»Es muss emotionalisierend sein. Es muss Spaß machen. Man muss da rausgehen und sich wahnsinnig geärgert haben oder man muss etwas erlebt haben. Aber nichts dazwischen, dann ist es doof.«
Interview mit Gregor Horres
Interview mit Gregor Horres
Gregor Horres Studium in Fernseh-, Film- und Theaterwissenschaften sowie in Musik; Opernspielleiter in Bielefeld; Opernregie in Mannheim, Düsseldorf, Darmstadt etc.; seit 2008 Professor für Szenische Darstellung an der HfK Bremen Regie und Leitung bei »Im weißen Rössl«, »La Betulia Liberata« und »L’Orfeo«
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Wie sind Sie zum Theater gekommen? Ich bin im Grunde relativ spät zum Theater gekommen, da war ich so 17, 18 Jahre. Ich habe im Theater gearbeitet, in den Werkstätten und auf der Bühne. Dann habe ich studiert, aber zwischendurch immer wieder im Theater gearbeitet und Hospitanzen gemacht. Dass ich am Theater arbeite und heute Regie mache, hat sich schlichtweg Stück für Stück entwickelt. Mein Vater ist Opernregisseur, meine Schwester ist auch Regisseurin, es gibt da eine gewisse Affinität und Verrücktheit, was das Theater betrifft. Was fasziniert Sie an der Oper? Es fasziniert mich, wie viele Menschen an einer Theateraufführung arbeiten und wie viele Dinge zusammenkommen müssen, um einen guten Abend zu gestalten. Das Theater ist für mich vom Gedanken her immer ein Bauhausprinzip gewesen, man muss das Ganze sehen. Dazu kommt die Musik als ein völliger »Fremdkörper«, die es schafft, Thematiken aus der Realität in eine andere Sphäre zu heben. Gerade das Aufeinanderprallen von unterschiedlichen Sichten, Meinungen, Vorstellungen und Bildern ist faszinierend. Das Spannende daran ist eben, dass die Bilder nicht gegeneinanderstehen, sondern
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dass man es schafft, diese Bilder zu einem Bild werden zu lassen. Dies ist die Aufgabe des Regisseurs, aber der Regisseur ist am Ende nur so gut wie sein Team. Die Gedanken des Regisseurs mögen eventuell für ein spezielles Stück exakt die richtigen sein, aber es ist immer gut, wenn sich das auf irgendeine Art und Weise von unterschiedlichen Seiten her ergänzt. Ob das die Sänger sind oder die Musik, ob das die Bühne ist, die Kostüme oder auch die Dramaturgie. Das alles ist wichtig und Teil einer doch relativ langen Arbeit. Die Vorarbeit läuft immer mindestens ein halbes bis dreiviertel Jahr, an großen Häusern sogar bis zu zwei Jahren. Was ist Ihre Meinung zu dem Zitat von David Hockney: »Oper ist Kompromiss«? Da stellt sich die Frage, wie man zu Kompromissen steht. Die Aussage ist natürlich richtig, es sind eben unterschiedliche Dinge, die da zusammenkommen müssen, aber das muss kein Kompromiss sein. Das kann auch eine wirklich tolle Idee sein. Da fällt mir der Begriff ein, der auch bei Wagner auftaucht: »Gesamtkunstwerk«. Es handelt sich um ein Gesamtkunstwerk und da müssen alle an einem Strang ziehen, das heißt, die Sicht des Einzelnen muss man zu einem gewissen Teil ausblenden können, im Interesse des Gan-
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zen. Wichtig sind immer die Wirksamkeit und der Inhalt des Ganzen. Das hört sich so an, als wäre es demokratisch? Nein überhaupt nicht! Theater ist eine Hierarchie und durchaus auch autoritär. Halten Sie das für richtig? Geht es auch demokratisch? Bis zu einem Punkt geht es demokratisch. Dann müssen Entscheidungen gefällt werden, in welche Richtung etwas zu gehen hat. Anfangs kann es demokratisch sein, aber der Arbeitsprozess als solcher, also diese 6 - 8 Wochen Probezeit, da muss klar sein, in welche Richtung ein solcher Abend laufen soll. Diese Richtung muss man auch beibehalten, ansonsten geht das nicht. Und dafür ist der Regisseur zuständig? Dafür ist der Regisseur zuständig, die Absprachen mit Bühne und Kostüm und auch die Absprachen mit dem Dirigenten sollten ja vorher längst getroffen sein. Ist das die wichtigste Aufgabe des Regisseurs? Der Begriff des Regisseurs innerhalb der Oper ist ein anderer als der im Film. Es wird
