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#4/2016

„Wenn du es nicht zum vollen Preis verkaufen kannst, dann kauf es erst gar nicht!“ Ulric Jerome, Ruth und Tom Chapman, Matchesfashion.com

€ 6,90

Spezialitätengeschäft statt Gemischtwarenladen – Everybody’s Darling gibt es nicht /// Kreatives Erwachen – Italiens Modeindustrie kämpft sich aus der Krise /// Weniger ist mehr – Die Ordervolumina werden neu verteilt /// Der treue Mann – Aus Einkaufsmuffeln werden Lieblingskunden


FTC CASHMERE SHOWROOMS DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH, SCHWEIZ Rather Strasse 49c Mark Seebach Modeagentur Rote Halle Mariendorfer Damm 1-3 40476 Düsseldorf, Deutschland 12099 Berlin, Deutschland T +49 211 484 691 20 T +49 30 767 665 13

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002 EDITORIAL

Hart arbeiten Liebe Leserinnen und Leser, immer wieder fällt dieser Satz: dass die Modebranche ganz schön harte Arbeit sei. Ob Tom Chapman von Matchesfashion.com, der im Coverinterview mit Quynh Tran (The Longview, ab Seite 020) von dem Punkt erzählt, als die Gründer realisierten, dass das Onlinebusiness riesigen Einsatz fordere: „Wir haben uns entschlossen, uns dieser harten Arbeit zu stellen.“ Die Glücklichen, die an dieser Stelle die englische Originalausgabe lesen, denn dort steht der perfekte Begriff dafür: embrace. Ein so schönes Wort fehlt der deutschen Sprache, denn die Arbeit umarmen wir ja nicht. Wir knien uns bestenfalls rein – umarmen wäre trotzdem erste Wahl. Denn gleich nach der Erkenntnis, dass es harte Arbeit ist, betonen die meisten unserer Gesprächspartner, wie sehr sie genau diese lieben. Ob Angela Ammaturo von Frankie Morello („Wir sind ausgemachte Optimisten“, ab Seite 056), die sagt: „Das Projekt erfüllt mich, ich arbeite fast ununterbrochen daran und ermüde trotzdem niemals an der Arbeit. Ich bin glücklich, überall involviert zu sein.“ Oder Luigi Lardini, Kreativdirektor von Lardini, der es stürmischer formuliert („Passion und Liebe eint uns“, ab Seite 060): „Wir kämpfen jeden Tag für etwas, an das wir glauben.“ Oder Harm Hesterberg, der mit 51 Jahren nach dem Abschied bei Stiesing noch mal in sich ging und der Mode ein klarers „Ja, ich will“, entgegenrief („Auf ein Neues“, ab Seite 086). Was sind wir privilegiert, all diese Menschen aus nächster Nähe zu erleben – was sind wir privilegiert, in dieser harten, aber schönen Branche zu arbeiten. Professionalisierung

Doch nur von Luft und Liebe, das machen Zeiten wie diese klar, lebt es sich nicht. Darum haben wir einen ganzen Schwerpunkt „Schnelles Umschalten“ (ab Seite 026) genannt. Die Uhr, sich zu verändern, tickt hörbar. „Schnelle Entscheidungen, Leistungsfähigkeit, Flexibilität und vollständig digitalisierte Bewirtschaftung aller Prozesse sind die Schlüsselfaktoren für den Erfolg“, ist Luca Orsatti von AT.P.CO und People of Shibuya („Ich liebe meine Marken“, ab Seite 063) überzeugt. Er bringt damit auf den Punkt, was alle insgeheim wissen: Es braucht Professionalität, mangelnde Expertise verträgt diese Branche nicht mehr. Machen Sie es gut, machen Sie es besser! Ihr Team von style in progress

Coverfoto: Trent McMinn

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004 INHALT

020

002 EDITORIAL Hart arbeiten

006 JETZT 068 FINDEN WIR GUT THE LONGVIEW 020 „Die Schlüsselfrage lautet: Wie lernen wir vom Kunden?“ Das Matchesfashion.com-Dreiergespann – Gründer Ruth und Tom Chapman und CEO Ulric Jerome – über den Mut, Fehler zu machen, und die Passion, Händler zu sein.

SO LÄUFT’S SCHNELLES UMSCHALTEN 026 Raus aus der Endlosschleife Stephan Huber über die immer gleichen Lamenti 028 Schwierige Zeiten? Wir nennen es Herausforderung! Wie man sich diesen stellt, wissen unsere Gesprächspartner aus der Branche 034 Rein in die Nische Warum tun, was man kann, die beste Idee ist 038 Mann-zipation Die Henne, das Ei, der Gockel: Warum Männermode krisenresistenter ist 043 „Jeder optimiert seine Außen­ wirkung“ Henning Korb, Einkäufer bei Apropos The Concept Store, hält Erneuerung in der Mode für essenziell 416 style in progress

054

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044 Wer nicht einkauft, kann nicht verkaufen Budgetreduzierung nach dem Rasenmäherprinzip? Mitnichten

064 „Wir sehen unsere Kunden als Partner“ Daniele Fiesoli ist Unternehmer mit Herzblut

049 „Mode ist nicht mehr unser Geschäft“ Franco Savastano, CEO von Jelmoli, zieht Stil der Mode vor

066 Zusammenrücken Ein neuer Händlerkreis formiert sich: L’Incontro

050 Alle nach Hause? Hat Produktion in Europa eine Chance auf ein Comeback?

VOR ORT

053 „Deutschland hat Innovationskultur, wir müssen sie nutzen“ Lisa Lang vom Fashiontech-Start-up ElektroCouture, über die Möglichkeiten des 3-D-Drucks 054 Bel Paese: Italienische Unternehmer stemmen sich der Krise entgegen 056 „Wir sind ausgemachte Optimisten“ Angela Ammaturo von Frankie Morello über den Einstieg ihrer Familie ins Mode­ geschäft 058 „Wir laufen nicht, bevor wir gehen können Silvia Mazzoli von Ottod’Ame über strategischen Denken 060 „Passion und Liebe eint uns“ Luigi Lardini hat Argumente für sein Familienunternehmen

070 Do It Yourself Heckmann Store/Darmstadt 072 Memories of Lissabon Blue Sense/Heidelberg 074 Ein Zuhause. Dreist/Aachen 076 Heimkommen Eibl am Kajetanerplatz/Salzburg 078 Modern Heritage Oeben’s Mercantile/Utrecht 080 … and Gentlemen Misc/Salzburg 082 Mann, Mann, Mann. Classico Men/Hamburg 084 Komplett Apropos The Concept Store/Hamburg

062 „Wir wollen das Handwerk nicht aus den Augen verlieren“ Paolo Rossi von Alpha Studio hat seine Marke als Servicekaiser positioniert

086 Auf ein Neues Sailor & Harbour/Bremerhaven

063 „Ich liebe meine Marken“ AT.P.COs und People of Shibuyas Mastermind Luca Orsatti im Interview

Keep Your Story Straight!

