INFOcomics Machiavelli. Ein Sachcomic

Page 1


PATRICK CURRY & OSCAR ZARATE


Impressum www.infocomics.de

Titel: Machiavelli. Ein Sachcomic Reihe: INFOcomics (hrsg. von Wilfried Stascheit) Autor: Patrick Curry Illustrationen: Oscar Zarate Umschlag: Edward Bettison Titel der englischen Originalausgabe: Machiavelli. A Graphic Guide Icon Books Ltd., London, 2011 © Text: Patrick Curry © Illustrationen: Oscar Zarate

© 2015 deutsche Ausgabe: TibiaPress Verlag GmbH Ruhrpromenade 3, D- 45468 Mülheim an der Ruhr Tel.: +49 (0)208 88 37 57 47 info@tibiapress.de www.tibiapress.de Übersetzung: Julia Kockel,Wilfried Stascheit Layout: Verlag Die Werkstatt, Göttingen Druck: Druckerei Uwe Nolte, Iserlohn Gedruckt auf GardaPat Classica ISBN: 978-3-935254-45-8

Hier finden Sie unseren neuesten Katalog:

Besucht uns auf Facebook:

www.tibiapress.de/katalog

www.facebook.com/infocomics



„Alter Nick“ Über hundert Jahre lang war der Name Niccolò Machiavelli gleichbedeutend mit Zynismus, Sittenlosigkeit und politischer Grausamkeit. Im 16. Jahrhundert wurde sein Vorname oft mit „Alter Nick“ abgekürzt – der damals gebräuchliche Spitzname für den Teufel. Die Jesuiten (von den Protestanten des Machiavellismus angeklagt) nannten ihn „des Teufels Komplize“. „Mörderischer Machiavelli“ wurde zur beliebtesten Referenz im Elisabethanischen Theater – einschließlich Shakespeares Stücken. Wie Lord Macaulay im Jahre 1827 schrieb: „Wir bezweifeln, dass irgendein anderer Name in der Literaturgeschichte so grundsätzlich verhasst war …“


Folgendermaßen beschrieb der Philosoph Bertrand Russel – in unserem Jahrhundert – Machiavellis berühmtestes Buch, Der Fürst.

Ein Handbuch für Verbrecher … Hmmm … Ahh …

Ein Handbuch für Staatsmänner!

Passenderweise wurde das Buch gerade von einem der Menschen hoch gelobt, die Russel mit seiner Beschreibung im Sinne hatte – Benito Mussolini. Er war fest davon überzeugt zu wissen, wer mit diesem Fürst gemeint war und wie ein neuer Fürst sein sollte. Mussolini verfasste das Vorwort für eine neue Ausgabe. Dies erklärt vielleicht die Antwort, die Henry Kissinger (langjähriger Machthaber hinter dem Präsidententhron der amerikanischen Politik) im Jahre 1972 einem Journalisten gab, als dieser ihn als Machiavellisten bezeichnete: „Nein, nicht im geringsten!“ War er nicht mal in geringem Maße von Machiavellis Ideen beeinflusst? 4


Wie wir sehen werden, hatte Machiavelli auch seine Fans – und viele davon waren keine Verbrecher – wie etwa der Philosoph Francis Bacon, der kommentierte: Wir sind Machiavelli und anderen Autoren äußerst zugetan, die schreiben, was Männer tun, und nicht, was sie tun sollten.

Niccolò Machiavelli hat über die Welt geschrieben, in der wir leben – wie sie wirklich ist! Ohne den ganzen Bullshit.

