Hundegeschichten

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hundeges�ichten von Christa �ademann


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hundeges�ichten von Christa �ademann gestaltet: vomtom


** erzählt für meine Urenke� Linda, Steven, Fynn ^ Lilith Mo **


Inhalt

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

Seite

Vorwort Wie alles begann ®Harras, ein Neuzugang Der Unfall Wie wir zu unserem ersten Boxer kamen ®Basco, unser Kindermädchen Der Freudenbiss Einkauf mit Folgen Ungewollter Zweikampf Altweibersommer Badetag war angesagt Unerwartete Freundschaft Der Koppelraub

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impressum: Boxergeschichten von Christa �ademann, erste Auflage, Bad Muskau / Bern, Zweitausend^ zwölf copyright: für den Text bei Christa Lademann für Illustration ^ Schrift : Tom Hænsel (#tt)  � ©tintenfris�.net schrift: ∆_uno-foorms; lektorat: Birte Golzs�


Seite

14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25.

®Basco ein Schleuderakrobat? Unerbetener Besuch Memory Asso Unser Kostgänger macht sich Asso in der Einkaufstasche Assos Kampf mit dem Ungeheuer Der s�öne Waldemar Wie ich ihm das Naschen abgewöhnte Asso, der Hühnerjäger Abschied und Willkommen ®Kimberlyμ

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und als kleine Zugabe: ®Heinrich und sein Weibervolk

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Anhang

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Vorwort

or mir liegt ein altes Schulheft, auf dem Deckblatt steht: für Schüler der Klassen 4 bis 12, EVP: Zehn Pfennig. Das Blatt ist noch leer, aber mein Kopf ist voller Gedanken ^ Ideen. – Doch wie beginne �ch?

Die Mär�enerzähler begannen ganz einfach mit den Wor­ten: ‹Es war einmal ›, oder ‹vor vielen, vielen Jahren trug es sich zu ›, oder ‹ › … Solche alten Ges�i�­ten möchte ich nicht erzählen. Von meinen vier- und zweibeinigen Freunden möchte ich berichten, die mich viele Jahre meines Lebens begleiteten und noch bei mir sind. Was ich mit ihnen erleben durfte und was ich von ihnen gelernt habe.

lebte einmal

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Entdecke ich da etwa ein Lächeln? Von Tieren etwa lernen? Tiere können nicht sprechen und können doch zu uns sprechen, darin besteht kein Widerspruch. Wir grossen Zweibeiner müssen uns nur Zeit nehmen, sie beobachten, sie verständnisvoll behandeln, sie achten. Denn auch sie sind Ges�öpfe wie du und ich, die die Erde auf Zeit bewohnen dürfen. Es gibt Menschen, die ganz besonders gut mit Tieren umgehen können, die ihre Sprache verstehen. Zum Beispiel nennt man sie Pferdeflüsterer oder Hunde­flüsterer. Sie können auf Tiere eingehen und an ihren Verhalten erkennen, warum sie ängstlich oder aggressiv sind, bringen ihnen wieder bei, den Menschen zu vertrauen. Ich glaube, ich bin ein Tierflüsterer. Meine Vorfahren waren sehr naturverbunden. Von 1784 an waren sie Waldarbeiter, Förster, reitende Revierförster, königliche Förster. Während ich im Garten sitze und schreibe kommen mich wieder zwei meiner Freunde besuchen. Ein Tauben­ pärchen, das auf einer Kiefer vor meinem Haus wohnt, das am Waldrand steht. Sie sind Wahrscheinlich ihrem Besitzer davongeflogen und haben sich ein neues Zuhause in Freiheit gesucht. Ich nenne ihn Turtel, weil er stets spreizfüßig um seine Liebste herum turtelt, während sie so tut, als


wäre das selbstverständlich. Nach ein paar Augenblicken hüpft Turtel noch etwas zögernd auf meinen Gartentisch zu. Bleibt dann plötzlich stehen und sieht mich mit seinen Perlaugen an. Ja, ja, ich weiß schon was du mir sagen willst. Ich nehme eine Handvoll Maiskörner und werfe sie den beiden hin.

Und ich sitze immer noch vor meinem Schulheft und überlege wie ich beginnen soll, von meinen besten Freunden, meinenˇ §Boxern, zu erzählen…

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2.

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n a g e b s e l l a ie

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enn ich so zurück denke, diese Worte kann ich unbesehen so stehen lassen. Ich bin jetzt 85 Jahre   alt und wollte schon immer einen Hun� haben.

1944, ein Jahr vor dem Ende des zweiten Weltkrieges, half ich bei Bekannten in der Gärtnerei aus. Hier machte ich meine erste Bekanntschaft mit einer Boxerhündin – Bella – übersetzt: ‹Die Schöne›. Fast immer, wenn meine freiwillige Hilfe im Garten beendet war, ging ich eine Runde mit Bella. Seit dieser Zeit wünschte ich mir einen Hund. Aber es sollten noch ein paar Jahre vergehen, bis ich mir diesen Wunsch erfüllen konnte. Nach meiner Heirat verließ ich meine Heimatstadt Magdeburg und siedelte in die Niederlausitz um.


Einkäufe besonderer Art konnten nur in Spremberg, das liegt zirka 25 km von meiner Zweitheimat entfernt, mit dem Fahrrad erledigt werden. So fuhr ich an einem schönen Tag von Welzow über Proschim, Haidemühl, Gosda, Jessen, Pulsberg, Heinrichsdorf nach Spremberg. Auf der Rückfahrt wollte ich bei einem Förster vorbeischauen, der in der Zeitung Welpen zum Verkauf anbot. Nur mal ansehen und vielleicht mal einen auf den Arm nehmen. Aber es kam anders. Kaum hatte ich die jungen Hunde gesehen, war es um mich geschehen. Ich fuhr mit einem Drahthaarterrier, der zehn Mark kostete, nach Hause. Zu der Zeit wohnten mein Mann und ich noch bei den Schwie­gereltern. Deshalb beschlich mich auf der Heim­fahrt ein ungutes Gefühl. Es war ja nichts abgesprochen, und ich tauche mit einem Hund auf. 13


Alle gut gemeinten Reden ließ ich über mich ergehen und durfte den Hund behalten. Ich versprach, ihn zur Hasenund Wildka­nin�enjagd abzurichten. Meinem Schwiegervater, unserem guten Opa, schien die Sache doch nicht ganz geheuer. Er sagte: ‹Den ersten Hasen, den du fängst, verspeise ich mit Haut und Haaren.› Unser ‹Purze�›, wie ich ihn nannte, war wirklich ein aus­ge­spro­che­ner Jagdhund. Kaum stand die Tür nur einen Spalt breit offen, jagte er davon. Er stand zwar immer nach einiger Zeit wieder vor der Tür, den Kopf gesenkt, wusste also schon, dass sein Ausflug nicht rechtens war. Eines Tages war im Ort Hundesperre angesagt und mein Purze� wieder auf Reisen. Na ja, er konnte ja das Wort ‹Hundesperre› nicht lesen. So nahm das Unheil seinen Lauf. Unser Ortspolizist, Paulchen Wagenmacher, machte Jagd auf meinen Ausreißer. Wie sich der Hunde­fang abspielte erzählten mir später Bekannte. Es war so: Purze� lief eine Strecke voraus, blieb stehen, blickte zu unserem Polizisten und wartete. War unsere gute Staatsmacht so weit herangekommen, dass er ihn hätte fassen können, bleckte Purze� die Zähne, so als ob er lache und lief davon.


Er betrachtete das als Spiel, es machte ihm Spaß. Kurz entschlos­sen engagierte Herr R. eine Schar Kinder als Hilfs­s�eriffs. Das war natürlich ein Gaudi für die Kinder. Mit lautem Gejohle ras­ten sie durch die Straßen dem Hund hinterher. Es muss ihnen doch gelungen sein Purze� einzufangen. Denn ein paar Stunden nach Purze�s Verschwinden schellte es an der Tür. Als ich öffnete, erblickte ich eine Schar Kinder und natürlich unseren Ordnungshüter, der Purze� an einer provisori­schen Leine mit sich führte. Ich kam mit einer Verwarnung davon. Purze� durfte nur noch an der �eine das Haus verlassen. 15


Harras, ein Neuzugang

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in paar Wochen später, wir waren gerade umgezogen und hatten eine eigene Wohnung, kam mein lieber Mann von Spremberg mit einem kleinen Mis�lingshund zurück. Er hatte dienstlich in Spremberg zu tun und die Gelegenheit genutzt, Tante Anna einen Besuch abzustatten. Tante Anna, so erzählte er mir, hätte auf der Straße einen herrenlosen Hund gefunden. Er sei gleich sehr zutraulich gewesen und immer mit ihr mitgelaufen. Sie habe ihm zu Fressen gegeben und er sei nicht mehr von ihrer Seite gewichen. So hat sie ihn also mit in die Wohnung genommen, und wusste nicht, was sie mit ihm machen sollte. Da wir ja schon einen Hund hätten wäre es doch gut, wenn wir noch einen zweiten dazu nehmen würden. Es sei auch gut möglich, dass er erzieherisch auf Purze� einwirken könnte. Außerdem würde es ein großer Hund werden. Ob diese Prognose zutreffen würde bezweifelte ich sehr.


Na kurz ^  gut, der kleine Hund wurde auch in unsere Fami�ie integriert und erhielt den Namen ‹Harras›, denn er sollte ja, nach Tante Annas Prophezeiung, so groß wie ein Schäferhund werden. Harras war wirklich sehr lieb und folgsam, er hat mir sehr geholfen Purze� zu erziehen. Purze� schränkte seine Allein­ spazier­gänge ein und ging Fuß an der Leine. Aber was wusste ich damals schon von Hundeerziehung? Gar nichts. Leider hatten wir unseren Neuzugang nicht lange. Nachdem Harras ein paar Monate bei uns war, wollte er eines Tages nicht mehr fressen. Er lag in seinem Körb�en und sah mich mit traurigen Augen an. Auch �e�erli, die er sonst so gerne fraß, nahm er nicht mehr an. Das Aufstehen fiel ihm schwer. Ich hielt ihm die Wasser­schüssel vor die Schnauze, um es ihm leichter zu machen. Alle meine Mühe war vergeblich. Er sah mich mit großen traurigen Augen voller Dankbarkeit an. Mir rollten die Tränen über die Wangen, es galt von einem lieben Freund Abschied zu nehmen.

S o konnte ich Tante Annas Prognose nicht widerlegen, dass Har­ras einmal so groß wie ein S�äferhund geworden wäre. 17


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Der UnFall hne Harras verfiel Purze� wieder in seine alten Gewohnheiten. Ausreißen stand an alleroberster Stelle. Außerdem hatte ich in Hundeerziehung keine Erfahrung, wie übrigens viele, die sich einen Hund zulegen. Es geht nichts von selbst, es braucht viel Geduld, Einfühlungsvermögen und Le�erli.

Kommandos müssen im Befehlston erteilt werden. Nicht unbedingt laut, aber energisch. Hunde unterscheiden sehr schnell zwischen Spiel oder Arbeit. Belohnt wird nur die Arbeit. Erst mit Le�erli, dann mit Streicheleinheiten. Auch später, wenn alle Befehle sofort befolgt werden, alles sozusagen selbstverständlich, wir sagen in Fleisch ^ Blut übergegangen ist, sollte der Hund nur noch ab und zu für seine Arbeit Streicheleinhei­ten oder �e�erli bekommen. Unsere Nachbarskinder fanden Purze� sooooooo niedlich. Sie rissen sich darum ihn auszuführen. Außerdem war es ��c, sich mit einem Hund an der Leine zu zeigen. Es waren kleine Teenies, 12 und 13 Jahre alt. Bei so einem Spaziergang geschah es. Eine Katze lief über die Straße. Katzen waren seine liebsten Verfolgungs­objekte. Er riss sich los und lief der Katze nach.


Mit dem plötzlichen Leinenzug hatten die Kinder nicht gerechnet. Das hätte mir genau so passieren können. Ich gab den Kindern keine Schuld. Es war aber die Hauptverkehrs­straße. Nicht rechts oder links guckend lief er der Katze nach. Ein Auto erfass­te ihn, er war sofort tot. Im Garten haben wir ihm ein schönes Grab gemacht, mit Blumen ges�mü�t. So nahmen wir Abschied von Purze�. Wenn er mir auch oft Ärger breitet hatte, er gehörte zu uns, war ein Mitglied unserer Fam���e. Wir vermissten ihn sehr. 19


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Wie wir zu unserem erst __en Boxer kamen

 


lso, es begann alles im Sommer 1954 in Kühlungsborn an der Ostsee. Wir hatten einen Ferienplatz in einem FDGB-Heim.