088 EDITOR’S LETTER 088 IMPRESSUM


c a m pa i g n d e s i g n i n c o o p e r at i o n w i t h l e n a p e t e r s e n

JAnuArY 17–19 2017 s tAt i o n - b e r L i n

w w w. p r e m i u m e x h i b i t i o n s . c o m


jetzt

006

Stefano Colombo, Marketing Colmar, Sunnyi Melles und Hubertus von Hohenlohe.

Colmar #colmarlive

Andrea Canè, Woolrich Europe Creative Director, freut sich über die Gründung der neuen Tochtergesellschaft Woolrich Germany.

Woolrich Neue Tochter Es ist ein fundamentaler Schritt: Mit Woolrich Germany hat die Marke jetzt eine neue Tochtergesellschaft für Deutschland und Österreich ins Leben gerufen. „Beide Länder sind essenzielle strategische Märkte für den Erfolg und das Wachstum von Woolrich John Rich & Bros“, so Andrea Canè, Woolrich Europe Creative Director. „Wir freuen uns, mit unseren deutschen Partnern noch enger zusammenzuarbeiten, und investieren mit dem Schritt erheblich in die Entwicklung unseres Markenwerts.“ Damit werden die langjährigen Woolrich-Repräsentanten Henrik Soller und Florian Ranft von der Agentur Komet und Helden aktive Gesellschafter dieses New Venture, dessen Headquarter sich wie die Agentur in München positioniert. Deutschland und Österreich bilden den zweitwichtigsten Markt für Woolrich, dessen Entwicklung und Wachstum dank der neuen Tochtergesellschaft noch effizienter vorangetrieben werden soll. So wird der Fokus wesentlich auf der Stärkung der Partnerschaften mit den besten Händlern sowie dem Ausbau neuer Shop-in-Shop-Areas liegen. Aktuell führen in Österreich und Deutschland 180 Boutiquen und Departmentstores die Marke Woolrich. Dazu kommen eigene Stores in München, Berlin, Hamburg und Sylt, denen Anfang 2017 Stuttgart folgen wird. Weiters gelten Städte wie Wien, Düsseldorf und Frankfurt als bevorzugte Städte für Store-Eröffnungen. Im Mai wurde die erste Pre-Kollektion für Frühjahr/Sommer 2017 gezeigt, die im November ausgeliefert werden soll. Diese Pre-Kollektion gilt als erster Schritt für ein neues Timing, das vier Kollektionen mit sechs Auslieferungen jährlich vorsieht, für eine kontinuierliche Warenversorgung der Händler am Point of Sale. www.woolrich.eu

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Die Marke Colmar hautnah erleben – unter diesem Motto stand ein Event im Oktober in Wien. Mit prominenten Gästen wie Fotograf Hubertus von Hohenlohe, der Schauspielerin Sunnyi Melles, der Moderatorin Bianca Schwarzjirg sowie Constantin zu Sayn-Wittgenstein-Sayn als DJ wurde im Saal der Labstelle gefeiert. Rund 150 Kunden und Gäste aus Presse und Society sollten die Marke ganzheitlich erfahren, so Colmar-Marketingleiter Stefano Colombo, der für den Termin extra nach Wien gereist war. Auf dem Laufsteg wurde die aktuelle Winterkollektion gezeigt. Mit Aktionen wie dieser will Colmar unter dem Motto und Hashtag #colmarlive die direkte Interaktion mit den Kunden verstärken, die Markenposition stärken und – selbstverständlich – Marktanteile gewinnen. Nach Wien ist die nächste Hauptstadt dran – Paris! www.colmar.it

0039 Italy Statement Anfang September hat die Marke 0039 Italy ihren siebten Store in Frankfurts neuem Premium-Fashiondistrikt, dem Ma’ro Opernquartier, eröffnet. „Unserem Agieren gehen immer lange Überlegungen voraus“, so Aysen Bitzer-Bourak, die die Stuttgarter Marke gemeinsam mit ihrem Mann Rachid Bourak gegründet hat. „Mit dem Bau des Ma’ro ergab sich für uns natürlich eine wunderbare Gelegenheit, 0039 Italy in Frankfurt zu präsentieren.“ 0039 Italy steht seit der Gründung vor 15 Jahren für die feminine Bluse, ergänzt von

einer Komplettkollektion plus Accessoires. Typisch für 0039 Italy sind energetische Farben und phantasievolle Muster, gern mit raffinierter Schnittführung und mit detailverliebten Applikationen. Alle Materialien stammen ausschließlich aus Italien, gefertigt wird in Europa. Weitere Stores von 0039 Italy gibt es unter anderem in Paris und Florenz, Berlin und München. „Dennoch ist der hochwertige Fachhandel der Partner unserer Wahl und für den Erfolg der Marke überlebensnotwendig“, betont Aysen Bitzer-Bourak. „Repräsentanzen wie in Frankfurt sind zwar strategisch wichtige Stützpunkte, aber sollen auch in Zukunft eher die Ausnahme bleiben.“ www.0039italy.com

Der siebte Store von 0039 Italy präsentiert sich in Frankfurts neuem Fashiondistrikt, dem Ma’ro Opernquartier.



008 jetzt

PME Legend Erster Flagshipstore in Deutschland Ende Oktober wird der erste Flagshipstore von PME Legend in Deutschland seine Türen im Oberhausener Shoppingcenter Centro öffnen. Auf einer Verkaufsfläche von 270 Quadratmeter wird die gesamte Kollektion der niederländischen Männermarke mit ihrem unverwechselbaren Cargo-Piloten-Konzept erhältlich sein. Das Interieurdesign des Stores orientiert sich am Look der Messestände und Shop-in-Shop-Flächen, die mit viel gealtertem Holz und genietetem Stahl aufwändig inszeniert werden. Deko-Elemente wie alte Flugzeugmotoren mit großen Propellern und Tragflächenteile oder Bordinstrumente alter amerikanischer Flugzeuge spiegeln bis ins kleinste Detail den Aviator-Look der Marke gekonnt wider. Im letzten Jahr wurde der erste 400 Quadratmeter große Flagshipstore von PME in der belgischen Modemetropole Antwerpen eröffnet, ein zweiter folgte in Gent. Die Marke gehört zur holländischen Gruppe Just Brands und wird bisher in Deutschland bei über 500 Verkaufsstellen im Facheinzelhandel vertrieben. www.pme-legend.com Frischer Wind im Centro: PME Legend bringt Freiheit und Abenteuer nach Oberhausen.

