne“ in diesem Rahmen thematisiert werden kann. Es gab ein paar Grundbedingungen für mich: Eine davon war, dass Podien oder Inputs und das, was im Saal an Reflexion möglich sein soll, ungefähr den gleichen Anteil hatte. Also dass wir keinen Frontalunterricht bekommen oder machen, sondern es einen Raum gibt, in dem erstmal prinzipiell alles auf den Tisch gepackt werden kann. Auch wenn das die Sache eher noch komplizierter macht. Thomas Oberender hat gestern gesagt, dass die Volksbühne immer mehr als ein Stadttheater, immer ein geöffnetes Haus gewesen und über gut gemachtes Theater hinausgegangen sei. Damit hat er Recht. Die Volksbühne war aber immer vor allem eines: ein Theater! Ich beharre darauf, dass es ein Theater bleibt bzw. wieder ein Theater wird, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler in den Mittelpunkt gestellt werden. Die Ambivalenzen, die in den vergangenen anderthalb Tagen eine Rolle gespielt haben, werden sicherlich nicht nur mich noch eine Weile beschäftigen. Die aktuelle Debatte spiegelt nicht nur die Kontroversen um den Umgang mit dem Status quo in der Gesellschaft wider. Es wurde über den Rechtsruck gesprochen, über soziale Aus- und Abgrenzung, über das Nord-Süd-Gefälle auf dieser Welt, über die Machtverhältnisse im postkolonialen Zeitalter und über die digitalen Plattformen des Kapitalismus. Alles Themen, die eine Rolle spielen sollen. Aber wie operationalisiert man das und wie kriegt man solche Themen tatsächlich in dieses Theater? Es ist spürbar, dass die Auseinandersetzungen um die Zukunft künstlerischer Produktionsformen und ästhetischer Formen, die nicht nur auf die Volksbühne beschränkt sind, sondern die derzeit überall geführt werden, eine Rolle spielen müssen. Fragen von Diversität und Öffnung, im Sinne einer sozialen Komponente, sollten nicht nur die Volksbühne bewegen und betreffen, sondern alle Stadttheater. Es sind Fragen, denen man sich im Jahr 2018 überall in den Kultureinrichtungen 54
stellen muss: Wer ist das Leitungspersonal? Wer geht da hin? Was sind die Hürden, die Menschen aus diesen Theatern fernhalten? Mich beschäftigt zuallererst die Frage, wie an der Volksbühne ein künstlerischer Gestaltungs- und Imaginationsraum für alternative Gesellschaftsvorstellungen geschaffen werden kann – und zwar mit künstlerischen Mitteln. Denn ich kann nur Weichen stellen und Kulturpolitik kann nur Weichen stellen. Das Obsiegen oder Scheitern findet danach statt, das kann man dann bewerten und sich darüber auseinandersetzen, aber das ist die künstlerische Praxis und nicht kulturpolitische Vorgabe. Ich meine ernst, dass wir auch in Bezug auf das Verfahren in einem Suchprozess sind. Natürlich bin ich im Kulturausschuss und im Parlament verantwortlich, ich muss mit politischen Entscheidungen durch den Senat und letztlich verantworte ich sie. Die Frage ist: Wie kommt man zu diesen Entscheidungen? Findungskommission, Beratergremien? Nur Wenige haben ernsthaft sowas wie eine Direktwahl
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Klaus Lederer: Schlussbemerkung der Intendanzen gefordert, sondern im Großen und Ganzen wurde akzeptiert, dass das eine kulturpolitische Verantwortung ist. Ich bin mir im Klaren darüber, dass das eine Herausforderung sein wird. Ich werde nicht alle Erwartungen erfüllen können, das ist völlig unmöglich. Für mich ist es nicht zuallererst eine Frage der organisatorischen, soziologischen, theaterwissenschaftlichen, politischen oder stadtgesellschaftlichen Exzellenz, sondern zunächst der künstlerischen Exzellenz. An Dercon ist nicht zu Unrecht kritisiert worden, dass er im Nebel geblieben ist, wo das Theater aufhört und wo alles andere anfängt. Die Volksbühne muss es im Kern leisten, hervorragendes Theater zu spielen. Ich sehe es als meine Aufgabe, mich darum zu kümmern. Gestatten Sie mir die eine Anmerkung: Auch Castorfs Zeit an der Volksbühne seit 1992 war eine Entwicklung, die viele Dimensionen hatten, die mit Glück und Rückschlägen verbunden war, die einmaligen Kollaborationen zu verdanken ist, die man nicht einfach wiederaufführen kann. Das muss man wissen, wenn man sich
jetzt auf den Weg macht. Es ist ein Prozess; die Debatte ist nicht beendet. Wir müssen innehalten. Auch dieser Kongress ist Teil der Suchbewegung, des Herantastens. Inhaltliche, konzeptionelle Debatten und Beiträge dazu sind durchaus weiterhin gefragt. Ich bitte ernst gemeinte Zuschriften an klaus.lederer@kultur.berlin.de zu richten. Es geht hier erstmal darum, dass ich mich beraten lasse und dass ich für Beratungen offen bin. Ich möchte aber auch offenlegen, wo ich jetzt im Prozess der Suche stehe, weil ich es ja verantworten soll. Das gehört zur Transparenz dazu. Damit finden wir vielleicht auch woanders Nachahmer. Es ist nicht der schlechteste Weg, wie wir hier angefangen haben. Ich fühle mich zum jetzigen Zeitpunkt nicht in der Lage, zu sagen, wie der Prozess im Detail laufen wird. Aber wenn wir es bis zum Jahresende nicht geschafft haben, dann brauchen wir halt länger. In meinem Kalender steht nicht: 15. Dezember – Suche Nachfolger Intendanz Volksbühne abgeschlossen/Pressekonferenz zur Verkündigung. Wir werden ein paar Tage nachdenken müssen, was wir aus diesem Kongress mitnehmen. Gestern Abend sagte mir ein US-amerikanischer Fotograf, der die Volksbühne eine Weile unter der Zeit von Castorf begleitet hat, das sei ein bisschen wie Goldschürfen: Wir sieben den Sand und sieben den Sand und gucken, ob sich hier und da vielleicht nicht ein kleiner, goldener Nugget verbirgt. Wir haben „Theater der Zeit“ gebeten, das Ganze zu dokumentieren und diese Debatte weiterzuführen. Es sind alle aufgerufen diesen Debattenprozess fortzuführen und zu organisieren. Es sind alle Beteiligten aufgerufen, für die Resonanzräume zu sorgen, um in diesem Diskussionsprozess weiterzukommen. Das ist keine exklusiv kulturpolitische Aufgabe. Ich kann umgekehrt garantieren: Wir werden zuhören. Zum Schluss meinen Dank an alle, die sich hier beteiligt haben. Mein Dank an all diejenigen, die das hier vorbereitet haben – auch in dem Maschinenraum und hinter den Kulissen. Ich will den Mitarbeitern der Akademie der Künste und auch Caroline Rehberg, die das in den letzten Wochen organisiert hat, Danke sagen. Einen solchen Kongress innerhalb von sechs Wochen auf die Beine zu stellen, ist nicht einfach. Das war mit Sicherheit nicht das Ende der Debatte. Diskutieren Sie alle bitte munter weiter. Und irgendwann werden wir dann auch zu einer Entscheidung kommen. Diese Entscheidung wird mit Sicherheit ein Scheitern sein angesichts aller Erwartungen hier. Aber die Frage ist nicht, ob wir scheitern, sondern wie wir scheitern. « Klaus Lederer ist Kultur- und Europasenator von Berlin.
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J. Michael Birn No Future – A Masterplan, 2013 verschiedene Materialien ca. 300 x 400 x 200 cm
Die Arbeit von J. Michael Birn zeigt das Areal rund um den Rosa-Luxemburg-Platz als Schauplatz eines utopischen Szenarios. Das Modell gibt den gegenwärtigen baulichen Bestand wieder, an vielen Stellen jedoch ergänzt, an anderen ausgedünnt. Unterschiedliche Themen gesellschaftlicher und politischer Gegenwart haben ihren Einfluss auf die entstandene Form: Gentrifizierung, Ghettoisierung, Autonomisierung, Klimawandel, Kapitalismuskritik, Rekonstruktionswut oder die Krise der Repräsentation manifestieren sich anekdotenhaft innerhalb eines geschlossenen architektonischen Systems. NO FUTURE – A MASTERPLAN veranschaulicht die Brüche bei der Suche nach umfassender gesellschaftlicher Erneuerung, erzählt von der Reibung zwischen Entwicklung und Kontrolle. TdZ 08 / 2018
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Denkzeichen
Essays für eine Zukunft der Volksbühne
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Thomas Köck
Parenthese Theaterkunst an der Volksbühne ist nicht ohne ein Nachdenken über Politik möglich von Thomas Köck
It’s the same old S.O.S. but with brand new broken fortunes and once again I turn to you once again I do I turn to you Morrissey – Life is a Pigsty
Ich wollte eigentlich überhaupt gar nichts schreiben. Zu aufgeladen die Debatte, zu verhärtet die Fronten, zu scharf der Zaun um all die Argumente, jeder Gedanke mindestens vermint – was soll ich als Österreicher auch noch dazu sagen und vor allen Dingen: Es wurde doch eh alles schon hundertmal gesagt, weil die größtmögliche falsche Entscheidung ja auch schon getroffen wurde. Ich wollte mich also in diese schlauen Vorschläge und Überlegungen gar nicht einreihen und zögere immer noch. Man hat mich noch dazu darum gebeten, keine kulturpolitischen Überlegungen anzustellen, sondern sozusagen „rein“ künstlerischen, ästhetischen Überlegungen nachzugehen, was denn dieses Haus, dieses Theater „rein“ künstlerisch eigentlich sein könnte oder sollte. Aber wenn es ein Haus gibt, von dem ich gelernt habe, dass es kein „rein“ Künstlerisches gibt, kein „rein“ Ästhetisches, dass – noch viel schlimmer – die bloße Behauptung, man sei an der „reinen“ Kunst interessiert, schon eine Komplizenschaft mit diesem System ist, wenn es also ein Haus gibt, von dem ich gelernt habe, dass sich die Ästhetik immer aus dem Politischen speist, wenn es zumindest ein Haus gibt, bei dem man nicht einfach die kulturpolitische Frage von der ästhetischen trennen kann, das aus den politischen Widersprüchen der Spätmoderne heraus sich verortet (hat), dann doch dieses. Und das wäre doch bitte das Allererste, was es zu erhalten gäbe. Ein Ort, der nicht mit leeren Universalismen für die kurzlebigen PR-Maschinen dieser Welt um sich wirft, sondern sich dem Konkreten widmet. Das macht TdZ 08 / 2018
doch das „rein“ Künstlerische, die „bloße“ ästhetische Kraft dieses Hauses aus. Immer noch. Und gerade das hat es doch erst über Jahre hinweg in einer entpolitisierten Landschaft, Zeit und Gesellschaft auch so einzigartig gemacht. Nicht die Namen, nicht die Formen, die kamen dann hintennach. Vorher war da eine bestimmte Haltung gegenüber dem, was ein Theaterhaus sein kann und soll. Und aus dieser Reibung mit dem konkret Politischen hat doch dieses Haus überhaupt erst seine Kraft gezogen. Wenn man also über die Zukunft dieses Hauses, dieses Ortes, möchte ich ja fast sagen, sprechen möchte, sollte man vor allen Dingen das im Hinterkopf behalten. Theater waren immer schon davon bedroht, zu repräsentativen Schaubuden fürs Abo zu verkommen, und aus Österreich kommend, weiß ich, welche Probleme man mit dem rechten Drittel in genau diesem Abo hat. Da ist es doch gut, von vornherein Flagge zu zeigen. Und zwar nicht ausgewogen oder um irgendwen irgendwo abzuholen. Das ist kein Reiseunternehmen, sondern ein Theater. Diesen Widerspruchsgeist gilt es vor allen Dingen zu erhalten. Danach kann man sich dann auch Gedanken über Ästhetik machen. Das Aufrechterhalten des Versprechens, dass man Dissens betreibt in einer Konsensgesellschaft, die für Standortvorteile und wirtschaftliches Wachstum eine Verrohung, eine Entsolidarisierung der Gesellschaft und eine Brutalisierung der Verhältnisse in Kauf nimmt. Die längst keine Konsensgesellschaft mehr ist, auch wenn sie es immer noch behauptet und versucht. Der Konsens ist längst gescheitert. Und das ist er von Anfang an, weil von Anfang an nicht alle gleichberechtigt am Tisch saßen und gleichermaßen gehört wurden. Das war doch immer die große Lüge. Und genau diese Widersprüche wurden für mich in diesem Haus vorgeführt. Und das war doch, zumindest für mich, gerade das Versprechen dieses Hauses, genau das sichtbar zu machen, die Produktion von überschüssigem Leben, den Aussatz sichtbar zu machen. Das, was vom Diskurs ausgeklammert wird. Dort fängt doch Theater auch immer ein bisschen an, denke ich mir. Und so kann man auch widerständig und gleichzeitig proaktiv mit diesem Begriff im Namen, den man heute kaum aussprechen möchte, wieder umgehen: Weil es kommt ja auch nicht von irgendwo, dass ein Haus, das das „Volk“ im Titel trägt, von der Politik völlig missverstanden in Schieflage gerät, gerade in einer Zeit, in der dieser gesellschaftliche Dissens um dieses Volk oder diese Völker wieder voll aufgebrochen ist. Aus künstlerischer Sicht müsste man doch genau davon ausgehen. Was bedeutet dieses „Volk“ im Titel dieses Hauses? Wer ist gemeint? Was ist die Haltung gegenüber diesem Volk? 61
Denkzeichen Ich glaube, wenn man über die Kunst an diesem Ort spricht, dann spricht man über diese Überzeugung: Politik machen zu können mit den Mitteln des Theaters. Und das speist dann eben die gesamte Haltung und den Umgang mit den Zeichen. Und von dort aus müsste man auch jetzt wieder starten, wenn man über das „rein“ Künstlerische sprechen möchte: von einem dieser immer seltener werdenden Räume in einer effizienzgeilen, völlig den Märkten überlassenen Gesellschaft, der sich diese Haltung aber nicht nur für eine Spielzeit anzieht, sondern neue Zeichen, neue Sprachen, neue Formen entwickelt, die sich auch in Zukunft dem widersetzen können bzw. sich vor dem wappnen können, was auf uns zukommt oder auch schon stattfindet, wo die Entsolidarisierung längst Praxis in so vielen Bereichen ist. Und von dort aus kann man dann ja starten. Und zum Beispiel über digitales Theater sprechen. Oder über immersives Theater. Oder über interdisziplinäres Theater. Oder über Theater, das gar kein Theater mehr ist. Oder was es sonst gerade so an Moden gibt. Von mir aus auch über Literatur und Theater – das wär mal eine ganz radikal neue Sache. Weil das ist ja in diesem Haus über die Jahre passiert. Andere Medien haben Einzug gehalten, andere Theaterformen, aber immer, wenn Formen neu andockten, spürte man, dass da nicht einfach Formate hinzugeholt wurden, weil die gerade angesagt waren, sondern die wurden dort in der Reibung mit diesem Sprechen, das an diesem Ort etabliert wurde, noch einmal anders konkret und das bloße „rein“ Künstlerische war immer viel größer an diesem Ort, weil es nicht nur das bloße „rein“ Künstlerische oder eben gerade Modische war. Haltung ist keine Mode. Und kann nie eine sein. Deshalb sollte man in allen bloß „rein“ künstlerischen Fragen immer von diesem Ort ausgehen, der Haltung und Widerstandsgeist dank seiner Geschichte besitzt, der sich seiner Widersprüche in dieser Stadt als Ort bewusst ist, aber auch seiner Wirkmacht und diese öffentlich macht. Ein Ort, der sogar einen größeren Plan hat, als zum Theatertreffen zu fahren, der auch scheitern kann und muss mit einem viel zu großen Anspruch und in diesem Scheitern aber ganz neue Bilder findet. Ein Ort, der gerade dadurch viel mehr als ein Theater ist und gleichzeitig überhaupt nichts anderes. Und dieser Widerspruchsgeist durchzieht dann einfach die gesamte Struktur. Von den Werkstätten über den Jugendclub und das Ensemble bis hin zur (hoffentlich nicht) outgesourcten Snackbar, dieser wunderbaren Kantine und dem Leitungsteam. Und halt die gesamte Ästhetik. Und die Arbeitsweise. 62
Ich wollte eigentlich gar nichts schreiben, wie gesagt. Aber gleichzeitig hatte ich dann doch ein wenig Angst, oder sagen wir, ich war besorgt, dass dieser widerständige Ort auch noch verschwindet, dass der auch noch, wie so viele Freiräume gerade im Gerede vom internationalen Wettbewerb wegrationalisiert werden, oder als bloßes, touristisches Andenken weiter gepflegt wird. Dabei gäbe es doch wirklich genug zu tun. Und es braucht diese Orte, die versuchen, mehr zu sein, nein, die von der Prämisse ausgehen, mehr sein zu müssen, als bloße, „rein“ künstlerische Orte. Ich glaube ja, das ist die Grundlage von Theater. Mehr sein zu müssen als das, was da ist. Weil das kann es doch noch nicht gewesen sein. Und die Politik täte gut daran, diese Orte nicht nur zu erhalten, sondern zu vergrößern. Weil am Ende findet, wie gerade in Österreich, der große Umbau und der Ausverkauf statt. Und alle fragen sich, wo der Widerstand bleibt – der Widerstand, dem man halt seit Jahren sämtliche Räume genommen hat. « Thomas Köck ist Schriftsteller und Dramatiker in Berlin.
