Jagd - ein nicht mehr zeitgemäßes Hobby

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Ein nicht mehr zeitgemäßes Hobby

Jahr für Jahr 30.000 durch Jäger getötete Haustiere Immer noch kein gesetzliches Alkoholverbot für die Jagd


INHALT VORWORT 4 FAKTEN UND ZAHLEN Österreich. Ein Land der Jäger. Jahr für Jahr 30.000 durch Jäger getötete Haustiere. Immer noch kein gesetzliches Alkoholverbot für die Jagd. 600 Tonnen Bleimunition im Jahr verseuchen unsere Wälder. Österreich im Spitzenfeld. Beim Tod durch Erschießen. Die Bevölkerung in Österreich lehnt die Jagd ab.

RECHT UND JAGD Neun Landes-Jagdgesetze Die Weidgerechtigkeit Jagd als autonomes Interessenssystem Zwangsmitgliedschaft in Jagdgenossenschaften?

GEFAHR FÜR MENSCH UND TIER Zielscheibe Mensch Zielscheibe Haustier Zielscheibe Wildtier

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JAGD UND NATUR IM WIDERSPRUCH Mehr Wild durch Jagd Jagd fördert Wildverbiss Folgen der vermeintlichen „Hege“

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FORDERUNGEN DES ÖSTERREICHISCHEN TIERSCHUTZVEREINS 34 Verbot der Tötung von Haustieren Gesetzliches Alkoholverbot bei der Jagd Psychologische Verlässlichkeitsprüfung für Jäger Verbot von Bleischrot Verbot der Fallenjagd Verbot von Treib- und Baujagden Jagdverbot in Naturschutz Ende der Zwangsbejagung Verbot von Kirrungen und Anlegen von Futterplätzen Verbot der Jagd auf eigens dafür gezüchtete Tiere Verbot der Hobbyjagd

WEITERFÜHRENDE LITERATUR

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DIE ARBEIT DES ÖSTERREICHISCHEN TIERSCHUTZVEREINS 38

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VORWORT

Die Hobbyjagd auf Wildtiere wird in der Öffentlichkeit sehr emotional diskutiert. Auf der einen Seite stehen diejeinigen, die die Jagd ablehnen und die Auffassung vertreten, dass die Natur auch ohne Jagd „funktioniert“. Demgegenüber sehen sich die Jäger als Naturschützer, die das Recht auf Bestandskontrolle jagdbarer Wildarten beanspruchen und die Notwendigkeit der Wildschadensvermeidung betonen. Mit dieser Broschüre wollen wir kritisch aufzeigen, warum die Jagd keine ökologischen Probleme löst, sondern viele erst schafft. Leider gilt auch das Tierschutzgesetz nicht für die Ausübung der Jagd. Tierquälereien sind hinzunehmen, solange die Jagd nur „weidgerecht“ ist. Mittlerweile ist die Jagd auch zum massiven Sicherheitsproblem geworden. Bei Unfällen oder Gewalt-

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verbrechen im Zusammenhang mit Schusswaffen in Österreich sind überwiegend Jäger beteiligt. Acht Tote und viele Schwerstverletzte alleine im zweiten Halbjahr 2013 werfen ein düsteres Licht auf die Jägerschaft. Auch wenn wir klar unsere Positionen vertreten, erachte ich es für notwendig, dass dieses Thema möglichst sachlich diskutiert wird, um in Zukunft auch Fortschritte zu erreichen – für Tiere und Menschen gleichermaßen. Der Forderungskatalog am Ende der Broschüre ist ein Appell an Gesetzgebung und Jägerschaft, die völlig überalteten Jagdgesetze endlich an die neuesten ökologischen Erkenntnisse und Anforderungen des Tierschutzes anzupassen. Christian Hölzl, Sprecher Österreichischer Tierschutzverein


FAKTEN UND ZAHLEN ÖSTERREICH. EIN LAND DER JÄGER.

In Österreich besitzen rund 127.000 Personen eine Jagdkarte (entspricht 1,5% der Gesamtbevölkerung1). Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass die Anzahl der Jagdkartenbesitzer in Österreich im Vergleich zu den Nachbarstaaten überproportional hoch ist: In Deutschland etwa, das zehnmal so viele Einwohner zählt als die Alpenrepublik, jagen „nur“ rund 357.000 Personen2 (0,4% der Bevölkerung). Auch in der Schweiz stellen die Jäger 0,4% der Gesamtbevölkerung dar (rund 30.000 aktive Jäger3). Im Jagdjahr 2012/13 lag die Gesamtzahl der Abschüsse mit 889.000 um 8% über dem Wert der letzten Saison4. Das bedeutet, dass jeden Tag 2.435 Wildtiere Jägern zum Opfer fallen. Anders formuliert: Alle 35 Sekunden stirbt ein Wildtier durch Jägerhand.

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Vgl. Zentralstelle Österreichischer Landesjagdverbände Vgl. Deutscher Jagdschutzverband

Vgl. Bundesamt für Statistik/Schweiz Vgl. Statistik Austria, Jagdsaison 2012/13

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JAHR FÜR JAHR 30.000 DURCH JÄGER GETÖTETE HAUSTIERE. Der Abschuss von Haustieren durch Jäger greift tief in die emotionale Beziehung einer Familie zu ihrem Haustier ein. Der Abschuss von Hunden und Katzen wird in der Regel verheimlicht. In Österreich ist die Jägerschaft nicht verpflichtet, erschossene Haustiere zu melden. Legt man offizielle Zahlen von Streckenstatistiken über erschossene Hunde und

Katzen im benachbarten Deutschland (am Beispiel Nordrhein-Westfalen5) auf Österreich um, kann man davon ausgehen, dass jedes Jahr mindestens 30.000 (!) Haustiere von Jägern erschossen oder erschlagen werden oder in Fallen umkommen. Der eigentliche Skandal: Der Gesetzgeber legitimiert den Abschuss von Haustieren.

BEI CA. 30% ALLER TÖTUNGSDELIKTE IN ÖSTERREICH WAREN SCHUSSWAFFEN INVOLVIERT. 6


IMMER NOCH KEIN GESETZLICHES ALKOHOLVERBOT FÜR DIE JAGD. Die Auswirkungen von Alkoholgenuss sind eindeutig: Bei 0,5 Promille Alkohol im Blut besteht das doppelte Unfallrisiko wie im nüchternen Zustand, bei 0,8 Promille das fünffache. Die Risikobereitschaft steigt um ca. 80%, Reaktions- und Konzentrationsfehler treten zwei- bis dreimal häufiger auf als im nüchternen Zustand . Weitere Symptome sind: Verminderung der Sehleistung, Gleichgewichtsstö5 6

Vgl. Bericht des NRW Umweltministeriums Vgl. Untersuchungen des Kuratoriums für Verkehrssicherheit

rungen und Selbstüberschätzung6. Dennoch fehlt es in Österreich an einem gesetzlich festgelegten Alkoholverbot bei der Jagdausübung. Stattdessen begnügen sich die Jagdverbände mit internen „Empfehlungen“. Diese empfohlenen Verhaltensregeln verbieten zwar Alkohol, haben allerdings - wie die Praxis zeigt - keine abschreckende Wirkung, denn: ein Verstoß dagegen bleibt ohne rechtliche Sanktion.

