INFOcomics Ökonomie Leseprobe

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David Orrell & Borin Van Loon

EIN SACHCOMIC


Was ist Wirtschaft? Wirtschaftswissenschaft ist das Studium darüber, wie Waren und Dienstleistungen produziert, verteilt und von der Gesellschaft konsumiert werden. Weil man generell davon ausgeht, dass Ressourcen nicht unendlich sind, wurde das Fachgebiet vom englischen Ökonomen Lionel Robbins im Jahr 1935 als „die Wissenschaft von der Knappheit“ beschrieben. Das Wort „Ökonomie“ setzt sich zusammen aus oikos (Haushalt) und nomos (Gesetz) und meint etwas wie „Haushaltsregel“ oder „Verwaltung des Hauses“.

„Haushalt“ ist heute zu verallgemeinern, und schließt Einzelpersonen, Unternehmen, Länder und das ganze Weltsystem ein.

Während es erst seit dem 19. Jahrhundert „Ökonom“ als Berufsbezeichnung gibt, hat das Fachgebiet als solches Wurzeln, die viel weiter zurückgehen.

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Altes Geld Ökonomisches Denken ist mindestens so alt wie das Geld selbst. Die frühesten Münzen wurden aus Edelmetallen wie Gold und Silber hergestellt und tauchten um das sechste Jahrhundert v. Chr. erstmals in dem Gebiet der heutigen Türkei auf. Die Münzen waren bald rund um die damals zivilisierte Welt in Gebrauch, von Mesopotamien über Persien und Indien bis nach China. Erste Versionen ökonomischer Ideen existierten deshalb in vielen verschiedenen Ländern.

Wirtschaftswissenschaft hat sich lange Zeit entsprechend den Naturwissenschaften wie Physik entwickelt, so wurde sie vor allem von der westlichen wissenschaftlichen Tradition geprägt, die ihre Wurzeln wiederum in den Ideen der griechischen Philosophen hat.

Wir beginnen deshalb unsere Geschichte, in einer Höhle im alten Griechenland vor zweieinhalbtausend Jahren … 4


Pythagoras Der Philosoph Pythagoras (ca. 570 – ca. 495 v. Chr.) wird heute hauptsächlich mit Mathematik und seinem berühmten Theorem über rechtwinklige Dreiecke assoziiert, das wir alle in der Schule lernen. Aber er hat einen nachhaltigen Einfluss auf die Wissenschaft im Allgemeinen gehabt, die Wirtschaftswissenschaft mit eingeschlossen. Pythagoras wurde von den Griechen als ein Halb-Gott angesehen. Seine Geburt wurde vom Orakel in Delphi vorhergesagt und es wurde gemunkelt, dass sein Vater der Gott Apoll war. Als junger Mann bereiste ich die Welt und lernte von Mystikern und Philosophen.

Nach meiner Rückkehr gründete ich meine Schule in einer Höhle und lehrte Mathematik.

Seine Schule entwickelte sich zu einem pseudoreligiösen Kult, der auf der Verehrung der Zahlen beruhte. Die Vereinigung der Pythagoreer war streng geheim und hinterließ keine schriftlichen Dokumente, sodass wir nur indirekt etwas über sie wissen. 5


Harmonie der Sphären Die Pythagoreer glaubten, dass alle Dinge aus Zahlen zusammengesetzt wurden. Jede Zahl hatte eine spezielle, fast magische Bedeutung. Die heiligste Zahl war zehn, die vom Tetraktys symbolisiert wurde. Notenintervall: Quarte, Quinte, Oktave Frequenz- 3:4 2:3 verhältnis

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Tetraktys aus Kieseln

Pythagoras wird die Entdeckung zugeschrieben, dass musikalische Harmonie auf numerischen Verhältnissen von Saitenlängen basiert. Weil man glaubte, dass Musik die geheimnisvollste aller Kunstformen war, stützte dies die Überzeugung, dass der ganze Kosmos auf Zahlen basierte: was die Pythagoreer „Harmonie der Sphären“ nannten. Wirtschaft und Geld selbst basieren auch auf der pythagoräischen Idee, dass alle Dinge auf Zahlen reduziert werden können. Man geht sogar davon aus, dass Pythagoras daran beteiligt war, das erste Münzgeld als Währung in seiner Region einzuführen. 6


Oikonomikos „Ökonomie“ wurde von einem Werk des Philosophen Xenophon abgeleitet (431-360 v. Chr.), der von Pythagoras beeinflusst war. Sein Werk Oikonomikos beschrieb, wie man einen landwirtschaftlichen Gutsbesitz effizient organisiert und führt.