Beim Spazierengehen sahen wir, wie ein Boxer so ganz gemütlich die Straße entlang schlenderte. Er kümmerte sich nicht um die Straßenpassanten. Man konnte schon das Gefühl haben, dass er genau wusste, wohin er will. Ich ging auf ihn zu und strei�elte ihn. Er ließ alles über sich ergehen und setzte dann seinen Weg fort. 21


Natürlich war ich neugierig wo er wohl hin will. Also folgte ich ihm. Er verschwand im Hof unseres Ferienheimes und wartete dort vor dem Hintereingang zur Küche. Auf einmal ging die Tür auf und eine unserer Küchenfrauen begrüßte ihn mit den Worten: ‹Na, Basco, willst du dir wieder dein Futter holen?› Dann ver­schwand sie wieder in der Küche und kehrte mit einem großen Knochen zurück. Ganz so, als wäre das selbstverständlich, nahm er den Knochen entgegen und trottete davon.

Nach Absprache mit dem Hundebesitzer kauften wir ihm den Hund ab. Nur, die Situation war gar nicht so einfach. Es waren zwar die letzten Ferientage doch wo sollte der Hund schlafen? Nachdem ich ihn überzeugen konnte, dass das Bett kein so guter Schlafplatz für Hunde sei, war er auch mit einem Bademantel zufrieden. Die Heimfahrt traten wir, mein lieber Mann, meine 3-jährige Tochter, ich und Basco wieder mit dem Zug an. Wir hatten ein Abteil für uns allein. Basco lag auf dem Bademantel auf der einen Seite des Abteils, wir 3 teilten uns die andere Hälfte.


Plötzlich ging die Abteiltür auf und der S�affner stand im Türrahmen. Am Gesicht des S�affners konnte ich erkennen, dass das eine für ihn völlig neue Situation war. Zu der Zeit war es so: unter irgendeinem Waggon gab es einen Käfig für mitgeführte Hunde. Darauf wurden wir vom S�affner hingewiesen. Wir konnten ihm aber versichern, dass unser Vierbeiner keiner Fliege etwas zuleide tuen könnte. Außerdem sei er ganz neu in unserer Fami�ie, hat sich gerade an uns gewöhnt. Da könnte man ihm doch keinen Hundekasten zumuten. Es war ein ganz lieber, verständnisvoller S�affner. Nachdem wir glaub­haft gemacht hatten gut auf ihn aufzupassen, durfte er im Abteil bleiben. Und so kamen wir vier müde, aber gänzlich unbeschadet zu Hause an.

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Unser KindermädCHen

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in Jahr später hatte sich Basco gut in die Fa­mi�ie integriert. Für unsere kleinste Tochter Petra, die wir nicht mit nach Kühlungsborn nehmen konnten weil sie gerade 6 Monate   alt war und von Tante Dora gut versorgt wurde, war er der beste ^ liebste Spiel­ka­ merad. Die beiden wurden unzertrennlich.

Eines Tages ging ich einkaufen und nahm Petra im Kinderwagen mit. Basco durfte uns begleiten. Vor dem Geschäft stellte ich den Wagen ab & gab Basco den Befehl: ‹Platz! Pass auf!› und besorgte den Einkauf. Ab und zu warf ich einen Blick durch die Schau­fensterscheibe, um mich zu ver­gewissern, ob Kind und Hund noch da seien. Plötzlich näherte sich eine Bekannte dem Wagen. Basco erhob sich langsam zu seiner vollen Größe, ging ein paar Hundeschrit­te auf sie zu und knurrte. Erschro�en hielt Frau W. inne.


Zufäl­lig guckte ich gerade durch die Schaufensterscheibe und erlebte die ganze Szene mit. Ich sah, wie Frau W. auf ihn einredete. Es half nichts. Basco veränderte seinen Stand nicht und knurrte weiter. Sie ging ein paar Schritte rückwärts und schlug eine andere Richtung ein. Basco legte sich wieder seelenruhig neben den Wagen, so als ob nichts geschehen wäre. Für mich war es eine Bestätigung dafür, dass ich mich hundert prozentig auf unser Kindermäd�en verlassen konnte. 25


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Der Freudenbiss nsere Petra entwickelte sich prächtig. Sie war ein richtiger kleiner, süßer Fratz geworden. Blonde Lo�en umrahmten das schma­le Gesicht�en. In den Augen saß ihr ein Sche�m, der ihnen einen spitzbübis�en Ausdruck verlieh.

Da Basco ihr �iebster ^ bester Spielkamerad war, ließ sie ihm keine Ruhe. Sie kroch ihm überall hin nach. Mit ihren kleinen Händen ergriff sie eine Pfote. Er hielt still. Sie zog ihn an den Steh­ohren. Auch das ließ er geschehen. Er drehte nur den Kopf zur Seit­e, so dass sie ihn loslassen musste, und nahm wieder seine Ruhehaltung ein. Alle vier Pfoten von sich streckend spielte er toter Hund. Petra ließ sich nicht beirren. Sie krabbelte erneut zu ihm hin und setzte sich auf ihn und rief: ‹Hopp, hopp›. Dabei wippte sie mit ihrem kleinen Pops auf ^ ab wie auf ihrem S�auke�pferd.


Das ging ein Weilchen gut. Doch dann war es ihm wohl zuviel. Er erhob sich langsam auf die Vorderbeine, gab ihr einen leichten Schubs mit der Hinterkarre und suchte sich einen neuen Ruheplatz. Nachdem sich Petra von ihrer Verdatterung erholt hatte, versuchte sie es erneut. Sie legte sich flach auf den Teppich, so dass sie auf einer Augenhöhe waren und rückte näher auf ihn zu. Nun ergriff sie seinen Kopf, drückte ihn so sehr, dass er leise winselte und gab ihm ein Küsschen auf die Nase. Damit wollte sie ihm zeigen, wie lieb sie ihn habe. Basco nahm auf die gleiche Art einen Platzwechsel vor. Es half nichts, Petra war unermüdlich. All ihr Spielzeug war un­interessant. Sie hatte nur Augen für Basco. Dieser wusste sich bald keinen Rat mehr. Er stand wieder auf, um den Platz zu wechseln. Dabei guckte er sich im Zimmer um, wohin er sich wohl wenden könnte, um dem kleinen Plagegeist zu entgehen.

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Nun geschah das, womit keiner gerechnet hätte. Auf wackligen Beinen stehend bewegte sie sich auf ihn zu. Umfasste seine Hinterbeine, drückte ihren Kopf so sehr dagegen, dass er stöhnte. Aber diese Liebesbezeigung genügte ihr noch nicht, denn plötzlich biss sie ihn in seinen Stummel­s�wanz. Im selben Augenblick ertönte ein klägliches Geheule. Basco sprang, ob dieses unerwarteten Schmerzes, mit einem Satz nach vorn. Das wiederum erzeugte bei Petra einen Schre�. Sie hatte ihren sicheren Halt verloren und plumpste auf den Hosenboden. Damit nicht genug, fing sie an zu weinen. Was nun geschah, war für mich, die alles beobachtet hatte, über­raschend. Basco drehte sich um, ging zu der weinen­ den Petra und le�te ihr liebevoll übers Gesicht. Damit war die Freunds�aft beschlossen. Sie wurden ein unzertrennliches Paar.


Ein Einkauf mit Folgen

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s war ein Mittwoch. Ich erinnere mich noch genau daran, weil mittwochs unser Frauennachmittag war. Ein paar Einkäufe mussten noch getätigt werden. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad? Da die Geschäfte, die ich aufsuchen wollte, un­ gefähr einen Kilometer von unserer Wohnung entfernt lagen, entschied ich mich für das Fahrrad. Außerdem war es für Basco gut, eine Runde zu laufen.

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Unser Ort – das ist nicht ganz richtig – wurde in den sechziger Jahren mit noch 19 anderen Orten, zur Stadt erhoben. Es waren aus­schließ­lich Orte, in denen Industrie angesiedelt war, die Absatz­märk­te im Ausland hatten. Bei uns war es vorrangig ein Glaswerk, das Petroliumlampenzylinder herstellte, die nach Indien und Afri­ka geliefert wurden. Für mich war es mehr oder weniger ein Straßendorf geblieben. Entweder musste man gut zu Fuß sein oder ein Fahrrad besitzen. Ein Auto? Davon konnten wir damals nur träumen. Also machten wir uns beide auf den Weg. Zuerst in den fis�­laden, dann gegenüber in die Drogerie. Zuletzt in ein Geschäft für Haushaltswaren. Zwei Treppenstufen führten in den Laden. Basco warte, wie üblich, vor dem Geschäft auf mich. Vielleicht hat ihm mein Plausch mit den Verkäuferinnen zu lange gedauert, denn als ich das Geschäft verließ, war mein Basco verschwunden. So etwas gab es noch nie. Immer konnte ich mich darauf verlassen, dass er treu und brav auf mich warten würde. Mein Rufen blieb ohne Erfolg. Ohne weiter besorgt zu sein machte ich mich auf den Heimweg. Ich sagte mir, er ist an Brot gewöhnt, er kommt schon wieder.


Nach ungefähr einer Stunde läutete das Telefon. Eine Frauenstimme sagte: ‹Frau �., kommen Sie doch bitte und holen ihren Hund ab. Er sitzt auf der obersten Stufe vor der Ladentür. Unsere Kundinnen trauen sich weder raus noch rein.› Also schwang ich mich erneut auf mein treues Stahlroß und strampelte dem Wallfahrtsort zu. Tatsächlich – schon von Weitem erblickte ich meinen Basco auf den Stufen zum Ladeneingang. Als er mich gewahr wurde sprang er leichtfüßig auf mich zu. Das Stummelschwänz�en wa�elte, seine Augen strahlten vor Freude. Wie konnte ich ihm da eine Strafpredigt halten. Später erzählten mir die Verkäuferinnen was sich ab­ gespielt hatte. Nachdem Basco von seinem Streifzug zurückgekehrt war, wartete er artig vor dem Geschäft, 31


in dem ich zuletzt war. Nach einer Weile schlüpfte er mit einer Kundin ins Geschäft. Beschnüffelte alle, stellte fest, dass ich nicht mehr da war und verließ das Geschäft auf dem gleichen Weg. So durchwanderte er alle Geschäfte, in denen ich Einkäufe getätigt hatte. Das ging nicht ohne Gequitsche und Geschimpfe ab. Schließlich konnte er das Schild – Zutritt für Hunde verboten – nicht lesen. Letztlich trabte er zu dem Geschäft zurü�, zu dem er mich zuletzt begleitet hatte. Vielleicht sagte ihm sein Hundesinn – Frau�en muss doch diesen Ort einmal verlassen.

Ende gut, alles gut. Wir machten uns beide wieder gemeinsam auf den Heimweg.


Ungewollter      Zweikampf

ännerabend war angesagt. Treffpunkt Kulturhaus.

Unser Ort gehörte zu den Orten, die ein betriebseigenes Kultur­haus besaßen. Es gehörte zum Bergbau* wie die Grube ‹Clara›, drei Brikettfabriken und der Abraum. Auch der Bohrbe­trieb, der weitere Kohleflöze und deren Mächtigkeit durch Boh­rungen erkundete, sowie ein weiterer großer Betrieb, der Eimerketten für Bagger herstellte. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Berg­ leute hier das Sagen hatten. So ist der Ort innerhalb kurzer Zeit auf über sechstausend Einwohner angewachsen.