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600 TONNEN BLEIMUNITION IM JAHR VERSEUCHEN UNSERE WÄLDER.

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Bleivergiftung ist die häufigste Todesursache bei Seeadlern. Aasfressende Greifvögel wie Adler oder Geier nehmen Blei mit der Nahrung auf. Blei, das Jäger tonnenweise im Wald zurücklassen. Bleihaltige Munitionsteile finden sich in angeschossenem Wild oder Kadaverteilen, die oft nicht entsorgt werden. Laut Umweltbundesamt verschießen Jäger und Sportschützen österreichweit 600 Tonnen Blei - im Jahr7 . Eine unglaubliche Menge, die den Waldboden in Österreich kontaminiert und

jedes Jahr größer wird. Blei ist auch für Menschen hochgiftig. Die bei der Jagd verwendete Bleimunition kann im geschossenen Wild Bleipartikel hinterlassen, die kaum erkennbar sind. So gehört Wildfleisch zu den am höchsten mit Blei belasteten Lebensmitteln. Das Bundesinstitut für Risikobewertung ist der Auffassung, dass Lebensmittel, die – wie mit Bleimunition erlegtes Wild – hohe Bleigehalte aufweisen können, nur in geringem Umfang verzehrt werden sollen8.

7 Vgl. Bericht Umweltbundesamt „RUSCH Ressourcenpotenzial und Umweltbelastung der Schwermetalle Cadmium, Blei und Quecksilber in Österreich“ (2009)

8 Vgl. Stellungnahme Nr. 040/2011 des Bundesamtes für Risikobewertung vom 3.12. 2010


VOM TIERMORD ZUM MENSCHENMORD IST NUR EIN SCHRITT! Leo Tolstoi

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durch Waffen verursachte Tötungen pro 100.000 Personen Waffen pro 100 Personen

Amerika 10,2

88,8

England 0,25

Deutschland 6,20

30,3

1,10

Österreich 2,94

Frankreich 31,2

3,00

Schweiz 3,84

Südafrika 9,41

Italien

12,7 1,28

10

11,9

45


ÖSTERREICH IM SPITZENFELD. BEIM TOD DURCH ERSCHIESSEN. Die Anzahl von Schusswaffen in Österreichs Haushalten ist unbekannt - man schätzt bis zu 2 Millionen. Was auffällt: Bei Unfällen oder Gewaltverbrechen im Zusammenhang mit Schusswaffen in Österreich sind überwiegend Jäger beteiligt. 8 Tote, viele Schwerstverletzte und Morddrohungen allein im Beobachtungszeitraum September bis Dezember 2013 zeichnen ein düsteres Bild der Jägerschaft.

h

Eine brisante Studie der medizinischen Universität New York zeigt nun einen klaren Zusammenhang zwischen der Waffendichte eines Landes und dem Tod durch Erschießen auf. Bei der Todesrate durch Schusswaffen liegt Österreich in einem internationalen Vergleich von 27 Industrienationen an 6. Stelle (USA an Position 1)9 . Bei ca. 30% aller Tötungsdelikte in Österreich waren Schusswaffen involviert. Bei der Anzahl von Schusswaffen pro Einwohner unter den 27 Nationen belegt Österreich Platz 8! Trotz dieser erschreckenden Zahlen privilegiert der Gesetzgeber die Jägerschaft: Jagdkartenbesitzer - in Österreich immerhin die größte Gruppe unter den Waffenbesitzern, die auch eine Waffe mit sich führen dürfen - müssen keine psychologische Verlässlichkeitsprüfung absolvieren. Alle anderen ÖsterreicherInnen, die eine genehmigungspflichtige Waffe besitzen oder mit sich führen wollen, sind dazu sinnvollerweise verpflichtet.

30,4

5,7

Japan 0,06 9

0,60

Vgl. American Journal of Public Health, Ausgabe 103, erschienen im November 2013.

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DIE BEVÖLKERUNG IN ÖSTERREICH LEHNT DIE JAGD AB.

Österreich steht der Jagd als Freizeitsport sehr ablehnend gegenüber. 70% der ÖstereicherInnen fordern ein Verbot für den Abschuss von Hunden und Katzen. Bei jungen Menschen unter 30 Jahren sprechen sich sogar 86% gegen das Abschießen von Hunden und Katzen aus. 64% der ÖsterreicherInnen lehnen die Jagd auf freilebende Tiere als Freizeitsport (Hobbyjagd)

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überhaupt ab. Außerdem sind 63% der Meinung, dass es Grundeigentümern freistehen solle, die Jagd auf ihrem Grundstück zuzulassen oder eben nicht10. Insofern ist es höchste Zeit, dass auch die jeweiligen Landesgesetzgeber in den einzelnen Bundesländern endlich auf die Botschaft der ÖsterreicherInnen reagieren und die antiquierten Jagdgesetze reparieren.

10 Vgl. Der Österreichische Tierschutzverein und die Initiative zur Abschaffung der Jagd (Österreich) gaben im Dezember 2007 beim Österreichischen Gallup-Institut, Dr. Karmasin GmbH eine Umfrage zum Thema Jagd in Auftrag. Details unter www.abschaffung-der-jagd.at/umfrage-hobbyjagd.htm.


RECHT UND JAGD NEUN LANDES-JAGDGESETZE

In Österreich ist die Jagd nach den Bestimmungen der österreichischen Bundesverfassung „Landessache“. Das bedeutet, dass die Jagd in die ausschließliche Kompetenz der Länder in Gesetzgebung und Vollziehung fällt. Daher ist die Jagd in neun Landes-Jagdgesetzen samt dazugehörenden Verordnungen geregelt. Grundsätzlich sind Tiere in Öster-

reich durch das Tierschutzgesetz geschützt. Dieses Gesetz verbietet etwa, einem Tier ungerechtfertigt Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen. Auch ist es verboten, Tiere ohne vernünftigen Grund zu töten. Allerdings gilt das Tierschutzgesetz nicht für die Ausübung der Jagd. Das bedeutet, dass Wildtiere nicht durch das Tierschutzgesetz geschützt sind.