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»Wir müssen nicht immer in der Vergangenheit rumwühlen. Das finde ich relativ langweilig.« Sollten sich Opern auf die Gegenwart beziehen oder können sie auch ganz historisch inszeniert sein? Das bleibt ja jedem selber überlassen. Selbstverständlich können sie auch historisch inszeniert sein. Entscheidend ist immer, was man versteht. Ich habe ganz wenige Stücke historisch inszeniert, weil mir die Sprache fremd ist. Ich kenne sie nicht mehr und wenn ich sie nicht kenne, wie soll ich sie sprechen und wie soll das Publikum sie dann verstehen?
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Im Moment gibt es am Theater den Trend zum Minimalismus, weg von den pompösen Ausstattungen. Ist das an der Oper auch so? Braucht die Oper Bilder? Es kommt auf das Stück an, aber grundsätzlich ist es schon so, dass die Oper Bilder braucht! Oft ist das sicherlich gewollt und hat mit Qualität zu tun, aber es gibt auch Bühnen, da hat das nichts mit Qualität zu tun, sondern damit, dass es schlichtweg kein Geld gibt. Es gibt selten einen Etat, um eine Oper mit vier unterschiedlichen Bildern auszustatten. Historische Kostüme sind unglaublich teuer. Als ich in Darmstadt angefangen habe, gab es einen Hutmacher und einen Schuhmacher – diese und andere Stellen sind in vielen Theatern gestrichen worden. Das Publikum wird immer älter. Wie kann man junge Leute begeistern? Ich würde das mit Fußball vergleichen. Wenn Werder eine schlechte Saison spielt, bleibt das Stadion leer, wenn Werder gut spielt, ist das Stadion voll. Begeistern kann man nur durch Qualität! Da bin ich mir ganz sicher. Es mag richtig sein, Kinderoper zu machen und die Kinder darüber an Opern heranzuführen, aber was sich immer durchsetzt, ist Qualität und die spricht sich auch rum!
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Man muss darauf vertrauen! Bei der massiven Konkurrenz von Film und Medien muss man schon sehr, sehr gut sein, um dem etwas entgegenzusetzen. Die alte Dame »Oper«, die zelebriert wird, ist was für Menschen ab einer gewissen Gehaltsstufe, ab einer gewissen Bildung. Für Menschen ab einem gewissen Alter, die auch die Zeit haben, um halb acht ins Theater zu gehen. Sie unterrichten szenische Darstellung. Was lernen die Studierenden bei Ihnen und in den Projekten, neben der Praxis und Spielerfahrung? Einen Punkt, den können sie bei mir nicht lernen, denn das ist Grundvoraussetzung: eine gewisse Begabung für die Bühne. Wenn sie die haben, dann können sie in den Projekten lernen, sich mit Rollen und Charakteren auseinanderzusetzen. Das ist Arbeit und entwickelt sich Stück für Stück. Auf jeden Fall müssen sie an ihre Grenzen kommen, dahin, wo es ihnen unter Umständen peinlich ist oder sie sich fragen: »Was soll das? Wieso mache ich das eigentlich?« Diese Grenzüberschreitung brauchen sie, ich muss spüren, dass es in ihnen einen expressionistischen Drang gibt, sich und den Charakter darstellen zu wollen. Man versucht, im Unterricht Gesang und Bewegung in einen Einklang zu bringen.