Man sollte wohl davon ausgehen können, dass es Aufgabe eines Gutsverwalters ist, sein Haus oder sein Land unter allen Umständen gut zu verwalten.

Er legte dar, dass komplizierte Aufgaben am besten arbeitsteilig ausgeführt werden konnten. Ein Vorteil von Städten wie Athen, das rasch an Größe und Komplexität wuchs, war die Verfügbarkeit einer Vielzahl von Spezialisten. In kleineren Städten mussten die Menschen mehr Aufgaben selbst erledigen, was weniger effizient war. Diese Schlussfolgerung kam Adam Smiths Gedanken zum selben Thema ein paar Tausend Jahre zuvor (s. S. 60), nur dass in einer Sklavenhaltergesellschaft das Koordinieren der Spezialisten Aufgabe eines Gutsverwalters und nicht des Marktes war. 7


Platons Staat Platon (427-347 v. Chr.) griff die Idee von einem optimal verwalteten Besitz auf und ging einen Schritt weiter. Er übertrug sie auf seinen „Staat“, der eine utopische Gesellschaft beschrieb, die von Philosophenkönigen, „Wächter“ genannt, regiert wurde. Um sie vor Korruption zu schützen, sollte es Wächtern nicht erlaubt sein, Besitz zu haben oder Gold oder Silber in die Finger zu bekommen. Sie sollten nur einen existenzsichernden Mindestlohn erhalten.

Ihr Interesse gälte deshalb dem Wohlergehen der Gesellschaft als Ganzes nicht ihrem eigenen.

Jede Aufgabe einschließlich der Erziehung von Kindern sollte an Spezialisten vergeben werden. Eigentum sollte nach mathematischen Prinzipien verteilt werden. Die Maximalzahl von Bürgern wurde von Platon als 5040 berechnet. „5040“ hat die Eigenschaft, dass sie durch die Zahlen 1 bis 10 teilbar ist und so leicht in separate Verwaltungseinheiten unterteilt werden kann. 8


Aristoteles Platons berühmtester Schüler war Aristoteles (384-322 v. Chr.), der über vielfältige Themen von Astronomie bis hin zu Medizin und Ethik schrieb und lehrte. Er glaubte, der einzige Zweck des Gelds sei es, als Tauschmittel zu dienen. So schrieb er in der Nikomachischen Ethik, „es werden alle Dinge mit Geld gemessen“. Nach Aristoteles konnte die faire Verteilung von Waren durch mathematische Formeln bestimmt werden, bekannt als die pythagoräischen Mittel.

Angenommen eine Person will einer anderen ein Stück Land verkaufen. Der Verkäufer will mindestens 120 Währungseinheiten, aber der Käufer will höchstens 80 bezahlen.

In diesem Fall wird der richtige Preis das harmonische Mittel sein und das ist 96. Das ist 20 Prozent mehr als der niedrigere Preis, aber 20 Prozent weniger als der höhere Preis.

So wie Musik von Zahlen bestimmt wurde, so erklärte man auch den Warenhandel. 9


Ein System von Gegensätzen In seiner Metaphysik führt Aristoteles die folgende Liste von Gegensätzen auf die Pythagoreer zurück (die sie streng geheim gehalten und nicht veröffentlicht hatten):

Begrenzt

Unbegrenzt

Ungerade

Gerade

Einzahl

Mehrzahl

Rechts

Links

Mann

Frau

In Ruhe

In Bewegung

Gerade

Gebogen

Helligkeit

Dunkelheit

Quadrat

Rechteck

Gut

Böse

Die Pythagoreer verbanden die linke Spalte mit gut und die rechte Spalte mit böse. Diese Liste hat die Richtung des westlichen wissenschaftlichen Denkens also auch die Ökonomie beeinflusst. 10


Begrenzt versus unbegrenzt Die Idee der Begrenztheit beispielsweise war den Griechen, einschließlich Aristoteles, wichtig. Aristoteles fiel auf, dass Kaufleute oft immense Geldbeträge durch einfaches Tauschen anhäuften, obwohl sie nichts selbst produzierten. In seinem Werk Politik unterschied er deshalb zwischen zwei Arten des Tausches:

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Die erste Variante ist der Tauschprozess, um Grundbedürfnisse zu befriedigen. Dies halte ich für natürlich.