Dennoch – Machiavellis schlechte Presse setzt sich bis heute fort. Der Fürst, schreibt der Guardian, ist „das ultimative Handbuch für politisch berechnendzweckmäßiges Handeln“. Und die aktuelle Ausgabe des Chambers English Dictionary führt das Adjektiv „machiavellian“ unter der Bedeutung „politisch gerissen und skrupellos, um jeden Preis an die Macht kommen oder Vorteile für sich herausschlagen; unmoralisch und opportunistisch“. Was also war Machiavelli: das böse Genie oder der brillante politische Theoretiker? Und was hat er uns heute zu sagen? Um das zu beantworten, müssen wir wissen, wer er war und was er im Zusammenhang mit den Problemen seiner eigenen Zeit schrieb. 5


Renaissance in Florenz Im 15. Jahrhundert erlebte Florenz sein goldenes Zeitalter. Der florentinische Reichtum wurde legendär. Seine Währung, der Florentiner, wurde überall akzeptiert, und seine Kaufmänner trieben ihren Handel über weite Entfernungen hinweg – zunächst mit Wolle, dann mit Seide im Handel mit dem Osten. Zu den wohlhabendsten und erfolgreichsten Familien in dieser Zeit gehörten die Medici. Ursprünglich aus dem Mugello-Tal stammend, konnten sie als kaufmännische Bankiers großen Reichtum anhäufen und wurden schließlich in die persönlichen Dienste des Papstes gestellt. Bald weitete sich ihr Ehrgeiz auf die Politik, das Pontifikat selbst und die Herrschaft über ihre Heimatstadt aus. Aber die Medici machten sich auch als großzügige Förderer der Künste und der Wissenschaften einen Namen. Sie waren keine engstirnigen Tyrannen.

MA

ILA

FR A N K R

ND

E IC H

GE NUA

SPA NIE N

LU C C A A PIS 6

S FLUS


Ein Florentiner

SIE N A

ROM Wahrzeichen von Florenz

ARN

O

Diese Kombination von Kommerz, Kultur und aufgeklärtem Despotismus machte Florenz zum Renaissance-Äquivalent des Athens des klassischen Altertums – einer der Wendepunkte in der europäischen Kultur und Zivilisation. 7


Dank der Gönnerschaft wohlhabender Kaufmannsfamilien, wie der Medici, wurde Florenz – zu einer Zeit von nahezu beispielloser Kreativität und Optimismus – zum Zentrum der westlichen Künste und Wissenschaften. Um 1420 entwarf Filippo Brunelleschi die riesige Kuppel der Kathedrale Santa Maria del Fiore, nahe des Giotto-Turms, und betreute (zusammen mit Ghiberti) deren Bau. Die Kuppel wurde im Jahre 1436 fertiggestellt, die Laterne jedoch erst nach Brunelleschis Tod. Gemeinsam mit Alberti entwickelte er außerdem die Linearperspektive.


Die Darstellung von Entdeckungen im Bereich der Anatomie zusammen mit k체nstlerischer Kreativit채t zeichnen die Skulpturen Donatellos und die Gem채lde Piero della Francescas aus. Botticellis Die Geburt der Venus dr체ckt aufs Erlesenste das neue Interesse an heidnisch klassischen Objekten aus.


Das Leben und Werk des Florentiners Leonardo da Vinci eignet sich wohl als bestes Beispiel für die intellektuelle Neugier, den humanen Skeptizismus und die Sensibilität dieser Stadt. Michelangelo – die Koryphäe der westlichen Bildhauerkunst und Malerei – und da Vinci gaben sich in Florenz die Klinke in die Hand, während er seine künstlerische Beherrschung der menschlichen Form entwickelte.



Die Guelfen und Ghibellinen Florenz kann auf eine lange und unruhige politische Geschichte zurückblicken. Im Jahre 1200 war es durchgehend in den Krieg zwischen den Guelfen – auf Seiten des Papstes (eingeschlossen Florenz) und den Ghibellinen – auf Seiten des Kaisers (eingeschlossen Siena, Lucca und Pisa) verwickelt. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts spalteten sich die florentinischen Guelfen selbst in zwei Fraktionen: die Weißen (gegen den Papst) und die Schwarzen (seine Unterstützer). Machiavelli kommentiert diese interne Spaltung in seiner Geschichte von Florenz (1525).

Und nimmer blieb eine siegreiche Partei einig, ausgenommen solange die feindliche noch am Leben war. War sie aber tot und hatte die herrschende keine Furcht mehr, die sie zurückgehalten, keinen Halt in sich, der sie gezügelt hätte, so zerfiel sie augenblicklich.