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DIE WEIDGERECHTIGKEIT

Für Wildtiere gilt demnach ein anderer Maßstab – alle Landesjagdgesetze tragen den Grundsatz der sog. „Weidgerechtigkeit“ in sich. Das bedeutet, dass bei der Jagd allgemein anerkannte Regeln eingehalten werden müssen, die sich aus Kenntnissen zur Wildbiologie und Jagdkunde ergeben1. Auch wenn die Weidgerechtigkeit zum Teil Aspekte des Tierschutzes, der Ethik, der Hege oder des Nachhaltigkeitsprinzips berücksichtigt, kann dieser Maßstab

dem Tierschutzgedanken bei Weitem nicht gerecht werden. Die Praxis (z.B. legale Fallen- oder Treibjagd; angeschossene Tiere, die schwer verletzt durch den Wald irren) zeigt, dass auch eine „weidgerechte“ Jagd den Tieren unverstellbare Qualen und Schmerzen bereitet kann. Mit anderen Worten: Tierquälereien (im Sinne der Definition des Tierschutzgesetzes) im Rahmen der Jagdausübung sind hinzunehmen, solange die Jagd „weidgerecht“ ist.

JAGD ALS AUTONOMES INTERESSENSSYSTEM

Jagd ist in Strukturen eingebunden, die demokratische Regeln konterkarieren. Jäger sind oftmals Leiter der Jagdbehörden, entscheiden in eigener Sache über Auslegung, Anwendung und Sanktionen jagdlicher Vorgänge. Diese jagdfreundlichen Strukturen decken personell den gesamten gesellschaftlichen Bereich – vom Handwerker bis zum Minister – ab. Ein 1

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Netzwerk, das den Beteiligten Vorteile und Abhängigkeiten garantiert. Aufgrund dessen herrscht in den Wäldern weitgehend Rechtsfreiheit. Von behördlicher Seite gibt es viel zu wenige Kontrollen, Jagdschutz ist zurückdelegiert an die Jäger mit der Folge, dass sich innerhalb des Staates ein autonomes, selbstverwaltendes Interessensystem etabliert hat2.

Vgl. Pegl: Weidgerechtigkeit vs. Effizienz bei der Schwarzwildbejagung. Österr. Jägertagung 2012, 65-72. Vgl. Grundthesen zur Jagd, pro iure animalis.


DIE JAGD IST EINES DER SICHERSTEN MITTEL, DAS GEFÜHL DER MENSCHEN FÜR IHRE MITGESCHÖPFE ABZUTÖTEN. François Voltaire, frz. Schriftsteller und Philosoph (1694 - 1778)

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ZWANGSMITGLIEDSCHAFT IN JAGDGENOSSENSCHAFTEN?

Das Jagdrecht ist in Österreich eng mit dem Eigentum an Grund und Boden verbunden. Es gibt Eigenjagdgebiete (ein zusammenhängender Grundbesitz mit bestimmter Mindestgröße) oder Genossenschaftsjagdgebiete (das sind Grundflächen, die nicht zu Eigenjagden gehören). Jede Gemeinde bildet somit aus allen Grundflächen, die nicht zu Eigenjagden gehören, ein „Genossenschaftsjagdgebiet“ in dieser Gemeinde3. Diese Genossenschaftsjagdgebiete müssen zwingend verpachtet werden. Grundstücke, die zu Genossenschaftsjagdgebieten gehören, unterlagen bisher der generellen Jagdpflicht (die Jagd musste auf dem Grundstück geduldet werden). Mittlerweile gibt es dazu aber ein richtungsweisendes Urteil des Eu-

ropäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR): Die Einbindung in eine Jagdgenossenschaft für einen Grundeigentümer in Bayern, der der Jagd aus ethischen Gründen ablehnend gegenübersteht, stellt eine unverhältnismäßige Belastung seines Eigentums dar4. Im Anschluss daran trug der Bayerische Verwaltungsgerichtshof der Auffassung des EGMR Rechnung und entschied, dass auf dem Grundstück dieses Jagdgegners ab dem 1.4.2013 nicht mehr gejagt werden dürfe5. Die Auffassung des EGMR, wonach die Zwangsmitgliedschaft in Jagdgenossenschaften gegen die europäische Menschenrechtskonvention verstößt, ist in Zukunft auch von österreichischen Gerichten in österreichisches Recht umzusetzen.

Vgl. Zentralstelle Österreichischer Landesjagdverbände. Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 26. Juni 2012, Nr. 9300/07, Entscheidung „Herrmann“.

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Beschluss des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30.1. 2013, 19 AE 12.2123


JAGD IST NUR EINE UMSCHREIBUNG FÜR BESONDERS FEIGEN MORD AM CHANCENLOSEN MITGESCHÖPF. DIE JAGD IST EINE NEBENFORM MENSCHLICHER GEISTESKRANKHEIT. François Voltaire, frz. Schriftsteller und Philosoph (1694 - 1778)

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In jüngerer Vergangenheit wird die Jagd immer mehr zum Sicherheitsproblem. Fakt ist: Bei Unfällen oder Gewaltverbrechen im Zusammenhang mit Schusswaffen in Österreich sind überwiegend Jäger verantwortlich. Da Jagdunfälle und Gewaltverbrechen, an denen Jäger beteiligt waren, regelmäßig Tote fordern, fühlen sich viele ÖsterreicherInnen zurecht von den Jägern massiv in ihrer Sicherheit bedroht.

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GEFAHR FÜR MENSCH UND TIER ZIELSCHEIBE MENSCH

Die Gründe, die zu Jagdunfällen, Gewaltverbrechen oder gefährlichen Drohungen durch Jäger führen, sind vielfältig:

Alkohol Dass Jagd und Alkohol häufig zusammengehören, ist ein offenes Geheimnis. Die Folge: Jagdunfälle und die Gefahr, sich selbst und andere Personen schwer zu verletzen, steigen enorm an. Tiere werden nicht "sauber" getroffen und müssen unnötig leiden. Skandalös: in den Jagdgesetzen der Länder findet sich nirgendwo ein gesetzlich verankertes Alkoholverbot bei der Jagdausübung. Bei den Jagdverbänden existieren lediglich „interne Empfehlungen“, die ein Jagen im alkoholisierten Zustand verbieten. Diese sind jedoch zahnlos: Ein Verstoß dagegen bleibt ohne rechtliche Sanktion, weil diese Regeln keine gültigen Rechtsnormen sind. Insofern ist es manchen Jägern mangels abschreckender Wirkung auch nicht zu verübeln, weiterhin an lieb gewonnenen Gewohnheiten festhalten zu wollen. Kaum vorzustellen, wenn die »

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Promille-Grenze für Autofahrer nur eine interne Verhaltensregel der Autofahrerclubs und nicht gesetzlich geregelt wäre. Die oft reflexartige Rechtfertigung der Jagdvertreter, es gäbe ohnehin Aufseher und Jagdleiter als Kontrollinstanz, ist genauso wenig sinnvoll, wie wenn Alko-Kontrollen bei Autofahrern nicht mehr in den Verantwortungsbereich der Polizei, sondern in den der Wirte fielen. Gerade weil die Jägerschaft von ihren internen Empfehlungen - und somit auch vom dort geregelten Alkoholverbot - überzeugt ist, bleibt die Frage offen, warum sie die Einführung einer Null-Promille-Grenze bei der Jagd so standhaft verweigert. Erst ein gesetzlich verankertes Alkoholverbot kann Unfälle vermeiden, weil Fehltritte schon vor einem möglichen Unfall staatlich sanktioniert werden können (ähnlich wie im Straßenverkehr).