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An diesem Abend nahm mein Mann Basco mit in die Gast�ätte. Und damit begann das, was man hätte voraus sehen können. Der Pächter der Gast�ätte, Herr B., besaß einen Rottweiler, ein ziemlich kräftiges Tier, der die meiste Zeit, vor allem tags­ über, im Zwinger war und nur abends in die Küche der Gast­ �ätte durfte. Es ließ sich auch alles gut an. Basco lag neben Herrchens Stuhl und döste vor sich hin. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, sprang der Rottweiler über den Tresen und stürzte sich auf unseren Basco. Der Pächter stand hinter dem Tresen, voll­ kommen perplex, zur Salzsäule erstarrt, unfähig etwas zu tun, starrte in den S�ank­raum. Basco wiederum, durch den Aufprall des Rottweilers hell wach, stellte sich nun seinerseits dem Rottweiler zum Kampf. Zum Glück waren nur wenige Menschen im Raum. Bei diesem Kampf zweier fast gleichstarker Gegner, schien es auf Leben ^ Tod zu gehen. Einige Gäste retteten sich auf Stühle und Tische. Das war auch gut so, denn innerhalb kurzer Zeit flogen Tische und Stühle durch den Raum. Alle sahen hilflos dem Treiben zu. Keiner wagte die beiden Kampfhähne zu trennen. Die beiden führten einen er­bit­terten Kampf. Keiner wollte unterliegen. Es hätte schlimm ausgehen können, wenn nicht Hanne in letzter Minute eingeschritten wäre. Es ertönte gänzlich uner­wartet eine Frauenstimme:


‹Werner, Franz, bewegt euch auf eure Hun­de zu. Jeder ergreift von seinem Hund ein Hinterbein & nicht loslassen. Hunde können auf drei Beinen nicht lange stehen. Jeder wird sich nach seinem neuen Peiniger umsehen. Dann ergreift jeder schnell seinen Hund am Halsband. Haltet die Hunde fest und verlasst mit ihnen den Raum. Jeder in einer anderen Richtung.› Diese Anweisung von Hanne, deren Sohn Hunde bei der Polizei aus­bildete, rettete den beiden Kämpfern das Leben. Keiner von beiden hätte sich auf den Rücken gelegt, alle Viere von sich gestreckt und damit verkündet: Ich ergebe mich. Basco blutete an den Lefzen, trug aber sonst keine weiteren Wunden davon. Einige Tage später prangte ein nagelneues S�ild mit einem Boxer­kopf an der Gast�ättentür. Darauf stand:

rboten!

Hun

en ve g n i r b t i de m

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Altweibersommer

ie Natur wandelte sich. Die Tautropfen auf den Gräsern funkelten im Sonnenlicht. Morgendunst zauberte Regen­bögen auf die in den Büschen hängenden Spinnennetze. Spinn­fäden flogen durch die Luft, blieben irgendwo haften und ließen sich vom Wind weiter treiben. Die Apfelernte war im vol­ len Gange. Die Natur schien in sich eins zu sein, vollkommen. Diese Ruhe, diese friedliche Gelassenheit, dieser Zauber der Natur übertrug sich auf mich, erfüllte mein ganzes Sein, als ich am Morgen auf die Terrasse trat. Tin�en, meine Freundin, hatte sich für den Nachmittag angesagt. Genügend Zeit, einen Kuchen zu ba�en und mich auf ein Plauder­stündchen zu freuen. Pünktlich zur Kaffeezeit kam sie und lehnte ihr Fahrrad wie immer an die Hauswand. Während des Kaffeetrin­kens ging Basco zur Tür und fing auch gleich an zu bellen. Er ließ sich nicht


beruhigen. Drängte sich an die Korridortür als Zeichen für mich, ihn raus zu lassen. Also öffnete ich ihm die Tür. Mit einem Sprung durchquerte er den Hausflur und sprang die Trep­pen­stufen, welche die Terrasse und Eingangs­ weg verbanden, hinunter. Als Tin�en auf die Terrasse trat und Richtung Eingangstür schaute, erschrak sie. Hob die Arme und schrie: ‹Mein Fahrrad, wo ist mein Fahrrad? Mein Fahrrad ist weg!› In wenigen Augenblicken erreich­ten wir die Eingan�stür und blickten die Straße hinunter. Ich traute meinen Augen kaum. Ein Radfahrer, im schnellen Tempo, hatte schon fast die Hauptstraße erreicht. Aus vollem Halse schrien wir im Laufen: ‹Haltet den Dieb, hal­tet den Dieb mit dem Fahrrad. Er hat es gestohlen!›. Unser Schreien hörten zwei Männer, die sich vor uns auf der Straße befanden. Sie schlossen sich uns an.

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Aber unser Basco war der Schnellste. Er hatte den Rad­ fahrer bereits erreicht und behinderte ihn beim Fahren. Dieser trat nach ihm, um ihn abzuschütteln. Aber Basco ließ sich nicht beirren und setzte seine Attacken fort. Seine fortwährenden Angriffe verlangsamten das Tempo des Diebes, so dass auch wir immer näher kommen konnten.


Als der Fahrraddieb keinen Ausweg mehr wusste, warf er das Rad an den Bahndamm und flüchtete zu Fuß. Möglicherweise hoffte er, damit den Angreifer losgeworden zu sein. Aber weit gefehlt. Er kannte eben unseren Basco nicht. Der ließ das Fahrrad außer acht und setzte dem Dieb nach. Dieser blieb, so in die Enge getrieben, plötzlich stehen und wurde von Basco angebellt. Die Hundeaus­ bilder nennen das: verbe�lt. Die zwei Männer hielten den Dieb fest. Tin�en fuhr mit dem zurückerober­ten Rad zur Polizei­station und kam mit einem Polizisten zurück. Der Dieb musste sich ausweisen, seine Personalien wurden auf­genom­men, anschlies­send konnte er gehen. ˇ §Basco war nun der Held des Tages. So eine mutige Tat musste auch belohnt werden. Er bekam zwei Bo�würste. Eine von Tin�en für die Rettung ihres Fahrrads, eine von mir für seinen hervorragenden Einsatz. Somit endete der Tag doch noch so, wie er begann. 39


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Badetag war angesagt

eiß der Himmel wie ich auf die grandio­se Idee kam, der Hund müsse gebadet werden. Sicherlich der Rein­li�­keits­fimmel   der Frauen. Als die Wohnungen in dem ehemaligen Herrschaftshaus geteilt wurden bekam eine Fami�ie die zur Wohnung gehörende Küche, für die andere Fami�ie wurde das Badezimmer zur Küche umfunktioniert. Zu unserer Wohnung gehörte letzteres. dreiviertel hoch gekachelt, weiße Bodenfliesen. Von meiner Großmutter hatte ich 3 Zinkwannen geerbt, eine große und zwei kleine. Ich entschied mich für die große Wanne, schließlich musste der Hund auch hinein passen. Die Hundebadung hatten wir auf einen Freitagnachmittag festgesetzt, weil dann, falls ich Hilfe brauchte, mein Mann zu Haus war. Der Freitag rückte heran.


Ich stellte die große Zinkwanne in die Mitte der Küche. Füllte sie halb voll Wasser. Nun konnte die Pro­zedur beginnen. Basco kam in die Küche, beäugte die Wanne und wollte schon mit einer Kehrtwende die Küche wieder verlassen. Ich hielt ihn am Halsband fest, lockte ihn mit Le�erli in das Badegefäß zu steigen. Basco machte keine Anstalten. Im Gegenteil, er blieb stur wie ein Esel vor dem Zuber stehen. Das war eben Neuland für ihn und schien ihm nicht geheuer. Freiwillig ging er nicht. Kurzer Hand packten mein Mann und ich Vorder- und Hinterkarre und stellten den Badescheuen in das große Badegefäß. Er stand da, stocksteif, rührte sich nicht. Harrte der Dinge, die da kommen würden. Mit Wasser und Hundeseife, die ich extra aus der Drogerie besorgt hatte, begann die Hundebadung. Mit den Händen massier­te ich die Hundeseife ein. Das gefiel ihm.

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Ab und zu ein Schepper Wasser, dann erneutes Einseifen. Er sollte eben gründlich gereinigt werden. Basco ließ alles geschehen, blieb aber weiter stocksteif stehen. Nach dem Abspülen packten wir ihn und stellten ihn auf ein Frotteetuch. Was dann geschah ließ mich weitere Badetage vergessen. Basco schüttelte sich ehe ich ein Handtuch ergreifen konnte, um ihn abzutrocknen. Wir beide erhielten einen unerwarteten Wassersegen. Die Küchenmöbel waren bespritzt. Sogar die Kacheln erhielten Spritzer, von dem Fliesenboden ganz zu schweigen. Mit einem Wort – meine Küche war ein Saustall. Eine zusätzliche Arbeit von zwei Stunden. Nur weil ich der Meinung war, dass der Hund gebadet werden müsse.

Das war der erste und letzte Badetag für Basco ­ in meiner Küche. Wir mussten einen anderen Weg finden.


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Unerwartete Freundschaft

urch die Teilung der großen Wohnungen und des Bodens waren 6 Wohnungen in unserem Haus entstanden. Ganz oben wohnten Herr und Frau M., ganz liebe Nachbarsleute. Sie hatten keine Kinder, dafür aber einen Schmusekater namens Mohr�en. Schwarz, mit einem weißen Latz und winzigen weißen Pünktchen auf den Pfoten, war er der ausgesprochene Liebling aller Hausbewohner. 43

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War Basco im Zwinger, ging er, nein schritt er majestätisch, mit erhobenem Schwanz, wobei die Schwanzspitze zum Kopf zeig­te, am Zwinger vorbei. Er würdigte ihn keines Blickes. Basco tat so, als sähe er ihn ebenfalls nicht. Das machte den Kater mutiger, er stolzierte immer dichter am Zwinger vorbei wenn er seinen morgendlichen Spaziergang unternahm. Aber es geschah nichts. Während Mohr�en, wenn er auf Brautschau war, vor anderen Hunden flüchten musste, ihm kein Baum hoch genug war, um diesen lästigen, unaufhaltsam kläffenden Hunden zu entkommen, jagte ihm dieser Hund keine Angst ein. An einem Nachmittag, Frau M. und ich saßen im Vorgarten und unterhielten uns, kam Mohr�en des Weges. Er hatte die Stimme seines Frauchens erkannt und wollte zu ihr. Dabei muss er vollkommen übersehen haben, dass Basco hinter mir lag und döste. Uner­wartet hielt er inne, er hatte ja immer noch einen Abstand zu Basco und hätte sich notfalls auf einen Baum flüchten können, denn Bäume standen in der Nähe. Aber es geschah nichts. So wagte er sich wieder ein paar Schritte näher. Aber es geschah immer noch nichts. Basco legte seinen dicken Kopf auf die Vorderpfoten und schaute den Kater an. Mutig geworden wagte sich Mohr­�en weiter heran. Dicht vor Basco blieb er stehen, hob die Pfote, als wollte er gleich eine Ohrfeige austeilen. Basco hob nur den Kopf, zeigte kein feindliches Verhalten.


Nun geschah etwas Unerwartetes. Mohr�en legte sich neben Basco auf die Wiese, rückte noch näher an ihn heran und le�te ihm die Schnauze. Basco erwiderte die Liebesbezeigung. So war die Freundschaft geschlossen. Wenig später sah ich, wie er ihm sogar die Ohren aus­ leckte. Wer hätte das gedacht! Dabei sagt man, wenn zwei sich in den Haaren liegen, sich nicht verstehen, die sind wie Hund ^ Katze. Es stimmt nicht alles was der Volksmund sagt. So wie wir andere auf Anhieb mögen, die uns sympathisch sind, so suchen auch Tiere sich ihre Freunde aus.

Von da an waren Mohr�en und Basco Freunde fürs �eben. 45


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Der Koppelraub

n unserer Straße – eigentlich hatte sie mehr den charakter einer Allee – grenzten wunderschöne alte Bäume den Fahrweg von den Wohnhäusern ab. Es waren vier Klinkerbauten, und am Ende der Straße stand eine Villa. Hinter den Bäumen verliefen ein Fahrradweg und dahinter der Bahndamm. Von der Wohnung aus konnte man kaum etwas von dem Bahndamm sehen. Nur das Rollen der Kohlezüge und das Pfeifen der Lo� vor dem Bahnübergang war zu hören. Diese Häuser wurden von den Ortsansässigen auch ‹Herrschafts­häuser› genannt. In jedem Haus außer der Villa, befanden sich zwei große Wohnungen mit je sechs Zimmer, ein großer Dachboden und auf jeder Seite des Bodens je drei Räume für das Personal. Zimmer­mädchen, Köchin oder Gärtner. Einen Gärtner brauchten die Herrschaften zu der Zeit unbedingt, denn vor dem Haus musste ein Vorgarten gepflegt werden und hinter dem Haus ein großer Gemüse- ^ Obstgarten.