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Belegt wird das dadurch, dass die Menge des Besitzes, den man für ein gutes Leben braucht, nicht unbegrenzt ist.

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Die zweite, unnatürliche Art des Tausches tritt in Erscheinung, wenn Waren zum alleinigen Zweck des Geldvermehrens eingetauscht werden. Wucher (Geld verleihen gegen Zinsen) galt als besonders unmoralisch, da sich so Geld ohne Grenzen vermehren kann und so die natürlichen Grenzen verletzt werden.

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Dieses moralische Engagement lies die Sklaven aussen vor.

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Die Verbreitung der Lehre Aristoteles war, wie Platon, Lehrer. Einer seiner Schüler war ein junger Mann mit dem Namen Alexander – ein militärisches Genie. Er eroberte später ein Gebiet, das sich von Ägypten bis zu Teilen von Indien erstreckte.

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Aristoteles’ Lehren verbreiteten sich deshalb rund um die (damals) zivilisierte Welt.

Die Bibliothek in der Stadt Alexandria (nach dem Kriegshelden benannt) in Ägypten wurde der größte Aufbewahrungsort griechischen Wissens.

Nach dem Zusammenbruch des Imperiums von Alexander dem Großen im 3. Jahrhundert v. Chr. hörte im Westen das ökonomische Denken erst einmal auf. Die Lehren von Aristoteles und anderen griechischen Denkern blieben in Bibliotheken eingeschlossen. 12


Navarrus Kopernikus‘ Thesen wurden vom Priester und Universitätsprofessor Doktor Navarrus (1493-1586) aufgegriffen, der zu sog. Schule von Salamanca (Spanien) gehörte.

Handelsware wird immer dann teurer, wenn es eine starke Nachfrage und ein knappes Angebot gibt.

Geld, soweit es verkauft, als Gegenwert für Naturalien dient oder in irgendeiner Form von Vertrag getauscht werden kann, ist Handelsware und wird deshalb auch teurer, wenn es eine starke Nachfrage und ein knappes Angebot gibt.

Zwar wurde Geld im Prinzip immer noch als steriles Mittel für den Tausch angesehen, aber es entwickelte auch seine eigene Dynamik. Diese Erkenntnis war besonders relevant angesichts der Tatsache, dass es in massivem Maß Gold gab, das seinen Weg von den Minen der neuen Welt nach Spanien fand, was dem Einsatz der Conquistadores zu verdanken war. 20


Merkantilismus Mittelalterliche ökonomische Scholastik konzentrierte sich auf begrenzte Transaktionen von Einzelpersonen (Mikroökonomie) und wurde von Mönchen dominiert, die ein Armutsgelübde abgelegt hatten. In der Renaissance (14. bis 17. Jhd.) jedoch verschob sich die Aufmerksamkeit von der Mikro- zur Makroökonomie. Ethische Fragen traten zurück, es ging jetzt darum, wie man Geld verdienen konnte.

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Das feudale Lehenssystem wurde durch zentralisierte und militärisch mächtige nationale Königreiche ersetzt. Technische Fortschritte in der Schifffahrt und die Expeditionen von Kolumbus und anderer „Entdecker“ führten zur Öffnung von wertvollen neuen Handelswegen in Amerika und Asien und zu einer Explosion des Welthandels. Die restriktiven Regelungen zum Zinswucher wurden allmählich gelockert. Es entstand der Merkantilismus, eine politische und ökonomische Bewegung, deren Ziel es war, Einfluss und Macht von Nationalstaaten aufzubauen und zu sichern.

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Gold ist eine wunderbare Sache! Wer es besitzt, ist Herr über alles, was er sich wünscht.