Kunert Blue Grünes Denken und Handeln In Immenstadt im Oberallgäu hat das Traditionsunternehmen Kunert – bekannt für seine hochwertigen Socken und Strümpfe für Männer, Frauen und Kinder – Qualität, Trendbewusstsein und Verantwortungsgefühl gegenüber der Umwelt binnen einer Entwicklungszeit von sechs Monaten in die Tat umgesetzt. Den Anstoß für die Produkte der neuen Blue Line gab die Frage: Kann man in der Mode hochwertige ProdukWeltneuheit: Die Kunert Blue te aus Altwaren herstellen? Strumpfhosen werden aus Nylon­ Heraus kam eine Strumpfhose, abfällen gefertigt, die aus den gefertigt aus Econyl, einem Weltmeeren gefischt werden. Material, das zu 100 Prozent aus Abfällen wie Fischernetzen gewonnen wird. Und so lautet der Claim der Kunert Blue Line: „Fashion that respects the circle of life.“ Diese wird ab dem 21. Januar 2017 im Handel unter anderem bei KaDeWe, Breuninger, Ludwig Beck und Engelhorn erhältlich sein und beinhaltet drei Feinstrumpfhosen in bis zu acht Farbtönen, die zu VK-Preisen von 16 bis 18 Euro angeboten werden. Kunert hat bereits 1991 seine erste Ökobilanz veröffentlicht und will nun mit der Kollektion Blue beweisen, dass Upcycling funktioniert. Schon im Mai präsentierte Kunert seine Strumpfhosen aus recyceltem Nylon als Weltneuheit auf den Green Tec Awards in München. Auf greenwindow.com kann seitdem die erste Edition der nachhaltigen Strumpfhosen vorbestellt werden, die dann zu Weihnachten, rund vier Wochen vor dem offiziellen Verkaufsstart ausgeliefert werden. www.kunert.de

CG Club of Gents Eine Warteschlange! Und was für eine! Schon auf der Messe Panorama sorgte CG Club of Gents mit seinen gratis Minimal-Tattoos für Aufsehen: Händler wie Wagener, Reischmann und Breuninger waren schnell überzeugt, dass ein solches Event auch bei ihnen stattfinden sollte. Schon die ersten Stationen der Roadshow bei Wagener in Baden-Baden und Rieschmann in Kempten waren äußerst gut besucht. Was dann in Nürnberg bei Breuninger los war, überraschte alle. Fast fünf Stunden, bevor am verkaufsoffenen Sonntag die Tore öffnen sollten, hatte sich eine Warteschlange gebildet, auf Facebook hatten 6.000 Teilnehmer verbindlich zugesagt. Jürgen Putzer, Marketingleiter von CG Club of Gents: „Unkonventionelle Ideen, die auch überraschen – wie unser Beispiel zeigt –, können dazu beitragen, dass es am POS zugeht, wie bei einem Rockkonzert. Manchmal braucht es mehr Mut als große Investitionen.“ Weitere Stationen sind garantiert – und CG Club of Gents beweist, dass die Strategie, auf Social Media zu setzten, richtig ist. www.cg.fashion 416 style in progress

Lange vor Ladenöffnung standen schon die Menschen an – CG Club of Gents versprach gratis Minimal-Tattoos.



010 jetzt

Einwaller Familien-Statement Mutige Investitionen haben die Einwallers seit jeher getätigt und ihr Familienunternehmen damit zu den Großen im stationären Premiummodehandel gemacht. Jetzt hat Einwaller einen zusätzlichen neuen Weg eingeschlagen und Mitte August seinen Onlineshop einwaller.com gestartet. „Wir haben uns lange vorbereitet und nutzen mit diesem relativ späten Onlineeinstieg den Vorteil, dass die Technik heute ausgereifter ist“, so Theresa Minatti-Einwaller. „Für unsere Zukunft müssen wir online und stationär verbinden, zumal wir an einem touristischen Standort sind und mit dem Onlineshop die Möglichkeit haben, unsere Kunden ganzjährig versorgen zu können.“ In der Innsbrucker Altstadt gibt es sechs Einwaller-Geschäfte: Anna und Joseph für den hochwertigen Designerbereich, dazu kommen Sportsmann und Sportsfrau, ein Shop für Kids und ein Outlet. „Der Onlineshop bildet aber nicht das ganze Portfolio ab, sondern wir zeigen nur das, was spannend und innovativ ist“, sagt Minatti-Einwaller, die für den Einkauf zuständig ist. „Wir stehen für Design und wir stehen für Farbe, das möchten wir auch online abbilden.“ Mit dem Onlineshop ist Minatti-Einwallers Bruder Ambros Einwaller betraut. Sie selbst verantwortet den Einkauf der Womenswear, während sich ihr Mann Alexander Minatti um die Menswear kümmert. Josef Einwaller ist der Gründer des Unternehmens. Er gilt als Macher und Visionär, der das Business strategisch lenkt. www.einwaller.com

Jana Kern & Alex Vogt Unterneh­ merische Gesellschafts­ verantwortung Eine Familie, ein Unternehmen: Bei den Einwallers hat jeder seinen Aufgabenbereich, die Zusammenarbeit ist eng und auch mit den anderen Mitarbeitern familiär. Joseph Einwaller (Einzelfoto) ist das Familien- und Geschäftsoberhaupt.

Sagmeister Eleventy Monostore Mitte September öffnete der erste Eleventy Monobrandstore außerhalb Italiens seine Pforten – ausgerechnet im österreichischen Dornbirn. Dort hatte Clemens Sagmeister von Sagmeister der Mann das Geschäftslokal seines Ladens zur Verfügung gestellt: „Unsere Kunden gehen nicht zum Schmiedl, die wollen zum Schmied. Das bedeutet, dass auch die Dornbirner lieber in unserem Hauptgeschäft in Bregenz einkaufen. Folglich haben wir uns entschieden, am Standort Dornbirn etwas ganz anderes zu machen.“ 100 Quadratmeter ist der Eleventy Store groß, den die renommierten italienischen Architekten Parisotto & Formenton umgebaut haben. Das Büro gestaltete bereits die Flagshipstores von Ferragamo in Tokio und Nespresso in Paris. www.sagmeister.at, www.eleventy.com

200 Gäste ließen sich die Eröffnung des Eleventy Stores nicht entgehen.

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Auf der Munich Fabric Start stellten die Journalistin und Textil- und Bekleidungsingenieurin Jana Kern und der Textilbetriebswirt Alex Vogt ihr gemeinsames Buch „Future. Fashion. Economics. – Der Guide für zukunftsorientiertes, verantwortungsbewusstes Wirtschaftsdenken in der Modebranche“ vor. Die Autoren sind Kommunikationsund Strategieberater mit Schwerpunkt Corporate Responsibility und wollen den Begriff Nachhaltigkeit neu interpretieren. Dazu verknüpfen sie Innovationsgeist mit neuen Denkmustern und entwerfen ein zukunftsorientiertes Bild der Mode- und Textilbranche. Anhand von Szenarien, Best-Practice-Beispielen, Dossiers und Experteninterviews zeigen sie aktuelle Entwicklungen und geben Empfehlungen für erfolgreiches, verantwortungsbewusstes Handeln. Der Klappentext verspricht eine Pflichtlektüre für Entscheider und Strategieverantwortliche aus Mode, Handel und Kreativwirtschaft sowie alle, die Unternehmensführung und Wertschöpfung aus einer anderen Perspektive betrachten wollen. Erschienen ist das 208 Seiten umfassende deutsch-englische Buch im Deutschen Fachverlag, kostet 68 Euro und kann mittels ISBN 978-3-86641-316-0 in jeder noch so kleinen Buchhandlung bestellt werden. www.dfv-fachbuch.de


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jetzt agen turen

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Amtraq Distribution Zeitge­ schehen