Nach 1945 wurden die Wohnungen geteilt. 1953, ein paar Monate vor der Geburt meiner 2. Tochter, durften wir so eine Wohnung beziehen. Das war eine Freude. Jeder Raum nicht unter 28 Quadratmetern, so richtig zum Wohlfühlen. Wir bekamen die unterste – eine Hoch­paterrewohnung – zugesprochen. Vier Stufen führ­ten zur Haustür und der davor befindlichen Terrasse, erst dann kam man in den Hausflur. Das Grundstück selbst wurde durch eine Außentür zur Straße abgegrenzt. 47


Zu dieser Zeit gab es noch eine russische Kommandantur im Ort, die in die Villa eingezogen war. Zudem hatten wir noch einen Flugplatz, der von sowjetischen Maschinen angeflogen wurde. Russische Uniformen gehörten zum Straßenbild. Wir schrieben das Jahr 1955. Mai war es. Die Sonnenstrahlen fielen zum Fenster rein und sagten mir, dass es wieder Zeit war sie zu putzen. Es war auch so ein schöner Maitag, ein richtiger Tag zum Fensterputzen. Ich war gerade dabei die Scheiben abzuwaschen, da sah ich, wie ein Soldat der Sowjetarmee die Straße entlang kam, an unserem Haus vorbei. Die Tür zur Straße stand offen. Basco lief frei auf dem Grundstück. Er ging auch nur bis zur Tür, nie allein auf die Straße. Ich weiß bis heute noch nicht warum Hunde keine Postboten und Uniformen mögen. Jedenfalls muss Basco den Geruch von ‹Uniform› wahrgenommen haben, denn er bellte sonst nie vorübergehende Passanten an. Er lief zur Tür, blieb dort stehen und bellte. Der Soldat erschrak, sicher war er in Ge­danken und hatte nicht mit einem Hund gerechnet, und sprang zurück. ich muss dazu sagen, Basco bellte auch richtig aggressiv. Das machte den sowjetischen Besat­zungs­sol­daten wütend. Er beschimpfte ihn russisch, Basco bellte weiter auf deutsch. Sie konnten sich jedenfalls nicht verstehen.


Da sah ich, wie der Soldat sein Koppel los machte und auf den Hund einschlug. Dieser wich den Schlägen geschickt aus und ging bellend wieder ein paar Schritte auf die Tür zu. Der Soldat blieb auf der Straße stehen und setzte seine Attacken fort. Auf einmal hatte Basco das Koppel erwischt. Er ließ nicht mehr los. Das war ein Kampf auf beiden Seiten. Keiner wollte nachgeben. Ich staunte nicht schlecht als ich sah, wie Basco das Koppel im Maul trug und es stolz, sozusagen als Sieger, davon trug.

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Der so Besiegte stand auf der Straße und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Zur Tür rein traute er sich nicht. Ohne Koppel durfte er aber nicht in die Kaserne kommen. Was nun? Ein Pfiff von mir, und schon kam Basco mit dem Koppel als Trophäe im Maul zur Wohnungstür. Er übergab mir den verhassten Gegenstand. Für sein tapferes Verhalten musste er gelobt werden. Ein paar Strei­cheleinheiten bestätigten ihm, dass er richtig gehandelt hatte. Das Koppel gab ich dem Hundeschläger zurück und sagte ihm in meiner Sprache: ‹Hunde schlägt man nicht!› Ob er es verstanden hat, weiß ich nicht. Das Ereignis muss sich aber unter den Besatzern schnell rumgesprochen haben, denn von da an sah man kaum noch Uniformierte an unserem Haus vorbei gehen.


Basco

ein Schleuderakrobat ?

b

asco war bereits zwei Jahre alt, als er in unsere Fami�ie kam. Er befolgte die Kommandos wie ‹Sitz›, ‹Platz› und ging Fuß ohne Leine, ohne sich von anderen Hunden ablenken zu lasssen. Er lief folgsam neben dem Fahrrad ohne zu ziehen. Demnach hatte er schon eine Hundeausbildung hinter sich. Auf dem Hundeplatz stellte sich heraus, dass er auch einen Scheintäter stellen konnte. Eines Tages, ich war gerade zu Fuß mit ihm unterwegs, geschah es dann. Unsere Straße mündete in die Haupt­ straße. Genau an der E�e befand sich ein Bahnübergang. Da die Schranken noch manuell betätigt wurden, stand dort auch ein Bahnwärterhäuschen. In dem Häuschen wohnte auch ein kleiner, schwarzer Pinscher.

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Dieser saß meist auf dem Fensterbrett und bellte alle Vorü­ ber­gehen­den giftig an. Besonders andere Hunde hatten es ihm angetan. Sein Kläffen war weit ^ breit hörbar. An dem besagten Tag ging ich mit Basco an dem Bahnwärterhäus­chen vorbei. Der kleine Schwarze, ich weiß nicht wie er gerufen wurde, saß wie üblich auf dem Fensterbrett. Um zu zeigen, dass er uns bemerkt hat, ertönte sein Festkonzert. Das störte unseren Basco nicht weiter, er kannte das ja schon. Plötzlich höre ich ein Kläffen hinter mir. Der Kleine war irgendwie aus dem Häuschen entwischt und kam uns bellend nach.Dann sah ich, wie er Basco mit seinen kleinen spitzen Zähnen in die Fersen zwickte. Basco knurrte nur und ging brav an meiner Seite weiter. Als die Angriffe nicht aufhören wollten gab ich den Befehl: ‹faß›. Alles, was sich


jetzt abspielte, geschah in Sekunden. Basco drehte sich um. Nun nahm der kleine, schwarze Teufel Reißaus. Aber er war nicht schnell genug. Auf der Mitte des Fahrwegs packte Basco ihn am Genick, so wie Katzenmütter ihre Jungen tragen und schwenkte er ihn im Maul hin und her. Das machen Katzenmütter ebenso, wenn ihre Jungen nicht folgsam sind. Dann schleuderte er ihn hoch in die Luft auf die andere Straßenseite.

Der kleine Teufel landete zwar auf allen vier Pfoten, setzte sich aber winselnd, humpelnd in Richtung Bahnwärterhäuschen in Bewegung. Das war eine erzieherische Maßnahme, die sich hier vollzog. Basco hat ihn nicht gebissen, er hat ihm nur gezeigt, dass man große Hunde nicht ungestraft in die Fersen zwicken darf. 53


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Ungebetener Besuch

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in arbeitsreicher Vormittag lag hinter mir. Die Hitze des Sommertages tat ein Übriges. Meine Augen fielen mir fast im Stehen zu. Die Kautsch sah mich einladend an, mein müder Körper wollte etwas ruhen. Basco hatte es sich im Korridor bequem gemacht und schnarchte schon. Er musste wohl träumen, denn ab ^ zu gab er ein leises Bellen von sich. ˇ §Bei meinem treuen Wächter konnte ich ruhig ein Schläfchen machen ohne die Tür abzuschließen. Ich war schon im Hinüberdämmern, als ich ein Klingeln wahrnahm. Mein Verstand sagte mir. ‹Steh auf! Schau nach!› Aber mein Körper wollte diese Worte nicht hören. Außerdem sagte ich mir, es wird schon nicht so wichtig sein.


Das Kingeln wiederholte sich, hörte sich dringlicher an, aber ich war so müde. Außerdem wusste ich, dass mein treuer Wächter über mich wacht. Allmählich schärften sich meine Sinne. Jetzt hörte ich, wie Basco die Luft tief durch die Nase einzog. Er musste unmittelbar an der Tür stehen und die Luft durch den Türspalt einziehen. Das gab mir ein zufriedenes Gefühl, ein Gefühl der Sicherheit. Nach dem dritten Mal klingeln knackte es verdächtig, als ob die Türklinke herunter gedrückt werden würde. Dieser Gedanke ging mir gerade durch den Kopf, als ich eine ängstliche Stimme hörte. ‹Lass mich zufrieden, ich tue dir nichts. Geh weg!› Bascos Knurren brachte mich nun doch dazu, mein Mittagsschläfchen zu unter­brechen, um nach dem Rechten zu sehen, denn ich fürchtete einen Anzug, oder zumindest eine neue Hose, bezahlen zu müssen. Schnell schlüpfte ich in die bereitliegende Kleidung und betrat den Korridor. Mir bot sich folgendes Bild an: Ein paar Schritte vor der Korridortür stand der Gasmann, Herr K. Er stand, als wäre er zu einer Salzsäule erstarrt und rührte sich nicht vom Fleck. Auch nicht, als er mich sah. 55


Basco stand vor ihm, tat ihm nichts, knurrte verdächtig. Mit meinem Erscheinen änderte sich alles. Ich rief Basco zu mir, gab ihm das Kommando: ‹Platz!›. Herr K. zitterte noch, als ich ihn herein bat. Ich musste mir ein Lächeln verkneifen. Unser gutmütiger Basco jagte dem Gasmann so einen Schrecken ein. In der Aufregung vergaß er ganz und gar zu fragen warum ich nicht geöffnet hätte. Mir war das nur lieb so, brauchte ich doch keine Notlüge erfinden. Ich gab Herrn K. mit auf den Weg, keine fremden Türen so ohne weiteres zu öffnen. Man kann ja nie wissen, was oder wer dahinter steht. ‹Ich hätte mich nicht von der Stelle gerührt bis einer aus ihrer Familie gekommen wäre›, versicherte mir Herr K. ‹Ist der Hund denn so gefährlich?› Nun konnte ich ihm ja nicht sagen er sieht gefährlicher aus als er ist. Basco hatte seine Aufgabe als Wächter und Beschützer gut gemacht. Dafür wurde er von mir tüchtig gelobt und mit einem �eckerli belohnt. Ich glaube, diese kleine Geschichte hatte sich schnell im Ort herum­gesprochen, denn keiner betrat mehr unaufgefordert unsere Wohnung.


Memory

lles, worüber ich jetzt berichten möchte, geht mir heute noch sehr nahe. Es sind zwar schon viele Jahre ins Land gegangen, aber wenn ich zurück denke ist es so, als wäre es erst vor kurzem geschehen.

a

ˇ §Basco war der beste Boxer den wir je hatten. Er war vollkommen auf mich fixiert. Ich war seine Bezugsperson. Heute weiß ich wie wichtig es ist, dass einer aus der Fami­�ie diese Person sein muss. Eine Handbewegung von mir und er wusste: stehen bleiben, zu mir kommen, Gassi gehen. Im Wohnzimmer neben dem Kachelofen stand mein Sessel. Ich liebte die wohlige Wärme des Ofens. Wenn ich mich dort abends nieder ließ, legte Basco seinen dicken Kopf in meinen Schoß. Er wollte ein paar Streicheleinheiten. Während er gestreichelt wurde gab er schniefende Geräusche von sich. Er zog die Luft tief ein und stieß sie wieder aus. Dabei entstand dieses schniefende Geräusch. Das drückte sein Wohlbefinden aus. Dann wartete er bis ich den Sessel räumte. Nun war es sein Platz. 57

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Dieser hochbeinige, kräftige Bursche rollte sich zusammen, machte sich soooooo klein, nur, um in den Sessel zu passen. Diese Lage muss für ihn sicher unbequem gewesen sein. Er hätte sich ja auch lang auf den Teppich legen können, aber nein, er presste sich lieber in dem Sessel zusammen. Dieses Bild sehe ich heue noch vor mir. Der Sessel, so strapaziert, gab eines Tages seinen Geist auf. Beide Seitenteile wurden herausgedrückt.


Ich erinnere mich noch daran, unter welchen schwierigen Bedingungen man zu der Zeit einen Hund ernähren konnte. Durch den Hundeverein bekam ich wöchentlich zehn Kilo Fleisch aus der Abdek­kerei* zugeteilt. Das Fleisch habe ich im ausrangierten Windeltopf mit Gewürzkörnern und Lorbeerblättern gekocht. Es stank entsetzlich. Dazu gab es täglich eine Portion Beifutter bestehend aus Reis, Nudeln oder Graupen. Reis und Nudeln fraß er gern, aber Graupen, noch dazu große, wir sagten damals Kälberzähne dazu, würdigte er scheelen Blickes und ließ die Hälfte davon im Futternapf. Es waren schwere Zeiten. Um in der HO* Fleisch zu kaufen, fehlte uns das Geld. Während ich schreibe erlebe ich alle Ereignisse noch einmal. Es ist ein schönes Erinnern. Sogar solche Badetage hätte ich wieder in kauf genommen, wenn ich damit meinem Basco das Leben hätte retten können. In der Klinik wurde Lungenkrebs diagnostiziert. Unheilbar. Nun hieß es Abschied nehmen. Viele Tränen sind ge­flossen. Noch während ich schreibe und alles vor Augen habe, füllen sich meine Augen mit Tränen. Basco war der schönste, liebste, beste Boxer den ich jemals hatte. Nur meine Boxerhündin Kimberly, die jetzt bei mir lebt, ist ihm im Wesen ähnlich.

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Asso

e

s dauerte sieben Jahre ehe ich bereit war für einen neuen Boxer.

