Starke Stücke. Theater für junges Publikum in Hessen und Rhein-Main

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Starke Stücke . Theater für junges Publikum in Hessen und Rhein-Main


Diese Publikation wurde gefördert vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und der Stadt Eschborn.

Starke Stücke Theater für junges Publikum in Hessen und Rhein-Main Herausgegeben von Wolfgang Schneider und Nadja Blickle Eine Veröffentlichung der KulturRegion FrankfurtRheinMain gGmbH und der Starke Stücke GbR

© 2019 by Theater der Zeit Texte und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich im Urheberrechts-Gesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Medien. Verlag Theater der Zeit | Verlagsleitung Harald Müller Winsstraße 72 | 10405 Berlin | Germany www.theaterderzeit.de Redaktionelle Mitarbeit: Marina Andrée, Stefanie Kaufmann Bildredaktion: Stefanie Kaufmann Redaktionsbeirat: Meike Fechner, Susanne Freiling, Johanna Kiesel, Detlef Köhler, Jürgen Sachs Lektorat: Erik Zielke Gestaltung: Sibyll Wahrig Umschlagabbildungen Cover: Theater Célestine Hennermann: „miniMAX“, 2013. Foto: Katja Illner; Umschlaginnenseite vorn: TheaterGrueneSosse: „Als wir verschwanden“, 2017. Foto: Katrin Schander; Umschlaginnenseite hinten: Theaterhaus Ensemble: „Dreier steht Kopf“, 2014. Foto: Katrin Schander Printed in Germany ISBN 978-3-95749-193-0 (Paperback) ISBN 978-3-95749-220-3 (ePDF) ISBN 978-3-95749-221-0 (EPUB)


Starke Stücke Theater für junges Publikum in Hessen und Rhein-Main

Herausgegeben von Wolfgang Schneider und Nadja Blickle

Eine Veröffentlichung der KulturRegion FrankfurtRheinMain und der Starke Stücke GbR


Inhalt

Vorwort

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BESCHREIBUNG EINER THEATERLANDSCHAFT Eva-Maria Magel

Spaziergang in der Landschaft

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Kinder- und Jugendtheater in der Rhein-Main-Region

10 Henning Fangauf

Hessen vorn?

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Kinder- und Jugendtheater an den hessischen Staatstheatern

18 Ilona Sauer

Mitgestalten statt konsumieren

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Publikumsbeteiligung in ländlichen Räumen

28 Eckhard Mittelstädt

Sieben auf einen Streich

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Grimmsche Märchen auf hessischen Bühnen

-

35

Ein KUSS für Marburg – ein Festival für Hessen!

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Jürgen Sachs, Norbert Ebel, Michael Pietsch, Juliane Nowak, Kariona Kupka, Paul Möllers, Eva Lange und Carola Unser im Gespräch

40 Nadja Blickle

Starke Stücke, starkes Netzwerk

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Ein Festival der Kulturveranstalter*innen

46 Wolfgang Schneider

Kinder- und Jugendtheater in Hessen Einsichten und Aussichten für eine kulturpolitische Entwicklungsplanung

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KÜNSTLERISCHE UND KULTURPOLITISCHE POTENTIALE

David Rittershaus

next generation workspace Katharina M. Schröck

Ein langer Atem für das Kinder- und Jugendtheater

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Ein Nachwuchsmodell

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88

THEATERKUNST ALS KULTURELLE BILDUNG

Katharina Schröck im Gespräch mit dem Intendanten Gordon Vajen

Das Eschborner Modell: zwei Theaterbesuche im Jahr für alle Kinder

64 Susanne Freiling

Meet the World of Theatre for Young Audiences

64

Etappen einer internationalen Theaterreise

-

70

Fragen von Wolfgang Schneider an die Frankfurter

-

73

Stärken, Qualitäten, Kriterien des Theaters

80

Gedanken aus dem Alltag von theaterperipherie über ein Kinder- und Jugendtheater für alle

80 Philipp Schulte

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84

109

Anna Eitzeroth, Marcus Kauer und Jan-Sebastian Kittel

109

Info und Service

eine Ästhetik der Fürsorge

Jugendtheater von der Gießener Theaterwissenschaft

102

Darstellende Künste und Schule in Hessen

-

73 Ute Bansemir

Impulse für ein zeitgenössisches Kinder- und

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im Gespräch mit Wolfgang Schneider

für junges Publikum

Ich frage mich, warum wir uns schon wieder nicht gemerkt haben, wie alt ihr eigentlich seid

Bunte Knete im Kopf Theater zu vermitteln

70 Detlef Köhler

Selbstermächtigendes Theater und

Antonia Nickel im Gespräch mit Nadja Blickle

Von der Freude und den Herausforderungen,

Kulturdezernentin Ina Hartwig

Vom Wunsch, beeindruckt zu werden

Kulturreferentin Johanna Kiesel und Studiendirektorin

96 Stefanie Kaufmann

64

Junge Bühne im alten Zoo?

96

84

-

118

118


-

Vo r w o r t

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Der Rat für darstellende Kunst und Tanz im Deutschen Kulturrat hat 2018 in einer Stellungnahme gefordert, „jedem Kind und jedem Jugendlichen mindestens zweimal im Jahr ein Tanz- und Theatererlebnis zu ermöglichen“. Die Bürger*innen Hessens haben 2018 per Volksentscheid dafür votiert, die Landesverfassung um das Staatsziel Kultur zu ergänzen. Denn das Bundesland inmitten Deutschlands hat eine ausgeprägte Kulturlandschaft, die es zu schützen und zu fördern gelte. Diese ist sowohl städtisch als auch ländlich geprägt und zeichnet sich durch eine große Vielfalt aus – das eine Zentrum gibt es nicht, weder geografisch noch kulturell. Die Theaterlandschaft für junges Publikum ist bestimmt von vielen einzelnen Akteur*innen, vor allem aus der freien Szene, welche sich als Folge der politischen Bewegungen nach 1968 entwickelte. Aber auch die hessischen Staatstheater in Kassel, Wiesbaden und Darmstadt wenden sich zunehmend einem jungen Publikum zu. Trotz oder vielleicht gerade wegen des fehlenden Mittelpunkts entstanden in den letzten Jahrzehnten erstaunlich viele Verbindungen und Netzwerke. Das Festival Starke Stücke bringt international herausragende Theaterstücke für ein junges Publikum auf die Bühnen der Rhein-Main-Region. Und das seit nunmehr 25 Jahren! Auch das KUSS-Festival des Hessischen Landestheaters Marburg kann auf fast ein Vierteljahrhundert Präsentation zeitgenössischen Kinder- und Jugendtheaters zurückblicken. Die Festivals in Marburg und Rhein-Main sind ebenso wie die Veranstaltungen von FLUX oder das Frankfurter Autor*innenforum wichtige Treffpunkte für die Künstler*innen, die sich auch im Arbeitskreis Südwest der ASSITEJ organisieren. Die ASSITEJ, die Internationale Vereinigung des Theaters für junges Publikum, hat ihren Sitz in Frankfurt am Main und ist Rechtsträger des ebenso dort ansässigen Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland. Die KulturRegion FrankfurtRheinMain vernetzt die kommunalen Kulturveranstalter*innen und ermöglicht


die einzigartige Organisationsform des Starke-Stücke-Festivals. TuSCH bringt Theater und Schule zusammen, FLUX und Kaleidoskop bringen Theater für junges Publikum in den ländlichen Raum. Die Hessische Theaterakademie versteht sich als dezentrale Ausbildungsstätte. Die nächste Generation von Theaterschaffenden zwischen Gießen, Marburg und Frankfurt steht in den Startlöchern, um das Kinder- und Jugendtheater neu zu denken. Das Projekt next generation workspace befördert diese Entwicklung. Initiativen wie das Schultheater-Studio Frankfurt, das Starke-Stücke-WorkshopProgramm oder der Verein SchulKultur in Marburg vernetzen die vielen freischaffenden Theaterpädagog*innen und geben ihnen ein Forum. Im Bereich Figurentheater gibt es die Festivals in Steinau an der Straße und das Festival Blickfang im Rahmen des Kultursommers Nordhessen sowie engagierte Einzelkünstler*innen, die durch die Lande touren. Im Bereich Tanz agieren Künstlerhaus Mousonturm, Tanzplattform Rhein-Main und Hessisches Staatsballett, die das junge Publikum zunehmend für sich entdecken. Auch in Kassel entwickelt sich eine immer lebendigere Szene, die bei den Kasseler Kindertanztagen auch mit internationalen Produktionen zusammen präsentiert wird. In Darmstadt bespielen mehrere freie Gruppen gemeinsam das Theater Moller Haus. In Frankfurt am Main wird um ein eigenständiges städtisches Kinder- und Jugendtheater gerungen. Seit vielen Jahren gibt es dort die Theatermacher*innen um das Theaterhaus und TheaterGrueneSosse, die die Frankfurter Szene prägen. Sie sind mittlerweile auch international vernetzt und wissen, dass es einen langen Atem braucht, um Kinderund Jugendtheater nachhaltig zu etablieren. Das theaterperipherie geht einen ganz eigenen Weg. Es bringt Akteur*innen direkt aus dem Leben auf die Bühne und streitet für ein teilhabeorientiertes, barrierefreies Theater. Hessen ist auch das Land der Brüder Grimm und deren Märchen bieten auch heute noch Stoffe für das Theater zwischen Hanau, Kassel und Steinau an der Straße. Diese facettenreiche Thea-

terlandschaft wird im vorliegenden Buch in Beiträgen, Gesprächen und mit Fotos abgebildet. Die Publikation versteht sich als Forum von Expertisen, zeigt Stärken, diskutiert Qualitäten und plädiert für die Vernetzung des Theaters für junges Publikum als Potential kommunaler und föderaler Kulturpolitik. Sie möchte die Auseinandersetzung anregen über künstlerische Partizipation und kulturelle Bildung, damit die Vision von mindestens zwei Theaterbesuchen im Jahr für jedes Kind in Hessen und der Rhein-Main-Region Wirklichkeit werden kann.

Wolfgang Schneider und Nadja Blickle März 2019

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BESCHREIBUNG EINER THEATERLANDSCHAFT


Eva-Maria Magel

Spaziergang in der Landschaft Kinder- und Jugendtheater in der Rhein-Main-Region

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TheaterGrueneSosse, Theaterhaus Ensemble: „Antigone“, 2017. Foto: Katrin Schander

Ein paar Mittelgebirge und dazwischen viel Ebene, hier und da düstere Schluchten und einzelne Erhebungen: Die Reliefkarte der hessischen darstellenden Künste für junges Publikum ähnelt verblüffend der topografischen des Landes Hessen. Aber während man bei einer geografischen Karte davon ausgeht, dass sich die darauf abgebildeten Daten allenfalls in ein paar Millionen Jahren um ein paar Millimeter ändern werden, kann man der hessischen Kinder- und Jugendtheaterlandschaft durchaus Beweglichkeit attestieren – es fragt sich nur, wohin.

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Das Publikum jedenfalls bewegt sich selbst da äußerst zögerlich, wo doch mitten im Ballungsraum Rhein-Main jede größere Stadt in maximal 45 Minuten zu erreichen ist. Nach wie vor gilt: Darmstädter besuchen das Staatstheater Darmstadt, wo kaum Kindertheater, aber einige musikalische Angebote auf dem Spielplan stehen, und die freien Gruppen, die vor allem im Darmstädter Theater Moller Haus gebündelt sind. Die Wiesbadener*innen besuchen das Junge Staatstheater Wiesbaden, freies Kinder- und Jugendtheater gibt es dort kaum. Die Mainzer*innen gehen in das seit Beginn der Intendanz Markus Müller 2014/15 in Zahl und Qualität mehr


und mehr aufgebaute Kinder- und Jugendprogramm des Staatstheaters, können aber an den Mainzer Kammerspielen sowie bei einigen freien Angeboten noch etwas mehr, allerdings qualitativ sehr unterschiedliches Theater für junges Publikum sehen. Vor allem die nicht nur für junges Publikum gedachten Festivals wie No strings attached – Figurentheater und Mehr und das inklusive Festival Grenzenlos Kultur laden immer wieder renommierte nationale und internationale Kunstschaffende nach Mainz ein – das ist Inspiration für Publikum und regionale Künstler*innen gleichermaßen. Fraglos aber ist Frankfurt das Zentrum des Geschehens in Rhein-Main. Das liegt an der Lage und Infrastruktur, den Ausbildungsstätten, auch der Internationalität und an einigen wegweisenden Institutionen in der Kunst für Erwachsene. Trotzdem ist Frankfurt kein absolutes Kulturzentrum. Dagegen stehen die gewachsenen Strukturen mittlerer und großer Städte in unmittelbarer Nähe und auch der seit zehn Jahren erklärte Wille der Landespolitik, gerade in der Kultur regional zu denken. Damals wurden KulturRegion und Kulturfonds FrankfurtRheinMain gegründet. Neuerdings gibt es besondere Fonds des Landes für Kinderkultur, den sogenannten Kulturkoffer, ausgestattet mit 1,8 Millionen Euro, und Programme für den ländlichen Raum. Das ist einerseits eine gute Entwicklung. Andererseits fehlen weiter die Orte und Angebote, die aufgrund ihres Programms ein Muss gerade für das junge Publikum sind, leicht erreichbar, kinder- und familienfreundlich, und an denen Künstler*innen andocken und neue Impulse empfangen und geben könnten.

Der Traum von zwei Besuchen im Schuljahr für jedes Kind Hessen ist zwar ein Flächenland, aber eines, das in jedem Regierungsbezirk mindestens ein Stadt-, Staats- oder Landestheater aufweisen kann, dazu zahlreiche freie Gruppen, die nahe an den jeweiligen regionalen Zuschauergruppen Aufführungen und Gastspiele anbieten. Ob allerdings, gerade

im ländlichen Raum, das Angebot an Kunst für Kinder hohen Qualitätsansprüchen genügt, ist eine Frage, die sich immer noch zu wenige Veranstalter*innen und politisch Verantwortliche stellen. Gerade jener Teil der Bevölkerung, der unter der aufklaffenden Schere von Arm und Reich am meisten leidet, darf beim Theater vor Ort scheinbar nicht wählerisch sein. Dabei müsste es eine Selbstverständlichkeit sein, gerade dort und für sie besonders gutes Theater zu zeigen. Grundsätzlich ist die Bereitschaft, Kindern und Jugendlichen Theaterbesuche zu ermöglichen, höchst unterschiedlich ausgeprägt. Ein Problem, das natürlich nicht nur in Hessen akut ist: Der Traum von zwei Besuchen im Schuljahr für jedes Kind ist lange noch nicht Realität. Wie bei der Ausbildung eines Qualitätsbewusstseins bei Veranstalter*innen und der Bewilligung von Fördergeldern fehlt es entschieden am politischen Willen, dem Theater als Ort nicht nur kultureller Bildung, sondern künstlerischen Wachstums Raum, Zeit und Ressourcen zu gewähren. Dass immer häufiger der einzige Besuch von Kitas und Schulen im Schuljahr neben den Weihnachtsstücken an den großen Häusern auf Freilichtspiele fällt, die das künstlerische Experiment allenfalls in kleinen Dosen erlauben, enthält Kindern neue ästhetische Erfahrungen und das Kennenlernen einer Vielzahl von Theaterformen und -sprachen vor. In Hanau werden alljährlich die GrimmMärchen in bunten Musical-Versionen bei den BrüderGrimm-Festspielen gezeigt, Bad Vilbel hat in den vergangenen Jahren „Pippi Langstrumpf“, „Jim Knopf“ oder „Ronja Räubertochter“ auf die Bühne gebracht. Beide Freilichtspiele liegen im unmittelbaren Einzugsgebiet von Frankfurt, vor allem die Burgfestspiele Bad Vilbel bieten mit Einführungen, Workshops und Ferienspielen von Ende Mai bis Ende August theaterpädagogisches Programm und haben sich damit zu einem Wettbewerber der sommerlichen Schultheaterausflüge entwickelt. Da das Rhein-Main-Gebiet mit Frankfurt ein großes Ballungszentrum ist, könnte man davon ausgehen, dort

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fände auch das allermeiste Kinder- und Jugendtheater statt. Dem ist nicht ganz so. Denn gerade die freien Theater sind in Nord- und auch Mittelhessen stark vertreten und touren weithin, über Hessen und Deutschland hinaus. Allerdings sind äußerst selten auch bekannte Gruppen wie etwa die langjährigen Kasseler Protagonisten Spielraum Theater, Aktionstheater oder Laku Paka in der benachbarten RheinMain-Region zu Gast. Überhaupt ist es auffällig, wie wenig Kooperationen oder auch Gastspielaustausch es zwischen den regionalen Häusern und Gruppen gibt. Die zahlreichen freien Tänzer*innen etwa, die sich in Kassel aufgrund der dortigen Infrastruktur mit moderner Tanzausbildung und andockenden Arbeitsmöglichkeiten sammeln, sind mit ihren Arbeiten für junges Publikum kaum je im südlicheren Hessen zu Gast. Wenn, dann findet man sie im Frankfurter Gallus Theater, das seit 35 Jahren auch den Gastspielen für Kinder und Jugendliche Platz bietet, u. a. als Partner der Starken Stücke. Die hessischen freien Theater machen überdies nur einen kleinen Teil der Gastspiele aus, die das Kinderkulturprogramm Frankfurter Flöhe vor allem in wenig privilegierte oder am Rand liegende Stadtteile bringt. Festivals wie Starke Stücke in der Rhein-Main-Region oder KUSS in Marburg sowie das Frankfurter Autor*innenforum für Kinder- und Jugendtheater sind aber durchaus auch Treffpunkte der gesamten hessischen Szene. Den langfristigen Effekt solchen Austauschs und solcher Anregungen kann man beobachten in neuen Formen und Spielweisen, an denen sich zahlreiche hessische Theaterakteur*innen im Lauf der vergangenen Jahre ausprobiert haben. Dass diese neuen Formen sich aber eher schleppend durchsetzen, ist auch ein Phänomen, das Hessen von anderen Bundesländern unterscheidet.

Lücken im Angebot: Tanz- und Figurentheater Einige der Kindertheater, die seit Jahrzehnten Gemeindezentren und Schulturnhallen bereisen, können sich nicht an professionellen Standards und gegenwärtigen Theatertenden-

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zen messen lassen. Und auch die qualitativ guten Ensembles leiden unter dem Druck der Verhältnisse, was sich oft auf die künstlerische Produktion niederschlägt. Es gibt ganz erstaunliche Lücken im Angebot. Im Figurentheater etwa, traditionell ein reisendes Genre, gibt es nur wenige Protagonist*innen eines zeitgemäßen, ambitionierten Figurentheaters. In Frankfurt etwa ist Birte Hebolds vor wenigen Jahren gegründetes Eine-Frau-Figurentheater Eigentlich das einzige professionell ausgebildete Figurentheater, das alten Geschichten neue Facetten abzugewinnen versucht. Trotz einer Tanzplattform Rhein-Main mit zahlreichen Mitmachangeboten gibt es etwa im Rhein-Main-Gebiet kaum professionelles Tanztheater für Kinder und Jugendliche. Neues Musiktheater für Kinder, das ein weites Feld wäre mit einer mehrfach ausgezeichneten Oper Frankfurt und dem in Frankfurt ansässigen Ensemble Modern, findet auch in der freien Szene so gut wie gar nicht statt. Erst seit einigen Jahren öffnet sich die Frankfurter Oper mehr für Kinder und Jugendliche: 2019 wird dort mit „Mina“ erstmals eine Jugendoper, die der Komponist Uwe Dierksen mit einer Gruppe Jugendlicher erarbeitet, uraufgeführt. Das private Papageno Theater im Frankfurter Palmengarten hat seit 1997 ein klares Programm: „über die Verbindung von klassischer Musik mit Sprechtheater werden Kinder einfach und leicht an das Schauspiel und auch an die Oper herangeführt“. Die Kombination von Rumpelstilzchen und Mozart hat eine große Fangemeinde. In jüngster Zeit sind aber einige Bewegungen zu beobachten: Es gibt Verjüngungen bei den Akteur*innen im Kinder- und Jugendtheater. Es gibt sogar vereinzelt Wanderbewegungen der freien Gruppen quer durch das Bundesland. Und regelrechte Wandelbewegungen auch: etwa am Landestheater Marburg, wo seit der Spielzeit 2018/19 Carola Unser und Eva Lange sich die Intendanz teilen. Dort ist alles im Spielplan mindestens „für Menschen ab 14 Jahren“. Zudem hat sich das Theater für Kinder, von drei Jahren an, geradezu explosionsartig vermehrt.


TheaterGrueneSosse: „Dreimal König“, 2014. Foto: Katrin Schander

Schaut man auf die Gäste, im Ensemble wie im Team, stellt man eine Bewegung aus Frankfurt in Richtung Landestheater Marburg fest. Zum einen dank einer DoppelpassFörderung, mit der Marburg und das Frankfurter TheaterGrueneSosse in der Spielzeit 2018/19 „Hans im Glück“ als mobiles Lastwagen-Stück gerade auch für den ländlichen Raum entwickeln. Zum anderen ermöglicht die neue Gastpolitik der Marburger Doppelintendanz es gerade vielen jungen Talenten aus der freien Szene in Rhein-Main, auch in den Strukturen des Landestheaters Erfahrungen in Spiel, Regie und Dramaturgie zu sammeln und Geld zu verdienen.

Prekäre Lage der Freischaffenden In Hessen sind die freien Künstler*innen, was öffentliche Fördermittel angeht, nicht gerade auf Rosen gebettet: 1,3 Millionen Euro hat das Land jährlich für die freien Theater übrig, dazu kommen die Mittel der Kommunen und des Bundes. Diese prekäre Lage der Freischaffenden ist noch einmal verschärft unter den Künstler*innen des jungen Theaters, deren Gagen und Zuschüsse deutlich unter denen der Erwachsenentheater liegen. In Kombination mit den sehr hohen Le-

benshaltungskosten im Ballungsraum Rhein-Main entstehen so prekäre Bedingungen. Das Ausweichen auf theaterpädagogische Projekte, Residenzen von Künstler*innen an Schulen oder Mentor*innenund Kurator*innentätigkeiten von Kunstschaffenden für junges Publikum führt oft, trotz der guten Impulse, die viele Künstler*innen aus der direkten Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mitnehmen, zu weniger Zeit und Energie für eigene Kunst. Das sieht man so mancher Produktion auch an. Nicht die einzige Baustelle an der man des Öfteren vorbeikommt bei einem Spaziergang durch die rhein-mainische Theaterlandschaft. In Frankfurt bietet das Schauspiel neben dem Jugendclub und dem Performance-Wettbewerb Unart der BHFBANK-Stiftung seit jeher kaum Kinder- und Jugendtheater – außer dem traditionellen Kinderstück um die Weihnachtszeit. Erst seit der Intendanz von Anselm Weber, dessen Team zur Spielzeit 2017/18 seine Arbeit aufnahm, ist das Angebot für junges Publikum ausgeweitet worden: Mit „All Our Futures“ ist ein Outreach-Projekt begonnen worden, das bis Ende der Spielzeit 2019/20 Jugendliche aus mehreren Stadtteilen

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Theater Célestine Hennermann: „miniMAX“, 2013. Foto: Katja Illner

in einem theatralen Großprojekt gestalten sollen. Dank des neu eingerichteten Studiojahrs Schauspiel mit der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst werden Klassenzimmerstücke von den Schauspielstudierenden des dritten Jahres erarbeitet. Allerdings sind auch Inszenierungen wie „Die Zertrennlichen“ von Fabrice Melquiot, dessen mit dem Deutschen Kindertheaterpreis 2018 ausgezeichnetes Stück das Schauspiel Frankfurt in deutschsprachiger Erstaufführung gezeigt hatte, nach einer Spielzeit aufgrund des Wechsels der Studierenden abgespielt. Angesichts der langen Wege, die Stücke des Kinderrepertoires traditionell nehmen, um bei Pädagog*innen und Einrichtungen, aber auch Familien bekannt zu werden, ist dieser theatrale Kurzstreckenlauf an einem Haus wie den Städtischen Bühnen bedauerlich. Aber er zeigt auch deutlich auf, was in der RheinMain-Region und zumal in Frankfurt fehlt: ein Kindertheater mit weiter Strahlkraft, langem Atem, der Fähigkeit, Akteur*innen zu bündeln, und mit auskömmlichen Mitteln. Dennoch gibt es sie, die überregional bekannten Langstreckenläufer des deutschen Kinder- und Jugendthea-

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ters. In Darmstadt etwa, von wo aus Birgit Nonn und Thomas Best als theater die stromer seit 1994 die Region und den deutschsprachigen Raum bereisen. Ihr „SPOG! Spiel ohne Grenzen“ läuft und läuft, jetzt sind sie auf Segways mit „Tatütata – Die Bundeslügenpolizei informiert“ unterwegs. Der losen Szenenfolge zu Lüge und Wahrheit ging u. a. 2014 „Stinkt Pink?“ voran, ein Fragenkatalog jugendlichen Lebens, den die Regisseurin Susanne Zaun konzipiert hatte. Diese wiederum ist im Jungen Theater ebenso erfolgreich unterwegs wie in der Performance. Es ist eines der wenigen regionalen Beispiele dafür, wie erfolgreich und fruchtbar die Kooperation eines eingesessenen Teams mit einer Grenzgängerin zwischen Jungem Theater und performativer Kunst für Erwachsene sein kann. Was andernorts häufiger erprobt wird, kommt in Rhein-Main nur punktuell zum Tragen – jedenfalls in den darstellenden Künsten.

Generationenwechsel beim TheaterGrueneSosse In Frankfurt, wo nach einem vergeblichen Anlauf Anfang der 1990er Jahre nun seit geraumer Zeit wieder um ein unabhän-


giges, kommunales Kinder- und Jugendtheater gerungen wird, gibt es mehrere Spielorte und gleich zwei Dutzend Partner*innen, von freien Gruppen über Familienunternehmen bis zu Einzelakteur*innen, die Theater für Kinder und Jugendliche anbieten. Für Lai*innen ist es äußerst schwer, die Spreu vom Weizen zu trennen. Auch auf städtischen Plattformen wie dem Kinderkulturangebot Frankfurter Flöhe des Jugendund Sozialamts tummeln sich trotz des angestrengten Versuchs, Qualitätsbewusstsein bei allen Beteiligten zu schaffen, auch Gastspiele, die schon dem Bildungsimpetus nicht genügen – vom Kunstanspruch ganz zu schweigen. In der freien Szene sind ebenfalls theatrale Dauerläufer die – wenn man so will – Platzhirsche unter den Anbietern anspruchsvollen, den aktuellen Entwicklungen gegenüber offenen Theaters für die Jungen: Das TheaterGrueneSosse, 1982 gegründet, hat auch Dauerbrenner im Repertoire, die zehn, manchmal zwanzig Jahre immer noch frisch gespielt werden, so wie Solist Sigi Herold seit fast zwei Jahrzehnten das Ernährungsstück „Die Kartoffelsuppe“ samt deren Zubereitung spielt und damit nach wie vor Kinder im Grundschulalter mitreißt. Mit wechselnden Regisseur*innen und vor allem dank des Austauschs, den zumal GrueneSosse-Organisator Detlef Köhler als Juror und Kurator für die Gruppe im In- und Ausland pflegt, erproben sich auch die Gründungsmitglieder Sigi Herold und Willy Combecher gerne auf neuen Feldern und wissen um ihre Grenzen. Gezielt lädt die Gruppe interessante internationale Regisseur*innen ein, um mit ihnen zu arbeiten: So haben die drei „Alten“ der GruenenSosse etwa in der Regie der Weißrussin Katya Averkova 2013 als „Dreimal König“ in stummen Rollen eine ganz neue Spielweise gefunden. Kooperationsprojekte wie die Doppelpass-Förderung des TheaterGrueneSosse mit dem Landestheater Marburg oder das gemeinsame Stück „Himmel und Meer“ mit den dem Darmstädter theater die stromer haben aber in der regionalen Szene eher Seltenheitswert: Man kennt sich, bleibt aber stark unter sich in den jeweiligen Kleinregionen, nur selten, etwa am Theaterhaus

Frankfurt, arbeiten die Gründer GrueneSosse und das Hausensemble des Theaterhauses immer wieder zusammen, oft im Austausch einzelner Protagonist*innen, bisweilen ganz, u. a. für eine hochambitionierte gemeinsame „Antigone“ (2016), gedacht für ein Publikum von zwölf Jahren an. Rob Vriens’ elegant-renitente Inszenierung allerdings ist nicht zum en suite gespielten Publikumsmagnet geworden. Zum einen, weil das Theaterhaus pragmatisch seinen Spielplan nach den Bedürfnissen von Altersgruppen, Schul- und Kitajahren plant, zum anderen: „Theater für alle“ ist allenthalben eine Annäherung mit Hindernissen, in Frankfurt aber, wo die Tradition der Avantgarde gefeiert und alle fünf Jahre rein rechnerisch die Bevölkerung ausgetauscht wird, wo zudem der Anteil an Jungbürger*innen mit Migrationshintergrund kontinuierlich steigt, sind paradoxerweise die Besucherszenen von Stadttheater, freier Szene und „all in“-Angeboten vielleicht sogar noch etwas deutlicher getrennt als in anderen Städten.

TheaterGrueneSosse und theater die stromer: „Himmel und Meer“, 2011. Foto: Thomas Blank

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M O N S T R A: „Alice sagt, Senf ist ein Vogel“, 2018. Foto: David Rittershaus

Dass nun bei der GruenenSosse ein Generationenwechsel eingeleitet wird, der zahlreiche der jungen, in ganz Hessen und darüber hinaus engagierten und zum Teil an den Theaterinstituten in Gießen, Frankfurt, Hildesheim ausgebildeten Künstler*innen an das Theater bindet, lässt auch neue Impulse und Kooperationsmodelle erwarten. Mit der noch jungen Gruppe Monstra etwa, deren Protagonistinnen Gesa Bering und Katharina Speckmann wiederum an den Theatern in Freiburg und Marburg sowie am Künstlerhaus Mousonturm für junges und auch erwachsenes Publikum tätig sind, erweitert sich der Horizont. Sie haben auch ihr jüngstes Stück „Monstermorphosen“ unter den Fittichen der GruenenSosse am Theaterhaus produziert. Umgekehrt bemüht sich der Frankfurter Mousonturm seit 2016/17 mit einem neuen Format namens „All in“ mehr junges Publikum in sein Haus zu bringen, mit Künstler*innen wie Jetse Batelaan und seinem Theater Artemis, mit Skart oder der Gruppe Ligna setzt das Haus auf Arbeiten, die Kinder und Jugendliche sowie Erwachsene gleichermaßen sehen und erleben können. Beim Festival Frankfurter Positionen präsentierte Jetse Batelaan eigens eine neue Arbeit am Mou-

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sonturm, ein Zeichen dafür, dass auch bei den großen „Playern“ der freien Kulturförderung ein Bewusstsein für „All in“ entstanden ist.

Theaterhaus mit Ensemble Der zweite große im nationalen Kontext bekannte Akteur des Kinder- und Jugendtheaters in Frankfurt und nach Besucherzahlen – 18 000 plus gut 9000 bei pädagogischen Programmen – der größte ist das Theaterhaus Frankfurt. 1986 gegründet als gesellschaftlicher Zusammenschluss mehrerer Künstler*innen, ist es seit dem Jahr 2000 ausschließlich Anbieter für Kinder- und Jugendtheater. Mit dem Theaterhaus Ensemble, bestehend aus Uta Nawrath, Susanne Schyns, Michael Meyer und Günther Henne, gibt es seit 2000 auch ein Hausensemble und neben wechselnden Regisseur*innen mit Rob Vriens einen langjährigen Hausregisseur. Die Arbeit der Gruppe, die auch immer wieder neue Formen probiert, ist wie die der GruenenSosse mit wiederkehrenden nationalen und internationalen Festivaleinladungen und Preisen bedacht worden. Mitunter wird nun auch in das eingeschworene Ensemble ein Gast hinzugeholt, durchaus im Be-


Figurentheater Eigentlich: „Sieben Geißlein (… und der Wolf)“, 2013. Foto: Andreas Humburg

wusstsein, dass ein derart auch persönlich enges Arbeiten dringend der Impulse von außen bedarf. Das befruchtet bisweilen die Gruppe selbst mehr als das künstlerische Ergebnis, wie etwa die Exkursion nach Kamerun und die Arbeit mit dem dortigen Théâtre du Chocolat für die Produktion „Tu comprends? Verstehste?“. Etwa in Kooperation mit den Avantgarde-Musikern von TEXTxtnd, Marcel Daemgen und Oliver Augst, kommen durch dieses Ausgreifen aber Produktionen von Rang heraus wie die Hörtheaterreihe „On Air“ zu klassischen deutschen Theatertexten wie „Die Räuber“ oder „Woyzeck“. Dennoch ist neben der raren Kooperation auffällig, dass es viele junge und mitteljunge Talente mit neuen Ideen und Herangehensweisen in Frankfurt und Rhein-Main ungeheuer schwer haben, unter geordneten Bedingungen ihre neuen Formen des Kinder- und Jugendtheaters zu produzieren und aufzuführen. Auch erfolgreiche jüngere Protagonist*innen wie die Frankfurter Choreografin Célestine Hennermann, die sehr erfolgreich Tanztheater für die Allerjüngsten mit Stücken wie „miniMAX“ oder „Elephant Walk“ konzipiert, müssen immer wieder neue Allianzen eingehen,

um an ihrem Lebensmittelpunkt auch produzieren zu können. Dass zahlreiche Talente abwandern, entweder in die Erwachsenenkunst oder in andere Städte, wird zwar seit langem beklagt – aber Konzepte, diesen Brain Drain aufzuhalten, gibt es nicht. Angesichts des Tempos, in dem sich die Gesellschaft und die Kulturlandschaft verändern, sollte aus dem Spaziergang ein Dauerlauf für die Kindertheaterlandschaft werden.

Eva-Maria Magel ist Kulturjournalistin.

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Henning Fangauf

Hessen vorn? Kinder- und Jugendtheater an den hessischen Staatstheatern

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„Hessen vorn!“ lautete in den 1960er Jahren jene Parole, die die eindrucksvolle Entwicklung des Bundeslandes nach dem Zweiten Weltkrieg umschreiben sollte. Der Slogan ist eng verbunden mit einer Landespolitik, die bis in die späten 1980er Jahre von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands maßgeblich bestimmt wurde. Ohne Zweifel kann diese Politik des „roten Hessens“ auf große Erfolge zurückblicken: Wirtschaftliche Stärkung und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, Eingliederung von Tausenden von Flüchtlingen und Schaffung neuer Arbeitsplätze, Förderung der Kulturlandschaft und auch in der Theaterpolitik übernahm das Land Verantwortung. Die ehemaligen Hof- und Residenztheater in Kassel, Wiesbaden und Darmstadt, die nach dem Krieg zerstört und von ihren Kommunen allein nicht wieder aufgebaut und betrieben werden konnten, erhielten vom neu geschaffenen Bundesland Hessen den Status eines Staatstheaters und seitdem die Zusicherung, dass das Land sich überproportional (aktuell mit 52 Prozent) an den Ausgaben beteiligt. Auch die Kosten für den Wiederaufbau des Theaters in Wiesbaden (1947) und für die Theaterneubauten in Kassel (1959) und in Darmstadt (1972) wurden vom Land getragen, ebenso wie der überwiegende Teil der Kosten für die umfangreichen Sanierungen aller drei Theater zu Anfang der 2000er Jahre. Umschreibt der Slogan „Hessen vorn!“ auch treffend die Situation des Kinder- und Jugendtheaters an den hessischen Staatstheatern? Zeichnen sie sich, die in geografisch so privilegierter Lage mitten in Deutschland und wirtschaftlich in einer der reichsten Region Europas liegen, durch besondere, impulsgebende Entwicklungen aus? Lässt die künstlerische Arbeit aufhorchen, strahlen ihre theaterpädagogischen Aktivitäten in alle Bereiche der Gesellschaft und haben sie sich zu unverzichtbaren Mitspielern in der Spartenvielfalt ihrer Häuser entwickelt? Junges Staatstheater Kassel: „Every heart is built around a memory“, 2018. Foto: Nils Klinger

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Junges Staatstheater Wiesbaden: „Krieg stell dir vor, er wäre hier“, 2014. Foto: Lena Obst

Spartengründung in Wiesbaden Ein Datum, ein Ereignis steht für einen Anfang, der von besonderer Bedeutung für das hessische, aber auch für das deutsche Kinder- und Jugendtheater sein sollte. In der Spielzeit 1996/97 wurde am Staatstheater Wiesbaden und damit erstmals für Hessen eine Sparte Junges Staatstheater etabliert. Der neu angetretene Intendant Achim Thorwald, seine Leitungserfahrungen von der Baden-Württembergischen Landesbühne Esslingen mitbringend, trat in Wiesbaden mit dieser Neugründung an. Er und sein Spartenleiter, der Dramaturg und Übersetzer Dirk H. Fröse, schrieben zur Eröff-

nungspremiere am 14. September 1996: „Mit dem Jungen Staatstheater eröffnen wir (…) unsere – neben Oper, Ballett und Schauspiel – vierte Sparte. Mit ihr schafft das Hessische Staatstheater künftig ein ganzjähriges Theaterangebot für die Kinder und Jugendlichen in der Landeshauptstadt und ihrem Umland. Mit dieser Gründung und mit den künstlerischen Mitteln des Theaters wollen wir gerade in einer Zeit ökonomischer Krisen und des Prioritätenstreits um Besitzstände und Werte ein Zeichen in Richtung Jugend und Zukunft setzen.“1

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Die Neugründung, die ohne Aufstockung des Etats und durch hausinterne Umwandlung von Stellen ermöglicht wurde, proklamierte sich bewusst als Junges Staatstheater (JUST). Mit diesem Namen sollte die Sparte sichtbar in das Staatstheater integriert und das bürgerliche Theaterverständnis der Stadt reflektiert werden. Es wurde auf eine jugendgemäße Namensgebung, wie sie damals im Bundesgebiet üblich war, verzichtet. Mit dieser Gründung, nach Braunschweig erst die zweite Sparte dieser Art an einem Staatstheater in Deutschland, lag Hessen in der Tat ganz weit vorn! Weitere Gründungen sollten folgen, z. B. am Schauspielhaus Hamburg, an den niedersächsischen Staatstheatern in Oldenburg und Hannover und an anderen Orten. Dirk H. Fröse, der die Sparte bis 2004 leitete und dann von Matthias Faltz abgelöst wurde, entwickelte mit seinem eigenständigen, fünfköpfigen Schauspielensemble einen vielfältigen Spielplan: Märchenstücke in zeitgenössischer Dramatisierung, Ur- und Erstaufführungen aktueller Stücke, Klassikerund Buchbearbeitungen, Musicals in kleiner Form und musikalische Experimente spannten die Spielplanbögen. Das Kinderstück zur Weihnachtszeit mit seinen bis zu vierzig Aufführungen auf großer Bühne wurde auch von dem JUSTEnsemble und mit Gästen bewerkstelligt. Ein besonderer Gewinn für die künstlerische Entwicklung waren die Engagements von ostdeutschen Künstler*innen mit ihren langjährigen Erfahrungen im Kinder- und Jugendtheater, ferner Fröses exzellente Kenntnisse der skandinavischen Dramatik, seine breite Vernetzung in die bundesdeutsche Theaterszene und die personelle Kontinuität im Team. Seit seiner Gründung hat sich das JUST Wiesbaden stetig weiterentwickelt. Die Schauspielerin Sophie Pompe, seit 2014 Ensemblemitglied im JUST, hat die derzeitige Leitung inne. Die theaterpädagogische Abteilung ist mit drei Stellen Junges Staatstheater Wiesbaden: „Nathans Kinder“, 2016. Foto: Lena Obst

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nun dem JUST angeschlossen. Das Haus verfügt, ähnlich wie in Darmstadt und Kassel, über eine Mitarbeiterin für Musikund Konzertpädagogik und Tanzvermittlung. Das ursprünglich autonome fünfköpfige Ensemble befindet sich aktuell – auch auf Wunsch der Spartenleitung – in einem Prozess der Umwandlung zum integrierten Modell. Der Spielplan (sechs Premieren und acht Wiederaufnahmen) ist vielseitig und bietet für alle Altersgruppen etwas. Die Auswahl des Weihnachtsstücks auf großer Bühne geschieht in Wiesbaden als sogenanntes Wunschweihnachtsmärchen durch Abstimmung im Publikum. Auf eine bald zwanzigjährige Geschichte kann in Wiesbaden das JUST-Musical zurückblicken. Sie ist eng verbunden mit der Regisseurin und Choreografin Iris Limbarth, die diese – gerne als „Talentschmiede“ für den Bühnennachwuchs bezeichnete – Sparte mit jeweils zwei bis drei Premieren pro Saison erfolgreich leitet. 2006 schrieb Dirk H. Fröse im Rückblick auf zehn Jahre JUST: „Der hessische Weg war früher eher: Anschaffen und abschaffen. In Wiesbaden funktioniert aber auch: Gründen, Fortsetzen, Verändern“.2 Das JUST befindet sich in diesem Prozess.