Room Nine Agency Jacken-Innovation Sie wiegen praktisch nichts und halten dennoch warm. Kanuk heißt die hochwertige Jackenkollektion aus Montreal, die neu im Portfolio der Room Nine Agency ist. „Die Daunen sind leichter als alles jemals da gewesene“, so Agenturinhaber Torsten Müller. „Noch dazu kann keine Daune aufgrund der revolutionären Thindown-Daunenvlies-Verarbeitung durch den Stoff dringen.“ Kilt Heritage geht in die zweite Saison bei Torsten Müller. Die Jacken und Mäntel stammen aus Italien und sind wind- und wasserdicht. Dazu besticht die Kollektion mit bis zu 14 Farben pro Style – und verschiedensten Futterstoffen zur Auswahl, vom grafischen Dessin bis hin zum Palmenmuster. Die VK-Preise liegen zwischen 139 und 199 Euro bei einer Kalkulation von 3,0. Aus Amsterdam stammt die sehr modische Linie Piogg aus dem Hause Rainfest. „Alle Mäntel sind wasserdicht, aber das Besondere daran ist das Material, denn die Firma hat es geschafft, Wolle und Jacquard-Wolle wasserdicht zu machen“, so Torsten Müller. Ein Klassiker der Room Nine Agency bleibt C.P. Company. „Die letzte Saison war wieder hervorragend und wir konnten unter anderem den Masculin-Kreis und Breuninger für die Marke gewinnen“, so Müller, der seine Handelskunden künftig noch stärker am POS unterstützen möchte, mit Service und Produktschulungen. Labels: Blake Seven Shirts, C.P. Company, Flip Flop the Original, Kanuk Jackets, Kilt Heritage Rainwear, Piogg Rain Couture, Sunhouse, Womsh Sneaker Room Nine Fashion Agency, Düsseldorf/ Deutschland, torsten.mueller@roomnineagency.de, www.roomnineagency.de

Timex Archive Uhren mit Armbändern made in Italy.

Seit diesem Jahr bietet die Frankfurt Agentur Amtraq Distribution die Kollektion Timex Archive für Deutschland, Österreich und die Schweiz an. Die Ware ist noch zum Weihnachtsgeschäft lieferbar. Diese Kollektion wird ausdrücklich nicht über Juweliere, Uhrenfachgeschäfte oder Kaufhäuser angeboten, sondern ausschließlich über Herrenausstatter, Heritage Stores, Accessoire- und Conceptstores vertrieben. Die Firma Timex gibt es seit 1854 und ist einer der ältesten Uhrenhersteller weltweit. Die Kollektion basiert auf berühmten Modellen aus dem großen Archiv von Timex in Waterbury in den USA. Es gibt einen Warenpräsenter, der wie ein alter Plattenspieler gestaltet ist, an dem die Kunden im Laden die

Uhr mit einem zweiten Band aussuchen können. Die Outdoor- und Sportmodelle, Militäruhren wie die MK1, klassische Modelle aus den 1940er- und 1950er-Jahren mit Einflüssen von Ivy League und Preppy kommen vorwiegend mit gewebten Textilarmbändern, Natostraps oder gewaschenen Lederbändern, die alle in Italien entworfen und gefertigt werden, zu VK-Preislagen von 60 bis 150 Euro. Federführend hierfür ist Cristiano Berto, Gründer und Designer der Marke 1st Pat-Rn, die ebenfalls von Amtraq Distribution für die D-A-CH-Region sowie in Belgien und den Niederlande vertrieben wird. Marken: 1st Pat-Rn, Croots, East Harbour Surplus, Manifattura Ceccarelli, Orcival, Tellason, Timex Archive, Topo Designs, Vetra Amtraq Distribution Gmbh & CoKG, Frankfurt/ Deutschland, T 0049.69.96230423, mail@amtraq.com, www.amtraq.com

Alles aus einer Hand – Ben and bietet seinen Marken und Kunden Dienstleistungen, die weit über die üblichen Tätigkeiten einer Agentur hinausgehen.

Ben and 360 Grad

Blake Seven aus Holland steht für Prints auf Sweats und Tees, eine Kollektion der Room Nine Agency.

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„Wir wollen für unsere Marken ein 360-Grad-Service bieten“, sagt Ben Botas, Inhaber der Agentur Ben and. Er erfüllt das Versprechen mit Taten: In München wurde für Logistik und Lizenzgeschäft ein eigenes Office mit sieben neuen Mitarbeitern gegründet. Ebenfalls neu ist eine eigene E-Commerce Unit mit drei Mitarbeitern, die sich zunächst um das Onlinegeschäft der Lizenzmarke Ben Sherman kümmert. Hiefür wurde als Head of E-Commerce Heike Schwimmbeck (vormals Head of E-Commerce bei Strenesse) eingestellt. „Momentan sprechen wir konkret mit weiteren interessanten Marken, die ebenfalls an unserem 360-Grad-Service Interesse haben“, erzählt Botas. Auch soll das eigene Retailnetz erweitert werden. „Vier Ben Sherman Shops betreiben wir selbst, 2017 werden im ersten Schritt zwei zusätzliche Standorte, Hamburg und Frankfurt, folgen.“ Mit all diesen Angeboten wird das Portfolio der Agentur vollstufig: „Produktion, Logistik, Wholesale, stationärer und Onlinehandel, dazu Marketing und Visual Merchandising, wir betrachten jede unserer Marken umfassend“, schildert Botas die Strategie. Auch Showroom-seitig gibt es Neuerungen: „In Düsseldorf haben wir das Team noch mal um zwei neue Mitarbeiter verstärkt.“ Labels: Ben Sherman, Cervolante, Dstrezzed, iBlues, Ivy Copenhagen, Manuel Ritz, Mason’s, Matinique, Nabholz, Sand Copenhagen, Refrigiwear Ben and, Düsseldorf, Hamburg, München/Deutschland, agency@ben-and.com, www.ben-and.com


jetzt agenturen 013

Marco Stein Concepts Neue Impulse

Stilistische Reise zwischen Orient und Okzident auf der Paris Fashion Week: Die Kollektion Frühjahr/Sommer 2017 von Nobi Talai.

