Rechte Esoterik in Deutschland. Ideenkonstrukte, Schnittstellen und Gefahrenpotentiale. Dr. Stefan Meining Esoterik hat seit Jahren in Deutschland Hochkonjunktur. Ende der 90er Jahre wurden nach Schätzungen des Börsenblatts mit Esoterikliteratur Milliardenumsätze gemacht.1 Allein aus diesem Grund muß Esoterik als Massenphänomen der Moderne bezeichnet werden. Längst zieht ein „schier undurchdringliches Wirrwarr ideologischer, religiöser und kultureller Versatzstücke“ die Deutschen in ihren Bann.2 Sogar nationalsozialistische und antisemitische Ideenkonstrukte finden über den „esoterischen Supermarkt“ weite Verbreitung.3 Ein Ende des Esoterikbooms ist nicht abzusehen. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Nach den Terroranschlägen des 11. September sind Deutschlands Esoteriker wie Islamisten zutiefst verunsichert.4 Weltverschwörerische Erklärungsversuche der Attentate, die zum Teil von Prominenten wie dem früheren Bundesminister Andreas v. Bülow oder dem ehemaligen Kulturchef der linksalternativen TAZ, Mathias Bröcker, in Umlauf gebracht werden, haben Hochkonjunktur:5 „Ohne angemessene Verschwörungstheorien läßt sich unsere hochgradig komplexe und konspirative Welt gar nicht mehr verstehen“, stellt eine großflächige Zeitungsannonce von Bröckers Verlag Zweitausendeins fest. Doch was ist rechte Esoterik? Eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Definition des Begriffs „rechte”, „braune” bzw. „NS-Esoterik” liegt bislang nicht vor. Tatsache ist: die Bandbreite der zumeist nicht verfaßten Grüppchen, Gruppierungen und Szene-Gurus ist ebenso vielfältig wie unterschiedlich. Wichtig zum Verständnis dieses Phänomens und zur Abgrenzung gegenüber anderen Spielarten der Esoterik sind die Publikationen des Münchner Wissenschaftsautor Colin 1
Oliver Schröm, Art.: „Rechter Wahn“, in: Die Zeit, Nr. 23, 1998. Colin Goldner, Psycho. Therapien zwischen Seriosität und Scharlatanerie, Augsburg 1997, S. 11. So glaubte laut einer repräsentativen Umfrage des Hamburger Nachrichtenmagazins Der Spiegel 1994 jeder zweite Deutsche an außerirdische Wesen; jeder dritte an Ufos, jeder siebte an Magie und Hexerei. Der Spiegel, Nr. 52, 1994. 3 So schätzt der österreichische Esoterikkritiker und Sachbuchautor, Roman Schweidlenka, daß ein Viertel der esoterischen Gemeinschaften im deutschsprachigen Raum rechtsextremistisch eingestellt sind. Schweidlenka spricht in diesem Zusammenhang bereits von „arischer Esoterik“. Bernhard Pörksen, Art.: „Weltformel des Übels“, in: Deutsches Sonntagsblatt, Nr. 32, 1996. Vgl.: Oliver Schröm, Art.: Rechter Wahn, in: Die Zeit, Nr. 23, 1998. 4 Vgl. Wolfgang Günter Lerch, Art.: „Knoten der Geschichte“, in: FAZ, 11.09.2002. 5 Vgl. das Interview der antroposophischen Zeitschrift „Flensburger Hefte“ mit Andreas Bülow. Flensburger Hefte 76(2002), S. 149-176. Bröckers Buch „Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9“ ist der größte Verlagserfolg von „Zweitausendeins“ seit vielen Jahren. In zehn Tagen druckte der Verlag laut Internet-Eigenwerbung vier Auflagen des Buchs. 2