„Leinen los!“ in Kassel „Gründen, fortsetzen, verändern“, das könnte auch für den Blick auf das Staatstheater Kassel gelten, das sich 1999 – mit dem Beginn der Intendanz von Christoph Nix – mit einer eigenen Abteilung dem jungen Publikum öffnete. Und dabei begann alles, aus heutiger Sicht, mit einer Posse. Intendant Nix, der sich den Kasselanern als „Freibeuter“ vorstellte, um „das unbekannte Land Kassel“ zu erobern, hatte bereits in Nordhausen, seiner vorherigen Station, die Vorzüge einer Kinder- und Jugendtheatersparte kennengelernt. Er suchte das junge Publikum nun auch in Kassel, um seine Idee eines – laut Selbstaussage – „qualitätsvollen Marketings“ für das Theater umzusetzen. Noch vor der ersten Premiere intervenierte die damalige hessische Kunstministerin, Ruth Wagner, und warf dem Intendanten vor, ohne ihr Wissen eine neue Sparte ein-

gerichtet zu haben. Dazu sei er gar nicht berechtigt, das stehe nicht in seinem Arbeitsvertrag. Doch Freibeuter Nix argumentierte dagegen, es sei ja keine neue Sparte eröffnet worden, „sondern das Kinder- und Jugendtheater sei der Abteilung Schauspiel angegliedert“3. Der erfahrene Dramaturg und Regisseur Dieter Klinge hatte den Auftrag, diese Sparte – und um dieses Wort sollte ein Streit entbrennen – aufzubauen. Wohlgemerkt, und so wird es bis heute in Kassel gehalten, mit einem sogenannten „integrierten Modell“, also ohne eigens engagierte Schauspieler*innen für das Kinder- und Jugendtheater. Nachdem der Streit auf Nix’ typisch eigene Weise mit dem Ministerium geklärt war, das Verhältnis nach Wiesbaden dadurch aber nicht entspannter wurde, konnte Dieter Klinge loslegen und, ganz im Sinne des Spielzeitmottos „Leinen los“, mit dem Kinderstück „Das Schätzchen der Piratin“ von Heiner Kondschak das Kinder- und Jugendtheater am Staatstheater Kassel am 18. September 1999 eröffnen. Einen eigenen Namen erhielt die Neugründung nicht. Es wurde schnell sichtbar, dass die Versprechungen des Intendanten größer waren als seine Möglichkeiten. Dem Kinder- und Jugendtheater stand – anders als in Wiesbaden – keine feste Spielstätte zu. Man suchte und fand in der Stadt verschiedene Orte, alle von temporärer Dauer. So auch ein Saal in der Orangerie, der vom Theater schnell als Spielstätte Orange beworben wurde. Aber über dieses historische Gebäude verfügte nicht die Stadt Kassel, sondern die hessische Schlösserverwaltung. Und die war an kommerziellen Vermietungen der eindrucksvollen Säle interessiert, sodass der Konflikt programmiert war. Schnell wurde klar, dass das Theater sehr viel mehr Spieltermine anbieten könnte, wenn denn entsprechende Räumlichkeiten zur Verfügung stünden. Die Orange wurde aber für Hochzeiten und weitere Festivitäten gewinnbringend vermietet und das Theater musste sich erneut auf die Suche nach Räumen begeben. Bereits ein halbes Jahr nach Spielzeiteröffnung, im Februar 2000, lud das Thea-

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Junges Staatstheater Kassel: „Tschick“, 2015. Foto: Nils Klinger

ter zu einer Diskussion: „Brauchen wir ein Kinder- und Jugendtheater in Kassel?“ und verwies leicht frustriert auf den Notstand. Die Theaterleitung fühlte sich erneut vom hessischen Kunstministerium allein gelassen, denn aus Wiesbaden gab es damals keine Zustimmung, einen eigenen Spielort für das Kinder- und Jugendtheater – es war das ehemalige Gloria-Kino auserkoren worden – anzumieten. So schwierig der Start, so dauerhaft das Beharrungsvermögen der Akteur*innen. Das FRIZZ (heute tif) wurde zur festen und geeigneten Spielstätte für das Kinder- und Jugendtheater und mit der Intendanz von Thomas Bockelmann

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2004 wurden neue, teils aber nur Halbtagsstellen im Bereich der Tanz-, Konzert- und Musikpädagogik geschaffen. Damit wurden die theaterpädagogischen Angebote im ganzen Haus wesentlich erweitert, ohne dass diese allerdings dem Kinder- und Jugendtheater zugeordnet waren. Das Junge Staatstheater, so nannte man sich in Kassel seit 2004, bringt pro Spielzeit drei bis vier Premieren heraus und ist auch für das Weihnachtsstück auf großer Bühne zuständig. Dieser Spielplan wird mit den Schauspieler*innen des gesamten Ensembles, häufig aber auch mit Gästen und großer Professionalität der Disposition umgesetzt. Vormittagsvorstellungen,


Junges Staatstheater Kassel: „Die Leiden des jungen Werther“, 2017. Foto: Nils Klinger

mobile Produktionen, Klassenzimmerstücke, aber auch Jugendclub und Bürgerbühne realisiert das kleine Team. Dieter Klinge leitet die Sparte bis 2016, zuletzt von zwei festen theaterpädagogischen Stellen unterstützt. In seiner Zeit wurden in Kassel – vergleichbar mit Wiesbaden – Nachwuchskünstler*innen gefördert, personelle Kontinuität angestrebt und ein vielseitiger Spielplan mit neuer Dramatik und mit Repertoirestücken dem Publikum angeboten. Philipp Rosendahl und Thomas Hof, die das JUST Kassel aktuell leiten, haben ihre Theaterkarrieren auch im Kinder- und Jugendtheater in Kassel unter der Leitung von Dieter Klinge begonnen. Der Spielplan

2018/19 kündigt vier Premieren (einschließlich Kinderstück zur Weihnachtszeit) und sechs Wiederaufnahmen an.

Mitmachen und Vermittlung in Darmstadt Ganz anders ist die Entwicklung in Darmstadt verlaufen. Am dortigen Staatstheater ist es nie zu der Gründung einer Sparte Kinder- und Jugendtheater gekommen. Bereits Intendant Gerd-Theo Umberg (1996–2004) als auch John Dew (2004– 2014) beriefen sich darauf, zu diesem Schritt „keinen Auftrag gehabt zu haben“. Dews Schauspieldirektor Martin Apelt macht nicht nur die fehlenden Vorgaben aus der Landes-

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Staatstheater Darmstadt: „Auerhaus“, 2017. Foto: Robert Schittko

hauptstadt geltend, sondern er bringt seine persönliche kritische Haltung zu einer eigenen Spartengründung ein. Diese könne nie, so seine Meinung, jene künstlerische Qualität erreichen, die von den etablierten Sparten Schauspiel, Oper und Tanz eines Staatstheaters ausgehen und auf die das Publikum Anspruch hat. Daher sei es wichtig – und das ist jene Strategie, die man in Darmstadt seit über zwanzig Jahren verfolgt –, aus allen Sparten heraus Angebote für junges Publikum zu machen. Und noch ein anderes Argument wird in Darmstadt – anders als in Kassel oder Wiesbaden – angeführt: Die freie Theaterszene der Stadt, die überwiegend das Kinderpublikum im Blick hat, solle nicht einen übermächtigen Gegenspieler erhalten. In diesem Sinne wurde auch aus dem Kulturamt der Stadt in Richtung des Theaters argumentiert. Dieser Argumentation folgend, kam es in Darmstadt

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immer wieder zu Kooperationen zwischen freier Szene (z. B. mit Theaterlabor Inc., Theater Lakritz) und Staatstheater. Dieses Modell, das seit vielen Jahren im gesamten Bundesgebiet versucht, kommunale Theater und freie Szene punktuell zusammenzubringen, ist nur bedingt tauglich. Auch in Darmstadt hat die Zusammenarbeit nicht zu einer kontinuierlichen Erweiterung des Angebots für Kinder am Staatstheater geführt. Um den dazu notwendigen, künstlerischen Dialog beider Partner auf Augenhöhe zu führen, sind nicht nur die unterschiedlichen finanziellen Ressourcen und dispositionellen Gegebenheiten zu berücksichtigen, sondern ein dauerhaftes, ernstgemeintes und künstlerisches Interesse aneinander. Wenn in Wiesbaden und Kassel Kinder und Jugendliche durch die Sparten mit der Theaterkunst vertraut ge-


macht werden, so soll das in Darmstadt – auf ganz andere Art und Weise – die Abteilung Mitmachen und Vermittlung leisten. Vier Mitarbeiterinnen (Leitung: Lina Zehelein) bieten ein beachtenswertes künstlerisches, pädagogisches und generationenübergreifendes Programm an. Die Abteilung Vermittlung will im klassischen Sinn das Theater näherbringen (Hausführungen, Probenbesuche), in inszenierungsbegleitenden Workshops den Aufführungen des Staatstheaters kenntnisreicher begegnen, die Lust am Schreiben wecken, Service für Pädagog*innen und Kooperationen nicht nur mit

Schulen, sondern auch mit dem Jobcenter anbieten, z. B. im Programm Joblinge. Die Abteilung Mitmachen: d. h. in Darmstadt Mitspielen, Mittanzen, Mitsingen – ein breites Angebot an Werkstätten, Jugendclubs, Bürgerbühnen, Chorarbeit und offenes Tanztraining. Bewusst richten sich ausgewählte Angebote auch an Erwachsene und an jene jungen Menschen, die nicht frühzeitig durch Elternhaus oder Schule eine Bindung zum Theater gefunden haben. „Bei uns im Theater kann man nicht nur zuschauen, sondern darf auch mitmachen. Und das kann Staatstheater Darmstadt: „Theaterwerkstatt“, 2018. Foto: Nils Heck

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jede/r, egal, welchen Alters oder welcher Herkunft. Wir möchten einladen, sich intensiver und vielleicht ungewohnter mit dem Staatstheater Darmstadt und seiner Arbeit zu beschäftigen. Wir möchten Lust bereiten, die Verhandlungsmöglichkeiten von Welt durch das Theater zu entdecken und miteinander ins Gespräch zu kommen. (…) Wir arbeiten überwiegend daran, Menschen mit wenig oder gar keiner Berührung mit Kunst im Allgemeinen und mit Theater im Speziellen das Haus zu öffnen. Das heißt im Idealfall, dass nicht nur Menschen ‚von außen‘ das Haus und seine Mitarbeiter*innen und Arbeitsprozesse kennenlernen, sondern auch wir am Theater Arbeitende andere Realitäten und Lebensweisen intensiver kennenlernen.“4 In Darmstadt setzt man nicht in erster Linie auf die Angebote im Schauspiel, sondern – die Mischung macht’s – auf einen Vielklang aus allen Sparten. Oper, Konzerte, Tanz bieten genauso Inszenierungen für Kinder und Jugendliche wie das Schauspiel. Diese werden dann im Spielzeitheft mit einem Sternchen gekennzeichnet und folgendermaßen erklärt: „Jedes Kind, jede Familie und jede Aufführung sind anders. Deshalb geben wir bei vielen Veranstaltungen keine Altershinweise. Wenn Sie mit Ihrem Kind/Ihren Kindern eine Veranstaltung bei uns besuchen möchten, die keine Altersempfehlung hat, wenden Sie sich gerne an unsere Vorverkaufskasse oder unsere Abteilung ‚Mitmachen und Vermittlung‘.“5

Potentiale und Perspektiven Davon ausgehend, dass an den öffentlich geförderten Staatstheatern aufgrund von finanzieller, personeller und struktureller Planungssicherheit gute, wenn nicht bestmögliche Arbeitsbedingungen herrschen, stellt sich die Frage, ob die hier angesprochenen hessischen Kinder- und Jugendtheater diese Möglichkeiten ausschöpfen. „Hessen vorn“? Spielen die Kinder- und Jugendtheater der hessischen Staatstheater vorne mit in der Liga der deutschen Theater für junge Men-

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schen? Können die Kinder und Jugendlichen der drei hessischen Großstädte ein Theater erleben, das auf der Höhe der Zeit ist, an denen die aktuellen Diskurse über die darstellende Kunst für junges Publikum und deren Vermittlung sich wiederfinden? Dem aufmerksamen Beobachter fällt auf, dass dem nicht immer so ist. Die Sparten der Theater in Kassel und Wiesbaden sprechen nach wie vor mehrheitlich den Nachwuchs des bürgerlichen Theaterpublikums an. Öffnung der Theater, hin zu einem bisher noch nicht erreichten Publikum, Erprobung ungewohnter Spielorte – diese Flexibilität der Kinder- und Jugendtheatersparten kann die Gesellschaft zu Recht von ihrem Theater erwarten. Die „Wege ins Theater“, um ein aktuelles Förderprojekt der ASSITEJ aus dem Bundesprogramm „Kultur macht stark“ anzusprechen, können vielfältiger sein, als sie zurzeit in Kassel, Wiesbaden und Darmstadt beschritten werden. Die Theater in Kassel und Wiesbaden haben die Möglichkeiten (und Mitfinanzierungen!) aus diesem Programm bisher nicht für sich genutzt. Insbesondere an den Kinder- und Jugendtheatern muss der Diskurs über die Rolle von Kunst und Kultur vor Ort und mit der jeweiligen Stadtgesellschaft geführt werden. Das sind originär dramaturgische Aufgaben, deren Überlegungen dann in die Spielplandiskussionen einfließen. Die Dramaturgie für das Kinder- und Jugendtheater in Kassel wird von Thomas Hof, dem Spartenleiter und Theaterpädagogen, mitgestaltet, in Wiesbaden von dem JUST-Leitungsteam und der Schauspieldramaturgie und in Darmstadt findet sich die Leiterin der Abteilung Mitmachen und Vermittlung, Lina Zehelein, in dieser Rolle. Dramaturg*innen, deren Aufgabenfeld ausschließlich das Kinder- und Jugendtheater ist, finden sich an keinem der drei Theater. Und das hat Auswirkungen. Wo, wenn nicht an den Staatstheatern, können Stückaufträge im Kinder- und Jugendtheater vergeben, Autor*innen entdeckt, gefördert und in die Theaterarbeit eingebunden werden? Wo, wenn nicht an den Staatstheatern mit ihren großen


musikalischen Abteilungen, sollte die Entwicklung einer Jungen Oper stattfinden? Wo, wenn nicht an den Staatstheatern in Hessen, der Theaterlandschaft, die in der Mitte Europas liegt, muss auch international gedacht und agiert werden? Austausch mit Künstler*innen aus fernen Ländern suchen, Fremdsprachigkeit als Experiment erproben, noch unbekannte Kulturen – und das nicht nur zu Festivalzeiten – an die Fulda, in den Odenwald und ins Rhein Main-Gebiet holen. Im internationalen Austausch, in Kooperationen mit anderen Kunsteinrichtungen, auf all den hier erwähnten Gebieten liegen für die Kinder- und Jugendtheater der drei hessischen Staatstheater noch große Potentiale. Bei allem bewährten business as usual.

Henning Fangauf arbeitet freiberuflich als Lektor und Dramaturg.

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Achim Thorwald und Dirk H. Fröse: Liebe Theaterfreunde. In: Flyer zur Eröffnung vom Jungen Staatstheater Wiesbaden, 14. September 1996. Dirk H. Fröse: Geschichten vom Papagei. In: Zehn Jahre junges staatstheater wiesbaden, herausgegeben von Staatstheater Wiesbaden 2006. Ralf Pasch: Freibeuter für die Kleinen. In: Frankfurter Rundschau, 16. September 1999. Lina Zehelein: Über die Vermittlung am Staatstheater Darmstadt, Darmstadt 2018. DAS THEATER, staatstheater darmstadt, Spielzeit 2018/19, S. 101.

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Ilona Sauer

Mitgestalten statt konsumieren Publikumsbeteiligung in ländlichen Räumen

ein Wort stirbt aus ein Ort stirbt aus ein rt stirbt aus ein t stirbt aus ein…….stirbt aus (Werner Herbst, in: Das offene Buch. Hausfassaden in der Stadt Hünfeld)

Geschichten von ländlichen Räumen sind Erzählungen übers Gehen und übers Bleiben. Sowohl für das Gehen wie auch für das Bleiben gibt es vielfältige Gründe, die Entscheidungen für das eine oder das andere sind biografische. Die Regisseurin und Dramaturgin Hannah Schassner, die für FLUX mehrere Künstlerresidenzen in ländlichen Räumen realisierte, beschrieb dies sehr genau: „Kinder und Jugendliche auf dem Land bewegen zwei Dinge, die widersprüchlicher nicht sein könnten: erstens absolute Verbundenheit und Identifikation mit dem Ort, die einhergeht mit einem nahezu unhinterfragbaren Stolz auf die Gemeinde und ihre Traditionen, und zweitens den Wunsch nach schneller Flucht und Abenteuer in der weiten Welt, der einhergeht mit dem Groll auf das Leben auf dem Land und den damit verbundenen Unwegsamkeiten struktureller Natur. Nicht selten gehen diese beiden Extreme in einer Person Hand in Hand durch den Ort. Diesen Widerspruch muss man ernst nehmen. Im übertragenen Sinn bedeutet er: Alles soll so bleiben, wie es ist, und dabei muss alles anders werden.“1 Wie also mit diesen Paradoxien umgehen und wie in ländlichen Räumen Kulturbegegnungen gestalten und initiieren? Im Grimm’schen Wörterbuch wird das mit dem Wort Raum verbundene Verb räumen als das Schaffen einer Lichtung im Wald durch Urbarmachung und Ansiedelung beschrieben.2 So betrachtet kann der ländliche Raum auch als eine Lichtung, in der Veränderungen stattfinden, als Möglich-

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keitsraum und nicht als eine „Restkategorie“ zur Stadt3 gedacht werden und als Kulturlandschaft mit Vereinen, Traditionen, landschaftlichen Besonderheiten und Alltagskulturen beschrieben werden. Allerdings prägen in Zeiten der Globalisierung urbane Lebensstile mehr und mehr auch das Leben der Bewohner*innen kleiner Städte und das der Landbewohner*innen. Die alten Unterscheidungsmerkmale und Zuschreibungen zwischen Stadt und Land sind ins Wanken geraten, auch wenn die Gleichheit der Lebensverhältnisse durch Abwanderung, schlechte Verkehrsanbindungen und schlechte Infrastruktur nicht gegeben ist. „Die strukturellen Veränderungsprozesse in den ländlichen Räumen erfordern kulturpolitische Veränderungsprozesse, die interdisziplinär und ganzheitlich konzipiert sind und nicht aussschließlich auf die Kunst rekurrieren“, so konstatiert Doreen Götzky in der Publikation „Vital Village“.4 Neue Communitys könnten in diesen regionalen Kulturlandschaften geschaffen werden, in denen die Bewohner*innen nicht nur Konsument*innen von Kultur sind, sondern zu Mitgestalter*innen von lebendigen Netzwerken werden, die sich nicht nur auf kulturelle Aktivitäten beschränken, sondern das Zusammenleben und den Bereich der Daseinsfürsorge einbeziehen.5 Die temporären FLUX-Residenzprojekte, die seit 2015 mit Mitteln des Kulturkoffers Hessen realisiert wurden, sind geprägt durch Besonderheiten und Narrationen des jeweiligen Ortes, durch die künstlerische Handschrift der Theaterschaffenden und durch die Diversität der Beteiligten.6 Da abseits von Großstädten keine flächendeckende Versorgung aller Kinder und Jugendlichen mit Kunst und Theater stattfindet7, sind die FLUX-Residenzprojekte auch ein Versuch, gemeinsam mit freien Theatern im ländlichen Raum zu wirken und Modelle der Zusammenarbeit zwischen Künstler*innen und Bewohner*innen herzustellen. In vielen


LIGNA: „Ein Wirtshaus im Spessart“, 2016. Fotos: LIGNA/ Konrad Merz

der Projekte wurden Leerstände zu Veranstaltungs- und Kommunikationsorten umgestaltet. Die darstellenden Künstler*innen aus den Bereichen Schauspiel, Tanz und Performance arbeiten vor Ort mit zeitgenössischen Theaterformen und beziehen die Bewohner*innen aktiv als Expert*innen und Akteur*innen ein. In allen FLUX-Residenzprojekten arbeiten sie mit Kindereinrichtungen und Schulen zusammen und realisieren mit Kindern und Jugendlichen Projekte über den Schulhof hinaus, adressieren aber auch Menschen aller Generationen. Die künstlerischen Residenzprojekte eröffnen zudem Passagen zwischen Stadt und Land, indem sie am Vorhandenen anknüpfen und zugleich die ausgetretenen Pfade verlassen und einen zeitgemäßen Umgang mit dem kulturellen und breitenkulturellen Erbe herausfordern, künstlerische Impulse setzen und vielfältige Suchbewegungen initiieren, die auf einem demokratischen Miteinander beruhen.

Die Gemeinde als Spielfeld

„Wenn du residieren willst, musst du den Ort sehr ernst nehmen. Denn nur dann ist eine Intervention eine Intervention und nicht eine reine Störaktion von außen. Denn wie der Name schon sagt: Intervention kommt von inter – dazwischen, mittendrin. (…) Also, lerne die Ortsmaschine von innen kennen. Sei mittendrin statt nur dabei!“ Hannah Schassner

In die Ortsmaschinerie von Großenlüder bei Fulda griffen Hannah Schassner und Annika Keidel ein, indem sie die Gemeinde zum Spielfeld machten, mit Spielformaten experi-

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mentierten und gemeinsam mit den Bewohner*innen die Kunstfigur Ludo kreierten. In Büdingen sammelten die Performer*innen mit ihrem Traumforschungslabor die Träume und Wünsche der Bewohner*innen für Büdingen ein und übergaben diese dem Bürgermeister. In Bad Orb, einer Spessartgemeinde, gründete das Künstlerkollektiv LIGNA in einem Leerstand das Wirtshaus im Spessart. Die zahlreichen Leerstände waren ein diskussionswürdiges Thema für die Bewohner*innen und inspirierte das Künstlerkollektiv zu zwei Arbeiten: „Der Leerstand spricht“ und „Der perfekte Plan“, die zur Erforschung des Stadtraums einluden. LIGNA etablierte in der Fußgängerzone einen akustischen Raum, indem sie vor allen leerstehenden Häusern und Geschäften Radios positionierten, aus denen Text aus der Perspektive dieser Häuser ertönten. Zuvor hatte LIGNA die Meinungen der Bewohner*innen eingesammelt, was denn mit den Leerständen geschehen solle. Die Kinder wandten sich gegen eine Politik des Ausschlusses und positionierten sich mit ihren Wünschen für eine Nutzung der Leerstände. Im Herbst 2016 startete die Gemeinde Orb unter Bürgerbeteiligung die Entwicklung eines neuen Stadtleitbildes. Zeitgleich sammelte LIGNA meist in informellen Gesprächen Informationen, Geschichten und Einschätzungen der Bewohner*innen zum Leben in ihrer Kleinstadt. 2017 setzten sie die temporäre Künstlerresidenz als Kinderprojekt fort. 2018 etablierten sie den temporären Radiosender Bad Orb und luden die Bewohner*innen erneut in einen Leerstand ein, diesmal in einen leerstehenden Spielwarenladen. Sie gaben Kindern und Jugendlichen, Vereinen und Initiativen die Möglichkeit, sich über Radio Gehör zu verschaffen und griffen erneut die Diskussion um das Stadtleitbild auf. Das Künstlerkollektiv will in seiner Radioarbeit vor allem die Spannung zwischen dem Sichtbaren (wie der Stadt) und dem Unsichtbaren (dem Imaginären) aufdecken8 und so Veränderungsprozesse einleiten. 9

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Die Residenz endete an einem sogenannten Radiosonntag mit Reportagen, Livemusik und den aus dem Material entstandenen Textkollagen. Einen Schwerpunkt bildeten die Interviews der Kinder und Jugendlichen, deren Perspektiven bei der Entwicklung des Stadtleitbildes keine Rolle gespielt hatten. Vieles spricht daher dafür, Kinder als Mitforschende auch in die kommunalen Entwicklungsprozesse – z. B. die Entwicklung eines Leitbildes – einzubeziehen, ihre von der Erwachsenensicht verschiedene Sichtweise aufzugreifen und ihrem Eigensinn Raum zu geben. Die Aktionsräume der Kinder standen auch im Fokus der Künstlerresidenz STADT_LAND_KIND des Regieduos willems& kiderlen in der Odenwaldgemeinde Lautertal 2018. Sie recherchierten die Lebenswelt der Landkinder und, wie das Leben der Stadtkinder zunehmend durch Einschränkung der Streifräume10, durch Verinselung, durch abgeschottetes Spiel in Vorgärten und durch ein kontrolliertes und vorgefertigtes Spielumfeld gekennzeichnet ist. Die Theaterschaffenden gingen gemeinsam mit den Kindern der Frage nach, was dran ist an der viel gepriesenen Landkindheit, ihrer Romantisierung, aber auch ihren Chancen. Wie wachsen Kinder auf dem Land auf? Wie eignen sie sich den von Erwachsenen definierten Raum zwischen Schule, Freizeitangeboten, Maisfeldern, Pendelverkehr und Streifraum an? Sie thematisieren in ihrem von Kindern geleiteten Audio-Walk durch Gadernheim diese Veränderungen. Zugleich lassen sie auch die ältere Generation zu Wort kommen: Was vererbt die ältere Generation an die Jüngeren, was will sie weitergeben an Haltungen, Geld und materiellen Gütern? Und wie planen die Alten die Übergabe an die nächste Generation? Die Kinder erzählten im Gegenzug, was ihnen die Großeltern und Urgroßeltern hinterlassen haben. Beide hier vorgestellten Projekte der darstellenden Künste arbeiten im öffentlichen Raum, schaffen Generationenbegegnungen und machen das Publikum zu Akteur*innen. Es gelingt ihnen so, sowohl für die Kinder als auch für die Erwachsenen neue temporäre Öffentlichkeiten herzustellen,


wo es vorher keine gab. Der öffentliche Raum ist somit ein „zentraler Ort der Zivilgesellschaft, an dem Geschichten, Gegenwart und Zukunft sichtbar und erlebbar gemacht sowie verhandelt werden“.11 Erlebbar wird der Ort nicht nur für die Bewohner*innen, sondern auch für die Gäste aus der Stadt. Das ist nicht nur kulturtouristisch interessant, sondern diese Begegnungen können auch für die Ortsansässigen bereichernd sein.

Kulturanstiftung in der Provinz Provinz ist ein Ort im Kopf, schreibt Silvia Pahl, die seit 25 Jahren in Immichenhain lebt und mit dem theater 3 hasen oben im nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis wirkt und arbeitet. Mit ihrem KulturAnstifterMobil und mit Gastspielen und zahlreichen Projekten in der Region gehen sie einen eigenständigen Weg. Es gelang ihnen, die zeitweilige Isolation im ländlichen Raum zu durchbrechen. In den letzten fünf Jahren intensivierten sie sehr erfolgreich die partizipative Kulturarbeit mit den Menschen vor Ort. Im Rahmen von FLUX Hessen realisierten sie die Residenzen „Lost – Gehen oder Bleiben?“, „Happening“ und „Da kann man nix machen“. Das EU-Programm LEADER-Regionalentwicklung ermöglichte die Sommerwerkstätten with my eyes und geheim. Der Kulturkoffer Hessen förderte das KulturAnstifterMobil in den Jahren 2017 und 2018 als regionales Langzeitprojekt. 2018 errichtete das Theater als fortlaufendes Angebot einen TheaterJugendClub unter der Leitung eines früheren Projektteilnehmers. Für das Projekt KulturKnotenPunkt erhält das Theater 3 hasen oben nun erstmals eine Drei-Jahres-Förderung der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung aus dem Bundesprogramms Ländliche Entwicklung (BULE) im Förderbereich LandKULTUR. Geplant ist die Einrichtung einer Servicestelle Kultur, die Schaffung eines Netzwerks von Spieler*innen und eine Regional-Inszenierung. Bereits im Frühjahr 2019 wird das Büro KulturKnotenPunkt in einen Leerstand in Homberg einziehen und es wird ein Ort für Vorträge und Aktionen entstehen. Vernetzt ist das

LIGNA: „Radio Orb“, 2018. Foto: LIGNA

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Hirsch & Co.: „Magnetfeld Eisenbach“, 2018. Foto: FLUX

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theater 3 hasen oben übrigens mit den Landrosinen, dem Kulturnetzwerk Schwalm-Eder, einem Zusammenschluss von zwanzig Einzelinitiativen und Künstler*innen aus der Region mit dem Ziel der Förderung zeitgenössischer Kunst, aber auch der Schaffung eines Diskursraumes. Mit einem gemeinsamen Jahresprogramm und einer gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit bündeln sie die Aktivitäten in der Region. Dass der ländliche Raum kein kulturloses Niemandsland ist, verdeutlichte auch 2017 und 2018 das vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien geförderte Projekt LandKulturPerlen der Landesvereinigung Kulturelle Bildung Hessen. Dort begaben sich die Projektkoordinatorin und die regionale Projektmanagerin im Landkreis Waldeck-Frankenberg und im Landkreis Fulda auf die Suche nach den weißen Flecken auf der hessischen Kulturlandkarte. Sie führten Gespräche mit Landrät*innen und Bürgermeister*innen, mit Vereinen und Künstler*innen vor Ort. Sie entdeckten in den Landkreisen wunderbare Veranstaltungsorte, beispielsweise die alte Synagoge in Vöhl oder das Museum Modern Art in Hünfeld, aber vor allem: die Zivilgesellschaft. Sie identifizierten in ihrer sorgfältigen Recherche 550 Akteur*innen in der Region Waldeck-Frankenberg. Mit Mitteln des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst konnten 22 Projekte für Kinder und Jugendliche, aber auch generationenübergreifend gefördert werden, die ausschließlich von den Beteiligten vor Ort ausgingen und Akzente im Bereich der kulturellen Bildung in den Gemeinden setzten. Dazu gehörten u. a. Theaterprojekte, Lesungen, Konzerte, Kunstaktionen und Klosterführungen. In allen Projekten sollte den Kindern und Jugendlichen der kleinen Gemeinden eine niedrigschwellige Teilhabe ermöglicht werden. Allein durch die Recherchen vor Ort, die Ansprache der Verantwortlichen und durch die Projektarbeit erfuhren die Akteur*innen Anerkennung und Wertschätzung für ihre vorwiegend ehrenamtliche Arbeit. Birgit Wolf, die das Projekt im Landkreis Waldeck-Frankenberg für die Landesvereinigung Kulturelle Bildung


Hessen evaluierte, beschrieb darin auch die strukturellen Hürden: das Fehlen von Kooperations- und Vernetzungsstrukturen, das nahezu ausschließliche Wirken von Ehrenamtlichkeit und das Fehlen von öffentlicher Kulturförderung für den ländlichen Raum, das Fehlen von Servicestellen und qualifizierten hauptamtlichen Ansprechpartner*innen im Bereich Kultur in den Kreisen und Gemeinden, das Fehlen von Weiterbildungen im Bereich kulturelle Bildung.12

Willems & Kiderlen: „Stadt_Land_Kind”, 2018. Foto: FLUX

Es braucht Denk-, Gesprächs- und Kommunikationsräume Die darstellenden Künste sind in sehr unterschiedlichen Kontexten und Strukturen mit Angeboten für Kinder und Jugendliche in Hessen unterwegs. Das Kindertheaterfestival Kaleidoskop bringt in den Monaten September bis Dezember Gastspiele aus dem Bereich der darstellenden Künste für junges Publikum in kleine hessische Gemeinden und ist ein fester Bestandteil der Aktivitäten des Landesverbandes Professionelle Freie Darstellende Künste in Hessen 2018 waren es 39 Auftritte von acht fachkundig ausgewählten Theaterproduktionen in 14 Orten. Bei den Planungen der Aufführungen stehen die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten im Vordergrund. Für die Qualität der angebotenen Stücke bürgt eine Jury. Inszenierungen mit künstlerischen Begleitungen, Theaterprojekte und künstlerische Labore für Schulen in ländlichen Räumen organisiert FLUX, das Programm zur Zusammenarbeit von Theater und Schule. Auch hier werden alle ausgewählten Inszenierungen von einer Jury kuratiert. Die Kosten werden vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst anteilig übernommen. Darüber hinaus vergibt das Ministerium für Wissenschaft und Kunst spezielle Gastspielförderungen für den ländlichen Raum. Ein spezielles Angebot des Landes Hessen sind die Kultursommer, die als Kultursommer Südhessen, Nordhessen, Mittelhessen und Main-Kinzig-Fulda in den Regionen ausgerichtet werden und deren fester Bestandteil auch die Kinderkultursom-

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mer sind. Zum einen können kleinere Städte ihre Angebote in das Programm der Kultursommer aufnehmen lassen, zum anderen können Kulturvereine, gemeinnützige Initiativen, Kommunen und Kulturämter sich für Veranstaltungen mit professionellen Künstler*innen bewerben. Beim Mittelhessischen Kultursommer beispielsweise sind genreübergreifende Kooperationen gewünscht. Zum Teil sind in den Kultursommern die Angebote für Kinder mit dem Kulturkoffer Hessen verzahnt. „Wir würden uns freuen, wenn ihr Lust habt, zusammen mit euren Eltern die eine oder andere Veranstaltung zu besuchen. Es werden Puppen- und Märchenspiele, Artistik- und Mitmachprogramme, Laternentheater, Feste, Spektakel und viele weitere interessante Veranstaltungen angeboten.“13 Die Veranstaltungen finden in Burgen, Klöstern und an vielen spannenden Orten in den Gemeinden statt. Anders aber als beispielsweise die Angebote für Kinder beim Trommer Sommer, die die Handschrift des Theatermanns Jürgen Flügge tragen, oder beim Dialog Runkel, wo sich Menschen um den ehemaligen Leiter des Künstlerhauses Mousonturm, Dieter Buroch, zusammenfinden, oder in Limburg, wo der Autor Ulrich Zaum in einer alten Schule in Weilburg ein Kulturzentrum plant, oder bei den Veranstaltungen des Lauterbacher Kultursommers, die mit der FLUX-Künstlerresidenz Magnetfeld Eisenbach verzahnt sind, wirken die Angebote des Kinderkultursommers beliebig. Sie gleichen einem Gemischtwarenladen, auch wenn einige renommierte Figurentheaterensembles und Kindertheater gastieren. Es scheint so, als wolle man ein möglichst kostengünstiges und gut verdauliches Programm bieten, das in erster Linie unterhält, möglichst heimatkulturell geprägt ist oder mit Themenstücken pädagogische Botschaften verbreitet, nirgendwo aneckt, wenig Zeitgenossenschaft enthält und an das Kinderpublikum keine Anforderungen stellt. Aber: Kinder und Jugendliche auf dem Land leben nicht hinterm Mond, sie waren Austauschschüler in Amerika und Japan, sie haben Internetfreund*innen auf der ganzen Welt, sie spielen PlayStation und

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nutzen das Internet. Was sie brauchen, sind Formate, die den Sichtweisen von Kindern und Jugendlichen Raum geben, Denk-, Gesprächs- und Kommunikationsräume öffnen. Die Kunst wird darin bestehen, kulturpolitisch Konzeptionen und vor allem Strukturen zu entwickeln, welche die vorhandenen Aktivitäten ausbauen, bündeln, zusammenführen und vor allem weiter qualifizieren, um so auch für die Menschen in ländlichen Räumen Kulturangebote zu bieten, die Bewohner*innen dazu anstiften, ihre Dörfer und Städte neu zu denken und zu gestalten.

Ilona Sauer ist Kulturvermittlerin und Projektleiterin für FLUX – Theater in Hessen unterwegs. Theater für Schulen. 1 2

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Hannah Schassner im Gespräch mit der Autorin über die FLUX-Residenzen im Oktober 2018. Vgl. Helga Peskoller: Natur, Raum, Körper. In: Birgit Engel, Helga Peskoller, Kristin Westphal, Katja Böhneund Simone Kosica (Hg.): räumen – Raumwissen in Natur, Kunst, Architektur und Bildung. Weinheim, Basel 2018, S. 26. Vgl. Markus Morr: Ländliche Räume. In: Wolfgang Schneider, Beate Kegler und Daniela Koß (Hg.): Vital Village, Bielefeld 2017, S. 225–232. Doreen Götzky: Live in der Pampa. In: Wolfgang Schneider, Beate Kegler und Daniela Koß (Hg.): Vital Village, S. 311. Vgl. Föhl S. Patrick, Wolfram Gernot: Transformation und Community Building. In Kulturpolitische Mitteilungen 152/1, 2016, S. 30–33. Sie fanden in Immichenhain, Schlitz, Steinau an der Straße, Melsungen, Bad Orb, Münster-Altheim, Büdingen, Eisenbach bei Lauterbach, Homberg (Efze), Nidda, Großenlüder, Erbach und Lautertal statt und wurden von dem theater 3 hasen oben, den kollektivschläfern, dem TheaterGrueneSosse, Hirsch & Co, Charis Nass und den Performancegruppen LIGNA, red park/helfersyndrom, andpartnersincrime, ongoing project, willems&kiderlen gestaltet. Dies ergab die 2017 von der ASSITEJ e. V. veröffentlichte Studie. Siehe auch: www.assitej.de. Vgl. Ole Frahm in der Dokumentation: FLUX-Künstlerresidenz „LIGNAs Wirtshaus im Spessart“, o. J., o. S. Nach Ende der Residenz wird das Bürgerradio an die Bewohner*innen Orbs übergeben und von diesen weitergeführt. Streifräume sind Orte, die das Kind außerhalb des Wohngebäudes selbstständig, ohne die Kontrolle Erwachsener und unregelmäßig aufsucht. Günter Jeschonek (Hg.): Darstellende Künste im öffentlichen Raum (= Recherchen 127), Berlin 2017, S. 208. Unveröffentlichtes Manuskript: Birgit Wolf: Kleine Evaluation des Modellprojektes LandKulturPerlen im Landkreis Waldeck-Frankenberg, 2017, 37 S. www.kultursommer-hessen.de/kinderkultur.html.