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Wolfgang Engler
Meta-Realität kontra ästhetischer Populismus Warum Ensemble und Langsicht ein wirklich freies Theater erst ermöglichen von Wolfgang Engler
Ein Plädoyer für das Stadttheater, für Ensemble und Repertoire, setzt sich heutzutage leicht dem Verdacht aus, dessen Probleme zu verkennen, die Lage schönzureden. Das liegt mir fern. Die Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, die ich viele Jahre leitete, stand und steht noch im Ruf einer Kaderschmiede für den Spielbetrieb der deutschsprachigen Stadt- und Staatstheater. Speziell im Schauspiel strebt die Mehrzahl der dort Studierenden ein Engagement an diesen Häusern an und kommt in der Praxis gut zurecht. Die meisten Rückmeldungen bestätigen das. Aber es gibt auch kritische Berichte, Schadensmeldungen – und diese häuften sich zuletzt. Mehmet Sözer veröffentlichte sein Unbehagen in dieser Zeitschrift (TdZ 5/2015). Sein frischer Blick auf die Verhältnisse nimmt wahr, was manche älteren Kolleginnen und Kollegen, die sich die Hörner bereits abgestoßen haben, kaum mehr registrieren, dass „dieser Theaterapparat eigentlich überhaupt nicht hält, was er verspricht: nämlich der Ort zu sein, an dem Wahrheiten verhandelt, Geschehnisse reflektiert und die gesellschaftlichen Gegebenheiten verändert werden können“. Dafür trügen alle Gruppen Verantwortung. Die Schauspieler wetteiferten um altersabschnittsbedingte Paraderollen und stellten sich selbst offenkundig abwegigen Regiekonzepten mehr oder weniger widerspruchslos zur Verfügung. Die Regieführenden seien in aller Regel froh, umhinzukommen, „mit den Schauspielern gemeinsam einen Erkenntnisprozess durchmachen zu müssen“. Die Hausleitungen wiederum bevorzugten reibungsarm ablaufende Produktionen; Spielpläne und Besetzungen orientierten sich daran. Man könne unter diesen Bedingungen „durchaus von der klassischen entfremdeten Arbeit sprechen“. „Gut, denkt sich der Schauspieler und macht augenscheinlich alles, damit sich an diesem passablen Kompromiss nichts ändert, weder für sich noch für andere. Und der Traum von einem oppositionellen Theater, das TdZ 08 / 2018
dem repressiven System nicht in die Hände spielt, zerplatzt aufs Neue.“ Sözers Befund entfremdeter Stadttheaterarbeit kann weitere Argumente für sich sprechen lassen. Institutionen an sich sind anfällig für Entfremdungsphänomene. Ihre Infrastrukturen müssen gepflegt, in Gang gehalten, von Zeit zu Zeit ertüchtigt werden. Das allein sorgt für einen gewissen, auf Bestandssicherung gerichteten „Konservatismus“. Die Institutionen darüber hinaus eigentümliche Ausdifferenzierung formaler Kompetenzen verstärkt diese Tendenz. Jeder sieht zunächst einmal auf den eigenen Aufgabenbereich und erst dann auf das, was noch „ansonsten“ anfällt. Institutionen verknöchern, wenn Apparat und Funktion die Spontaneität und Freiheit lähmen. Der Blick auf die Quote, sprich: auf die Auslastungszahlen, fördert die Neigung, die auf die je hauseigene Programmatik abgestimmte Erwartungshaltung des Publikums mit Stoffen und Handschriften zu beliefern, die im Rahmen des Gewohnten bleiben. „Lieber nicht ans Stadttheater oder schnell wieder weg“ – die Zahl der Busch-Absolventen, die trotz (oder gerade aufgrund?) ausgeprägter Begabung erst einmal „frei“ arbeiteten oder gezielt Auffrischungsphasen zwischen einem Engagement und dem nächsten einlegten, wuchs mit den Jahren merklich. Äußere Zwänge päppeln das Gespenst der Entfremdung weiter auf. Sparen heißt die Devise vorzüglich an den kleinen und mittleren Häusern, Budget-, Spartenkürzungen, von oben aufgezwungene Fusionen, Produzieren im festen Griff eines erbarmungslosen OutputRegimes: dasselbe mit weniger, mehr mit konstantem Personal und Sachmitteln, Arbeiten im Turbomodus. Auch an den Flaggschiffen des deutschsprachigen Theaters kennt man zumindest einige dieser Nöte. Zudem nistete sich ein anderes Übel der neoliberalen Ära, die Ungleichheitsdynamik, in vielen kulturellen Institutionen inklusive der Theater ein. Insbesondere an den überregional bedeutsamen Bühnen teilen Theaterleitungen und ein paar Handvoll „Stars“ aus Regie, Bühnenbild und sonstigen Schwesterkünsten veritable Teile der konsumtiven Mittel stillschweigend unter sich auf. Manche Intendanten realisieren dasselbe Jahresgehalt wie die deutsche Bundeskanzlerin und finden das nicht weiter problematisch. Man nimmt, was man ergattern kann, geht seiner Wege und bedauert den ärmlichen Rest. Die weniger Glücklichen, darunter viele Frauen, ziehen mit schmalen Einkünften von Haus zu Haus und bestreiten die Ausstattung ihrer Inszenierungen, wenn das Budget dafür wieder einmal nur wenige hundert Euro beträgt, oftmals aus eigenen Mitteln. Dagegen regt sich jetzt entschiedener Widerstand – und das ist gut so. 63
Denkzeichen Diese Misere spricht doch für die freie Szene, für Kunsthäuser, Plattformen und gegen diese Tanker mit sozialer Schieflage, oder nicht? Sie lädt in jedem Fall dazu ein, die Eigenarten „fester“ wie „freier“ Häuser etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Der Soziologe Dirk Baecker hat hierzu diskussionswürdige Überlegungen angestellt. Könnten die Stadttheater, der Fortschreibung ihrer Existenz durch Bund, Länder und Kommunen halbwegs sicher, thematisch und ästhetisch längerfristig disponieren, müssten in der freien Szene „Themen, Performance, Ästhetik und Dramaturgie immer wieder so formuliert werden, dass das gerade abgeschlossene Projekt Aussicht auf ein neues Projekt generiert (…) Darf im Stadttheater jeder Zweifel am Geschehen dadurch aufgefangen werden, dass ‚die Institution‘ erhalten werden muss, so sind es in der Freien Szene jeder Abend und jede Probe, die den Sinn des Ganzen für jeden einzelnen zu motivieren haben“. Daraus erwüchsen zwei verschiedene Operationsweisen. Die Stadttheater prozessierten im Modus der „Repräsentation“, die freie Szene in dem der „Partizipation“.1 Baeckers Antithese überblendet die inneren Differenzierungen der freien Szene. „Das Klischee ‚freies Theater gleich armes Theater und Stadttheater gleich reiches Theater‘ ist ja totaler Quatsch“, erklärte Matthias Lilienthal im selben Heft der soeben zitierten Zeitschrift, und weiter: „Rimini Protokoll, Gob Squad und She She Pop verdienen mehr als die Mitarbeiter am Theater Augsburg oder am Theater Oldenburg.“ Es gibt auf diesem Feld Etablierte, die sich um Anschlussfinanzierungen nicht sorgen müssen, und solche, die sich von Projekt zu Projekt hangeln, glücklich darüber, dass es überhaupt weitergeht – und sei es prekär. Auf dem Gegenpol stellen etliche Stadttheater freien Gruppen Infrastrukturen zur Verfügung und experimentieren ihrerseits mit Formaten und Spielweisen, die an sich der freien Szene eigentümlich sind. Theaterarbeit mit leichtem Gepäck besitzt unbestreitbare Vorzüge: unbürokratische Abstimmung und Themenfindung, kurze Vorlaufzeiten, hohe Beweglichkeit, Reaktivität und Aktualität. Größere Last verlangt nach größerer Übersetzung, verspricht aber auch mehr Ausdauer; Mittel- und Langstrecke bilden die Domäne dieser Arbeitsweise. Eine ganze Spielzeit unter ein Motto stellen zu können: welch ein Luxus, welch ein Gewinn, sofern dieses Motto Theatermachern wie Zuschauern gleichermaßen unter die Haut geht. Ferner setzt gerade das Trägheitsmoment die festen Häuser in den Stand, Zweifel nicht nur ruhigzustellen, wie Baecker meint, sondern zuzulassen, auszuhalten, gezielt zu säen. Hier kann man sich verunsichern, irritieren lassen, zeitweise in die Irre gehen, ohne dass das um64
gehend Konsequenzen für’s Weitermachen heraufbeschwört. Je schwächer dieser Rückhalt, desto mehr ist man auf sich gestellt, abhängig vom Erfolg des je aktuellen Unternehmens, desto berechtigter ist die Befürchtung, potentielle Geldgeber zu verprellen, Rücksicht auf deren „Geschmack“, deren kulturpolitische Präferenzen nehmen zu müssen. Dann nimmt es mit der Freiheit schnell ein jähes Ende. Das Pfund, mit dem die Stadttheater wuchern müssen – weit mehr, als das derzeit vielfach geschieht –, ist die Freiheit vom Druck der Verhältnisse, der Abstand zum Realgeschehen, ist dessen Verfremdung und Verwandlung zu einer Meta-Realität, die Durchblick auf die Verhältnisse gewährt, indem sie ihre Kraft aus sich selber zieht. Autonomie, ohne abzuheben, nur mehr in sich selbst zu kreisen. Für das notwendige Gegengewicht sorgt die Ortsgebundenheit der Theatermacher, die länger dort leben, wo sie arbeiten, das, was sie erleben, in sich aufnehmen, als Ressource für ihre Darstellungen fruchtbar machen. Anspielung, Witz, Persiflage auf der Bühne – das alles zündet nur, wenn es den Geist der Gegend und der Leute atmet. Nur kein Überbietungswettlauf mit denen auf der Kurzstrecke. Theatraler Interventionismus in wohl bemessenen Dosen, nicht als neues Credo. Die Bühne als Tummelplatz für Meinungen und Bekenntnisse von Privatleuten, die dem Schauspieler in sich Dispens erteilen, die sich unmittelbar, unverstellt ans Auditorium wenden, diese Praxis passt besser zu freien Formaten, wirkt allein dort authentisch. Moralisch von oben herab auf die Tube zu drücken, den Hasserfüllten endlich einmal selbst öffentlich Hass entgegenzuschleudern, ist menschlich ebenso verständlich wie ästhetisch reizarm. Und im festen Rahmen fragwürdig. Denn was bleibt den vom Mittun, Mitreden ausgeschlossenen Zuschauern im Saal anderes, als dergleichen Bekundungen kopfnickend oder kopfschüttelnd zur Kenntnis zu nehmen? Dieser ästhetische Populismus teilt mit seinem Gegner, dem politischen Populismus, ein und dieselbe Methode und kommt diesem schon deshalb nicht bei. Weniger Hinterherhecheln also, weniger Tageszeitung ex cathedra, mehr Hintersinn, mehr Übersetzung, vor allem weniger Sorge, immer pünktlich zur Stelle sein, immer richtig liegen zu müssen – nächstens auch wieder am Rosa-Luxemburg-Platz. Das wäre schön. « Wolfgang Engler ist Kultursoziologe und Publizist. Von 2005 bis 2017 war er Rektor der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. 1 Dirk Baecker: Eine Katastrophe im System. Über das Verhältnis von institutionalisiertem Theater und freier Szene aus systemtheoretischer Sicht. In: Die Deutsche Bühne, Heft 7, 2015.