Die Boxerhündin der Gastwirtin aus Bluno hatte ge­worfen. Sechs allerliebste keine Hundebabys. Wir suchten uns einen Rüden aus. Er war der Dickste und auch der Selbstbewußteste von allen. Noch so klein schupste er seine Geschwister zur Seite, um sich an der Muttermilch genüglich zu tun. Satt und zufrieden streckte er sich, dicht an das Fell der Mutter geschmiegt, aus. Am liebsten hätte ich dieses kleine Wurstpaket gleich mitgenommen. Aber das ging nicht. Hundebabys, sowie viele andere Tierkinder, müssen für eine gewisse Zeit bei der Mutter bleiben. Müssen erzogen werden. Aufge­- fallen ist mir, nicht nur in diesem Fall, dass Hundemütter die männlichen Welpen bevorzugt behandeln. Nach acht Wochen holten wir ihn zu uns. Er bekam den Namen Asso von der Quelle, so stand es in seinem Stammbaum. Er zitterte wie Espenlaub, alles war fremd für ihn, keine Geschwister mehr. Zuhause setzte ich ihn in sein


vorbereitetes Hundekörbchen. Mit Streicheln und beruhigenden Worten gab ich ihm zu verstehen, dass das jetzt sein Platz sei und ihm Sicherheit bietet. Er beschnüffelte noch einmal alle und alles und begab sich wieder in seinen Korb. Die Kinder waren instruiert. Kein Spielchen zum Zeitvertreib. Asso sollte sich bei uns einleben, Vertrauen zu uns fassen. Hundebabys sind kein Spielzeug. Das schärfte ich den Kindern ein. Da saß er nun in seinem Körbchen wie ein Häufchen Unglück. Sein Kopf war mit Pflastern bedeckt als käme er aus dem Krankenhaus. Ein Lazarus. Seine Ohren waren kupiert und mit Heftpflastern über dem Kopf befestigt. Tollpatschig, oft mit seinen dicken Pfoten ins Leere schlagend, versuchte er sich vergeblich von dem Pflaster zu befreien. 61


Boxer werden wie andere Hunde mit Schlappohren und langem Schwanz geboren. Sie wurden früher bei der Bärenjagd eingesetzt. Mit dem breiten Fang konnten sie gut zupacken. Die Ohren und der Schwanz wurden kupiert, damit sie den Bären kein Zupacken ermöglichten. Damit wurde das typische Erscheinungsbild des Boxers geschaffen. Eigentlich schade, dass sie heute nicht mehr kupiert werden dürfen. Dadurch unterscheiden sie sich nur noch durch den Charakterkopf von anderen Hunderassen.

Nach einer Woche löste ich vorsichtig mit warmem Wasser das Pflaster ab. Das ging natürlich nicht ohne Gejaule ab. Dann massierte ich ihm jeden Morgen die Ohren. Unser kleiner Schelm hatte bald begriffen, dass ihm diese Behandlung Schmerzen bereitete. Aber es musste sein. Schon wenn ich ihn auf den Schoß nahm fiepte er kläglich und schüttelte den Kopf als wollte er sagen: ‹Lass mich doch runter, du tust mir weh.› Wichtig war, die Ohrränder täglich zu massieren damit sich keine Knötchen bilden konnten. Die Massage bewirkte weiterhin, dass die Ohren gekräftigt wurden und hoch stehend blieben. Ich hatte Erfolg. Mit 4 Monaten sah er wie ein richtiger Boxer aus.


Unser Kostgänger macht sich

w

as führte er doch für ein s�önes Leben! Fressen, schlafen, spielen.

Für seine Beköstigung hatte uns der Züchter einen genauen Magenfahrplan mitgegeben. Fünf Mahlzeiten am Tag. Frühmorgens ein Schälchen Milch, zum Frühstück jeden zweiten Tag ein Eigelb, später ein ganzes Ei mit Schale. Dazu musste die Schale ganz fein zerstampft werden. Mittags einhundert gramm. Gewiegtes mit einer Messerspitze Kalk für den Knochenaufbau. Viel Petersilie. Nach­mit­tags und abends Weißbrot mit Pflaumen­mus oder Wurst bestrichen. Alle Mahlzeiten mussten regelmäßig und pünktlich erfolgen. Ab und zu ein Stück Hundekuchen, gut für die Zahnbildung. 63

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Natürlich benötigte er auch Vitamine aus der Flasche, genau dosiert, und Lebertran. Ausgerechnet Lebertran, wer nimmt den schon gern. Asso zeigte seinen Widerwillen auf seine Art. Schon wenn er die Flasche in meinen Händen sah schüttelte er sich und verkroch sich in die äußerste Ecke. Es half auch kein locken mit Wurst, er blieb störrisch wie ein Esel. Es konnte nur noch eine List helfen. Da er seine Fleischmahlzeit immer mit großem Appetit ver­schlang, mischte ich den Lebertran darunter. Er bekam es spitz. Er beschnupperte seine Lieblingsmahlzeit und ließ sie stehen. Aus Protest streckte er sich lang in der Küche aus und trat in den Hungerstreik. So ein Bursche. Was sollte ich nur machen? Wie ich so überlegte kam mir der Gedanke, es doch mal mit Lebertran zu versuchen, den kleine Kinder gern nehmen, mit Schoko­laden- oder Zitronengeschmack. Kurz ^   gut, ich kaufte Lebertran mit Schokoladengeschmack. Und siehe da, er schmeckte ihm. Als Nachtisch gab es ein �e�erli. So wuchs unser Asso zu einem kräftigen Rüden heran.


Asso in der Einkaufstasche

u

nsere beiden Mädels, Gabi ^  Petra, liebten unseren kleinen Di�en sehr. Als sie einmal allein zu Hause waren überkam sie der Wunsch, die Großeltern zu besuchen. Aber was sollte mit Asso werden? Ihre Kinderbeine benötigten ungefähr eine halbe Stunde für den Weg, wie sollte es Asso schaffen? Sie überlegten hin ^ her und hielten es schließlich für das Beste, Muttis größte Einkaufstasche für den Hundetransport zu nehmen. Liebevoll polsterten sie dieselbe mit einem Kissen aus und setzten den Dicken hinein. So schleppten sie ihn beide, alle zehn Meter absetzend, durch den Ort. Sie plagten sich wahrlich mit ihm. Und dieser kleine Dickwanst legte den Kopf auf den Taschenrand und ließ sich behaglich durch die Gegend tragen. Mein Mann und ich waren in heller Aufregung. Keine Kinder da, kein Hund da. Wo waren sie? Wo sollten wir suchen? Nach einigen Überlegungen kamen wir zu dem Schluss, unsere Suchaktion zuerst bei den Großeltern zu beginnen. Unsere beiden Mädchen liebten Omi ^ Opa sehr. 65

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Jeden Sonntag gingen wir sie besuchen. Vielleicht wollten sie unseren Asso vorstellen? Und so war es auch. Wie waren wir froh, als wir Gabi ^ Petra wohlbehalten mit Asso in Omis Küche erblickten. Der Ausflug endete mit einer Ermahnung. Wir konnten ja verstehen, dass sie den Wunsch hatten Asso vorzustellen, aber ohne Erlaubnis geht so etwas nicht. Bekannte berichteten mir später, wie sie mit einem Schmunzeln den Umzug betrachtet und wie fürsorglich die beiden Gusten den Kleinen behandelt hätten: als trügen sie ihr Schwester – oder Brüderchen spazieren.


Assos Kampf mit dem Ungeheuer

twa um die gleiche Zeit muss es gewesen sein, als Asso seine ersten Bellversuche unternahm. Wir saßen am Kaffeetisch und unterhielten uns angeregt. Ein Knurren unterbrach unsere Unterhaltung. Meine Augen suchten Asso. Wer sollte sonst solche Geräusche von sich geben? Schließlich entdeckte ich ihn unter dem großen Polstersessel. Den Kopf auf den Vorderpfoten, die Hinterpfoten lang ausgestreckt Plötzlich schoss sein Kopf unter dem Sessel hervor und er bellte, wenn man diese ersten Bell­ver­ suche überhaupt so nennen konnte. Genau so schnell ver­ schwand der Kopf wieder, das gleiche Knur­ren war zu hören. Dieses Schau­spiel wiederholte sich mehrmals, ohne dass wir die Ursache erkannten. 67

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Wir lachten herzlich über sein Bellen. Es klang mal heiser, mal hell, wie bei einem Jungen, der sich im Stimmbruch befindet. Sein Verhalten machte mich neugierig, ich wollte die Ursache dafür herausfinden. So aufgeregt wie er sich verhielt hätte man glauben können, ein Ungeheuer hätte sich bei uns eingeschlichen und forderte Asso zum Zweikampf heraus. Aber nichts dergleichen. Am Bücherschrank, halb von einem Polsterhocker verdeckt, stand eine leere Limonadenflasche. Das also war das Ungeheuer, das unserem Asso Angst einjagte. Wir lachten so schallend, dass Asso von seinem vermutlichen Gegner abließ und fragend zu uns herüber sah.


Diese Angst mussten wir ihm nehmen. Schließlich wollten wir keinen feigen Hund. Deshalb spornte ich ihn an. ‹Los, Asso, sei nicht feige› rief ich ihm zu! Ob er meine Worte verstanden hatte bezweifle ich noch heute. Meine Stimme, wie ich es sagte, muss ihm Mut gegeben haben. Er wagte sich weiter bellend und knurrend vorsichtig unter dem Sessel hervor. Drei Schritte vor: bellen, zwei Schritte zurück: knurren. Ich forderte ihn weiter auf Mut zu zeigen. Er schaffte es tatsächlich. War es nun Neugier oder wirklich Mut. Er ging auf den angeblichen Gegner zu, blieb stehen und grab­schte mit seiner dicken Pfote nach der Flasche, die nun dumpf, polternd umfiel. Vor Schreck machte er einen Seitensprung, ver­lor das Gleichgewicht und fiel nun seinerseits um. Das sah so komisch aus. Wir mussten wieder lachen. Gekränkt und ein wenig beschämt, den Kopf gesenkt, machte er eine Runde um den Tisch. Ging dann auf seinen vermeintlichen Gegner zu, beschnüffelte ihn und begab sich wieder in sein Körbchen. 69


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Der schöne Waldemar

agsüber blieb Asso im Zwinger und beschäftigte sich auf seine Art. Bälle, die zum Fußballspielen nicht mehr taug­ten, warfen ihm die Kinder aus dem Haus in den Zwinger. Er gab ihnen den Rest. Geschickt fasste er sie, warf sie hoch, fing sie wieder auf, bis er das Spiel nicht mehr mochte. In der Hundesprache heißt das – das Spielzeug ist verbrannt. Damit es ihm nicht abhanden kommen konnte, buddelte er es vorsichtshalber ein. Ansonsten lag er träge auf seinem Holzrost und ließ sich die Sonne auf das Fell brennen. Aber wehe, wenn ein Fremder auf den Hof kam, dann brachte er sich fast vor Bellerei um. Aus dem Stand konnte er bis zum oberen Zwingerrand springen. Er konnte im Sprung noch seinen Körper drehen, so wendig war er. Sicher steckte das in seinen Genen, denn bei dem Kampf mit Bären mussten die Boxer sehr geschickt sein und den Tatzen der Bären ausweichen können Alle machten einen großen Bogen um seine Behausung. Nur nachmittags kam er aus dem Zwinger. Er konnte sich nun tüch­tig auslaufen oder mit mir einen Waldspaziergang machen. Das war seine Zeit, die durften wir nie vergessen. Eines Nachmittags, Frau M. hatte gerade die letzte


Wäsche abgenommen, ließ ich Asso aus dem Zwinger. Herr M. hatte die Wäsche­leine abgenommen und hielt sie in der linken Hand, in. der rechten die Klammertasche. Asso sprang freudestrahlend auf ihn zu. Er mochte ihn sehr. Herr M. hatte immer ein paar freundliche Worte für ihn und steckte ihm ab und zu einen Leckerbissen durch das Zwingergitter.

Mit weiten und hohen Sprüngen umsprang er Herrn M, um ihm die Wiedersehensfreude zu bezeigen. Herr M. lobte ihn, was Asso wieder dazu bewog, ihn in kleineren Kreisen zu Umspringen. Frau M. warnte ihn: ‹Lass den Hund sein, ermuntere ihn nicht noch!› Doch da war es schon geschehen. In seiner großen Freude sprang Asso Herrn M. an und legte ihm die Vorderpfoten auf die Schultern. Das kam nun doch etwas überraschend für Herrn M. – mit Vornamen Waldemar. Er taumelte ein paar Schritte zurück. Dabei lösten sich die Vorderpfoten und rutschten bis zum Hosenbund. Hier fanden sie wieder Halt und krallten sich fest woraufhin die Knöpfe ihren Dienst versagten und absprangen. 71


Wie soll aber eine Hose ohne Knöpfe halten? Sie rutschte ihm bis zu den Waden herunter. Herr M. stand in seiner ganzen männlichen Schönheit auf dem Hof. Nur gut, dass seine Unterhosen seine Blöße verbargen.