Eckhard Mittelstädt

Sieben auf einen Streich Grimmsche Märchen auf hessischen Bühnen

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Wer nach dem Verbindenden des Bundeslandes Hessen sucht, landet schnell bei den Brüdern Grimm und ihren Märchen. Und das gilt natürlich auch für die Stoffe des Kinderund Jugendtheaters, vor allem wenn man auf die gerade im Stadt- und Staatstheater beliebte Spielplanposition Weihnachtsmärchen schaut. Doch welche Rolle spielen die Märchen und ihre Verfasser in der zeitgenössischen Kinder- und Jugendtheaterlandschaft Hessens? In welchen Formen und Formaten gelangen sie auf hessische Bühnen? Welche Traditionen lassen sich nachzeichnen und/oder gehören bis heute zum Bühnengeschehen dieses Bundeslandes? Die beiden Volkskundler und Sprachwissenschaftler Jacob und Wilhelm Grimm wurden in Hanau geboren, verlebten ihre Kindheit in Steinau an der Straße, gingen später nach Kassel und noch später zum Studieren nach Marburg. Entlang dieses Lebensweges finden sich viele mit den von ihnen gesammelten Märchen verbundene Orte. Und diese Orte nutzen die berühmten Brüder, um Hessen als Märchenland zu inszenieren. Im fernen Japan, wo sich die Grimmschen Märchen bis heute einer großen Beliebtheit erfreuen, hält man Hessen für die Heimat der Märchen. In den Vorworten ihrer Sammlungen hatten die Brüder Grimm das romantische Bild der umherziehenden Sammler gezeichnet, die sich vom einfachen Volk Märchen erzählen lassen. Ganz so ist es wohl nicht gewesen, lässt sich in den Forschungsergebnissen des Philologen und Volkskundlers Heinz Rölleke nachlesen.1 Für die Brüder Grimm war es wohl von entscheidender Bedeutung, „die nationale Idee ihrer Märchensammlung auf gar keinen Fall durch fremde Einflüsse verwässert (zu) sehen. Sie wollten deutsche Märchen sammeln, nicht französische!“ Gleichwohl waren die meisten gesammelten Märchen französischen Ursprungs, wurden aber in Hessen erzählt. Hier liegen wohl die Gründe dafür, dass es in Hessen viele Orte mit Bezügen zu bekannten Märchen der Brüder Grimm gibt.

Schauplätze im Märchenland Stefan Becker, künstlerischer Kopf des in Kassel angesiedelten Spielraum-Theaters, ist einer, der solche Orte mit seinem Erzähltheater in der Fantasie seines Publikums zu neuem Leben erwecken will. Im Sommer spielt er die Grimmschen Märchen entlang des Märchenlandweges, einem Fernwanderweg, der von Bad Karlshafen über Kassel nach Hann. Münden führt. Dieser 2000 vom Regionalmanagement unter dem Titel Grimmheimat Nordhessen ausgebaute Weg hat nicht nur Schautafeln mit verschiedenen Märchenmotiven, sondern sorgt mit Sponsoren auch dafür, dass das SpielraumTheater in Bauernhöfen, Burgen, auf Plätzen in kleinen Fachwerkstädtchen oder auch im eigenen Märchenzelt mitten im Wald spielen kann. Die Fokussierung von Kassel und den es umgebenden Landkreisen auf die Brüder Grimm entstand im Rahmen einer Bewerbung der Stadt Kassel um den Titel Europäische Kulturhauptstadt in den Jahren 2003 und 2004. Die Stadt Kassel entdeckte die Grimms als einen weiteren Schwerpunkt neben der alle fünf Jahre stattfindenden docu-

Spielraum-Theater: „Die Brüder Grimm“, 2005 Foto: Paavo Blofield

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ler intensiv beschäftigte, hat inzwischen auch 15 Stücke über die Grimms für Erwachsene im Repertoire, in denen er gemeinsam mit Carlo Ghirardelli als Jacob und Wilhelm Grimm auftritt und den nicht jugendfreien Teil der Märchen und die Historie der Sammlung in den Blick nimmt. Eigentliche Zielgruppe dieser Verbindung von Märchen und Tourismus sind Erwachsene, die sich natürlich gern gemeinsam mit Kindern Märchen erzählen lassen, wiewohl das Spielraum-Theater seine Stücke auch in den Kasseler Schulen zeigt.

Brüder Grimm Festspiele Hanau: „Dornröschen“, 2018. Foto: Cettina Colantoni

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menta und etablierte sie als Kulturmarke. In diesen Jahren entstand auch das Brüder-Grimm-Festival, das das Spielraum-Theater gemeinsam mit dem Kasseler Figurentheater Laku Paka im Park von Schloss Schönfeld in Kassel bespielt. In jenem Schloss hatten sich die Brüder Grimm mit Clemens von Brentano und Achim von Arnim getroffen und sich über die gesammelten Märchen ausgetauscht. Beide gehörten ja selbst als Vertreter der Romantik zu den Verfassern und Sammlern von Märchen. Die Verbindung von historischen Plätzen und Orten, die sich als Märchenschauplätze bewerben konnten, ist das Konzept der „Grimmheimat“, erzählt Stefan Becker. Bekannt ist sicher die Sababurg in Hofgeismar, die gern als Dornröschenschloss bezeichnet wird. Natürlich sind die Grimmschen Märchen nicht an einen Ort gebunden, wie Becker einräumt, schaffen aber eine Atmosphäre, die dem Konzept der Tourismusregion in die Hände spielt und dafür sorgt, dass das Spielraum-Theater jeden Sommer 120 Aufführungen am Märchenlandweg zeigen kann. Das Erzählen der Märchen an solchen Orten sei aber zugleich die Verknüpfung von gemeinsamer Sprache und Kultur. Becker, der sich mit dem Leben der beiden Märchensamm-

Openair mit Kostüm und Klang Ein ganz anderes Bild ergibt sich bei den Märchenfestspielen, die in jedem Sommer im Amphitheater im Schlosspark Philippsruhe in Hanau stattfinden und 2019 ihre 35. Ausgabe erleben. Die Stadt Hanau wirbt auf ihrer Webseite mit der einzigartigen überdachten Openair-Bühne und einem interessanten und unterhaltsamen Inszenierungsangebot. Dieses bestand 2018 aus einer Musical-Fassung von „Dornröschen“, dem „Froschkönig“ als Familienstück und der „Prinzessin auf der Erbse“ als Theaterstück mit Musik. Hinzu kommen noch zwei Stücke für Erwachsene. Worauf bei der Inszenierung dieser bekanntesten Märchen der Grimms besonderer Wert gelegt wird, lässt die Auftaktpressekonferenz ahnen, auf der „die Titelfigur des Musicals Dornröschen nicht nur zwei musikalische Kostproben, sondern auch ihr Kostüm“ präsentierte. Bei den Hanauer Märchenfestspielen ist man stolz darauf, alljährlich Uraufführungen zu präsentieren und mit Neukompositionen aufzuwarten. Wie das im Fall des Froschkönigs aussieht, hat Jan Schiefenhövel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ beschrieben: „Irgendwann reicht es dem wohlwollenden Lehrer dann doch. Erst ist er nur ein wenig streng und spricht sehr sachlich. Aber als sein Schüler nicht aufhört mit seinem eitlen Gehabe, wünscht der Lehrer, sein Schützling wäre so hässlich wie ein Frosch, dann würde ihm sein Hochmut schon vergehen. Mit einem Donnergrollen er-


scheint Minerva, eine Zauberin mit Hirschgeweih auf dem Kopf – etwas Schall und Rauch, und schon ist der junge Mann kein Prinz mehr, sondern ein Frosch. Über diese Verwandlung ist der grauhaarige Hauslehrer selbst erschrocken und so betrübt, dass er sich drei eiserne Reifen um die Brust legt, damit sein Herz nicht vor Kummer zerspringt.“2 Ein bisschen klingt das wie ein Weihnachtsmärchen im Sommer. Und in der Tat führen die Grimms die Statistiken in den Stadt- und Staatstheatern ja bekanntlich seit Jahrzehnten als meistgespielte Autoren an. Ihre Märchen werden dann vom Inszenierungsteam oder beauftragten Autor*innen auf die adäquate Bühnenlänge gestreckt. In Hanau funktioniert dieses Konzept übrigens gut, nimmt man den Publikumszuspruch als Maßstab: Über 81 000 Zuschauer*innen verzeichneten die Märchenfestspiele 2018 als neuen Besucherrekord.

Vom Marionettentheater zum Märchenerzählen In Steinau an der Straße verbrachten die Märchensammler ihre Kindheit und davon gibt das Städtchen im Kinzigtal reichlich Zeugnis. Angefangen vom Amtshaus, in dem der Vater wirkte und das heute ein Museum ist und sich mit Leben, Werk und Wirkung der Brüder Grimm beschäftigt. Natürlich steht die Kindheit und Jugend in der Region im Mittelpunkt und ein Ausstellungsraum ist den grafischen Arbeiten von Ludwig Emil Grimm gewidmet. Das ganze Obergeschoss jedoch präsentiert das Märchen in seinem europäischen Kontext. Vom Schloss mit seiner Dauerausstellung bis zum Märchenbrunnen, der sich direkt vor dem Steinauer Marionettentheater im historischen Marstall befindet, setzt hier alles auf Grimm. Seit Anfang der 1950er Jahre residierte dort das Ensemble Die Holzköppe und zeigte klassisches Marionettentheater in der Guckkastenbühne, bei dem die Stimmen gelegentlich von der Schallplatte kamen, eingesprochen vom 1981 verstorbenen Prinzipal Karl Magersuppe. Bis 2017 wurde die Familientradition fortgesetzt und viele der noch vom Gründer eingerichteten Märchenstücke wurden

den folgenden Generationen gezeigt. Vor allem bei japanischen Tourist*innen war der Ausflug zu den Grimms nach Steinau mit Museums- und Marionettentheaterbesuch sehr beliebt. Inzwischen haben drei Dresdener Puppentheatermacher*innen das Theater übernommen. Auch Grimmsche Märchen werden weiterhin gezeigt, doch seltener und anders: „Interpretationen von Grimmschen Märchen sind bei uns allerdings nicht immer realistisch eins zu eins, sondern spannen den Bogen ins Moderne und liefern eine neue Sichtweise“, erklären die unter dem Namen Theatrium Steinau firmierenden Detlef Heinichen, Ella Späte und Wolf-Dieter Gööck auf ihrer Webseite3. Der Bruch mit traditionellen Seh-

Theater Laku Paka: „Die Bremer Stadtmusikanten“, 2007. Foto: Kerstin Röhn

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die Berliner Professorin Kristin Wardetzky entstanden ist. Dabei ist die Originalfassung des Märchens die poetische Grundlage für die Erzähler*innen, die Grundschulkinder ein Jahr lang begleiten und ihnen Märchen erzählen und sie zum Märchenerzählen anstiften. Dabei sollen die Kinder die Struktur der Märchen kennenlernen und einen spielerischen Zugang zur deutschen Sprache finden. Darüber hinaus veranstalten die Erzähler*innen Märchensonntage für Familien im Theaterhaus. Das Repertoire der erzählten Märchen reicht dabei über die Märchen der Brüder Grimm hinaus. Auf dem Spielplan hat das Theaterhausensemble zudem noch eine „Schneewittchen“-Version für das Klassenzimmer unter dem Titel „Schwarz wie Tinte“.

Museum Grimmwelt Kassel. Foto: Nikolaus Frank

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weisen fällt nicht leicht im gern als „Jugendparadies der Brüder Grimm“ bezeichneten Städtchen. Jenseits der drei mit dem Lebensweg der Brüder verbundenen Städte entlang der Deutschen Märchenstraße hat sich der Umgang mit den Märchen verändert. Nur das Staatstheater Kassel hat seine Weihnachtsposition in der Spielzeit 2018/19 mit Grimm besetzt und zeigt den „Gestiefelten Kater“. In Wiesbaden, Darmstadt, Frankfurt und Marburg hält man sich in der umsatzstärksten Zeit des Kindertheaters an Klassiker der Kinderliteratur des 20. Jahrhunderts. Märcheninszenierungen aus dem Grimmschen Fundus sind vor allem noch im Puppen- und Figurentheater zu sehen oder sie werden erzählt. Das Frankfurter Theaterhaus hat hierfür ein eigenes Format entwickelt, das aus einem Pilotprojekt um

Grimmwelt als spielerischer Umgang mit Märchen Eine Auseinandersetzung mit den Arbeiten der Grimms der ganz anderen Art findet sich im Museum Grimmwelt in Kassel. Das 2015 eröffnete Museum, übrigens ebenfalls eine Folge der erwähnten Kulturhauptstadtbewerbung Kassels, legt den Fokus auf die Sprachforschungen der Grimms. Das von ihnen initiierte Wörterbuch kann man buchstabenweise abschreiten und sich mit der Wurzel des Wortes auseinandersetzen und dem Sammlereifer der Brüder nachspüren, die dafür Kontakt mit einer Vielzahl von Menschen hielten: Gelehrten und solchen, die einfach zu erzählen wussten. Heute würde man dies wohl ein wissenschaftliches Netzwerk nennen. Mit den Wörtern haben sich natürlich auch bildende Künstler in der documenta-Stadt beschäftigt und einige Werke beigesteuert. Märchen, zumindest in Auszügen, kann man hier aus versteckten Lautsprechern hören, oder man kann vor einem Spiegel stehen, in dem sich die Spieler*innen des Nürnberger Theaters Mummpitz darüber streiten, wer nun der oder die Schönste ist. Die installativ arrangierte Grimmwelt lädt zu einem spielerischen Umgang mit der deutschen Sprache und auch mit den Märchen ein. Es ist wohl der heutigste Zugriff auf die Grimms, den Hessen zu


bieten hat. Die Zeiten aufwendig bunter Märcheninszenierungen auf großer Bühne scheinen auch im Stammland der Grimms vorbei zu sein. Der erzählende Zugriff auf die Märchen der Grimms hat sich durchgesetzt. Ihnen wäre das wohl ganz recht gewesen, meint Stefan Becker und zitiert sie so: „Leider sterben immer mehr dieser heimlichen Orte, an denen erzählt wird, ab. In Küchen, unter Bodentreppen, an Öfen oder in Spinnstuben. Sie müssen einer leeren Prächtigkeit weichen.“

Eckhard Mittelstädt ist Projektleiter von tanz + theater machen stark beim Bundesverband Freie Darstellende Künste e. V.

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Heinz Rölleke: Märchen über Märchen. In: Zeit online, 20. November 2012. www.zeit.de/zeit-geschichte/2012/04/Maerchen-Brueder-GrimmUrspruenge. Jan Schiefenhövel: Wo der Froschkönig zum Krimi wird. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Mai 2018: www.faz.net/aktuell/rhein-main/region-und-hessen/wo-der-froschkoenig-zum-krimi-wird-grimm-festspiele-in-hanau-15600875. html.www.theatrium-steinau.de/about.php.

Spielraum-Theater: „Daumesdick“, 2009. Foto: Paavo Blofield

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Ein KUSS für Marburg – ein Festival für Hessen! Jürgen Sachs, Norbert Ebel, Michael Pietsch, Juliane Nowak, Kariona Kupka, Paul Möllers, Eva Lange und Carola Unser im Gespräch

Die Hessische Kinder- und Jugendtheaterwoche gibt es seit fast einem Vierteljahrhundert. Ein guter Anlass für das Festivalteam, an das Erreichte zu erinnern, Ideen für die Zukunft zu sammeln und Perspektiven zu entwickeln, wohin die Reise in den nächsten Jahren gehen könnte. Das Marburger Festival wird seit seiner Gründung im Jahr 1996 von drei gleichberechtigten Kooperationspartnern veranstaltet: dem Hessischen Landestheater Marburg (HLTM), der Universitätsstadt Marburg und dem Staatlichen Schulamt Marburg-Biedenkopf. Neu im Team sind die beiden Intendantinnen Carola Unser und Eva Lange, die seit der Spielzeit 2018/19 als erste weibliche Doppelspitze an einem deutschen Theater das HLTM leiten und dabei das Kinderund Jugendtheater zur Chefinnensache erklärt haben. In ihrem ersten Spielzeitheft lesen wir von einer großen Vorfreude auf KUSS: „Wunderbar! Ein Traum für jede Theaterschaffende, da mitwirken zu dürfen.“ Eva Lange/Carola Unser*: Für uns sind Festivals besondere Aufmerksamkeitsarchitekturen. Sie leben von der Idee des Ausnahmezustands. Das durften wir bei unseren KUSS-Besuchen in der Vorbereitung erleben. Das Theater am Schwanhof vibriert, strotzt vor Lebendigkeit, Kinderstimmen hier, jugendliche Kommentare dort, versierte Techniker*innen und Beleuchter*innen, die Umbau um Umbau stemmen, ein hochmotiviertes Team, das sich freundlich neben aller Festivalorganisation um Besucher*innen und Akteur*innen kümmert. Ein HLTM, das zeigt, was es kann: ein grandioser Ausnahmezustand, der besondere Theatererlebnisse, aber auch Publikumsbegegnungen schafft, die Visionen Raum geben. Theater als Anlass, sich zu begegnen und miteinander ins Gespräch zu kommen, gute Lebenszeit zu teilen, über Milieuund Altersgrenzen hinweg. Und warum? Weil alle gutes Theater gucken wollen. Wunderbar ist auch, dass sich hier in Marburg die gesamte hessische Kinder- und Jugendtheaterszene trifft, ob aus dem freien oder dem subventionierten

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Stadt- und Staatstheaterbetrieb, und miteinander ins Gespräch kommt, über ihre künstlerische Arbeit, über Möglichkeiten und Ideen für eine Zukunft, die im Blick hat, um was es geht: Das Kinder- und Jugendtheater für Menschen in Hessen weiter zu entwickeln. Hier können Netzwerke entstehen, können Fragen an die Politik formuliert und kommuniziert werden, hier ist ein konstruktiver, leidenschaftlicher Austausch möglich. Das wollen wir gerne weiter voranbringen. Was es braucht, um aus einer ersten Idee ein solches Festival wachsen zu lassen, hat Jürgen Sachs als Teil des ehemaligen Gründungsteams selbst miterlebt. Von seinen Erfahrungen profitieren wir bis heute. Jürgen Sachs: Eine explizite Festivalgründung hatten wir damals gar nicht im Sinn. 1996 erhielt das Marburger Theater auf einem ehemaligen Bundeswehrgelände sein erstes eigenes Haus: das Theater am Schwanhof. Einige Jahre zuvor war mit der Umwandlung des Theatervereins Marburger Schauspiel in ein Hessisches Landestheater das erste Kinder- und Jugendtheater an einem der großen hessischen Häuser entstanden. Das wollten wir mit einer kleinen Marburger Kinder- und Jugendtheaterwoche in der neuen Spielstätte feiern. Es war eine übersichtliche Werkschau mit einer Handvoll regionaler Aufführungen hessischer Theater und Marburger Amateurgruppen, aber auch schon mit einigen Workshops für die Schulen. Also im Grunde der Urknall für das expandierende Festivaluniversum unter dem Motto „Theater sehen – Theater spielen“. Kariona Kupka: Und bis heute sind das ja die beiden programmatischen Standbeine des Festivals geblieben! Sachs: Uns war von Anfang an wichtig, den Theaterbesuch gleichwertig neben das Theaterspielen für junge Menschen zu setzen. Das wurde dann im Lauf der Jahre eine Art Markenzeichen, über das wir bis heute in der Öffentlichkeit defi-


Agora Theater, St. Vith (B): „Der König ohne Reich“, 2011. Foto: Sabine Rixen

niert werden. Es lag etwas in der Luft und wir haben zugepackt. Wir haben einfach den richtigen Moment erwischt. Kupka: Ohne die Unterstützung der Stadt Marburg wäre das alles kaum möglich gewesen. Schöne und gute Konzepte lassen sich nur in die Tat umsetzen, wenn dafür auch die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen. Sachs: Der damalige Kulturamtsleiter Arno Fischer brachte gute Kontakte zu verschiedenen Theatern in ganz Deutschland mit und akquirierte vor allem die finanzielle Grundaus-

stattung für ein solches Festival aus städtischen Mitteln. Denn rein aus dem Theateretat heraus war das nicht zu stemmen. Kupka: Nicht zu vergessen: der damalige Kulturdezernent Dr. Gerhard Pätzold, der das Projekt in der Politik durchgesetzt hat. KUSS liegt der Universitätsstadt Marburg so sehr am Herzen, dass das Festival seit 2001 fest im städtischen Haushalt etatisiert ist, mit stetig steigenden Summen. Auch der derzeitige Kulturdezernent Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies hat sich bereiterklärt, KUSS weiterhin zu fördern. Eben-

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ger wahrgenommen, da die Workshops ausschließlich in den Schulen in einem geschützten Rahmen stattfinden, also quasi hinter verschlossenen Türen. theater 3 hasen oben: „Daumes-

falls 2001 kam durch das Ministerium für Wissenschaft und Kunst erstmals ein Zuschuss vom Land Hessen dazu.

dick“, 2014. Foto: Armin Zarbock

Norbert Ebel: 2002 wurde das Festival dann offiziell zur Hessischen Kinder- und Jugendtheaterwoche ernannt, das heißt, zum zentralen Festival der professionellen hessischen Kinder- und Jugendtheater. Etwa vergleichbar mit Westwind in Nordrhein-Westfalen oder Schöne Aussicht in Baden-Württemberg. Kupka: Und es gibt natürlich noch ein paar weitere öffentliche Förderer. Unter anderem den Landkreis Marburg-Biedenkopf, der KUSS übrigens seit 2018 auch fest im Haushalt etatisiert hat. Damit wird vor allem der umfangreiche Workshop-Bereich in den Schulen des Landkreises unterstützt. Paul Möllers: Die gleichrangige Verknüpfung von Theatersehen und Theaterspielen ist das Markenzeichen unseres Festivals. Deshalb gibt es unseren umfangreichen WorkshopBereich und die Zusammenarbeit mit den Schulen des Landkreises. Fürs Theaterspielen ist das Staatliche Schulamt Marburg-Biedenkopf zuständig mit Unterstützung durch SchulKultur e. V. Mit deren Hilfe engagieren wir bundesweit professionelle Workshopleiter*innen aus den Bereichen Theater, Tanz, Musik, Pantomime, Zirkus etc., die während der gesamten Festivalwoche an allen Schulformen der Stadt und des Landkreises ein- bis fünftägige Workshops durchführen. Seit einigen Jahren versuchen wir auch, die Bereiche Sehen und Spielen durch sogenannte Kombi-Angebote noch stärker miteinander zu verknüpfen. Das heißt, Workshop und Aufführung im Paket. Leider werden die Angebote und Ergebnisse des Standbeins Spielen in der Öffentlichkeit etwas weni-

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Sachs: Aber sie wirken trotzdem immer sehr lange nach … Möllers: Allerdings! Die Bedeutung des Theaterspiels für die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, das habe ich in meiner langjährigen Tätigkeit als Lehrer immer wieder beobachten können. Viele Kinder machen im Rahmen eines WorkshopProjekts ihre ersten ästhetischen Erfahrungen im Theaterbereich, wodurch Körperwahrnehmung, Kreativität, Selbstvertrauen und Teamfähigkeit gestärkt werden. Darüber hinaus erfüllen zahlreiche Workshops die Funktion einer Initialzündung, indem Schüler*innen und Lehrer*innen angeregt werden, die entwickelten Ansätze fortzuführen. Umgekehrt dienen einige Workshops dazu, bereits vorhandenen Theaterprojekten neue Impulse zu geben. An vielen Schulen werden die Ergebnisse der Workshops direkt präsentiert, sei es vor einer Parallelklasse oder der ganzen Schulgemeinde. Für einige Gruppen ist es auch möglich, im Rahmen der Präsentationsveranstaltung auf der Bühne des Hessischen Landestheaters während des Festivals aufzutreten: So kommt das Spielen zum Sehen. Und wie hoch der Bedarf ist, lässt sich auch an den steigenden Teilnehmerzahlen ablesen: Waren es im ersten Jahr nur ein paar Workshops für ca. 150 Schüler*innen, führen wir mittlerweile über hundert Kurse mit bis zu 2000 Teilnehmenden durch. Ebel: So wie sich der Workshop-Bereich im Lauf der Jahre stetig weiterentwickelt hat, ist auch der Bereich Theatersehen immer weiter gewachsen. Hatten wir beim ersten Festival 1996 gerade mal etwa ein Dutzend Produktionen im Programm, so sind es mittlerweile bis zu 25 Stücke – das Destillat von jährlich etwa hundert Sichtungen im In- und Ausland.


Wer’s also drauf anlegt, kann während der Festivalwoche viermal täglich ins Theater gehen. Sachs: Das wird auch reichlich genutzt. So kommt es, dass seit Jahren nahezu alle Vorstellungen ausverkauft sind. Und zwar nicht nur vormittags und durch Schülergruppen. Manchmal sitzen in den Abendvorstellungen sogar mehr Erwachsene. Gutes Kinder- und Jugendtheater ist eben für alle da. Ebel: Neben der Quantität geht es aber auch um die Qualität. Sachs: Wir stellen seit langem fest, dass innovative Anstöße in der theaterästhetischen Entwicklung verstärkt vom Kinder- und Jugendtheater ausgehen. Das betrifft alle Sparten, vom Schauspiel übers Musik- und Tanztheater bis zum Figurentheater. Ebel: Und erst recht spartenübergreifende Stücke! Sachs: Und jeweils einem dieser vielen spannenden Stücke, die bei KUSS zu sehen sind, verleiht der Förderverein des Hessischen Landestheaters Marburg e. V. den mit 2000 Euro dotierten Marburger Kinder- und Jugendtheaterpreis. Die sieben- bis neunköpfige Jury besteht aus Kindern und Jugendlichen sowie aus Mitgliedern des Fördervereins und professionellen Theaterschaffenden. Michael Pietsch: Ich habe rückblickend einen Eindruck von tollen Laboren oder Inszenierungen, die mich nachhaltig beeindruckt haben. Es sind ästhetische Erfahrungen, die mir niemand mehr nehmen kann. Sei es durch bundesweite „Highlights“ oder Produktionen aus dem europäischen Ausland, sei es zunehmend auch durch starke Theaterstücke aus der hessischen Szene. Inzwischen ist auch in Hessen viel gesche-

hen. Natürlich haben wir hier nicht die Voraussetzungen, die in anderen Bundesländern gegeben sind. Die Dichte von Kinder- und Jugendtheatern in einer Fläche hat unbedingt auch Einfluss auf die Qualität der Produktionen. Doch waren in den letzten zwei Jahrzehnten nur wenige kleine Leuchttürme vorhanden, so sehe ich inzwischen einige Fundamente, auf denen sich weitere errichten lassen. Auch und gerade in der freien Szene.

Theater Strahl: „Klasse Klasse“, 2010. Foto: Jörg Metzner

Ebel: Und eben darum ist KUSS ja auch das hessische Festival! Das zeigt sich darin, dass unter den Festivalpreisträgern auch jede Menge hessische Theater zu finden sind, etwa das Theaterhaus Ensemble Frankfurt, das Spielraum-Theater Kassel, das Theater Laku Paka und das Hessische Landestheater Marburg höchstselbst. Pietsch: Wir sind in Hessen inzwischen besser aufgestellt, allerdings mit reichlich Luft nach oben. Für uns vor Ort in Marburg möchte ich festhalten: Ich will dem Publikum das Bestmögliche präsentieren. Denn wir haben hier ein Publikumsfestival. Ebel: Ja, auch. Aber eben nicht nur. Es ist auch ein Kolleg*innentreffen, eine Plattform des künstlerischen Austauschs, der mit der Gründung des AK Südwest, vormals LAG Südwest, dem Zusammenschluss der professionellen Kinder- und Jugendtheater in Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Man schaut gegenseitig die neuesten Produktionen an, diskutiert miteinander und holt sich dar-

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über hinaus bei den regelmäßig stattfindenden Fortbildungen auch viele Impulse von außen, die in der Folge sichtbar werden. Pietsch: Da waren einige Schwerpunkte sehr förderlich für die hessische Szene. Zum Beispiel „Theater für die Allerkleinsten“ – ein Format, das in Italien und Frankreich bereits eine lange Tradition hatte, aber bis dahin in Deutschland nur wenig Beachtung finden konnte … Ebel: … oder die Beschäftigung mit neuen performativen und partizipatorischen Formaten, die dann in die Theaterarbeit einiger Arbeitskreis-Mitglieder eingeflossen sind.

Hessisches Landestheater Marburg: „Frühlings Erwachen“, 2015. Foto Arne Landwehr

Sachs: Der Arbeitskreis Südwest hat wichtigen kulturpolitischen Einfluss in Hessen genommen. Aus dem Fortbildungsthema Theater und Schule entstand nach mehrjährigen Verhandlungen mit den beiden hessischen Ministerien (dem für Wissenschaft und Kunst sowie dem Kultusministerium) und unter großem Einsatz des damaligen Theaterrefe-

renten Albert Zetzsche die sogenannte Marburger Erklärung, die von beiden Minister*innen während des Festivals 2004 auf der Bühne im Theater am Schwanhof öffentlich unterzeichnet wurde und die Zusammenarbeit von Theatern und Schulen in Hessen inspiriert hat. Nicht zuletzt daraus entwickelte sich das heutige landesweite Erfolgsprojekt FLUX, das zukunftsweisende Standards gesetzt hat und aus der hessischen Szene nicht mehr wegzudenken ist. Juliane Nowak: Überhaupt liegt dem KUSS-Festival die Nachwuchsförderung besonders am Herzen. Deshalb wurde auch 2015 das Stipendienprogramm next generation – anfangs in Zusammenarbeit mit dem Festival Starke Stücke – ins Leben gerufen und über die Jahre weiterentwickelt. Das Programm richtet sich an junge Talente, die ein dichtes Festivalprogramm aus Theatersehen und Theaterspielen für junge Menschen erleben wollen. Zugleich bietet ihnen das Festival die Möglichkeit, sich auszutauschen und zu vernetzen, Künstler*innen und Kolleg*innen zu treffen, neue Ideen zu schmieden, erste Projekte zu entwickeln sowie an Workshops teilzunehmen. Inzwischen ist next generation zu einem festen Bestandteil des Festivals geworden und kann an unserem Haus mit Nachhaltigkeit und Präsenz durchgeführt werden. Wir haben versucht, ein konkretes Leitbild zu entwickeln, das den Nachwuchstalenten Orientierung gibt und Mut, sich zu entfalten sowie sich als Teil der Theaterszene zu begreifen. In einigen Fällen konnten wir die künstlerische Entwicklung unserer Stipendiat*innen über mehrere Jahre mitverfolgen: Im ersten Jahr Stipendiat*in, im zweiten Jahr ein erster künstlerischer Entwurf im Rahmen der Arbeitskreis-Fortbildung und im dritten Jahr dann die Präsentation einer eigenen Produktion im Festivalprogramm. Fortsetzung folgt. Lange/Unser: Damit sind wir schon beim Ausblick angelangt, bei der Zukunftsplanung, bei den Visionen. Uns ist es ein Anliegen, dass alle Beteiligten gemeinsam in einen Diskurs

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kommen. Wir als gesamtes Festivalteam wollen mit der Stadt Marburg, mit dem Land Hessen und dem AK Südwest überlegen und prüfen, wie wir KUSS für die nächsten 25 Jahre ausrichten können. Möge dieser gemeinsame Prozess gut und konstruktiv gelingen, dann sind wir bester Dinge, a) dass wir gleichwertig neben großen Festivals in anderen Bundesländern bestehen können, weil wir eine ganz eigene Profilierung haben, und b) dass die diversen, involvierten Player auch demnächst voller Begeisterung mit uns gehen und die Politik in Stadt und Land uns weiterhin vielseitig fördert, in ideeller wie auch in pekuniärer Hinsicht. Und dass somit c) für Kinder, Jugendliche und alle in Marburg und Hessen ein Highlight im Frühjahr brennt namens KUSS. Das wäre die Hoffnung und unser Ziel.

Jürgen Sachs ist Mitbegründer und Festivalleiter von KUSS. Norbert Ebel ist künstlerischer Mitarbeiter bei KUSS. Michael Pietsch und Juliane Nowak sind Theaterpädagog*innen am HLTM. Kariona Kupka arbeitet für den Fachdienst Kultur der Universitätsstadt Marburg. Paul Möllers ist für das Staatliche Schulamt Marburg-Biedenkopf tätig. Eva Lange und Carola Unser sind Intendantinnen des HLTM. * Die beiden Intendantinnen haben sich entschlossen, in diesem Interview quasi unisono zu agieren, da sie beide diese Positionen genau so und absolut vertreten. Stellen Sie sich für den Lesegenuss also gerne eine chorisch sprechende Intendantinnendoppelspitze vor. theater überzwerg: „Wie schön weiß ich bin“, 2011. Foto: bildwerk

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Nadja Blickle

Starke Stücke, starkes Netzwerk Ein Festival der Kulturveranstalter*innen

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Alte Mühle, Kulturbahnhof, Posthofkeller, Bürgerhäuser, Theater, Kirchengemeinden, Jugendzentren, Dörfer, Kleinstädte, Großstädte. Eine ganze Region veranstaltet mit ihren großen und kleinen Kulturorten ein Festival für junges Publikum. Seit 25 Jahren gibt es nun das Festival Starke Stücke in der RheinMain-Region. Heute wird es von 29 Kulturveranstalter*innen in 19 Städten gemeinsam geplant und durchgeführt. Das ist eine einzigartige, spannende und außergewöhnliche Organisationsform, bringt aber auch ein paar Herausforderungen mit sich. Das Netzwerk besteht aus sehr verschiedenen Partner*innen und die Spielstätten sind ganz unterschiedlich strukturiert und ausgestattet. Kommunale Kultur- und Jugendämter, kleine und große Gastspielhäuser sowie freie Theater mit eigenen künstlerischen Ensembles arbeiten ganz selbstverständlich zusammen. Alle beteiligten Veranstalter*innen zeigen auch ganzjährig Theater für junges Publikum in ihren Häusern – und das ist die Voraussetzung zur Teilnahme am Festival. Im Rahmen von Starke Stücke haben sie die Möglichkeit, internationale und aufwendigere Produktionen zu zeigen. „Über die Mitarbeit bei Starke Stücke bekomme ich Einblicke in die internationale Kinder- und Jugendtheaterszene. Ich kann aus einem reichen Pool an interessanten und außergewöhnlichen Stücken auswählen. Dadurch, dass wir die Reisekosten aufteilen und durch die Unterstützung der Mitveranstalter*innen und des Festivalbüros kann ich auch einmal ein Stück aus Italien oder Frankreich einladen. Für mein Publikum hier in Bad Homburg ist das immer etwas ganz Besonderes.“ Silke Kutscher, E-Werk Bad Homburg

Türen öffnen für Theater Die Kulturveranstalter*innen gestalten das Theaterprogramm an ihrem Spielort. Von der Auswahl und den AbspraFestivaleröffnung im Theaterhaus Frankfurt, 2014. Foto: Pollypictures

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chen mit den Gastspielgruppen über Kartenverkauf bis hin zu Werbung und Einlass. Oft liegen all diese Aufgaben in einer Hand. Teilweise sind es die gleichen Personen, die seit 15, zwanzig oder gar 25 Jahren dort für das Theaterprogramm zuständig sind. Sie kennen ihr Publikum sehr gut und öffnen den jungen Zuschauer*innen im ganz konkreten Sinn die Türen zum Theater. Sie bieten ein regelmäßiges Theaterangebot für die Familien, Kita-Gruppen und Schulklassen direkt vor Ort. Im Jahresprogramm kommen die gastierenden Ensembles oft aus der Region oder auch mal aus Köln, Berlin oder Leipzig. Im Rahmen des Festivals Starke Stücke wird ein Mal im Jahr Außergewöhnliches geboten: italienisches Unterwasser-Tanztheater im Foyer des Kulturzentrums, partizipative Performance-Kunst in der Kletterhalle des Jugendtreffs, mobiles Straßentheater aus Frankreich in der Fußgängerzone, Figurentheater aus Israel mit Live-Übersetzung in der Kulturscheune, zeitgenössischer Tanz aus den Niederlanden in der Stadthalle oder Clownstheater aus Kamerun mit Musik und Gesang im Kinderhaus. Diese besonderen Theatererlebnisse haben auch Auswirkungen auf die Sehgewohnheiten des Publikums und auf das Qualitätsbewusstsein der Veranstalter*innen für deren ganzjährige Programmauswahl. „Mit Sicherheit hat die Erfahrung von Sichtung internationaler Produktionen den eigenen Blick für ein ‚gutes‘ Stück geschärft und damit auch die Auswahl der Stücke für das Jahresprogramm kritischer hinterfragt. Ich frage mich: Welches Publikum möchte ich bedienen, wie kann ich es fordern, wann überfordere ich? Es gilt eine Balance zu finden zwischen Erwartungen der Zuschauer*innen und meinen eigenen Ansprüchen.“ Alexa Busse, bis 2018 Kindertheater Frankfurt-Niederrad, ab 2019 Theater Altes Hallenbad Friedberg

Die Programmauswahl – ein kollektiver Prozess Anders als bei den meisten Festivals, gibt es bei Starke Stücke keine zentrale künstlerische Leitung. Die Festivalleitung (Nadja Blickle, KulturRegion FrankfurtRheinMain; Susanne Freiling, Theaterhaus Frankfurt; Detlef Köhler, TheaterGrueneSosse) behält zwar den Überblick und setzt Impulse, aber über die Programmauswahl entscheidet letztendlich die Programmkommission. Grundsätzlich können sich alle Veranstalter*innen dort einbringen, die bereit sind, zu Festivals und Premieren zu fahren und Bewerbungsvideos zu sichten. Etwa zehn bis zwölf Personen beteiligen sich regelmäßig an der Kommission, die über die Aufnahme von Stücken in den Starke-Stücke-Pool entscheidet. Gesucht werden internationale Produktionen, die aktuelle Entwicklungen im Kinder- und Jugendtheater abbilden. Stücke, die sich durch eine besondere künstlerische Qualität auszeichnen und die für junge Menschen relevante Themen aufgreifen. Dabei gilt es sensibel zu sein, denn die beim Festival gezeigten Stücke treffen auf die sehr unterschiedlichen Theatererfahrungen des Publikums am jeweiligen Ort. In einigen Spielstätten wird regelmäßig Theater für Kinder und Jugendliche gezeigt, in anderen nur zwei- bis dreimal im Jahr. Es gibt ambitionierte Veranstalter*innen, die auch in ihrem Jahresprogramm zeitgenössische und anspruchsvolle Theaterkunst für junge Menschen präsentieren. Manche setzen aber auch eher auf traditionell inszenierte Märchen und Kinderbuchadaptionen. Zudem spielen ganz praktische Überlegungen bei der Auswahl eine Rolle: Gibt es überhaupt einen Spielort, der die geforderten technischen und räumlichen Möglichkeiten bietet? Welche Altersgruppe ist Zielpublikum? Und nicht zuletzt: Ist das Gastspiel überhaupt finanzierbar? Die Auswahl der Stücke für ihren Ort, die organisatorische Durchführung sowie die Vertragsabwicklung mit den internationalen Theatergruppen liegen komplett in der Verantwortung der jeweiligen Veranstalter*innen. Es gibt kein zentrales Festivalbudget für die Gastspiele, die Kosten werden zu hundert Prozent vom aus-

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richtenden Theater getragen. Hierdurch sind der Programmauswahl enge Grenzen gesetzt. Die verfügbaren Budgets bei vielen Veranstalter*innen erlauben selten größere oder aufwendigere Produktionen, die über zwei bis drei Darsteller*innen auf der Bühne hinausgehen. Dadurch fallen viele spannende und international erfolgreiche Inszenierungen in der Festivalauswahl weg. Trotzdem gelingt es jedes Jahr aufs Neue passende Stücke zu finden, die nicht nur künstlerisch überzeugen, sondern auch technisch und finanziell realisierbar sind. Diese Form der Programmplanung erfordert viel Kommunikation und ein hohes Maß an Engagement und Einsatzbereitschaft. Gegenseitige Unterstützung und kollegiale Zusammenarbeit bilden die Basis dafür. Das StarkeStücke-Netzwerk ist über die Jahre langsam und stetig gewachsen und es gibt eine große Kontinuität in den handelnden Personen. Zudem gibt es viel Erfahrung, Vertrauen und Sympathie untereinander.

