Magensäureblocker haben einige Nebenwirkungen faz.net/aktuell/wissen/medizinernaehrung/magensaeureblockerhabeneinigenebenwirkungen14451080.html
© Helmut Fricke Seit es sie ohne Rezept gibt, werden die Magenpillen noch viel häufiger konsumiert. Und diese Tabletten sollen gesund machen? Ein Knochenspezialist kann sich über den guten Ruf der Säureblocker nur wundern. Zumindest beim Blick auf sein Fachgebiet: Der Knochen dünner und weicher, die skelettabbauenden Zellen hyperaktiv – schon 2006 hatten amerikanische Wissenschaftler gerätselt, warum sich gerade Patienten nach der Einnahme dieser Magenschutztabletten besonders häufig die Hüfte brachen. Drei Jahre später fand ein Team um Michael Amling, den Direktor des Instituts für Osteologie und Biomechanik der Hamburger Universität, heraus, warum: Nur wenn die Magensäure das lebenswichtige Kalzium aus der Nahrung freisetzt, kann das Mineral die Darmwand passieren. Durch einen Protonenpumpeninhibitor, kurz PPI, wird gerade das verhindert. „Schlucken Sie heute einen Säureblocker“, erklärt der Osteologe, „können Sie schon morgen kein Kalzium aus der Nahrung mehr ungestört aufnehmen.“ Der Körper greift stattdessen auf sein Reservoir zurück und baut Knochen ab. Der Gesunde steckt das einige Monate gut weg. Aber bei jemandem, der schon eine Osteoporose hat oder der das Mittel jahrelang nimmt, kann der Knochen brüchig werden. „Acht Millionen Deutsche futtern täglich einen Säureblocker“, warnt Amling, „das sollte einem Sorgen bereiten.“
Seltene Nebenwirkungen addieren sich zu einem großen Problem Nicht nur Knochenexperten geben diese Zahlen zu denken. „Protonenpumpeninhibitoren sind gute und sinnvolle Medikamente, die nur in seltenen Fällen relevante Nebenwirkungen haben“, sagt der Internist Daniel Grandt, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken. Nur würden diese Mittel in Deutschland mittlerweile wie Süßigkeiten konsumiert und häufig gedankenlos verschrieben. Dadurch addieren sich die seltenen Nebenwirkungen zu einem großen Problem.
Als die Medikamente in den 1990er Jahren auf den Markt kamen, waren sie hochwillkommen. Schon die alten Ägypter hatten im Kampf gegen Magengeschwüre und Sodbrennen versucht, die Säure im Magen mit Natriumcarbonat zu neutralisieren. Auch in den folgenden viertausend Jahren fiel der Menschheit wenig anderes ein, als alkalische Salze zu schlucken. PPIs wie Panto oder Omeprazol bekämpfen dagegen das Problem näher an der Wurzel. Dank der Blockade eines Enzyms in den Magenzellen verhindern sie die Produktion der ätzenden Magenflüssigkeit. Wo keine Säure ist, kann auch keine in die Speiseröhre aufsteigen. Der Reflux, wie der Fachmann das Sodbrennen nennt, und die durch ihn verursachten Geschwüre in der Speiseröhrenwand lassen sich auf diese Weise gut verhindern. Als hilfreich erwiesen sich die Säureblocker auch bei Magengeschwüren, besonders wenn diese selbst Nebenwirkung von Medikamenten waren. Bald verschrieben die Ärzte ihre Wundermittel aber auch bei weniger gravierenden Problemen. Zum Beispiel gegen ReizmagenSymptome wie Bauchschmerzen, Übelkeit und Blähungen „und damit für Indikationen, bei denen der Nutzen entweder nicht nachgewiesen oder sogar fraglich ist“, sagt Joachim Mössner, Direktor der Klinik für Gastroenterologie der Universitätsklinik Leipzig.
Knochenbrüche, Herzinfarkte, Nierenprobleme Dank des folgenden Masseneinsatzes der Mittel hat die Medizin in den vergangenen zwanzig Jahren auch die dunklen Seiten der PPIs kennengelernt. So scheinen Patienten unter dieser Medikation nicht nur ein größeres Risiko für Osteoporose und Knochenbrüche, sondern auch für Herzinfarkte zu entwickeln. Auch Nierenprobleme treten häufiger als bei anderen Personen auf. Dazu gesellen sich wahrscheinlich Nebenwirkungen wie eine vermehrte Neigung zu Durchfällen. Dank der natürlich vorhandenen Säure überleben viele Bakterien in der Nahrung die Magenpassage normalerweise nicht. Wird jedoch der pHWert durch Säureblocker angehoben, können Erreger wie das Bakterium Clostridium difficile bis in den oberen Dünndarm vordringen und Infektionen und Diarrhöen auslösen. Bei Tumorpatienten oder nach einer Herzkatheterbehandlung kann die Einnahme von Omeprazol und seinen Verwandten wiederum zu Problemen führen, weil diese Mittel die Aufnahme oder den Abbau von Medikamenten wie Gerinnungshemmern oder Krebsmitteln verändern. Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA warnt zudem vor bedenklich niedrigen Magnesiumspiegeln unter einer PPITherapie. Ähnliches gilt für Vitamin B12. Den jüngsten Schrecken jagte den Medizinern eine Untersuchung der Daten von rund 74.000 AOKVersicherten ein. Demnach heben PPIs auch das Demenzrisiko um bis zu sechzig Prozent. Für fast alle diese Probleme gilt: Sie treten erst auf, wenn die Mittel regelmäßig und längerfristig eingenommen werden. Das allerdings ist leider eher die Regel als die Ausnahme. Denn einmal ausprobiert, wollen die meisten von ihren Magenpillen gar nicht mehr lassen.
