Braun EDITION Vol. 9

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EDITION / VOL. 9 – STILWELT

Die Kunst des Schenkens Es scheint fast, als könne man beim Schenken mehr falsch als richtig machen: Ist das Geschenk zu klein, fühlt sich der Beschenkte nicht ausreichend wertgeschätzt. Ist es zu groß, wird es als Hypothek empfunden, der man mit einem Gegengeschenk kaum gerecht werden kann. Und dann gibt es da ja auch noch die, die schon alles haben ... Ein Geschenk kann pure Freude, ja sogar Liebe auslösen, aber eben auch Verlegenheit, Beleidigung und Ärger. Der Versuch, sich einer wahrhaft komplexen Kunstform zu nähern. TEXT: Markus Deisenberger. ILLUSTRATION: Katjana Lacatena.

Wirkliches Schenken, schrieb Theodor Adorno in seinem Text „Minima Moralia“, habe sein Glück in der Imagination des Glücks des Beschenkten. Doch Adorno war Pessimist und glaubte, dass dazu kaum einer fähig sei, müsse man dafür doch eine Wahl treffen, den anderen als Subjekt denken und vor allem eines: Zeit aufwenden. Zeit, die wir in der modernen Gesellschaft nicht mehr hätten, so Adorno.

Schenken geht, und Diabetikern treffsicher Süßigkeiten schenken, oder Menschen, die keine Badewanne besitzen, Badesalz. Wobei: Es gibt ja auch jene Menschen, die vermeintlich bereits alles haben, oder solche, die man einfach nicht gut genug kennt, um zu wissen, was ein wirklich gutes Geschenk für sie wäre. Hier scheinen die sogenannten „Verlegenheitsgeschenke“ vorprogrammiert, jene Geschenke also, „die Verlegenheit beim Schenkenden, aber auch beim Beschenkten, der nicht weiß, ob er sich freuen soll, auslösen“, wie es Schmid formuliert. Ja, es gibt sogar Geschenke, die offenkundig so gedankenlos ausgewählt wurden, dass sie als Beleidigung empfunden werden, oder – fast schlimmer noch – so belanglos sind, dass sie „nicht einmal des Ärgers wert“ sind.

Heute, mehr als fünfzig Jahre nach Erscheinen seines Textes, gilt die Zeit als noch knapperes Gut. Wenn sich mit Weihnachten der „Ernstfall des Schenkens“ nähert, wie es der Philosoph Wilhelm Schmid in seinem Buch „Vom Schenken und Beschenktwerden“ so schön bezeichnete, zweifeln wir deshalb wohl noch mehr als früher, ob wir ausreichend Zeit und Muße finden, dem hehren Ziel des Schenkens gerecht zu werden, und murmeln plötzlich Sätze wie: „Was, wenn wir uns dieses Jahr einfach einmal nichts schenken, Schatz?“ Ja, was eigentlich? Einfacher und bequemer wäre es ohne die „kollektive Heuchelei“, wie der Soziologe Pierre Bourdieu das weihnachtliche Schenken einmal abfällig nannte, sicherlich. Aber in Bezug auf ideelle Geschenke würde der Verzicht aufs Schenken auch „ein sinnentleertes Leben ohne Liebe, Freundschaft und Selbstfreundschaft zur Folge haben“, behauptet Wilhelm Schmid. In Bezug auf materielle Geschenke könnte der Verzicht sogar egoistisch erscheinen: „Ah, da will sich einer entziehen, am sozialen Leben nicht teilhaben.“

Wie aber die Verlegenheit, die Beleidigung, den Ärger vermeiden? Kann man das richtige Schenken, wenn die Begabung dafür fehlt, einfach erlernen? Adornos Tipp, dass man günstigenfalls schenken solle, „was man sich selber wünscht, nur ein paar Nuancen schlechter“, hilft kaum weiter. Aber vielleicht hilft es, sich darauf zu besinnen, dass Schenken „ein Instinkt zu sein scheint“, wie Susanne Kippenberger meint. „Schon kleinste Kinder pflücken Blumen, sammeln Muscheln und Steine auf und präsentieren sie den Großen, um ihnen eine Freude zu machen. Und natürlich: Applaus zu bekommen.“ Sie hat recht. Das Schenken zieht sich doch durch unser Leben wie ein roter Faden. „Jeder wichtige Umbruch im Leben wird von Präsenten begleitet: Taufe, Einschulung, Kommunion, Konfirmation, Bar-Mizwa, Volljährigkeit, Schulabschluss, Hochzeit, runde Geburtstage, eine neue Wohnung, Rentenbeginn“, so Kippenberger. Ähnlich sieht es auch der Soziologe Frank Schulz-Nieswandt: „Schenken ist ein tief in das Kulturleben aller Völker zu allen Zeiten eingelassener Akt der Gabe“, hielt er in einem Kurz-Essay

Im Englischen bedeute „Gift“ nicht nur Geschenk, sondern auch Begabung, hält Susanne Kippenberger in ihrem Buch „Die Kunst der Großzügigkeit. Geschichten einer leidenschaftlichen Schenkerin“ fest. Was aber, wenn man fürs Schenken einfach nicht begabt ist? Es soll Leute geben, die keinen Fettnapf auslassen, sobald es ans

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