Wachstum und Weiterentwicklung Gegründet wurde das Festival im Jahr 1994. Die Initiative kam von Ralph Förg vom wenige Jahre zuvor eröffneten Theaterhaus Frankfurt: „Wir hatten im Theaterhaus im Laufe der Jahre 1991 und 1992 mehrere tolle Theaterreihen mit Stücken aus Dänemark und Holland. Das war impulsstiftend zur Erfindung eines eigenen Festivals. Da wir keinen ExtraEtat hatten, haben sich das Theaterhaus, das Jugendamt (Friedel Münchschwander) und das Gallus Theater (Heike Bonzelius) zusammengeschlossen. Wir hatten das Ziel, den Kindern in Frankfurt einmal im Jahr wirklich sehr gute und besondere Stücke zu präsentieren. Neben den internationalen Gastspielen gab es immer wieder glanzvolle Aufführungen von befreundeten Theatern aus ganz Deutschland. Die kamen alle gern und spielten für Freund*innen unter

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Freund*innen. Das war das Besondere und das Markenzeichen des Festivals.“ Ralph Förg, 1990–1998, Freies Theaterhaus Frankfurt Bereits 1995 luden die Frankfurter*innen auch die Veranstalter*innen aus den Nachbarstädten Neu-Isenburg und Rödermark zur Mitwirkung ein. 1996 kam dann Dreieich hinzu. „Ich erinnere mich noch gut, wie das damals war: Ich bekam zufällig den Festivalflyer in die Hand und habe gleich einen empörten Brief an Ralph Förg geschrieben. Ich habe regelrecht darauf bestanden bei dem Festival als Veranstalter dabei zu sein. Diese Produktionen aus Dänemark oder der Schweiz begeisterten mich und ich wollte sie meinem Publikum in Dreieich präsentieren. Diese Stücke waren so ganz anders als die ‚bunte Kinderbespaßung‘, die man sonst vielerorts zu sehen bekam.“ Wolfgang Barth, Bürgerhäuser Dreieich Zwischen 2001 und 2007 stiegen Rüsselsheim, Bad Vilbel, Eschborn, Aschaffenburg und Offenbach mit ein und die Starke Stücke GbR wurde gegründet, um Fördermittel und das Netzwerk besser zu verwalten.

Die KulturRegion FrankfurtRheinMain – Schaltzentrale und Servicestelle 2005 wurde die KulturRegion FrankfurtRheinMain gegründet und bei den kommunalen Veranstalter*innen entstand die Idee, Starke Stücke dort einzubinden. Die gemeinnützige Gesellschaft vernetzt, bündelt und präsentiert über die Ländergrenzen von Hessen, Bayern und Rheinland-Pfalz hinweg die regionale Kultur und fördert die interkommunale Zusammenarbeit. Knapp fünfzig Städte, Landkreise und der Regionalverband tragen die Gesellschaft, die verschiedene Projekte in den Bereichen Industrie- und Gartenkultur, Museen und


Veranstaltungsorte des Starke-StückeFestivals, 2019. Grafik: Standard Rad. GmbH, Frankfurt a. M.

Theater, Demokratie und Meinungsfreiheit sowie kulturelle Bildung und Kulturerbe realisiert. „Es ist uns als freies Theater nicht ganz leicht gefallen, quasi die Kontrolle abzugeben an eine große regionale Gesellschaft. Aber die Arbeit war einfach ‚nebenher‘ nicht mehr zu leisten und natürlich wollten wir gerne, dass das Festival in die Region hinein wachsen kann. Es brauchte eine gewisse Zeit und Beratung von außen, aber wir haben es geschafft, eine gute gemeinsame Struktur aufzubauen, die vieles ermöglicht und alle Partner*innen mit einbezieht. Ich bin sehr froh, dass wir diesen Schritt damals gegangen sind.“ Susanne Freiling, Freies Theaterhaus Frankfurt

vicestelle. Über die Einbindung in die regionale Gesellschaft haben alle Mitgliedskommunen die Möglichkeit der Teilnahme am Projekt Starke Stücke. Besonders kleinere Kommunen profitieren davon, da sie dadurch internationale Gastspiele zu sich einladen können. Seit 2008 kamen deshalb eine Vielzahl weiterer Partner und Spielorte in Hanau, Darmstadt, Hattersheim, Bad Homburg, Friedrichsdorf, Hofheim, Ginsheim-Gustavsburg, Schwalbach am Taunus, Flörsheim, Kelkheim, Kronberg, Obertshausen und Friedberg hinzu. Die Anzahl der Beteiligten steigt stetig weiter. Unter den Kolleg*innen gibt es einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch über künstlerische Qualität, passende Rahmenbedingungen, Fördermöglichkeiten, Vermittlungsstrategien und vieles mehr.

Seit 2008 wird das Festival als ein Projekt der KulturRegion FrankfurtRheinMain durchgeführt. Dies schaffte für Starke Stücke die Grundlage zur weiteren Ausweitung und Professionalisierung. Es wurde eine Stelle für die Projektleitung eingerichtet und die zentrale Organisation und Öffentlichkeitsarbeit des Festivals wird seitdem von der KulturRegion geleistet. Das Festivalbüro dient als Schaltzentrale und Ser-

„Wir haben alle durch die Zusammenarbeit beim Festival einen viel engeren Kontakt. Es gibt gegenseitige Sichtungen von Theaterstücken, Premieren usw. Wir geben uns untereinander Tipps und tauschen uns aus. Da man direkte Ansprechpartner*innen in den einzelnen Orten weiß und sich kennt, ist das viel einfacher.“ Christian Kunesch, Kulturamt Flörsheim

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Starke-StückeFestivaleröffnung im Bürgerhaus Sprendlingen, Dreieich, 2018. Foto: Katrin Schander

Starke Stücke, starke Workshops Ein weiterer Bereich, der durch die Einbindung in die KulturRegion wachsen konnte, ist das Starke-Stücke-Workshop-Programm. Etwa zwei Drittel der Festivalvorstellungen finden am Vormittag für Schulen und Kitas statt und auch im Jahresprogramm der Veranstalter*innen haben Vormittagsvorstellungen einen großen Anteil. Seit 2006 können Schulklassen und Kindergruppen, die das Festival besuchen, an Workshops zur Vor- und Nachbereitung der Vorstellungen teilnehmen. Eine kleine Gruppe von Theaterpädagog*innen aus dem Umkreis von Theaterhaus Frankfurt und Theater-

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GrueneSosse entwickelte damals gemeinsam das Konzept „Kinder erforschen Theater“. Die Workshop-Leiter*innen bildeten von Anfang an ein Team, das sich regelmäßig austauscht, voneinander lernt und das Programm gemeinsam weiterentwickelt. In den ersten Jahren wurden die Workshops aus dem knappen Festivalbudget und kleineren Beiträgen der beteiligten Kommunen bestritten. Durch die Förderung des Modellprojekts Kulturkoffer des Landes Hessen und durch das Bundesprogramm Wege ins Theater der ASSITEJ konnte seit 2015 ein umfangreiches Vermittlungsprogramm entstehen. Das Team umfasst inzwischen etwa 25 freischaf-


fende Theaterpädagog*innen und auch außerhalb des Festivalzeitraums gibt es Angebote. Insgesamt nehmen heute etwa 3000 Kinder und Jugendliche pro Jahr an Workshops, Projekttagen, Theater-AGs und Ferienspielen teil. Projektpartner*innen sind die Veranstalter*innen des Starke-StückeFestivals und die Bildungseinrichtungen am jeweiligen Ort. „Das Workshop-Angebot ist mittlerweile ein fester Bestandteil meines Programms. Wir profitieren davon auch während der laufenden Saison, da wir dadurch Workshops und Fortbildungen zu Stücken anbieten können, die bei uns im regulären Jahresprogramm gezeigt werden. Die Zusammenarbeit mit den Schulen und Kitas hier in Rüsselsheim hat sich dadurch intensiviert.“ Milena Wolf, Theater Rüsselsheim Über das Workshop-Programm werden zahlreiche Theaterpädagog*innen, Lehrkräfte und Erzieher*innen aktiv ins Starke-Stücke-Netzwerk eingebunden. Damit erweitert sich der Kreis derer, die sich gemeinsam stark machen für Kinder- und Jugendtheater und kulturelle Bildung in der Region.

Das Netzwerk als Motor für Qualität und Nachhaltigkeit Nach 25 Jahren hat sich über die Zusammenarbeit bei Starke Stücke ein solides Netzwerk entwickelt, das 2009 mit dem Veranstalterpreis der ASSITEJ und 2014 mit dem Kinder- und Jugendtheaterpreis Karfunkel der Stadt Frankfurt ausgezeichnet wurde. Auch in der Politik, bei Kulturverantwortlichen und in den Medien sowie der internationalen Fachöffentlichkeit gewinnt das Festival und somit das Theater für junges Publikum in der Region an Bedeutung. Seit der Gründung 1994 wurden im Rahmen des Festivals insgesamt etwa 400 starke Theaterstücke in über 1300

Vorstellungen gezeigt. Theaterkompagnien aus 24 Ländern waren beteiligt. Über die Jahre besuchten insgesamt rund 120 000 Zuschauer*innen die Vorstellungen in der gesamten Rhein-Main-Region. Die Kinder, die damals das erste Festival besuchten, sind inzwischen alle um die dreißig Jahre alt. Der eine oder die andere begleitet im besten Fall heute die eigenen Kinder in die Vorstellungen. Von den Veranstalter*innen, die das Festival gründeten, sind einige heute noch aktiv – viele neue sind hinzugekommen. Von Anfang an ging es nicht um das schnelle Feuerwerk, sondern um das langlebige Feuer, das stetig geschürt wird und dauerhaft brennt. Starke Stücke ist heute sehr viel mehr als ein Festival: Es ist ein kulturpolitischer Zusammenschluss von vielen engagierten Menschen, die erfolgreich zusammen arbeiten. Es ist der Rahmen für Vernetzung und Kooperation und Motor für Qualität und Nachhaltigkeit.

Starke-StückeVeranstalter*innen bei der Festivaleröffnung im Bürgerhaus Sprendlingen, Dreieich, 2018. Foto: Katrin Schander

Nadja Blickle ist Projektleiterin bei der KulturRegion FrankfurtRheinMain für das Festival Starke Stücke.

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Wolfgang Schneider

Kinder- und Jugendtheater in Hessen Einsichten und Aussichten für eine kulturpolitische Entwicklungsplanung

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Auf dem Weg zur internationalen Anerkennung der deutschen Theater- und Orchesterlandschaft als immaterielles Kulturerbe der Menschheit hat das Auswärtige Amt 2018 einen Antrag1 der UNESCO übergeben. Die Szene der Theater und Orchester in Deutschland zeichne sich durch eine besonders hohe Dichte und Vielfalt im Hinblick auf Genres, Ästhetiken, Ausdrucksmittel, Sprache und Aufführungsanlässe aus, liest man in der Begründung. Staatsministerin Michelle Müntefering betonte aus diesem Anlass: „Der deutsche Vorschlag der Theater- und Orchesterlandschaft für die UNESCO-Liste steht beispielhaft für modernes Immaterielles Kulturerbe. Die Nominierung zeigt, dass Theater und Orchester wichtige Räume der freien Meinungsäußerung, der öffentlichen Debatte und kritischen Reflexion sind. Sie macht auch deutlich, welch hohe Bedeutung die zahlreichen internationalen Kooperationen und Koproduktionen von Theatern und Orchestern haben: Sie fördern interkulturelle Begegnungen und Kommunikation auch jenseits des politischen Diskurses und damit das Verständnis füreinander. Genau diesen Dialog und diese gesellschaftlich wichtigen Freiräume wollen wir mit Hilfe internationaler Kulturpolitik weiter ausbauen und stärken“, weiß eine Pressemitteilung der deutschen UNESCO-Kommission zu verkünden. Der Präsident des Deutschen Bühnenvereins Ulrich Khuon wird dortselbst folgendermaßen zitiert: „Theater und Orchester schaffen kulturelle Räume für Erzählungen, Reflexionen und Gespräche innerhalb ihrer lokalen Gemeinschaften und tragen damit wesentlich zu Lebensqualität und Identität bei. Diese wichtigen sozio-kulturellen Räume müssen wir erhalten und weiterentwickeln. Deutschland hat die reichste Theaterlandschaft der Welt. Etwa die Hälfte aller Opernhäuser auf der ganzen Welt ist in Deutschland situiert. Und was Schauspielhäuser angeht, gibt es eine ähnliche Dichte.“ Die Theater- und Orchesterlandschaft in Deutschland sei durch 140 Staats- und Stadttheater sowie Landesbühnen und 130 Opern-, Symphonie-, Rundfunk- oder Kammerorche-

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ster sowie Kammerphilharmonien geprägt. Dazugerechnet werden auch 220 private Theater, hundert Theater und Symphonieorchester ohne feste Spielstätte, 2200 freie Spielstätten, Gruppen und Ensembles und rund 2500 Amateurtheaterbühnen. „Historisch resultieren Dichte und Vielfalt der Theaterund Orchesterlandschaft aus der großen Zahl kleiner Staaten und Herzogtümer im 18. und 19. Jahrhundert auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands“, heißt es im Antragstext. „Diese gründeten Theater und Orchester als repräsentativen Ausdruck ihrer Hingabe zu Kunst und Kultur. Später baute ein selbstbewusstes Bürgertum diese Vielfalt und Dichte weiter aus. Prägend ist bis heute das Repertoire- und Programmsystem mit einem dauerhaft engagierten Ensemble, mit dem Inszenierungen und Musikstücke über Monate oder Jahre hinweg verfügbar sind. Hinzu kommt eine sehr lebendige freie Szene sowie die vielfältigen Amateurtheater und -orchester.“ Mehr als 500 Einträge weist das internationale Verzeichnis der UNESCO auf, darunter die „Genossenschaftsidee“, „Orgelbau und Orgelmusik“, die „Falknerei“ und der „Blaudruck“ aus Deutschland. 2020 will die UNESCO über die Theater- und Orchesterlandschaft entscheiden. Schon jetzt ist entschieden, dass der Prozess der Nominierung leider nicht zu einer breiten Auseinandersetzung um Strukturen, Förderung und Perspektiven für die Darstellenden Künste geführt hat. Die Kritiker*innen haben wahrscheinlich Recht, dass das Verfahren eher zu einer Musealisierung beiträgt, zumal dieses auch nicht wirklich die Akteur*innen zusammenbringen konnte. Nach wie vor gibt es große Gräben zwischen Stadttheatern und freien Theater, nach wie vor ist das Amateurtheater als dritte Säule der Theaterlandschaft kaum anerkannt und nach wie vor verharrt das Kinder- und Jugendtheater in der vierten Sparte (hinter Oper, Schauspiel und Ballett) als fünftes Rad am Wagen – wie die jüngste Studie der ASSITEJ aufzuzeigen weiß.


Theater La Senty Menti: „RemembeRING“, 2016. Foto: Rainer Drexel

Kulturpolitische Einsichten Wie ist es aber um die Theaterlandschaft in Hessen bestellt? Welche Rolle spielen dort die darstellenden Künste in der Kulturpolitik? Im 2018 erstmals veröffentlichten „Kulturatlas Hessen“ präsentiert das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst eine „1. Bestandsaufnahme der Staatlichen Kulturförderung“. Kulturförderung wird im Kontext gesellschaftlicher Veränderungen wie dem demografischen Wandel, im ländlichen Raum und beim Ehrenamt beschrieben. Aufgelistet werden Daten und Fakten u. a. zu Museen und Theatern, zu Film, Literatur und Musik, zu „Kulturelle(r) Bildung, Soziokultur, regionale(r) Kultur, internationale(m) Kulturaustausch“2. (Wiesbaden 2018). Auch die Kulturförderung von Staatskanzlei und anderen Landesressorts findet Erwähnung. Bekundet wird, dass für das Land Hessen die Förderung von Kunst und Kultur eine sehr hohe Priorität habe. Vor diesem Hintergrund lasse sich die hessische Landesregierung von den nachfolgenden wesentlichen Grundsätzen leiten: „Kulturpolitik sichert die Grundlagen für die freie Entfaltung

von Kunst und Kultur. Kulturpolitik soll allen Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu kulturellen Inhalten und Institutionen ermöglichen. Kulturpolitik bewahrt ebenso das kulturelle Erbe in seiner Vielfalt, wie sie auch Anstoß für neue Entwicklungen gibt.“3 Ein zentrales Ziel der hessischen Kulturpolitik sei es, die Erhaltung und den Ausbau der großen Kulturinstitutionen zu gewährleisten. Die Staatstheater werden in diesem Zusammenhang an erster Stelle genannt. Insgesamt stehe aber das fruchtbare Miteinander von freien und öffentlichen Trägern, „dass ein unverzichtbares Charakteristikum einer innovativen und modernen Strömungen offenstehenden Kulturlandschaft darstellt, klar im Fokus der Hessischen Kulturförderung“.4 Es gehe um regionale Ausgewogenheiten und um internationale Verflechtungen sowie um gesellschaftliche Vielfalt und barrierefreien Zugang. Mit Blick auf Kinder und Jugendliche sei die Orientierung an modernen didaktischen Konzepten unverzichtbar. Museumspädagogik und Musikerziehung werden benannt, ebenso die Heranführung

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an Literatur und die Vermittlung von kulturellen Inhalten. Kinder- und Jugendtheater kommt noch nicht einmal als kulturelle Bildung vor! Kinder- und Jugendtheater wird auch im mehrseitigen Kapitel „Theater“ eher nur stiefmütterlich behandelt. Kein Wunder, denn schon die Landkarte der Theaterförderung weist in Hessen vornehmlich weiße Flecken auf. Manche Landkreise sind völlig theaterfrei, manche erfahren einzig einzelne Projektförderungen. Die großen Städte sind die eigentlichen Theaterstandorte des Flächenlandes. Und doch heißt es, dass die hessische Theaterlandschaft sich durch ein „vielfältiges und vitales Miteinander öffentlich getragener und freier Theater“5 auszeichne. Von einem kulturpolitisch ausgewogenen Modell ist die Rede. Aber diese Schönfärberei wird schon durch die ernüchternden Statistiken konterkariert: Gerade mal fünf Prozent der Gesamtzahl von öffentlich geförderten Theaterplätzen in Deutschland werden in Hessen angeboten, je tausend Einwohner des Bundeslandes sind es gar nur zweieinhalb Plätze; gerade mal siebzig Millionen Euro investiert Hessen pro Jahr in seine Theaterlandschaft, davon alleine 55 Millionen Euro für den Betrieb der drei Staatstheater – gegenüber fast drei Milliarden Euro von Kommunen, Ländern und dem Bund in ganz Deutschland. 97,3 Prozent der öffentlichen Mittel entfallen in Hessen auf die institutionelle Förderung, nur 1,9 Prozent auf die Projektförderung. Aufgelistet werden die Staatstheater Darmstadt und Wiesbaden, die Städtischen Bühnen Frankfurt, die allerdings „nahezu voll umfänglich aus kommunalen Mitteln“6 finanziert werden, das Drei-Sparten-Stadttheater Gießen, das Hessische Landestheater Marburg, das Künstlerhaus Mousonturm und die Dresden Frankfurt Dance Company. Bei der Beschreibung fehlt aus unerfindlichen Gründen das Staatstheater Kassel und damit auch ein Standbein des Kinder- und Jugendtheaters in Hessen. Es fehlt ebenso der Hinweis, dass das Theater für junge Zuschauer*innen Schwerpunkt am

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Landestheater ist. Es fehlt bei der Erwähnung der Bad Hersfelder Festspiele und den Internationalen Maifestspielen Wiesbaden (genannt wird dabei immerhin die Junge Woche mit „wichtigen Gastspielen für das junge Publikum“7). Sowohl die Hessische Kinder- und Jugendtheaterwoche in Marburg, KUSS – Kuck! Schau! Spiel!, die unter „geförderte Projekte“8 2015 mit 30 000 Euro zu Buche schlägt, als auch das Internationale Kinder- und Jugendtheaterfestival Starke Stücke, das nur als „Projekt“9 unter den Aktivitäten der KulturRegion FrankfurtRheinMain auftaucht. „Profilbildend“10 seien die Angebote des Jungen Staatstheaters Wiesbaden und des dortigen Staatsmusicals. Als „namhafte“ Institution im Bereich des Kinder- und Jugendtheaters (allerdings in der Rubrik Zuwendungen weder unter geförderte Institutionen noch unter Projektförderung zu finden) wird das im Jahr 2000 gegründete Theaterhaus Ensemble in Frankfurt genannt, „das bei seinen Aktivitäten vom Land Hessen regelmäßig über Produktionsförderungen unterstützt wird“.11 Auffällig ist zudem die ungleiche Verteilung der öffentlichen Mittel in den Regionen. Der „Anteilswert für Mittelhessen“12 sei vergleichsweise niedrig (15 Prozent gegenüber gut 25 Prozent im Regierungsbezirk Kassel und fast sechzig Prozent im Regierungsbezirk Darmstadt). Als übergeordnetes Ziel der Theaterförderung wird die Unterstützung der institutionellen und inhaltlichen Breite postuliert. Das Interesse des Landes orientiere sich hierbei an künstlerischer Qualität, an Teilhabe möglichst großer Teile der Bevölkerung und der Pflege des kulturellen Erbes. „Wichtige Schwerpunkte bilden auch das Kinder- und Jugendtheater und die Nachwuchsförderung.“13 Da scheint aber noch reichlich Luft nach oben zu sein, hier bedarf es wohl gezielter Steuerung mit Kooperationsverträgen, Richtlinien zur Förderung und Theaterverträgen mit den Kommunen. Vom Schwerpunkt in Sachen Theater für junges Publikum kann keine Rede sein. Ja, Hessen hat eine lebendige Kinder- und Jugendtheaterlandschaft, diese ist aber strukturell marginalisiert, ganz ähnlich wie für das


Theater für Erwachsene durch ein Missverhältnis zwischen den Zahlen von Angebot und Bevölkerung geprägt und nicht wirklich Schwerpunkt von Landesförderung. Auch deshalb braucht es eine kulturpolitische Entwicklungsplanung für Kinder- und Jugendtheater in Hessen.

Auf dem Weg zu einer Kinder- und Jugendtheaterlandschaft in Hessen Die Studie „Zur Lage des Kinder- und Jugendtheaters in Deutschland“14 hat Erkenntnisse generiert und Herausforderungen formuliert. Die Theaterarbeit für junges Publikum findet in sehr unterschiedlichen organisatorischen Strukturen statt, pflegt die Zeitgenossenschaft, spricht diverse gesellschaftliche Gruppen an, gewährt kulturelle Teilnahme und künstlerische Teilhabe, versteht sich als Ort des offenen Diskurses, kooperiert mit schulischen und sozialen Akteur*innen und kann daher durchaus als Vorreiter für neue Modelle und Arbeitsweisen in den darstellenden Künsten gelten. Die Arbeitsbedingungen sind allerdings prekär, Theaterpädagogik wird überwiegend von Honorarkräften geleistet, die Ensembles bestehen zumeist nur aus drei bis fünf Schauspieler*innen, neben den Inszenierungen sind alle Theatermitarbeitenden auch in Projekten vor allem der kulturellen Bildung engagiert. Der Rat für darstellende Kunst und Tanz im Deutschen Kulturrat hat deshalb auch 2018 hierzu eine Stellungnahme15 verfasst und fordert, „Tanz und Theater mit Kindern und Jugendlichen sowie für junges Publikum als kulturpolitische Schwerpunktsetzung in der Theaterlandschaft Deutschlands“ in allen Tanz- und Theaterverbänden zu formulieren, auf allen politischen Ebenen zu konzeptionieren und in allen Praxen der darstellenden Künste einzusetzen, „um jedem Kind und jedem Jugendlichen mindestens zweimal im Jahr ein Tanz- und Theatererlebnis zu ermöglichen“.16 Weitere Forderungen beschäftigen sich mit der Schaffung professioneller Produktionszentren, mit der Verantwortung der Stadt-

und Staatstheater für ein differenziertes ganzjähriges Programm für junges Publikum, mit dem Ausbau von Produktionsspielstätten und Gastspielförderung, mit der Verankerung der darstellenden Künste als künstlerisches Schulfach sowie mit der curricularen Implementierung in der Aus- und Weiterbildung aller Berufe am Theater. Die Gestaltung der Kinder- und Jugendtheaterlandschaft in Hessen darf deshalb nicht dem Zufall überlassen bleiben. Wenn die Gesellschaft der Meinung ist, dass Kinder und Jugendliche in der Politik eine besondere Zielgruppe sein sollten, dann muss auch die Kulturpolitik diesbezüglich Akzente setzen. Die ASSITEJ-Studie hat gezeigt, wo die Handlungsbedarfe zu identifizieren sind; auch die Evaluation der freien Theaterszene in der Main-Metropole im Auftrag des Kulturamtes der Stadt17 kann hierzu herangezogen werden. Der Abschlussbericht der Perspektivkommission attestiert dem Kinder- und Jugendtheater ein großes Potential für Kunstproduktion und Kulturarbeit, moniert aber die Förderung nach dem „Gießkannenprinzip“, die zu einer „Egalisierung auf niedrigstem Niveau“ führe. Zudem fehle es an zeitgemäßen Thematiken, internationalen Koproduktionen und ästhetischer Innovation sowie (trotz hessischer Theaterakademie) am künstlerischen Nachwuchs. Kulturpolitische Modelle aus Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen werden immer wieder gerne zitiert, um die Reform der Strukturen in der Kinder- und Jugendtheaterlandschaft möglich zu machen, weiterzuentwickeln und neu zu gestalten. Rund ein Dutzend Kinder- und Jugendtheatersparten entstanden an Staats- und Stadttheater sowie Lan-

Kortmann & Konsorten: „My Malala“, 2016. Foto: Niko-Neuwirth

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Figurentheater Eigentlich: „Käptn Knitterbart … und Mee(h)r“, 2017. Foto: Jule Kracht

desbühnen durch die Initiativförderung aus Stuttgart, die den Trägerstädten ermöglichte, vierzig Prozent der Betriebsmittel für Kinder- und Jugendtheater beim Land einzuwerben. Kinder- und Jugendtheater wurde auch Förderschwerpunkt des Landes in Düsseldorf und fand seine konzeptionelle Fundierung auch in einem Kulturfördergesetz sowie in der fiskalischen Realisierung im kommunalen Finanzausgleich, der es den Kommunen erlaubt, insbesondere Strukturen für die darstellenden Künste für junges Publikum zu schaffen.

Kulturpolitische Aussichten Seit dem 28. Oktober 2018 hat die Hessische Verfassung ein neues Staatsziel: Kultur! 87,7 Prozent der abgebenden Stimmen votierten für den Artikel 26 e: „Die Kultur genießt den Schutz und die Förderung des Staates, der Gemeinden und Gemeindeverbände.“ Landesparlament und Landesregierung müssen dies als Richtlinie für politisches Handeln verstehen. Kultur nimmt von nun an einen erhöhten Stellenwert im Rechtssystem ein, das Land verpflichtet sich noch stärker dem Schutz des kulturellen Erbes und der Förderung der Kulturlandschaft. Im Koalitionsvertrag für die 20. Legislaturperiode von 2018 bis 2023 von CDU und Bündnis 90/Die Grünen liest sich das folgendermaßen: „Hessen ist reich an Kulturschätzen und von großer kultureller Vielfalt geprägt. Kunst und Kultur können den Blick auf die Welt verändern.“18 Auch für die Darstellenden Künste gibt es Absichtserklärungen. Die drei Staatstheater können ihre Sanierungs- und Umbaumaßnahmen realisieren, die Mittel für die freie Theaterszene –

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„und dort insbesondere für Festivals“19 – sollen erhöht werden und die Kooperationen von Schulen und Theater für das Fach Darstellendes Spiel sollen ausgebaut werden. Kinder- und Jugendtheater kommt im Koalitionsvertrag nicht vor! Dafür wird von einem Masterplan geschwärmt, der auf der Basis des „Kulturatlas Hessen“ zu entwickeln sei. Das darf als Chance begriffen werden – wenn die Prämissen stimmen. Eine davon könnte sein – in der Logik einer zukünftigen Theaterlandschaft – die Voraussetzungen zu schaffen, insbesondere Theater für ein junges Publikum zu stärken, landesweit und flächendeckend, mit einer Polyphonie von Strukturen, Inhalten und Ästhetiken, für das Theatersehen und das Theaterspielen, für mehr als eine Million Kinder und Jugendliche in Hessen, von Anfang an, ein Leben lang. Das heißt vor allem: mehr Theater für mehr Menschen! Die Forderung nach zwei Theaterbesuchen per anno pro Hess*in in jungen Jahren erfordert die Ausweitung des Angebots, geschätzt derzeit 20 000 Theaterplätze an je 300 Tagen im Jahr ergibt eine Kapazität von sechs Millionen. Und das wiederum bedeutet für sechs Millionen Einwohner im Bundesland statistisch einen Theaterbesuch pro Jahr. Bei zwei Theaterbesuchen muss eine Verdoppelung die kulturpolitische Konsequenz sein, zumindest für das Kinder- und Jugendtheater. Darüber hinaus muss eine kulturpolitische Entwicklungsplanung einer Theaterlandschaft für junges Publikum in Hessen folgende Forderungen berücksichtigen: Erstens: Die Verträge des Landes mit den Stadt- und Staatstheatern verpflichten zur institutionellen Verankerung von Kinder- und Jugendtheatersparten. Das in Planung befindliche Kinder- und Jugendtheater der Stadt Frankfurt erhält ebenso Landesmittel wie die Theater in Rüsselsheim und Bensheim sowie andere Gastspielhäuser für Kinder- und Jugendtheaterangebote. Der Etat für die Projektförderung der freien Theater muss um ein Vielfaches erhöht werden. Zweitens: Kinder- und Jugendtheater wird als Schwerpunkt von kultureller Bildung gefördert, die Mittel für Pro-


jekte des Kulturkoffers werden um ein Vielfaches erhöht, Theater und Schule als Kooperationsprogramm für alle Schulen ausgeweitet, ebenso wie FLUX als Residenzprogramm in Schulen und Kommunen im ländlichen Raum. Theaterpädagogische Zentren und Schultheaterstudios werden in allen Schulbezirken und Landkreisen etabliert, ebenso wie Theater als Schulfach in allen Schulstufen und Curricula. Drittens: Kinder- und Jugendtheater auf dem Land wird ein weiterer Förderschwerpunkt, der die Distribution von Theaterproduktionen, die Mobilität von freien Theatern sowie die personelle und technische Ausstattung von Gastspielorten durch ein langfristiges und nachhaltiges Programm gewährleistet. LandKulturPerlen, ein Projekt derzeit nur in zwei Landkreisen zu Hause, wird es zukünftig überall geben. Viertens: Festivals des Kinder- und Jugendtheaters werden als Netzwerke und Motoren für künstlerische Entwicklung gefördert, mit der Finanzierung von Gastspielen aus Deutschland und der Welt, in vielen Sprachen und Formen – auch als Koproduktionen mit hessischen Kinder- und Jugendtheatern. Fünftens: Grundsätzlich gilt aber vor allem die Prämisse, in der hessischen Kinder- und Jugendtheaterlandschaft einen Paradigmenwechsel von der Angebotsorientierung hin zu einer Teilhabeermöglichung zu verwirklichen. Alle Kinder und Jugendlichen sollen beim Theaterbesuch sehen und hören lernen und im Theaterspiel sich selbst erfahren und ausprobieren können.

Wolfgang Schneider ist Direktor des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim und Ehrenpräsident der Internationalen Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche (ASSITEJ).

Theater Lakritz: „Klotzkopf“, 2015. Foto: Anna Lehn 1

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Deutsche UNESCO-Kommission: Antrag zur Nominierung der deutschen Theater- und Orchesterlandschaft für die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes, Bonn 2018. Kulturatlas Hessen, hrsg. vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Wiesbaden 2018. Ebd., S. 10. Ebd., S. 12. Ebd., S. 57. Ebd., S. 62. Ebd., S. 65. Ebd., S. 59. Ebd., S. 113. Ebd., S. 62. Ebd., S. 64. Ebd., S. 61. Ebd., S. 58. Thomas Renz: Zur Lage des Kinder- und Jugendtheaters in Deutschland. Erkenntnisse und Herausforderungen, hrsg. von der ASSITEJ e. V., Frankfurt am Main 2017. Stellungnahme des Rates für darstellende Kunst und Tanz im Deutschen Kulturrat: Darstellende Künste für junges Publikum. Zugänge schaffen, Ensembles stärken und Strukturen implementieren, Köln 2018. Ebd., S. 21. Evaluation der Freien Theaterszene in Frankfurt am Main Abschlussbericht der Perspektivkommission im Auftrag des Kulturamtes der Stadt Frankfurt am Main, März 2012: www.laprof.de/wp-content/uploads/ 120510_Vc3b6_Abschlussbericht_Perspektivkommission.pdf. Koalitionsvertrag zwischen CDU und Bündnis 90/Die Grünen: Aufbruch im Wandel durch Haltung, Orientierung und Zusammenhalt, Wiesbaden 2018, S. 47. Ebd., S. 49.

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KÜNSTLERISCHE UND KULTURPOLITISCHE POTENTIALE


Katharina M. Schröck

Ein langer Atem für das Kinder- und Jugendtheater Katharina Schröck im Gespräch mit dem Intendanten Gordon Vajen Im Hinterhof der Schützenstraße Nummer zwölf in Frankfurt am Main, etwas abseits des hektischen Trubels und dennoch im Herzen der Mainmetropole. Eine unscheinbare Toreinfahrt öffnet den Weg zu dem historischen Gebäudekomplex, im ehemaligen Gemeindezentrum der jüdischen Gemeinde, der die wichtigste Spiel- und Produktionsstätte für die freie Kinder-und-Jugendtheater-Szene in Frankfurt am Main beherbergt: das Theaterhaus, offiziell das Freie Theaterhaus, noch förmlicher Theaterhaus Kindertheater – Jugendtheater, im informellen Sprachgebrauch schlicht „die Schützenstraße“. Egal für welche Benennung man sich entscheidet, ganz eindeutig ist dieses Haus ein besonderer Ort für die darstellenden Künste für junges Publikum. Welche Bedeutung Bezeichnungen haben können, ist Gordon Vajen bewusst, nennt er sich doch – als einer der ersten in der freien Szene – „Intendant“. Eine von vielen kulturpolitischen Entscheidungen, die sein Handeln prägen: „Alle nannten sich Leiter oder sagten: ‚Ich arbeite am Theater.‘ Wenn es dann ein kleines Theater ist, wird es auch so behandelt, es wird respektlos behandelt.“ Eine solche Titelzuschreibung war ein symbolischer Akt und eine Aufforderung, kleinen Theatern und vor allem auch dem Kinder- und Jugendtheater Respekt zu zollen. Wahrnehmung und Respekt scheinen für den Leiter des Theaterhauses zwei der wichtigsten Aspekte zu sein: für die Theaterarbeit, für das Miteinander und für die Positionierung in der kulturpolitischen Öffentlichkeit. Während sich in den Anfangsjahren die Aufmerksamkeit darauf beschränkte, dass „alles so schön bunt ist“, und immer wieder die Frage gestellt wurde, „was machen die eigentlich hauptberuflich“, wie Gordon Vajen sich leicht verärgert erinnert, erfahren das Theaterhaus und auch das Kinder- und Jugendtheater mittlerweile hohe Wertschätzung. Durch die künstlerischen Erfolge der Szene, deutschland- und weltweit, wird das Kinder- und Jugendtheater immer stärker als Kunstgattung wahrgenommen, auch in Frankfurt am Main.

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Rahmung für die Kunst Der Anteil des Theaterhauses an dieser Entwicklung ist nicht unerheblich. Seit ihrer Gründung vor Jahrzehnten sind Haus und Ensemble wichtige Akteure im kulturpolitischen Feld, in künstlerischer Hinsicht und innerhalb des Netzwerkes der Theaterlandschaft. Vajen nimmt dabei auf mehreren Ebenen eine besondere Stellung ein: Intendant und künstlerischer Leiter des Theaterbetriebes, Geschäftsführer des hauseigenen Ensembles – doch wie er sagt, ein „Steuermann des kleinen Schiffes ohne Durchgriffsrecht“. Wie geht das zusammen mit dem selbst erwählten Titel? Das eine sei verstanden als adäquate Bezeichnung für die Außenwahrnehmung, das andere als Beschreibung der tatsächlichen Funktion Vajens innerhalb des Konstrukts Theaterhaus. Das Theater sei in seiner demokratischen Grundstruktur deutschlandweit einmalig: Spielpläne werden diskutiert, Entscheidungen gemeinsam getroffen und alle Gesellschafter*innen haben ein künstlerisches Veto-Recht. Damit dies funktioniert, braucht es die richtige Rahmung: „Wenn du ein Haus baust, dann baust du es nicht für fünf Jahre. Wer da alles drin wohnen wird, das weißt du nicht vorher. Was in dem Haus passiert, das weißt du nicht. Die Struktur muss halten und sie soll auch halten ohne dich.“ Im Modell Theaterhaus heißt das: Der Leiter des Hauses hat keine Sonderstellung in den künstlerischen Entscheidungsprozessen, die Ensembles sind eigenständig, nicht der Willkür eines Prinzipals unterworfen. Auf die Frage, ob das Theaterhaus nicht einem Stadttheater ähnlich sei – ein Haus mit einem Intendanten und einem eigenen Ensemble – reagiert er fast ungehalten: „Auf gar keinen Fall! Ich kann gar nichts machen ohne das Vertrauen der Mitarbeiter*innen. Durch unseren Gesellschaftervertrag ist der Intendant in seinen Befugnissen stark beschränkt.“ Seine Vorstellung von Theaterarbeit beschreibt er ganz klar: „Die Künstler*innen müssen Eigentümer*innen ihrer Kunst bleiben.“ Es klingt fast nach einem Ideal: Alle Mitarbeiter*innen dürfen ihre Meinung einbringen, immer ist


das Haus auch bereit für Entwicklungen und für Theatermacher*innen, die sich neu einbringen wollen. Doch natürlich gibt es Auseinandersetzungen, sind die Überzeugungen, was gutes Theater sein kann und soll, genauso unterschiedlich wie die Erfahrungen und die Geschmäcker: Manches Stück, das im Theaterhaus produziert wurde und ihm nicht gefiel, hätte der Intendant Vajen in einer klassischen Struktur verhindern können – doch im System Theaterhaus wird er überstimmt. Eine Tatsache, die er nicht nur gelassen nimmt, sondern als essentiell beschreibt: „Das ist auch gut so! Ich weiß auch nicht, wo die Wahrheit liegt. Wir haben ganz unterschiedliche Vorstellungen von Welt.“ Den Streit über Inhalte und Formate sieht er als konstruktiven Prozess, freut sich, wenn Stücke, die ihn ganz persönlich nicht überzeugt haben, in der Inszenierung erfolgreich werden. Er sieht sich selbst als einen Moderator, der auf eine Ausgewogenheit innerhalb der Arbeit achtet. Neue Impulse von außen müssen dabei auch berücksichtigt werden, das Theaterhaus „muss offen bleiben, aber das kommt natürlich an Grenzen“, denn „wenn die Qualität nicht stimmt, dann geht es nicht“. Dass er dadurch entstehende Auseinandersetzungen nicht scheut, zeigt sich auch an ihm, denn er selbst habe einsehen müssen, kein Künstler zu sein: „Das wäre ich gerne gewesen, aber daran bin ich leider gescheitert, das ist sehr schade, aber das muss man aushalten.“ Seine Stärke sei es, Visionen zu haben: „Ich denke mir gerne Sachen aus und die realisiere ich.“ Genau dieser Ansatz hat auch zur Gründung des Theaterhauses geführt: „Einen langen Atem kannst du nur haben, wenn du ein langfristiges Ziel hast. Und das war die Einrichtung einer Spielstätte für Frankfurter Theater.“ Dass sich das Theaterhaus schließlich auf das Theater für ein junges Publikum konzentrierte, hat drei Gründe, die exemplarisch für den Charakter Vajens und den seines Theaters stehen: „Erstens: Entwicklungen antizipieren; zweitens: ein klares Profil schaffen; drittens: die ganz persönliche Motivation.“

Theaterhaus Frankfurt: „Gordon Vajen bei der Eröffnung“, 1991. Foto: Katrin Schander

Von der Notwendigkeit zum Auftrag „Das Theaterhaus ist eine Idee, die entsteht 1986. Die Leute halten mich für verrückt: Woher willst du das Geld nehmen?“ Wenn Vajen zurückblickt, flammt Leidenschaft auf und es wird deutlich, dass er ein kulturpolitischer Kopf ist – in eben solchen Kategorien denkend und als Verfechter für die Kunst in diesem Feld agierend. Für ihn war in den ersten Jahren des Theaterhauses offensichtlich, dass die Notwendigkeit bestand, für das eigene Haus einen Schwerpunkt zu entwickeln. Als sich in Frankfurt das Gallus Theater als neue Spielstätte für die freie Szene etablierte, zeichnete sich schnell ab, dass die Erwachsenentheater auf diese neue, größere Bühne ausweichen würden. Der Fokus auf Kinder- und Jugendtheater erschien als logischer Schritt. Kritiker mögen dem Theaterhaus vorwerfen, es hätte sich in eine Nische gesetzt; Unterstützer werden dagegenhalten, dass es die Zeichen der Zeit erkannt, gedeutet und genutzt hat. Bei allem strategischen Denken ist und war jedoch die persönliche Motivation entscheidend: „Du brauchst einen Anker in dir, sonst hältst du es nicht durch, ein starkes inneres Motiv ist notwendig.“ Die eigenen künstlerischen Ideen verwirklichen zu wollen, führte zu der Gründung des Theaterhaus Ensembles, die Spielstätte wandelte sich in ein produzierendes

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Theaterhaus Ensemble: „Runter auf Null“, 2019. Foto: Katrin Schander

Theater. Gleichwohl, so stellt Vajen klar, sei es „wichtig, nicht nur in der eigenen Suppe zu schwimmen“ – Gastspiele und Festivals sind Impulsgeber für die eigene Arbeit, ermöglichen neue Blicke und stoßen wiederum neue Entwicklungen an. Als Beispiel führt Vajen das „Theater für die Jüngsten ab 1 Jahr“ an – diesem Ansatz zunächst sehr kritisch gegenüberstehend, ließ er sich überzeugen, auch durch das Lernen von den internationalen Vorreiter*innen auf diesem Gebiet. So steckt das Theater für die Allerkleinsten in der Rhein-Main-Metropole zwar immer noch in den Kinderschuhen, ist aber seit einigen Jahren wichtiger Bestandteil der Arbeit. Ermöglicht wird ein Erforschen neuer Formate durch Zusammenarbeit und Partnerschaften, das Netzwerk der Kinder- und Jugendtheater sei dafür ein Schatz. Dabei ist das Theaterhaus selbst zu einem wichtigen Angelpunkt geworden und übernimmt auch als Mentor die Funktion einer Plattform innerhalb der Region. Nach der Schließung des Frankfurter kommunalen Kinder- und Jugendtheaters, das nur eine Spielzeit lang Bestand hatte, übernahm das Theaterhaus in der Schützenstraße zudem de facto die Aufgabe

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eines städtischen Hauses: die Bereitstellung von Infrastruktur für Kinder- und Jugendtheater und durch die Produktionen eine Grundversorgung des jungen Publikums mit professioneller Theaterkunst.