20


Zwischen der weißen und der schwarzen Fraktion der Guelfen brach ein Bürgerkrieg aus. Die Weißen verloren, und im Jahre 1302 wurden viele von ihnen ins Exil geschickt, ihre Häuser und ihr Eigentum zerstört und sie mit einer Todesdrohung belegt, falls sie jemals unter florentinischer Gerichtsbarkeit erwischt werden sollten. Unter ihnen befand sich der größte italienische Dichter, Dante Alighieri, der nie wieder nach Florenz zurückkehrte. Dante beschrieb in seiner Göttlichen Komödie treffend die Bitterkeit des Exils.

Dann wirst du fühlen, wie das fremde Brot So salzig schmeckt, und welch ein harter Pfad ist, Die fremden Treppen auf- und abzusteigen … Und zum Ruhm wird dir gereichen, Dass du dir für dich selbst Partei gebildet. Das Paradies, XVI.I Gesang

Sagt er mein eigenes Exil aus Florenz voraus?

21


Der Traum einer republikanischen Freiheit Der Kampf zwischen Guelfen und Ghibellinen – in und um Florenz – setzte sich über das gesamte 14. Jahrhundert fort. Und es kamen immer neue Krisen dazu. Im Jahre 1342 zum Beispiel kam der tyrannische Walter de Brienne, „Herzog von Athen,“ an die Macht, wurde aber nur ein Jahr später durch eine Volksrevolte vertrieben.

Mitleid den Florentinern, die weder ihre Freiheit bewahren noch die Sklaverei ertragen können.


Die spätmittelalterliche Regierung von Florenz bestand in einer komplexen Anordnung aus einer großen Ratsversammlung – bestehend aus bis zu tausend Mitgliedern – und anderen kleineren Körperschaften und Räten, von welchen die Signoria die mächtigste war. Diese wurden immer mal anders gewählt – von steuerzahlenden Bürgern, Mitgliedern der Zünfte und dem gemeinen Volk. Ein einflussreicher „Minister“ war der Gonfaloniere der Gerechtigkeit (diesen Namen erhielt er, weil er das Gonfalone trug – das Stadtbanner).

In einem Kreislauf pflegen die meisten Staaten von Ordnung zu Unordnung überzugehen, um dann von der Unordnung zur Ordnung zurückzukehren … Denn Tugend zeugt Ruhe, Ruhe Trägheit, Trägheit Unordnung, Unordnung Zerrüttung, wie hinwieder aus der Zerrüttung Ordnung entsteht, aus der Ordnung Tugend, aus der Tugend Ruhm und Glück. Aus Geschichte von Florenz


Die Medici übernehmen die Macht Die Medici-Familie kam im Jahre 1434 an die Macht – als Resultat eines Kampfes zwischen den mächtigsten Familien in Florenz. Langsam aber sicher infiltrierten sie dieses lockere demokratische System. Cosimo de’ Medici traf die Vorauswahl über die Kandidaturen für die Signoria, und nach 1458 tauschte er die alten Räte durch speziell ihm passende aus. Im Jahre 1480 gestaltet Lorenzo eine neue Ratsversammlung aus 70, die aus dem alten Regime gewählt wurden und deren Machtbefugnisse auf Perioden von fünf Jahren ausgeweitet wurden; dieser Rat wählte wiederum eine kleinere Anzahl an Ministern, die den Fürsten in Staatsangelegenheiten beraten sollten – so nahm die Bedeutung des Signoria weiter ab.

Caterina de’ Medici (1519-1589), Königin und eigentliche Herrscherin Frankreichs für über 20 Jahre, war die Tochter von Lorenzo, dem Machiavelli Der Fürst gewidmet hat. Sie war eine skrupellose „machiavellistische“ Intrigantin und verantwortlich für das berüchtigte Massaker an den Hugenotten in der Bartholomäusnacht im Jahre 1572. Girolamo della Robbias Skulptur für Catarina de’ Medicis Grabmal. 24




Cesare Borgias Genius Machiavelli war von Cesare Borgia schwer beeindruckt und warnte den Rat der Zehn vor dieser „neuen Macht in Italien“. Ein typisches Beispiel für Cesares Vorgehensweise (und Rücksichtslosigkeit) war die Art, wie er mit dem Leutnant Rimirro de Orco verfuhr, dessen sinnlose Brutalität seine Herrschaft in der Romagna gefährdete. Der Missetäter wurde ermordet und dann auf dem größten öffentlichen Platz abgelegt. Kurz danach bekam Cesare Wind von einem Komplott, ihn in Senigallia umzubringen.