Anstatt die Klammertasche auf die Erde zu stellen, um wenigstens mit einer Hand die Hose zu halten, rief er: ‹Anna, Anna, komm schnell her, zieh mir die Hose hoch!› Frau M. und ich lachten so sehr, dass wir Tränen in den Augen hatten. Im nu taten sich die Fenster im Haus auf, das Gelächter verstärkte sich. Wie kann ein Mann nur so unbeholfen sein! Noch lachend, sich die Tränen aus den Augen wischend, ging die liebe Anna auf ihren Mann zu, zog ihm die Hose hoch, was gar nicht so schnell gehen wollte, nahm ihm Leine und Klammertasche ab, damit er seine Hose halten konnte.

‹Ei, du verflixter Hund› schimpfte Herr M. ‹musst du mir denn gleich die Hose herunter reißen!› Unser Lachen nahm er uns nicht übel. Immer, wenn ich Herr M. sah, musste ich an diesen Spaß denken und mir dabei ein Lächeln verbeißen. Seitdem trug er den Spitz­namen ‹der schöne Waldemar›. 73


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Wie ich ihm das Naschen abgewöhnte

en Kindern sagt man nach, sie seien naschhaft. Sie stibitzen heimlich Zuckerstückchen, Bonbons oder leckern gern Kon­fi­türe. Unser Asso war ebenso naschhaft. Stand ein Teller mit Wurst oder Kuchen auf dem Tisch, holte er sich still und leise, wenn niemand im Zimmer war, seinen Teil. Ich hatte sein Spiel bald durchschaut und sann auf Abhilfe. Jetzt musste ich meine päda­gogischen Fähigkeiten in Anwendung bringen. Hunde sind im Allgemeinen sehr lärmempfindlich. Das machte ich mir zunutze. Aus diesem Grund stellte ich zwei Kochtöpfe ausbalanciert übereinander. Darauf einen alten Teller mit einem Stück Wurst. Ebenso ausbalanciert, dass er bei der kleinsten Berührung runterfallen würde. Vor den Töpfen noch zwei gegeneinander stehende Topfdeckel. Es sollte einen abschreckenden Krach geben. Ich verließ das Zimmer, schloss die Tür nicht ganz, ich wollte sein Verhalten beobachten.


Zuerst strich er nur schnuppernd um den Tisch herum. Der Duft der Wurst stieg ihm in die Nase. Diese streckte er immer höher, der Begehrlichkeit nahe kommend. Schließlich konnte er nicht mehr widerstehen. Er stellte vorsichtig beide Vorderbeine in einen der Sessel, der vor dem Tisch stand. Zog erst ein, dann das zweite Hinterbein nach und stand im Sessel. Den Kopf vorgestreckt versuchte er den Teller zu erreichen. Es gelang nicht. Er nahm eine Pfote zu Hilfe, das war sein Verhängnis. Kaum hatte er den Teller berührt kippte der samt Topf, die Topfdeckel mit in die Tiefe reißend, mit lautem Getöse vom Tisch auf den Fußboden und schlugen dort mit einem Krach auf. Alles spielte sich blitzschnell ab. Mit einem Satz sprang Asso aus dem Sessel, klemmte den Stummelschwanz ein und verkroch sich in eine Ecke des Zimmers. Im gleichen Augenblick betrat ich das Zimmer. Mit beruhigenden Worten sprach ich auf ihn ein, ich war ja die Gute, hatte ihm nicht diesen Schreck eingejagt. Diese Lektion hat genügt. Von nun an konnten wir ­Esswaren auf dem Tisch stehen lassen. Asso war von seiner Naschhaftigkeit geheilt. 75


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Asso, der Hühnerjäger

chon von klein an jagte Asso jedem Stück Papier nach. Im Herbst hatten es ihm die Blätter angetan, die der Wind lustig durch die Luft wirbelte. Alles, was sich bewegte, musste gefangen werden. Da half kein Rufen, da vergaß er seine ganze gute Erziehung. Mit anderen Worten – er hörte nicht.

Unser Nachbar hatte sich wieder weiße Leghorn-Hennen* zugelegt, die, ohne es zu wollen, unseren Asso verärgerten. Sie durften frei auf dem Hof umher laufen, durften gackern nach Herzenslust, während er im Zwinger bleiben musste. Sie waren ihm, wie man so sagt, ein Dorn im Auge. Als Petra ihm wieder einmal sein Futter in den Zwinger stellte, riss er ganz gegen seine Gewohnheiten plötzlich aus. Sicher hatte er die gackernden Hühner auf dem Hof vernommen und eilte zu ihnen, um mit ihnen zu spielen. Die Hühner erschraken über den anstürmenden Asso und suchten mit lautem Geschrei das Weite.


Jedenfalls kam Petra aufgeregt in die Wohnung gestürzt, laut rufend, ohne die Wohnungstür geschlossen zu haben: ‹Mutti, Mutti, komm schnell, Asso ist ausgerissen. Herrn Rs. Hühner…› weiter kam sie nicht. Wie der Blitz fuhr ich in die Schuhe, vergaß die Schnürbänder zu schließen und eilte im Laufschritt auf den Hof. Es sah aus wie bei einer Schnitzeljagd. Nur war es kein Papier, sondern es waren Federn. Asso war nicht zu entdecken. Die Federn waren eine Spur der ich nun folgte. An unser Grundstück grenzte das Wasserwerk des Ortes. Es war von Sträuchern und Bäumen umgeben. Wie sollte ich Asso da so schnell finden? Auf mein Rufen hörte er nicht. Aber mein Nachbar Herr R., der Hühnerbesitzer, hörte mich und kam herbeigeeilt. Ich kroch durch Sträucher, Gestrüpp, blieb an Brombeeren hängen und verfluchte innerlich unseren Asso. Mir so einen Ärger zu machen! Ich wusste, das wird kein gutes Ende nehmen. Dabei bewegte ich mich immer den Hühnerfedern und den Geräuschen nach. 77


Endlich entdeckte ich ihn über ein Huhn gebeugt. Mit der Schnauze rupfte er die Federn aus, während die Vorderpfoten das Huhn nieder drückten. Um ihn herum sah es aus als hätte es geschneit. Er war so besessen, dass er nicht einmal merkte wie ich nach dem Halsband griff. Die Schnauze voller Federn sah er mich böse an und versuchte sich loszureißen. Ein Klaps auf die Schnauze und der Befehl ‹Pfui› brachten ihn zur Besinnung. Nur widerwillig ließ er sich abführen. Stemmte die Vorderbeine fest auf den Boden, zerrte an der Leine, wollte zurück. Endlich gelang es mir, ihn vom Schauplatz seines Unternehmens zu zerren. Nach der Menge der Federn zu urteilen hatte er nicht nur ein Huhn gerupft. Herr R. bestätigte es mir sehr zornig. Er stieß Verwünschungen, Flüche und Drohungen gegen Asso aus. Ich konnte seinen Ärger ja verstehen. Von den Hühnern war nichts zu sehen. Sie hatten sich überall im Gebüsch und Gesträuch versteckt und mussten erst wieder zusammengesucht werden. Ich war auch nicht erfreut über Assos Tat. Ärger mit dem Nachbarn lag mir fern. Man sollte sich auch bei solchen Vorfällen in der Gewalt haben und vernünftig reagieren.


Nachdem er sich etwas beruhigt hatte gab ich ihm zwanzig Mark als Entschädigung und entschuldigte mich für Assos Verhalten. Ich ließ mir das tote Huhn geben, die anderen hatten nur Federn gelassen und waren mit dem Leben davongekommen. Es musste doch möglich sein ihm das Hühnerjagen abzugewöhnen. 79


Ich nahm Asso mit in den Korridor, hielt alle Türen geschlossen, um ihm keine Flucht zu ermöglichen. Das Huhn stellte ich wieder auf und hielt es so, dass Asso glauben konnte, ein lebendiges Huhn stände vor ihm. Diesem Hühnerjäger wollte ich die Lust austreiben Hühner zu jagen. Ohne die Lippen zu bewegen ahmte ich die Hühner­sprache nach. Asso hatte sich in eine Ecke gesetzt und schmollte mit mir. Bei den ersten tok, tok, tok, tok spitzte er die Ohren, kam auf das Huhn zu. Ein scharf ausgesprochener Befehl: ‹Pfui!› ließ ihn innehalten und auf seinen Platz zurück gehen. Sowie ein tok,tok, tok zu hören war spitzte er die Ohren und erhob sich von seinem Platz. Nach den ersten Schritten auf das Huhn zu ertönte der Befehl: ‹Pfui !› Diese erzieherische Maßnahme führte ich so lange durch bis er den Kopf nicht mehr hob. Aber wie sah das Huhn aus! Ich mochte es nicht mehr für uns verwerten und kochte es für Asso. So kam er zum Hühnerbraten, obwohl er ihn nicht verdient hatte. Jeden Nachmittag ging ich mit ihm an der Leine an den Hühnern vorbei. Sobald er nur an der Leine ruckte erfolgte ein kurzer Zug und der Befehl: ‹Pfui!› Nach zwei Wochen war es endlich so weit. Asso lief frei auf dem Hof auf dem auch die Hühner waren. Er hatte seine Lektion gelernt.


Abschied und Willkommen

ohann Wolfgang von Goethe schrieb ein für mich sehr schönes Gedicht mit dem Titel ‹Willkommen ^ Abschied›. Meine Geschichte trägt die Über  schrift ‹Abschied ^ Willkommen›.

So ist das Leben. Man könnte es auch vergleichen mit einer langen, großen Reise oder mit einem Fluss. Auf einer Reise gibt es viele Stationen, Haltepunkte, so wie im Leben auch. Noch besser gefällt mir der Vergleich mit dem Fluss. Mit einer Einpropeller Maschine flogen wir, der Flugkapitän, Herr Storch, und ich von Rothenburg bis Bad Muskau und zurück. Ich bat ihn, dicht dem Lauf der Neiße zu folgen. Wenn man am Ufer eines Flusses steht, oder von einer Brücke aus auf den Fluss sieht, erscheint der Fluss wie ein langes, breites Band. Aber so ist es nicht. 81

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Vom Flugzeug aus sah die Neiße wie ein langer, dünner Wurm aus, der sich durch die Natur schlängelte. Bald war er im Wald verschwunden, tauchte wieder auf, setzte seinen Weg fort. Das Wasser sucht sich immer seinen Weg. Hindernisse werden weg­gespült oder umflossen. Es geht unaufhaltsam vorwärts. So ein Fluss kann viel erzählen. Bedřich Smetana schildert in seiner sinfo­nischen Dichtung ‹Mein Vaterland› in musikalisch ausdrucksvollen Bildern die Moldau, alles was der Fluss auf seiner langen Reise sieht, erlebt. So verläuft auch unser Leben. Es gibt ein Bergauf, ein Bergab. Sowie die Krümmungen des Flusses den schnellen Lauf des Wassers hemmen, ihn träger werden lassen, so gibt es im Leben Phasen die stürmisch verlaufen, andere friedlich, fast beschaulich. Andere schmerzlich, leidvoll. Doch immer geht das Leben weiter – unaufhaltsam. 1970 trennten mein Mann und ich uns. So eine Trennung hinterlässt tiefe Spuren. Als Vergleich das Wasser.