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Luise Meier
Die Volksbühne als Feierabendbier Warum der Ausverkauf des Arbeitertheaters schon in seiner Geschichte angelegt ist von Luise Meier
„Das Proletariat ist nicht in einer weißen Weste geboren“ Bertolt Brecht Der Bau, der da in die Stadt gebombt wurde, wirkt monströs, überwältigend und irgendwie unbesiegbar. Dabei stellt sich gerade heraus, dass vielleicht seine vermeintliche Unbesiegbarkeit so etwas wie eine Achillesferse ist. Eine schön ausgestellte Angriffsfläche, ein externer Speicher der Verwundbarkeit. Das Problem ist dabei weniger das Risiko der Zerstörung als vielmehr das der Korrumpierbarkeit. Die Niederlage wäre dann nicht durch ein Ende der Volksbühne verwundet, sondern durch einen Neuanfang befriedet und integriert zu werden. Die Volksbühne als paternalistisch-philanthropisch gewährte, sozial integrative Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die den Sturz gerade genug verlangsamt, dass wir meinen könnten, wir hätten absichtlich die Position gewechselt. Im Nachhinein taumelt man und fragt sich immer wieder, wie das geschehen konnte, als wollte man die Antwort nicht erfragen, sondern abwehren. Die Frage, wie diese Abwicklung passieren konnte, und der zäh von den Rändern der Wahrnehmung aus ins Zentrum des Bewusstseins zusammenlaufende Unglaube weichen langsam dem Ärger darüber, dass da offenbar noch ein Glaube an irgendwas war. Dabei hätte man wissen oder wenigstens ahnen sollen, dass im Kapitalismus alles irgendwann in die Restmülltonne rutscht, was nicht verwertbar ist. Ein bisschen gewinnt man den Eindruck, so unangenehm das auch sein mag, man sei da doch einem bürgerlichen Verblendungsmechanismus aufgesessen, in dieser unterschwelligen Gewissheit oder Hoffnung, dass es so etwas wie diese Volksbühne ewig geben könnte. Jetzt wurde einem also der Sessel unterm Arsch weggerissen und man findet sich auf dem Beton wieder. Es gibt nicht mehr diese Irren in der Volksbühne, die das Andere, die Utopie, den Widerstand oder den Aufstand proben. Und dann blickt man zurück und einem fällt auf, dass das auch noch die ganze Zeit die Botschaft der Psychos auf der Bühne war. Da TdZ 08 / 2018
waren welche, die haben immer gerufen: Die Apokalypse kommt! Und man hat auf dem Asphalt im Zuschauerraum gesessen und gelacht und gedacht: Nö, solange es euch gibt, kann es ja so schlimm nicht sein. Dabei prangte in der Volksbühne schon das Versace-Logo, das Coca-Cola-Schild, lief der Mensch als Werbetafel über die Bühne, wurde der Sessel buchstäblich durch Asphalt ersetzt. Wie konnten wir so naiv sein und das für ein Bühnenbild halten? Als wäre die Realität, die auf die Bühne gebracht wurde, unbegreiflich gewesen. Und jetzt wo man gezwungen ist, sie zu sehen, weil sie auf der Bühne nicht mehr stattfindet, wünscht man sich nichts sehnlicher, als genau das nochmal auf der Bühne durchgekämpft zu sehen. Das ist kein Vorwurf an den Dealer – man holt sich seinen Stoff, wo man ihn kriegen kann. Man saß da drin und dachte: Auweia! Ja, die da draußen, dieser Kapitalismus, diese Rationalisierung, die noch den letzten Aufschrei einpreist, labelt und im Onlineshop mit kostenlosem Versand anbietet, das ist echt schlimm! Aber hier im Haus der Kritik, des Widerstands und Wahnsinns, in der Verschwendungszentrale bin ich sicher. Und jetzt denkt man doch in einsamen Stunden: Das kann doch nicht sein, dass ich da drin saß wie der Kfz-Mechatroniker am Wochenende auf zweihundert Quadratmetern Kleingarten und dachte: Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein! Die Erzählung war immer, die Volksbühne wäre das trojanische Pferd, mit dem man den widerständigen Gedanken in die bürgerliche Selbstgewissheit einschleust. Aber jetzt in dieser konkreten Situation muss man schon mal fragen, ob sie nicht das trojanische Pferd der anderen Seite war und die bürgerliche Selbstgewissheit in den Widerstand eingeschleust hat. Weil es eben nicht nur um das ging, was da gezeigt wurde, sondern auch um die beruhigende Wirkung der Gewissheit, dass es gezeigt wurde. Oder anders: Man hätte nicht gedacht, dass das, was in der Volksbühne gezeigt wird, tatsächlich der Volksbühne passieren kann. Zeiger abgebrochen, warum denn auch nicht? Ein leiser Zweifel war da immer: Diese romantische Geschichte der Volksbühne, die die Arbeiterinnen sich vom Feierabendbier abgespart hätten. War das vielleicht nicht zugleich auch die Entstehung der Volksbühne als Feierabendbier? Das heißt nicht, dass das Gebäude abgerissen werden muss, aber es sollte, wie so viele Stätten der Arbeiterinnenbewegung, als Bau gewordener Widerspruch auch mit sich selbst verstanden werden. Es ist nicht nur Behauptung gegen die Welt da draußen, es ist auch eine Einrichtung in ihr. Es wäre damals immerhin auch die Besetzung eines bürgerlichen Theaters, wenn nicht umsetzbar, so doch wenigs65
Denkzeichen tens denkbar gewesen. (An dieser Stelle aus gegebenem Anlass: Solidarische Grüße an die Genossis des Besetzerinnenkollektivs!) Diese Ursprungsgeschichte vom Arbeiterinnengroschen hat eine seltsam unproblematische Glattheit an sich. Als wäre da nicht immer auch ein Kampf der Theatermacherinnen mit den Arbeiterinnen und der Arbeiterinnen untereinander gewesen. Als wären die Arbeiterinnen nicht ebenso wie das Gebäude korrumpierbar gewesen. Als müsste man den Arbeitergroschen nicht vor allem permanent davor bewahren, zum ZehnCent-Aufpreis für Starbuckskaffee als Spende für den Regenwald oder zu Wollsocken für Frontsoldaten zu werden. Als hätte Piscator nicht die revolutionäre Taktik bestimmt als „Erziehung des Publikums auch gegen seinen Willen“. Und bei aller Überrumpelung – ist das vielleicht zu guter Letzt passiert? Hat uns am Ende ein Tim Renner nicht den wirklich schockierenden Schock verpasst? Ist der Vorgang der letzten zwei, drei Jahre nicht selbst das Lehrstück? Ein Lehrstück auch in dem Sinne, dass es nicht das Publikum als Publikum adressiert, sondern als Spielerinnen involviert. Ein altes proletarisches Sprichwort: Erst, wenn das letzte Lokalkolorit von euren Mauern abgekratzt, überputzt, entkernt, ausgeschürft, digitalisiert, privatisiert, börsennotiert und rationalisiert ist, werdet ihr merken, dass das Proletariat keine Heimat hat! Die Volksbühne als Raumschiff oder Arche, in das sich alle Gerechten retten, während draußen der Nuklearnebel des Kapitalismus wütet, wurde demontiert. Sie muss jetzt vielleicht ein Shoppingcenter werden, mit Fitnesscenter oben und Parkhaus unten oder ein Hub für Startups. Das ist schade um die Gewerke und die Arbeitsplätze. Aber es war ja auch vor mehr als 25 Jahren schon schade um die Kollektive, um das abgewickelte VEB Berliner Glühlampenwerk „Rosa Luxemburg“ (NARVA) zum Beispiel, das zu DDR-Zeiten Patenbetrieb der Volksbühne war. Womit auch die Utopie einer widerständigen Glühbirne entsorgt wurde, die durch unerhört unaufhörliches Brennen das Spiel der kapitalistisch geplanten Obsoleszenz stört. Selbst wenn die Volksbühne in ihrer „widerständigen“ bzw. widersprüchlichen Form reanimiert werden sollte, wäre die Frage, ob eine öffentliche Klärung der Frage tatsächlich der Weg dorthin wäre. Die Haltung, die so oft „der Kunst“ mit einem seltsamen Anklang an den bürgerlichen Kunst- bzw. Geniebegriff zugeschrieben wird, war in Wahrheit eine viel kompliziertere und widersprüchlichere. Sie war böse. Und da Castorf ehrlich gesagt nicht wirklich als Agitator in der proletarischen Sache aufgefallen ist, wir ihn uns also mühsam durch Unterstellung und Instrumentalisie66
rung zurechtbiegen müssen, lässt sich proletarische Ansteckungskraft vielleicht am ehesten in dieser Boshaftigkeit ausmachen. Oder um es mit Rosa Luxemburg zu sagen: in der Taktik der Taktlosigkeit des Proletariats gegenüber dem Bürgertum oder mit Valerie Solanas im Scum/Abschaum-Sein. Wenn also Scum in die Volksbühne einziehen sollte, dann durch ein Missverständnis, eine Nachsichtigkeit, einen Fehler, eine Täuschung, eine Anmaßung oder eine gezielte, selbstgefährdende, irrationale Sabotage auf Seiten der Verwaltung. Das wirft die Frage auf, ob bei diesem Lehrstück ohne Lehrer nicht Dercon schon ein Scum-Vorbote war, der die Volksbühne abfuckt, um uns den letzten Splitter kleinbürgerlicher Besitzstandswahrung zu ziehen. Die letzten Jahrzehnte der Volksbühne sind aus einem Widerspruch entstanden, der sich nicht im Konsens einer Neubesetzung des Intendantinnenpostens fortsetzen lässt. Was sich da gegen das Wohlkalkulierte, Methodische und Einverständnis Erzeugende gewehrt hat, kann nicht durch die wohlkalkulierte, methodische und einvernehmliche Form der Entscheidungsfindung reproduziert werden. Die Forderung, Einheit zwischen den Interessen herzustellen, den Konflikt zu befrieden, widerspricht dem hauseigenen Prinzip, das auch immer darin bestand Zwietracht zu säen, den scheinbaren Konsens und den Anspruch auf reibungslose Sinnproduktion zu entlarven. Es hieße, die Volksbühne als einen umkämpften Ort zu beseitigen. Es hieße, die Volksbühne gerade als Ausstellungsort der Brüche, die durch die Stadt, deren Verwaltung, deren Bewohnerinnen, deren Kapital, deren Werberinnen, deren Presse und deren Phantasien gehen, abzuschaffen und zum Mittel der Übertünchung zu degradieren. Die Sache mit dem Lehrstück ist nicht nur eine Metapher, sondern die Frage, was in einer Situation wie dieser im günstigsten Fall erreicht werden kann. Wie weit die Wut und die Vorstellungskraft tragen, die ja ihren Grund in einer tieferliegenden Schicht als nur der Institution Volksbühne haben. Um an der Stelle nochmal an Rosa Luxemburg zu erinnern: „(D)as Proletariat (gelangt) durch den gewerkschaftlichen und politischen Kampf zu der Überzeugung von der Unmöglichkeit, seine Lage gründlich durch diesen Kampf aufzubessern, und von der Unvermeidlichkeit einer endgültigen Besitzergreifung der politischen Machtmittel.“ Das ist der Witz am ganzen Marxismus – dass der Kapitalismus durch seinen Erfolg immer auch Selbstentlarvung in den Augen des Proletariats ist. Was allerdings nur funktioniert, wenn es einen Blick gibt, dem das Entlarven wichtiger ist als das vorübergehende philanthropisch-paternalistische oder auch kunstsinnige Zugeständnis des Kleingartenglücks. TdZ 08 / 2018
Luise Meier Die Frage ist dann, ob die Person oder Truppe – die als Ergebnis eines Kompromisses im Haus Fuß fasst – diese Lust am Entlarven wecken kann. Oder ob nicht vielleicht doch die Verwandlung der Volksbühne in ein integriertes Wellness-, Entertainment-, Shopping- und Clubbing-Center einen höheren Grad an Entlarvungspotential darstellt. Ob aus dem Widerstand dagegen nicht letztlich ein interessanteres Maß der Politisierung und Organisierung erreicht werden könnte. Die Verwandlung der Volksbühne in eine Bombe kann vielleicht nur durch ihre Explosion erreicht werden. Das würde ich als Denkoption gegenüber einer entschärfenden Musealisierung oder eines Neuanfangs im Einverständnis gerne mal in den Raum stellen. Nicht als produktiv sachdienlicher Beitrag zum Diskurs, sondern als Vorbote der uns vermutlich bevorstehenden Kämpfe. Oder um an der Stelle auch mal mit Brecht zu wedeln: „Was von der Kultur also verteidigen wir? Die Antwort muß heißen: Jene Elemente, welche die Eigentumsverhältnisse beseitigen müssen, um bestehenzubleiben.“ «
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Luise Meier ist freie Autorin in Berlin.