Strukturen als Prozess Teilhabe ermöglichen, kulturelle Bildungsprozesse anstoßen, insbesondere auch für die Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft, Sozialisation oder Lebensumstände ausgegrenzt werden, ist die Maxime Gordon Vajens. Keine Kompromisse geht er jedoch bei der Eigenständigkeit der Kunst ein: „Kunst ist Kunst und nicht das Soziale!“ Bei allen positiven Nebeneffekten von Theater für und mit jungen Menschen bleibt die künstlerische Arbeit an erster Stelle. Dabei muss die Rahmung sich im Sinne der Kunst entwickeln, so wie „der Kampf ums Geld der Kampf für die Künstler ist“. Gordon Vajen ist nicht einfach nur der geschäftsführende Leiter eines Theaterhauses, er ist auch ein Lobbyist, ein Streiter für das Kinderund Jugendtheater, seine Akteure und seine Strukturen. Dass er seine konkrete Position in seinem Theater als machtlos beschreibt, möchte man ihm glauben; in der Wahrnehmung


Theaterhaus Frankfurt: „20 Jahre Theaterhaus“, 2011. Foto: Katrin Schander

nach außen wird das Theaterhaus immer fest mit ihm als Kopf verbunden sein. Dabei ist ihm ganz klar: „Es wird Veränderungen geben, natürlich, das ist doch klar. Und diese Übergänge muss man gestalten.“ Wenn nach und nach die Gründungsmitglieder das Haus verlassen (müssen), ist ebenso klar für ihn: „Einen Ersatz wird es nicht geben. Es wird anders und das ist auch richtig.“ Solange er am Steuer steht, gibt er eine Richtung vor, aber auch bei dieser ist klar, dass sie sich immer wieder neu justieren muss: „Das, was ich mache, ist nicht morgen fertig, ich weiß nicht, wann es fertig ist. Aber ich muss irgendwie eine Orientierung haben, aber die ist nicht festgesetzt, das ist eine Richtung und die ändert sich auch.“ Damit drückt er zweierlei aus: Strukturen brauchen Stabilität und Flexibilität. Projektarbeit, zeitliche Begrenzungen im Handeln und Denken schließt er kategorisch aus: „Eine nette Erfahrung und das war’s? Das kann doch nicht alles sein!“, und zugleich: „Sich festzulegen, wäre fatal, das System muss offen sein für das, was kommt – und das, was geht.“ Den neuen Entwicklungen gerecht werden, ist ein ganz konkretes Vorhaben für die Zukunft,

z. B. für all die neuen Künstler*innen, die das junge Publikum für sich entdecken, ein Forum schaffen, das der Struktur des Theaterhauses gerecht wird. Ein anderes Anliegen wird vielleicht nie zu einem Abschluss kommen können: der Einsatz für die Theaterlandschaft, das Bemühen, das Kinder- und Jugendtheater als zu respektierende Kunstform, die Künstler*innen als ernstzunehmende Akteur*innen zu unterstützen. Der Antrieb für dieses Engagement bleibt stark wie vor drei Jahrzehnten: die Überzeugung, das Richtige zu tun verbunden mit der Gewissheit, dass es „nirgendwo sonst eine solche Formenvielfalt gibt, einen solchen Reichtum an Möglichkeiten wie im Kinderund Jugendtheater“.

Katharina M. Schröck arbeitet im Kulturamt der Stadt Frankfurt am Main und ist dort Leiterin des Fachbereichs Darstellende Kunst und Kulturelle Bildung.

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Susanne Freiling

Meet the World of Theatre f o r Yo u n g A u d i e n c e s Etappen einer internationalen Theaterreise Melbourne – Frankfurt: Guilty or not guilty? Stefo Nantsou schaut ins Publikum, er geht direkt auf eine Zuschauerin zu und spricht sie an: „Guilty or not guilty?“ Was für eine Frage! Eine Stunde hat das Publikum gebannt der Geschichte von den beiden Jungs zugesehen, die aus Spaß Steine von einer Brücke werfen und damit einen Autofahrer töten. Und die dann vor Gericht stehen: Schuldig oder nicht schuldig? Nun stellen die Schauspieler diese Frage dem Publikum und das Theater kommt plötzlich fast unerträglich nahe. Mit diesen Worten beginnt vieles. Zu Gast bei Starke Stücke im Jahr 2000 zeigt das Zeal Theatre aus Melbourne das Jugendtheaterstück „Stones“ und bringt alle zum Nachdenken, auch uns, das damals frisch gegründete Theaterhaus Ensemble. Das Stück basiert auf einem realen Fall von zwei jugendlichen Steinewerfern in Melbourne 1994. Aber als die Australier sechs Jahre später in Frankfurt spielen, wird gerade ein sehr ähnlicher Fall in Darmstadt vor Gericht verhandelt. Ein Ereignis, das uns als Theatermacher*innen damals so berührt, dass der Gedanke nahe liegt: Können wir das Stück ins Deutsche übersetzen? Inszenieren mit unserem Ensemble? Gemeinsam mit dem Zeal Theatre? Ja, wir konnten. Das Theaterhaus Ensemble produzierte die deutschsprachige Erstaufführung von „Stones“ in Frankfurt: Herausgekommen ist eine Reise nach Australien, eine erfolgreiche Inszenierung, eine Freundschaft und die Gewissheit, dass es möglich ist zusammenzuarbeiten. Denn von einem Ende der Welt zum anderen ergeben sich manchmal Fragen, die sich uns gemeinsam stellen: „Guilty or not guilty?“ Inzwischen ist „Stones“ ein Klassiker des Jugendtheaters, in viele Sprachen übersetzt und in noch mehr Ländern gespielt.

Theaterhaus Ensemble: „Stones“, 2001. Foto: Katrin Schander

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Theaterhaus Ensemble: „Stein auf Stein“, 2012. Foto: Katrin Schander

Frankfurt/Rhein-Main: ein internationales Festival für ein regionales Publikum Das internationale Festival Starke Stücke ist in erster Linie für die ganz „normalen“ Theaterzuschauer*innen gedacht: Kindergruppen aus der Rhein-Main-Region, Familien aus Frankfurt und Umgebung, Schulklassen aus ganz Hessen. Die Festivalmacher*innen reisen für die Programmauswahl zu anderen Festivals, wählen Inszenierungen aus aller Welt aus: Was berührt besonders? Was erscheint zukunftsweisend? Was eröffnet neue Perspektiven für das Publikum? Was zeigt nie gesehene Formen und einen anderen Blick auf die Welt? Aber für das Theaterhaus Ensemble und ebenso für das TheaterGrueneSosse, beide in Frankfurt beheimatet, war und ist Starke Stücke immer auch eine Quelle der Inspiration für die eigenen Produktionen. Und für mich als Mitglied der Festivalleitung ergibt sich daraus ganz organisch der Wunsch, nicht nur Stücke „einzukaufen“, sondern auch mit dem Theaterhaus Ensemble einige dieser internationalen Theaterkolleg*innen näher kennenzulernen. Als freie Theater mit einer kollektiven Entscheidungsstruktur sind wir glücklicherweise auch frei, unsere Kooperationspartner*innen zu wählen und

mit ihnen gemeinsam neue Wege zu erproben. Die Künstler*innen des Festivals wirken auf diese Weise direkt auf das Ensemble zurück: Wir lernen Gruppen kennen, deren Arbeitsweise uns inspiriert, wir reisen, wir arbeiten zusammen, scheinbare Grenzen und Gewissheiten werden in Frage gestellt. Zugleich wirken die daraus entstehenden Produktionen zurück auf die Zuschauer*innen in der Rhein-Main-Region. Denn schließlich werden sie hier den Veranstalter*innen der Region gezeigt, in den Theatern und Kindereinrichtungen. So wirkt das Theaterfestival Starke Stücke über sich selbst hinaus auch als Verstärker für internationale Impulse in die Region hinein.

Frankfurt – Amsterdam: die Suche nach der Leichtigkeit des Seins Seit Langem sind die Niederlande mit Autor*innen wie Ad de Bont und Pauline Mol, mit Regisseurinnen wie Liesbeth Coltof, Silvia Andringa und Inèz Derksen eine feste Größe im Theater für junges Publikum. Theaterstücke mit Themen, die bis dato für Kinder nicht angemessen erschienen, kamen seit dem Ende der 1980er Jahre auf den deutschen Markt und

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fanden ihren Weg in die Spielpläne. „Mirad, ein Junge aus Bosnien“ und „Die Tochter des Ganovenkönigs“ erzählen große Stoffe aus der Perspektive der davon betroffenen Kinder. Inszenierungen, die ohne jedes Pathos wichtige Themen behandeln und sie gleichzeitig mit großer Leichtigkeit und Witz auf ein menschliches Maß bringen, schienen plötzlich auch in Deutschland spielbar. In Frankfurt kam 1987 mit „Fliegenspiel“ nach dem Buch „Herr der Fliegen“ von William Golding die erste Zusammenarbeit von TheaterGrueneSosse mit Bas Zuyderland aus Amsterdam zustande und setzte Maßstäbe. Inèz Derksen inszenierte mit dem Theaterhaus Ensemble 1999 „Die kleine Meerjungfrau“. Die Schauspieler*innen, die mit der sogenannten vierten Wand ausgebildet wurden, fragten sich damals noch, was die Regisseurin eigentlich meint, wenn sie sagt: „Teilt eure Gedanken und euer Spiel mit den Zuschauer*innen.“ Eine damals neue, aber inzwischen völlig selbstverständliche Art des Schauspiels entwickelte sich: Das Publikum wird alleine durch seine Anwesenheit Teil der Inszenierung, es ist Spiegel und Kommentator, ohne das Publikum ist das Theater nichts. Die vierte Wand hat ausgedient. Wir lernen auch von der Leichtigkeit des Denkens, die uns Deutschen anscheinend doch so abgeht. In einem interessanten Experiment zeigte Inèz Derksen, die „Iphigenie Königskind“ von Pauline Mol sowohl mit dem Theaterhaus Ensemble als auch mit ihrer eigenen Theatergruppe in Amsterdam inszeniert hat, beide Vorstellungen hintereinander und bemerkt dazu: „Es ist eigentlich dieselbe Inszenierung, aber dennoch ist bei den holländischen Spieler*innen ein leichterer Zugang spürbar, während die deutschen Kolleg*innen irgendwie immer tiefer gründeln.“ Dieses Spannungsfeld interessiert das Theaterhaus Ensemble und 2005 laden wir Rob Vriens, Regisseur aus Amsterdam ein, „Othello“ von Ignace Cornelissen mit uns zu erarbeiten. Daraus ist eine intensive und erfolgreiche Zusammenarbeit geworden mit

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inzwischen 28 Inszenierungen und immer neuen Ideen: Wir erforschen gemeinsam neue Zugänge zu Stoffen und Formen, experimentieren mit Prosa und Bilderbüchern und entwickeln gemeinsam mit den Musikern Oliver Augst und Marcel Daemgen mit „On Air“ ein neues Format: Deutsche Klassiker wie Schiller, Büchner, Kafka werden in Hörspiel-Performances auf ihren Klang untersucht. Mit Silvia Andringa und dem Autor Bouke Oldenhof erarbeiten wir 2012 „Stein auf Stein“, eine halb dokumentarische, halb fiktionale Inszenierung zur Geschichte des Frankfurter jüdischen Viertels und des Theaterhauses, das einmal Versammlungssaal der jüdischen Gemeinde war. Eine Ortsbegehung und ein Kommentar zur Stadtgeschichte, der das Theaterhaus in Beziehung zu seiner Stadt setzt. Auch hier hilft der holländische Blick aus der Ferne dabei, die Perspektive zu weiten. Die Achse Frankfurt – Amsterdam war und bleibt bedeutsam für die Theaterarbeit der beiden Frankfurter Ensembles: Neue Projekte mit Rob Vriens, Silvia Andringa und Inèz Derksen für 2019 und 2020 sind in Arbeit. Zugleich helfen diese Kontakte und die Nähe zur holländischen Theaterszene auch bei der Auswahl für Starke Stücke. Ein inhaltlicher und kritischer Austausch mit den Macher*innen der dortigen Festivals ist auch für unser Festivalteam selbstverständlich.

Frankfurt – Leeds: exploring Stories, not just telling them „Das Floß der Medusa“ ist ein monumentales, dramatisches Gemälde von Théodore Géricault (1791–1824). Es zeigt ein Floß mit toten und noch lebenden Schiffbrüchigen, die in der Ferne auf ein rettendes Schiff deuten, das als winziger Punkt am Horizont auftaucht. „The Raft of Medusa“ ist aber auch der Titel einer Inszenierung der Theatre Company Blah Blah Blah aus Leeds, die 2010 bei Starke Stücke zu Gast war. Sie lädt die Zuschauer*innen dazu ein, den Maler bei seiner Arbeit zu begleiten: Wie er die Geschichte eines dramatischen Schiff-


bruchs recherchiert und wie er die Entscheidung trifft, welchen Moment des Dramas genau er auf sein Bild bannt. Das Gemälde und das historische Ereignis rücken durch das Theaterstück sehr nahe, Theater und bildende Kunst gehen in dieser Vorstellung eine innige Verbindung ein. „Theatre in Education“ nennt sich der englische Weg, Theater und Bildung zu verbinden. Anthony Haddon, der Regisseur von „The Raft of Medusa“, nennt seinen Ansatz „exploring stories, not just telling them“. Geschichten entdecken, das heißt für ihn vor allem, sie gemeinsam mit dem Publikum zu entdecken. Während sich im Deutschland der 2000er Jahre die Theater für junges Publikum vor allem damit beschäftigten, sich endgültig vom „Kinder“-Theater als niedlichem, aber etwas minderbemitteltem Verwandten des „richtigen“ Theaters zu verabschieden und sich nicht mehr, als Erfüllungsgehilfen der Pädagogik instrumentalisieren lassen (Lehreranfrage: „Macht doch mal was gegen Drogenmissbrauch!“), während also hier KUNST mit sehr großen Buchstaben geschrieben wurde, erinnern uns die Kolleg*innen aus England daran, dass es auch noch um etwas anderes geht: eine Erfahrung zu teilen, darüber zu sprechen, etwas Neues zu erforschen. Diese englische Form des forschenden und partizipativen Theaters interessiert uns im künstlerischen Prozess. Aber welche Geschichte haben eine Theatergruppe aus Leeds und eine aus Frankfurt gemeinsam zu erzählen? Wir entscheiden uns für die, die unsere Länder am meisten trennt und am meisten verbindet: die immer noch schmerzende Erfahrung des Zweiten Weltkrieges. Welche Narrative gibt es über die ganz alltäglichen Kriegserfahrungen der Menschen in unseren beiden Städten? Wo liegen noch Bomben begraben, die es zu bergen gilt? „Messerschmitt vs. Spitfire“ (2012) erzählt die Geschichte einer Bombenentschärfung in Frankfurt und die einer deutsch-englischen Familie, in der noch lange nicht alles gesagt ist. Zweisprachig angelegt, wird die Inszenierung in Leeds, Frankfurt und Eschborn gezeigt.

Frankfurt – Yaounde, Kamerun: Tu comprends? Es ist heiß, die Schlaglöcher kratertief, der Pick-up mit dem Bühnenbild (sechsHolzstühlen, Tanzteppich, Licht- und Tonanlage) schwankt, kracht, fährt gerade noch auf den riesigen Schulhof in Douala und bleibt stehen. Eine große Ölpfütze breitet sich unter dem Wagen aus. Die Bodenwanne ist aufgerissen. Ende der Reise. Doch darum kümmern wir uns später. Jetzt heißt es mit den Kollegen vom Théâtre du Chocolat das Set für unsere Aufführung aufzubauen. Das Lycée de Nylon Ndogpassi in Douala, der Hauptstadt von Kamerun, hat 4000 Schüler*innen. Viele davon lernen Deutsch mit Unterstützung des Goethe-Instituts. Die Schulleitung möchte, dass alle unser Theaterstück „Tu comprends? Verstehste?“ sehen können. Eine leise Panik kommt bei uns auf. 4000 Zuschauer*innen? Alle auf Stühlen und auf dem Boden eines staubigen Schulhofs? Und die sechs Schauspieler von Théâtre du Chocolat und Theaterhaus Ensemble davor auf einer zwei Meter tiefen und zehn Meter breiten Stufe, ohne Mikrofone? Unmöglich!

Theaterhaus Ensemble/Theatre Company Blah Blah Blah: „Messerschmitt vs. Spitfire“, 2013. Foto: Katrin Schander

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Etoundi Zeyang, Leiter unseres Kameruner Partnertheaters, verhandelt lange mit der Schulleitung und erreicht schließlich, dass nur die Schüler*innen, die Deutsch lernen, zuschauen, 1200 Kinder und Jugendliche. Auch das erscheint uns unmöglich, aber wir lernen hier zum wiederholten Mal unsere afrikanische Lektion: Alles ist möglich. Alles ist anders, aber es ist möglich. Nie ist es wie geplant, immer muss improvisiert werden, die Hindernisse sind groß, das Geld ist knapp. Aber am Ende gibt es begeisterte Zuschauer*innen und glückliche Schauspieler*innen, erschöpft und klüger als zuvor. Diese Zusammenarbeit mit dem Théâtre du Chocolat entsteht, weil Etoundi Zeyang im Jahr 2013 das Starke-StückeFestival besucht und danach unsere Inszenierung „Anziehsachen“ nach Yaounde (Kamerun) zum FATEJ Festival 2014 einlädt. Auf diesem wichtigsten afrikanischen Kinder theaterfestival gibt es die ersten Begegnungen mit den Kolleg*innen des anderen Kontinents und ihren Stücken. Das afrikanische Kindertheater erscheint uns als eine hochmusikalische, vibrierend lebendige und sehr lustige Mischform aus Clownstheater und Storytelling. Die Form erinnert an europäische Straßentheatertraditionen der 1970er Jahre. Etwas, das uns in Frankfurt fast nicht mehr zeitgemäß erscheint, hat hier eine ganz eigene Qualität und Berechtigung. Und wir begegnen dem afrikanischen Kinderpublikum: begeistert, laut und lebendig, bereit zum Lachen und Mittanzen. Gemeinsam mit unseren Kameruner Gastgeber*innen entsteht der Gedanke, die sehr unterschiedlichen Temperamente der deutschen und der Kameruner Künstler*innen zusammenzuführen in einer Inszenierung, in der wir das Nichtverstehen und auch das Lachen darüber zum Zentrum der Arbeit machen: „Tu Comprends? Verstehste?“ Es wird paritätisch besetzt und die unterschiedlichen Theaterformen der beiden Ensembles finden ihren Platz in der Inszenierung. Das Theaterhaus Ensemble/Théâtre du Chocolat: „Tu Comprends? Verstehste?“, 2017. Foto: Katrin Schander

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Goethe-Institut unterstützt die Produktion und nach der Premiere im Frankfurter Theaterhaus sind die Aufführungen in Yaounde und Douala der Höhepunkt der Zusammenarbeit. Und auf dem Schulhof in Douala steht nach der Aufführung wie von Geisterhand ein anderer Pick-up, der die Bühnenrequisiten aufnimmt und mit uns weiter zum nächsten Auftritt fährt. Die Reise geht weiter. Der dunkle Ölfleck bleibt.

Frankfurt – Kapstadt: meet the world of theatre for young audiences Das afrikanische Experiment wird für uns noch weitergeführt mit der Einladung von „Anziehsachen“ nach Kapstadt 2017. Der Weltkongress der ASSITEJ mit seinen Aufführungen und Meetings, Diskussionen und Koproduktionen verdeutlicht auf diskursiver Ebene, wie sich die verschiedenen Welten der Theaterszene für junges Publikum verbinden: Die afrikanischen Kolleg*innen diskutieren genauso über Geschlechtergerechtigkeit wie die europäischen, das Thema Flucht und Vertreibung ist in Südafrika 2017 mindestens so virulent wie in Europa und trifft eine viel ärmere Bevölkerung. Alle Teilnehmer*innen des Kongresses gemeinsam sehen für das Kindertheater eine wichtige politische Funktion: etwas zu tun für die Bildung und die Entwicklung der Zivilgesellschaft. „Fair cooperation?“ wird ein Thema der internationalen ASSITEJ. Alle fühlen sich als Teil einer weltweiten Gemeinschaft der Theaterkunst, die die politischen und ökonomischen Unterschiede und die daraus resultierenden Arbeitsbedingungen zwar sehen, die aber auch an deren Überwindung arbeiten: In den eigenen Köpfen, aber auch in den künstlerischen Arbeiten, die alle weiterhin in ihren Ländern machen. Die geknüpften Kontakte bleiben – auch dank Social Media – aktiv. Auch Starke Stücke hat daraus Konsequenzen gezogen und sich schon 2016 bewusst für Theater aus Afrika geöffnet. Durchaus ein schwieriges Unterfangen: Eine restriktive Visapolitik in Europa erschwert Begegnungen ganz bewusst. Doch nachdem der jungen Gruppe Kininso Koncepts aus Ni-

geria noch 2017 die Visa verweigert wurden, konnte das Festival mit vereinten Kräften die Vorstellungen im darauf folgenden Jahr 2018 möglich machen. Ein Beispiel für die Möglichkeit des politischen und sehr konkreten Handelns.

Theaterhaus Ensemble: „Anziehsachen“, 2010. Foto: Katrin Schander

Frankfurt-Ostend: back home Wieder zurück von einer Reise ist es natürlich die wichtigste Aufgabe, die Erfahrungen nicht in das Regal für Souvenirs zu stellen, sondern in neue Arbeit umzusetzen. Welche Verbindungen halten und welche lösen sich? Welche entwickeln sich weiter und werden zu Knotenpunkten eines starken Netzwerkes, das sich immer weiter verästelt? Und wie werden daraus neue Ideen für neue Theaterkunst, die vor Ort ihren Ausdruck findet? In Festivalaufführungen und Eigenproduktionen, international und regional, bei Starke Stücke und im Theaterhaus Frankfurt. Die Reise geht weiter! Susanne Freiling ist Dramaturgin, künstlerische Leiterin des Frankfurter Theaterhaus Ensembles sowie Teil der StarkeStücke-Festivalleitung.

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Junge Bühne im alten Zoo? Fragen von Wolfgang Schneider an die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig

Wolfgang Schneider: Warum braucht Frankfurt am Main ein städtisches Kinder- und Jugendtheater? Ina Hartwig: Schlicht und einfach: weil es bislang fehlt. Frankfurt am Main ist eine bedeutende Kulturstadt – im Bereich des Kinder- und Jugendtheaters besteht aber Nachholbedarf. Die darstellenden Künste für junges Publikum gewinnen in den letzten Jahren deutschland- und europaweit an Bedeutung und Wertschätzung. Erste Theatererfahrungen sollten viele Sparten umfassen können und künstlerisch herausragend sein. Die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen an Kultur und künstlerischen Prozessen ist eine ganz wichtige kulturpolitische Aufgabe. Neugierde und das kreative Potential müssen im Kindesalter geweckt werden, dann bleiben sie ein Leben lang wach. Und genau das muss in Zukunft noch sehr viel stärker ermöglicht werden als bisher. Schneider: Der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung von 2017 regt an, als Orientierungshilfe für ein städtisches Kinder- und Jugendtheater „ähnliche Einrichtungen wie in Stuttgart oder Berlin“ zu nutzen. Was haben die Besuche und Recherchen ergeben? Hartwig: Es gibt mehrere Referenzprojekte in Deutschland, an denen wir uns orientiert haben, ergänzt durch Betrachtungen bedeutender europäischer Spiel- und Produktionsstätten. Frankfurt hat jetzt die Gelegenheit, zu vergleichbaren Großstädten wie Stuttgart, Leipzig oder Dresden aufzuschließen. Diese haben sich im letzten Jahrzehnt für Neuoder Umbauten ihrer Kinder- und Jugendtheater entschieden und geben unserem Vorhaben wertvolle Impulse. Unsere Besuche in diesen und vergleichbaren Häusern sowie den großen Flaggschiffen in Berlin untermauern fachliche, technische und strukturelle Überlegungen.

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Schneider: Junge Bühne im alten Zoo, so ist die derzeitige Planung zu verstehen. Was spricht für diesen Ort für ein neues städtisches Kinder- und Jugendtheater? Hartwig: Ein Kinder- und Jugendtheater an dieser Stelle ist eine große Chance für unsere Stadt, von der sowohl das Theater als auch der Zoo profitieren würden. Einen familienfreundlicheren Ort in Frankfurt als den Zoo gibt es nicht. Nur dort ist ein Brückenschlag zwischen Natur und Kultur möglich. Mit der Einrichtung eines eigenständigen Kinder- und Jugendtheaters, der damit verbundenen Sanierung des Zoogesellschaftshauses und der Weiterentwicklung des Zoos ergibt sich die einmalige Chance, einen Schwerpunkt für generationsübergreifende Familienkultur im Osten der Innenstadt nachhaltig herauszubilden. Darüber hinaus ist das Zoogesellschaftshaus hervorragend zu erreichen und in vielerlei Hinsicht ein idealer Standort. Schneider: Welche Auswirkungen hat jener Bericht, der von Ihrem Vorgänger im Amt berufenen Perspektivkommission für die Weiterentwicklung der Frankfurter Theaterlandschaft für die darstellenden Künste für junges Publikum? Hartwig: Auch dieser Bericht hat auf die Notwendigkeit eines neuen, eigenständigen Produktionsortes mit einer angemessenen Ausstattung hingewiesen und eine solche Einrichtung gefordert – insofern ist auch ihm ein Impuls zur Aufnahme der derzeitigen Planungen zu verdanken. Schneider: Wie wollen Sie die Nachhaltigkeit eines städtischen Kinder- und Jugendtheaters sichern, damit dieses in wirtschaftlichen Krisenzeiten nicht von Kürzungen im Kulturetat bedroht ist – wie das unter einem früheren Oberbürgermeister der Fall war, der in einer Haushaltsdebatte davon sprach, dass auch „die Kultur bluten müsse“, worauf das ge-


rade im Volksbildungsheim etablierte Theater für junges Publikum wieder geschlossen wurde? Hartwig: Das neue Haus muss mit einem auskömmlichen Etat ausgestattet werden, die Arbeitsbedingungen sollten sich an den Forderungen des Ensemble-Netzwerkes orientieren. Wir können kein Kinder- und Jugendtheater ins Leben rufen, ohne für das Personal die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu sichern. Schneider: Frankfurt am Main muss seine Städtischen Bühnen sanieren. In der Diskussion ist auch der Standort, erstaunlicherweise weniger die Reflexion darüber, welches Theater in der Zukunft gebraucht wird, welcher Räume es bedarf und wie sich das Publikum entwickeln soll. Welche Rolle könnte in diesem Zusammenhang Kinder- und Jugendtheater spielen? Hartwig: Sie stimmen sicher mit mir überein, dass das Kinder- und Jugendtheater im Hinblick auf Dimension, Kosten und Zeithorizont doch ein anderes Projekt ist als die Sanierung der Städtischen Bühnen. Schneider: Frankfurt am Main ist die Stadt, in der das kulturpolitische Modell „Kultur für alle“ begründet wurde. Wie soll Kinder- und Jugendtheater sein Publikum erreichen, in aller Breite der Bevölkerung? Hartwig: Frankfurt ist eine wachsende Stadt, in der mehr und mehr Kinder aus aller Welt leben. Zusammen mit den Kindern und Jugendlichen aus der Region haben sie ein in der Hessischen Verfassung verbrieftes Recht auf Zugang und Teilhabe auch an den darstellenden Künsten. Das derzeitige Angebot kann die Nachfrage nicht abdecken. Nur etwa 15 Prozent der jungen Menschen in Deutschland haben laut Angaben des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der

Bundesrepublik Deutschland Zugang zum Theater. In Frankfurt stellt sich die Situation ähnlich dar. Ich wünsche mir daher ein Theater als einen Ort für alle Kinder und Jugendlichen aus Stadt und Region, einen Ort der Teilhabe, der Erfahrungen ermöglicht mit den darstellenden Künsten und dem Prozess des Theatermachens. Damit würde das Kinder- und Jugendtheater eine grundsätzliche Antwort auf die Bedürfnisse der Menschen in dieser so schnell wachsenden Region geben. Es wäre ein gutes, wichtiges Signal!

Zoo Gesellschaftshaus Frankfurt am Main, Foto: Stefan Maurer

Schneider: Um überhaupt allen Frankfurter Kindern und Jugendlichen ein Mal im Jahr ein Theatererlebnis zu ermöglichen, braucht es viel mehr Angebote in den darstellenden Künsten. Wird es neben dem städtischen Kinder- und Jugendtheater auch ein städtisches Kinder- und Jugendtheater-Konzept geben und welche Überlegungen sollten hierzu gemacht werden? Hartwig: Konzeptionelle Überlegungen sind grundsätzlich zu begrüßen, auch im Bereich des Kinder- und Jugendtheaters und der Neuausrichtung eines Genres. Das neue Haus soll die Möglichkeit bieten zu kooperieren. Es soll ein offenes Haus sein. Es geht weniger um Konkurrenz als um Kooperation. Ich bin überzeugt davon, dass ein gelingendes Miteinander vorhandener Akteure und des neuen Hauses zugunsten aller Kinder und Jugendlicher in Frankfurt und der Region erreicht werden kann. Schneider: Kinder- und Jugendtheater hat eine jüngere Geschichte, die auf Emanzipation und Partizipation setzt, die

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das Kollektive in der Produktion und das Vermittelnde in der Rezeption ausdifferenziert hat. Wie wollen Sie gewährleisten, dass dafür qualifiziertes Personal zur Verfügung steht? Hartwig: Akademien, Fachhochschulen, Universitäten und die Theater selbst bilden hervorragendes Personal aus und ich bin optimistisch, dass Frankfurt ein attraktiver Ort ist, um hier im Bereich des Kinder- und Jugendtheaters zu arbeiten. Schneider: Welche kommunalen Partner braucht ein städtisches Kinder- und Jugendtheater, wie muss es regional vernetzt sein und wie sollte es sich in einer internationalen Stadt global positionieren? Hartwig: Das neue Kinder- und Jugendtheater braucht die Unterstützung der städtischen Gremien, wir suchen die Zusammenarbeit mit der Region und hoffen auf die Unterstützung der Hessischen Landesregierung, denn auch die Region würde enorm von dem Kinder- und Jugendtheater profitieren. Schneider: In der deutschen Theaterlandschaft werden die Strukturen der Apparate eher kritisch gesehen, die Macht von Intendanzen scheint obsolet, die Aufteilung in Kunst, Technik und Verwaltung ineffektiv zu sein. Wie soll die Betriebsstruktur des städtischen Kinder- und Jugendtheaters aussehen? Und könnte es nicht auch Modell werden für das neue Theatermachen? Hartwig: Über die Betriebsstruktur entscheiden die Träger des Hauses in ihren Gremien, diese Entscheidung bleibt abzuwarten. Aber ein Haus mit Modellcharakter, ein Pilotprojekt, mit Gründungselan und Pioniergeist ist wünschenswert und sollte sich im Wettstreit der besten Ideen etablieren.

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Schneider: Welche Rolle soll nach 25 Jahren dezentraler Distribution das Internationale Kinder- und Jugendtheaterfestival Starke Stücke zukünftig für Frankfurt am Main spielen? Hartwig: Die dezentrale Struktur ist doch gerade eine besondere Stärke des Starke-Stücke-Festivals, deswegen muss sie erhalten bleiben. Allerdings: Ohne Frankfurt als Nukleus würde das Festival sicher nicht so erfolgreich sein. Schneider: Das städtische Kinder- und Jugendtheater steht schon lange auf der politischen Agenda. Die Kinder, denen es versprochen wurde, sind mittlerweile schon Jugendliche. Wann wird es denn endlich eröffnet? Hartwig: Ich möchte, dass baldmöglichst im Zoogesellschaftshaus ein Kinder- und Jugendtheater für das 21. Jahrhundert entsteht.

Wolfgang Schneider ist Direktor des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim und Ehrenpräsident der Internationalen Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche (ASSITEJ).


Detlef Köhler

Vo m Wu n s c h , b e e i n d r u c k t z u w e r d e n Stärken, Qualitäten, Kriterien des Theaters für junges Publikum

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Performing Group, Köln (D): „Chalk about“, 2015. Foto: Pipo Tafel

„Was sind die Kriterien für die Auswahl?“ Diese und ähnliche Fragen werden gestellt, seit es Festivals der darstellenden Künste und Theatertreffen gibt. Sie sind auch für das Internationale Theaterfestival für junges Publikum Rhein-Main Starke Stücke grundlegend. In diesen Fragen verknüpfen sich verschiedene Ebenen: das Zielpublikum und seine Besonderheiten, die ästhetische Ausrichtung und die organisatorische Struktur, die Entscheidungen unter Einbeziehung der regionalen Strukturen beeinflussen.

Schon in der Namensgebung werden bestimmte Kriterien und Qualitäten ausgewiesen: Internationalität, junges Publikum und die Region Frankfurt Rhein-Main. Im Namen wird benannt, was schon immer im Mittelpunkt des Festivals stand: das Publikum, hier insbesondere das junge Publikum, zuallererst Kinder und Jugendliche, aber auch alle Menschen, die sich im Theater zuhause und wohlfühlen. Ein Festival, das sich wesentlich an das Publikum wendet, unterliegt anderen Kriterien als ein Theatertreffen, das die herausragenden oder

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richtungsweisenden Produktionen einer Fachöffentlichkeit präsentieren will. Starke Stücke wendet sich an ein altersdifferenziertes Publikum. Dadurch werden unterschiedliche Ansprachen notwendig. Starke Stücke markiert Produktionen für verschiedene Altersgruppen grafisch mit verschiedenfarbigen Nashörnern. Viele Vorstellungen und Produktionen sind aber mit einer Farbe nicht zu erfassen. Deshalb wurde das Streifennashorn erfunden: ein Zeichen für tout public, all in, für alle Altersgruppen. Dieses Zeichen würden wir als Starke-Stücke-Planungsteam gerne so oft wie möglich vergeben, zeigt es doch, Décor Sonore, Paris (F): „Urbaphonix“, 2015. Foto: Vincent Muteau

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dass ein Stück eine hohe Zugänglichkeit für alle Zuschauer*innen anbietet. Interessanterweise wird dieses Streifennashorn oft an Produktionen vergeben, in denen ohne Sprache starke Geschichten erzählt werden. Die Bildhaftigkeit und die Körperlichkeit dieser darstellenden Theaterstücke geben den Zuschauer*innen, den jungen wie den alten, Raum für eigene Assoziationen, Interpretationen und Emotionen und sind damit Werken der bildenden Kunst nahe. Solche Theaterstücke versuchen nicht etwa, sich einem breiten, generationenübergreifenden Publikum anzubiedern, sondern ermöglichen es, einen interessanten, spannenden, berührenden und beeindruckenden Zugang zu entwickeln.


La Baracca-Testoni Ragazzi, Bologna (IT): „On-Off“, 2018. Foto: Francesca Nerattini

Das Publikum steht im Mittelpunkt Das Publikum in den Mittelpunkt zu stellen, bedeutet auch, mit den eingeladenen Theaterproduktionen dahin zu gehen, wo das junge Publikum lebt, da dieses in der Regel nicht über die gleiche Mobilität verfügt wie andere Zuschauer*innengruppen. Diese Orte sind nur im günstigsten Falle ausgewiesene Theaterspielstätten, die die entsprechenden räumlichen und technischen Bedingungen bereitstellen. Häufig sind es multifunktionale Orte, der Gemeinderaum mit dem bunten Fenstermosaik oder das Kinderhaus mit ebenso unzureichender Verdunkelung. Diese Räume werden sowohl für Theater und kulturelle Bildung als auch für sportliche Aktivitäten, Bildungsaufgaben und soziale Begegnungen genutzt. Die eingeladenen Theaterkompanien sollen in der Lage sein, mit diesen Bedingungen umzugehen. Meist fällt dies freien Theaterproduktionen, die mobile Inszenierungen entwerfen, leichter. Das Publikum besteht in der Regel aus einer bestimmten Altersgruppe und bringt einen ganz unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergrund mit. So stellt sich für jede eingeladene Theaterproduktion die Frage, wie der

sprachliche und ästhetische Transfer vor Ort gelingen kann. Die Programmentscheidungen fallen hier oft zugunsten von Tanztheaterproduktionen, da Körpersprache als universaler empfunden wird. Trotzdem gibt es immer wieder Versuche, mit besonderen Formen des Transfers sowohl die Ästhetik als auch die Geschichten der internationalen Produktionen so zu erhalten, dass das Stück für das Publikum verständlich wird. Im ersten Wort des Titels ist die Internationalität des Festivals benannt, eines der wichtigen Kriterien für Starke Stücke. Die Metropolregion Rhein-Main mit dem Zentrum Frankfurt ist sich der Internationalität ihrer Bevölkerung bewusst und rühmt sich dessen. Starke Stücke versucht, diese Internationalität immer mehr im Programm abzubilden. Die Organisator*innen des Festivals stehen in der Planung und Vorbereitung sowohl in engem Austausch mit anderen Regionen und internationalen Festivals in Deutschland als auch in Kontakt mit den Kurator*innen von Festivals auf der ganzen Welt. In der Regel wird das kontinuierliche Jahresprogramm der beteiligten Veranstalter aus dem regionalen und deutschlandweiten Theaterangebot zusammengestellt. Den

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Jahresprogrammen soll, so die gemeinsame Übereinkunft, Starke Stücke das Sahnehäubchen, das Außergewöhnliche, das Highlight, das Besondere verpassen.