Die meisten kennen Marco Stein aus der Zeit, als er für J Brand die EMEA-Region aufgebaut hat oder als Country Manager und Sales Director für 7 for all Mankind. Mittlerweile hat er sich in Berlin mit einer Consulting-Agentur selbstständig gemacht. „Neben der Beratung von etablierten Unternehmen im Premium- und Luxussegment liegt der Fokus auch auf der Unterstützung junger Labels aus dem hochwertigen Life­ stylebereich, um ihnen neue Impulse und vor allem Zugang zu einem erstklassigen Netzwerk zu ermöglichen. Ich verstehe mich dabei als eine Art Kontakter und bringe die Labels je nach Bedarf mit den richtigen Leuten aus Retail, Medien und Gesellschaft zusammen. Die Anforderungen der Kunden sind unterschiedlich, je nachdem, wie diese aufgestellt sind. Dabei geht es hauptsächlich um spezifische Beratung hinsichtlich der Marktanforderungen, kommerzielle Aspekte, Preisgestaltung, Standortwahl, Eventplanung sowie Marketing und Sales“, beschreibt Marco Stein sein Konzept. Die Berliner Designerin Nobi Talai (nobitalai. com) und die Marke Vana (www.vana-shree. com) sind die Kunden, die derzeit als Referenzen genannt werden dürfen. Marco Stein Concepts, Berlin/Deutschland, T 0049.172.2120120 ms@steinconcepts. com, www.steinconcepts.com

Vestitus Auf höchstem Niveau Neu in der Agentur Vestitus ist das Label Tortona 21 aus dem Hause Antonelli, eine Strickkollektion, die mit puristischem Stil und italienischer Eleganz punktet. Für Cashmere liegen die Verkaufspreise zwischen 180 und 300 Euro, für Leinen zwischen 140 und 250 Euro. „Wir stehen für Kollektionen, die das pure Made in Italy verkörpern“, sagt Peter Haertel, Geschäftsführer von Vestitus. „Das sind zeitlose Kollektionen, die qualitativ und handwerklich höchsten Ansprüchen genügen.“ Als solche Agentur geht es Peter Haertel auch stark um das Produkt: um den bedruckten Seidenblazer von Alberto Biani beispielsweise, den Santoni Doppelmonk, einem Schnallenschuh, der jetzt neu und sportiv als Sneaker mit Kautschukboden interpretiert wird, oder um das Etuikleid von Antonelli. Die Marke Jacob Cohën, die ihre Wurzeln im Jeansbereich hat, forciert aktuell ein spezielles Denimwall-Konzept, für eine noch professionellere Präsentation am Point of Sale. Des Weiteren liegt der Fokus von Vestitus auf besonderem Service. „Wir bemühen uns, zeitnah die Abverkäufe zu prüfen, um gegebenenfalls schnell reagieren zu können“, so Haertel. Dazu gehört auch das Engagement in Form von Trunkshows, Produktschulungen und Made-to-measure-Events. Labels: Antonelli, Alberto Biani, Fedeli, Finamore, Herno, Jacob Cohën, L.B.M., Olivieri, Santoni, Tortona 21 Vestitus GmbH, Düsseldorf/Deutschland, service@vestitus.eu, www.vestitus.eu

Antonelli aus Florenz gilt als Shootingstar bei Vestitus, mit aktuell 80 Kunden in Deutschland und Österreich.

Open Ceremony aus New York startet jetzt bei Brama.

Brama Gallery Aus dem Under­ ground Neu an Bord ist bei Brama Local Authority Los Angeles. Das Label mit dem Slogan „The Fucked up Friends Club“ ist dort mit der Pre-Kollektion Frühjahr 2017 gestartet und stammt aus Malibu, Kalifornien. Gegründet von zwei Freunden mit Begeisterung für Vintagestyle, Kunst und Musik, spiegelt die Kollektion die Underground-Kultur der Surf-, Skate- und Motorbike-Szene aus Los Angeles wider und hat prominente Fans von Kendall Jenner über Gigi Hadid bis hin zu Kirsten Stewart. Zu den Fans im deutschen Handel zählen unter anderem Stylebop, Mytheresa, Breuninger, Petra Teufel, Pool und Jades. Die Preise liegen im EK bei 48 Euro für T-Shirts und 85 bis 105 Euro für Sweats, die Kalkulation ist 2,7. Ebenfalls neu ist Opening Ceremony. „Wir freuen uns über den Zuwachs, die Marke steht im perfekten Einklang mit unserem Brand-Portfolio und füllt das Ready-to-wear-Segement, in dem wir bis jetzt auf diese Weise noch nicht präsent waren“, so Renzo Braglia, CEO von Brama. Opening Ceremony wurde 2002 von Carol Lim und Humberto Leon gegründet und hat sich bis heute zu einem globalen Unternehmen entwickelt. Die EK-Preisrange startet bei 125 Euro für Hosen bis hin zu 250 Euro für Bomberjacken bei einem Mark-up von 2,7. Für beide Kollektionen ist die Brama Gallery mit dem Vertrieb für die D-A-CH-Region betraut, während die Brama Gruppe für den gesamt­ europäischen Markt, den Nahen Osten und Russland zuständig ist. Labels: Current Elliott, Enza Costa, Equipment, Grey Jason Wu, Isapera, James Perse, J Brand, Local Authority, Mother, Norma Kamali, Opening Ceremony Brama Fashion Gallery, Düsseldorf und München/Deutschland, info@bramagallery.de, www.bramagallery.de

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014 jetzt

agenturen

Hinterhof­ agentur Lager läuft Selbst bei spätsommerlichen Temperaturen im Herbst ist man bei der Hinterhofagentur mit dem Sofortgeschäft mehr als zufrieden. „Wer den Mut hatte, über die Vororder hinaus ein adäquates Lager zu planen, profitiert jetzt davon. Die Kunden sind auch für neue Produkte offen, wenn sie gerade ins Sortiment passen. So konnten wir sogar bei dem einen oder anderen Kunden den Einstieg für neue Marken öffnen“, erklärt Dominik Meuer. Seine Lieferanten stellten sich auf die veränderten Bedürfnisse der Kunden ein und reagierten mit einem entsprechend sortierten Lager. Im DOB-Segment vor allem Des Petits Hauts, Lab Dip, Wyse und Cape Horn; bei den Herren die Marken Breco’s, Bob, Wool & Co, Cape Horn und Portofiori. „Man ist teilweise in der Lage, eine komplette Vororder über das Lager zu bestücken. Dieser Service wird von unseren Kunden sehr geschätzt. Wir ermutigen unsere Lieferanten zu einem sinnvoll geplanten Saisonlager. Bob legt zum Beispiel im Mantelbereich die Bestseller noch einmal auf – mit drei Wochen Produktionszeit. Diese kurzfristigen Schnellschüsse erhöhen die Trefferquote am POS.“ Labels: Bob, Breco’s, Cape Horn, Des Petits Hauts, Lab Dip, My Bro Tie, My Sunday Morning, Portofiori, Rose & Rose, The Jacksons, Wool & Co, Wyse Die Hinterhofagentur, München/Deutschland, d.meuer@diehinterhofagentur.de, www.diehinterhofagentur.de

Bei der Hinterhofagentur setzt unter anderem die Kollektion von Cape Horn auf einen Service übers Lager.

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Heritage Agents Alles für den Kunden „Die Anforderungen an unsere Marken zum Thema Nachversorgung der Kunden in der Saison sind definitiv gestiegen“, sagt Malte Kötteritz von den Heritage Agents. Für die kommende Saison hält die Münchner Agentur mit Sitz im Lodenfrey Park an ihrem bestehenden Portfolio fest und hat ihre Lieferanten dementsprechend gebrieft: „Sie haben sich dieses wichtigen Themas angenommen und sich neu positioniert.“ Damit bezieht sich Malte Kötteritz sowohl auf die saisonale wie auch auf die ganzjährig verfügbare NOS-Ware und Lagerprogramme, die in der Summe mehr geworden sind, denn auch die Nachfrage nach individuell gefertigten Produkten als Nachordermöglichkeit sei gestiegen. „Die Erfüllbarkeit spezieller Endverbraucherwünsche steht absolut im Fokus, dafür machen wir unseren Kunden Umlagerungen und auch Importe aus anderen Märkten möglich.“ Labels: 04651/, Coats Milano, Lardini, Mey Story, Pantaloni Torino Heritage Agents, München/Deutschland, info@heritage-agents.com, www.heritage-agents.com

Eine Erfolgsstory bei den Heritage Agents: die italienische Mantelkollektion Coats.