Er ging hin, lud die Verschwörer zu einem Festmahl ein und ließ sie während des Essens abschlachten.

Machiavelli beschrieb all das in seinen Briefen in einem staunenden, ja schon bewundernden Tonfall. 35


Leonardo und Machiavelli Im Jahre 1502, als Machiavelli seine diplomatische Mission erfüllt hatte, wurde Leonardo da Vinci von Cesare als oberster Militärbaumeister und ­Ingenieur engagiert. Beide Männer begleiteten Cesare durch seine erfolgreichen Schlachten von 1502 und hielten sich auch in Senigallia auf, als die Verschwörer hingemetzelt wurden.

36


Die beiden Männer – Machiavelli, der Erforscher der rücksichtslosen Macht, und Leonardo, der friedfertige Vegetarier – waren vereint im renaissancetypischen Geiste der Neugier und objektiven Studien. Das Objekt von Machiavellis Studien war der Mensch, das von Leonardo die Natur. Sie verstanden sich hervorragend und schlossen eine enge Freundschaft.

Später benutzte ich meinen Einfluss, um für Leonardo einen bedeutenden Auftrag zu ergattern: ein Fresko, das die Schlacht von Anghiari auf einer Wand des „Saals der Fünfhundert” im Palazzo Vecchio darstellen sollte.

37


Das Blatt wendet sich Aber im Jahre 1502 wendete sich das Schicksal des Herzogs radikal, und all sein Gewinn wurde wertlos. Denn im August starb sein Vater Alexander VI., gefolgt nur einen Monat später von seinem kurzlebiger Nachfolger Pius III. Machiavelli wurde umgehend nach Rom geschickt, um über die nächste Papstwahl zu berichten. Diese gewann Julius II., den Cesare Borgia unterstützt hatte – der dafür im Gegenzug das Versprechen erhielt, ihn zum Oberbefehlshaber der päpstlichen Heere zu ernennen.

Ah, aber mir fällt wieder ein, wie sehr ich unter Borgias Vater gelitten habe …. also, zur Hölle mit meinem Versprechen!

Nun, der letzte Pinselstrich …


Typisch – anstatt dieses Verhalten als unmoralisch zu verdammen, bezeichnet Machiavelli es als schlau. Und an Borgia kritisiere ich seine schlechte Einschätzung der Lage und sein blindes Vertrauen auf sein übliches Glück.

Zur selben Zeit wurde der Herzog auch noch krank. Ohne die päpstliche Unterstützung fiel sein Reich nach und nach auseinander. Und bald konnte Machiavelli dem Rat der Zehn versichern, dass sie sich wegen Cesare keine Sorgen mehr machen müssten. 39


Heidnische virtù und christliche Tugend Machiavellis genereller Rat ist, sich eher dreist als schüchtern zu verhalten. Im Sinne der Maxime: „Fortuna ist mit den Mutigen.“

… als Frau bevorzugt sie junge Männer, weil sie unvorsichtiger und leidenschaftlicher sind und sie mit größerer Dreistigkeit kommandieren.

Diese Fähigkeit – man mag sie Elan, Tapferkeit, Mut, Stolz, Courage, Stärke nennen – bezeichnete Machiavelli als virtù ( lat. virtus = Mannhaftigkeit , von vir = Mann). Anders gesagt beschreibt virtù die Eigenschaften, die für einen Mann erstrebenswert sind – was auch eine gewisse Schonungslosigkeit miteinschließt. 70

Das Wort beschreibt also keine „gute” oder „tugendhafte” Person im herkömmlichen Sinne.