Diversität als Diskurs Internationalität soll dabei nicht zu einer inhaltsleeren Phrase werden. Mit den Sichtungsreisen zu internationalen Festivals erweitert nicht nur der Kreis der Beteiligten seinen Horizont; die Einladung von Theatergruppen aus der ganzen Cie Philippe Saire, Lausanne (CH): „Hocus Pocus“, 2019. Foto: Philippe Weissbrodt

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Welt versetzt auch das junge Publikum in Kontakt mit Künstler*innen, die aus fremden Ländern kommen und manchmal sogar weltweit unterwegs sind. Der intensive Kontakt mit dem Fremden, der mit dem Erleben eines Theaterstückes möglich ist, weil die Zuschauer*innen den handelnden Figuren der Vorstellung empathisch folgen, macht Fremde nahbar und ermöglicht ambivalente Sichtweisen, gerade für ein Publikum, das in der Rhein-Main-Region divers ist. Wir wissen aus der Forschung, dass Kinder, die bereits sehr früh in Kon-


De Dansers, Utrecht (NL): „Innenbiest“, 2018. Foto: Moon Saris

takt mit Kunst und Kultur geraten, auch in ihrem späteren Leben eine hohe Affinität dazu entwickeln. Den gleichen Prozess behaupte ich besten Gewissens für den Kontakt mit dem Fremden. Die Irritation, das Nichtverstehen, der Umstand, dass manches fremd bleibt, dass ein Stück Fragen aufwirft, die sich der schnellen Beantwortung entziehen, ist zweifelsohne ein Kriterium dafür, dass ein Theaterstück in den Rang eines Starken Stückes kommt. Das Festival möchte mit der Auswahl und der Präsentation des Programms Anregungen geben, Zeichen setzen, motivieren und hinweisen auf besondere Entwicklungen, auf bestimmte Formen, auf das Neue. Die unermüdliche Jagd nach dem Neuen, dem noch nie Gesehenen, ist für diejenigen, die für Festivals recherchieren, sichten, unterwegs sind und Vorschläge für ein Programm erstellen, ein Teil des Antriebs und der Motivation. Die Grundlage dieser Motivation ist der Wunsch, beeindruckt zu werden. Was bedeutet es, beeindruckt zu werden? Voraussetzung ist der Versuch, unvoreingenommen gegenüber dem Theatererlebnis zu sein. Natürlich ist eine Sichtung nie neutral. Alle möglichen Befindlichkeiten spielen eine Rolle. Wie

war die Reise? Wie viel Kontextwissen habe ich? Wie viel verstehe ich sprachlich? Wie ist meine Tagesform? Kenne ich die Geschichte, das Buch, das Stück? Welche Sympathie hege ich den Spieler*innen gegenüber? Wie habe ich mich persönlich als Zuschauer gefühlt? Diese Fragen müssen bei der fachlichen Analyse des Gesehenen berücksichtigt werden. Diese Fragen werden schließlich durch die Einordnung von Genre, Relevanz, Absicht und Form ergänzt. The Train Theatre, Jerusalem (IL): „Tailor Made“, 2017. Foto: Dor Kedmi

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oben: Polina Borisova, Toulouse (F): „Go!“, 2016. Foto: Patrick Parédes unten: Vélo Théâtre, Apt (F): „Der Frosch am Grunde des Brunnens glaubt, der Himmel sei rund“, 2017. Foto: Sylvain Scubbi

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Ein Festival als Fortbildung in ästhetischer Bildung Für die Auswahl potentieller Festvialstücke gilt es, die verschiedenen Sichtweisen (der Veranstalter, des kritischen Kurators, des Publikums) einzunehmen und zwischen ihnen zu differenzieren. Die Perspektive junger Zuschauer*innen zu antizipieren, ist schwer, aber nicht unmöglich und wird durch den persönlichen Kontakt und die eigene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen verschiedener Altersgruppen erleichtert. Um die Perspektive der Veranstalter*innen einnehmen zu können, muss man die Orte und ihre Bedingungen und besondere Struktur kennen, die es innerhalb der Programmkommission gibt. Dieses Gremium kann mit gutem Gewissen als Ort der interkulturellen Diskussion betrachtet werden: Oft werden in den Diskussionen Sichtweisen deutlich, die bei aller Anstrengung zum Perspektivwechsel nicht bedacht wurden. Der Dialog und der Austausch an dieser Stelle schärft umgekehrt den Blick derer, die sichten und bei der Programmgestaltung mitwirken. Dieser Kreis ist in den vergangenen Jahren angewachsen; hier werden Erfahrungen gesammelt, die die Starke-Stücke-Auswahl nachhaltig beeinflussen. Mit jeder erlebten Vorstellung verändert sich der Erfahrungsschatz, auf dessen Grundlage die Entscheidungen vorgenommen werden. Eine weitere wichtige Perspektive ist die der Multiplikator*innen aus der Schule bzw. der Kindereinrichtung. Auch von dieser Seite wird die Erwartung an Starke Stücke herangetragen, besonderes und außergewöhnliches Theater zu präsentieren. Dies bezieht sich sowohl auf die Spielweisen als auch auf Formate oder Geschichten. Starke Stücke wird in diesem Kontext als Fortbildungsinstitution wahrgenommen. Das Festival versucht deswegen in verschiedene Richtungen wirksam zu werden. Neben den zahlreichen Vermittlungsformaten, die im Kontext von Starke Stücke entstanden sind, ist der Kern des Festivals auch in dieser Hinsicht die einzelne Theaterproduktion, die in Vorstellungen an verschiedenen Orten gezeigt wird. Teil ästhetischer Bildung ist das Kennenlernen neuer kultureller Formen.


Die jungen wie die alten Zuschauer*innen sollen gefordert sein, ihr selbstverständliches Wissen über Theater zu erweitern und zu hinterfragen. Aber auch die Veranstalter*innen und die Theaterschaffenden der Region erhalten Anregungen für die eigene Arbeit. Damit wird das Festival zu einem wichtigen Impulsgeber. Diese Prozesse der Zuschauer*innenentwicklung und ästhetischen Bildung dynamisch zu gestalten, ist nicht immer ganz einfach, da sie langfristig ausgerichtet sind, die junge Zielgruppe als Publikum ihnen aber schnell entwächst. Die Kriterien für die Stückauswahl sind vielfältig und manchmal sogar widersprüchlich, sie sind so divers wie die Gesellschaft und das Publikum, für das die Theatervorstellungen gezeigt werden. Die Pflege des Theaters für junges Publikum in der Region ist eine Herausforderung, die in den vergangenen Jahren in vertrauensvollen Netzwerken mit Rücksicht und Hingebung geleistet wurde.

Detlef Köhler ist künstlerischer Berater und Teil der Festivalleitung von Starke Stücke.

Studio ORKA, Gent (BE): „Jacobsnase“, 2014. Foto: Fred Debrock

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Ute Bansemir

Selbstermächtigendes Theater und eine Ästhetik der Fürsorge Gedanken aus dem Alltag von theaterperipherie über ein Kinder- und Jugendtheater für alle Warum tust du dir das an? Warum sucht ihr nicht einfach professionelle Schauspieler*innen? Die haben genug Zeit und Energie, behalten Geld- und andere Probleme für sich, die wissen, wie man mit Druck umgeht, beherrschen das Sprechen und Bewegen auf der Bühne und verstehen, was du erzählen willst – ohne die ganzen Nebenschauplätze. Deine Arbeit ist ja eher pädagogisch als künstlerisch. Du kannst doch viel mehr. Du musst deine künstlerischen Ideen immer an deine Darsteller*innen anpassen! Wäre es nicht schön, wenn die Darsteller*innen deine Ideen einfach umsetzten? Das sind nur einige Reaktionen, die ich seit zehn Jahren als Regisseurin bei theaterperipherie oft aus meinem persönlichen Umfeld, aber besonders auch von Kolleg*innenseite zu hören bekomme. Nein, das wäre nicht schön, wenn die Darsteller*innen einfach ein Konzept umsetzen. Diese „Anpassung“ der künstlerischen Ideen an die Darsteller*innen ist zwar manchmal anstrengend für das künstlerische Gehirn und gelingt bei weitem nicht in jeder Inszenierung, aber sie ist für mich der einzig denkbare Weg, das Theater mit seinen leider immer noch bestehenden, vielfältigen Zugangsbarrieren in seinen Eigenschaften und Potentialen wirklich zu nutzen: Das Theater für alle wirklich ins Spiel zu bringen als ein Medium, das Menschen gleichzeitig, aber nicht virtuell, in eine gemeinsame Auseinandersetzung und ein gemeinsames Erleben zu und von einem Thema bzw. einer Geschichte bringt. Dafür liebe ich das Theater und halte es in der Gegenwart – in einer Zeit der kollektiven Identitätssuche – vor allem für ein junges Publikum für das Medium, das am wichtigsten, schönsten ist, am meisten bereichert. Ich habe deshalb Stadt- und Staatstheater verlassen und schlage mich jetzt bei theaterperipherie mit – womit eigentlich? – dem Leben und seinen individuellen Bedingtheiten herum. Aber einen einfacheren Weg gibt es nicht. Denn worum geht es im Theater? Um Identität und darum, sie zu theaterperipherie: „Ich rufe meine Brüder“, 2014. Foto: Seweryn Zelazny

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finden, um Konstruktionen, Zuschreibungen, um das Verhältnis des Einzelnen gegenüber einer Gruppe, um Fragen von Zusammengehörigkeit und Ausgrenzung, um Versuchsanordnungen des Zusammenlebens, um Utopien. Um das Leben und eine kollektive Verhandlung darüber. theaterperipherie wurde 2008 von Alexander Brill, der zuvor 25 Jahre lang den Laienclub am Schauspiel Frankfurt leitete, gegründet und arbeitet seitdem vor allem mit sogenannten Laiendarsteller*innen, die meist im Alter von 14 bis 35 Jahren sind und aus ganz unterschiedlichen kulturellen wie sozialen Kontexten kommen. Ein großer Jugendclub oder ein pädagogisches Projekt ist es dennoch nicht, auch wenn sich durchweg zeigt, dass das Mitwirken in einer Inszenierung durchaus pädagogisch wertvolle Effekte haben kann. Eine empowernde Wirkung für die Darsteller*innen sei bei Gelingen der Produktion vorausgesetzt, aber hier wollen unsere Inszenierungen nicht stehen bleiben: Ziel ist es, die selbstermächtigenden Potentiale des Theaters auch für die Zuschauer*innen zu entfalten. So schrieb Esther Boldt über das 2013 in meiner Regie entstandene Stück „Supergrrrls“: „Fünf Frauen erklären furios und facettenreich, wie sie sich und die Welt sehen. (…) In einer offenen und klugen, lustigen und lauten, aber auch zornigen Atmosphäre verhandeln die fünf Frauen, was sie als Frauen vom Leben wollen. (…) sie deklinieren gesellschaftliche Zuschreibungen durch und knocken sie mit immer neuen Verkleidungen und Verwandlungen lustvoll aus. Und das Theater zeigt sich von einer erstaunlichen Seite: als Selbstermächtigungs- und Selbstermutigungsanstalt. (…) das macht sehr viel Freude – und sehr viel Sinn.“

Die Frage nach Themenwahl und Darstellungsform Die Besucher*innen von theaterperipherie sind mit ca. siebzig Prozent vor allem Jugendliche und junge Erwachsene. In seinem Profil richtet es sich aber an alle Menschen, denen das Medium Theater bislang eher fremd ist oder die sich schlicht auf den meisten Bühnen nicht repräsentiert sehen:

Das betrifft die Themenwahl, aber insbesondere auch die Darstellungsform und – nicht zu vergessen – scheinbar ganz nebensächliche Fakten wie Ticketpreise, Aufführungsort und auch die Atmosphäre im weitesten Sinne. Die Darstellungsweise ist eng mit der Frage verknüpft, wer auf der Bühne agiert. Es geht darum, wer, was und wie unter welchen Rahmenbedingungen im Theater macht und spielt. Mit diesen Fragestellungen im Gepäck entwickelte sich theaterperipherie von einem Theater, das vor allem Themen der Einwanderungsgesellschaft bespielte, zu einem Theater, das einen Raum schaffen will für all das, was auf anderen Bühnen nur in Sondersparten wie Bürgerbühnen oder während spezieller Thementage wie Interkulturellen Wochen behandelt wird oder gleich an der scheinbaren Unmöglichkeit innerhalb des Theaterbetriebs scheitert, obwohl diese Themen (wie z. B. Identität zwischen den Kulturen, Heimat, Rassismus, Geschlechterrollen) doch einen Großteil unserer Gesellschaft – insbesondere die Jugend – betreffen. Es geht nicht darum, dass das Theater die Lebenswirklichkeit der jungen Menschen nachahmen, sie irgendwie zart „abholen“ soll, sondern

theaterperipherie: „Supergrrrls“, 2013. Foto: Seweryn Zelazny

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nen Änderungen. Diese Bedingungen müssen in die Form der Inszenierung aufgenommen werden. So entstand 2017 „Riot mumsss“ mit fünf jungen Müttern und deren Kindern im Alter von einem bis vier Jahren, einer Choreografin, mir und meinem eigenen Kind. Wir hatten Kopfschmerzen, wir haben den Faden verloren, wir wollten aufgeben, aber an dieser Stelle ist es meine Aufgabe als Regisseurin, mit meinem Handwerk eine Form zu finden, die die Bedingungen des Mutterseins für die Erarbeitung einer Inszenierung nicht als Defizit erscheinen lässt oder versucht die Schwierigkeiten dabei zu verstecken. Denn genau um diese Zerrissenheit geht es doch. Ich erarbeitete für die Inszenierung also die Form der andauernden Unterbrechung. „Dieses Nebeneinander von Kindern und Arbeiten, von Kleinigkeiten und Kunst zu zeigen, ist mutig und trifft den Kern: Es ist wie im richtigen Leben.“ theaterperipherie:

dass die Glaubhaftigkeit der Darsteller*innen oder die Form

„Riot Mumss“, 2017. ihrer Darstellung überzeugen. Foto: Daniel Wiedenhofer

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Will man – um das Beispiel zu nennen, bei dem ich am meisten Gegenwind bezüglich der Realisierbarkeit erlebt habe – ein Stück über junge Mütter und deren Zerrissenheiten machen, ist es nicht sinnvoll, Schauspielerinnen zu besetzen, die es gewohnt sind, das Spagat zwischen Beruf und Muttersein zu verstecken, und meist auch die Privilegien haben, die dieses an sich schon zermürbende Verstecken überhaupt ermöglichen. An den Kern der Konflikte kommt man dann, wenn man wagt zu behaupten, es können alle Mütter, egal mit welchem Hintergrund, über ihr Muttersein erzählen, also besetzt werden. Das geht natürlich nur dann, wenn man die Kinder und damit auch die Care-Arbeit der Mütter mit in die Proben integriert. Es ist unschwer, sich vorzustellen, dass die Proben mit jungen Müttern und ihren Kindern anders ablaufen, als man sich Proben für gewöhnlich vorstellt. Es muss darüber verhandelt werden, wie die Betreuung der Kinder unter den Müttern und dem Team aufgeteilt wird. Es kommt zu Verspätungen, Unterbrechungen, sponta-

Potentiale fehlender Professionalisierung Anstrengend? Ja, aber es kann einem als Regisseurin doch nichts Besseres passieren, als dass sich die Form durch den Inhalt und die Besetzung einfach zwingend ergibt und man schlicht die Übersetzung dieser Bedingungen für das Medium Theater sucht und so scheinbar Unmögliches plötzlich sein Potential zeigt. Hier ein ästhetisches Erlebnis für das Publikum in Abrede zu stellen, weil sich eine Ästhetik zwingend aufdrängt, trennt in falschem Sinne Inhalt und Form voneinander, obwohl sie doch zwingend verbunden sind. Eine solche Ästhetik der Fürsorge versuche ich in jeder Produktion jeweils neu angepasst an Thema und Ensemble zu entwickeln, so dass es den Darsteller*innen mit und gerade nicht trotz den jeweiligen Probenbedingungen und natürlich auch der fehlenden Professionalisierung möglich ist, ins Spiel und zu einem theatralen Ausdruck zu kommen. Für die Produktion „Rettung“ (2018) von theaterperipherie, in der mit jugendlichen Geflüchteten gearbeitet wurde, musste ein Setting gefunden werden, das die in


theaterperipherie: „Rettung“, 2018. Foto: Seweryn Zelazny

Deutschland gemachten Erfahrungen der Jugendlichen erzählt, die Jugendlichen aber aus ihrer Sprach-, Kontakt- und Machtlosigkeit erst einmal befreit, von der sie zu berichten hatten. Letztlich spielen sie nun fünf Wissenschaftler*innen von weit her, die Deutschland unter die Lupe nehmen, indem sie Interviews führen und so Deutschland aus ihrer Perspektive begreiflich machen. Es wurde also eine Umkehrung dessen gefunden, was sie tagtäglich an Machtgefälle erleben. Obwohl eine starke künstlerische Übersetzung stattfand und sie sehr stilisierte Figuren spielen, gelingt es so, dass sie ihre Erfahrungen teilen und sich souverän und selbstverständlich auf der Bühne bewegen können. In „Ich rufe meine Brüder“ (2014) wiederum – die Geschichte des tunesischstämmigen Amors, der sich eines Attentates auf ein Auto verdächtigt sieht, sich in Erinnerungsfetzen an Erfahrungen von Fremdheit und Ausgrenzung durch sein Gedächtnis wühlt – besteht das Bühnenbild aus einem riesigen Autoreifenberg, mit dessen Beschaffenheit das Ensemble während der ganzen Vorstellung zu kämpfen hat. So wird eine Bühnenrealität geschaffen, die es den Darsteller*innen möglich macht – jenseits von psychologischer Einfühlung – allein mit Körperarbeit zu einem Ausdruck zu kommen. Körperliche Missgeschicke und Unsicherheiten sind keine Fehler, sondern bestimmen maßgeblich die Inszenierung.

Mit einer Ästhetik der Fürsorge kann in den Inszenierungen also jeweils ein Freiraum zum Spiel für die unerfahrenen Darsteller*innen geschaffen werden: ein Freiraum, der auch für das junge Publikum spürbar wird, weil er erkämpft werden musste und nicht einfach da war. Damit gibt die professionelle Theaterarbeit mit Laiendarsteller*innen eine Möglichkeit für ein Kinder- und Jugendtheater für alle und eröffnet neue selbstermächtigende Räume und Wege für die jungen Zuschauer*innen, die nicht darauf warten können, bis die deutsche Theaterlandschaft sich an veränderte gesellschaftliche Bedingungen angepasst hat. Weil Anpassung ja anstrengend ist und man sich mit den Nebenschauplätzen des Lebens im Elfenbeinturm nicht so gerne herumschlägt.

Ute Bansemir ist freie Regisseurin, Theaterpädagogin und Leiterin von theaterperipherie.

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Philipp Schulte

Ich frage mich, warum wir uns schon wieder nicht gemerkt haben, wie alt ihr eigentlich seid Impulse für ein zeitgenössisches Kinder- und Jugendtheater von der Gießener Theaterwissenschaft

Dieser Artikel hat noch nicht richtig angefangen, schon enthält er eine Vermessenheit: seinen Untertitel. Denn was hier als Gießener Impulse beschrieben und somit dem berühmtberüchtigten Institut für Angewandte Theaterwissenschaft zugeschrieben wird, kann weder als exklusiv für den seit 1982 existierenden Performance-Studiengang beschrieben werden noch ist das Theater für junges Publikum dort erfunden worden. Und dennoch lässt sich, ganz ohne Vermessenheit, feststellen, dass gewisse ästhetische Suchbewegungen und formale Herausforderungen in der beschaulichen Kleinstadt in Mittelhessen nun seit bald vierzig Jahren ein Zuhause haben und von dort aus die Entwicklung deutschsprachigen Theaters beeinflussen – und damit nicht zuletzt auch das deutschsprachige Kinder- und Jugendtheater. Im Folgenden werden einige dieser impulsgebenden, manche würden sagen: postdramatischen Tendenzen – teilweise längst verbreitet, teilweise noch lange nicht – kurz erörtert. Als Referenz dienen drei Performances von Absolvent*innen des Gießener Instituts, die in den vergangenen gut zehn Jahren entstanden sind. Es handelt sich um drei sehr unterschiedliche Positionen, anhand derer sich aber einige ästhetische Entwicklungen eines möglichen zeitgenössischen Kinder- und Jugendtheaters, das informiert ist über eine Performancekunst seit den 1960er Jahren, sichtbar machen lassen. Nicht ausgelassen werden kann dabei Otfried Preußlers „Der Räuber Hotzenplotz“ in der Fassung der Gruppe Showcase Beat Le Mot, bereits von 2007. Das vierköpfige Kollektiv – Nikola Duric, Thorsten Eibeler, Dariusz Kostyra und Veit Sprenger – hat sich, ermutigt vom Berliner Theater an der theater die stromer: „Stinkt Pink?“, 2014. Foto: Frederik Freber

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Parkaue, im zehnten Jahr seines Bestehens erstmals einem kanonischen Stoff der Kinderliteratur zugewandt. Man könnte sagen, es ist der Geschichte um den berühmten Räuber, Kasperl und Seppl, deren Großmutter und den Wachtmeister Dimpfelmoser mit einigen dekonstruktiven Mitteln der Performance Art zu Leibe gerückt. Ebenfalls um eine kollektive Arbeit handelt es sich bei der Produktion „Lucky Strike“ von Masters of the Universe und S.K.A.R.T. Auf der Basis des Grimmschen „Hans im Glück“-Stoffes entwickelt die nicht streng hierarchisch arbeitende Gruppierung mit Mitgliedern im Kindes- wie Erwachsenenalter 2014 eine bild- und klangreiche Performance, die sich kritisch mit der kapitalistischen Konsum- und Warenwelt auseinandersetzt. Darin irren die Performer*innen mal ziellos, mal scheinbar souverän in einer überfluteten Reiz-, Bilder- und Warenwelt umher voller imaginärer Werbespots, Videoclips, Fake-News, Hüpfburgen, gelber SUVs, einem riesigen Justin-Bieber-Konterfei, einer übergroßen Sektflasche sowie einem künstlichen Hund wie über einen spektaklistischen Spielplatz. Und im selben Jahr entwickelte die in Gießen ausgebildete Regisseurin Susanne Zaun gemeinsam mit dem Darmstädter Theater die stromer – Thomas Best und Birgit Nonn – die Spielperformance „Stinkt Pink?“, einem etwa einstündigen Stück, das ganz ohne Handlung auskommt und fast ausschließlich aus Fragen besteht.

Theater der Distanz Eine von mindestens zwei Möglichkeiten, viele Arbeiten zeitgenössischer Performancekunst zu beschreiben, besteht in der Beobachtung, sie legten es auf eine gesteigerte Reflexionslust ihres jeweiligen Publikums an – ganz im Sinne eines verfremdenden Theaters der Distanz in der Tradition Bertolt Brechts. Demnach zielen sie nicht auf Einfühlung ab, ein gläubiges Eintauchen in die dargestellten Situationen, sondern auf eine distanzierte, reflektierte Betrachtung des Geschehens seitens der Zuschauer*innen: Das als natürlich hingenommene muss „das Moment des Auffälligen bekom-

men“1 und das kann gelingen durch eine Zurschaustellung des Theaterapparates, der Markierung alles Inszenierten als Inszeniertes, der unentwegten Einladung an das Publikum, die dargestellten Vorgänge lustvoll-kritisch zu hinterfragen. Entsprechend verleugnet auch kaum ein Element in den drei erwähnten Inszenierungen die Theatersituation, in der sie jeweils stattfinden. Beim „Hotzenplotz“ bilden hier die großen Spiegelflächen auf den ansonsten auf die nötigsten Erkennungsmerkmale zur Identifikation einer Figur beschränkten, klobigen Kostümen der Performer, in denen sich das junge Publikum als erstes einmal selbst beim Betrachten betrachten kann, nur den Anfang. Es ist vor allem die bewusst nachlässig wirkende Spielhaltung, für die Showcase Beat Le Mot bekannt ist, die ein Eintauchen in das kleine narrative Hotzenplotz-Universum niemals ganz möglich werden lässt. Hat die von Sprenger gespielte Großmutter Angst vorm Räuber, so wird das nicht psychologisch ausgespielt, sondern lediglich durch ein Zittern der Hände symbolisiert – und sagt dadurch doch alles über ihre Situation. In ihrem stets distanzierten Sprechen verdeutlichen die Performer immer wieder ihr – nicht selten belustigtes – Verhältnis zur eigenen, jeweils nur vorübergehend angenommenen Rolle. „Ihr habt ja keine Illusionen mehr“, ruft Eibeler den zuschauenden Kindern zu, die partout einen tanzenden Performer nicht als Tür identifizieren wollen – doch ist das nur scheinbar Kritik an der Zuschauer*innenhaltung, sondern tatsächlich Konzept dieses über Brecht informierten Theaters. Ein solches Zurückwerfen des jungen Publikums auf sich selbst und die Gruppe, in der es sich zuschauend befindet, ist auch das tonangebende Stilmittel in „Stinkt Pink?“. Hier gibt es gleich gar keine Narration mehr, der zu folgen wäre. Stattdessen sind es mal freundliche, mal dreiste Fragen, die zu einem unentwegten Reflektieren der eigenen Situation führen: Seid ihr wirklich freiwillig hier? Kann es sein, dass wir euch überschätzen? Kann es sein, dass wir euch unterschätzen? Rasieren sich nur Mädchen die Schamhaare? Warum lacht ihr immer, wenn euch etwas peinlich ist?

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Theater der Direktheit Die zweite von mindestens zwei Möglichkeiten, viele Arbeiten zeitgenössischer Performancekunst zu beschreiben, verhält sich konträr zur ersten, und ihr Gewährsmann ist nicht Brecht, sondern Antonin Artaud, der versuchte, ein „Erfahrungstheater der größtmöglichen Nähe und Direktheit“ zu etablieren. Artaud betrachtete die Bühne als konkreten, körperlichen Ort mit einer eigenen die Sinne adressierenden Sprache, die eher in ihren Intonationen, ihrer Musikalität und Brüchigkeit interessant ist als in ihren Inhalten. Es handelt sich um ein Theater der Bilder und Geräusche, das nicht unbedingt einer klassisch-linearen Dramaturgie folgt. Es fällt nicht schwer, die Produktionen von Masters of the Universe in diese Tradition einzureihen: Das nicht-narrative Bilder- und Soundtheater der Gruppe zeigt eine sehr eigene, auf einer Fülle von Reizen aufbauende Ästhetik. Verzichtet man auf eine vorhersehbare Handlungslogik, kann als nächstes alles passieren: Masters of the Universe spielen mit Lautstärke und Geschwindigkeit, aber auch mit Ruhe und Dauer. Die Körper auf der Bühne dienen nicht als Träger von Figurenidentitäten, sondern kommen in ihrer individuellen, physischen Eigenheit zur Geltung. All das kann auch provozieren, wie die kindliche Performerin in „Lucky Strike“, die im Latex-CatwoSKART: „Lucky Strike“, 2014. Fotos: Florian Krauß

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man-Kostüm und einem Gewehr in der Hand einen Performer dazu auffordert, sein Leben zu beenden. Dieses Theater ist nicht moralisch – aber es kann uns dazu bringen, unsere eigenen politischen und ästhetischen Erwartungen radikal zu hinterfragen. Text – das ist allen drei beschriebenen Produktionen gemein – kann nicht mehr als Primat der Aufführungen beschrieben werden; er ist nur ein Theatermittel von vielen. Beim „Hotzenplotz“ dient er dazu, immer wieder zwischen der Theatersituation und dem erzählten Stoff hin und her zu schalten. „Lucky Strike“ verwendet Sprache nicht als Ansprache, sondern in Form einer Beschwörung, ganz im Sinne Artauds. In „Stinkt Pink?“ dienen Text und Sprache dazu, darin vergleichbar mit Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“, sich unentwegt in ein Verhältnis zum Publikum zu setzen – es handelt sich zwar nicht um ein Improvisationstheater, doch das Skript ist offen genug, sich jederzeit der aktuellen Aufführungssituation anzupassen. Überhaupt spielt Ansprache in allen drei Inszenierungen eine ganz andere Rolle als in außertheatralen Kontexten: Mit dem Philosophen Jean-Luc Nancy und der Gießener Theaterwissenschaftlerin Helga Finter könnte man diese Form der Ansprache klar von einer addictio abgrenzen, einem unterwerfenden Ansprechen also, das das Begehren eines Publi-


Showcase Beat Le Mot: „Der Räuber Hotzenplotz“, 2007. Fotos: Christian Brachwitz

kums dem eigenen Begehren, dem Begehren der Sendung unterordnet.2 Nicht von ungefähr sind es die Fragen in „Stinkt Pink?“, die provozierenden Beschwörungen in „Lucky Strike“ und die ironisch-belustigten, ihrem Charakter nach immer verhandelbaren Vorschläge einer Erzählung im „Hotzenplotz“, die ihre Zuschauer*innen zu unterschiedlichsten, unvorhersehbaren Reaktionen anregen, statt sie passiv an ihre Sitze zu fesseln. Entsprechend sind es auch oft nicht Geschichten, sondern Themen, die als Ausgangspunkt der szenischen Arbeit dienen: Sei es die Auseinandersetzung mit kapitalistischen Konsumangeboten in „Lucky Strike“ oder mit dem Zustand der Pubertät in „Stinkt Pink?“.

Theater des Kollektiven Showcase Beat Le Mot und Masters of the Universe begreifen sich als Kollektive; und auch die Zusammenarbeit von Zaun und dem Theater die stromer kann als kollektiv beschrieben werden. Somit findet der nicht-hierarchische Umgang mit ästhetischen Theatermitteln, der hier erläutert wurde, eine Entsprechung in der gewählten Arbeitsweise der Gruppierungen. So gleichen die aus ihr resultierenden Stücke auch eher Aushandlungen um ein Thema oder bestimmten Darstellungsformen als der homogenen Kreation eines singulären Künstlers. Am weitesten gehen hier sicherlich die Masters of the Universe: Als Kollektiv aus Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, aus Profis und Theaterneulingen vertritt es ebenso entschieden wie überzeugend die Ansicht, jede*r könne Theater machen – ganz unabhängig von Lebenserfahrung und Ausbildung. Auch die zur Schau gestellte Abwesenheit jeglicher schauspielerischer Ausbildung bei Showcase Beat Le Mot oder die heterogene Zusammensetzung des „Stinkt Pink?“-Teams entspricht dieser Grundhaltung – oft zur Irritation eingefleischter Profis des Schauspieltheaters.

Die größte Provokation vieler dieser und weiterer performativer Einflüsse auf zeitgenössische Theaterformen für ein junges Publikum liegt womöglich darin, dass etliche ihrer Akteur*innen zunächst gar keinen Sinn sehen in einer strikten Abgrenzung und dem Label Kinder- und Jugendtheater, geschweige denn in eine Unterteilung eines anvisierten Publikums in Altersgruppen. „Ich frage mich, warum wir uns schon wieder nicht gemerkt haben, wie alt ihr eigentlich seid?“ – diese fragende Äußerung des Spielers Best in „Stinkt Pink?“ trifft den Nagel auf den Kopf. Die hiermit verbundene Haltung, dass das Publikum, egal welchen Alters, solange nicht weiß, was es sehen will, bis es das gesehen hat, und dass das auch niemand vorhersagen kann, widerspricht einem eher handwerklichen und theaterinstitutionellen Kunstverständnis. Vielleicht ist sie idealistisch. Vielleicht liegt hierin aber auch ein riesiges künstlerisches Potential: „Jeder ist willkommen! (…) Verflucht sei, wer uns nicht glaubt!“3

Philipp Schulte ist Geschäftsführer der Hessischen Theaterakademie.

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Bertolt Brecht: Vergnügungstheater oder Lehrtheater? In: ders.: Schriften zum Theater, Frankfurt am Main 1963, S. 63. Vgl. Helga Finter: Nach dem Diskurs. Zur Ansprache im aktuellen Theater. In: dies.: Die soufflierte Stimme: Text, Theater, Medien. Aufsätze 1979–2012, Frankfurt am Main 2014, S. 559–574. Franz Kafka: Amerika, Frankfurt am Main 1997, S. 134

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David Rittershaus

next generation workspace Ein Nachwuchsmodell

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Next Generation Workspace: „Heute mobben wir die Birds“, Tryout 2017. Foto: Katrin Schander

Ein Spielhaus aus Pappe, auf dem Projektionen erstrahlen, ein ganzer Haufen mit Erinnerungsbildern auf dem Boden, ein provisorisches Zelt mit Kissen und Kopfhörern zum Geschichtenhören. Im oberen Foyer des Künstlerhauses Mousonturm in Frankfurt gibt es einiges an Material zu erkunden. Es steht alles in Bezug zu Erzählungen über persönliche Räume, die sich junge und ältere Besucher*innen dieser Installation selbst erschließen können. Mit buntem Klebeband sind sie dazu eingeladen, ihre eigenen Räume, realen oder imaginierten Wohnräume, auf dem Boden oder den Wänden zu skizzieren. Eingerichtet haben das die Künstlerinnen Milena Wichert und Annika Keidel.

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Ortswechsel. Im E-Werk in Bad Homburg werden die Besucher*innen im „Club of Emoticons“ von Ines Wuttke und Mari-Liis Tigasson willkommen geheißen und dazu aufgefordert, an einem Spiel teilzunehmen. Dafür müssen sie sich zunächst registrieren und in einem Formular persönliche Fragen beantworten. In einer großen Halle treten sie dann in Teams gegeneinander an und sollen auf einem Podest Witze erzählen oder unter einer Stange durchtanzen. Die Schiedsrichterin ist nicht mit im Raum, die Aufgaben erteilt sie live per Tonübertragung. Wen sie gewinnen oder verlieren lässt, erscheint völlig willkürlich. Spielerisch greift sie dabei in ihren Kommentaren persönliche Informationen aus den Anmelde-


formularen auf. Wer ausgeschieden ist, wird aus dem Raum geführt und darf das Spiel in einer Video-Live-Übertragung aus dem Nebenraum weiterverfolgen. Am Ende haben alle verloren und das wird gemeinsam gefeiert. Noch einmal Ortswechsel. Ein Spielplatz am Mainufer, es regnet in Strömen. Das hält die schwedische Choreografin Annasara Yderstedt nicht davon ab, zusammen mit ihrer Kollegin Annika Keidel im Sand zu tanzen. Die jungen Besucher*innen aus der Kita scheint der Regen auch wenig zu kümmern. Die Tänzerinnen bewegen sich um die Kinder herum, über die Spielgeräte hinweg, rollen durch den Sand

und balancieren über die Kanten des Spielplatzes. Genauso plötzlich wie sie aus dem Regen aufgetaucht sind, verschwinden die Tänzer*innen am Ende wieder.

Erweiterung des Nachwuchsprogramms Das sind nur ein paar Eindrücke aus der Präsentation der sogenannten Tryouts der Teilnehmer*innen des ersten next generation workspace während des Starke-Stücke-Festivals 2017. Getroffen haben sich die Nachwuchskünstler*innen aus Hessen und der ganzen Welt bereits ein Jahr zuvor, auch während des Festivals. Drei Künstler*innen mit ArbeitsmitNext Generation Workspace: „The Club of Emoticons“, Tryout 2017. Foto: Katrin Schander

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telpunkt in Hessen, fünf aktive Studierende der Hessischen Theaterakademie und vier von außerhalb Deutschlands konnten sich dort kennenlernen, haben gemeinsam Aufführungen aus dem Programm besucht und das Gesehene diskutiert. Bis dahin ist an dem Format nicht viel neu. 2018 konnte der ASSITEJ-Weltverband auf eine zehnjährige Geschichte seines internationalen next-generation-Programms zurückblicken. Auch im Rahmen des Starke-Stücke-Festivals gab es bereits ein solches Nachwuchsprogramm. Doch mit dem Blick auf die Szene in Hessen, die – wie vielerorts in Westeuropa – im Wesentlichen von Selfmade-Theaterschaffenden aus den 1970er Jahren getragen wird, entstand das Bedürfnis, ein Modell zu entwickeln, das wirklich hilft, einen Generationenwechsel einzuleiten. Der Impuls zur Erweiterung ging aber auch von Teilnehmer*innen der vorausgehenden Nachwuchsformate aus, die über den Austausch und die Vernetzung hinaus konkret miteinander arbeiten wollten. Deshalb haben die Frankfurter Kinder- und Jugendtheater TheaterGrueneSosse und Theaterhaus zusammen mit dem Künstlerhaus Mousonturm und dem Starke-Stücke-Festival das Modell substantiell erweitert.

Modell mit drei Arbeitsphasen Nach der ersten Phase des Kennenlernens sowie des Austausches und dem ersten Kontakt mit dem regionalen Netzwerk während des Festivals im Februar/März kommen die Teilnehmer*innen im Juli erneut zusammen, um dann für zwei Wochen gemeinsam zu arbeiten. Wie diese Zusammenarbeit aussieht, ist völlig offen und den Künstler*innen überlassen. Sie können alleine arbeiten oder in Gruppen zusammenfinden oder sich Zeit zum Austausch und Nachdenken nehmen, denn von dem Druck etwas produzieren zu müssen sind sie befreit. Die Tryouts beim Starke-Stücke-Festival im darauffolNext Generation Workspace: „Playground“, Tryout 2017. Foto: Katrin Schander

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Next Generation Workspace: „Monster – wo ist hier vorne?“, Tryout 2017. Foto: Katrin Schander

genden Jahr können auch erst in der letzten gemeinsamen Arbeitsphase, die kurz davor stattfindet, erarbeitet werden. Die Ergebnisse müssen keine fertigen Stücke sein; vielmehr besteht die Möglichkeit, die Begegnung mit dem Publikum zu erproben oder die Arbeiten zu diskutieren. Experimente, Recherche, Dialog und Diskussionen stehen im Mittelpunkt. Auch das Format ist nicht vorgegeben, es muss keine Arbeit für die Bühne entstehen. Die Teilnehmer*innen können den Theaterraum verlassen, einen Audiowalk entwickeln oder eine Installation entwerfen. Dabei werden sie von Mentor*innen unterstützt. Die Tryouts zum Abschluss der dritten Arbeitsphase sind schließlich auch der Berührungspunkt zwischen den Teilnehmer*innen des vorausgehenden und des nachfolgenden Workspaces, die sich darüber austauschen, Erfahrungen teilen und sich untereinander vernetzen können.

Raum für Grundsatzfragen Das alles ist für Nachwuchskünstler*innen keineswegs selbstverständlich. Knappe Produktionsmittel, unsichere finanzielle Lebensverhältnisse und fehlende Verbindungen zu der bestehenden Szene machen es – vor allem nach dem Stu-

dium – schwer, Fuß zu fassen. Raum und Zeit für freien Austausch und Experimente, die vielleicht auch mal scheitern können, gibt es kaum. Davon ausgehend, ist es ein noch viel schwierigeres Unterfangen, internationale Kontakte aufzubauen und Kollaborationen zu initiieren. Auch deshalb ist der internationale Austausch im Rahmen des Workspace ein wichtiges Element. Trotz all der Unterstützung ist der next generation workspace für die Teilnehmer*innen aber auch eine Herausforderung. Sie müssen sich in einer heterogenen Gruppe orientieren, herausfinden, was sie selbst und was die anderen wollen und wie sich das zusammenbringen lässt. Einige Teilnehmer*innen wissen schon recht genau, was sie gerne machen oder ausprobieren wollen, während andere die Offenheit des Formats nutzen, sich genau darüber etwas klarer zu werden. Manche sehen die Workspaces als Gelegenheit, sich zum ersten Mal einem jungen Publikum zuzuwenden, andere haben in dieser Hinsicht schon einschlägige Erfahrungen gesammelt. Wie wollen wir arbeiten? Was wollen wir erzählen? Welche Tabus gibt es dabei und wie sollen wir damit umge-

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Next Generation Workspace: „Schulausflug“, Tryout 2018. Foto: Katrin Schander

hen? Welcher Formate und welcher Ästhetik wollen wir uns bedienen? Welche Rolle spielen Produktionsbedingungen und Institutionen dabei? Viele der tiefgreifenden Fragen, die sie selbst aufwerfen, beantworten die gebildeten Gruppen oder die einzelnen Teilnehmer*innen für sich oder nehmen sie als offene Fragen mit. Gemeinsam ist ihnen dabei aber über alle Workspaces hinweg, dass sie dem Publikum auf Augenhöhe begegnen wollen, und ihr Bewusstsein dafür, dass auch die jüngsten Zuschauer*innen merken, ob man sie ernstnimmt oder nicht. Nicht erst in der Aufführung, sondern schon in der Recherche wollen sie deshalb den Dialog mit jungen Menschen suchen. Sie wissen, dass es heute nicht mehr darum gehen kann, junge Zuschauer*innen im Theater zu besseren Menschen zu erziehen. Es ist gar von der Notwendigkeit einer Entideologisierung des Theatre for Young Audiences in dieser Hinsicht die Rede, wo dies überhaupt noch ein Leitmotiv von Theaterschaffenden sei. Auch die strikte Unterteilung in ein Theater für Erwachsene und ein Theater für Kinder und Jugendliche stellen die WorkspaceTeilnehmer*innen grundsätzlich in Frage. Die Künstler*innen wollen Arbeiten für ein junges Publikum schaffen, die auch für erwachsene Zuschauer*innen reizvoll sind. Wie ihre älteren Kolleg*innen reklamieren sie das Theatre for Young Audiences als ernstzunehmende Kunst, die völlig zu Unrecht

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noch immer dem Theater, das sich ausschließlich an Erwachsene richtet, nachgeordnet wird.