MAB Modeagentur Benabou Modische Freigeister Regis Benabou expandiert mit seiner Modeagentur weiter – und hat ab sofort den weltweiten Vertrieb von Rachel Zoe übernommen, der vpn Düsseldorf aus gesteuert wird. Das Label aus den USA startete mit der Frühjahr-/Sommer-Saison 2015 bei MAB. Aktuell hat MAB auch einen Showroom in Paris eröffnet, der die gesamte Produktion von Rachel Zoe zeigt, mit Ready-to-wear, Accessoires und Schuhen. Auch die zwei Neuzugänge werden weltweit von der Agentur vertrieben: Designers Remix und Lunar Society. Designers Remix ist von der amerikanischen Sportswear der 1970er-Jahre inspiriert, wie sie in dem Film „The Royal Tenenbaums“ von Wes Anderson zu sehen ist: minimalistisch, soft und luxuriös. Das Label Lunar Society wurde neu in Düsseldorf gegründet und versteht sich als modische Hommage der gleichnamigen, 1765 gegründeten Gesellschaft von Wissenschaftlern und Philosophen als Freigeister des 18. Jahrhunderts, die sich einmal monatlich bei Vollmond trafen, um dessen kreative Kraft zu erforschen. Die Basic Line von Lunar Society ist genderneutral und unterstreicht mit fließenden Materialien die jeweilige Körperform, während sich die Fashion Line tragbarer Avantgarde und puristischem Chic verschrieben hat, mit sozialverträglich produzierten Baumwoll-Tees und leichten Cashmere-Seidegestricken. Labels: 3∙1 Phillip Lim, Ba&sh, BLK DNM, Designers Remix, Jimmy Choo Textile Accessoires, Lunar Society, Kenzo Men Shoes, Mackage, National Standard, Paul & Joe, Paul & Joe Sister, Proenza Schouler, Rachel Zoe, The Kooples, The Kooples Jeans, The Kooples Sport MAB Modeagentur Benabou, Düsseldorf/Deutschland, dirkhellfeuer@mab-fashion.com, www.mab-fashion.com

Designers Remix ist neu bei MAB und wird von der Düsseldorfer Agentur weltweit vertrieben.


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Gallery Düsseldorf Neue Laufzeiten Die Igedo Company hat die Dauer der Gallery Düsseldorf auf drei Tage verkürzt und für alle Segmente vereinheitlicht. Damit beginnt die Messe künftig am Samstag und endet am Montag. Das gilt nicht nur für das Ordergeschäft auf dem Areal Böhler, sondern auch für den Bereich Gallery Evening & Occasion, der so unter dem Dach der Gallery weiter wachsen und von der angeglichenen Terminierung profitieren soll. Ulrike Kähler, Project Director Gallery erklärt: „Die Veränderung der Laufzeit rührt aus einer Besucherdatenanalyse, die unsere Vermutung bestätigt hat: Drei Tage sind ausreichend für ein erfolgreiches Order­ geschäft am Standort Düsseldorf. Unberührt davon bleibt unser bekanntes Showroomkonzept für Agenturen und Premium-Brands, die über die Kerntage der Gallery hinaus weitere Termine vor und nach der Veranstaltung vereinbaren können.“ Im Zuge von mehr Klarheit und Struktur für Aussteller und Besucher wird der Bereich Organic Fair Trade Fashion in Green@GALLERY umbenannt. Bereits im Juli 2016 hatte sich das Segment stark vergrößert und verzeichnet reges Interesse bei potenziellen Neuausstellern. „Internationale Agenturen, bisherige Aussteller und Neuinteressenten signalisieren zum aktuellen Zeitpunkt ihr Kommen zu unseren Veranstaltung im Januar 2017. Für uns ist das ein Zeichen der Zufriedenheit, wenn unsere Kunden immer wieder zu uns zurückkehren. Das stimmt mich positiv. Ich weiß, wir gehen den richtigen Weg mit der Gallery“, sagt Ulrike Kähler. 28. bis 30. Januar 2017, www.gallery-duesseldorf.com

Identische Dauer für alle Segmente bei der Orderplattform Gallery in Düsseldorf.

GDS Näher an die Saison

Ab November öffnet sich die Panorama den Endverbrauchern – zunächst in einem Soft-Launch über die Panorama Digital B2C Version, die es ermöglicht, virtuell über die Messe zu schlendern.

Panorama Retailorientiert Mit Lingerie, Wäsche und Homewear erweitert die Panorama erneut ihr Ausstellerportfolio. Zur Premiere des neuen Segments werden rund 40 Marken ihre Kollektionen auf 1.300 Quadratmeter zeigen, darunter DKNY, Guess, Spanx, Stella McCartney sowie Bruno Banani. Dazu kommen Lounge und Bühne in einem von der Panorama hochwertig gestalteten Ambiente. Ebenso gibt es mit der Herbst-/ Winter-Saison 2017/18 ein neues Konzept mit zwei Hallen, in denen Schuhe und Accessoires jetzt gemeinsam präsentiert werden. „Wir werden Schuhe und Accessoires wieder kombinieren und zu einem inspirierenden Ganzen arrangie-

ren“, so Jörg Wichmann, CEO Panorama Berlin. „Darüber hinaus möchten wir die einzelnen Stände aufbrechen und zentrale Flächen schaffen, auf denen wir die Produkte Retail-orientiert präsentieren.“ Auch der Bereich Hipstar für Size + Größen, gelauncht zur letzten Saison, wird mit einer weiteren 1.300 Quadratmeter großen Halle vergrößert. Mit Panorama Digital B2C Version öffnet sich die Messe ab November für die Endverbraucher. Sie können virtuell über die Messe schlendern und sich von den aktuell im Handel befindlichen Kollektionen der Aussteller inspirieren lassen. Ein Store-Locator verknüpft die digitale Plattform mit dem Handel. 17. bis 19. Januar 2017, www.berlin-panorama.com

Zur kommenden GDS Anfang Februar erwartet die Düsseldorfer Messe über 700 Brands. Die Messe findet von Dienstag bis Donnerstag statt. Die darauffolgende Veranstaltung im Sommer 2017 dagegen sieht einen neuen Termin vor: Anfang September mit der Tagefolge Sonntag bis Dienstag. Damit rückt die GDS wieder näher an ihren alten Rhythmus und damit auch näher an die Saison. „Die Schuhbranche ist weiter in Bewegung, darauf müssen wir reagieren“, so Werner Matthias Dornscheidt, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Düsseldorf. „Vor drei Jahren haben wir in Absprache mit Industrie und Handel die GDS mit einem frühen Termin als Kommunikations- und Informationsmesse positioniert – passend zum damaligen Status quo. Inzwischen ist viel passiert und es herrscht eine große Dynamik im Schuhmarkt. Es hat sich herauskristallisiert, dass sich die Branche eine starke internationale GDS wünscht. Wichtig ist der Branche auch, dass die GDS näher an die Saison rückt.“ Mit den Messetagen von Sonntag bis Dienstag möchte man die umsatzstärksten Tage umgehen und so den kleineren Einzelhändlern entgegenkommen. 7. bis 9. Februar 2017, www.gds-online.com

Die GDS reagiert auf die Dynamik im Schuhmarkt.