Seiner Ansicht nach können nicht nur Individuen, sondern auch ganze Nationen virtù besitzen. Hatte eine Nation virtù, war ihr der Erfolg zwar nicht garantiert, hatte sie virtù jedoch nicht, war das ihr sicherer Untergang – denn die Alternative war, sich einzig auf Fortuna zu verlassen. „Nur diejenige Verteidigung ist gut, sicher, dauerhaft, welche von uns selbst und unserer eigenen virtù abhängt.“ Hier rüttelt Machiavelli an der klassischen Überzeugung, wie sie von Cicero ausformuliert wurde: Virtù bedeutet, immer ehrenhaft und moralisch zu handeln – „Ehrenhaftigkeit ist die beste Strategie”.

Es ist undenkbar, dass irgendein Herrscher tatsächlich so sein und so überleben könnte – in einer Welt, die von Männern beherrscht wird, die keineswegs gut sind.

Ein erfolgreicher Herrscher wird nicht gnädig sein.

Cesare Borgia galt als grausam. Diese Grausamkeit hatte die Provinz Romagna zusammengehalten – in Einigkeit und Frieden.

71


Machiavellis virtù ist der Schlüssel, um inmitten Fortunas ständigem Wandel erfolgreich zu sein. Er definierte sie jedoch neu. Für ihn gehörte die Entschlossenheit dazu, sich moralisch falsch zu verhalten und entweder die Stärke (des Löwen) oder die Schläue (des Fuchses) zu benutzen, wenn die Umstände es erfordern; und natürlich die Kunst der Scheinheiligkeit: zu wissen, wie man trotz allem moralisch erscheint. Das gemeine Volk lässt sich immer vom äußeren Schein und von Erfolg beeindrucken.

Es ist nicht sonderlich schwer, diese notwendige Scheinheiligkeit aufrechtzuerhalten, da nur wenige dem Fürsten so nah kommen, um erkennen zu können, wie er eigentlich ist.

Genauso – entzückend!

Gib’s uns, Liebes!

Super, großartig!

Nur ein bisschen Feuer, Schätzchen …

Ausstrahlung, Ausstrahlung!

72


Aber ich kann es nicht oft genug sagen – ziehe keinen Hass oder Verachtung auf dich, sei nicht leichtsinnig, feige oder unentschlossen.

Machiavellis virtù – als der Wille und die Fähigkeit, alles zu tun, was nötig ist, um die Sicherheit des Staats zu garantieren – wurde so zum Gegenteil des Tugendbegriffs (virtus) in seiner üblichen (christlichen) Bedeutung! Satan! Du hast aus der Tugend ein Gespött gemacht!

73

Aber das übergeordnete Ziel von all dem ist die erfolgreiche Regierung – im Interesse größtmöglicher Freiheit.


Die feine Ausbalancierung der Macht Eine gute Ordnung und eine ausreichende Bewaffnung genügen, um Angriffe von außen abzuwehren. Um sich aber vor der Gefahr von Anschlägen und Umstürzen von innen zu schützen, muss ein Fürst sich den Adel ergeben und das Volk zufrieden halten. Natürlich ist es manchmal unvermeidbar, Hass zu provozieren.

74

Man kann genauso für gute wie für schlechte Taten gehasst werden …


Fürsten müssen versuchen zu verhindern, dass der Hass überhand nimmt. Beispielsweise sollten sie versuchen, sich die Loyalität der mächtigsten Klassen (wie etwa des Adels oder des Militärs) zu sichern.

Der Fürst muss sich besonders davor hüten, seine nächsten Mitarbeiter bei Regierungsgeschäften gröblich zu verletzen.

Allgemeiner Hass und Verachtung bedeuteten selbst für die mächtigsten römischen Kaiser den Ruin; Bewunderung und Ansehen hingegen den Aufstieg anderer.

Also baut man die stärkste Festung, indem man vermeidet, vom Volk gehasst zu werden.

75


Machiavelli und der moderne bürgerliche Republikanismus Das ist die politische und gesellschaftliche Theorie, in der man Machiavellis Präsenz heute noch am stärksten spüren kann.