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Denkzeichen
Orte der Überschreitung Fantasie und Vorstellungskraft sind unerlässlich für eine politische Erneuerung der öffentlichen Geografie von Jakob Hayner
Der Soziologe Richard Sennett hat in seinem Werk „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität“ darauf aufmerksam gemacht, dass die Schaffung einer öffentlichen Geografie sehr viel mit der Vorstellungskraft oder der Fantasie als sozialem Phänomen zu tun hat. Die Ausbildung eines Bewusstseins vom öffentlichen Raum – und des Handelns in ihm – verläuft für Sennett analog zur Fähigkeit der Symbolbildung. Die gesellschaftlichen Vorstellungskräfte stehen also in einem direkten Verhältnis zur öffentlichen Geografie. Beide sieht Sennett im Niedergang, bedroht durch die Ideologie der Intimität, die Vorstellung, dass Gemeinschaft und Gesellschaft sich nicht über Symbolbildung herstellen, sondern das Produkt gegenseitiger Selbstentblößung seien. Nicht die Erweiterung des Selbst durch dessen Überschreitung, durch Ekstase, das Außer-sich-Sein, sondern Rückzug ins vermeintlich Authentische folgten daraus. Das Selbst ist nicht mehr Mittel, sich mit der Welt in Beziehung zu setzen, sondern Zweck – ein Zweck freilich, der zur Verarmung dessen führt, was er voraussetzt. Übrig bleiben erfahrungsunfähige isolierte Individuen, die sich in einer narzisstischen Schleife verlieren, denn je mehr sie gezwungen sind, das eigene Selbst zur Grundlage all ihren Glücks zu machen, desto mehr blockieren sie die Erfüllung ihrer Wünsche. Dieser „Selbstgenuss bei Ich-Verlust“ (Franz Schuh) ist zur Voraussetzung von Individualisierung heute geworden, die dank der Fortschritte der Unterhaltungsindustrie auf eine öffentliche Geografie nicht mehr angewiesen ist. Sennett sieht zwischen öffentlichem Leben und Theater eine Verbindung, sie besteht in Fantasie, Spiel, Verstellung, Rolle und dem Publikum, das durch das entgegengebrachte Interesse den Auftritt überhaupt zu einer gesellschaftlichen Erfahrung macht. Der Zweck besteht in der Erweiterung der Grenzen der Vorstellungskraft. Diese Qualität konnte das öffentliche Leben aber überhaupt erst hervorbringen, indem es zunächst Fremdheit zur Voraussetzung machte. Entfremdung wird zu einem produktiven Vermögen, wo sie nicht mit 68
Phrasen von Harmonie, Wärme und Einigkeit verdeckt wird. Denn der Schritt zur bewussten Selbstentfremdung durch Überschreitung kann Fremdheit überhaupt ertragbar machen, während die Beschwörung der Nähe dazu neigt, weder sich noch anderen solche Momente zuzugestehen und damit die Erhaltung der repressiven Gemeinschaft zum einzigen Zweck zu erheben. Die Frage der Öffentlichkeit ist eine Frage nach der Form gesellschaftlicher Beziehungen – und ihrer Darstellung. Publikum ist unbedingt vonnöten. Marx schreibt, dass der wirkliche geistige Reichtum des Individuums ganz von dem Reichtum seiner wirklichen Beziehungen abhängt. Diese Beziehungen zu begreifen, bewusst zu machen, als veränderbar zu erfahren und auch die Fantasie zu besitzen, ihre Veränderung im Sinne einer vernünftigeren, weil besseren Einrichtung der Welt zu betreiben, macht das Theater erst zu dem Ort, an dem eine sinnliche Erfahrung auch eine soziale Erfahrung ist. Die Möglichkeit, das bisher Gedachte und Gefühlte der Spielenden wie Zuschauenden tatsächlich zu überschreiten, die Vorstellungskraft bis ins Utopische zu verlängern, hängt von den Bedingungen ihrer Realisierung ab. Diese Bedingungen sind nicht nur die eines arbeitsteiligen Betriebes, eines Hauses, einer Architektur, diese Bedingungen meinen auch die gesellschaftlichen Funktionen, die ein Theater einnimmt. Die öffentliche Geografie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend verändert. Das betrifft zunächst die Städte selbst. Was Marx und Engels im „Manifest der kommunistischen Partei“ als eine der prägendsten Erfahrungen ihrer Zeit und großen Errungenschaften der Bourgeoisie beschreiben – nämlich das Land der Herrschaft der Stadt unterworfen und einen bedeutenden Teil der Bevölkerung dem Idiotismus des Landlebens entrissen zu haben –, scheint heute an ein Ende gekommen. Die Vorherrschaft hat sich zwar ausgeweitet, erstmals leben weltweit mehr Menschen in Städten als auf dem Land, doch entledigen sich die Städte ihres Charakters, der sie vom Land unterschied. Urbanisierung ohne Urbanität, so beschreibt der Soziologe Mike Davis die Verfasstheit der neuen Metropolen und Megacitys. Menschen leben zwar auf engstem Raum zusammen, es entwickelt sich aber keine städtische Architektur, keine Öffentlichkeit, keine neue Qualität des Zusammenlebens. Dieser Prozess ereignet sich in aller Drastik zwar in der wirtschaftlichen Peripherie, in den Ländern des globalen Südens, er zeigt aber Veränderungen an, die sich überall ereignen. Denn auch die Städte, die historisch einen sehr hohen Grad an Urbanität ausgeprägt haben, sind bedroht. Privatisierung, Immobilienspekulation, Musealisierung, Eventisierung und Massentourismus sind die deutlichsten Ausprägungen TdZ 08 / 2018
Jakob Hayner davon, dass die Städte selbst zu einer Ware werden. Ein Ding kann eine Ware aber nur sein, wenn sie tauschbar ist, austauschbar, das wiederum ist sie nur, wenn sie einen Nutzen hat, der für andere ist. Auf einer einfachen Ebene ist das evident – man kann nur das Brot verkaufen, das man selbst nicht isst. Bei urbanen Räumen verhält es sich im Grunde gleich, denn nur was freigesetzt ist, kann auch verwertet werden. Die Inwertsetzung der Städte funktioniert also wie folgt: Sie können nur in dem Maße zur Ware werden, wie sie der Benutzung der Bewohner entzogen werden. Die Kehrseite der Vermarktung ist die Enteignung. Deswegen tobt ein Kampf in den Städten, der von jenen, die Besitz und damit verbundene Verwertungsinteressen haben, auch mit allen rechtlichen und polizeilichen Gewaltmitteln geführt wird, wo diese nötig sind. Doch auch dort, wo dieser Prozess nicht die Existenz unmittelbar bedroht, zerstört er die Stadt als Erfahrungsraum, zerstört dessen öffentliche Geografie. Guy Debord, der diesen Prozess in den 1950er und 60er Jahren in Paris sehr präzise beobachtet und beschrieben hat, formuliert es in seinem Buch „Die Gesellschaft des Spektakels“ wie folgt: „Die wirtschaftliche Erschließung des Besuchs verschiedener Orte ist bereits von selbst die Garantie ihrer Äquivalenz. Dieselbe Modernisierung, die der Reise die Zeit entzogen hat, hat ihr auch die Realität des Raums entzogen.“ Die Realität des Raums ist nicht weniger als die spezifische Differenz, die Erfahrung ermöglicht. Der Raum aber, der nur eine unspezifische Bühne ist für alle zahlungskräftigen Bedürfnisse, die auf dem Weltmarkt zirkulieren wie Waren, verunmöglicht eine Nutzung jenseits seiner Herrichtung für diesen Markt. Die Auseinandersetzung um die Stadt, der Kampf um die Lebensbedingungen, verbirgt sich hinter der Ideologie der allgemeinen und gleichen Dienstleistungsgesellschaft. Jeder tut dem anderen einen Dienst – alle arbeiten im Service. Doch wofür eigentlich – und für wen? Über die Städte der Gegenwart zu sprechen, bedeutet diesen Konflikt um ihre Gegenwart und Zukunft einzubeziehen. Dieser Konflikt ist allgegenwärtig, er zeigt sich an den Gated Communities, die sowohl an den Stadträndern als auch in den Innenstädten entstehen – mit der gleichzeitigen Schließung von Jugendclubs und Seniorenheimen, der Privatisierung von städtischer Infrastruktur, dem Funktionswechsel öffentlicher Einrichtungen. Die Konflikte der Gegenwart haben sich auch in der politischen Theorie niedergeschlagen. Zu unterscheiden sind im Moment zwei Versuche, das Problem zu fassen. Zuerst wäre da die Theorie der Anerkennung, die alle Konflikte als Anerkennungskonflikte auffasst, eine sozialpsychologisch und moralisch verharmloste Lesart von Hegels Kampf um Anerkennung. Die TheTdZ 08 / 2018
orie der Anerkennung erfreut sich gerade in der Kulturlinken großer Beliebtheit, kreist sie doch gerade in ihrer auf Sprachhandlungen zugespitzten Form beständig um das Ideal einer transparent gemachten Differenz anhand der Pole Subjektivität und Identität. Sie hat deswegen auch eine untergründige Verbindung zur Ideologie der Intimität. Nur hat die Theorie der Anerkennung einen blinden Fleck, sie verortet die Aushandlungsprozesse innerhalb der bestehenden politischen Ordnung, behauptet formale Kriterien der Diskursivität, ignoriert aber deren partikularen Charakter, deren inhärenten Ausschluss. Dem entgegen steht eine Theorie, die den Konflikt nicht auf der Ebene der sprachlichen Repräsentation verortet, sondern in den Verhältnissen selbst, die keinen vernünftigen Gesellschaftsvertrag erkennen kann, sondern zuallererst Gewalt, Unterwerfung und Zwang. Und die kein Interesse hat, sich für diese Ordnung in der Art und Weise zu engagieren, dass man Management der Identitäten und Pflege der Subjektivitäten betreibt, sondern die in der Überschreitung derselben die Voraussetzungen eines kollektiven Versuchs zur Abschaffung der jetzigen Gesellschaftsordnung und Errichtungen einer anderen sieht. Diese Theorie des Konflikts hat einen anderen Ausdruck in einer öffentlichen Geografie und einer Bühnenästhetik als die der Anerkennung. Beide stehen gewissermaßen in einer feindlichen Beziehung zueinander. Es ist unschwer zu erkennen, dass die Volksbühne in den letzten Jahrzehnten eine Verbindung zur Theorie des Konflikts statt zu der der Anerkennung unterhielt. Und dass sie die Überschreitung im Sinne einer öffentlichen Geografie zum Rollenmodell machte, nicht die Intimität und das wohlige Mit-sich-selbst-Sein. Und mit diesem Programm – das auf Entschiedenheit setzte, nicht auf eine ausgewogene Produktpalette für verschiedenste zuvor fein säuberlich evaluierte Konsumentengruppen – stand das Theater auch allein da. Doch Entschiedenheit, Mut und Talent vermochten es, ein Publikum zu schaffen und zu binden, eine Gruppe von Menschen, die bereit waren, ihre Fantasie anregen zu lassen. Darin liegt die Aufgabe für eine Zukunft der Volksbühne: in Zeiten der Zerstörung von Öffentlichkeit und der Enteignung der Bewohner der Städte dem Konflikt eine Bühne zu geben, auf der Überschreitung zur sozialen Erfahrung werden kann. Ein solches Theater könnte ein Ort, ein Raum einer öffentlichen Geografie werden, in dem Widerständigkeit und Ungehorsam eingeübt und zugleich Fantasie und Entgrenzung mit politischer Vorstellungskraft verbunden werden. Die Volksbühne der Zukunft muss die Funken schlagen, die auf dem Gebiet der sinnlichen Erfahrung noch eine apokryphe Verbindung zum Gedanken der Revolution 69
Denkzeichen aufrechterhalten – in den finsteren Zeiten, wo die politische Bewegung, die das Haus einst ins Leben rief, vorerst zusammengebrochen oder vom Gedanken der Revolution gänzlich verlassen worden ist. Bestens illustriert wird dies durch die Tatsache, dass es Vertreter einer altehrwürdigen Arbeiterverräterpartei waren, die das Theater in seiner Eigenheit zu zerstören trachteten. Dass dieser Versuch fürs erste von Publikum und Menschen aus der Stadt aufgehalten wurde, ist nur ein kleiner Erfolg in dem Konflikt um die Öffentlichkeit, der sonst mit zahlreichen schmerzhaften Niederlagen einhergeht. Aber auch das zu reflektieren, bräuchte es einen Ort – inmitten der Wirren der Vorgeschichte. «
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Bert Neumann Bühnenbilder
Jakob Hayner ist Publizist in Berlin.
Die überlebensgroße (Bühnen-)Wirklichkeit Bert Neumanns wird in diesem Band dokumentiert und ist nach dem plötzlichen Tod des Bühnenkünstlers am 30. Juli 2015, der neben Frank Castorf auch mit Johan Simons, Thomas Langhoff und René Pollesch arbeitete, in einer unveränderten Neuauflage lieferbar. Bert Neumann “IMITATION OF LIFE” Bühnenbilder Herausgegeben von Hannah Hurtzig Klappenbroschur mit 208 Seiten durchgehend farbig illustriert ISBN 978-3-934344-08-2 EUR 10,00 (EUR 19,50) Erhältlich in Ihrer Buchhandlung oder portofrei unter www.theaterderzeit.de
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Guillaume Paoli
Wer erklärt die Stadt? Eine Bühne für Hass und Humor in Zeiten des Stadtmarketings von Guillaume Paoli
Nach dem unrühmlichen Fehlstart an der Volksbühne soll das Blatt tunlichst gewendet werden. Jetzt ginge es darum, zum eigentlichen Theaterbetrieb zurückzukehren, wobei fraglich ist, was Normalisierung für eine solch abnorme Institution bedeuten mag. Die Erfahrung mit Chris Dercon hat sowieso Grundsatzfloskeln und allumfassende Deklarationen suspekt gemacht. Jene Kulturprominenten, die seinerzeit die Ankunft des visionären Kurators als Segen für die Stadt priesen, geben heute für das Debakel allein einer verfehlten Personalentscheidung die Schuld. Zwar wurde akribisch offengelegt, welch unglaubliche Fehler auf das Konto des Berliner Kultursenats gehen, nur sollte eines nicht übersehen werden: Es waren nicht nur Phrasen und Pannen, auch eine strategische Überlegung war dabei. Um denselben Fehler nicht zu wiederholen, wäre es ratsam, eben jene Überlegung zu hinterfragen. Heute noch können manche nicht begreifen, wie ein Intendantenwechsel zu einem „Kulturkampf“ um Stadtentwicklung, Gentrifizierung und gar Neoliberalismus eskalieren konnte.1 Dazu genügte es, die Aussagen des früheren Staatssekretärs Renner aufmerksam zu lesen. Seine Argumente hatten weder mit Ästhetik noch mit Theaterbetrieb zu tun. „Wir bauen eine neue Stadt“, brüstete er sich im Interview (ähnlich beschrieb Chris Dercon seine Aufgabe als „City-Making“, vielleicht in Anlehnung an das „Nation Building“ der Amerikaner: zunächst alles erfolgreich plattmachen, dann geht der Aufbau in die Hose). Die immer wiederholte Begründung für den Wechsel war eine bevölkerungsstatistische. In den letzten zwanzig Jahren seien die meisten alteingesessenen Berliner weggezogen und die Zugezogenen nun in der Mehrheit, ein erheblicher Teil davon aus dem Ausland kommend. Infolgedessen liege ein ganz anderer Anspruch auf der Kultur der Stadt. Zugleich sei die Wandlung eine ökonomische. Vorwiegend strömten kreative Menschen nach Berlin, und das täten sie wegen des Kulturversprechens. Das sei die große Chance für die Hauptstadt: Sie sei dabei, zur Boomtown Europas zu werden – nicht mehr arm, aber immer sexy. Nur müssten die örtlichen Einrichtungen entsprechend umgestaltet werden, allen voran die Volksbühne. TdZ 08 / 2018
Offensichtlich sind solche Gedanken von dem UrbanStudies-Theoretiker und einflussreichen Städteberater Richard Florida entliehen. Demnach sei die Creative Class die Schmiede des zukünftigen Wachstums. Anders als die klassischen Industrien ist die Kreativwirtschaft an keinen besonderen Ort gebunden. Die Akteure wählen sich die attraktivste urbane Atmosphäre aus. Also müssen alle Metropolen konkurrieren, um Kreative anzulocken. Zu diesem Zweck wird die kulturelle Apparatur optimiert. Florida hat ein Ranking-System erarbeitet, nach dem die Städte mit gewissen Kriterien punkten, die Zahl der Mikrobrauereien etwa, der Anteil der Gay Community oder die Frequenz der Radwege. Alle Merkmale sind unter dem Wahlspruch subsumiert: Boheme, Toleranz, Diversität! Verständlicherweise bestreiten die Verfechter des Projekts vehement, sie seien „neoliberal“. Für waschechte Neoliberale sind Kulturausgaben reine Verschwendung von Steuergeldern. In London, wo Chris Dercon herkam, hat die unkontrollierte Entfesselung der Marktkräfte die Kreativen aus der Stadt verdrängt, übrig bleiben neofeudale Verhältnisse und kultureller Stillstand. Die wirtschaftliche Dynamik hat sich selbst erdrosselt. Es sollte in Berlin ganz anders geschehen. Hier werden Kulturausgaben als wachstumssichernde Investitionen betrachtet. Sie sollen dafür sorgen, dass die potenten internationalen Zuzügler eine gastliche Atmosphäre finden. Freilich führt dieser Zustrom zwangsläufig zu erhöhter Konkurrenz, Raumknappheit und steigenden Immobilienpreisen. Diese Evolution sei unumgänglich, aber sie könne durch ein Korrektiv erträglich gemacht werden. Danach gefragt, was für ihn die Volksbühne sei, antwortete Renner: „ein Gegenpol zu der gentrifizierten Welt drumherum, ein zentraler Spielplatz für Kultur“. Nur zeigt die Erfahrung in Seattle oder Los Angeles, dass solche Spielplätze nur so lange geduldet werden, wie sie der Aufwertung des Standortes dienen. So wie kleine Startups von monopolistischen Hightech-Firmen verschlungen werden, mutiert bald die örtliche Kultur zu Big Commerce. Hinter der pseudo-objektiven Lagebeschreibung lässt sich ein rein ideologisches Konstrukt leicht erblicken. Angefangen mit der Grenzziehung zwischen kreativen und nicht-kreativen Berufen. Wieso sollte ein Game-Entwickler oder eine Werbefachfrau schöpferischer sein als ein Zahntechniker oder eine Konditorin? Seitdem jede Art von Kundenbetrug als „kreative Lösung“ verkauft wird, ist der Begriff ohnehin diskreditiert. Doch selbst wenn wir von der gängigen Definition ausgehen, die Kreativwirtschaft wird maßlos überschätzt. In Berlin beträgt ihr Anteil an der Bruttowertschöpfung bescheidene 8,5 Prozent. Und sie be71