Fehlende Verlässlichkeit Das österreichische Waffengesetz verlangt für den Besitz oder das Führen von genehmigungspflichtigen Waffen eine behördliche Bewilligung. Für die Ausstellung einer Waffenbesitzkarte oder eines Waffenpasses (der auch zum Führen dieser Waffen berechtigt) spielt vor allem die sog. „Verlässlichkeit“ des Antrag-

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stellers eine zentrale Rolle. Erstmalige Antragsteller müssen mittels eines psychologischen Gutachtens nachweisen, dass sie (etwa bei Stress) nicht dazu neigen, mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder diese leichtfertig zu verwenden. Inhaber eines waffenrechtlichen Dokuments werden außerdem alle 5 Jahre von der Behörde auf ihre Verlässlichkeit überprüft. Das gilt nicht für die Jägerschaft: Jäger erlangen den Waffenpass für genehmigungspflichtige Waffen (z.B. Faustfeuerwaffen oder Halbautomaten) auch ohne Nachweis über ihre psychologische Eignung. Frei erwerbbare Waffen - das sind solche, für die bloß eine Meldepflicht besteht (z.B. bei Doppelflinten oder Repetierbüchsen) - dürfen Jagdkartenbesitzer überhaupt ohne Waffenpass (und ohne Nachweis über die psychologische Eignung) mit sich führen. Jäger ohne Waffenpass werden auch nicht alle 5 Jahre von der Behörde auf ihre Verlässlichkeit überprüft. Im Zustand der „Jagdhitze“ oder des „Jagdfiebers“ handeln Jäger allzu oft bar jeder Vernunft und schießen, bevor das Ziel genau identifiziert („angesprochen“) wurde. Die vielen Jagdunfälle und Gewaltverbrechen haben gezeigt, dass gerade für Jäger eine psychologische Verlässlichkeitsprüfung dringend


notwendig ist – und zwar für alle Waffenkategorien. Die Jagdprüfung alleine kann kein psychologisches Gutachten ersetzen. Wiederkehrende Überprüfungen der Verlässlichkeit könnten außerdem das Sicherheitsrisiko weiter verringern.

Fehlende körperliche Eignung Jagdausübungsberechtigte müssen zuverlässig sein. Die Zuverlässigkeit erfordert, dass Jagdausübungsberechtigte psychisch und auch physisch in der Lage sein müssen, mit Waffen sachge-

mäß umzugehen. Immer wieder werden Personen verletzt oder gar getötet, weil sie für Wild gehalten und angeschossen wurden. Dazu kommt, dass ein Großteil der Jägerschaft älteren Semesters ist. Die Sehstärke lässt naturgemäß mit höherem Alter nach, was das Risiko für tragische Verwechslungen erhöht. Tiere werden außerdem ungenau getroffen und verenden qualvoll. Nur mit verpflichten den Sehtests sowie regelmäßigen Schießleistungsnachweisen kann das Risiko von Jagdunfällen minimiert und den Tieren unnötiges Tierleid erspart werden.

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ZIELSCHEIBE HAUSTIER

Laut Statistik Austria1 stieg die Gesamtzahl der Abschüsse von Wildtieren im Jagdjahr 2012/13 im Vergleich zum Wert der vorangegangenen Saison um 8% auf knapp 890.000. Die Anzahl der von Jägern erschossenen Haustiere findet sich in dieser Statistik nicht wieder: Es besteht keine Pflicht, den Abschuss von Hunden oder Katzen zu melden. Der Abschuss von Haustieren wird nicht selten verheimlicht. Die Folge: Haustierbesitzer sind wochenlang über den Verbleib ihres Familienmitgliedes im Ungewissen. Die oftmals vermeintliche Rechtfertigung durch die Jägerschaft: Das Haustier wildert.

30.000 getötete Haustiere. Die Anzahl der hierzulande abgeschossenen Haustiere lässt sich trotz Fehlens einer Meldepflicht in Österreich mit einem Blick über die Grenze gut abschätzen. In einigen deutschen Bundesländern wurde in der Vergangenheit eine Streckenstatistik über erschossene Hunde und Katzen geführt. So kamen etwa in Nordrheinwestfalen (NRW) im Jagdjahr 2008/09 laut Streckenliste über 17.000 Katzen und 176 Hunde durch Jägerhand zu Tode2. Rechnet man diese (offiziellen) Zahlen auf Österreich um (die Alpenrepublik ist 2,5 mal größer und hat um 60% mehr Jagdkartenbesitzer im Vergleich zu NRW), dann kann man davon aus1

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Vgl. Statistik Austria, Jagdsaison 2012/13. Vgl. Bericht des NRW Umweltministerium.

gehen, dass heimische Jäger jedes Jahr mindestens 30.000 (!) Haustiere töten. Auch wenn sich die Jagdgesetze der einzelnen Bundesländer unterscheiden, ist der Abschuss von Hunden und Katzen in Österreich unter bestimmten Voraussetzungen legal. So sind etwa im niederösterreichischen Jagdgesetz Jagdschutzorgane sogar verpflichtet(!), wildernde Hunde zu erschießen. Hunde außerhalb ihrer Rufweite, die sich der Einwirkung ihres Halters entzogen haben und im Jagdgebiet umherstreunen, dürfen getötet werden. Auch Katzen, die in einer Entfernung von mehr als 300m von Wohngebäuden umherstreifen, dürfen getötet werden.


Zweifelhaftes Motiv: Schutz der Jagdbeute. Paradox: Die Tötung von Haustieren ist in den Jagdgesetzen unter den Begriffen „Jagdschutz“ oder „Wildtierschutz“ aufgeführt. Die Jägerschaft argumentiert etwa den Abschuss von Hunden damit, dass diese den Jagdertrag schmälern und das Wild „grausam“ töten würden. Tatsächlich geht es aber nicht um Wild- oder Tierschutz, sondern ausschließlich um den Schutz der Jagd(beute). Das Wild, das die Jägerschaft durch Fütterung im Jagdrevier halten will, soll nicht durch freilaufende Hunde gestört und aus dem Revier vertrieben werden.

Man schützt also etwas, um es im Anschluss selbst erlegen zu können – eine pervertierte Auffassung von Tier- und Naturschutz. Der Abschuss von Haustieren greift in das Eigentumsrecht von Haustierbesitzern und auch massiv in die emotionale Beziehung von Familien zu ihren Tieren ein. Die Jagdgesetze sind längst nicht mehr zeitgemäß. Der Haustierabschuss wird auch von der Bevölkerung strikt abgelehnt: laut einer Umfrage sprachen sich rund 86% der österreichischen Bevölkerung unter 30 Jahren für ein Haustier-Abschussverbot aus3.