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Der Aufstieg des englischen Empires Die erste Volkswirtschaft, die sich vollständig nach der merkantilistischen Linie ausrichtete, war England unter Königin Elizabeth I. Ihre Seeflotte verhalf dem britischen Weltreich schließlich zu einer später nicht mehr wieder erreichten Größe. Andere westliche Nationen, besonders Spanien und Frankreich waren allerdings nicht weit abgeschlagen. In der Lehre des Merkantilismus war die Weltwirtschaft ein von Nationalstaaten gespieltes Spiel, dessen Ziel es war, einen möglichst großen „Schatz“ in Form von Gold und Silber zu gewinnen. In einem Land wie England ohne Gold- und Silberminen wurde dies durch Handel, Eroberung und Schwerstarbeit, teilweise auch durch Sklavenarbeit, in den Kolonien erreicht. Man nahm an, dass die Gesamtsumme des Reichtums in der Welt fix war, sodass Wirtschaft ein Nullsummenspiel war. Wie der englische Geschäftsmann und Ökonom Thomas Mun (1571-1641) sagte: Der Verlust des einen ist der Gewinn des anderen.

Das wird dann wohl mein Verlust.

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Merkantilistische Ökonomie Statt von mönchischen Gelehrten oder Philosophen wurden die neuen ökonomischen Ideen von vielseitig begabten Männern der Renaissance wie etwa Staatsbeamten, Journalisten und Geschäftsleuten wie Mun entwickelt, der Direktor der Ostindien-Kompanie war. Merkantilistische Ökonomen hatten nicht vor, eine allumfassende Theorie von Wirtschaft oder von moralischen Handlungsweisen zu entwickeln, stattdessen fokussierten sie sich auf einzelne technische Sachverhalte wie Handels- oder Währungsfragen. Sie waren der Meinung, dass die Regierung Zolltarife, Monopolbildung und Subventionen nutzen sollte, um Exporte zu fördern und Importe zu erschweren. So sollte Geld in das Land gebracht werden. Militärische Macht war entscheidend, um neue Ressourcen zu finden und zu kontrollieren.

Eine Regel ist stets zu beachten: Wir müssen Fremden mehr verkaufen, als wir wertmäßig von ihnen konsumieren.

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Die Macht des Staates Ein Weltreich zu behaupten war teuer, sodass Regierungen konstant Gelder beschaffen mussten. Sie litten auch an anderen eher heimischen Problemen wie Inflation, (verursacht durch das erhöhte Angebot an Geld, wie von Navarrus vorhergesagt) und an der durch den Zusammenbruch der mittelalterlichen sozialen Struktur verursachten Armut. Wie Königin Elizabeth anmerkte: „Überall sind Arme!“ Im Jahr 1601 wurde das Elisabethanische Armenrecht eingeführt, um Not zu lindern. Im Allgemeinen jedoch übernahmen Wirtschaftswissenschaftler eine machiavellistische Haltung zur Wirtschaft. Ziel war, die Macht des Staats zu maximieren. In diesem Sinne äußerte sich Jean Baptiste Colbert (1619-1683), der Finanzminister unter König Ludwig XIV von Frankreich war:

Einzig und allein die Menge des Geldes unterscheidet Staaten hinsichtlich ihrer Bedeutung und ihrer Macht.

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Stark in Zahlen Für das Angebot an Arbeitskraft und für den Binnenmarkt war eine große Arbeiterklasse notwendig. So notierte der englische Schriftsteller und Journalist Daniel Defoe (1659-1731): Menschen sind entscheidend für den Handel und …

je mehr Menschen desto mehr Handel

je mehr Handel desto mehr Geld

je mehr Geld desto mehr Macht

und je mehr Macht desto größer die Nation.

Der Zweck dieser Arbeiter war, Reichtum für die Nation zu schaffen – nicht ihre eigene Lebenssituation zu verbessern. Die Rechte des Einzelnen waren gegenüber denen des Staates nachrangig. Um die Effizienz zu maximieren, griffen die europäischen Regierungen in die Wirtschaft ein, auch auf unterster Ebene. Colbert gab die berühmte Order, dass Textilien aus Dijon genau 1408 Fäden enthalten sollten. 25


Rationale Mechanik Wieder zurück an den Universitäten entwickelte die Naturwissenschaft zum ersten Mal eine brauchbare, konsistente Alternative zur mittelalterlichen Weltanschauung, die auf der aristotelischen Kosmologie basierte. Kopernikus hatte gezeigt, dass die Erde nicht das Zentrum des Universums sein konnte. Beinahe eineinhalb Jahrhunderte später entwickelte Isaac Newton (1643-1727) die Bewegungsgesetze und das Gravitationsgesetz in seinen Principia Mathematica (1687).

Die Kraft, die ein Objekt wie einen Apfel zu Boden fallen lässt, ist die gleiche wie die Kraft, die einen Planeten um die Sonne kreisen lässt.