Denkzeichen schäftigt gerade mal zehn Prozent der arbeitenden Bevölkerung. Damit nicht genug: Mit dem kulturell geprägten Klassenbegriff wird die Tatsache verdrängt, dass die meisten Menschen, die sich in Medien, Kunst, Architektur oder Design verdingen, prekär beschäftigt sind und dieselben Sorgen um das Monatsende und die Mietsteigerung teilen wie die Restbevölkerung. Dasselbe gilt auch für Zuwanderer, die aufgrund mangelnder Opportunitäten ihr Herkunftsland verlassen haben. Die Wahrheit verkündet ein Fernet-Branca-Werbeplakat: „Du feierst Dich als Teil der Berliner Kreativszene, sie Dich als günstige Arbeitskraft.“ Life is bitter. Also wurde der Panzerkreuzer am Rosa-Luxemburg-Platz deswegen versenkt, damit die vermeintlichen Wünsche einer winzigen Zielgruppe bedient werden. Selbstverständlich wurde die Volksbühne noch nie vom „Volk“ besucht, was auch immer damit gemeint sein soll. Theatergänger machen höchstens zwei Prozent der Stadtbevölkerung aus, und selbst in dem von Arbeitergroschen gebauten Haus ist die soziale Zusammensetzung ungefähr die gleiche wie in anderen Spielstätten. „Die Kunst dem Volke“ bedeutet eigentlich: die Kunst für niemand Besonderes. In Berlin galt immer: „Mach dein Ding und zeig, ob du dich hier durchsetzt.“ Nun aber wurden (ausgerechnet von Sozialdemokraten) neun Zehntel für eine vernachlässigbare Menge gehalten. Kein Wunder, dass so viele Alt- wie Neuberliner mit leidenschaftlicher Empörung reagierten. Selbst die anvisierte Zielgruppe blieb dem großen Saal fern, wie es die leeren Sitzreihen Abend für Abend kläglich bezeugten. Die reale Stadt stemmte sich gegen die phantasierte. Nun ist die Episode vorbei. Dennoch sollte sie nicht auf eine Kopfgeburt eines zum Politiker gewordenen Musikmanagers reduziert werden. Die Denkweise ist weit verbreitet.2 Neuerdings hat der kulturell geprägte Klassenbegriff Konjunktur. So erklärt etwa der Soziologe Andreas Reckwitz, die Gesellschaft sei in zwei Lager gespalten. Einerseits die Vertreter der „Hyperkultur“, gut ausgebildet, individualistisch und weltoffen; andererseits die „Essenzialisten“, welche an kollektiven Traditionen und lokalen Gepflogenheiten hingen. Die einen stünden für Diversität, die anderen für Identität. Da haben wir das pseudosoziologische Pendant der Kreativwirtschaft. Mit solch einer groben Denkschablone lassen sich leicht die Castorf-Fans in dieselbe Ecke wie die Anhänger der AfD schieben. Alles Identitäre! Zudem wird damit verdeckt, wie homogen die Diversitätsverfechter in Wirklichkeit sind. Die häufig gestellte Frage „Wem gehört die Stadt?“ lässt sich leicht beantworten, ein Blick ins Grundbuch reicht. Problematischer ist die Frage: Wie und von wem wird die 72
Stadt definiert? Geschieht das von oben herab und ohne Selbstdistanzierung, sind die Folgen vorprogrammiert. Ohne in die Illusion zu verfallen, über die Kunst könnte basisdemokratisch entschieden werden. Wichtig ist doch, den vielen Stimmen zuzuhören, die sich heute noch engagieren, um die Volksbühne zu retten. Sie spiegeln ein getreueres Bild der urbanen Sehnsüchte wider als vorgefertigte Modelle. Mit dem anstehenden Neuneuanfang wird öfters der „Geist“ der Volksbühne beschworen. Dabei muss erläutert werden, was daran besonders ist. Für Anpassung an die wirtschaftlichen Erfordernisse hat der Geist nichts übrig – und genau das hat ihn zum erfolgreichen Exportartikel gemacht! Politisch ist er, zweifelsohne, aber nicht indem er das gute Gewissen seines liberalen Publikums bedient, sondern es mit Widersprüchen ankratzt. So sehr St. Christoph und der Heilige Frank heute beweihräuchert werden, sie hatten reichlich für Zähneknirschen und Tobsucht im Zuschauerraum gesorgt. Nun hören wir: Wichtig seien heute Inhalte wie Gendergerechtigkeit, Migration, Postkolonialismus oder Partizipation. Aber solche Inhalte werden doch in allen Theatern der Republik durchdekliniert (zum Glück sind momentan die Rechten nicht in der Lage, eine Bühne zu erobern). Alleinstellungsmerkmal der Volksbühne sind nicht die Themen an sich, sondern die unehrerbietige Art, Themen zu behandeln. Mit Exzess, schmutzigem Humor und nicht zuletzt: Selbstironie. Respektlos – auch gegenüber den gutgemeinten Konventionen des linken Diskurses. Frei von Sternchen und gewaltfreier Kommunikation. Ja, auch mit Hass. Hate speech gehört auf die Bühne. Es ist die Funktion des Theaters, das geschehen zu lassen, was in der Außenwelt nicht gestattet ist. Vor allem soll es wieder ein Ort des Lachens werden. Während der kurzen Dercon-Zeit wurde nicht gelacht. Während des Dauerplenums von Staub zu Glitzer auch nicht. Die kommende Intendanz darf sehr wohl von einem jungen Künstler, einer Frau, einem Ausländer oder einem Kollektiv übernommen werden. Mittel und Ästhetik mögen sich ändern und diversifizieren. Hauptsache, die geistige Haltung wird bewahrt. Andernfalls könnte das kostspielige Haus ebenso gut in ein Museum verwandelt werden – was für Dercon eine späte Bestätigung wäre. « Guillaume Paoli ist Philosoph und Publizist in Berlin. 1 Zugegeben, den Anfang hatte ich gemacht: Guillaume Paoli: Die Wegkuratierung des Widerspenstigen, in: Berliner Gazette, 21. Juli 2015. 2 Nicht ohne Schadenfreude liest sich heute der „Offene Brief an Berlins Regierenden Bürgermeister zur Unterstützung Dercons, der 2016 von namhaften Persönlichkeiten der Kulturwelt unterschrieben wurde (abrufbar auf nachtkritik.de).
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Joachim Fiebach
Altes denken für ein Neues Die Revolution im Theater muss nicht neu erfunden, sondern fortgeschrieben werden von Joachim Fiebach
Von Beobachtungen zur bisherigen Geschichte der Berliner Volksbühne ausgehend, sehe ich einige allgemeine Kennzeichen, die Leitlinien für ihre Neugestaltung als einer subventionierten, nicht nur für Berlin künstlerisch und soziokulturell bedeutenden Institution für Darstellungen sein könnten oder sollten. Eine Gruppe von Theaterkünstlern (Schauspielern, Regisseuren, Bühnenbildnern usw.), die für eine gewisse Zeit zusammenarbeitet, oder eben das, was als ein Theaterensemble im weiten Sinn zu verstehen ist, wäre der Kern, gleichsam die Säule für alle Aktivitäten des Hauses. Sie sollte unbedingt offen, das heißt bereit, sein für die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, die ästhetisch different agieren, auf eine besondere, andere Spielweise zielen. So würde an die Haltung angeknüpft werden, die wohl entscheidend war für die soziokulturell und spezifisch ästhetisch-künstlerisch herausragenden Phasen der Volksbühne am RosaLuxemburg-Platz nach 1945 – die Jahre von 1969 bis 1976, als unter anderen die Regisseure Benno Besson, Manfred Karge, Matthias Langhoff und Fritz Marquardt hier arbeiteten, und die Zeit von 1992 bis 2017, als neben Castorf Marthaler, Schlingensief, Kresnik und andere inszenierten. Das würde, natürlich in anderer Weise, auch das widersprüchlich-produktive Zusammenwirken unterschiedlicher, höchst differenter ästhetischer Herangehens- und Gestaltungsweisen wieder aufgreifen, mit denen die Schaubühne am Halleschen Ufer von 1970 bis 1981 zum wohl bedeutendsten Theater Europas wurde. Ihr Ensemble spielte auf der einen Seite Peter Steins von dramatischer Literatur ausgehende hochkreative Inszenierungen und auf der anderen Seite Klaus Michael Grübers bis ins Surreale gehende, dialektische, eminent kritische MontageKonstruktionen. Zum Ende des Jahrzehnts realisierte es mit Robert Wilsons Bilder-Erzähler-Schauspiel „Death Destruction & Detroit“ und Meredith Monks epischer Oper „Vessel“, einer sich über mehrere Tage und Räume erstreckenden Performance, zwei Produktionen, die sich in der spezifisch-ästhetischen und in der soziokulturellen Ausrichtung wesentlich von denen Steins TdZ 08 / 2018
und Grübers und zugleich voneinander abhoben. Es sind übrigens überwiegend für eine gewisse Zeit zusammenarbeitende Darsteller, eben Ensembles, die, soweit ich übersehen kann, Grundpfeiler großer bedeutender europäischer Theaterkunst seit dem 16. Jahrhundert, seit der Commedia dell’arte und den Truppen der Shakespeare-Zeit waren. Ensembles, die vorwiegend fest an einem Haus mit entsprechender nachhaltiger örtlicher Wirksamkeit spielten oder die sich nach längerer Wanderschaft, auf der sie ihre Projekte gestreut verkauften, oft verkaufen mussten, wie die MolièreTruppe oder die italienischen Komödianten im 17. Jahrhundert, die sich für längere Zeit in einer Pariser Spielstätte niederließen und dort ihre wohl größte Ausstrahlungskraft entfalteten. Eine prinzipiell kritisch-zweifelnde Offenheit dürfte die Grundhaltung derjenigen sein, die sich in der Spur der bedeutenden Phasen der Volksbühne bewegen, kritisch in der künstlerischen Auseinandersetzung mit den widersprüchlich-konfliktvollen gesellschaftlichen Realitäten wie zu ihrer eigenen Kunstpraxis und im Umgang mit anderen Kunstformen. Es sollte nicht zurückgegangen werden hinter die Öffnung des Schauspielhauses für das Darbieten im Prinzip aller oder zumindest vieler Arten zeitgemäßer darstellerischer Kunst. Als 2015 der neudesignierte Chef Dercon und sein Team betonten, ihre Volksbühne werde jetzt ein ganz anderes, neues Theater mit einem vielseitigen, bis zur Präsentation von Tanz und Konzert breit ausgelegten Programm sein, hatte das die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz bereits lange mit einem entschieden produktiven Angebot von Schauspiel, Filmpräsentationen, Tanz, Musikaufführungen im Kern schon praktiziert – überdeutlich sichtbar und gerade wieder in Erinnerung gerufen durch eine Tanztheaterproduktion, mit der Kresnik nach seiner Mitarbeit in den 1990er Jahren zur Volksbühne zurückkam. Der Anspruch, ein ganz neues Theater zu machen, kam anscheinend den theaterunkundigen Herren im Senat wunderbar gelegen. Das Argument „großartig Neues“, mit dem auch manches Feuilleton hämisch gegen angeblich im lokalen Saft verharrende, alttrottelige Kritiker der Senatswahl loszieht, verschleierte, dass man das lästige, unangenehm politisch-kritische, anarcho-aufsässige und plebejisch-schmuddelige Haus satt hatte und es in sein philosophisches, kulturpolitisches und klassensoziales Gegenstück verkehren wollte: in ein lokales Zentrum leerer Jetset-Hochglanz-Darstellungen heutiger globalisiert charakterloser bürgerlicher Hochkultur. Die im weiten Sinne linke Haltung der alten Volksbühne(n) könnte Anregung sein für das noch zu findende Ensemble. Für mich würde das einschließen, 73
Denkzeichen dass man sich als ein kulturelles Zentrum versteht und sich nicht nur mit seinen im engeren Sinn künstlerischen Produktionen in die soziokulturellen, politischen und philosophischen Auseinandersetzungen der Zeit einmischt. An das, was schon der mit Brecht aus der romanischen Schweiz nach Berlin gekommene Benno Besson als Intendant für die Volksbühne konzipierte, wäre anzuknüpfen: ein linkes, kritisches Theater, das seine Räume für die Berliner Öffentlichkeit öffnet und mit der Gesellschaft über spezifisch künstlerische, betont spielerische Darstellungen hinaus auch mit anderen kulturellen Aktionen in einen produktiven Dialog tritt. Das Spektrum der damaligen Aktivitäten reichte von für mehrere Tage en suite veranstalteten SpektakelInszenierungen in allen Räumlichkeiten des Hauses bis zu widerspenstigen, aufsässig-kritischen Produktionen alter, „klassischer“ Stücke wie in der rebellischen Deutung von Schillers „Die Räuber“ durch Karge/ Langhoff. Besson gab, bedrängt von der restriktiven Enge der DDR-Kulturpolitik, 1976 auf, so auch Karge/ Langhoff, die danach in der Bundesrepublik arbeiteten. Castorf, als Student nicht zuletzt sehr beeindruckt von der „Räuber“-Inszenierung, knüpfte 1992 an dieses Projekt an, gleichsam versetzt mit seiner Sicht des linken Berliner Dadaismus und seinem Interesse für Piscators politisches Theater der Weimarer Republik. Nach 1990 konnte die Volksbühne Bessons Programm der aktiven direkten Kommunikation mit seinem Publikum, mit der Gesellschaft, in der man sich bewegen muss, aufnehmen und in einer weitläufig linken Politisierung das Schauspielhaus zu einem kulturellen Zentrum machen, das spielerisch und zugleich in eindringlich fordernder Ernsthaftigkeit die vertrackte Widersprüchlichkeit der äußerst konfliktbeladenen gesellschaftlichen Realitäten auch mit nicht-künstlerischen Aktionen kritisch-produktiv zu verhandeln suchte. Man beherbergte verschiedene Veranstaltungen, eher trocken-akademische Konferenzen wie zum Kommunismus oder größere, alle Räumlichkeiten besetzende Diskussionen und performative Auftritte von Wissenschaftlern und Künstlern zur Erinnerung an die
Berliner Konferenz 1884/85, auf der die Herrschenden der europäischen bürgerlichen Wertegemeinschaft ihre räuberische Kolonialisierung nicht zuletzt unter dem Deckmantel notwendiger zivilisatorischer Modernisierungsmission des vorgeblich barbarisch unzivilisierten Afrika festschrieb. Es böte sich für eine neugestaltete Volksbühne an, 2021 zum 150. Jahrestag die Pariser Commune mit einer ähnlich strukturieren Aktion des revolutionären Versuches einer basisdemokratischen, sozialökonomisch solidarischen Gesellschaft von 1871 zu gedenken, den die damaligen französischen und deutschen Machthaber der Bourgeoisie brutal mit dem Massaker an über 20 000 bereits besiegten Kommunarden abwürgten. Der Umgang des sich entfaltenden Kapitalismus mit den in seinen Zentren Kolonialisierten wäre gleichsam zu lesen als eine Warnung für die in der afrikanischen Peripherie, deren (historisch vorläufiges) Schicksal er 1884/85 mit seiner Berliner Konferenz besiegelte. Warum nicht jetzt an einer erneuerten Volksbühne mit einer ähnlichen Aktion Hintergründe der heutigen Migrationsbewegungen kritisch befragen? Das könnte zum Beispiel mit einer künstlerisch-performativen und mit einer analytisch-diskursiven Veranstaltung geschehen. Diese müsste versuchen, einsehbar zu machen, welche Anteile die immer noch imperialen, gleichsam neokolonialen ökonomischen und von der (EU-Handelsund Vertrags-)Politik geförderten Verhaltensweisen unseres satten Deutschlands inmitten des satten Europas daran hat, dass Hunderttausende nicht nur aus kriegsverwüsteten, zerfallenden Staaten wie Afghanistan und Syrien, sondern gerade auch aus einem daran gemessen relativ „friedlichen“ Westafrika verzweifelt nach Europa strömen. « Joachim Fiebach ist Theaterwissenschaftler. Er lehrt als Prof. em. an der Freien Universität Berlin.
