"Faul, fernsehsüchtig, konsumgeil"

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Atzmüller: "Faul, fernsehsüchtig, konsumgeil" INTERV IEW | KA TRIN BURGSTA LLER 11. Dezember 2013, 15:31

Soziologe Atzmüller über die "zunehmende Verachtung der Armutsbevölkerung" und die "neoliberale Transformation"

foto: privat

Roland Atzmüller: "Die Krise in Europa wird jetzt mit Maßnahmen bearbeitet, die zur Krise beigetragen haben."

"Die Finanzkrise wurde in eine Staatsschuldenkrise transformiert", sagt Roland Atzmüller, Assistenzprofessor am Institut für Soziologie der Johannes-Kepler-Universität Linz. Zur Sanierung der Budgets werde nun der Wohlfahrtsstaat rückgebaut. Sozialdemokratische Parteien hätten sich in der Vergangenheit "selbst zu Akteuren der neoliberalen Transformation gemacht". Die benachteiligten Schichten der Gesellschaft sind, so Atzmüllers Diagnose, immer schwerer zu erreichen für sozialdemokratische Parteien. Außerdem rekrutieren linke Parteien "ihre Funktionäre zunehmend aus den Bildungsschichten und damit den Mittelklassen. Das heißt, sie repräsentieren nicht alle Gesellschaftslagen. Das ergibt ein distanziertes Verhältnis zu jenen, die von Armut betroffen sind und mit prekären Lebenslagen zu kämpfen haben", sagt

Atzmüller. derStandard.at: Sie haben in einer Einladung für eine Konferenz geschrieben: "Es ist fünf vor zwölf, wenn nicht bald gehandelt wird, kann eine weiterer Zerstörung des Sozialstaates nicht mehr ausgeschlossen werden." Was veranlasst Sie zu dieser Gesellschaftsdiagnose? Atzmüller: Seit 2008 wurde die Finanzkrise in eine Staatsschuldenkrise transformiert, was mit den staatlichen Stützungen des Bankensektors zusammenhängt. Die Folge war, dass neoliberale Antworten auf die Krise radikalisiert wurden, weil die Krise jetzt als Staatsversagen und nicht als ein Ergebnis unregulierter Finanzmärkte und wirtschaftlicher Ungleichgewichte in Europa gesehen wird. Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte haben sich im letzten Jahrzehnt zwischen Ländern mit hohen Außenbilanzüberschüssen - den sogenannten Exportweltmeistern wie Deutschland - und solchen mit Außenhandelsbilanzdefiziten herausgebildet. Auf die Staatsschuldenkrise antworten die Regierungen in Europa mit austeritätspolitischen Maßnahmen zur Sanierung der Budgets. Und da setzen sie vor allem im Sozialbereich an. In vielen Ländern werden Pensionen und Arbeitslosengelder und andere Bereiche des Wohlfahrtsstaates gekürzt. Außerdem werden in den Krisenländern Arbeitszeiten ausgedehnt und die Verhandlungsautonomie der Gewerkschaften eingeschränkt. Und man setzt die Privatisierungen staatlichen Eigentums fort. Das bedeutet, die Krise in Europa wird jetzt mit Maßnahmen bearbeitet, die zur Krise beigetragen haben. derStandard.at: Einschnitte ins Sozialsystem wurden bereits vor der Krise vorgenommen. Atzmüller: Die Einschnitte in die Sozialsysteme haben nicht erst jetzt begonnen, sondern bestimmten in vielen Ländern die Politik der letzten zwei bis drei Jahrzehnte. Dadurch hat die soziale Ungleichheit massiv zugenommen. Dies hat zusammen mit der Ausdehnung von Niedriglohnsektoren und der Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften etwa in Deutschland und Österreich zu Nachfrageproblemen geführt, während gleichzeitig der Exportboom, der in den Defizitländern über Kredite finanziert wurde, vorangetrieben wurde. derStandard.at: Wie und wem konnte es gelingen, dass die Finanzkrise in eine Staatskrise umgedeutet wurde? Atzmüller: Die Staaten haben darauf gesetzt, die Kosten der Krise zu vergesellschaften. Die Gesellschaft hat die Kosten für die Finanzinstitutionen übernommen, die als "too big to fail" galten. Angesichts der Krisen in Südeuropa konnte die Diskussion verschoben werden auf den Staatshaushalt, insbesondere auf die Finanzierung des Wohlfahrtsstaates. Die Ausgaben für die soziale Sicherheit werden nun wieder als Hindernis für die Sanierung der Wettbewerbsfähigkeit präsentiert. Daher setzt die Diskussion ein, wie man das Problem der wachsenden Staatsverschuldung in den Griff kommen kann. derStandard.at: Jetzt ist die Rede vom Budgetloch und davon, dass wir sparen müssen. Müssen wir? Atzmüller: Ich denke, diese Frage ist falsch gestellt. In den letzten Jahren sind die Vermögen in Europa massiv derstandard.at/1385170634381/Faul-fernsehsuechtig-konsumgeil

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