Wenn mitten im Fluss ein Felsen steht fließt eine Hälfte des Wassers nach rechts, die andere Hälfte nach links, es sucht sich einen neuen Weg. Unser Auseinander gehen war für mich besonders schmerzvoll weil mein Mann darauf bestand, Asso mitzunehmen. Ich musste mich nicht nur von meinem Mann, sondern auch noch von meinem Freund, meinem langjährigen Begleiter, trennen. Es gibt aber etwas, was uns niemand nehmen kann: die Erinnerungen. Mancher ausgestandene Ärger wird vergessen, es bleiben die schönen Stunden. Dafür sollten wir dankbar sein. Warum ‹Willkommen› in meiner Überschrift? Zweitausendundsechs holte ich mir mit achzig Jahren Kimberly, eine kleine, neun Wochen alte Boxerhündin, von der ich nun erzählen möchte: 83


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Kimberly

urz nach meinem achzigsten Geburtstag las ich in der Zeitung ein Inserat – Boxerwelpen von Züchter abzugeben. Zu besich­tigen Mitte Februar. Ich dachte so bei mir, nur mal ansehen. Mit einem Telefongespräch meldete ich mich in Ardorf bei Herrn Pf. an. Kaum hatte ich so einen kleinen, süßen Welpen im Arm, konnte ich nicht anders. Wie sagt der Volks­mund – da ist der Verstand im Arsch. Es ging mir wieder so, wie bei meiner Sprembergfahrt. Das Herz sagt ja, der Verstand sagt nein. Da der Verstand ausgeschaltet war, sprach nur das Herz, also ja. Da die Welpen erst gut vier Wochen alt waren, wurde der Termin für die Abholung auf Mitte März festgelegt. Schon auf der Heimfahrt stellte ich mir die bange Frage, was wohl die Kinder dazu sagen werden? Mir war bewusst, dass sie mich für verrückt halten würden. In dem Alter noch einen Welpen nehmen! Warum eigentlich nicht?


Was spricht dagegen? Ich fahre Auto, da gibt es noch keine Einwände. Mit meinem Grundstück werde ich auch allein fertig. Muss ich wohl oder übel, meine Kinder wohnen so einige Kilometerchen weit weg. Meine Gegenargumente waren klar, ich war gewappnet. Mitte März 2006 holte ich mir mein Boxermädchen und nannte sie Kimberly. Die ersten Wochen verliefen ohne Zwi­schenfälle. Nun war die Zeit gekommen, mit der Erziehung zu beginnen. Zunächst sollten die sozialen Kontakte gefestigt werden. Wir gingen beide zur Welpenschule in den Hundeverein. In der Ausdauer war sie beim Laufen und Spielen nicht zu übertreffen Als besonderen Spielfreund hatte sie sich eine Dogge auserkoren. Der Rüde war fast doppelt so groß wie sie. Wenn er eine Pause brauchte stellte sie sich vor ihn hin, stampfte mehrmals mit der Pfote auf. Das war die Aufforderung weiter zu tollen. Also wusste ich spätestens jetzt, auf was ich mich da eingelassen hatte. 85


Es begann damit, dass ich den Jägerzaun, der mein Grundstück umschließt, unten dicht machen musste. Bald genügte das nicht mehr. Heidewitzka – ging es über den Zaun. Mein Nachbar zur Rech­ten hat eine Berner Sennhündin, mein Nachbar zur Linken einen Beagle. Ein Sprung und schon ging die wilde Jagd los. Über Blumen­beete, frisch angelegte Rasenflächen usw. Also gut, sagte ich mir, erhöhst du eben den Zaun. Da ich den Wald vor der Tür habe, sammelte ich Kiefernzweige, befestigte sie am Zaun. Das war vergebene Liebesmüh. Sie schob die Zwei­ge zur Seite und sprang. Nächste Maßnahme: Ich besorgte Absperrband, zog es rings innen um das Grundstück und führte Kimberly an der Leine mehrmals am Tage am Band entlang. Kimberly wollte das nicht verstehen. Kaum von der Leine los suchte sie sich schlau eine Stelle, die ich nicht einsehen konnte, ignorierte das Band und war wieder beim Nachbarn.


Nun suchte ich Rat bei anderen Hundehaltern. Man riet mir, vor meinen Zaun einen kleineren zu ziehen, dann würde sie nicht mehr springen. Also spannte ich Kükendraht im Abstand von ca. 50 cm vor den Zaun. Für Kimberly war das ein neues Spiel. Sie überwand auch diese Hürde. Nun musste die nächste Aktion in Angriff genommen werden. Ich ließ auf die Zaunsäulen Metallstäbe, schräg nach vorn zulaufend, auf­schweißen. Durch vorgebohrte Löcher wurde zwei mal Spanndraht gezogen. Ich hoffte damit endlich eine Lösung meines Problems gefunden zu haben. Aber weit gefehlt. Ihre Lust, die Nach­barn zu besuchen, hatte sie nicht verloren. Alles war für sie ein Spiel. Zwischen Garage und Zaun befindet sich ein zirka 80 Quadratmeter großes Stück Grasfläche. Der Zaun wurde auf 2 m erhöht. Die Eingangsseite begrenzt das Gerätehaus und eine extra angefertigte Tür. Ihre Hundehütte sah sie nicht an. Nun hoffte ich endlich einen Weg gefunden zu haben, meinen Ausreißer zu bändigen. Wie es ihr gelang habe ich nie richtig gesehen. Sie schaffte es, auf das Dach des Ge87


rätehauses zu kommen, um die Nachbarshündin zu besuchen. Langsam gingen mir die Ideen aus. Es stand für mich fest, wenn ich es nicht schaffe sie vom Ausreißen abzubringen, würden wir uns trennen müssen. Ich hatte schon ein Inserat aufgegeben, Interessenten gab es auch. Nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen hatte wurde mir wieder bewusst, dass ich eine Verantwortung für das Tier eingegangen bin. Das kann man nicht so einfach abtun. Einen letzten Versuch musste ich noch unternehmen. Ich kaufte einen Stromkasten, Stromkabel, Einsteckspieße und Erdkabel. Das Stromkabel zog ich vor dem Zaun und befestigte es an den Erdspießen. Erdkabel und Stromkabel an dem Stromkasten befestigt und an das Stromnetz angeschlossen. Was würde nun geschehen? Kimberly war ja pfiffig. Solange ich sie sah, sprang sie nicht. Also tat ich so, als würde ich sie nicht sehen und mich mit anderen Dingen beschäftigen. Es dauerte gar nicht lange, da hörte ich einen Schmerzensschrei. Ich ging hin und tröstete sie. Das Herrchen oder Frauchen darf nie der/die Böse sein. Kimberly hat noch einmal einen Versuch unternommen, dann war es geschafft. Sie respektier­te und respektiert noch heute die Stromlitze. Fällt ihr Ball hinter die Absperrung, bleibt sie davor stehen, holt ihn nicht. Sie hatte ihre Lektion gelernt.


Es lag und liegt nicht in meiner Absicht mit solchen drastischen Mitteln zu arbeiten. Aber der Erfolg gab mir Recht. Hätte ich es nur gleich versucht. Mancher Ärger wäre mir erspart geblieben, dazu noch Zeit, Mühe ^ Geld. Heute ist Kimberly ein großes Boxermädchen, befolgt alle Kommandos. Oft reicht ein Fingerzeig. Ich kann mit dem Auto rausfahren, sie bleibt auf dem Grundstück. In der ersten Zeit em­pfing sie mich nach meiner Rückkehr hinter dem Einfahrtstor, das ich funkgesteuert öffnete, und lief auf den Weg. Ruf und �eckerli lockten sie in die Garage, das Tor konnte geschlossen werden. Sie fährt auch gern im Auto mit. Steige ich aus, um Einkäufe oder Wege zu erledigen, setzt sie sich auf den Fahrersitz und bewacht mein Auto. Sie bewacht es wirklich. Als ich von einem Einkauf kommend auf mein Auto zu ging sah ich zufällig, wie ein Fremder die Wagentür öffnete. Kimberly stand auf, knurrte und zeigte die Zähne. Er schloss sofort die Autotür, war sichtlich erschrocken. So konnte ich mich persönlich von der Wachsamkeit meiner Kimberly überzeugen. Der Fremde entschuldigte sich vielmals und sagte, es sei aus Versehen geschehen, sein Auto sehe genau so aus. Wie dem auch sei, ich sagte ihm, er solle sich nie mit Boxern anlegen, er würde immer den Kürzeren ziehen. 89


Mein Sessel, ein richtig breiter, gemütlicher Wohlfühlsessel, wird von uns beiden geliebt. Er sieht dementsprechend auch nicht mehr so gut aus, erfüllt aber immer noch seinen Dienst. Komme ich, und sie hat den Sessel belegt, steht sie anstandslos auf und macht den Platz für mich frei. Ich hätte ihr die Sesselbenutzung abgewöhnen können. Aber wozu? Der Sessel ist inzwischen 17 Jahre alt. Wer würde den mal haben wollen wenn ich nicht mehr bin? Er würde ausrangiert werden. Mit Fit und Essig gesäubert bietet er uns beiden Platz.


Für gewöhnlich liegt sie abends neben meinem Sessel, immer empfänglich für Streicheleinheiten. Oftmals steht sie auf und legt mir eine Pfote aufs Knie. Das heißt – lass mich mit in den Sessel. Wenn ich sage: ‹Na gut, komm.› Geht es erst noch zwei Runden um den Tisch ehe sie hinter meinem Rücken in den Sessel steigt. Vorerst liegt der Kopf auf der Sessellehne. Nehme ich keine Notiz davon, schiebt sie sich weiter vor, bis der Kopf auf meinem Knie liegt. Sie wünscht sich Streicheleinheiten. Diese Stellung ist für sie so unbequem, dass sie bald aufgibt. Hauptsache sie war ein Weilchen in meiner Nähe. Als ich mit einer schweren Erkältung auf der Kautsch lag, harrte sie im Sessel neben mir aus. Nur zum Fressen und wenn sie ein Geschäft machen musste stand sie auf. Sie hat ihre Sprache, die ich verstehe. Sie nimmt mit den Lefzen meine Hand und sieht mich an. Jetzt muss ich erraten was sie mir sagen möchte. 1. Frage: ‹Musst du Pfützchen machen?› Keine Reaktion, also nicht. Für gewöhnlich steht sie dann auf und geht zur Tür. 2. Frage: ‹Möchtest du ein Leckerli?› Der Schwanz wedelt, sie läuft zur Dose mit den �eckerli. Nun entscheide ich. Kopfschütteln heißt – nein. Leckerli gibt es nicht so ohne weiteres, dafür muss man etwas tun. Es soll immer eine Belohnung sein, zum Beispiel für Folgen oder gute Arbeit. 91



Jeden Morgen, wenn ich aufstehe und die Küche betrete, die auch ihr Schlafplatz ist, kommt sie schwanzwedelnd auf mich zu, um mich zu begrüßen. Wenn das keine wahre Freundschaft ist! So sind wir ein Team geworden. Meine wilde, fast unzähmbare Kimberly ist eine folgsame Boxerhündin geworden, ein Begleiter durch di� ^ dünn. Ich möchte sie nicht mehr missen.

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plus

noch eine kleine Zugabe:

o h, dieser Heinrich! Nicht das ich mich über ihn beschweren möchte. I bewahre. Na ja, manch­mal könnte ich ihn auf den Mond schießen. Es kann eben nicht alles gut sein, was gut zu sein scheint. Er ist eben ein richtiger ‹Er›. Stolz, das Haupt erhoben, kommt er daher geschritten nach allen Seiten freundlich nickend. Ab und zu schlägt er mit den Flügeln, um seinen ganzen Körper zu erfrischen. Vielleicht will er auch lästige Parasiten loswerden. Jedenfalls macht ihn das sehr sympathisch. An seiner Kleidung gibt es nichts auszusetzen. Immer sauber und adrett. Oh, dieser Heinrich! Was hat das nun mit seinem Weibervolk zu tun?


Jeden Morgen, wenn ich meinen Hund ausführe, sehe ich ihn. Zuerst erscheint ein federngeschmü�ter Kopf mit zwei fast un­sicht­baren Ohren und zwei Perlaugen. Dann schieben sich langsam der Oberkörper und das rechte Bein durch das kleine, viereckige Guck­loch. Das mit dem Guckloch muss ich etwas näher erklären. Das war nämlich nicht immer so klein. Es war so groß, dass die Rottwei­ler­hündin ‹Biene› auch durch das Loch schlüpfen konnte und eines Tages auf Streifzug ging. Unvorsichtigerweise ließ sie sich von einem nicht sehr hundefreundlichen Nachbarn einfangen und einsperren, was der Heinrichfa­mi�ie einen finan­ziellen Schaden einbrachte. Für Biene gab es Ausgangsverbot. Das heißt: das Hundeloch wurde zu einem Teil zugemauert, es wurde ein Guckloch, dass nur noch Hein­rich und seinem Weibervolk Durchgang gewährte. So war das mit dem Guckloch. 95


Unserem Heinrich macht das nichts aus. Nachdem das rechte Bein sicher auf dem Boden steht ist durch das Nachschieben des Oberkörpers so viel Platz entstanden, dass das linke Bein folgen kann. Er reckt sich zu seiner ganzen Größe auf, bleibt aber so vor dem Guckloch stehen, dass ihm keiner folgen kann. Sein Kopf dreht sich nach rechts und links. Schließlich ist er das Oberhaupt und muss für die Sicherheit seiner Hennen sorgen. Hat er nichts Verdächtiges bemerkt, lässt er mächtig gewaltig sein Kikeriki erschallen. Das ist das Signal für sein Weibervolk. Das heißt: Kommt meine lieben Hennen, die Luft ist rein, kein Feind in Sicht, lasst uns den Tag beginnen. Ich sehe schon die fetten Regenwürmer und die schwarzen Käfer, die ihr so liebt, und das schöne saftige Grün. Mir läuft schon beim Hinsehen das Wasser im Schnabel zusammen. Kommt, meine Lieben, kommt. Nun beginnt ein Geschiebe und Gedränge, nun können sie nicht schnell genug zu ihrem Heinrich kommen. Susi, seine Lieblingsfrau, schlüpft als Erste durch das Guckloch. Sie stürzt fast über den unteren Absatz am Guckloch und kann sich nur durch Flügel­schlag auf den Füßen halten. Dann steht sie hoch aufgerichtet neben Hein­ri�.