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Diese Form der Koordination ist schwierig, darf allerdings nicht zu einem Gefängnis werden. Man muss aus diesem Gefängnis raus, weil sich natürlich die Körperlichkeit in die gesangliche Leistung überträgt. Die Beherrschung der Koordination verstärkt Ausdruck und Interpretation einer Rolle. Wann kommen Sie an Ihre Grenzen? Das passiert meistens bei der Arbeit – wie viel du aus Menschen herausholen kannst. Es sind Menschen, die du formen willst, und mit denen musst du dich auseinandersetzen. Manchmal macht das einen Riesenspaß und manchmal ist das anstrengend, weil dabei natürlich Welten aufeinanderprallen, und die in einen Einklang zu bringen, ist oft recht mühsam. Man scheitert auch. Da kommt man einfach an Grenzen. Im studentischen Bereich gibt es unterschiedliche Niveaus. Es ist der Sinn der Produktion, sie auf ihrem Niveau an ihre Rollen heran zuführen. Wenn ich jemand habe, der relativ weit an seine Rolle herankommt und der hat es dann mit jemandem zu tun, der noch nicht so weit ist, dann stagniert es. Es fehlt das Miteinander, das Geben und Nehmen. Man ist nicht nur ein Einzelkämpfer, sondern muss auch geben, dann kann man auch von dem anderen nehmen. Es dauert, bis man begreift, dass es nicht nur um einen selber geht.
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»Es muss emotionalisierend sein. Es muss Spaß machen. Man muss da rausgehen und sich wahnsinnig geärgert haben oder man muss etwas erlebt haben. Aber nichts dazwischen, dann ist es doof.«
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Es gibt ja ein sehr begrenztes Grundrepertoire, was immer wieder gespielt wird. Ja, und es entsteht wenig Modernes, wenig Heutiges. Das wäre aber ein Zugang für junge Leute. Interessant ist, was in der Popmusik und in der Rockmusik heute passiert. Das ist es, was die jungen Leute interessiert. Gute moderne Musik, Popmusik oder Unterhaltungsmusik kommt ja nicht aus dem Mülleimer. Das sind keine unmusikalischen Leute, die das machen. Es sind richtig gute Musiker. Für mich ist es gar keine Frage, wir müssen neue Stoffe, Geschichten, Kompositionen schreiben, wir müssen nicht immer in der Vergangenheit rumwühlen. Das empfinde ich als museal. Wie sieht die Zukunft aus? Entwickelt sich die Oper weiter? Die Zukunft ist nicht sonderlich rosig. Durch die Einschränkungen, die es heute gibt, müssen sich die Oper, das Theater in einer gewissen Form anpassen. Was teilweise passiert, orientiert sich oft an Auslastungszahlen. Das heißt, man versucht Theater für die Statistik zu machen. Es gibt natürlich auch Ausnahmen. Die sind wichtig. Aber es wird leider immer wichtiger, dass das Finanzielle stimmt, die Wirtschaftlich-
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keit. Das ist eine Gratwanderung für jeden, der ein Theater leitet. Wie gesagt, Qualität ist wichtig! Man kann auch etwas gnadenlos in den Sand setzen, das kann auch etwas auslösen. Nur wirklich fatal ist alles, was sich dazwischen bewegt. Das ist »Theater to go«. Man sitzt da, schaut mal so nach dreißig Minuten auf die Uhr. Man geht nicht wütend raus, aber es berührt einen auch nicht wirklich, es ist austauschbar, schmeckt überall gleich. Es sollte polarisieren? Es kann polarisierend sein, es muss emotionalisierend sein. Man muss rausgehen und sich wahnsinnig geärgert haben oder man muss etwas erlebt haben. Welche Opernprojekte haben Sie inszeniert? Rössl, Betulia, Orfeo. Können Sie uns dazu Schlagwörter nennen? »Im weißen Rössl« war ein Anfang – »La Betulia Liberata« war ein Schritt – »L’Orfeo«, das war schon gut. Aber »Im weißen Rössl« hat doch auch sehr gut funktioniert?