Nachhaltige Wirkung für die Szene „Ihr werdet noch von uns hören!“, verkündete eine Teilnehmerin des ersten next generation workspaces bei der öffentlichen Abschlussdiskussion und sollte recht behalten. Die Initiative des Starke-Stücke-Festivals und der Frankfurter Theater zeigt längst eine nachhaltige Wirkung in der Szene. Das liegt auch an dem Plus, das die Initiator*innen dem next generation workspace hinzugefügt haben. Nicht nur begleiten Nadja Blickle von der KulturRegion FrankfurtRheinMain, Marcus Droß – Dramaturg am Künstlerhaus Mousonturm –, Susanne Freiling vom Theaterhaus Frankfurt, Liljan Halfen – Projektleiterin des next generation workspace – und Detlef Köhler vom TheaterGrueneSosse die Workspaces von Anfang bis zum Ende. Sie helfen auch, Projektideen nachzugehen, beraten bei der Antragstellung für die Projektförderung und koproduzieren neue Stücke. Das Kollektiv MONSTRA, gegründet von Gesa Bering und Katharina Speckmann, das sich im ersten Workspace fand, entwickelte bereits zwei Produktionen in Zusammenarbeit mit dem TheaterGrueneSosse und dem Theaterhaus. Für ihre Performance „Monstermorphosen“, die im Novem-


Next Generation Workspace: „Rooms“, Tryout 2017. Foto: Katrin Schander

ber 2018 im Theaterhaus Premiere feierte, involvierten sie Mari-Liis Tigasson und Milena Wichert. Beide waren ebenfalls Teilnehmer*innen des ersten Workspaces. Austausch und Vernetzung zeigen also auch langfristig eine Wirkung und 2019 steht bereits die dritte Koproduktion mit den Theatern an. Milena Wichert konnte ihr eigenes Projekt „ROOMS“ aus dem Workspace zusammen mit ihrem Kollektiv Hella Lux in Kooperation mit dem Mousonturm weiterentwickeln und dort aufführen. Gleiches gilt für Wicki Bernhardts und Janna Pinskers Performance „Heute mobben wir die Birds“. Die beiden setzten 2018 am Mousonturm außerdem ein Vermittlungsprojekt für Zuschauer*innen jeden Alters um und werden dort 2019 eine neue künstlerische Arbeit realisieren. Aus dem zweiten Workspace ging das Projekt „Schulausflug“ von Ossian Hain, Anne Kapsner, Anne Mahlow und Arthur Romanowski hervor, das 2019 in Koproduktion mit dem Mousonturm und in Zusammenarbeit mit der Frankfurter HerderSchule umgesetzt wird. Aber auch die Teilnahme von internationalen Künstler*innen zeigt eine nachhaltige Wirkung: Joshua Ademola Alabi aus Lagos in Nigeria wurde mit seiner Theaterkompanie 2018 zum Starke-Stücke-Festival eingeladen; Annasara Yderstedt erobert in Schweden und Norwegen weiter tanzend die Spielplätze; die in Frankfurt lebende Ksenia Ravvina und Ma-ra Gan,ge aus Lettland, die sich im

zweiten Workspace kennenlernten, haben zusammen das Stück „Akla- zona“ entwickelt und im September 2018 im Dirty Deal Teatro in Riga uraufgeführt; und Lana Coporda aus den Niederlanden und Maud Haddon aus Großbritannien setzten nach dem zweiten Workspace ihre Zusammenarbeit in den Niederlanden fort. Der next generation workspace hat in der lokalen Szene den Beginn eines Generationenwechsels eingeleitet, der sich im Dialog mit den etablierten Theaterschaffenden vollzieht. Spannende Impulse gibt es dabei von allen für alle und über Institutionen und Ländergrenzen hinweg. Aus den Workspaces sind Ansätze und Projekte hervorgegangen, die zeigen, dass eine gut ausgebildete, kritische und ideenreiche junge Generation bereit ist, nach und nach das Ruder zu übernehmen. Damit das langfristig gelingen kann, müssen die Initiator*innen und die Theater an ihrem nachhaltigen Ansatz festhalten. Nur wenn sie zu den Nachwuchskünstler*innen stehen und ihnen Vertrauen und Planungssicherheit geben, werden sie sich in der Region inspirierend weiterentwickeln.

David Rittershaus ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Tanzforschungsprojekts Motion Bank an der Hochschule Mainz.

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THEATERKUNST ALS KULTURELLE BILDUNG


Das Eschborner Modell: zwei Theaterbesuche im Jahr für alle Kinder Kulturreferentin Johanna Kiesel und Studiendirektorin Antonia Nickel im Gespräch mit Nadja Blickle Nadja Blickle: Welche Theateraktivitäten für junges Publikum gab es damals in Eschborn, als du im Jahr 2000 als Kulturreferentin angefangen hast? Johanna Kiesel: Es gab vor meiner Zeit durchschnittlich drei Theaterstücke für Kinder im Jahr: meistens zwei kleinere Produktionen und ein größeres Stück zu Weihnachten. Im Jahr 2002 habe ich bereits zehn Theaterstücke veranstaltet und heute sind es etwa zwanzig Stücke mit dreißig bis vierzig Vorstellungen pro Jahr. Blickle: Wusstest du, welche Art von Theater für Kinder du zeigen wolltest? Kiesel: Ich wusste vor allem, was ich nicht zeigen wollte. Ich habe früher als Erzieherin und Kita-Leiterin in Eschborn gearbeitet und die Kinder ins Theater begleitet. Das Theater, das ich den Schulen und Einrichtungen in Eschborn näher bringen wollte, sollte anders sein als vorher. Ich wollte kein Kinderkasperletheater mit bunten Blümchen zeigen. Allerdings kannte ich den Theatermarkt in Hessen noch nicht gut. Durch einen anderen Zusammenhang lernte ich Ralf Keil vom Theater Rüsselsheim kennen. Ich fragte ihn, welche Kinder- und Jugendtheaterkompanien zu ihnen ans Haus kommen. Er ist an sein Regal gegangen, hat mir zwei dicke Aktenordner gegeben und gesagt: „Bitteschön!“ Das war mein Einstieg. Blickle: Und wie hat es mit den Theateraktivitäten an der Heinrich-von-Kleist-Schule in Eschborn begonnen? Antonia Nickel: Als ich 2003 an der Schule angefangen habe, war mir klar, dass ich gerne mit den Schüler*innen Theater machen wollte. Begonnen habe ich mit einer Theater-AG, an Kortmann & Konsorten: „WOYZECK oder der Mangel an Alternativen“, 2016, Foto: Niko Neuwirth

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Kortmann & Konsorten: „WOYZECK oder der Mangel an Alternativen“, 2016, Foto: Niko Neuwirth

der Schüler*innen verschiedener Klassenstufen gemischt teilgenommen haben. Aber ich wollte nicht nur AGs betreuen und Theater im Deutschunterricht machen, sondern Darstellendes Spiel als Fach an der Schule aufbauen. Deshalb habe ich bei Klaus Belz eine Ausbildung für Darstellendes Spiel am Schultheater-Studio in Frankfurt absolviert. Darstellendes Spiel ist in Hessen ja immer noch kein grundständiger Studiengang, sondern eine Qualifizierungsmaßnahme. Zusätzlich zu meinen Fächern Deutsch, Geschichte und Evangelische Religion wurde ich dann Lehrerin für Darstellendes Spiel. Mittlerweile haben auch andere Kolleg*innen der Schule die Ausbildung absolviert. Das Schultheater-Studio und die dazugehörigen Theaterlehrer*innen waren damals für uns impulsgebend für die weitere Entwicklung des Fachs an unserer Schule. Blickle: Das Fach Darstellendes Spiel hat sich also inzwischen an eurer Schule etabliert? Nickel: Ja, richtig. Ab der neunten Klasse können die Schüler*innen Darstellendes Spiel als Wahlpflichtunterricht

belegen. In der Oberstufe wählen sie zwischen Musik, Kunst und Darstellendes Spiel, in dem die Schüler*innen auch eine Abiturprüfung machen können. Es bilden sich meistens zwei Kurse mit etwa vierzig bis fünfzig Schüler*innen. Bis zum Abitur bleiben dann etwa zwölf bis zwanzig übrig.

Beim Theaterbesuch blüht der Deutschunterricht auf Blickle: Geht es beim Theater in der Schule vor allem ums Theaterspielen oder geht ihr auch regelmäßig gemeinsam ins Theater? Nickel: Ästhetische Bildung und kulturelle Praxis sind in unserem Schulprofil verankert, Theatersehen ist dabei ein wichtiger Bestandteil. Im Rahmen unserer Theaterwoche in Kooperation mit der Stadt Eschborn gehen wir regelmäßig ins Theater. Nach Frankfurt oder Wiesbaden machen wir immer wieder Theaterausflüge. Das kommt ganz darauf an, was angeboten wird und was zu uns und gegebenenfalls in das Curriculum passt. Das funktioniert zwar nicht immer, aber oft. Gerade für die Oberstufenklassen ist das klasse, wenn man

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kunstvoll-Projekt mit Schüler*innen der Heinrich-vonKleist-Schule Eschborn: „Woyzeck – mehr als Theater?!“, 2017. Foto: Michael Kretzer

„Woyzeck“ behandelt und diesen in voller Bandbreite erleben kann. Jeder Deutschunterricht blüht da auf. Außerdem haben wir nun schon die zweite Theaterkooperation mit dem Theaterhaus Frankfurt. So können sich die Schüler*innen neben den großen Stadt- und Staatstheatern auch andere Spielorte erschließen. Blickle: Stichwort Theaterwoche: Seit wann gibt es die an der Schule und wie funktioniert das genau? Kiesel: Unser Ziel ist es, für jeden Jahrgang und jede Altersgruppe ein Theaterangebot in dieser Woche möglich zu machen. Das erste Stück, das es außer Präventionstheater an der Heinrich-von-Kleist-Schule gab, war 2002 das Theaterstück „Stones“ vom Theaterhaus Ensemble, für insgesamt 310 Schüler*innen. Ursprünglich gab es einen festen Zeitpunkt im Schuljahr, an dem die Theaterwoche stattfand. Mittlerweile ist das innerhalb einer Woche aber gar nicht mehr machbar. Wenn wir sechs Vorstellungen zeigen wollen und dazu noch die Zeit für den Auf- und Abbau rechnen – da ist

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eine Woche ja schon rum. Heute erstrecken sich die Theateraufführungen über das ganze Jahr. Meistens überlege ich zunächst, welche Inszenierungen ich in letzter Zeit gesehen habe, und ob es neue Produktionen von mir bekannten Kompanien gibt und natürlich was zur Schule passt. Meine Vorschläge bespreche ich dann mit Antonia Nickel und drei weiteren Kolleg*innen der Schule. Gemeinsam wählen wir die Inszenierungen aus. Das geschieht jeweils im Herbst für das nächste Schuljahr. Zusätzlich bieten wir zu den Theateraufführungen immer auch Workshops an. Blickle: Wird die Theaterwoche vom ganzen Kollegium unterstützt? Nickel: Mittlerweile ja. Aber das war nicht immer so. Am Anfang habe ich schon ankämpfen müssen gegen Kritik. Mittlerweile sind die, die meine größten Kritiker*innen in Sachen Theaterarbeit waren, auch diejenigen, die mich regelmäßig fragen, wann es endlich wieder Theaterworkshops für Lehrer*innen gibt.


Kiesel: Als wir angefangen haben, haben wir gemerkt, dass auch Lehrer*innen teilweise Probleme mit dem Theater haben. Wir haben über zwei bis drei Jahre Lehrer*innenfortbildungen angeboten, durchgeführt vom TheaterGrueneSosse aus Frankfurt. Das war sehr hilfreich, weil sie sich danach ganz anders auf die Theatererlebnisse eingelassen haben.

Ein ganz anderer Blick auf die Bühne Blickle: Alle 1300 Schüler*innen der Heinrich-von-Kleist-Schule sehen jedes Jahr Theater. Wenn ein Kind in der fünften Klasse an die Schule kommt, hat es also jedes Jahr ein Theatererlebnis bis zum Abitur. Was beobachtest du dabei an den Schüler*innen? Welche Verwandlungen und Prozesse machen sie durch und was nehmen sie dabei mit? Nickel: Zum einen freuen sie sich natürlich, wenn Unterricht ausfällt. Aber zum anderen merken sie auch, dass etwas mit ihnen passiert. Am Anfang sind die Schüler*innen einfach „nur“ ins Theater gegangen. Mittlerweile bereiten wir das sorgfältig vor, im Deutsch-, aber manchmal auch im Politik- oder – wenn es passt – auch im Biologieunterricht. Über die Vor- und Nachbereitungsworkshops freuen die Schüler*innen sich richtig, weil es für sie eine andere Erlebnis- und Erfahrungswelt eröffnet. Diese Eindrücke nehmen sie dann mit und haben einen ganz anderen Blick auf das, was auf der Bühne passiert. Sie lesen den Text z. B. ganz anders, betrachten Beziehungen aus anderen Perspektiven und setzen sich wiederum mit sich selbst differenzierter auseinander. Das ist ein unglaublicher Gewinn. Natürlich haben wir zwischendurch auch Schüler*innen, die genervt sind. Aber sie gehen trotzdem hin und haben danach einen unglaublich hohen Redebedarf. Ohne es zielgerichtet zu steuern, können wir mit Theatersehen und Theaterspielen Lernprozesse anstoßen, die

uns beispielsweise im Mathematikunterricht entgehen. Theater schult im Besonderen die Wahrnehmung. Das haben auch unsere Mathematik- und Chemielehrer*innen mittlerweile gelernt und erkennen es an.

kunstvoll-Projekt mit Schüler*innen der Heinrich-vonKleist-Schule Eschborn: „Woyzeck –

Blickle: Gab es während eurer Kooperation zwischen Kultur- mehr als Theater?!“, referat und Schule Hürden oder Stolpersteine, die ihr über- 2017. Foto: Michael Kretzer winden musstet? Kiesel: Ich denke, dass es seit etwa 15 Jahren keine Stolpersteine mehr gibt. Das ist deshalb so, weil wir den gesamten Prozess gemeinsam begleiten. Und wenn ein von mir ausgesuchtes Stück die Schulgemeinde nicht erreicht oder nicht passend war für den Jahrgang, dann haben wir das immer offen angesprochen. Dann gehe ich hinterher in die Gesamtkonferenz und entschuldige mich. Denn ich will ja, dass die Schüler*innen wieder kommen. Ich lerne im Dialog mit der Schule sehr viel, weil ich merke, dass ich an manchen Stellen genauer hinschauen muss. Unser Ziel ist es, die Inszenierungen vorher schon gesichtet zu haben. Das funktioniert nicht immer, aber vor allem die Produktionen aus dem Frankfurter Raum haben wir, bevor wir sie an die Schule holen, immer gesehen. Aufgrund der klaren und offenen Zusammenarbeit sehe ich keine Probleme. Nickel: Da stimme ich Johanna Kiesel zu. Die Zusammenarbeit funktioniert hervorragend. Wir haben hier in Eschborn natürlich auch kurze Wege. Wir können uns auf Johanna Kiesels Urteil verlassen, weil sie sich in der Kinder- und Ju-

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gendtheaterszene in Frankfurt und Umgebung sehr gut auskennt. Mein Schulleiter lobt die Zusammenarbeit und ist hoch zufrieden damit und sagt, dass es wunderbar ist, dass die Stadt sich so der Schule gegenüber öffnet – wir öffnen uns natürlich auch. Es ist für uns eine unglaublich gute Unterstützung, für die wir gerne bereit sind, manche organisatorischen Hürden innerhalb der Schule zu überwinden. Mittlerweile ist es beispielsweise so, dass der Klausurenplan für die Oberstufen im August festgelegt und die Theatertermine direkt geblockt sind.

Die direkte Kommunikation ist das A und O Blickle: Welche Faktoren spielen eine Rolle, wenn es um eine erfolgreiche Kooperation geht? Kiesel: Ich gehe zu neunzig Prozent selbst für Absprachen in die Schule. Ich kann mir meinen Tag einteilen, aber für die Lehrer*innen ist es schwierig, für eine Besprechung zwischen zwei Unterrichtsstunden irgendwo hinzugehen. Ich denke: Die Kommunikation mit den Lehrer*innen kann nicht schriftlich, nicht telefonisch, sondern nur auf dem direkten Weg stattfinden. Die direkte Kommunikation ist das A und O. Ich würde nie auf die Idee kommen, einen Flyer oder ein Stück Papier an eine Schule zu schicken, ohne dass ich vorher mit jemandem darüber gesprochen habe, eher trage ich es selber hin! Aber den Kontakt muss man sich natürlich erstmal erarbeiten. Das ging bei mir auch nicht immer so schnell. Eine Grundschule in Eschborn habe ich über das Kollegium nicht für Theater begeistern können. Als die beiden anderen Eschborner Grundschulen schon ständig im Theater waren, haben die Eltern sich plötzlich beschwert und gefragt, warum ihre Kinder denn kein Theater an der Schule zu sehen kriegen. Über die Eltern entstand dann der direkte Kontakt, über den wir das Theaterangebot an dieser Schule ausbauen konnten. Ich arbeite mittlerweile mit 16 Kitas und drei Grundschulen in Eschborn zusammen, für die das gleiche Angebot

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gilt wie für die Heinrich-von-Kleist-Schule. Jedes Kind in Eschborn kriegt ein- bis zweimal im Jahr Theater. Der Ticketpreis liegt bei zwei Euro. Dazu gibt es auch immer wieder Workshops. Und für die Lehrer*innen und Erzieher*innen biete ich Fortbildungen an. Blickle: Nun hat die Stadt Eschborn auch die erforderlichen finanziellen Mittel. Welchen Rat würdest du geben, wenn eine Kommune ein weniger großes Budget hat? Kiesel: Gerade in diesem Bereich kann man auch Sponsoren finden: Sparkassen sind z. B. oft dankbar bei kultureller Bildung. Es gibt aber auch Elternvereine und andere Möglichkeiten. Wir erhalten jetzt beispielsweise zum zweiten Mal Mittel über kunstvoll, das Förderprogramm für kulturelle Bildung des Kulturfonds Frankfurt RheinMain. Außerdem haben wir mit Tanzland Bundesmittel akquiriert, die wir nutzen können. Die Grundvoraussetzung ist natürlich, dass eine kompetente Person mit einem bestimmten Stundenkontingent dafür zur Verfügung steht, um die Fördermittel zu akquirieren und vor allem um mit den ganzen Einrichtungen zu sprechen und gemeinsam ein Angebot zu entwickeln. Eine Stadt oder eine Kommune muss also die Entscheidung dafür treffen. Es sollte kein Zufall sein, ob ich Zugang zu Theater erhalte. Nickel: Klar, große Kommunen werden sich das entsprechend auf die Fahne schreiben und können den Zugang zu Kultur für alle Schüler*innen vielleicht einfacher umsetzen. Kleinere Städte und Kommunen sollten sich nach Partnerschaften und Kooperationen umschauen, beispielsweise im Kontext von Starke Stücke. Ein flächendeckendes Theaterangebot zu etablieren, bedeutet jedoch immer, dass es vor Ort Menschen gibt, die sich außerordentlich engagieren. Johanna Kiesel bringt für die Sache mehr Engagement auf, als ihre Stellenbeschreibung eigentlich beinhaltet.


Theaterhaus Ensemble: „On Air: Woyzeck“, 2016. Foto: Katrin Schander

Künstlerische Wahrnehmung als positives Erlebnis Kiesel: Aber es geht ja nicht nur um Theater. Man muss das auf die künstlerische Wahrnehmung allgemein, auf Musik und auf bildende Kunst, ausweiten. Wenn junge Leute in ihrem Leben und ihrem Schulalltag damit positive Erfahrungen machen, werden sie sich irgendwann daran erinnern und später wieder ins Theater gehen oder Konzerte besuchen oder die Oper. Diesen Grundstein kannst du nur in diesem Alter legen. Nach der Schule kommt nämlich im Leben so viel Anderes und Neues, sodass man nicht erwarten kann, dass sie einen Kopf haben für erste Kontakte mit Kultur. Es ist unglaublich wichtig, dass die ersten Erlebnisse mit Kunst positiv sind. Und das Erlebnis ist das Entscheidende: Du hast keine Chance, langfristig offen gegenüber Kunst zu sein, wenn du das nie erlebt hast. Nickel: Bei diesem Erlebnis ist es wichtig, dass die Schüler*innen merken, dass sie Teil davon sein können. Ihnen wird immer wieder Teilhabe angeboten. Klar üben wir auch einen gewissen Zwang aus, sie müssen ins Theater gehen. Aber die, die im ersten Moment keine Lust haben, machen trotzdem mit, sie erkennen es an.

Blickle: Gibt es etwas, das ihr euch wünschen würdet? Habt ihr eine Vision für die Zukunft? Nickel: Noch mehr Zeit für die Projekte zu haben. Ich hätte gern mal ein Eschborner Theaterfestival. Wir könnten andere Schulen einladen, die hierherkommen und mit uns gemeinsam Workshops machen. So ein Projekt wünsche ich mir für die ganze Schule, für alle zusammen. Kiesel: Dann machen wir 2021 so ein Festival!

Redaktionell bearbeitet von Marina Andrée

Johanna Kiesel ist Kulturreferentin der Stadt Eschborn und Veranstalterin in Eschborn im Rahmen des Starke-Stücke-Festivals. Antonia Nickel ist Lehrerin an der Heinrich-von-Kleist-Schule in Eschborn und dort ebenfalls Fachbereichsleiterin. Nadja Blickle ist Projektleiterin bei der KulturRegion FrankfurtRheinMain für das Festival Starke Stücke.

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Stefanie Kaufmann

Bunte Knete im Kopf Von der Freude und den Herausforderungen, Theater zu vermitteln

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Es ist etwas in Bewegung in Hessen. Das Interesse an und die Nachfrage nach partizipativen oder theaterpädagogischen Angeboten für Heranwachsende im schulischen oder außerschulischen Bereich sind in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen. Kulturelle Bildung hat Gehör gefunden. Die Bedeutung von künstlerischer Begegnung hat sich vielerorts in den Köpfen der verantwortlichen Erwachsenen verankert. Es gibt aktuell eine Vielzahl an Förderprogrammen für partizipative Projekte. Eine schöne Entwicklung. Vor allem für die beteiligten Kinder und Jugendlichen. Theater für junges Publikum mit seinen begleitenden Vermittlungsangeboten kann vieles. Es ist aber – auch unter dem Label der kulturellen Bildung – sicher nicht Allheilmittel. Als ein künstlerisches Medium ist es zunächst eine Einladung zu einem ästhetischen, kreativen Prozess. Es macht das Angebot, Gefühlen und Gedanken ein anderes Sprachrohr zu verleihen. Es eröffnet die Möglichkeit, Geschichten zu erzählen, vielleicht auch die Welt mit anderen Augen zu sehen. Als ein solches Sprachrohr kann es wirken bei denjenigen, die sich davon angesprochen fühlen. Das sind nie alle. Das ist okay. Doch liegt darin eine Chance, gerade für junge Menschen, Neues zu erfahren, sich auszuprobieren, sich künstlerisch aufzuladen, zu bereichern, um herauszufinden, wo ihre Bedürfnisse und Stärken stecken, was sie brauchen, um sich ernstgenommen zu fühlen, um als Persönlichkeiten zu wachsen und ihren Weg zu gehen. Wir als Kunst-, Kultur-, Theatervermittler*innen helfen ihnen dabei. Wir sind Begleitende und Weggefährt*innen – manchmal nur für einen Tag, für wenige Augenblicke. Wir sind Vertraute in einem ganz wichtigen Prozess des Menschwerdens. Eine große Aufgabe, die viel Verantwortung bedeutet. Wir sind damit nicht allein. Erst durch Unterstützung und in Kooperation mit engagierten Lehrer*innen oder ProStarke-Stücke-Festivalprojekt: „Träumst du noch oder erfindest du schon?“, 2016. Foto: Katrin Schander

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jektpartner*innen bekommt eine solche Aufgabe das Fundament für ein nachhaltiges Wirken. Es geht immer nur in Gemeinschaft. Und in Hessen ist diese Bereitschaft für Zusammenarbeit da: Es gibt vielerorts eine Menge an Pädagog*innen und Partner*innen, die sich engagieren, die (oft) über die „normale“ Arbeitszeit hinaus Türen öffnen, um der jungen Generation genau diese Erfahrungen zu ermöglichen. Was braucht es, um die Begeisterung für ein Medium zu vermitteln, dass – so mag mancher unken – vielleicht an-

tiquiert und fern von YouTube und Social Media daher kommt? Wo holt man die Heranwachsenden ab, wie lädt man sie ein? Woher kommen die Ideen, die künstlerischen Impulse? Und welche Herausforderungen wollen im theaterpädagogischen Alltag gemeistert werden?

Flexibilität und Spontanität als Voraussetzung Analog zur Theaterszene für junges Publikum arbeiten auch die Theaterpädagog*innen in Hessen überwiegend frei. Das heißt, sie bewegen sich in fortlaufenden oder auch nur einStarke-StückeWorkshops: „La Fugue“, 2016. Foto: Katrin Schander

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malig stattfindenden Projekten und Workshops. Eine Menge Zeit verbringen sie im Auto oder in Bus und Bahn, auf ihrem Weg von A nach B. Häufig schwer bepackt mit Rucksack, Rollkoffer oder großen Taschen eines skandinavischen Möbelherstellers. Das benötigte Material will transportiert werden. Sofern sie nicht an ein Theater oder an eine Einrichtung mit Proben- oder gar einem Bühnenraum angebunden sind, arbeiten sie in der Regel in Klassenzimmern, Bewegungsräumen, Turnhallen, Seminarräumen in Bürgerhäusern oder Gemeindezentren, kurz: an Orten, die selbst eine Herausforderung darstellen, weil sie erst einmal sehr wenig mit TheaStarke-StückeWorkshops: „Tranquilla Trampeltreu“, 2017. Foto: Katrin Schander

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ter und künstlerischem Wirken zu tun haben. Hier ist häufig nicht nur Kreativität, sondern ein hohes Maß an Flexibilität und Spontanität gefragt: Wo befinden sich die Steckdosen, wie lassen sich die Fenster öffnen, gibt es einen Besen, um vor Probenbeginn noch einmal zu fegen? Wichtig auch, die sportliche Kondition. Egal ob Kleinmöbel oder ein Klavier, sicher ist, es muss Platz geschaffen werden. Wagt man die Frage, wie viele Tische und Stühle Theaterpädagog*innen in ihrem Arbeitsleben gerückt und geräumt haben, wird die einstimmige Antwort definitiv lauten: sehr viele! Denn damit fängt es meistens an.


Neben den räumlichen gibt es vorab meist eine Menge kommunikativer und organisatorischer Herausforderungen zu meistern. Sei es, dass auf dem Weg in das Klassenzimmer mit den begleitenden Lehrenden noch letzte Absprachen getroffen werden – wer führt ein in den Workshop?, was wissen die Kinder bereits über den heutigen Besuch?, gibt es bestimmte Begrüßungsrituale?, wann klingelt oder vielmehr blinkt es zur Pause? – oder dass plötzlich Reinigungskräfte, Hausmeister*innen in der Tür stehen, weil sie über die Raumbelegung nicht informiert wurden und sie allein durch viel Einfühlungsvermögen und Verhandlungsgeschick davon überzeugt werden wollen, den normalen Arbeitsablauf oder Schließvorgang um zwei Stunden nach hinten zu verlegen. Optimale Probenoder Arbeitsbedingungen sind für freie Theaterpädagog*innen eher die Ausnahme als die Regel. Selten liegt ein roter Teppich bereit. Als Externe sind sie häufig eher Fremdkörper als willkommener Gast. Um sich als Letzterer zu fühlen, braucht es Vorlauf, eine gute Planung, Kommunikation, Transparenz. Es braucht den Rückhalt und die Durchsetzungskraft einer Schul-, Kita- oder Einrichtungsleitung. Es braucht eine frühzeitige Absprache der Termine und Vorhaben. Es braucht den Einbezug und die Verbindlichkeit nicht nur verantwortlicher Pädagog*innen, sondern des gesamten Teams – bis hin dem des Hausdienstes oder des Reinigungspersonals. Es braucht Kontinuität, Einsatzbereitschaft, Verständnis und den Willen – auf allen Ebenen. Kurz: Man bucht nicht mal eben einfach Theaterpädagog*innen für einen Workshop. Nein, man engagiert Expert*innen für ein anspruchsvolles, wichtiges Angebot und lädt sie ein als Gäste – so wie man Besuch zuhause empfängt – mit dem Ziel, dass sie sich wohlfühlen, in einem wertschätzenden Umfeld, in dem sie ihre Arbeit machen können und zwar gut und aufgefangen von allen Beteiligten. Ohne Irritationen. Die Realität gestaltet sich vielerorts häufig leider (noch) deutlich nüchterner. Starke-Stücke-Workshops: „Go!“, 2016. Foto: Katrin Schander

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Ist der Raum eingerichtet, steigt die Spannung. Was wird heute passieren? In welcher Stimmung sind die Kinder? Wie viel Energie bringen sie mit? Bin ich gut vorbereitet? Die Findung von Inhalten oder künstlerischen Impulsen für die Zusammentreffen kann vielseitig sein. Vielleicht inspiriert ein (Stück-)Text oder ein aktuelles Thema, vielleicht ein Material, eine Form oder eine persönliche Fragestellung. Oft gibt auch der Alltag wertvolle Ideen. Wichtig ist das persönliche Interesse am Stoff, die eigene Neugier, dass man sich einlassen kann. Authentizität ist entscheidend. Ich kann nur etwas mit Leidenschaft vermitteln, das mich selbst interessiert. Sonst bleibt es halbgar. Und die Heranwachsenden sind Meister*innen darin zu spüren, ob es jemand ehrlich mit ihnen meint oder man ihnen etwas überstülpen möchte.

Neugier und Empathie als Kompetenz Egal wie lange man diesen Beruf schon ausübt, Lampenfieber gehört – wie beim Bühnenauftritt – dazu, ist Motor und Motivation. Macht wach und bereit für die, um die es geht: die Kinder, die Jugendlichen, die Akteur*innen. Ohne Neugier auf die jungen Menschen, die binnen weniger Minuten einen Raum mit Lachen, Reden, Leben für sich einnehmen, kann kein (Theater-)Zauber entstehen. Ohne Empathie ist man nicht in der Lage, im Bruchteil einer Sekunde festzustellen, was für das jeweilige Treffen wichtig ist, wo Bedürfnisse liegen, welche Konflikte vielleicht im Raum stehen, welche Themen erst aufgenommen werden müssen, bevor an eine Probe oder einen Workshop-Beginn überhaupt zu denken ist. Wer nicht mit allen Sinnen da ist, hat verloren. Egal, ob es im Folgenden darum geht, ein Stück voroder nachzubereiten, wie es z. B. bei den begleitenden Workshops im Rahmen des Starke-Stücke-Festivals oder in einem der zahlreichen theaterpädagogischen Angebote des Schultheater-Studios Frankfurt geschieht, oder darum an Starke-Stücke-Festivalprojekt: „Flexible Rule“, 2017. Foto: Katrin Schander

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einem eigenen Stück weiterzuarbeiten, wie es häufig in den Spielclubs etwa im Jungen Ensemble am Theater Rüsselsheim, beim Goldfisch Ensemble des TheaterGrueneSosse Frankfurt, im Spielclub am Theater Moller Haus Darmstadt oder an den anderen hessischen Theatern in Kassel, Wiesbaden oder Marburg der Fall ist, ob ein wöchentliches Treffen von TuSCH oder FLUX – Theater und Schule Hessen gestaltet wird, ob sich eine Gruppe im Projektzusammenhang von Wege ins Theater in einem Hort trifft oder eine Schulklasse sich für eine Projektwoche im Kontext von Tanzland, Kunst-

voll oder Kulturkoffer irgendwo in Hessen zusammenfindet, der Anspruch und die Herangehensweise an die Zusammenkunft sind immer die gleichen: die Akteur*innen ernstzunehmen mit all ihren Befindlichkeiten, sie einzuladen zur künstlerischen, kreativen Auseinandersetzung, sie zu bestärken in ihren Ideen, Meinungen, Weltsichten, sie zu fördern auf ganz unterschiedlichen Ebenen, ihnen Erfolgserlebnisse zu verschaffen, ihnen zuzuhören, ihnen Mut zu machen, ihnen zu vertrauen. Die Liste ist lang. Und stellt einen nicht selten vor ganz persönliche Herausforderungen. Da ist der eigene AnStarke-StückeFestivalprojekt: „Beweg dich!“, 2015. Foto: Lea Meier

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spruch, die mit viel Liebe gemachte Probenvorbereitung, da sind die eigenen Bilder, Ideen, Vorstellungen im Kopf, wohin die Reise gehen soll. Nicht selten auch eine Form von persönlichem Perfektionismus. Und Zeitdruck, wenn es einen Aufführungs- oder Präsentationstermin gibt. Findet man sich plötzlich in diesem Dilemma, merkt man, dass man kurz vor Einsetzen von Schnappatmung ist, hilft nur eins: durchatmen, locker machen und loslassen! Nicht den Anspruch an die eigene Arbeit, auch nicht die Zügel und das gemeinsame Ziel, aber den Druck. Hier liegt der Schlüssel, für ganz unerwartete Wendungen und Ergebnisse. In der theaterpädagogischen Arbeit wollen die Akteur*innen dort abgeholt werden, wo sie stehen. Das verlangt viel „Beweglichkeit im Kopf“ und heißt gegebenenfalls auch: Was nicht passt, wird passend gemacht! Wenn zwölf Kinder in einer Gruppe unbedingt Prinzessinnen sein möchten, auch wenn es das Material, die Stückvorlage, die Geschichte so eigentlich nicht vorsehen, dann ist Kreativität, Fantasie, Mut und sicher auch Humor gefragt. Zwölf Prinzessinnen können dem Stück, dem Vorhaben, der Herangehensweise womöglich eine neue Perspektive eröffnen, dem Ziel eine ganz neue Qualität verleihen. In diesem Wunsch stecken Herausforderungen, aber auch Möglichkeiten. Und er garantiert zwölf glückliche Spieler*innen, die sich gehört wissen, wichtig fühlen, die ihren Raum finden und dementsprechend mit Herz und Begeisterung dabei sind. Darauf kommt es an.

Kultur- und bildungspolitische Unterstützung als Rahmung Für authentische, gehaltvolle, nachhaltige theaterpädagogische Arbeit oder Kulturvermittlung braucht es vieles, aber vor allem eines: jede Menge bunter Knete im Kopf! Die beweglich und formbar bleibt. Ohne Spaß an den Heranwachsenden, ohne ein ernsthaftes Interesse an ihnen, ohne die Bereitschaft, sich auf sie einzulassen, wird jeder Versuch im Nullkommanix als Fake entlarvt, wird auch in kurzer Zeit

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nicht das Vertrauen wachsen, das nötig ist, um sich aufeinander einzulassen. Es braucht die Begeisterung für die Sache, man muss es aushalten, zwar eine Idee, aber keinen Fahrplan zu haben, weil das Ziel nur gemeinsam gefunden werden kann. Es gilt, einen Rahmen zu setzen, Räume zu öffnen, flexibel zu bleiben, immer gefasst auf Unwägbarkeiten. Die bunte Knete will je nach Begebenheit und Wünschen neu geformt werden. Das gehört dazu. Es heißt, Strukturen zu durchdringen, sich auf sie einzulassen, aber auch eigene (Arbeits-)Bedingungen zu verhandeln, Verbindlichkeiten einzufordern, auf ganz verschiedenen Ebenen gut zu kommunizieren, Kontinuität anzustreben, sich für den Wert der eigenen Arbeit und Leistung immer wieder groß- – nicht klein- – zumachen. Es heißt auch, sich kulturpolitisch Gehör zu verschaffen, sich zu vernetzen, sich auszutauschen, missionarisch zu sein, kontinuierlich weiter zu streben – nicht aus persönlicher Eitelkeit heraus, sondern für die jungen Menschen, um die es geht. Und dabei die Freude und die Gelassenheit nie zu verlieren. Idealismus alleine reicht dabei nicht aus! Es braucht kultur- und bildungspolitische Unterstützung, gute Rahmenbedingungen und verlässliche Förderstrukturen, damit Angebote der kulturellen Bildung auch nachhaltig in Schul- und Kita-Alltag verankert werden können. Nur dann erhält man am Ende im richtigen Rahmen das Schönste, das man sich persönlich überhaupt vorstellen kann: Kinder und Jugendliche, die ganz nach ihren Möglichkeiten, ihrem Tempo und Sein über sich hinauswachsen. Die als Kollektiv zusammenstehen, die den Moment für sich ergreifen und etwas ganz Besonderes erschaffen. Das passiert in Hessen. Hier wird geknetet. Und zwar sehr bunt. Eine gute Entwicklung. Mit Potential.

Stefanie Kaufmann ist freischaffende Theaterpädagogin und verantwortlich für die Koordination und Organisation des Starke-Stücke-Workshop-Programms.


D a r s t e l l e n d e Kü n s t e u n d S c h u l e i n H e s s e n Anna Eitzeroth, Marcus Kauer und Jan-Sebastian Kittel im Gespräch mit Wolfgang Schneider

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FLUX-Schaufenster in Frankfurt, 2018, Foto: Konrad Merz

Um Kindern und Jugendlichen Zugänge zu den darstellenden Künsten zu ermöglichen, ist die Zusammenarbeit von Theatern und Schulen unerlässlich. Die ASSITEJ e. V., das Netzwerk der Kinder- und Jugendtheater in Deutschland, hat im Jahr 2018 die Studie „Darstellende Künste und Schule in Hessen“ durchgeführt, um zu erkunden, wie und unter welchen Bedingungen Schulen Aktivitäten im Bereich darstellende Künste anbieten, welche Entwicklungen sich seit der Studie „Theater und Schule in Hessen“ (2006) ergeben haben und welche Her-

ausforderungen, Hindernisse und Bedarfe es gibt. Die Studie wurde von der Arbeitsgruppe Darstellende Künste und Schule in Hessen initiiert und vorbereitet, in der Akteur*innen aus Theaterkunst und Schultheater zusammenarbeiten. Alle hessischen Schulen konnten zu ihren Aktivitäten im Bereich der darstellenden Künste Auskunft geben, die Fachberater*innen für kulturelle Bildung an den hessischen Schulämtern wurden befragt und mit Vertreter*innen von drei Schulen wurden qualitative Interviews durchgeführt.