3 Umfrage des Österreichischen Tierschutzvereins und der Initiative zur Abschaffung der Jagd Österreich durch das Österreichische Gallup-Institut, Dr. Karmasin GmbH.

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Was tun im Ernstfall? Die deutsche „Initiative für jagdgefährdete Haustiere“ erstellte eine 7-Punkte-Checkliste für Haustierhalter, deren Haustier durch Jäger verletzt oder getötet wurde4.

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Stelle markieren, an der verletztes oder getötetes Tier gefunden wurde. Wenn bekannt: Markierung der Stellen, an der sich Jäger und Tierhalter zum Zeitpunkt der Schussabgabe befanden. Zeugen hinzuziehen. Fotos und/ oder Videoaufnahmen (evtl. zusätzlich Lageplan-Skizze) anfertigen.

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Verletztes oder getötetes Tier unverzüglich zwecks Behandlung bzw. Röntgenaufnahme zum Tierarzt bringen. Gutachten anfordern.

3

Strafanzeige bei der Polizei oder direkt bei der Staatsanwaltschaft erstatten. Hinweis: Die Polizei muss eine Anzeige aufnehmen, dies kann nicht abgelehnt werden.

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Anzeigen immer schriftlich (Kopie anfertigen)! Vernehmungsprotokoll der Polizei genau durchlesen. Möglichst vorher, aber spätestens ab diesem Zeitpunkt, bei den Mitarbeitern des Österreichischen Tierschutzvereins Rat und Unterstützung einholen. Rechtsanwalt einschalten - nur ein Rechtsanwalt erhält Akteneinsicht. Achtung: Rechtsanwälte mit Interessenschwerpunkt "Jagdrecht" sind in der Regel selbst Jäger, daher nicht empfehlenswert!

5

Den Tathergang der zuständigen Jagdbehörde melden. Dieses Schreiben in Kopie an den zuständigen Landesjagdverband und an den Österreichischen Tierschutzverein unter office@tierschutzverein.at senden.

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Wichtig: Beweismittel (Originale) niemals aus der Hand geben - auch nicht an die Polizei!

7

Das verletzte oder tote Tier gehört dem Haustierhalter und muss diesem auf Verlangen vom Jäger ausgehändigt werden! 4

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Vgl. Initiative für jagdgefährdete Haustiere.


ZIELSCHEIBE WILDTIER In Österreich fallen Jahr für Jahr knapp 890.000 Wildtiere Jägern zum Opfer – erschossen, erschlagen oder in Fallen umgekommen. Das sind 2.435 Wildtiere pro Tag. Alle 35 Sekunden stirbt ein Wildtier durch Jägerhand.

Tierschutz vs. Weidgerechtigkeit Die fatale Situation: Wildtiere sind nicht durch das Tierschutzgesetz geschützt. Das im Tierschutzgesetz festgelegte Verbot der Tierquälerei muss so dem unbestimmten Begriff der „Weidgerechtigkeit“ der Jagdgesetze weichen. Es reicht, wenn die Jagd „weidgerecht“ ist. Auch wenn die Weidgerechtigkeit z.T. Aspekte des Tierschutzes, der Ethik, der Hege oder des Nachhaltigkeitsprinzips berücksichtigt, kann dieser Begriff dem Tierschutzgedanken nicht gerecht werden. Das zeigt sich regelmäßig in der Realität: Tiere werden oft nur angeschossen oder nicht ordnungsgemäß getroffen. Die Suche nach dem verletzten Tier – sofern diese überhaupt erfolgt – dauert zum Teil Stunden oder Tage. Angeschossene Tiere irren auf der Flucht vor dem Jäger mit gebrochenen Knochen und zerfetzten Körperteilen durch den Wald. Mit Schrot bejagte

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Tiere werden in vielen Fällen nicht gleich tödlich getroffen und verenden erst Tage danach qualvoll. Auch bei einer „weidgerecht“ ausgeübten Fallenjagd bleibt der Tierschutz auf der Strecke: Totfangfallen sind immer noch erlaubt; oft sind die Tiere aber nicht sofort tot. Und bei den Lebendfangfallen, die an sich das Tier „unversehrt“ fangen sollen, zeigen Studien, dass die Tiere oftmals in Panik geraten, wenn sich die Falle schließt. Die Folge: schwer verletzt warten die Tiere dann auf ihren Tod. Auch bei der Treibjagd steht jagdliches Brauchtum im Vordergrund. Wenn Wildtiere von Treibern und Hunden den Jägern direkt vor den Lauf gescheucht werden, kann man nicht von „tierschutzgerecht“ sprechen. Bei der sog. Baujagd muss z.B. ein Fuchs Todesängste ausstehen, bevor er entweder vom Hund selbst oder spätestens von den vor dem Bau wartenden Jägern erlegt wird.

Massive Probleme durch Jagd Das von der Jägerschaft beanspruchte Recht auf Bestandskontrolle jagdbarer Wildarten schafft massive ökologische Probleme – auch wenn die Jägerschaft die Hege in den Vordergrund schiebt und regelmäßig die Notwendigkeit

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der Wildschadensvermeidung betont. Die Regulation von frei lebenden Wildtierbeständen durch menschliche Jäger kann in der


DIE JAGD IST ÜBERFLÜSSIG. WENN MAN SIE EINSTELLT, REGULIEREN SICH DIE BESTÄNDE VON ALLEIN. Ragnar Kinzelbach, Zoologe an der Universität Rostock (Süddeutsche Zeitung, 28.01.2009)

Praxis nicht funktionieren und ist nach Dr. Josef H. Reichholf, Honorarprofessor für Naturschutz und Ökologie an der

TU München, auch nicht nötig5. Vielmehr hat die intensive Bejagung von Wildtieren schwerwiegende Folgen auf das Gleichgewicht der Natur.

5 Reichholf, Josef H.: Warum Jagd? Folgen des Jagens für Menschen, Tiere, Pflanzen und Landschaften. In: TIERethik. Hg. vom Verein ALTEX Edition. Küsnacht ZH, 5. Jahrgang 2013/2, Heft 7, S 12.

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JAGD UND NATUR IM WIDERSPRUCH Regulation des Wildbestandes, Vermeidung von Wildverbiss, Schutz des Wildes oder Hege – Argumente, welche die Interessen der Jägerschaft in der Öffentlichkeit rechtfertigen sollen. Eine genauere Betrachtung widerlegt jedoch die Annahme zur Gänze, dass die Natur ohne Jagd nicht mehr funktioniert. Die Jagd löst keine ökologischen Probleme, sondern schafft sie erst.