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Mit Sicherheit. Aber insgesamt finde ich, dass alle Bereiche gemeinsam aneinander gewachsen sind. Die Qualität ist besser geworden, das ist ganz klar. Was ist im Bühnenraum wichtig? Wie kann ich den Raum erfahrbar machen? Das Licht hat heute eine extreme Bedeutung. Seit man weniger Geld hat für das Bühnenbild, bleibt einem nichts anderes mehr übrig, als vieles mit Licht zu machen. Es gibt da auch Vorteile. Ich baue heute eine Wand in einem grauen Ton und kann sie über Scheinwerfer blau oder gelb machen. Ich kann etwas drauf projizieren, Strukturen verändern oder sie tatsächlich verändern. Ich kann über das Licht unterschiedliche Räume und Situationen erstellen. Licht ist ein dramaturgisches Mittel, das man einsetzen muss. Was für eine Assoziation das Bühnenbild bei den Zuschauern hervorruft, ist ganz unterschiedlich. Ob sie das Bühnenbild verstehen oder nicht verstehen, das weiß ich auch nie genau. Oft habe ich Diskussionen miterlebt und war ganz überrascht, was sie gesehen haben und was sie da reininterpretiert haben. Oder auch, was sie überhaupt nicht verstanden haben und was sie gar nicht interessiert hat. Also was wir uns dabei denken, das erreicht
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den Empfänger manchmal überhaupt nicht oder es erreicht ihn auf eine komplett andere Art, mit der wir gar nicht gerechnet haben. Was ich von der Bühne erwarte, hat immer etwas mit Inhalten zu tun, die man nicht nur dramaturgisch, sondern künstlerisch versucht umzusetzen. Also keine Eins-zu-einsBebilderung! Und wie steht es mit den Kostümen? Letztendlich ist es so, dass die Kostüme von einer unglaublichen Wichtigkeit sind. Das lernt man relativ schnell im Theater. Manchmal wichtiger als der Raum. In einem tollen Raum schlechte Kostüme: Katastrophe – in einem schlechten Raum Superkostüme: fällt nicht auf. Vielleicht ist es der Begriff der zweiten Haut, der wichtig ist. Was war Ihr schwierigster und Ihr schönster Moment? Der schönste: als im »Orfeo« das Wasser volle Pulle Richtung Orchester lief, als Annika den Hahn aufgedreht hatte... (lacht) Der schwierigste, da würde ich auf »Betulia« tippen. Ich fand die Kompromisse schwierig: Die Kanzel nicht bespielen, den Altarraum nicht und, und, und ... Das war mir ein bisschen zu viel Rücksichtnahme. Wir hatten einen so tollen Raum, den wir in seiner
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Gänze nicht richtig nutzen konnten. Es gab klare Grenzen, in denen wir uns bewegen durften. Lag das an der Kirche und ihren Dogmen? Ja! So stark muss man dann auch sein zu sagen, dann machen wir es eben nicht. Das gehört im Grunde dazu. Dann darf es eben keinen Kompromiss geben. Wenn die Kanzel einen Sinn ergibt und sie trotzdem »Nein!« zur Kanzel sagen, dann frage ich mich, warum machen wir es in einer Kirche? Aber sechs Wochen vor der Premiere kann man nicht mehr viel machen. Das muss vorher abgeklärt werden. Wie war noch das Zitat »Oper ist Kompromiss«? Was ist Ihnen noch wichtig und wurde nicht angesprochen? Was mir wichtig ist, ist der Begriff des Interdisziplinären. Dass nicht die einzelnen Bereiche für sich arbeiten, sondern dass man versucht, das Projekt als Ganzes zu begreifen, auch sich selber. Man ist nicht als Einzelner beteiligt, sondern es sind alle gemeinsam dabei!