Mein Werk hat stetig neue Generationen von Lesern und Interpreten gefunden.

Seine Wiederaufarbeitung des klassischen Republikanismus, die eine mitwirkende Bürgerschaft betonte und Korruption für parteiinterne und private Zwecke ablehnte, gab dieser Tradition in der modernen Welt der Nationalstaaten einen neuen Aufschwung. 132


Aber der bürgerliche Republikanismus hatte starke – oftmals feindselige – Konkurrenz von anderen Traditionen.

Nicht zu verwechseln mit der Republikanischen Partei in den USA oder gar der IRA (Irische Republikanische Armee)!


Machiavellistisches Amerika Ein Ausläufer der Überlegungen Machiavellis erreichte das frühe Amerika durch die Schriften des politischen Philosophen der französischen Aufklärung, Charles Montesquieu (1689-1755). Auf diesem Wege beeinflusste Machiavellis bürgerlicher Republikanismus die Gründerväter der amerikanischen Unabhängigkeit. Wir glaubten, dass wir mit einer konföderativen Republik …

… die Staaten mit erheblicher eigener Machtbefugnis (z. B. Mini-Republiken) zusammenbringt …

134


Diese Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika wurden sehr bald zu Produkten und klassischen Figuren der Aufklärung, die einen immensen sozialen und politischen Einfluss auf den Westen hatte.

… die bürgerlichen Tugenden in einem so großen Land bewahren können.

Es kommt einem nur wegen meiner „schlechten Presse” seltsam vor, dass diese Männer „gute” Machiavellisten waren.

135


Der Gesellschaftsvertrag In Europa plädierte Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) dafür die bürgerliche Tugend des einzelnen Bürgers durch tugendhafte Gesetze zu ersetzen, die durch allgemeine Abstimmung entstehen sollten. Er verdrehte also Machiavellis Fokus vom Öffentlichen und Sozialen (weg vom Privaten und Individuellen) zum potenziell autoritären Konzept des „Gemeinwillens“ (volonté générale) – ein Gedanke der sich über die Französische Revolution bis hin zur marxistischen Ideenwelt verfolgen lässt. Männer müssen zur Freiheit gezwungen werden.

Meinst du das mit deinem „Gesellschaftsvertrag”?


Friedrich der Große (1712-1786), König von Preußen, schrieb im Jahre 1740, als „aufgeklärter Despot“, den Antimachiavell, um die Menschlichkeit gegen „diesen Unmenschen, der sie vernichten will“ zu verteidigen. Zwölf Jahre später – nach einiger Regierungserfahrung – dachte er anders darüber.

Bei allem Respekt muss ich doch zugeben, dass Machiavelli zum Teil recht hat.

Was Napoleon Bonaparte (1769-1821) betrifft:

Der Fürst ist das einzige Buch, das es wert ist, gelesen zu werden.


Der Historizismus in der Zeit nach der Aufklärung G.W.F. Hegel (1770-1831) lobte Machiavelli für seine visionäre Sicht auf die Bedeutung des modernen Nationalstaates, der für Hegel der direkte Erbe der klassischen Republik war.

Das Ziel dieser Entwicklung war die Selbstrealisierung der objektiven Geschichte als „Weltgeist” und gleichzeitig die völlige Erlangung der subjektiven menschlichen Freiheit.

Hier wird der Staat b uchstäblich zum Gottauf-Erden, eine vergöttlichte Gemeinschaft, die das reine Individuum vervollständigt und transzendiert.

Jede Republik ist eine temporäre und unvollkommene Realität in der Gegenwart. Es ist keine „Zielvorgabe” der Geschichte, uns jemals einen perfekten Staat zu schaffen.

138


Karl Marx (1818-1883) übernahm die Einflüsse der Aufklärung und Hegels Historizismus, den er „umdrehte“, indem er den Idealismus des universellen Geistes durch den Materialismus der Kräfte und Beziehungen der Produktion ersetzte.