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Friedrich Dieckmann
Warten auf den Neuerer von Friedrich Dieckmann
Als – es ist siebenundzwanzig Jahre her – unter dem Vorsitz von Ivan Nagel vier Fachleute der Theaterkritik und -wissenschaft zusammengerufen wurden, um die staatlich finanzierte Theaterlandschaft des vereinigten Berlin zu analysieren und Vorschläge für ihre Neuordnung zu machen, machte die Zukunft der Volksbühne die wenigste Arbeit: Wer anders als Frank Castorf, der zu dieser Zeit am Deutschen Theater einen fruchtbaren Gegenpol zu der Regiearbeit sowohl Heiner Müllers wie Thomas Langhoffs bildete und in dem Haus am Luxemburgplatz eine lustvoll-raumgreifende Arbeit vorgelegt hatte, kam dafür in Frage! Das Votum war einhellig, aber Ivan Nagels Sorge um seine politisch-mediale Durchsetzbarkeit war so groß, dass er dem künftigen Intendanten eine phantastische Prognose stellte, mit dem Satz, das so formierte Theater werde in drei Jahren „entweder berühmt oder tot“ sein. Castorf entschied sich für das Erstere und setzte einer politisch wie medial hochideologisierten Gesamtszenerie (Vorsprecher des Westens faselten angesichts des jäh über diesen hereingebrochenen weltpolitischen Triumphs vom Ende der Geschichte und glaubten sich, wie einst Walter Ulbricht, im Vorhof der realisierten Utopie angekommen) sein anarchisch-subversives Großraumtheater entgegen, nicht ohne sich eines Mitstreiters von konträrem Temperament zu versichern: des Schweizers Christoph Marthaler. Ein Vierteljahrhundert später und nach einer im deutschen Theater noch nicht dagewesenen Leitungskontinuität gilt es aufs neue über die Zukunft des Hauses nachzudenken; diesmal beraumte der Kultursenator des Landes eine große Konferenz an, um sich zwei Tage lang mit Ideen für diese Zukunft ausstatten zu lassen. In der „Süddeutschen Zeitung“ registrierte Peter Laudenbach dort die „Selbstermächtigungsgesten der kollektiven Wunschproduktion“ und hielt es mit dem Votum der Kostümchefin, die dafür plädiert hatte, „dass jeder tun solle, was er am besten könne“; Theater sei nun einmal ein „hochgradig arbeitsteiliger Prozess“. Die neue Suche nach der Volksbühne der Zukunft fällt in eine von Grund auf veränderte Welt. Der Formzerfall, den Castorfs Theaterarbeit vorwegnahm, durch das Aufspelzen der Geschichten mit essayistischen und clownesken Einschüben, mit Lazzi und Intermezzi – dieser zirzensische Gestus hat inzwischen die WeltpoliTdZ 08 / 2018
tik ergriffen, mit einem ehemaligen TV-Entertainer als Weltmachtlenker, der den Narren spielt, als wäre er aus der Wunderkiste dieser Bühne hervorgesprungen. Deren Meister kam eines Tages auf den Gedanken, den medial überformten Weltzustand dadurch abzubilden, dass er das theatralische Geschehen auf der Bühne gleichsam hinter die Bühne verlegte, in Kammern und Gehäuse, aus denen es als abgefilmtes hör- und sichtbar wurde. Das war ein Gag ersten Ranges, und er erlitt, unter Zuhilfenahme bedeutender russischer Romane, das Schicksal aller Gags, totgeritten zu werden. Das geschah synchron zu einem Ereignis, das dazu angetan war, auch die ausgreifendste szenische Phantasie in den Schatten zu stellen: dem pünktlich mit dem Anbruch des dritten nachchristlichen Jahrtausends einsetzenden Beginn des dritten Weltkriegs in Gestalt des islamistischen Angriffs auf zwei Herrschaftssymbole der Vereinigten Staaten – Pentagon und Welthandelstürme – und der darauf folgenden Kriege gegen Afghanistan und den Irak. Dass Castorfs Theater angesichts solch überbietender Entwicklungen allmählich die Lust an sich selbst verlor, bis hin zu dem an die in strohgetopfte Sofas gepferchten Zuschauer ergehenden Verbot, sich in entspannter Haltung der Bühne zuzuwenden, war nur plausibel. Wenn eine sich haltlos spreizende Herrschaftswelt sich selbst demontiert – was bleibt dem Demonteur der Bühne dann noch zu sagen? Und was bleibt seinen Nachfolgern zu sagen? Irene Bazinger hat im Juni-Heft der Zeitschrift „Cicero“ unter der Überschrift „Alles erlaubt, nichts begriffen“ einen Überblick über eine verzweifelte Gesamtsituation gegeben; ihr gegenüber erscheint Castorf als der große Konservative, als den er sich auch selbst sieht, zuletzt in einem Interview, das in den Satz mündete: „Ich will Kunst, ganz konservativ.“ („Süddeutsche Zeitung“ vom 29. Juni 2018) In diesem Sinn weist der seltsame Kotau, den seine Bühne vermittels der sie hintergründig bespielenden Kameramänner und -frauen vor der Welt des Films vollzog, in die richtige Richtung. Der Spontanismus der Castorfschen Spielweise war eine ästhetische Gegenwehr wider die gesellschaftsbeherrschende Übermacht von Film und Fernsehen in ihrer gesammelten Trivialität. Aber der Film selbst hält Gegenmittel bereit, und auf diesem Feld kann das Theater etwas lernen, das auf einer ganz andern Linie liegt: die Konzentration auf das individuell und gesellschaftlich Konkrete. Ich habe „In den Gängen“ gesehen, das Meisterwerk des Regisseurs Thomas Stuber und seiner enormen Schauspieler, die Ergründung einer Arbeitswelt, die vor unserer Tür liegt, fühlsam-eindringliches In-Sicht-Bringen von Menschen, die sich in wortloser Solidarität das Menschsein bewah75
Denkzeichen ren, einen langsamen, detailversessenen, von Anfang bis Ende packenden Film, der dazu angetan ist, die Sperre niederzulegen, die uns von Erfahrungen trennt, die vor unserer Nase, aber hinter hohen Betonmauern gemacht werden. Und ich habe „Le Brio“ von Yvan Attal gesehen (deutsch „Die brillante Mademoiselle Neila“), einen anders gewickelten, sehr viel schnelleren Film, der etwas Ähnliches für einen bestimmten Bereich der französischen Gesellschaft leistet und uns Inneneinblicke gewährt, die ebensowenig kalt lassen. Zwei Filme ohne jedes Zugeständnis an die – von wem nur? – verordneten Klischees der Medienproduktion; sie zeigen, was darstellende Kunst vermag, wenn sie den Mut zu der Wirklichkeit hat, die vor der Tür liegt. Und das sollte das Theater nicht auch können? Natürlich kann es das. Es müsste nur einer (oder eine) kommen, der es mit der Energie der Jugend tut, einer, der durchdringt, indem er das ganz andere macht, wie es Stuber und Maren Ade im deutschen Film gelungen ist. Auf den gilt es zu warten und die Zeit bis dahin tatkräftig zu überbrücken. Luk Perceval wäre dafür gewiss eine vorzügliche Wahl. «
Friedrich Dieckmann ist Schriftsteller und Publizist in Berlin. 1991 war er Mitglied der Nagel-Kommission.
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Notwendig falsches Bewusstsein Über das Verhältnis von Recherche und Ressentiment in der Auseinandersetzung um die Intendanz Chris Dercons von Peter Laudenbach
„Wenn das Theater in die roten Zahlen kommt, und das wird es ziemlich schnell, hat es sich erledigt.“ Castorf, Nov. 2017, über die Zukunft von Dercons Volksbühne Zwei Tage nach der Entlassung Chris Dercons am 12. April veröffentlichten John Goetz und ich in der „Süddeutschen Zeitung“ einige Auszüge unserer Recherchen zur Vorgeschichte des Scheiterns seiner Intendanz. Sie zeigen, dass die künstlerische, finanzielle, politische, organisatorische und personelle Fehlkonstruktion der Intendanz und ihr absehbares Scheitern spätestens seit April 2015, dem Zeitpunkt seiner Berufung, offenkundig war. Eine Woche nach der ersten Veröffentlichung erschien in der „Süddeutschen Zeitung“ auf zwei Seiten eine längere Fassung unserer Recherche und auf den Online-Angeboten von „NDR“ und „SZ“ die Chronik „Die 255 Tage von Chris Dercon“.1 Wir haben bisher nur einen Bruchteil unseres Materials veröffentlicht. Mit den Veröffentlichungen in der „Süddeutschen Zeitung“ wurde deutlich, dass sich das Scheitern Piekenbrocks und Dercons sieben Monate nach Beginn ihrer ersten Spielzeit wesentlich der eigenen Unfähigkeit verdankt. Verantwortlich für die zügig kollabierte Fehlkonstruktion waren ersichtlich die konfusen Vorstellungen und die Inkompetenz der Politiker, die Dercon berufen hatten, des damaligen Kultursenators Michael Müller und dessen Staatssekretär Tim Renner. Unsere Recherchen widerlegten die über drei Jahre von großen Teilen des Feuilletons von „Tagesspiegel“ und „taz“ bis „Spiegel online“ mit einiger Beharrlichkeit wiederholten Behauptungen, Dercon und seine Programmdirektorin Marietta Piekenbrock seien Opfer unfairer Gegner, ihre massiven Probleme hätten die entscheidende Ursache in Störmanövern der Politik und Widerständen von Angehörigen der alten Volksbühne. Nach unseren Veröffentlichungen verzichteten die betreffenden Medien auf die Wiederholung dieser nicht haltbaren Behauptungen und die Perpetuierung des zuvor ausgiebig bemühten Opfernarrativs. 78
Ein hoher Anteil an Mutmaßungen, Meinung, Unterstellungen und der Bedarf nach Täter-Opfer-Zuschreibungen kennzeichnete die Debatte in den drei Jahren zwischen Berufung und Entlassung Dercons. Dabei wäre es mit etwas Nüchternheit einfach gewesen, zu erkennen, dass Dercons Konzept nicht funktionieren konnte. Das war selbst den Beteiligten klar, wie zwecks Eigenabsicherung verfasste interne Aufzeichnungen und Mails der Programmdirektorin Piekenbrock zeigen. Aber auch ohne Kenntnis dieser Interna war für halbwegs informierte Beobachter offensichtlich, dass der von Dercon und Piekenbrock betriebene Umbau eines Ensemble- und Repertoirebetriebs mit eigenen Werkstätten und umfangreichen Gewerken in eine Plattformstruktur mit Gastspielbetrieb in vieler Hinsicht problematisch und der Plan, neben der Volksbühne einen Hangar am Flughafen Tempelhof als Performing Arts Center zu bespielen, komplett unrealistisch war. Es genügte, ein wenig von Theaterbetriebswirtschaft und Haushaltsplänen zu verstehen oder sich die Sachlage von Theaterverwaltungsdirektoren erklären zu lassen, um zu sehen, dass dieses Konzept für explodierende Kosten und implodierende Aufführungszahlen sorgen musste. „Die häufigste Vorstellung wird heißen: Heute geschlossen“, diagnostizierte Joachim Lux bereits 2015. Der Intendant des Hamburger Thalia Theaters hat seine Kritik an der Berufung Dercons schon früh deutlich gemacht. Um sich darüber hinaus ein Bild von der Inkompetenz des neuen Leitungsteams und dessen skurrilem Auftreten im Theater zu machen, genügte es, gelegentlich mit Mitarbeitern des Hauses zu sprechen. „In Anbetracht dessen, wie vollkommen naiv, kopflos und unwissend Piekenbrock und Dercon nach dem desaströsen Start in der Volksbühne agiert haben, kann ich beim besten Willen nicht glauben, dass sie, selbst wenn die finanziellen Rahmenbedingungen gestimmt hätten, diese irrwitzige Megamarke Volksbühnen Berlin auch nur einen Deut besser gemeistert hätten“, sagte uns zum Beispiel Klaus Dobbrick, der Leiter der Ton- und Videoabteilung. Das war kein Geheimwissen. Jeder halbwegs informierte und theaterkompetente Beobachter konnte die Problemlage zumindest in groben Umrissen erkennen. Wenn die selbst verursachten Schwierigkeiten Dercons und Piekenbrocks und die fehlende Tragfähigkeit ihres Volksbühnen-Umbaus so evident waren, woher rührte dann das offensive Desinteresse daran und die robuste Ignoranz vieler Journalisten und anderer Debattenteilnehmer? Wenn man nicht Ahnungslosigkeit, Arroganz, Rechercheschwäche, vorauseilenden Opportunismus bei Nachwuchskräften oder materielle InteresTdZ 08 / 2018
1 https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/kultur/intendant-der-volksbuehne-chris-dercons-scheitern-e608226
Denkzeichen
Peter Laudenbach sen und die Hoffnung auf Jobs in Dercons Reich bei Schreibern unterstellen will, die ihr Zeilengeld als Gelegenheitskurator und Pop-Moderator aufbessern, muss man die wiederkehrenden Täter-Opfer-Narrative als Symptom verstehen. Was nicht ins Bild Dercons als Opfer unredlicher „Hater“ (so Felix Schnieder-Henninger) passte, wurde ausgeblendet: Wenn die Tatsachen nicht mit den umlaufenden Meinungen übereinstimmen, umso schlimmer für die Tatsachen. „Woher kommt der Hass in der Berliner Kulturszene“ fragte etwa „Zeit online“ (und ließ, vielleicht zwecks Sicherung der Deutungshoheit, praktischerweise Dercon selbst antworten). Die Frage war typisch für die Debatte. Sie attestierte den Kritikern von Dercons Berufung, ihr Antrieb seien nicht nachvollziehbare Argumente, etwa bezüglich Dercons Qualifikation und der Fragwürdigkeit seines Programms, sondern lediglich aggressive Affekte. Dercon und Piekenbrock wurden als Opfer von „Hass“ und „Mobbing“ finsterer Kräfte beschrieben: Strukturkonservative Stadttheaterbesitzstandswahrer und Castorf-Fans, die mit der in Beton gegossenen Liebe zur alten Volksbühne ihrer eigenen Jugend hinterhertrauern, reagierten allergisch auf die überfällige Innovation, für die Dercon stehe, so das in zahlreichen Varianten wiederholte Erzählmuster. Dem linken Kultursenator Lederer wurde reflexhaft unterstellt, am Scheitern Dercons zu arbeiten. Und das selbst noch als sich der Senator betont um Fairness im Umgang mit Dercon bemühte und etwa in einem Akt erstaunlicher Großzügigkeit einen Antrag auf zusätzliche Zuwendungen von 500 000 Euro aus Lottomitteln für die Bespielung des Tempelhofer Feldes und den Bau einer überteuerten Zuschauertribüne befürwortete. Die Feindbildkonstruktionen waren stabil Kritiker der Berufung Dercons erschienen als stalinistische Ost-Ideologen oder provinzielIe Nostalgiker mit einer Aversion gegen kosmopolite Künstler und Ausländer, waren also mental nicht allzu weit von Rechtsradikalen entfernt. So konstruierten sich die Befürworter der Berufung Dercons eine Querfront, die zwar mit der Realität nichts zu tun hatte, sich aber hervorragend zur Denunziation eignete. Die Feuilletonisten des „Tagesspiegel“ erreichten den Tiefpunkt der Debatte mit einem bemühten Wortspiel. Sie unterstellten Kritikern der neuen Intendanz, sie wünschten eine „Alternative für Dercon“, also eine AfD. Dercon selbst mühte sich nach Kräften, das Opfernarrativ zu bedienen und eine Nähe seiner Kritiker zu fremdenfeindlichen Rechtsradikalen zu insinuieren. Tim Renner fantasierte in internen Mails vom „LynchMob“ vom Rosa-Luxemburg-Platz. Da traf es sich gut, dass bedauernswerte Wirrköpfe Dercons Büro mit FäTdZ 08 / 2018