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messen

Munich Fabric Start Schlagkraft mit Strategie Als eine der weltweit größten Messen für Fabrics und Additionals hat die Munich Fabric Start in ihrem 20. Jahr ihre Schlagkraft eindeutig erhöht und ein klares Statement in der strategischen Ausrichtung gesetzt. Mit dem MOC und dem benachbarten Zenith-Gelände wurde die Ausstellungsfläche für zukunftsweisende Segmente mit hohem Entwicklungspotenzial um über 2.500 Quadratmeter auf eine Gesamtfläche von 42.500 Quadratmeter erweitert. „Vor dem Hintergrund der inhaltlichen und flächenmäßigen Ausweitung bekräftigt die Munich Fabric Start ihre Position der interaktiven Kommunikationsplattform. Mit dem neu geschaffenen Keyhouse, das wir 2017 qualitativ weiter ausbau-

en werden, und Catalyzer, der neuen Halle 6 in der Bluezone mit den Schwerpunktthemen Heritage, Sustainability und Innovation, haben wir eindeutig Position bezogen, hinsichtlich eines zukunftsfähigen Messeformates für einen pulsierenden und nach neuen Konzepten gierenden Markt. Zu unseren Stärken gehört das hohe Maß an Flexibilität sowie schnell und unkonventionell auf Herausforderungen und Entwicklungen der Branche und des Marktes reagieren zu können“, sagt Sebastian Klinder, Managing Director der Munich Fabric Start. Die nächste Ausgabe der View Premium Selection zur Saison Frühjahr/Sommer 2018 findet zum Saisonauftakt am 6. und 7. Dezember 2016 als chronologisch logisch aufbauendes Messeformat im MVG statt und bietet die Möglichkeit zur ersten Sichtung von Material- und Farbtrends. 31. Januar bis 2. Februar 2017, www.munichfabricstart.com

Inhaltlich und flächenmäßig erweitert: Munich Fabric Start.

Supreme Women & Men Keine Zeitverschiebung Die kommenden Ausgaben der Supreme Women & Men finden wie gewohnt von Samstag bis Dienstag statt. Die Munichfashion Company GmbH freut sich über eine sehr gute Buchungslage und steht mit vielen weiteren Herstellern und Agenturen im permanenten Dialog. „Gerade der Handel braucht in punkto Messe Planungssicherheit und einen verlässlichen Partner und Dienstleister. In Düsseldorf im B1 am Bennigsen-Platz, werden über 480 Kollektionen erwartet. In München präsentieren sich im MTC, Haus 1 über 780 Kollektionen – Tendenz steigend. Wir möchten deshalb weder die Tagesfolge noch die Dauer unserer Messen verändern. Hierzu gibt es aus unserer Sicht keinen Anlass. Außerdem verunsichert man durch ständige Veränderungen neben den Besuchern auch die Aussteller. Die Termine beider Veranstaltungen, als auch die Tagesfolge sind optimal gewählt. In Düsseldorf und in München werden die Ordertermine vom Handel sehr konzentriert abgearbeitet, deshalb ist eine Laufzeit von vier Tagen unumgänglich, da aktuell die Händler viel mehr Zeit auf der Messe verbringen als noch vor einigen Saisons“, sagt Aline Schade, Geschäftsleitung Munichfashion Company GmbH. Supreme Women & Men Düsseldorf, 28. bis 31. Januar 2017; Supreme Women & Men München, 11. bis 14. Februar 2017, www.munichfashioncompany.com

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Premium, Seek, Bright, #Fashion­ tech Umzug zum Zenith In der kommenden Saison wird die Premium Order Munich wieder in der Zenith Halle sowie den neu gestalteten Ausstellungs- und Event-Locations Kohlebunker und Kesselhaus auf dem angrenzenden Zenith-Gelände stattfinden. Vom Freitag, 10. bis Sonntag, 12. Februar 2017 werden rund 800 Premiumkollektionen auf 10.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche des ehemaligen Industriestandorts in zum Teil denkmalgeschützten Bauwerken zu sehen sein. Bereits in den Jahren 2006 bis 2013 fand die Premium Order dort statt. Durch emotionalisierte Markenpräsentation vor industrieller Kulisse, gepaart mit reduziertem Interieurdesign, klaren Hallen­ strukturen und einer optimierten Wegeleitung will die Premium die nötige Dramaturgie und niveauvolle Arbeitsatmosphäre für den gehobenen Facheinzelhandel schaffen. „Wir freuen uns, nach fünf erfolgreichen Veranstaltungen im MOC wieder auf das Zenith-Gelände zurückzukehren und die außergewöhnliche Atmosphäre zur Präsentation der Brands und Kollektionen zu nutzen. Service und Dienstleistung stellen auf allen Premium-Veranstaltungen

unser höchstes Ziel und den wichtigsten USP dar. Zusammen mit der Munich Fabric Start sorgen wir auch auf dem Zenith-Gelände für optimierte logistische Standards und die Schaffung einer idealen Arbeitsatmosphäre – so wie unsere Kunden es von uns gewöhnt sind“, sagt Anita Tillmann, Managing Partner Premium Gruppe. Passend zum von der Premium und Seek in Berlin gehosteten Technologie-Konferenzformat #Fashiontech werden die Serviceleistungen für die Aussteller mit der Konzeption und Umsetzung digitaler Content-Strategien erweitert. Daneben werden etablierten Services wie kundenspezifische Networking-Events, Außenwerbung rund um das Messegelände, Sponsoring oder Einbindung von Brand-Profiles in die App, auf der Website oder beim Magazin der Premium weiter ausgebaut. Im Fokus bleibt die Integration neuer Trends und neuer Segmente wie der Bereich Activewear oder der innerhalb der Accessoireflächen positionierte Bereich Kosmetik & Beauty und damit verbunden immer wieder neue Marken, um den Einkäufern einen neuen Blick auf den Markt und aufkommende Trends zu garantieren. 17. bis 19. Januar 2017 www.premiumexhibitions.com, www.fashiontech.berlin, www.seekexhibitions.com, www.brighttradeshow.com

Über die gute Buchungslage freut man sich bei der Supreme Women & Men.