MEHR WILD DURCH JAGD Grundsätzlich bestimmt die Umwelt, wie groß Wildbestände werden können. Prof. Josef H. Reichholf, em. Honorarprofessor für Naturschutz und Ökologie an der TU München, führt in diesem Zusammenhang aus, dass die Umwelt das Anwachsen der Bestände in Schach hält. Zwar gibt es keine perfekte Selbstregulation und Bestände können mehr oder weniger stark schwanken. Dennoch sorgt die Natur dafür, dass der Wechsel zwischen kurzzeitig guter Nachwuchsrate, ausgeprägtem Bestandsrückgang und anschließender Erholung über die Jahre gesehen im Durchschnitt der sog. „ökologischen Kapazität“ entspricht. Diese Kapazität beschreibt eine bestimmte Anzahl von Tieren innerhalb eines Lebens-

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raumes, die längerfristig überleben kann. Reichholf kommt zum Schluss, dass eine Regulation von frei lebenden Tierbeständen durch die Jagd weder funktioniert noch nötig ist1. Die Jagd bewirkt etwa bei Rot- oder Damwild, dass die Bestände auf hohem Niveau gehalten werden. Werden Tierbestände durch Abschüsse auf etwa die Hälfte der o.g. Kapazitätsgrenze gesenkt, bleibt der Bestand bei höchster Geburtenrate erhalten: die Natur bremst das Wachstum erst bei Annäherung an diese Grenze. Diese praktizierte Art der Hege, nämlich Winterfütterung in Kombination mit Bestandverminderung im Revier durch Abschuss, führt bei Rehen dazu, dass sich de-

1 Reichholf, Josef H.: Warum Jagd? Folgen des Jagens für Menschen, Tiere, Pflanzen und Landschaften. In: TIERethik. Hg. vom Verein ALTEX Edition. Küsnacht ZH, 5. Jahrgang 2013/2, Heft 7, S 12 und 17 ff.


ren hohes Bestandsniveau über die Jahre halten konnte2. Bei Wildschweinen ist die Entwicklung noch im Gang: jedes Jahr werden mehr Wildschweine geschossen – und dennoch vermehrt sich das Schwarzwild explosionsartig und sucht Mais- und Kartoffelfelder heim. Auch wenn es für größere Wildtiere noch nie so günstige Lebensbedingungen wie heute gegeben hat, ist es auch die Jagd, die dafür sorgt, dass sich Wildschweine weiter vermehren: Eine französische Langzeitstudie kam zum Ergebnis, dass eine starke Bejagung zu einer deutlich höheren Fortpflanzung führt und die 2 3

Derselbe ebenda, S 19 und 25. Servanty et alii, Journal of Animal Ecology, 2009

Fruchtbarkeit stimuliert3. Wildschweine haben außerdem eine sehr empfindliche Sozialstruktur. Wird die „Rotte“ durch Abschuss der „Leitbache“ zersprengt, brechen die führungslosen Tiere in die Felder ein; alle Bachen werden mehrmals im Jahr fruchtbar und vermehren sich völlig unkontrolliert.
 Haben Wildschweine intakte Familienverbände, regulieren sie ihren Bestand selber. Das übernatürlich hohes Nahrungsanbot - verstärkter Maisanbau und legales oder illegales Zufüttern durch die Jägerschaft – trägt sein übriges dazu bei, dass sich die Tiere rasch vermehren.

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DIE SCHEU FÖRDERT DEN VERBISS IM WALD. SO SIND ETWA REHE VON NATUR AUS GAR KEINE WALDBEWOHNER.

JAGD FÖRDERT WILDVERBISS Wild ist heute scheu. Reichholf ist der Ansicht, dass diese Scheu kein natürlicher Bestandteil des Tierverhaltens ist. Erst der Jahrhunderte anhaltende Jagddruck habe die Wildtiere scheu gemacht – denn nur die Vorsichtigsten konnten überleben. Weil man Rehe kaum sieht, sind auch die gemeldeten Wildbestandsdichten, auf die immerhin die Abschusspläne der Jagdbehörden aufbauen, oft nur grobe Schätzungen. Zutrauliche Wildtiere in indischen oder einigen

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europäischen Nationalparks liefern heute den Beweis dafür, dass die Scheu dieser Tiere unnatürlich ist4. Sie fördert zudem den Verbiss im Wald. So sind etwa Rehe von Natur aus gar keine Waldbewohner. Unter natürlichen Bedingungen halten sie sich am liebsten auf Fluren und Wiesen auf. Buchautor Thomas Winter stellt fest, dass das Rehwild durch die Bejagung tief in den schützenden Wald hineingedrängt wird, wo es außer den Fütterungen durch die

4 Reichholf, Josef H.: Warum Jagd? Folgen des Jagens für Menschen, Tiere, Pflanzen und Landschaften. In: TIERethik. Hg. vom Verein ALTEX Edition. Küsnacht ZH, 5. Jahrgang 2013/2, Heft 7, S. 15 und 19.


Jägerschaft kaum andere Nahrung findet als die Triebe von Bäumen5. Nach Reichholf führte dies gemeinsam mit den intensiv gehegten und daher unnatürlich hohen Beständen zur heutigen Verbiss-Schadenssituation6. Hege und Wildverbiss gehen so Hand in Hand – gesteuert durch die Jägerschaft. Die starke Bejagung steigert das Fluchtverhalten der Tiere, die so noch mehr Nahrung benötigen. Flucht verbraucht vier Mal mehr Energie im Vergleich zu Stehen oder Äsen. Gäbe es den Störfaktor Mensch nicht, würde sich das Wildtier trotz hoher Bestanddichten artgerecht ernähren, ohne forstlich oder ökologisch Probleme zu schaffen7. Bei Vollschonung würde sich

das Verhaltensmuster der vorher bejagten Wildtiere rasch ändern. Dieser sog. „Nationalparkeffekt“ ist schon seit langem bekannt und weltweit bewiesen. Nach Reichholf kommen Wald und Wild auch ohne Regulierung seitens des Menschen aus. So hat im Schweizerischen Nationalpark etwa das Schalenwild auch nach 100 Jahren ohne Bejagung den Wald nicht „kurz und klein“ gefressen8. Da die Jagdleidenschaft kein Auftrag der Gesellschaft sein könne und auch die Bestandsregulation allenfalls eine Forderung von Land- und Forstwirtschaft sei, hängt für Reichholf die Rechtfertigung der Jagd vor allem an der Minderung der Wildschäden9.

Winter, Thomas: Jagd – Naturschutz oder Blutsport?.Passau 2003. S. 73. Vgl. Reichholf, Josef H.: Feld und Flur. München 1990. S. 63 ff Vgl. Kurt, in Thomas Winter: Jagd – Naturschutz oder Blutsport?. Erscheinungsort 2003, Seite 74.

8 Reichholf, Josef H.: Warum Jagd? Folgen des Jagens für Menschen, Tiere, Pflanzen und Landschaften. In: TIERethik. Hg. vom Verein ALTEX Edition. Küsnacht ZH, 5. Jahrgang 2013/2, Heft 7, S 31. 9 Derselbe ebenda, S. 28.