Diese Erkenntnis ist so weitreichend wie die pythagoräische Entdeckung, dass Musik von Zahlen beherrscht wird.

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Atome Newton glaubte, wie Galileo, dass Materie aus „festen, massiven, schweren, undurchdringlichen, beweglichen Teilchen“ bestand (z. B. Atome). Seine Bewegungsgesetze formulierten die rationalen mechanischen Abläufe, die das Verhalten dieser Dinge bestimmte. Daraus konnte man folgern, dass die Bewegung von allem Möglichen mithilfe der Mathematik im Voraus berechnet werden konnte. Für das Verständnis eines Systems und Voraussagen über eine muss man es nur in seine einzelnen Bestandteile aufgliedern …

… deren physikalischen Gesetzmäßigkeiten entdecken

… sie als mathematische Gleichungen ausdrücken …

… und lösen.

Dieser reduktionistische, mechanistische Rahmen lieferte ein Programm, dem Wissenschaftler bis zum gegenwärtigen Tag anhängen – und das weitreichende Auswirkungen auch auf die ökonomische Lehre haben sollte.

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Blöde Blasen Im Alter von 53 trat Newton den Posten des staatlichen Münzmeisters an. Er nahm seine Finanzrechte so ernst wie seine physikalischen Gesetze und brachte einige Münzfälscher an den Galgen. Leider musste er feststellen, dass die Wirtschaft weniger voraussagbar war, als die Bewegung der Sterne und Planeten. Er verlor durch Spekulationen einen Großteil seines Vermögens, als die Südseeblase 1720 platzte. Spekulation mit Aktien der South Sea Company, die das Handelsmonopol in den südamerikanischen Kolonien hatte, führte zu gegenstandslosen Gerüchten über gewaltige Bestände an Gold.

Ich kann die Bewegung von himmlischen Körpern, aber nicht den Wahnsinn von Menschen berechnen.

Wie viel habe ich verloren?

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Licht gegen Finsternis Andere Denker weiteten das reduktionistische Vorgehen aus auf die Beschäftigung mit der Gesellschaft oder der Wirtschaft. Dies war Teil einer größeren Bewegung des 17. und 18. Jahrhunderts in Philosophie und Politik, nämlich der Aufklärung, die die intellektuelle Untermauerung des Kapitalismus lieferte. Philosophen wie Thomas Hobbes (1588-1679) und John Locke (1632-1704) behaupteten, dass das Universum inhärent rational ist und mithilfe der Vernunft in Kombination mit empirischer Beobachtung* verstanden werden kann.

Was ist das „Herz“ anderes als eine „Sprungfeder“, und was die „Nerven“ anderes als viele „Saiten“ und die „Gelenke“ gerade so viele „Räder“, die alle zusammen den Körper in Bewegung halten?

Aber ihre Vision einer rationalen Gesellschaft unterschied sich deutlich von der Rationalität der mittelalterlichen Scholastiker. Statt einer ursprünglichen und fest gefügten sozialen Ordnung, die die vorbestimmte Ordnung des Kosmos widerspiegelte, betrachteten die Aufklärer die Gesellschaft als einen vertraglich abgesicherten Waffenstillstand zwischen eigennützigen Individuen, die interagierten wie Maschinen.

* „Empirisch“ bedeutet auf Experimenten, Beobachtung oder Erfahrung basierend im Gegensatz zur theoretischen Überlegung.

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Leviathan

Das Leben des Menschen wäre einsam, arm, hässlich, viehisch und kurz.

K ö n i g K a r l II

In seinem Buch Leviathan (1651) stellte sich Hobbes einen vorhistorischen Staat ohne soziale Grenzen und Zwänge vor. In solch einem Zustand würde die Menschheit in einem „Naturzustand“ existieren.

Um diesem Schicksal zu entgehen, würden sich die Menschen eher einem obersten Herrscher unterwerfen, den Hobbes den Leviathan nannte.

In einer Welt atomistischer Individuen entstand die soziale Hackordnung allein durch die Macht einer Person über eine andere. Die einzige stabile Ordnung bestand deshalb darin, einen einzelnen starken Herrscher zu haben. Alles andere würde zu Uneinigkeit und Zwietracht führen. (Hobbes war hier sicherlich vom Ausbruch des Bürgerkriegs in England und dem Dreißigjährigen Krieg in Deutschland beeinflusst). 30


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