Das Ziel der Geschichte ist die Befreiung der Arbeiterklasse – sie ist die wahre Realisation der Philosophie und die Verwirklichung der menschlichen Freiheit.

Wacht auf, Verdammte dieser Erde …

Ein Nichts zu sein, tragt es nicht länger … Auf zum letzten Gefecht!

Dies änderte nichts an den grundsätzlichen Möglichkeiten, die diese Theorie und Praxis für eine Tyrannei mitbringen, wenn nämlich der Staat tatsächlich die Menschen ersetzt und an deren Stelle handelt, später die Partei an Stelle des Staates und am Ende der Führer der Partei an Stelle der Partei. 139


Postmoderner Machiavellismus Die Ironie bei dieser Geschichte ist, dass Machiavellis größte Obsession – und für ihn das Prinzip einer Republik – die Freiheit der realen und nicht der idealen Bürger war. Auch kann Machiavellis Wertepluralismus (wie ihn Isaiah Berlin erläutert hat) nicht mit so etwas wie Monismus und Rationalismus in Einklang gebracht werden – weder mit Hegels idealistischem System noch mit Marx’ materialistischer Version. Genau deshalb fühlte ich – im Gegensatz zu euch – keinerlei Verpflichtung, nur ein Wertesystem für richtig zu halten und zu glauben, dass alle anderen – zum Beispiel die christlichen – „wahrhaftig“ falsch sind; auch maßte ich mir nicht an zu glauben, dass ich besser wüsste, was gut für die Menschen ist, als die Menschen selbst. Es geht vielmehr darum, dass die Bürger die Dinge für sich selbst entscheiden.

Mit Blick auf die Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts ist dies eine bewundernswerte Auffassung. Ebenso erscheint Machiavelli im Lichte des postmodernen Pluralismus, Pragmatismus und Relativismus als der progressivere Denker. Schauen wir uns kurz die Grundprobleme des bürgerlichen Republikanismus an, die die postmoderne Theorie geerbt hat und nun überdenken muss. 140



Danksagungen Oscar Zarate dankt Hazel Hirshorn und Maria Reidy vom italienischen Kulturinstitut für die Recherche zu Bildmaterialien. Die zusätzlichen Zeichnungen auf den Seiten 83-85 stammen von Woodrow Phoenix. Patrick Curry (geb. 1951) ist freier Autor, Rezensent großer Tageszeitungen und Hochschullehrer und Historiker. Er lebt in London. Seine Homepage: http://www.patrickcurry.co.uk/ Oscar Zarate (geb. 1942) illustrierte bereits die Infocomics: Quantentheorie und Marxismus. Von ihm stammen auch einige hoch geschätzte Graphic Novels , unter anderem A Small Killing, die im Jahre 1994 den Will Eisner Preis erhielt.

Index Alighieri, Dante 21 Amerika 134-135 Amerikanische Verfassung 100-101 Antimachiavell 137 Aufklärung 138-139 Bacon, Francis 5 Barings, Bank 95 Bellah, Robert 160 blinde Elite, die 98 Bonaparte, Napoleon 137 Borgia Cesare 33-36, 38-39, 57 Grausamkeit 71 Lucretia 34 Botticelli, Sandro 9 verbrennt Kunstwerke 28 Brunelleschi, Filippo 8 bürgerliche(r) Republikanismus 138, 140-148 Tugend 151 Cäsar, Julius 93 Chamberlain, Neville 54 Christentum 106-107 Clinton, Bill 76, 129 Coolidge, Calvin 143 Corsini, Marietta 33 Discorsi 86-92 Veröffentlicht 123