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links: TUSCH Spektakel im Theater Moller Haus Darm-

Wolfgang Schneider: Was ist das kulturpolitische Interesse des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst an der Theaterarbeit in Schulen?

Schneider: Was sind bildungspolitische Interessen am Theater in Hessen, also sowohl am Theaterspiel in der Schule als auch am Theaterbesuch in den Theatern?

Jan-Sebastian Kittel: 2006 gab es einen Aufschlag für eine kultur- und schulpolitische Verortung des Themas und nun – mehr als ein Jahrzehnt später – wollten wir evaluieren, wie sich die Dinge entwickelt haben. Deswegen war das Aufsetzen dieser Studie aus meiner Sicht fachlich konsequent und richtig. Die Ergebnisse sprechen für sich. Viele Dinge haben sich erfüllt, an anderen können wir noch arbeiten. Für uns ist es wichtig, Künstler*innen in die Lage zu versetzen, für junges Publikum zu arbeiten und sich darauf zu spezialisieren. Deswegen ist es von entscheidender Bedeutung, den Spielort und das Publikum so gut wie möglich kennenzulernen, damit wir in der Förderpolitik, aber auch in der Struktur und in der Beratung der Künstler*innen, die richtigen Schlüsse ziehen können.

Marcus Kauer: Grundsätzlich ist es so, dass viele Hochschulen schon mit kultureller Bildung arbeiten, beispielsweise die Technische Hochschule in Dortmund, die eine Professur für Kunst eingerichtet hat, um dort das non-lineare Denken wieder zu schulen. Wir beobachten, dass Ausbildungsbetriebe großer Unternehmen viel Zeit in Formate kultureller Bildung investieren, um den neuen Auszubildenden die Gelegenheit zu geben, den Künsten zu begegnen und diese im Austausch mit den Naturwissenschaften zu erproben. Bestimmte Ideen, wie z. B. das Programm der KulturSchule Hessen, das vor etwa zehn Jahren etabliert wurde, zeigen, dass systemisch wirksame Veränderungen in Schulen vorgenommen werden müssen: Das bedeutet zum einen, Schulen in die Lage zu versetzen, Strukturen für die Zusammenarbeit mit Künstler*innen zu schaffen; hier braucht es

stadt, 2018. Foto: olya.design rechts: Frankfurter Schultheater Tage im Gallus Theater, 2018. Foto: Nicole Peinz

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also Qualifizierung. Zum anderen gilt, dass man die kulturelle Bildung – also hier Theater – als eine Facette ganzheitlicher Bildung begreift. Die Ergebnisse von Pisa haben den sprachlichen und naturwissenschaftlichen Bereich in den Vordergrund gerückt. Das ändert sich jetzt, sodass das Feld der darstellenden Künste in den Bereichen der Persönlichkeitsentwicklung und Kommunikation eine Stärkung erfährt. Studien wie diese sind wichtig für uns, um zu erfahren, wo es gelingt, wo es Beispiele für good practice gibt, die wir entdecken und stärken können.

Nachhaltige Strukturen schaffen Schneider: Inwiefern erfahren wir durch die Ergebnisse der Studie etwas über Entwicklungen der Zusammenarbeit von Theatern und Schulen? Anna Eitzeroth: Wir können sehen, dass strukturelle Verankerungen extrem wichtig sind. Es gibt ablesbare Entwicklungsschübe bei der Einführung bestimmter struktureller Änderun-

gen und Programme. Zum Beispiel haben nach der Einführung des Fachs Darstellendes Spiel und der Einführung als Abiturfach deutlich mehr Schulen Aktivitäten im Bereich darstellende Künste aufgenommen als in den Vorjahren. Und auch die zehn Grundschulen, die am Programm „Theater für ALLE“ teilnehmen, sind bereits in der Studie erkennbar, obwohl es erst im Schuljahr 2017/18 begonnen hat. Auffällig ist auch, dass die KulturSchulen in Hessen eine besonders große Bandbreite an Angeboten haben – also neben der klassischen Theater-AG oft auch Theater als Fach, als Methode im Fachunterricht, als Angebot für eine Projektwoche und vieles mehr. Dieses Programm zeigt Wirkung: Es führt dazu, dass kulturelle Bildung nachhaltig in der Schule verankert wird. Ein häufiges Problem an Schulen ist, dass das Engagement und die Begeisterung für Theater auf den Schultern einer einzelnen Lehrkraft liegt, die sich für Theater begeistert und z.B. eine AG anbietet. Ein Großteil der Angebote sind AGs – aber damit ist die Verlässlichkeit des Theaterangebots nicht gesichert. Wir haben in qualitativen Interviews erfahren, dass AGs in Schulen oft wenig Wertschät-

links: KulturSchule Richtsberg-Gesamtschule Marburg: „Von Kisten Klängen Kunst und Krempel“, 2018. Foto: Cornelia Picht rechts: Henß & Kaiser | tanzen schräg: „Henß und Kaiser treiben Schabernack“, 2009. Foto: Joerg Hoefer

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zung erfahren, und in der Befragung der Schulen wurde teilweise geäußert, dass für eine AG keine qualifizierte Lehrkraft notwendig sei – „Es ist ja nur eine AG“. Das Theaterangebot an hessischen Schulen fußt in vielerei Hinsicht auf dem Engagement der Lehrkräfte. Um diese Lehrer*innen zu unterstützen, muss Theater strukturell in den Schulen verankert werden, damit es dauerhaft und verlässlich gesichert ist – und damit ein Angebot nicht einbricht, wenn z. B. eine engagierte Lehrkraft die Schule verlässt. Kittel: Es wäre eine spannende Fortsetzungsfrage, inwieweit sich die Angebote der Theater parallel zu dem Angebot von darstellendem Spiel verändert haben. Wir merken ja, dass etwa in den Stadt- und Staatstheatern diese Bereiche sich nicht nur stark vergrößern, also personell aufgestockt werden, sondern sich stärker ausdifferenzieren und in der Semantik verändern. Häufig heißt es nun nicht mehr „Theaterpädagogik“, sondern „Vermittlung“ oder „Mitmachen!“. Und: Diese Arbeit ist auch generationsübergreifend geworden. Aus der Parallelität dieser Entwicklungen leitet sich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe im Bildungsbereich ab. Gleichzeitig merkt man – und da müssen wir hier auch ein bisschen genauer hinschauen –, dass es einen Unterschied zwischen den Theaterinstitutionen und den freien Akteur*innen gibt. Wir sehen im Bereich Theater und Schulen natürlich ein stark ausgeprägtes Engagement der freien Akteur*innen, weil sie einfach beweglicher und nicht ortsgebunden sind, weil sie auch da sind, gerade in einem Flächenland wie Hessen, wo Strukturen nicht vorhanden sind und wo Mobilität essentiell ist. Natürlich haben die freien Akteur*innen nicht die Ressourcen, auf den Bedarf an Vermittlung, Gesprächen, Partizipation ausreichend zu reagieren, ihn aufzubauen und zu verankern. Im Prinzip bräuchte jede freie Gruppe und alle freien Künstler*innen noch jemanden, der sich auch um die Vermittlung kümmert. Und das können viele nicht leisten. Umso wichtiger werden Netzwerke, die das vielleicht am besten kompensieren können.

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Eitzeroth: Interessant ist, dass über achtzig Prozent der antwortenden Schulen angeben, dass sie praktische Theateraktivitäten anbieten, und über neunzig Prozent bestätigen, dass professionelle Theaterproduktionen mit Schüler*innen angeschaut werden. Das heißt, dieser Gedanke, den ich noch ganz persönlich aus meiner Schultheaterzeit kenne – „Wir müssen ja nicht ins Theater gehen, wir machen ja selber Theater“ –, wird nicht mehr so in den Schulen gelebt. Wir wissen zwar nicht, wie stark beide Aspekte inhaltlich verbunden werden, aber viele sind in beiden Bereichen aktiv – und das hat auch etwas mit qualifizierten Lehrkräften zu tun, die einen anderen Blick auf das Feld der professionellen Theater haben. Kittel: Schauen Sie beispielsweise auf die Angebote der Stadt- und Staatstheater: Sie können heute in einem Staatstheater komplett fertige Unterrichtsreihen abfragen. Das heißt, dass Angebot und Nachfrage sich gegenseitig hochschaukeln – im positiven Sinne. Die professionellen Angebote auf der Seite der darstellenden Künste sind eine tägliche Hilfestellung für die Lehrer*innen in den Schulen.

Das Publikum von heute ernstnehmen Schneider: Das hat sicherlich sehr stark auch damit zu tun, dass die Theater für sich erkannt haben, dass sie ihre Zukunft selbst in der Hand haben, und deshalb über das Publikum von heute und morgen nachdenken. Hier geht es mir um einen differenzierten Blick auf die Interessen der beiden Institutionen Theater und Schule: Schule als Ort der Allgemeinbildung, als Qualifizierungsmaßnahme für das Leben im weitesten Sinne und Theater, das sich nicht dem unterwerfen kann, was Auftrag von Schule ist. Welche unterschiedlichen Interessen haben Theater und Schulen in dem Zusammenhang? Kittel: Es geht genau deshalb nicht nur um das Publikum von morgen. Der Erfolg des Verhältnisses zwischen Theater und Schule – gerade auch in Hessen – beruht auf dem Selbstver-


ständnis, dass es vor allem das Publikum von heute ist. Das hat auch etwas mit Respekt vor jungen Menschen zu tun. Die Formate auf den Bühnen sind viel mehr als klassische Weihnachtsmärchen und Konzerte für Kinder und das spiegelt sich auch in den Konzepten der Vermittlung und Partizipation mit allen Sinnen wider. Das ist, glaube ich, das Entscheidende: das Ernstnehmen des jungen Publikums. Schneider: Die Studie stellt fest, dass da noch relativ viele Baustellen sind. Mit welchen Möglichkeiten macht eine Kultusbürokratie sich jetzt auf den Weg, um das ein oder andere, was sich hier bewegt, auch weiter zu befördern? Inwiefern wird eine bildungspolitische Positionierung im Bereich kulturelle Bildung, insbesondere in den darstellenden Künsten vorgenommen? Kauer: Wir haben gesehen, dass wir ein Schnittstellenmanagement brauchen, das Hürden beseitigt. Hier gilt es also, Nähe zwischen den unterschiedlichen Akteur*innen zu schaffen. Zum Beispiel geht es in Fortbildungsmaßnahmen darum, dass es Lehrer*innen ermöglicht wird, den Künsten selbst zu begegnen, bevor wir überhaupt darüber sprechen, ob man Kunst als Werkzeug oder als Weg gebrauchen darf, um reguläre Unterrichtsinhalte wieder zurück in die Schulstunde zu transportieren. Was glauben Sie, wie viele Lehrer*innen noch nie selbst Theater gespielt haben? Gerade das soll gestärkt werden und das passiert in Fortbildungsmaßnahmen wie Fachforen und in der kreativen Unterrichtspraxis oder auch als Prozessbegleitung von Schulen, die sich auf den Weg gemacht haben. Mit Fokus auf Lehrer*innen geht es also zuerst darum, dem darstellenden Spiel zu begegnen, es für sich zu entdecken und daraus abzuleiten, dass es eine andere Lehr- und Lernhaltung ermöglicht. Der nächste Schritt ist der Transfer in die eigene Unterrichtspraxis. Das führt zu einer vollständig anderen Wahrnehmung dessen, was Künste – auch im regulären Unterricht – leisten können. Darüber hinaus brauchen wir Fortbildungen zur Begegnung

mit den Künstler*innen, aber auch, dass wir intensiv über eine Möglichkeit nachdenken, wie Referenzschulen in dem Kontext aussehen könnten. Wie kann eine Schule gestaltet werden, in der Theater in den Schulalltag einfließt und Unterrichtsmodelle und Organisationsmodelle entwickelt werden, die auf andere Schulen übertragbar sind? Wir brauchen eine Transferlogistik, die Menschen hilft, diese Strukturen auch an der eigenen Schule zu etablieren. Schneider: Da steckt ja auch die Idee dahinter, Schulen bei der Profilbildung im Bereich Kunst und Kultur, vielleicht auch mit dem Schwerpunkt Theater und darstellende Künste zu unterstützen. Gibt es weitere Erkenntnisse, die aus der Studie mit auf diesen Weg genommen werden können? Eitzeroth: Auffällig ist, dass Programme, die Schnittstellenmanagement betreiben, sehr dankbar angenommen werden. Dabei geht es um Netzwerkakteur*innen wie FLUX oder TuSch, die über eine Kompetenz im Theaterbereich verfügen und dafür sorgen, dass engagierte Lehrkräfte sich nicht alleine auf die Suche machen müssen. Und es fällt auf, dass diejenigen, die mit künstlerischen Projekten Erfahrungen haben, sich oft mehr davon wünschen. Aber es gibt auch ganz viele Lehrer*innen, denen Projekte und Programme noch nicht bekannt sind. Ich habe den Eindruck, dass es da einen Dschungel an verschiedenen Möglichkeiten auf der einen Seite gibt und einen Ressourcenmangel auf der anderen Seite. Den Akteur*innen auf der Schulseite fehlt oft die Zeit, sich mit den verschiedenen Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Kauer: Eine interessante Beobachtung ist, dass finanzielle Ressourcen keine besondere Rolle spielen, sondern Fortbildungen und Prozessbegleitungen für die aktiven Schulen eine große Wirksamkeit zeigen. Viele Schulen – wie z. B. die KulturSchulen, aber auch die zehn Grundschulen im Programm „Theater für ALLE!“ – entwickeln dadurch die effektivsten Programme und

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links: LIGNA: „Klasse bemühen sich, die Organisation Schule neu zu denken und Kinder!“, 2018. Foto: Raum zu schaffen, z. B. mit flexibleren Tagesabläufen statt rigiRalf Grömminger rechts: Tanz-inSchulen-Projekt im MAK Frankfurt: „zeit tanzt zeit“, 2016. Foto: Jörg Baumann

den Stundenplänen. Ich glaube, dieses Know-how müsste vermittelt werden – und damit das Wissen, wie eine solche Umstrukturierung gelingen kann. In den letzten Jahren wurden z. B. Integration, Inklusion und Digitalisierung als Hauptthemen benannt – kulturelle Bildung aber wurde nie als Schwerpunkt formuliert. Und daran muss gearbeitet werden, damit dieses Themenfeld sichtbar und gestärkt wird und somit die vielen vorhandenen Angebote bekannter werden. Die Auseinandersetzung mit und in den Künsten schafft Qualität, Begegnung, Interaktion auf anderen Ebenen, als es der Schulalltag, wie wir ihn von früher kennen, leistet.

Darstellendes Spiel als Schulfach etablieren Schneider: An dieser Stelle darf ich mir erlauben, die Gretchenfrage zu stellen: Braucht es ein Schulfach Theater, um die Entwicklungen auch innerhalb der Stundentafel, der Curricula und der Ressourcenplanung in der Schule einzuschreiben?

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Kauer: Die Schwierigkeit dabei kennen wir alle. Die Idee, die wir in den letzten Jahren generiert haben, ist eher, dass wir versuchen, Schulen so zu verändern, dass Räume für die kulturelle Bildung geschaffen werden. Wir waren ja schon sehr, sehr kurz davor, dass das Fach in der Grundschule und in der Sekundarstufe I eingeführt wird, und auf den letzten Drücker gelang es eben nicht – aus juristischen Gründen. Schneider: Was sagt uns die Studie dazu? Was wünschen sich die Lehrer*innen zur Konstituierung der darstellenden Künste in der Schule? Eitzeroth: Ein großer Teil der Lehrer*innen wünscht sich eine Einführung des Fachs Darstellendes Spiel in der Stundentafel der Jahrgangsstufen eins bis zehn. Es hat auch etwas damit zu tun, welche Wertschätzung Theaterlehrer*innen in ihrer Fachlichkeit und in ihrer künstlerischen Kompetenz erhalten. Wenn wir so viel von darstellendem Spiel als Methode im Fachunterricht sprechen – kommt dann vielleicht doch die


Auseinandersetzung mit Kunst und künstlerischen Arbeitsweisen zu kurz? Ist der Raum für Kooperationen mit Theatern und die Auseinandersetzung mit Theaterkunst nicht am größten, wenn wir tatsächlich auch das Fach und damit auch den Raum fürs Theater an sich haben? Es spricht ja überhaupt nichts dagegen, darstellendes Spiel auch in den anderen Fächern einzusetzen – aber nur, wenn Theater Schulfach ist, gibt es Raum für die Auseinandersetzung mit Theaterkunst in ihrer ganzen künstlerischen Vielfalt.

Kooperationen in der kommunalen Kulturpolitik möglich machen Schneider: Die Studie bestätigt erneut, dass es für die Theater nicht einfach ist, die Zusammenarbeit mit Schulen zu koordinieren. Ich nenne nur die drei Beispiele: Zuständigkeiten in der Schule, die Zeit, die es dazu braucht, um einen Theaterbesuch möglich zu machen und den Transport, der ja auch Zeit beansprucht; aber eben auch die Kosten, die er verursacht. Ist es auch eine Aufgabe der Theaterlandschaft, diese Herausforderungen anzugehen?

Kittel: Viele verstehen das inzwischen als ihre Aufgabe, vor allem durch die Kraft des Faktischen und die gesellschaftliche Entwicklung. Ich glaube, es wäre deshalb zukunftsweisend und sinnvoll, diese Kooperationen wirklich als Aufgabe zu beschreiben und z. B. als Zielvereinbarung bei einem Stadt- oder Staatstheater zu implementieren. Allerdings hat die Theaterpraxis diese Fragestellung ja längst überholt: Es gibt kein Theater mehr, das ohne Patenklassen auskommt, und es gibt viele Verbindungslehrer*innen. Diese Strukturen hängen aber an einzelnen Personen. Das gilt übrigens auch für die Theater, denn wenn dort ein Team, eine Intendanz wieder wechselt, sind mühsam aufgebaute Verbindungen häufig verloren. Zugleich zeigt die Studie, wie fest der Wunsch nach Kooperationen mit Schulen inzwischen verankert ist. Die Theater bieten schon seit Jahrzehnten Jugendclubs an, also darstellendes Spiel im außerschulischen Bereich. Mobilität ist ein anderes großes Thema: Das Landestheater ist per se mobil, auch freie Akteur*innen sind häu-

links: TUSCHpektakel im Gallus Theater Frankfurt, 2018. Foto: Felix Lokwenz rechts: Theater Transit Klassenzimmerstück: „Käfer killen“, 2017. Foto: Theater Transit

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fig unterwegs, aber viele Dinge, die wir hier besprechen, sind das Privileg von Menschen, die im Ballungsraum leben. Und Mobilität heißt nicht, nun alle ans Staatstheater nach Darmstadt oder nach Wiesbaden zu fahren, sondern auch umgekehrt zu überlegen, wie Künstler*innen mobil werden, um auch im ländlichen Raum aktiv und präsent zu sein. Ob das die Stadt- und Staatstheater leisten müssen und können, möchte ich in Frage stellen – das glaube ich nämlich nicht. Dafür sind das Landestheater als spezifisch mobile Theaterform und die freien Akteur*innen einfach viel besser geeignet als die ortsgebundenen Theater. Schneider: Eine Erfahrung aus der Studie 2006 war, dass der ländliche Raum auf der Landkarte von Theater und Schule fehlt. Aus dieser Erkenntnis entstand das Programm FLUX, das insbesondere freie darstellende Künste befördert. Können Sie sich Strukturen vorstellen, die es neben dem Theaterbesuch im großen Haus oder im kleinen Theaterhaus möglich machen, Theaterbesuche vor Ort zu organisieren, möglicherweise auch im kommunalen Kontext? Kittel: Wir sehen ja, dass kein Koalitionsvertrag der Gegenwart ohne die Begrifflichkeit „ländlicher Raum“ auskommt – das war in Hessen in den vergangenen fünf Jahren eine Stärke, die sich durch alle Ressorts gezogen hat. In der Kultur ging es da etwa um neue Förderprogramme, die auch Modellcharakter haben: z. B. den Kulturkoffer, der nicht nur unsere beiden Ressorts stärker zusammengebracht hat, sondern auch auf der Ebene der Akteur*innen einen Kooperationszwang beinhaltet, damit die Künstler*innen mit pädagogischen Einrichtungen zusammenarbeiten. In der Hoffnung, dass diese Kooperation, dieser Dialog von Mensch zu Mensch, erfolgreich ist und vielleicht auch ohne dieses Modellprojekt nachhaltig sein möge. Sie haben nach der Nachhaltigkeit gefragt: Aus meiner Sicht wäre es fachlich ein spannender Ansatz, das umgekehrt

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zu denken, nämlich von der Seite der möglichen Spielorte aus. Wir stellen fest, dass z. B. viele kommunale Bauten, die früher mal wunderbare und multifunktionale Spielstätten waren, in keinem guten baulichen und technischen Zustand sind. Und zugleich, dass Fachverwaltungen, die es früher mal gegeben hat, viele Nebenaufgaben haben und sich gar nicht mehr um Kultur oder Vermittlung kümmern können – gerade in den kleineren Gebietskörperschaften. Meine Idee für die Zukunft wäre es, diese Spielstätten und Strukturen so zu unterstützen, dass sie wieder mehr mit Künstler*innen ins Gespräch kommen und adäquate Orte für die darstellende Kunst anbieten können. Denkbar wäre ein Investitionsprogramm für Bespieltheater und Bürgerhäuser und für die fachliche Qualifikation von Mitarbeiter*innen in der Kommunalverwaltung, damit sie wieder lokale Kulturarbeit leisten können. Eitzeroth: An vielen Stellen ist Kooperation strukturell angelegt – beim Kulturkoffer genauso wie bei „Kultur macht stark“ – und auch das nicht ohne Grund. Gerade wenn man Institutionen wie Theater und Schule zusammenbringt, die vielleicht unterschiedliche Verständnisse und Interessen an Theater haben. Kooperation an sich zu fördern, ist die Voraussetzung dafür, dass Theater ein Stück weit Querschläger in Schulen sein und dadurch eine ganz andere Qualität einbringen kann. Kooperationsarbeit braucht wiederum Ressourcen – und zwar auf der Seite der Schule, der Theater und der Netzwerke, die Schule und Theater zusammenbringen. Schneider: Mittlerweile gibt es einen Aktionsplan auf der Basis der Studie, den verschiedene Vertreter*innen aus dem Schul- und Theaterbereich gemeinsam formuliert haben. Was sind die zentralen Forderungen in diesem Papier? Eitzeroth: Die Akteur*innen aus dem Schul- und Theaterbereich fordern u. a. die Verankerung des Fachs Darstellendes Spiel in der Stundentafel, einen Ausbau der Förderung der


darstellenden Künste für junges Publikum sowie die Stärkung von Netzwerkakteur*innen und -vermittler*innen zwischen Theater und Schule … Schneider: … und diese Forderungen sollten deshalb ganz oben auf der Agenda der neuen Hessischen Landesregierung in der Kulturpolitik und Bildungspolitik stehen.

Redaktionell bearbeitet von Thilo Grawe

Marcus Kauer ist Referent für Kulturelle Bildung im Hessischen Kultusministerium. Jan Kittel ist Theaterreferent im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Anna Eitzeroth ist Mitarbeiterin der ASSITEJ und des Kinderund Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland. Sie hat die Studie „Darstellende Künste und Schule in Hessen“ als Projektleiterin verantwortet. Wolfgang Schneider ist Direktor des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim und Ehrenpräsident der Internationalen Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche (ASSITEJ). FLUX: Austauschplattform, 2018. Foto: Konrad Merz

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Info und Service -

ARBEITSKREIS SÜDWEST IN DER ASSITEJ ASSITEJ e. V. – Internationale Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche Das Netzwerk der Kinder- und Jugendtheater in Deutschland, Frankfurt a. M. www.assitej.de Der Arbeitskreis Südwest vernetzt Theaterschaffende und Institutionen in den Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland

Figurentheater Eigentlich, Frankfurt a. M. www.figurentheater-eigentlich.de FLUX | Theater – unterwegs in Hessen Verein zur Förderung der Zusammenarbeit von Theatern und Schulen e. V., Frankfurt a. M. www.theaterundschule.net Freies Theaterhaus Frankfurt www.theaterhaus-frankfurt.de Hella Lux, Frankfurt a. M. www.hellalux.de Janna Pinsker & Wicki Bernhardt, Frankfurt a. M.

HESSEN Burgfestspiele Bad Vilbel www.kultur-bad-vilbel.de/burgfestspiele theater mimikri, Büdingen www.mimikri.de Theater Herzstück, Butzbach www.theater-herzstueck.de

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Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a. M. www.kjtz.de Konolino, Frankfurt a. M. www.konolino.de Kortmann & Konsorten, Frankfurt a. M. www.kortmann-konsorten.com

Staatstheater Darmstadt www.staatstheater-darmstadt.de

Landesverband Professionelle Freie Darstellende Künste Hessen e. V. (laPROF), Frankfurt a. M. www.laprof.de

theater die stromer, Darmstadt www.theater-diestromer.de

M O N S T R A, Frankfurt a. M. www.monstra-monstra.de.

Theater Lakritz, Darmstadt www.theater-lakritz.com

Oper Frankfurt www.oper-frankfurt.de

Theater Transit, Darmstadt www.theatertransit.de

Theater Charis Nass, Frankfurt a. M. www.charisnass.de

Theaterlabor INC., Darmstadt www.theaterlabor-inc.com

TheaterGrueneSosse, Frankfurt a. M. www.theatergruenesosse.de

Célestine Hennermann, Frankfurt a. M. www.celestinehennermann.de

Theater La Senty Menti, Frankfurt a. M. www.lasentymenti.de

Daedalus Company, Frankfurt a. M. www.daedaluscompany.de

theaterperipherie, Frankfurt a. M. www.theaterperipherie.de

die kollektivschläfer, Frankfurt a. M. www.kollektivschlaefer.com

Starke Stücke – Internationales Theaterfestival für junges Publikum Rhein-Main KulturRegion FrankfurtRheinMain, Frankfurt a. M. www.starke-stuecke.net


Wu Wei Theater, Frankfurt a. M. www.wuweitheater.de

Projekt Bleichstraße 14 H e. V. das ensemble THEATERATELIER 14H www.theateratelier.info

Freies Theater Fulda www.ftf-theater.de Theater Mittendrin, Fulda www.theater-mittendrin.de Stadttheater Gießen www.stadttheater-giessen.de

RHEINLAND-PFALZ Pfalztheater Kaiserslautern www.pfalztheater.de

Hof-Theater-Tromm, Grasellenbach www.hof-theater-tromm.de

laprofth, Landesverband professioneller freier Theater RLP e. V. (assoziiertes Mitglied), Koblenz www.laprofth.de

theater 3 hasen oben, Immichenhain www.3hasenoben.de/wordpress

KiTZ Theaterkumpanei, Ludwigshafen www.theaterkumpanei.de

Aktions-Theater Kassel www.aktionstheaterkassel.com

Theater im Pfalzbau, Ludwigshafen www.theater-im-pfalzbau.de

Henß & Kaiser | tanzen schräg, Kassel www.henss-kaiser.de

Junges Staatstheater Mainz www.staatstheater-mainz.com

Spielraum-Theater, Kassel www.spielraum-theater.de

Landesbühne Rheinland-Pfalz im Schlosstheater Neuwied www.schlosstheater-neuwied.de

Staatstheater Kassel www.staatstheater-kassel.de Laku Paka Figurentheater, Kaufungen www.theater-laku-paka.de Hirsch & Co Musik und Theater für Kinder, Lauterbach www.hirsch-co.de

Theater Streu Licht, Schornsheim www.theater-streu-licht.de Kinder- und Jugendtheater Speyer www.theater-speyer.eu Theater Trier www.theater-trier.de

Hessisches Landestheater Marburg www.hltm.de SAARLAND

Kaleidoskop Kinder- und Jugendtheatertage in der hessischen Region, Marburg Eine Reihe von laPROF www.kaleidoskop-hessen.de

Staatstheater Saarland, Saarbrücken www.staatstheater.saarland

Theater Rüsselsheim www.kultur123ruesselsheim.de

überzwerg – Theater am Kästnerplatz, Saarbrücken www.ueberzwerg.de

Junges Staatstheater Wiesbaden www.staatstheater-wiesbaden.de

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STARKE STÜCKE Starke Stücke ist ein Projekt der KulturRegion FrankfurtRheinMain, der Starke Stücke GbR und von Kulturveranstaltern in der Rhein-Main-Region. KulturRegion FrankfurtRheinMain gGmbH Kultur in der Region – Kultur für die Region In der Metropolregion FrankfurtRheinMain haben sich knapp fünfzig Städte, Landkreise und der Regionalverband zur KulturRegion zusammengeschlossen. Über die Bundesländergrenzen hinweg vernetzt und berät die gemeinnützige Gesellschaft lokale und regionale Kulturschaffende und fördert die interkommunale Zusammenarbeit anhand konkreter Projekte wie dem Theaterfestival Starke Stücke, der Route der Industriekultur Rhein-Main, GartenRheinMain, Geist der Freiheit oder Kulturerbe Rhein-Main (2018/19). Sie gibt jährlich das Jahresprogramm Museen & Sonderausstellungen heraus. Ihre wichtigste Querschnittsaufgabe ist Kulturelle Bildung. www.krfrm.de

FESTIVALVERANSTALTER UND SPIELORTE

seit 1994 Theaterhaus Frankfurt weiterer Spielort: Löwenhof www.theaterhaus-frankfurt.de Gallus Theater, Frankfurt a. M. www.gallustheater.de Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt a. M. Kinderkulturprogramm „Frankfurter Flöhe“ Spielorte: verschiedene Kinder- und Jugendhäuser sowie Kirchengemeinden in den Frankfurter Stadtteilen aktuelle Spielorte: Ev. Paul-Gerhardt-Gemeinde Niederrad, Ev. Cyriakusgemeinde Rödelheim, Ev. Festeburgkirche Preungesheim, Kinderhaus Nied

seit 1995 Stadt Neu-Isenburg (bis 2001) Spielort: Hugenottenhalle Stadt Rödermark (bis 1997) Spielorte: Bücherturm Ober-Roden, Kleinkunstbühne in der Halle Urberach

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seit 1996 Bürgerhäuser Dreieich Spielort: Bürgerhaus Sprendlingen-Dreieich www.buergerhaeuser-dreieich.de Schultheater Studio Frankfurt a. M. (bis 1998) www.schultheater.de

seit 2001 Kultur 123 Stadt Rüsselsheim Spielort: Theater Rüsselsheim www.kultur123ruesselsheim.de Kulturamt Bad Vilbel Spielorte: Theater Alte Mühle, Kultur- und Sportforum Dortelweil www.kultur-bad-vilbel.de

seit 2005 Kulturamt Eschborn Spielorte: Stadthalle, Bürgerzentrum Niederhöchstadt, Eschborn K www.eschborn.de Kulturamt Stadt Aschaffenburg Spielort: Stadttheater Aschaffenburg www.stadttheater-aschaffenburg.de

seit 2007 Amt für Kultur- und Sportmanagement Offenbach a. M. Spielort: Theateratelier Bleichstraße 14H www.theateratelier.info Jugendamt (KJK-Sandgasse/Jugendkulturbüro) Offenbach a. M. Spielort: Kinder-, Jugend- und Kulturzentrum Sandgasse www.offenbach.de

seit 2009 Fachbereich Kultur der Stadt Hanau Spielorte: Comoedienhaus Wilhelmsbad, Olof-Palme-Haus

seit 2010 KulturForum Hattersheim Spielorte: Kutschersaal im Alten Posthof, Posthofkeller www.kulturforum.de


seit 2011 Theater Moller Haus, Darmstadt www.theatermollerhaus.de

seit 2017 JUKUZ Aschaffenburg www.jukuz.de

Jugendkulturtreff e-werk, Bad Homburg v. d. Höhe www.e-werk-hg.de

Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt a. M. www.mousonturm.de

Kulturamt Friedrichsdorf Spielort: Forum Friedrichsdorf www.friedrichsdorf.de Stadtkultur Hofheim a. Ts. Spielort: Stadthalle Hofheim a. Ts. www.hofheim.de Achterbahn e. V. Ginsheim-Gustavsburg (bis 2015) Spielorte: Bürgerhaus Ginsheim, Burg-Lichspiele

seit 2012 Kulturkreis Schwalbach a. Ts. GmbH Spielort: Bürgerhaus Schwalbach a. Ts. www.kulturkreis-schwalbach.de

seit 2018 Kulturbüro und Fachdienst Jugendarbeit der Stadt Maintal Spielort: Bürgerhaus Maintal-Bischofsheim

seit 2019 Kulturservice der Stadt Friedberg (Hessen) in Kooperation mit dem Theater Altes Hallenbad Spielort: Theater Altes Hallenbad www.aha-friedberg.de Staatstheater Darmstadt www.staatstheater-darmstadt.de theaterperipherie Frankfurt a. M. Spielort: Titania Theater www.theaterperipherie.de

seit 2013 Centralstation, Darmstadt www.centralstation-darmstadt.de Kulturamt der Stadt Flörsheim a. M. Spielort: Kulturscheune

seit 2014 Kulturgemeinde Kelkheim Spielort: Kulturbahnhof Kelkheim-Münster www.kulturgemeinde-kelkheim.de

seit 2016 jugend-kultur-kirche sankt peter www.sanktpeter.com Referat Kultur und Stadtgeschichte Kronberg i. Ts. Spielort: Stadthalle Kronberg Kultur- und Veranstaltungsbüro Obertshausen Spielort: Bürgerhaus Hausen www.kultur-obertshausen.de

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PREISTRÄGER*INNEN FRANKFURTER KINDER- UND JUGENDTHEATERPREIS KARFUNKEL VERLIEHEN IM RAHMEN DES STARKE-STÜCKE-FESTIVALS

MARBURGER KINDER-UND JUGENDTHEATERPREIS VERLIEHEN IM RAHMEN DES KUSS-FESTIVALS

2019

theaterperipherie – für herausragende Theaterarbeit

2018

Comedia Theater Köln – Tigermilch

2018

TheaterGrueneSosse – Als wir verschwanden TheaterGrueneSosse/Goldfisch-Ensemble – Zertrennt textXTND – Hörtheaterreihe On:Air

2017

Theater Foxfire/Dschungel Wien (AT) – Blutsschwestern

2016

Compagnie Sac à Dos, Brüssel (BE) – Das Mädchen vom Mond

2017

Theater La Senty Menti – remembeRING Förderpreis: Sarah Kortmann

2015

Compania El Patio, Logroño (ES) – A mano – Von Hand gemacht

2014

Danstheater AYA, Amsterdam (NL) – Eerste Keer

2016

Rob Vriens – für seine langjährige Zusammenarbeit mit dem Theaterhaus Frankfurt

2013

Compagnie Ea Eo, Wevelgem (BE) – m

2015

Célestine Hennermann – miniMAX

2012

Agora Theater St. Vith (BE) – Heute: Kohlhaas

2014

Starke-Stücke-Festival Figurentheater Eigentlich – Sieben Geißlein (… und der Wolf)

2011

Agora Theater St. Vith (BE) – Der König ohne Reich

2013

Theaterhaus Ensemble – Stein auf Stein Gallus Theater – für die langjährigen Verdienste im Bereich des Kinder- und Jugendtheater

2010 Theater Laku Paka, Kaufungen – Die Bremer Stadtmusikanten

2012

Johanna Knorr – Picknick im Kohlfeld lobende Anerkennung für theaterperipherie – Ehrensache

2011

TheaterGrueneSosse/Junges Ensemble – Testosteron

2009 Kinder- und Jugendtheater Dortmund – Der Junge, der unsichtbar wurde 2008 Theaterhaus Ensemble Frankfurt a. M. – Schwarz wie Tinte 2007 Puppentheater Halle/Saale – Die goldene Gans 2006 Erfreuliches TheatErfurt – Adieu Benjamin

2010 Theaterhaus Ensemble – An der Arche um acht 2005 Puppentheater Halle/Saale – Das Geheimnis des alten Waldes 2004 Hessisches Landestheater Marburg – F.A.U.S.T. 2003 Spielraum-Theater Kassel – Odyssee – Die große Erzählung 2002 Theaterhaus Ensemble Frankfurt a. M. – Stones 2001 Agora Theater St. Vith (BE) – Roméo & Juliet 2000 Landestheater Tübingen – Die Frau, die einen Truthahn heiratete 1999 Mainfranken Theater Würzburg – Das Herz eines Boxers 1998 Klappmaul Theater, Frankfurt a. M. – Die Reise zum Mittelpunkt des Sofas

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Nirgendwo anders als in NordrheinWestfalen gibt es eine so vielfältige Szene von freien Gruppen, Landesbühnen und Stadttheatern, die sich an ein junges Publikum wendet. Dieses Buch schaut auf die Gegenwart, betrachtet Programme, Projekte und die Potentiale, wagt Ausblicke auf die Zukunft. Es geht um das Kinder- und Jugendtheater als Kunstform und um die dramatischen Künste als kulturelle Bildung. Die Autoren beschäftigen sich mit der Infrastruktur, Tendenzen in den Spielplänen, Ausbildung und Karriereplanung. Das Theater für die Allerkleinsten, die Zusammenarbeit mit Kindergärten und Schulen sowie das Tanz-, Figurenund Musiktheater sind ebenso Themen wie Aufführungen mit Jugendlichen und das Familientheater vor Weihnachten. Nicht zuletzt richtet sich der Blick über die Grenzen Nordrhein-Westfalens hinaus und wirft die Frage auf, inwiefern die starke Szene hier ein Modell für Kinder- und Jugendtheater in anderen Regionen sein kann.

Kinder- und Jugendtheater in Baden-Württemberg ist künstlerisch herausragend, erzählt dramatische Geschichten und erfindet eindrucksvolle Bilder. Die Theatermacher zwischen Mannheim, Stuttgart und Freiburg gelten als mutige Experten der darstellenden Künste, sie sind nah dran am jungen Publikum und vorneweg, wenn es ums Ausprobieren geht im Laboratorium der sozialen Fantasie. Die Ensembles sind zu Recht stolz auf die kulturpolitische Infrastruktur - manche sprechen sogar vom Modell -, auf das Repertoire und seine gesellschaftliche Relevanz sowie auf ihr theater-pädagogisches Programm als kulturelle Bildung.

Abonnieren Sie das Magazin für Kinder- und Jugendtheater Die Beschäftigung mit dem Theater für Kinder- und Jugendliche steht im Mittelpunkt von IXYPSILONZETT. Berichte und Essays, Gespräche und Nachrichten, Dokumente und Kolumnen beschreiben die zeitgenössische deutsche und europäische Kinder- und Jugendtheaterlandschaft.

Dieses Buch gewährt einen einzigartigen Einblick in das Schaffen der baden-württembergischen Kinder- und Jugendtheater, berichtet von Arbeitsprozessen und Bühnenwerken und dokumentiert die kulturelle Vielfalt einer Landschaft, in der Kunst für die Kleinen ganz groß geschrieben wird. Das ist in der Tat eine „Schöne Aussicht“!

IXYPSILONZETT erscheint dreimal jährlich - im Januar (das Jahrbuch), Mai und Oktober.

Westwind

Schöne Aussicht

IXYPSILONZETT

Kinder- und Jugendtheater in

Kinder- und Jugendtheater in

Magazin für Kinder- und Jugendtheater

Nordrhein-Westfalen

Baden-Württemberg

Herausgegeben von der ASSITEJ Deutschland

Herausgegeben von Wolfgang Schneider

Herausgegeben von Wolfgang Schneider

Abonnement – Drei Ausgaben pro Jahr, inkl. drei

und Stefan Keim

und Bernd Mand

Ausgaben von „Theater der Zeit“

ISBN 978-3-940737-89-2 EUR 16,00

ISBN 978-3-943881-12-7 EUR 16,00

Abo innerhalb Deutschlands: EUR 22,00 pro Jahr

Paperback, 124 Seiten, zahlr. Abbildungen

Paperback, 124 Seiten, zahlr. Abbildungen

Außerhalb Deutschlands: EUR 30,00 pro Jahr

Erhältlich im Buchhandel oder portofrei unter www.theaterderzeit.de





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