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FOLGEN DER VERMEINTLICHEN „HEGE“ Unter natürlichen Bedingungen regulieren Krankheiten, Winterhärte und Nahrungsmangel die Wildbestände. Das Reh zehrt im Winter von seinen Reserven - sein Nahrungsbedarf ist drastisch reduziert. Fütterungen durch die Jägerschaft und die Bestandsverminderung im Herbst entschärfen allerdings diesen winterlichen Engpass. Die Folge: Die heutige Hegepraxis führt zur Vermehrung des Wildes10. Nicht wenige halten eine Winterfütterung durch die Jägerschaft überhaupt für überflüssig11. Jedenfalls hat die Fütterung des Wildes im Winter nicht nur den Zweck, den

Wildtieren in extremen Notzeiten zu helfen. Der Jägerschaft geht es vielmehr darum, jagdlich interessantes Wild in bestimmten Teilen des Reviers zu konzentrieren, um es leichter bejagbar zu machen. Normalerweise sorgen Beutegreifer wie Wolf oder Luchs dafür, dass sich ihre Beute(tiere) stärker verteilen und nicht nur an wenigen Stellen konzentrieren. Doch die Jägerschaft hat die Beutegreifer ausgeschaltet. Diese sog. „Verteilungsdynamik“ ist für das Revierjagdsystem kontraproduktiv - das Wild soll ja durch Fütterung in seinem Revier gehalten werden12.

DASS DIE JÄGER DEN WALD GESUND HALTEN IST EIN SCHMÄH. WIR HABEN IN ÖSTERREICH CA. 120.000 JÄGER, DIE SCHIESSEN DOCH NICHT UNENTWEGT AUF KRANKE TIERE. JAGD IST EINE LUSTHANDLUNG. Prof. Antal Festetics, Zoologe, Wildbiologe und Verhaltensforscher

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10 Vgl. Reichholf, Josef H.: Warum Jagd? Folgen des Jagens für Menschen, Tiere, Pflanzen und Landschaften. In: TIERethik. Hg. vom Verein ALTEX Edition. Küsnacht ZH, 5. Jahrgang 2013/2, Heft 7, S. 25. 11 Vgl. Dr. Karl-Heinz Loske: Von der Jagd und den Jägern. Erscheinungsort 2006, S. 82

12 Reichholf, Josef H.: Warum Jagd? Folgen des Jagens für Menschen, Tiere, Pflanzen und Landschaften. In: TIERethik. Hg. vom Verein ALTEX Edition. Küsnacht ZH, 5. Jahrgang 2013/2, Heft 7, S 30.


Die Vielfalt der Pflanzen wurde durch den Wildverbiss drastisch reduziert Mit der Zunahme der Wildbestände wurden immer mehr der leichter verdaulichen Pflanzenarten (etwa Hasenlattich, Weidenröschen, Türkenbund, Frauenfarn, Schneeball oder Wildkirschen) so stark verbissen, dass sie aus vielen Teilen des Waldes fast ganz verschwanden.

Elf Jahre später Der Unterschied ist noch deutlicher geworden: Außerhalb des Zaunes wachsen fast nur Gras und Klebriger Salbei, innerhalb sind unterschiedliche Laubbäume (etwa Schneeball, Vogelbeeren, Kirschen) und auch Tannen aufgewachsen13. 13

Bildmaterial aus dem Buch "Tatort Wald" siehe Literatur.

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FORDERUNGEN DES ÖSTERREICHISCHEN TIERSCHUTZVEREINS

VERBOT DER TÖTUNG VON HAUSTIEREN Vor allem ein Schuss auf ein Haustier zeigt schonungslos das eigentliche Motiv für die Jagd auf – nämlich die pure Lust am Töten. Das Argument der Jägerschaft, damit Wildtiere zu „schützen“, ist heuchlerisch: denn beim "Schutz von Tieren" geht es vor allem darum, Tiere vor dem Menschen zu schützen - und nicht Tiere vor Tieren zur Wahrung von eigenen, menschlichen Interessen. Wer Familienmitglieder tötet, dem fehlt es schlicht an Mitgefühl, Sozialkompetenz und Verantwortungsbewusstsein.

GESETZLICHES ALKOHOLVERBOT BEI DER JAGD Was für Autofahrer gilt, sollte selbstverständlich in verschärfter Form für Jäger gelten – immerhin sind Schusswaffen im Spiel. Dennoch wird das Thema Alkohol in den Jagdgesetzen nicht erwähnt. Ein Alkoholverbot gehört dringend gesetzlich festgeschrieben. Alkohol + Waffen = tödliche Gefahr für Mensch und Tier!

PSYCHOLOGISCHE VERLÄSSLICHKEITSPRÜFUNG FÜR JÄGER

Es sollte selbstverständlich sein, dass jeder Waffenträger verlässlich ist – also psychisch und physisch geeignet ist, eine Waffe zu führen. Das sieht der Gesetzgeber nach wie vor zu „locker“. Eine verpflichtende psychologische Verlässlichkeitsprüfung für angehende Jäger ist nicht vorgesehen, aber längst überfällig – und zwar für alle Waffenkategorien. Selbstverständlich müssten alle Waffenbesitzer außerdem in regelmäßigen Zeitabständen auf ihre Verlässlichkeit überprüft werden.

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VERBOT VON BLEISCHROT Eine Vergiftung der Umwelt durch Bleischrot der Jägerschaft kann nicht länger hingenommen werden. Laut Umweltbundesamt1 verschießen Jäger und Sportschützen in Österreich 600 Tonnen Blei - im Jahr. Das giftige Schwermetall tötet nicht nur Tiere, sondern gelangt auch in die Nährstoffkreisläufe und kontaminiert Boden, Wasser und Getreide.

VERBOT DER FALLENJAGD Eine Jagd, die den neuen ökologischen Erkenntnissen und den Anforderungen des Tierschutzes Rechnung tragen will, muss auf nicht-selektive Fallen und Jagdmethoden verzichten. Ob Totfangfallen oder Lebendfallen: Tiere müssen leiden, und das oft Stunden oder Tage. Ganzjährige Schonzeiten für Vögel, Hasen und kleine Beutegreifer. Die Bestände dieser Tierarten nehmen nicht überhand – es besteht kein Regulierungsbedarf. Sie verursachen auch keine Wildschäden.

VERBOT VON TREIB- UND BAUJAGDEN Treibjagd ist eine besonders grausame Form der Jagd. Viele Tiere geraten in Panik und werden in Todesangst versetzt. Oftmals verursachen unkontrolliert abgegebene Schüsse bei angeschossenen Tieren unnötige Qualen. Bei dieser Gesellschaftsjagd werden auch regelmäßig Menschen verletzt oder gar getötet. Nicht minder tierquälerisch ist die Baujagd. Ein Fuchs muss Todesängste ausstehen, bevor er entweder vom Hund selbst oder spätestens von den vor dem Bau wartenden Jägern erlegt wird.

