spiegel.de
http://www.spiegel.de/stil/jessicaschwarzhotelinmichelstadttraeumereiimtesta1050668.html
Jessica Schwarz, Hotel in Michelstadt: Träumerei im Test Fabienne Hurst
Dienstag, 01.09.2015 – 17:51 Uhr
Die Gastronomin Jessica Schwarz, 38, wurde 1993 zum "BravoGirl des Jahres" gewählt und verließ daraufhin die hessische Provinz um sich die Mädchenträume schlechthin zu erfüllen: Model werden, dann "Viva"Moderatorin und schließlich Schauspielerin ("Der rote Kakadu", "Buddenbrooks", "Romy"). Die Erfüllung von Traum Nummer vier folgte im Sommer 2006. Schwarz kaufte ein leerstehendes Haus aus dem 17. Jahrhundert, direkt neben ihrem Elternhaus in Michelstadt. Zusammen mit ihrer Schwester Sandra, einer gelernten Hotelbetriebswirtin, ließ sie es sanieren und eröffnete zwei Jahre später darin die "Träumerei" ein "DesignHotel" mit fünf Zimmern und einem Café im Erdgeschoss. Hoffnungen versus Befürchtungen Michelstadt, wo genau war nochmal Michelstadt? Der InternetRoutenplaner sagt: Mitten im Odenwald, eineinhalb Stunden entfernt von Frankfurt, ein 16.000 EinwohnerStädtchen, bekannt für seinen "Bienenmarkt" und ein Spielzeugmuseum. Die Odenwaldbahn fährt dorthin, vorbei an Kühen, Feldern und Bäumen, an Stationen, die Otzberg heißen, GroßUmstadtWiebelsbach und HöchstMümling Grumbach. Ausgerechnet hier will eine Schauspielerin, die sich längst an den Großstadtglamour von Berlin oder Wien gewöhnt haben muss, mit einem "DesignHotel" überzeugen? Was ist überhaupt ein "DesignHotel"? Im schlimmsten Fall passt hier einfach gar nichts zusammen, im besten begegnen wir einer kleinstädtischen GastronomieIdylle, geschmackvoll eingerichtet, mit schnörkellosen Gerichten aus guten Zutaten auf der Karte. Schließlich befinden sich hier Hausschlachter, Bauernhöfe und Landbäckereien direkt um die Ecke, keine Ausreden für Pappbrötchen aus China also. Die "Träumerei" wäre dann ein Ort, wo die Worte "naturbelassen", "regional" und" homemade" noch nicht für Hipstertum stehen sondern einfach für Qualität. Persönliche Note Zehn Minuten vom Bahnhof entfernt liegt die RestaurantPension. Zwischen uralten Fachwerkhäusern und verwinkelten Gassen kann man entweder draußen Platz nehmen, oder man setzt sich an einen der zehn Tischchen im winzigen Innenraum. Dort haben die SchwarzSchwestern alte und neue Holzmöbel miteinander kombiniert, dazu Stickkissen und Sitzpolster, an den Fenstern lehnen Bildbände von Schauspielerporträts und Leinwandliebespaaren.