Medikamente, die sich ihre Indikation selbst schaffen Vor sieben Jahren verabreichte die Gastroenterologin Christina Reimer in Kopenhagen gesunden Studenten und Klinikangestellten zwei Monate lang PPIs. Als die Mittel abgesetzt wurden, klagte ein Großteil der jungen Leute in den nächsten vier Wochen über Sodbrennen und Magenbeschwerden. „Die Protonenpumpeninhibitoren gehören zu den wenigen Medikamenten, die sich ihre Indikation selbst schaffen“, sagt Daniel Grandt. Der Körper reagiert auf den Säuremangel und versucht, die Produktion hochzuregulieren. Nach dem Absetzen wird der Magensaft deshalb zu sauer. So greifen die Betroffenen schnell wieder zu den gewohnten Pillen. Vor rund zwanzig Jahren gingen viele Klinikärzte dazu über, einen Großteil ihrer Patienten schon prophylaktisch mit Magensäureblockern zu versorgen. Man hatte beobachtet, dass etliche von ihnen, gestresst durch die Behandlung anderer Symptome, in der Folgezeit Magengeschwüre entwickelten. In modernen Krankenhäusern existiere diese Bedrohung aber nur noch in Ausnahmefällen, sagt
Shoshana Herzig, die an der amerikanischen Harvard University über diese Problematik forscht. Trotzdem würden die Medikamente häufig aus Gewohnheit weiter verschrieben. Und diese Anordnung wird vom Hausarzt häufig übernommen. „Auch wenn die PPIs zunächst aus gutem Grund verordnet wurden“, sagt Grandt, „wird später häufig nicht überprüft, ob die Verschreibung immer noch sinnvoll ist.“ Einschlägigen Studien zufolge nimmt jeder zweite bis dritte Patient einen Säureblocker ein, ohne dass dies noch medizinisch begründbar wäre.
Gefährliche Kombination Vor kurzem hat Grandt eine Patientin behandelt, deren Leber als Folge der PPIGabe bereits die Arbeit eingestellt hatte. Das ist eine lebensgefährliche, aber zum Glück auch sehr seltene Nebenwirkung. Ursprünglich hatte man ihr das Mittel zusätzlich zu den Schmerztabletten gegeben, die sie ebenfalls schluckte. Diese Kombination ist sehr beliebt. Denn Aspirin, Diclofenac und andere Nichtopiate greifen die Magenwand an und verursachen dadurch manchmal Geschwüre und Blutungen. Empfohlen ist die Kombination allerdings nur für Risikopatienten wie Rentner oder Menschen, die im Laufe ihres Lebens schon einmal unter einem Magengeschwür gelitten haben. Irgendwann, erzählt Grandt, sei das Schmerzmittel zwar weg gewesen, das PPI stand aber weiter auf dem Medikamentenzettel. Bis zu dem Tag, an dem die Leber endgültig versagte. Seit 2009 ist noch nicht einmal ein Arzt nötig, um in die Abhängigkeitsspirale zu geraten. Seitdem werden die Säureblocker auch ohne Rezept in Apotheken frei verkauft. Rund 4,5 Millionen, etwa ein Zehntel aller in den Apotheken verkauften Packungen, werden nach Angaben des Gesundheitsdienstleisters IMS Health auf diesem Weg abgegeben. Mehr zum Thema Natürlich existierten manchmal auch gute Gründe, einen Magensäureblocker längerfristig einzunehmen, sagt der Leipziger Gastroenterologe Mössner. Das kann zum Beispiel eine chronische Refluxerkrankung mit Schleimhautschäden sein. Aber selbst ein Magen oder Zwölffingerdarmgeschwür sei in der Regel irgendwann geheilt. Und dann und in allen anderen Fällen lautet die wichtigste Grundregel bei der SäureblockerTherapie: Wenn man das Medikament nicht mehr unbedingt braucht – absetzen.