kalien beschmierten. Dercon und seine Mitarbeiter verbreiteten das gerne, schien es doch das Opfernarrativ zu bestätigen und jede Kritik an seinem Programm in die Nähe solch abstoßender Manöver zu rücken. Etwas Besseres als diese Kotattacke hätte Dercon gar nicht passieren können. Aus der Berichterstattung von „Tagesspiegel“ bis „taz“ und „woz“ sprach neben dem Mantra, dass jede Innovation prinzipiell und unbedingt zu begrüßen sei, vor allem offenes oder schlecht kaschiertes Ressentiment gegenüber der Castorf-Volksbühne und das, wofür sie stand – zum Beispiel die Anmaßung der Kunst und das souveräne Desinteresse an den Floskeln der Political Correctness, den Konjunkturen des Kunstund Trendmarktes oder dem, was Hamburger oder Schweizer Pop-Feuilletonisten für Hipness halten. Es schien weit verbreiteter Konsens, dass das endlich verschwinden müsse und dass alles, was danach kommen würde, nur besser, künstlerisch vielversprechender, in jeder Hinsicht emanzipativer, internationaler und natürlich moderner sein könne. Angesichts der sich ein wenig anders darstellenden und unschwer zugänglichen Faktenlage zeugen die in Wiederholungsschleifen abgespulten Behauptungen, man müsse Dercon nur eine Chance lassen, seine Schwierigkeiten seien fremdverschuldet, er sei das Opfer reaktionärer Machenschaften, und ähnliche Verschwörungstheorien von hoher Verdrängungsenergie. Wenn sich das relativ flächendeckend beobachten lässt, handelt es sich nicht um individuelle Defekte, zumindest nicht nur. Es sind Symptome eines „notwendig falschen Bewusstseins“, wie in einer älteren Theorie das Denken in Ideologien definiert wird. Zu den ironischen Pointen gehört, dass die solchermaßen ideologisch gefestigten und an nüchternen Tatsachen eher desinteressierten Debattenteilnehmer ihrerseits die Skeptiker der Berufung Dercons, zum Teil auf hohem Erregungslevel, unter Ideologieverdacht stellten. Wird eine ideologische Sicht als Erklärungsmodell zumindest im eigenen Meinungsmilieu hegemonial, hält sie sich offenbar für unangreifbar. Man könnte das als Milieuschäden beschreiben. Es würde sich lohnen, diese Ideologien und die in ihnen zum Ausdruck kommenden Aversionen und Interessen genauer zu untersuchen. Als wirkungsvolles Instrument praktischer Ideologiekritik erwies sich die möglichst detailgenaue, an beobachtbaren Tatsachen statt an Meinungsproduktion interessierte Recherche. John Goetz und ich haben einige Monate gearbeitet, Interviews geführt und hunderte interne Dokumente und Mails der Kulturverwaltung, der Volksbühne, Dercons und seiner engsten Mitarbeiter gesammelt. Wir 79
Denkzeichen hatten zwar eine Meinung (ich habe meine an anderer Stelle hinreichend deutlich gemacht), aber in unserer Recherche ging es nicht um Meinungen. Aus einem hochtourig produzierenden Theater mit Starensemble und einigen der wichtigsten Theaterregisseure Europas war in wenigen Monaten dank des Wirkens der neuen Intendanz ein meistens leer stehendes Haus ohne Ensemble, ohne spielfähiges Repertoire, ohne Publikum, ohne Renommee und ohne Geld geworden. Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, wollten wir uns die Vorgeschichte dieser Intendanz ansehen. Die Recherchen konnten im Detail zeigen, was man davor zumindest grob wusste; die Umwandlung in ein Gastspieltheater musste auf die Entkernung der Volksbühne und massive Budgetschwierigkeiten hinauslaufen. Neu war uns die zentrale Rolle der geplanten Bespielung eines Hangars am früheren Flughafen Tempelhof, die in den Plänen Michael Müllers dazu beitragen sollte, Unternehmen der Kreativwirtschaft im bisher noch nicht gentrifizierten Stadtteil Tempelhof anzusiedeln. Neu war uns auch Dercons Idee, unter seiner Generalintendanz René Pollesch zum Leiter der Volksbühne zu machen. Als beide Vorhaben zu Beginn des Jahres 2015 platzten, Tempelhof an der völlig unklaren, im Kern komplett illusionären Finanzplanung, Polleschs geplante Berufung an dessen Integrität, war das Projekt inhaltlich und konzeptuell gescheitert. Es begann das hilflose Dilettieren und die Öffentlichkeitsarbeit mit dem Nebelwerfer. Unsere Rechercheinstrumente waren zeitaufwändig, aber konventionell. Dank eines gegen die üblichen Widerstände der Verwaltung mit der notwendigen Pene-
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tranz und der Unterstützung eines befreundeten Anwalts durchgesetzten IFG-Antrags musste uns die Kulturverwaltung alle relevanten, nicht durch Persönlichkeitsrechte geschützten Dokumente zur Einsicht zur Verfügung stellen. Wir hatten Gespräche mit Abgeordneten verschiedener Fraktionen (alle außer AfD). John Goetz hatte lange Gespräche mit Marietta Piekenbrock, Chris Dercon und Tim Renner, sie stellten ihm ihrerseits Dokumente zur Verfügung. Ich hatte Kontakt zu jetzigen und früheren Mitarbeitern der Volksbühne, die uns halfen, die Situation zu verstehen. Uns wurde auch Material zugespielt. Wir hatten uns gegen mögliche rechtliche Schritte der Betroffenen, einstweilige Verfügungen, Wünsche auf Gegendarstellung etc. abgesichert. Alle in unseren Veröffentlichungen verwendeten Interviewauszüge wurden von den Gesprächspartnern autorisiert. Wir konnten sämtliche Tatsachenbehauptungen belegen. Vor der Veröffentlichung ging der Justiziar der „Süddeutschen Zeitung“ unsere Chronik „Die 255 Tage des Chris Dercon“ mehrere Stunden lang penibel mit uns durch. Es kam in Folge der Veröffentlichung zu keinerlei juristischen Auseinandersetzungen. Während wir uns durch die Akten und Datenbanken arbeiteten, wunderten wir uns oft über das Ausmaß der Inkompetenz, der öffentlich verbreiteten Unwahrheiten und der mit sehr selbstbewussten Statements notdürftig kaschierten Hilflosigkeit. Noch mehr wunderten wir uns darüber, dass außer uns niemand auf die Idee gekommen war, etwas genauer hinzusehen. « Peter Laudenbach ist Journalist und Theaterkritiker in Berlin.
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Schon einmal haben kulturpolitische Fehlentscheidungen zu einer Krise der Volksbühne geführt: Der Berliner Theaterkritiker Herbert Ihering verfasste 1928 eine Abrechnung mit dem bezeichnenden Titel „Der Volksbühnen-Verrat“.
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auftritt
/ TdZ März 2018 /
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In den hier versammelten 12 Interviews aus 21 Jahren kann man Frank Castorf beim Denken zusehen. Der wichtigste Regisseur des deutschen Gegenwartstheaters spricht über seine Arbeit, über seinen Blick auf Dostojewski, Heiner Müller, Malaparte, Jelinek, Tschechow, Brecht, Artaud, Goethe, Tarantino und Jakob Michael Reinhold Lenz, über das gentrifizierte Berlin und die Illusionen der politischen Korrektheit: »Das Mittelschichtsbewusstsein vom Prenzlauer Berg mit dem Gefühl, uns kann nichts passieren, ist vielleicht nur ein Zwischenstadium.«
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Mit seinem Theater gegen den Konsens hat Frank Castorf die Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz über 25 Jahre zu einem der radikalsten Künstlertheater Europas mit weltweiter Ausstrahlung gemacht. 2017 wurde dieses ästhetisch-politische Experiment durch eine Entscheidung der Berliner Kulturpolitik und die Übergabe des Hauses an einen Kurator vorläufig beendet.
Castorf/Laudenbach
Peter Laudenbach ist Journalist und Theaterkritiker. Er schreibt über Theater, Kultur und Wirtschaft und darüber, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt. Seit 2003 fester Autor beim Wirtschaftsmagazin »brand eins«, seit 2006 Berliner Theaterkritiker der »Süddeutschen Zeitung«. Zuletzt erschienen: »Das Theater ist ein Tank, der von innen gereinigt werden muss. 5 Gespräche mit Jonathan Meese« (2007) und »Die elfte Plage. Wie Berlin-Touristen die Stadt zum Erlebnispark machen« (2013). Ohne die ausgedehnten Besuche in der Volksbühne während der letzten 25 Jahre wäre er heute vermutlich ein anderer Mensch.
Am liebsten hätten sie veganes Theater
Frank Castorf studierte Theaterwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität und hatte sein erstes Engagement als Dramaturg am Theater Senftenberg. 1985 wechselte er als Oberspielleiter an das Theater Anklam. 1990 bis 1992 war er Hausregisseur am Deutschen Theater Berlin. Als Intendant der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin, 1992 bis 2017, machte er sein Theater zum zentralen Ort sozialer Utopie. Seine Inszenierungen wurden 13 Mal zum Berliner Theatertreffen eingeladen (zuletzt »Baal« 2015). Außerhalb Berlins inszenierte Castorf u. a. in Bayreuth, München, Köln, Hamburg, Wien, Zürich, Basel, Stockholm, Kopenhagen, Paris, Moskau und São Paulo.
Frank Castorf Peter Laudenbach Interviews 1996–2017
Das Arbeitsbuch „Castorf“ stellt die Theaterarbeit Frank Castorfs in ihrer internationalen Wahrnehmung vor, erinnert an seine Anfänge im vorpommerschen Anklam, kartografiert sein Schaffen an der Volksbühne und fokussiert diese Rundumschau in übergreifenden Aspekten wie „Mediale Strategien“ (Alexander Kluge), „Philosophische Interpretationen“ (Boris Groys), „Ost-West-Transformationen“ (Carl Hegemann).
In zwölf Interviews aus 21 Jahren kann man Frank Castorf beim Denken zusehen. Der Regisseur spricht mit Peter Laudenbach über seine Arbeit, über seinen Blick auf Dostojewski, Heiner Müller, Malaparte, Jelinek, Tschechow, Brecht, Artaud, Goethe, Tarantino und Jakob Michael Reinhold Lenz, über das gentrifizierte Berlin und die Illusionen der politischen Korrektheit.
Arbeitsbuch 2016 Castorf Herausgegeben von Dorte Lena Eilers, Thomas Irmer und Harald Müller
Am liebsten hätten sie veganes Theater Frank Castorf – Peter Laudenbach. Interviews 1996–2017
Broschur mit 184 Seiten ISBN 978-3-95749-073-5 EUR 24,50
Theatermusik u. a. aus Pfusch, Murmel Murmel, Der Revisor, Die Schule der Frauen, Der eingebildete Kranke Der Bühnenmusiker Ingo Günther hat bei zahlreichen Produktionen mit Herbert Fritsch zusammengearbeitet und mit seinen ebenso schrillen und dadaistischen Kompositionen den Sound der Stücke entscheidend geprägt. Herbert Fritsch – Theatermusik Kompostion: Ingo Günther 7 Tracks Spieldauer ca. 30 Minuten EUR 9,99 (digital) Format: Download oder Streaming
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Bert Neumanns Bühnenbauten, denn von Bildern kann keine Rede sein, funktionierten als Anti-Illusionstheater. Durch den Einsatz von digitalen Medien und perspektivisch variabler Publikumspositionierung wurde die Erzeugung der Theatereffekte jederzeit sichtbar und erlebbar. Imitation of Life – die überlebensgroße (Bühnen-)Wirklichkeit seines Schaffens wird in diesem reich illustrierten Band dokumentiert. IMITATION OF LIFE Bert Neumann Bühnenbilder Herausgegeben von Hannah Hurtzig Klappenbroschur mit 208 Seiten ISBN 978-3-934344-08-2 EUR 10,00 (statt EUR 19,50)
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Chronik
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Die Umwandlung der Volksbühne in ein Tanzhaus oder ein Koproduktionshaus sind ebenso Forderungen wie die Intendanz
Ein kurzer Abriss des Berliner Kulturkampfs um die Volksbühne
Castorf auf Lebenszeit. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht die Beibehaltung des Repertoire- und Ensemblebetriebs, der hauseigenen Gewerke und Dramaturgenstellen. 1. April 2015: Claus Peymann, zu dieser Zeit noch Intendant des Berliner Ensembles, schreibt einen offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller, in dem er „Überforde-
April 1991: Ulrich Roloff-Momin, Senator für Kulturelle
rung“ bei Tim Renner feststellt und seine Sorge äußert, die Volks-
Angelegenheiten in Berlin, muss die Kulturlandschaft der Stadt neu
bühne könne zu einem „Event-Schuppen“ verkommen.
ordnen. Ivan Nagel und seine Beiräte Friedrich Dieckmann, Michael Merschmeier und Henning Rischbieter empfehlen, Frank Castorf
19. April 2015: Im „Tagesspiegel“ erscheint ein Interview mit Bert
die künstlerischen Geschicke der Volksbühne leiten zu lassen. Das so-
Neumann, in dem er unmissverständlich klar macht:
genannte Nagel-Gutachten und die Formulierung, dass die Volks-
„Keiner von den Künstlern, die das Haus prägen, wird hier unter
bühne unter diesen Voraussetzungen binnen dreier Jahre „entweder
irgendeinem Kurator arbeiten, weder René Pollesch noch Frank
berühmt oder tot“ sein werde, gehen in die Theatergeschichte ein.
Castorf noch die Schauspieler und ich sicher auch nicht.“
8. Oktober 1992: Frank Castorf tritt seine Intendanz an und
20. April 2015: In einem offenen Brief an Tim Renner fassen
eröffnet die Spielzeit mit Shakespeares „König Lear“.