Die Träumerei Kuschelig: Der Innenraum der Schwarzschen Gastronomie In der schon etwas abgegriffenen Speisekarte erzählt Jessica Schwarz in persönlichem Ton von der Entstehung ihrer "Träumerei". Als Deko dient auch die prominente Besitzerin selbst: Sie lächelt nicht nur von einem Stapel Autogrammkarten, sondern auch von einem großformatigen Acrylgemälde hinter der Rezeption. Zwischen den zum Verkauf feilgebotenen Marmeladengläsern an der Theke steht die "Bambi" Filmpreisstaue, die die Chefin 2009 für ihre Hauptrolle im TVFilm "Romy" bekommen hat. So nutzen die Schwestern Jessicas Bekanntheit ganz gezielt, das gehört zum Schwarz'schen Geschäftssinn. Und der siegte am Ende wohl auch über Nostalgie und Erinnerungen: Ihr Kinderzimmer im gegenüberliegenden Elternhaus hat Schwarz ebenfalls zum Hotelzimmer umbauen lassen. Essen und Trinken Eine Tafel verspricht Milcheis vom Bauernhof, ohne Ei, ohne Binde und Konservierungsmittel, ohne Farbstoffe und künstliches Aroma. In einer Vitrine warten appetitliche Sandwiches und Panini auf den Grill und Kuchen auf einen Schlag Sahne. Frühstück gibt es bis 15 Uhr, außerdem den ganzen Tag über Pizza und Flammkuchen, Fruchtcocktails, Smoothies, Eisbecher und sechs verschiedene Sorten Trinkschokolade. Am Tresen steht eine große Karaffe mit GratisMinzwasser, der Kaffee ist angeblich exklusiv für den Laden geröstet. Es wirkt alles ein bisschen wie in Berlins Prenzlauer Berg. Nur ohne die hohen Preise. Und ohne MacBooks. Wie schmeckt's ? Die hausgemachte RhabarberHolunderLimo (wie könnte es anders sein, im Marmeladenglas serviert) schmeckt seifig bis fruchtig. Das BrokkoliKartoffelsüppchen für 4 Euro ist simpel, passt aber gut zum knusprigen Panini mit Antipastigemüse und warmem Fetakäse. Der geradezu ursprüngliche Zwetschgenkuchen vom Landbäcker mit einer Kugel Vanilleeis zum Nachtisch könnte ein bisschen mehr Zucker vertragen, schmeckt dafür aber überzeugend nach Natur. Ziemlich guter Kaffee.
Fabienne Hurst Bitte noch süßer!: Zwetschgenkuchen mit Vanillekugel Service
Fünf junge Frauen kümmern sich zurückhaltend aber freundlich um Küche und Service. Dass Portishead über die Lautsprecher läuft, hört man wegen des Tellerklapperns und Telefonläutens leider nur fetzenweise. Stolz des Hauses Lila. Lilafarbene Hotelzimmer, lilafarbene Fensterrahmen, lilafarbene Blumen, lilafarbene Sitzkissen, lilafarbene Eiskarte: Lila ist Jessica Schwarz' Lieblingsfarbe. Deswegen habe sie, so steht es in der Karte, dem Haus einen "lila Lidschatten verpasst." Wer ist da? Zwei frühstückende Muttis, ein Rentnerpärchen in Motorradkluft, ein Liebespaar. Alle sprechen mit weichem hessischem Dialekt, sind wohl waschechte Mischelstädder. Und alle so herrlich unkompliziert! Ein älterer Herr ruft der Kellnerin zu: "Die Salamipizza war vorzüglich!" Und am Nebentisch erklärt eine junge Frau ihren Freundinnen, wie man ein Rinderhüftsteak zartrosa brät. Einige Gäste nicken sich freundlich zu. Die "Träumerei" scheint ein echter Treffpunkt zu sein, ein Stammlokal mit Fremdenzimmern, offen für Bekannte, Touristen, Dagebliebene und Heimkommer. Chancen für Autogrammjäger Das Tagesgeschäft schmeißt die Schwester. Jessica Schwarz selbst wohnt in Wien, dreht überall in Europa Filme und ist entsprechend meist nur dann zu Hause, wenn es Weggezogene in die Heimat zieht: Zu Ostern, Weihnachten, Neujahr. Die Rechnung bitte Tolle Lage, große Liebe zum Detail, einfaches, liebevoll zubereitetes Essen, etwas viel Mädchenkitsch, faire Preise. Wer Lila nicht mag, kommt am besten mit getönter Sonnenbrille. 7,5 von 10 Punkten "Die Träumerei", Obere Pfarrgasse 3 64720 Michelstadt. Montag bis Freitag 818 Uhr, Samstag und Sonntag 918 Uhr, Frühstück bis 15 Uhr Zur Autorin Fabienne Hurst, Jahrgang 1987, ist freie Journalistin in Hamburg.