JAGDVERBOT IN NATURSCHUTZ Jäger müssen aus Gebieten, die dem Schutz von Tieren und der Natur dienen, herausgehalten werden. Die Annahme, dass die Natur ohne Jagd nicht mehr funktioniert, ist falsch. Der Genuss der Natur steht uns allen zu und darf insbesondere in Schutzgebieten nicht durch die Jagd gestört werden. 1

Vgl. Bericht Umweltbundesamt „RUSCH Ressourcenpotenzial und Umweltbelastung der Schwermetalle Cadmium, Blei und Quecksilber in Österreich“ (2009)

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ENDE DER ZWANGSBEJAGUNG Die Auffassung des EGMR, wonach die Zwangsmitgliedschaft in Jagdgenossenschaften gegen die europäische Menschenrechtskonvention verstößt, ist in Zukunft auch von österreichischen Gerichten in österreichisches Recht umsetzen.

VERBOT VON KIRRUNGEN UND ANLEGEN VON FUTTERPLÄTZEN Das sog. Kirren ist eine jagdliche Maßnahme zur gezielten Anlockung von Wild, um es zu erlegen. Fütterungen haben nicht nur den Zweck, Wildtieren über die Notzeit zu helfen. Es geht vielmehr darum, jagdlich interessantes Wild örtlich zu konzentrieren, etwa um es leichter bejagen zu können (Anlockfütterung, Kirrung). Diese Hegepraxis führt zu einer unnatürlichen Vermehrung des Wildes mit der Folge, dass die Jägerschaft mehr Tiere schießen kann.

VERBOT DER JAGD AUF EIGENS DAFÜR GEZÜCHTETE TIERE Tiere, wie etwa den Jagdfasan, nur zu züchten, um sie bejagen zu können, ist eine pervertierte Auffassung von Tier- und Naturschutz. Vor der Jagd werden die Vögel in großer Zahl freigelassen, damit sie den Jägern als bunte Zielscheiben dienen. Die Förderung von Wildtierbeständen nur zum Zweck der Jagd ist abzulehnen – wie die Jagd auf diese Tiere an sich.

VERBOT DER HOBBYJAGD In letzter Konsequenz sollte aufgrund der zusammengetragenen Fakten und Erkenntnisse die Jagd an sich verboten werden. Es geht auch ohne Jagd: dies beweisen etwa der Nationalpark Gran Paradiso in Italien (seit über 80 Jahren jagdfrei), der Schweizer Kanton Genf (seit 34 Jahren jagdfrei) und die Niederlande, wo die Jagd weitgehend verboten ist. Zumindest aber muss die Jagdausübung speziell ausgebildeten Berufsjägern vorbehalten werden. Costa Rica hat 2012 die Sportjagd abgeschafft.

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WEITERFÜHRENDE LITERATUR 1

„Vom Widersinn der Jagd“ Carlo Consiglio, Zweitausendeins Verlag

2

„Was Jäger verschweigen - Schattenseiten eines umstrittenen Hobbys“ F. Werner, Edition Gegensicht

3

„Tatort Wald - Georg Meister und sein Kampf für unsere Wälder“ Claus-Peter Lieckfeld, Verlag Westend

4

„Von der Jagd und den Jägern“ Karl-Heinz Loske, Edition Octopus

5

„Jagen, Sex und Tiere essen - Die Lust am Archaischen“ Florian Asche, Verlag Neumann-Neudamm

6

„Die Leidenschaft des Jägers“ - Paul Parin Europäische Verlagsanstalt/Sabine Groenewold Verlage

7

„Jagd - Naturschutz oder Blutsport" - Winter, Thomas: Verlag Winter Thomas 2003

8

„Feld und Flur" - Reichholf, Josef H.: Mosaik-Verlag1990

9

„Brunos Jagdfieber“ - Bruno Haberzettl: Verlag Ueberreuter

10

„Schwarzbuch der Jagd. Der Grünrock – Herr in Wald und Flur?“ Jakob Kurz, Erschienen bei Books on Demand

11

„Ein Forstunternehmer – Jäger, du bist hier unerwünscht“ Verlag Against Hunting

12

TIERethik. Hg. vom Verein ALTEX Edition. Küsnacht ZH, 5. Jahrgang 2013/2

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DIE ARBEIT DES ÖSTERREICHISCHEN TIERSCHUTZVEREINS Der Österreichische Tierschutzverein ist eine gemeinnützige, unparteiische und überkonfessionelle Tierschutzorganisation, die sich österreichweit für die Belange der Tiere einsetzt. Sein Aufgabengebiet umfasst nicht nur die Rettung und Unterbringung von Tieren in Not auf seinen „Franz von Assisi-Höfen“, der Verein strebt mit seiner aufklärenden Tierschutzarbeit einen Bewusstseinswandel im Umgang mit allen Tieren - ob Haustier, Zootier oder Nutztier - an. Der Österreichische Tierschutzverein nimmt keine Subventionen von öffentlicher Hand, um seine Anliegen gegenüber

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Ämtern und Behörden unbeeinflusst vertreten zu können. Er finanziert seine gesamte Arbeit ausschließlich durch Spenden und sonstige Zuwendungen von Tierfreunden. Schon seit Jahrzehnten beschreitet der Österreichische Tierschutzverein neue Wege im Tierschutz und stellt sein Konzept des lebendigen Wohlfühlens auf den „Franz von Assisi-Höfen“ dem Konzept des bloßen Verwahrens in kleinen Zwingern gegenüber und bietet so allen großen und kleinen, kranken oder nicht mehr gewollten Tieren ein artgerechtes und liebevolles Zuhause.


Ein "Franz von Assisi-Hof" des Österreichischen Tierschutzvereins

IMPRESSUM: Medieninhaber und Hersteller: Österreichischer Tierschutzverein, Berlagasse 36, 1210 Wien, ZVR-Zahl 996910299. Verlags- und Herstellungsort: 1210 Wien. Herstellung und Vertrieb: Anima Phoenix GmbH, Berlag. 36, 1210 Wien, FN 351941k; Redaktion: Mag. Christian Hölzl, Janina Koster, Bakk. phil. Gestaltung: Full Service Agentur Dreirad; Fotos: Österreichischer Tierschutzverein, Shutterstock, Fotolia, Depositphotos, Bruno Haberzettel, Georg Meister. Druck: Online Printers © Alle Rechte sind vorbehalten. Trotz sorgfältiger Recherche kann keine Verantwortung für die Vollständigkeit oder die Richtigkeit übernommen werden. Sämtliche Angaben in dieser Jagdbroschüre erfolgen ohne Gewähr. Eine Haftung des Österreichischen Tierschutzvereins ist ausgeschlossen.

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„Je hilfloser ein Lebewesen ist, desto größer ist sein Anspruch auf menschlichen Schutz“ Mahatma Gandhi

ZENTRALE:

Berlagasse 36, 1210 Wien, Tel. 01/897 33 46

BÜRO SALZBURG:

Peter Singer Gasse 8, 5020 Salzburg, Tel. 0662/84 32 55 E-Mail: office@tierschutzverein.at


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