Martin Kušej (Intendant, Residenztheater München), Joachim Lux
1995: Im dritten Jahr unter der Leitung von Castorf ist die Volks-
Deutsches Theater Berlin) zusammen: „Die Bewegung aber, die Sie
bühne Ost nicht tot, sondern weltberühmt.
als Verantwortlicher Politiker derzeit der Berliner Kultur
(Intendant, Thalia Theater Hamburg), Ulrich Khuon (Intendant,
verordnen möchten, bewirkt Zerstörung.“ 1992–2017: Castorf schafft es, die bedeutendsten zeitgenössischen Theaterregisseure, etwa Christoph Marthaler, Christoph
23. April 2015: Chris Dercon wird offiziell als neuer Intendant der
Schlingensief, Dimiter Gotscheff, Johann Kresnik, Herbert Fritsch
Volksbühne Berlin ab der Spielzeit 2017/18 bekanntgegeben.
und René Pollesch mit ihren Teams an sein Haus zu holen, und beherbergt ein Ensemble, in dem sich Schauspielgrößen wie Henry
30. Juli 2015: Bert Neumann stirbt im Alter von 54 Jahren. Castorf
Hübchen, Alexander Scheer, Martin Wuttke und Sophie Rois
formuliert für eine Gedenktafel: „der Verlust greift tief ins
finden. Bert Neumann, Anna Viebrock und Katrin Brack, die dort
Theater und in uns“ und „unsre Arbeit wird an ihn erinnern“.
arbeiten, sind die wichtigsten Bühnenbildner ihrer Generation. Diese Zeit ist zum Teil auch gekennzeichnet durch Ablehnung in den
20. Juni 2016: Die Belegschaft der Volksbühne verfasst einen
Feuilletons. Immer wieder werden erneute Verlängerungen der
offenen Brief an die Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus und
Intendanz in Frage gestellt und auf kurze Zeiträume begrenzt.
an die Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters,
Personelle Wechsel sind keine Seltenheit.
der von 180 Mitarbeitern unterzeichnet wird. „Wir befürchten einen
Zeitweise ist von einer Krise die Rede.
Stellenabbau, bis hin zur Abwicklung ganzer Gewerke“, heißt es in dem Schreiben, und schließlich:
30. Dezember 2014: Im Haus am Rosa-Luxemburg-Platz wird das
„Wir sehen die Zukunft der Volksbühne bedroht!“
einhundertste Jubiläum gefeiert. Der damalige Kulturstaatssekretär Tim Renner erscheint in Begleitung von Chris Dercon.
8. Dezember 2016: Der rot-rot-grüne Berliner Senat nimmt seine Arbeit auf. Klaus Lederer wird Kultur- und Europasenator von
März 2015: Castorfs Intendanz wird noch ein letztes Mal für die
Berlin. Tim Renner ist aus der politischen Verantwortung entlassen.
Spielzeit 2016/17 verlängert. Dercon wird in den Medien erstmals als Nachfolgekandidat für Castorf genannt. Diese Vermutung wird
16. Mai 2017: Dercon lädt zur Programmpressekonferenz für seine
vom Senat weder dementiert noch bestätigt.
erste Spielzeit. Es wird deutlich, dass kein Ensemble das Haus
Es entbrennt in den Feuilletons ein bis heute anhaltender Theater-
bespielen wird. Aber er beteuert, „nach und nach ein Ensemble
streit, der Niederschlag in zahlreichen Interviews, offenen Briefen, Peti-
aufbauen“ zu wollen.
tionen und Kommentaren findet. „Kuratorenmodell“ wird zum Schlagwort, das im Gegensatz zum Intendantenmodell steht.
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Chronik Juni 2017: Die Theaterwissenschaftlerin Evelyn Annuß initiiert die
In dieser Spielzeit war sie an keiner Inszenierung der Volksbühne
Petition „Zukunft der Volksbühne neu verhandeln“, die Michael
beteiligt.
Müller und Klaus Lederer dazu auffordert, „unter Einbeziehung der Stadt die Diskussion um die Zukunft der Volksbühne neu zu führen, um einen entsprechenden Spielbetrieb an einer der wichtigsten Berliner Bühnen sicherzustellen“. In kurzer Zeit finden sich
3. Dezember 2017: In der Berliner Akademie der Künste findet eine öffentliche Diskussionsveranstaltung zum Thema „Was ist ein Ensembletheater?“ statt. Zahlreiche Theaterleiter aus
40 000 Unterstützer. Zu den Erstunterzeichnern zählen u. a. Sylvia
der Hauptstadt bilden das Podium, darunter auch Dercons
Sasse, Ulrike Haß, Bettine Menke, Mark Lammert,
Programmdirektorin Marietta Piekenbrock, die feststellt, dass die
Diedrich Diederichsen und Dietmar Dath.
Volksbühne den Anspruch eines Ensembletheater „unter unseren Spielregeln“ erfülle.
24. Juni 2017: Das Bekenntnis „OST“ auf dem Dach der Volksbühne wird demontiert. Es war das Zeichen für eine konfrontative
27. März 2018: Klaus Dörr wird Geschäftsführender Direktor der
Haltung gegenüber der wiedervereinigten Konsensgesellschaft und
Volksbühne.
für die Fortführung einer Theatertradition u. a. im Sinne Bertolt Brechts und Heiner Müllers.
12. April 2018: Klaus Lederer einigt sich mit Chris Dercon darauf, dass seine Künstlerische Leitung mit sofortiger Wirkung
30. Juni 2017: Das sogenannte Räuberrad wird ebenfalls demontiert.
beendet wird. Dörr übernimmt interimistisch die Intendanz.
Es steht stellvertretend für eine maßgeblich von Bert Neumann geprägte Ästhetik, die die Volksbühne in den vorherigen 25 Jahren
13. April 2018: Die Journalisten John Goetz und Peter Laudenbach
bestimmt hat.
veröffentlichen, u. a. in der „Süddeutschen Zeitung“, Auszüge
1. Juli 2017: Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz verabschiedet
frei die Fehlplanungen von Dercon und das vorangegangene
sich mit einem Fest und der letzten Vorstellung von
kulturpolitische Versagen belegen.
aus einer großangelegten Recherche zur Causa Dercon, die zweifels-
„Baumeister Solness“ von seinem Publikum – und dem Ensemble. 13. Juni 2018: In der „Stuttgarter Zeitung“ erscheint ein Interview 10. September 2017: Chris Dercon eröffnet seine Intendanz mit
mit Dörr, aus dem hervorgeht, dass er die Volksbühne mindestens
einem zehnstündigen Tanzspektakel, das auf dem ehemaligen
für die Spielzeiten 2018/19 und 2019/20 leiten wird.
Flughafengelände Tempelhofer Feld stattfindet. Die größte Sprechtheaterbühne Berlins bleibt vorerst unbespielt.
15./16. Juni 2018: In der Berliner Akademie der Künste findet das Symposium „Vorsicht Volksbühne! Das Theater, die Stadt und
22.–28. September 2017: Das Künstlerkollektiv Staub zu Glitzer
das Publikum“ statt.
besetzt die Volksbühne und möchte die Aktion als transmediale Inszenierung, Werktitel: „B6112“, verstanden wissen. Unzählige
28. Juni 2018: Frank Castorf schlägt in einem Interview in der
Menschen lassen sich kurzzeitig im Theater nieder, um dort kultur-,
„Süddeutschen Zeitung“ Vegard Vinge und Ida Müller als Künstlerische
mehr noch stadtpolitische Themen, vor allem die voranschreitende
Leitung der zukünftigen Volksbühne vor. Beiden hatte er wieder-
Gentrifizierung, anzusprechen. Entscheidungen sollen basisdemo-
holt die Bühne für ihr skandalträchtiges Totaltheater zur Verfügung
kratisch im Plenum getroffen werden.
gestellt.
Währenddessen verhandeln die Besetzer mit Lederer und Dercon. Ihnen werden der Grüne Salon und der Pavillon angeboten,
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was sie jedoch ablehnen. Zentrale Forderung der Besetzer ist eine sogenannte kollektive Intendanz. Letztlich macht Dercon von
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seinem Hausrecht Gebrauch und lässt das Theater räumen. Auf einige der Beteiligten kommen strafrechtliche Konsequenzen zu.
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10. November 2017: Dercon eröffnet den Spielbeginn im Großen
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Haus mit Arbeiten von Tino Sehgal und drei Einaktern von Samuel Beckett.
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« Erik Zielke
Dezember 2017: Sophie Rois, eine der wenigen übernommenen Mitarbeiter und einzige Schauspielerin aus der Castorf-Zeit, gibt bekannt, dass sie die Zusammenarbeit mit Dercon aufkündigt.
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Was wird mit der Volksbühne?
lauf. Man sitzt im Zuschauerraum und hat die laufenden Sportler immer vor sich. Die Volksbühne ist ein klassisches Instrument, das einfach nur bespielt werden von Henry Hübchen muss. Da braucht es nur jemanden, der dieses Instrument beherrscht. Was soll schon werden …? Aber wo sind die Talente? Flötenspieler Die Steine werden nicht zusammenfallen. sollten natürlich nicht Orgel spielen. Sind Sie steht schon über hundert Jahre da. Top sa- sie jetzt alle beim Film, in den Endlosniert wie nie zuvor, gewaltig, einladend serien oder im Internet? Theater ist ein altes am Rosa-Luxemburg-Platz – dem Platz voller Medium, wer beschäftigt sich noch damit? Geschichten und mehrmaligen NamensDie Diskussion, ob Frauen, Männer, Schwarze, wechseln. Ein Platz, auf dem Klassenkämpfe Syrer, Moslems, Juden, Atheisten oder ausgetragen wurden. Affen das Theater jetzt leiten müssten – die Rotfrontkämpferbund und SA, die PrivatAffen natürlich unter Aufsicht eines qualiarmeen der Linken und der Rechten schlugen fizierten Tierschützers – oder alle zusammen sich die Köpfe ein. Die Polizei sah zu. Ein in paritätischer Besetzung, ist vielleicht Platz, der auch deshalb noch so heißt, weil unterhaltsam, aber sinnlos. die Volksbühne den Zusatz „am RosaEs geht doch nur um die eine Frage: Wer hat Luxemburg-Platz“ bekam. Ich weiß nicht, die Kraft, das Talent und die Vision für wer die Idee hatte, es muss zur Zeit der ein originäres Theaterspiel am Rosa-Luxem„Rheinischen Rebellen“ gewesen sein. Auf burg-Platz? Egal, ob mit oder ohne Schwanz. jeden Fall wurde eine erneute NamensNur das allein entscheidet über die Besetänderung verhindert: „Volksbühne am Rosa- zung. Und Mitbestimmung am Theater war Luxemburg-Platz“. Jetzt „Volksbühne schon immer tödlich. Theaterspiel ist Berlin“. Und das ist das Problem. Man wird zwar ein Mannschaftsspiel, aber das Sagen nicht international, weil man Künstler hat der Trainer. Noch besser, wenn aus aus aller Welt einlädt, sondern ganz im Geeiner Mannschaft eine Band wird, Spieler, genteil: nur wenn man regional etwas die sich kennen. Je besser, umso besser. Unverwechselbares aus sich und seiner ei- Es braucht den/die Künstler/Künstlerin, den/ genen Geschichte macht. Neo Rauch sitzt die Diktator/Diktatorin, der/die mit seiner/ in Leipzig und malt dort seine Bilder, die ihrer Band das Instrument Volksbühne bespieNeue Leipziger Schule wurde in der Welt len kann. Aber nicht nur so lala, sondern ein Begriff. Erst, als die Beatles im drecki- wir Berliner wollen unterhalten werden. Ein gen Liverpool eigene unverwechselbare Theater, eine Theaterbühne ist keine BackMusik machten, wurden sie weltberühmt. stube. Da werden keine Brötchen gebacken, sondern Ereignisse. Dann wird „Theater Was wird aus der Volksbühne? Das Ding am Rosa Luxemburg Platz“ in der Mitte von steht da und fordert: Macht was mit mir! Berlin zum Exportschlager und BerlinerEin Theater, klassisch gebaut mit Guckisch zur Amtssprache. In der ganzen Stadt kastenbühne und Zuschauerraum in einer wird berlinert, dass die Balken sich biegen. Zeit, als die vierte Wand das Theaterspiel Selbst das Soho House hat seine Betriebsbeherrschte. Selbst als ich in Anklam das sprache umgestellt. Touristen nehmen Spracherste Mal mit Frank Castorf arbeitete, war kurse, sogar die Amerikaner in der Stadt es eine Maxime, nicht die vierte Wand zu fangen an, zu berlinern, weil es so cool ist. durchbrechen, weil es zu dieser Zeit fast Das wäre so etwa die Aufgabe für die nächjeder machte und es als modern galt. ste Besetzung oder Besatzung der VolksDer Guckkasten, die Bühne der Volksbühne, bühne am Rosa-Luxemburg-Platz. ist besonders groß. Mit einer Drehbühne, auf der auch das Sechs-Tage-Rennen verHenry Hübchen ist Schauspieler. Er war Ensemblemitglied der anstaltet werden könnte oder ein Marathon- Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. TdZ 08 / 2018
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Impressum Theater der Zeit Die Zeitschrift für Theater und Politik 1946 gegründet von Fritz Erpenbeck und Bruno Henschel 1993 neubegründet von Friedrich Dieckmann, Martin Linzer und Harald Müller Redaktionsanschrift Winsstrase 72, D-10405 Berlin Tel +49 (0) 30.44 35 28 5-0 / Fax +49 (0) 30.44 35 28 5-44
Bildnachweis: J. Michael Birn: Frontcover, Seite 56, 57, 58 Lenore Blievernicht/LSD: Umschlaginnenseite hinten David Baltzer: Seite 6, 7, 9, 13, 16, 27, 49, 54, 55 Marcus Lieberenz: Seite 10, 48 Theater der Zeit: Seite 19, 29, 39, 52, 81 Eine Veranstaltung der Akademie der Künste in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bühnenverein.
Redaktionsleitung Harald Müller (V.i.S.d.P.) Redaktion der Sonderausgabe Erik Zielke Verlag: Theater der Zeit GmbH Programm und Geschäftsführung Harald Müller +49 (0) 30.44 35 28 5-20, h.mueller@theaterderzeit.de, Paul Tischler +49 (0) 30.44 35 28 5-21, p.tischler@theaterderzeit.de
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Über 25 Jahre war die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz das einflussreichste Schauspielhaus im deutschen Sprachraum. In der Mitte der zusammenwachsenden Hauptstadt verwandelte das Ensemble um Frank Castorf die kulturellen Reibungen zwischen Ost und West in eine künstlerische Explosion ohnegleichen, polarisierte und verband, stand für die sozialen Demarkationslinien der Stadt und für ihre kollektive Kunstbesessenheit. Dem Ende der Ära, die 1992 mit Ivan Nagels visionärem „in drei Jahren berühmt oder tot“ begann, folgte ein die Gemüter aufwühlendes Zwischenspiel – und alle Fragen offen. Diese Sonderausgabe dokumentiert das Symposium „Vorsicht Volksbühne!“ in der Berliner Akademie der Künste und nähert sich darüber hinaus in Fotografien und zusätzlichen Essays der Vergangenheit und möglichen Zukunft der Volksbühne an mit einem umfassenden Blick auf Theater, Stadt und Publikum. Mit Beiträgen von: Wolfgang Engler Silvia Fehrmann Joachim Fiebach Christian Grashof Annett Gröschner Jakob Hayner Nele Hertling Henry Hübchen Ulrich Khuon
Thomas Köck Ulrike Köhler Oliver Kranz Peter Laudenbach Iris Laufenberg Klaus Lederer Thomas Martin Jeanine Meerapfel Luise Meier
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