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Nicht alle seine Weiber sind so verrückt nach ihm. Henriette ^ Clementine zwängen sich zuletzt durch das enge Guckloch und begeben sich, wie sie glauben, gänzlich unbemerkt auf Erkundungstour. Aber weit gefehlt, nichts entgeht der Aufmerksamkeit unseres Heinrichs. Er läuft ihnen nach, bei kurzen Strecken sprintet er sogar. Mit Lockrufen und Scharren führt er sie langsam wieder seinem Harem zu, der pickend und scharrend auf ihn wartet. Nun sind alle erneut zusammen, erst jetzt fühlt er sich wohl. Vorsichtig nährt er sich einer seiner Haremsdamen, lässt seinen ganzen Scharm spielen indem er um sie herum tänzelt, ihr Käfer oder andere Leckerbissen zuschiebt, Töne wie leises Gurren hören lässt und ihr so zu verstehen gibt, dass er eine Verbindung mit ihr eingehen möchte. Oh, dieser Heinrich, das ist ein charmeur! Er versteht es seine Holden zu bezirzen. Keine kann ihm widerstehen. Sollte es doch eine wagen besinnt er sich auf das Goethewort: Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt! Taucht ein Hund auf, führt er sie vorsichts­halber in den nahe gelegenen Wald. Sogar vor Eichhörn­chen be­schützt er sie, obwohl diese gar nichts von seinem Weibervolk wollen. So ist er eben, der Heinrich. Seine Fürsorge versetzt mich oft in Erstaunen, ich bewundere auch seine Umsichtigkeit. Aber in einem Punkt muss er noch lernen.


Er weiß nicht, was Autos sind und wie gefährlich sie seien Hennen werden können. Wir haben einen Sandweg und keine gepflasterte Straße. Die Hennen nehmen ein Sandbad mitten auf dem Weg. Wenn ein Auto kommt stecken sie den Kopf in den Sand. So glauben sie der Gefahr zu entgehen. Vielleicht glauben sie auch, dass die Autofahrer anhalten, sie auf einen sicheren Platz setzen. Nein, nein, so ist das nicht. Die Autofahrer sind nicht wie eure liebe, oberste, Herrin, Else, die euch abends liebevoll in den Stall trägt. Nein, die Straße ist kein Hühnerhof. Die Autos sind gefährliche Vehikel, die keine Rücksicht auf deine Lieben nehmen. Vor denen solltest du sie beschützen. Nichts für ungut, mein lieber Heinrich, und weiterhin ein fröhliches Hühnerleben. Noch eins mit auf den Weg ehe ich es vergesse: ‹Sag deinen Damen sie sollen mehr Eier legen, die liebe Else beschwert sich schon.› na denn tschüß auch! 99


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nhang:

Abdeckermeister: war jahrhundertelang eine Berufs­ bezeichnung für Personen, die in einem bestimmten Bezirk für die Tierkörper­ verwertung zuständig waren. EVP: Einzelhandel-Verkaus-Preis, im Volksmund auch gern ‹Einheitlicher Volkspreis› genannt. Preisbeschriftung in der ehemaligen DDR. Bezahlt wurde in Mark und Pfennig (eine Mark > 100 Pfennige) FDGB: Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (abgekürzt FDGB) war der Dachverband der etwa 15 Einzel­ gewerkschaften in der DDR. – Eine Anzahl von Hotels und Pensionen wurden im Jahre 1953 während der sogenannten ‹Aktion Rose› teilweise willkürlich enteignet, verstaatlicht und in Ferienheime und Anlagen des staatlichen FDGB - Gewerkschaftsbundes umgewandelt. Die Besitzer wurden, falls sie Widerstand leisteten, teilweise in Schauprozessen verurteilt. Die nun-


mehr staatlichen Ferieneinrichtungen wurden bis 1989 hauptsächlich für Ferien- und Kuraufenthalte der DDRBürger nach strengen Platzvergaberichtlinien ^ Vergabe von sogenannten FDGB - Ferien­schecks genutzt. Individualtourismus war, wie in den meisten Ostsee­ bädern in der DDR bis 1989, nur sehr eingeschränkt möglich (durch Nutzung von Privat­wohnungen oder Camping). Die Kosten bei Nutzung des FDGB - Ferienschecks waren sehr gering (35 Mark der DDR für 14 Tage Vollpension am Meer – in den 50er Jahren). Gœthe: Johann Wolfgang von (* 1749 – 1832), war ein deutscher Dichter. Er forschte und publizierte außerdem auf verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebieten. Ab 1776 bekleidete er am Hof von Weimar unterschiedliche politische und administrative Ämter. Von ihm stammt das Gedicht «Willkommen ^ Abschied» (siehe weiter hinten). HO: Die Handelsorganisation (‹HO›)

war ein in der juristischen Form des Volkseigentums geführtes staat­liches Einzelhandelsunternehmen in der ddr.

Die ‹HO› wurde 1948 gegründet und bot anfangs bevorzugt lang entbehrte Gebrauchsgüter und Lebensmittel ohne Lebensmittelmarken an.   Die ‹HO› war gegliedert in die Bereiche Industriewaren, Lebensmittel, Gaststätten, Warenhäuser und Hotels. Die großen ‹Centrum Warenhäuser› gab es in 103


vielen Bezirksstädten der DDR. Die Geschäfte und Warenhäuser der ‹HO› existierten neben denen der ‹Konsum›-Kette. Da diese genossenschaftlich geführt und keine Staatsbetriebe waren, wie die ‹HO›, wurde besonders in den Anfangsjahren der DDR von Regierungsseite versucht, die ‹HO› zu bevorteilen. Trotzdem etablierten sich beide parallel in der Alltagswelt der DDR.   Kühlungsborn: Ostseebad im Landkreis Rostock in Mecklenburg-Vorpommern (Deutschland) 1

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1: Kühlungsborn 2: Heiligendamm 3: Bad Doberan 4: Wismar (und das grosse schwarze oben ist die ostsee ;)

Leghorn: ist eine Haushuhnrasse und stammt aus Kreuzungen verschiedenster toskanischer Hühner­rassen. Der Name stammt von der italienischen Hafenstadt Livorno (englisch: Leghorn), von dort wurden im Jahre 1835 Hähne in die USA und nach Großbritannien gebracht und weitergezüchtet. Um 1870 kamen sie unter der Bezeichnung Leghorn wieder nach Europa.


Morgenstern: Christian Otto Josef Wolfgang (*1871 – 1914), Haus- und Hof-Dichter der Familien Hänsel ^ Golzs�. … nach dem folgenden Gedicht konnte es einfach keine ‹leeren› Meilen­steine mehr geben: ka em-zwei-ein Ein Rabe saß auf einem Meilenstein und rief Ka-em-zwei-ein, Ka-em-zwei-ein... Der Wer�und lief vorbei, im Maul ein Bein, Der Rabe rief Ka-em-zwei-ein, zwei-ein. Vorüber zottelte das Zapfens�wein, der Rabe rief und rief Ka-em-zwei-ein. «Er ist besessen!» - kam man überein. «Man führe ihn hinweg von diesem Stein!» Zwei Hasen brachten ihn zum Kräuterdachs. Sein Hirn war ganz verstört ^ weich wie Wachs. Noch sterbend rief er (denn er starb dort) sein Ka-em-zwei-ein, Ka-em-Ka-em-zwei-ein... Pinscher: Der Name Pinscher gehört zum englischen Verb ‹to pinch› (kneifen, zwicken) und wurde gern auch generell für kleinere Hunderassen verwandt.

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verwendete Schriften: Bayreuth: a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y z    A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z + &# $ % > ¬

Die ‹Bayreuth› hier als Beispiel für die Famile der ~gebrochenen Schriften, entworfen von Ernst Schneidler für C.E.Weber, Stuttgart 1932. Er entwarf eine Reihe schöner ‹Blackletter›.

Blackletter: oder auch ~gebrochene Schriften – seit dem zwölften Jahrhundert in Europa

verbreitete Schrift-Typen, die mehr und mehr von der Antiqua (~lateinischen Schriften) verdrängt wurden. Leider machten die Nazis sie zu ‹Ihrer Schrift› (1933 bis 19 41), wodurch sie sehr stark in Verruf geriet ( › Deutsche Schrift). Nach dem Sieg der Alliierten wurden die gebrochenen Schriften als «Zeichen der Zerschlagung des nationalsozialistischen Deutschlands aus dem Verkehr gezogen». (wegen acht Jahren wird eine Jahrhunderte alte Schriftkultur vernichtet … unglaublich, aber bereits ‹Geschichte› – heute kann sie kaum noch jemand lesen, ähnlich der Kurrent (siehe weiter hinten). Hier im Buch stehen sie als Beispiel für ‹alte› Schriften.

Caflisch Script: abcdefghijklnopqrstuvwxyz

ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ $*&0123456789 £¥ fi fl †„» ¿ æ ß Þ Robert Slimbach digitalisierte 1993 die Handschrift von Max Caflisch (19 16 – 2004) – einem schweizer Typografen, der als einer der weltweit führenden Experten für die in westlichen Kulturen verwendete lateinische Schrift galt.

abcdefghijklmnopqrstuvw xyz ABCDEFGHIJKLMN OPQRSTUVWXYZ 1234567…..

Kurrent:

Die Deutsche Kurrentschrift (von lateinisch currere > laufen > Schreibschrift), war etwa seit Beginn der Neuzeit bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts die allgemeine Verkehrsschrift im gesamten deutschen Sprachraum. Typografisch gehört sie zu den gebrochenen Schriften. Umgangssprachlich werden fälschlicherweise oft alle deutschen Schreibschriften als Sütterlinschrift bezeichnet.   Die deutsche Kurrentschrift unterscheidet sich


durch spitze Winkel (‹Spitzschrift›) von der runden, ‹lateini­schen› Schrift. Mit geringen Abwandlungen wurde sie auch in Skandinavien – in Dänemark und Norwegen als ‹Gotisk skrift› bezeichnet – bis 1875 verwendet.

�-uno: ist nicht meine erste Schrift, auch wenn es der Titel nahe legt. (Es waren einfach die

ersten Test-Buchstaben… (; [vorher Arbeitete iœ Zb. an der debui;]) Und natürlich ist sie immernoch eine ‹Baustelle› (; … Bei der Entwicklung der uno ver­folgte mich die Frage, wie eine ‹gebrochene Antiqua› aussehen könnte – auch aus der Feststellung heraus, dass die Gebrochenen sehr platzsparende Schriften sind. [#tt]

Smetana: Bedřich (Friedrich) (* 1824 – 1884) war ein böhmischer Komponist der Romantik. Eines seiner bekanntestesten Werke ist ‹Die Moldau› (Vltava) aus dem sinfonischen Zyklus ‹Mein Vaterland› (Má Vlast). Zudem müssen wir an dieser Stelle feststellen, daß es viele, in den Geschichten erwähnte, Orte nicht mehr gibt – sie fielen der Braunkohleförderung zum Opfer. Die Karte unten zeigt den in den Geschichten beschriebenen Weg von Welzow nach Spremberg, den es heute in dieser Form nicht mehr gibt.

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In ihrem Erstlingswerk erz채hlt Christa Lademann von ihren Abenteuern mit ihren vierbeinigen Freunden, welche sie im verlaufe ihres Lebens mit- und erlebte. Anhand dessen berichtet sie auch ein bisschen aus ihrem Leben. Illustriert wurde das ganze mit dem flott-frechen Pinselstrich vomtom.


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