Diskussionsgruppe 86-87 Eigeninteresse 95 Ende der Geschichte, das 150 Etzioni, Amitai 160 Faschismus 153 Ferdinand von Aragon 76 Ficino, Marsilio 13 Florenz Bürgerkrieg 21 Einmarsch der Franzosen 26 Geschichte 20 Regierung 23 Renaissance 6-13 Übernahme durch Spanien 42-43 Zusammenbruch 122 Fortuna, Konzept der 59-62, 117 Franco, Francisco 125 freier Markt 142, 144-147, 150 Freiheit 89-91 positive vs. negative 165 Verlust der 171 Friedrich der Große 137 Fukuyama, Francis 150 Fürst, der 4, 5, 48-79 vs. Discorsi 91 175

veröffentlicht 123 virtù 92-94 Gaulle, Charles de 129 Gemeinschaften vs. Monismus 166-167 Geschichte von Florenz 20, 23, 116, 123 Gesetze 62 Gewalt, Machiavelli über 58 Ghibellinen 20-22 Gleichheit 102-103 Gorbatschow, Michail 129 Gramsci, Antonio 154-159 Guelfen 20-22 Guicciardini, Francesco 101 Hegel, G.W.F. 138 Herrschaft siehe Fürst, der links vs. rechts 152-155 Hobbes, Thomas 148 Humanismus 14-16 Immigration 109 Imperialismus 108 Italien gespalten 18 verteidigen 78-79 Wiederauferstehung 80 siehe auch Florenz; Pisa


Kagan, Donald 131 Kapitalismus 98 Kissinger, Henry 4 Kolumbus, Christopher 12 Kommunismus Gramsci 155 nach 146 siehe auch Marx, Karl Kommunitarismus 160-164 Korruption 109 Krieg 54, 62-64, 109, 130131 siehe auch Kunst des Krieges, die Kunst des Krieges, die 113115 Leach, Christopher 98 Leviathan (Hobbes) 148 liberale Demokratie 148, 150 Locke, John 149 Loyalität 75 Machiavelli, Niccolò Ausbildung 17 Entlassung 44 Funktionär der Regierung 117 geboren 17 gefoltert 44 Heirat 33 heute 170 Hofe, eingeführt am 113 öffentlicher Dienst 31 postmodern 140 schreibend 82-85 Schriftführer der Miliz 40 Tod 121 Verhaftung 44 „machiavellistisch“ 5 Macht 109 MacIntyre, Alisdair 160 Making Democracy work 161 Mandragola, la 83-85

Markt, freier 142, 144-147, 150 Marx, Karl 139, 156, 159 Maximilian, heiliger römischer Kaiser 41 McAlpine, Lord 128 Medici, die 6, 13, 24-26 gestürzt 112 wieder eingesetzt 43, 122 Michelangelo 10, 41 Mirandola, Pico della 13 Mitterand, Francois 129 Monetarismus 150 Montesquieu, Charles 141, 142 Moral 88, 93 Mussolini, Benito 4, 153, 154-155 erschossen 158 Neutralität 76 New Machiavelli, the 128 öffentliche Belohnungen 96 Orti Oricellari 86-87 zerstreut 116 Papst Clemens VII 112 Papstwahl 38-39 Parel, Anthony 173 Pisa verloren 32 wiedergewonnen 40 plurale Gemeinschaften 166-167 Putnam, Robert 161 Raphael 11 rechts vs. links 152-155 Rechte für Bürger 149-173 Religion 104-107, 169 Republik 89 errichtet, Floren 26 Post-Aufklärung 138 Postmoderne 140-152 176

Republikanismus 16, 132135 heute 166-169 Risorgimento 80 Römische(s) Reich 19 Republik 91, 111 Rousseau, Jean-Jaques 136 Sant’Andrea 45-46 Savonarola, Girolamo 27-29 Scheinheiligkeit 72 Schottische Aufklärung 144 Skinner, Quentin 163 Smith, Adam 144 Soderini, Piero 40, 42 Sozialismus 128 Spanien nimmt Florenz ein 42-43 2. Weltkrieg 125 Strozzi, Leonardo 112 Thatcher, Margaret 126, 147 Tocqueville, Alexis de 142 Tyson, Mike 5 Valentino, Herzog siehe Borgia, Cesare Vermögende, die 97 Vespucci, Amerigo 12 Vinci, Leonardo da 10, 36-37 virtù 70-73, 106, 110 siehe auch bürgerliche Tugend Waffen 62 Waltzer, Michael 160 Zivilgesellschaft 141-143 Zwei Abhandlungen über die Regierung (Locke) 149



Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.