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Selvedge Run Bigger mit Japan Die vierte Edition des Selvedge Run, der in der denkmalgeschützten Berliner Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg stattfindet, wird um eine fünfte Halle erweitert und damit abermals die Ausstellungsfläche vergrößert. Ein absolutes Highlight liefert die japanische Denimstadt Kurashiki in der Präfektur Okayama, die die fünf Marken 241 Co., Kojima Market Place, Senio Second, TCB Jeans und Whoval auf einem großen Gemeinschaftsstand präsentieren wird. Jede dieser Marken stellt zum ersten Mal in Europa auf einer Messe aus und alle fünf arbeiten nur mit den besten Manufakturen aus der Region Okayama zusammen, wo diese faszinierenden Denimkollektionen auf höchstem Niveau produziert werden. Außerdem wird es auf dem Selvedge Run erstmalig einen Conceptstore geben, in dem die Non-Textilen Segmente Home, Mobility, Outdoor, Food und Men’s Grooming gezeigt werden. Damit reagieren die Veranstalter auf den anhaltenden Trend, dass Menswearstores ihre Sortimente mit passenden Lifestyleprodukten erweitern, um ihren Kunden ein allumfassendes Sortiment anbieten zu können. 17. bis 19. Januar 2017, www.selvedgerun.com

Gute Gespräche und gute Geschäfte - auf dem Selvedge Run wird konzentriert gearbeitet.

Der Berliner Mode Salon Kooperation mit Luisa Via Roma

Getty Images für den Berliner Mode Salon

Der konzentrierte Auftritt von mehr als 40 deutschen Designern beim Berliner Mode Salon im Kronprinzenpalais soll die Relevanz der Mode als Kultur- und Wirtschaftsgut in Deutschland veranschaulichen. Gleichzeitig soll das nationale und internationale Bewusstsein für Modedesign aus Berlin nachhaltig gefördert werden, um ein neues, anspruchsvolles und zugleich selbstbewusstes Verständnis von deutscher Mode zu etablieren. Zugleich will die Initiative den Sales-Aspekt durch Kooperationen und einen kontinuierlichen Austausch mit renommierten Luxuskaufhäusern und Conceptstores fördern. Wie gewohnt findet quasi zum Auftakt am Montag die Konferenz Mode & Stil vom Zeit Magazin statt. Dienstag und Donnerstag stehen Defilees und Präsentationen von jeweils vier Designern auf dem Programm. Das Highlight ist die kuratierte Gruppenausstellung am Mittwoch, bei dem ein Querschnitt relevanter deutscher Modedesigntalente neben renommierten Marken wie Escada, Talbot Runhof, Dorothee Schumacher und Iris von Arnim oder jungen aufstrebenden Designern wie Tim Labenda, Golpira, PB0110 und Hien Le gezeigt werden. Erstmals mit dabei sind in dieser Saison Unützer, Brachmann und 22/4_hommes_femme. Darüber hinaus veranstaltet das Modemagazin Vogue eine separate Präsentation in den Räumlichkeiten des Kronprinzenpalais. 17. bis 19 Januar 2017, www.derberlinermodesalon.com

Kommentar

Offensive Signale Die Übernahme der Show & Order durch die Premium Group mag im ersten Moment eine Überraschung gewesen sein, tatsächlich ist dieser Schritt aber zutiefst logisch. Die Premium setzt damit ihren Weg der Differenzierung, also der Schaffung in sich konsistenter Stilwelten fort. Kein einfaches Unterfangen und Gegenstand vieler Diskussionen. Denn auch die Messen sind von der großen Transformation erfasst, die die Modebranche von den Füßen auf den Kopf stellt. In diesem hinsichtlich der Mechanismen völlig veränderten Marktumfeld eine nachhaltige Positionierung zu finden, ist eine große Herausforderung. „Gibt’s hier auch mal was Neues?“ oder „Warum ist denn hier jetzt plötzlich alles anders?“ oder „Das passt doch einfach nicht zusammen!“ usw. Ich kenne diese Debatten seit mittlerweile 25 Jahren. Wie man es auch macht – für manche ist es immer falsch. Wie das Wetter eben. Die entscheidenden Fragen für die Premium Group sind aber ganz andere: 1. Braucht die Modebranche heute und in Zukunft Messen? 2. Woran lassen sich der Mehrwert und die Bedeutung einer Messe festmachen? 3. Welche Kraft hat der Standort Berlin? Mit der Übernahme der Show & Order stellt sich die Premium Group diesen Fragen offensiv und mit unternehmerischem Mut. Das ist ein wichtiges und optimistisches Signal. (sh)

Defilee von Odeeh beim Berliner Mode Salon.

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THIS ONE TIME, A BUYER WALKED INTO A SHOWROOM AND ...


FUN

WHY FASHION HAS LOST ONE OF ITS SUCCESS FACTORS ... AND WHAT WE CAN DO TO REMEDY THE SITUATION! STYLE IN PROGRESS #1/2017

Erscheinungstermin: Publication date: 12. 12thJanuar of January 20172017

office@ucm-verlag.at www.ucm-verlag.at/magazine/style-in-progress/


020 THE LONGVIEW

Händler aus Leidenschaft sei er, sagt Tom Chapman. Die Verschmelzung der stationären Wurzeln und des digitalen Handels ist für ihn völlig logisch.

Tom Chapman „Die Schlüsselfrage lautet: Wie lernen wir vom Kunden?“ 416 style in progress


THE LONGVIEW 021

Ruth Chapman kauft gerne mutig ein, die Auswahl sichert Matchesfashion.com eine beson­ ders modeaffine Klientel.

Ruth und Tom Chapman haben mit Matchesfashion.com aus einem kleinen, ambi­ tionierten Laden in London einen Global Player im Online-Luxus­ segment aufge­ baut – der einzi­ ge, der noch in privaten Händen liegt. Mit dem Umzug in Eu­ ropas höchstes Gebäude, The Shard, und dem neuen CEO Ulric Jerome liegt ihnen London im wahrsten Sinne des Wortes zu Füßen. Interview: Quynh Tran. Fotos: Trent McMinn, Matchesfashion.com

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022 THE LONGVIEW

Matchesfashion.com ist gerade in neue Büroräume in The Shard umgezogen, ein markantes Gebäude, denn es ist das höchste in Europa. Eine bewusst gewählte Symbolik?

Tom Chapman: Vorher hatten wir fünf Büros, alle sind umhergelaufen und es gab eine E-Mail-Sintflut. Doch heutzutage geht es um Kommunikation, und ein Unternehmen zu betreiben, bedeutet, zusammenzuarbeiten. Wir entwickeln uns zu einem globalen Unternehmen und das wollen wir in einer Umgebung schaffen, auf die wir stolz sind. Uns geht es nicht um einen Corporate Look, sondern darum, die DNA des Unternehmens zu fühlen, wenn man hereinkommt. Hier bemerken Sie hoffentlich etwas davon, die Vintage-Möbel, die persönlichen Elemente. Man muss das Gefühl bekommen, dass es etwas Besonderes ist, dass sich jemand Gedanken gemacht hat. Deswegen war es ein wichtiger und entscheidender Moment in unserer Geschichte, unsere Mitarbeiter an einem Ort zusammenzubringen, an dem wir uns wohl fühlen. Wenn Sie gerade von Ge­ schichte sprechen: War damals in dem kleinen Laden in Wim­ bledon Village vor der Digitali­ sierung alles anders – und was hat Sie zum Wandel bewegt?

Ruth Chapman: Wir haben mit nichts angefangen. Wir haben unseren ersten Laden noch selbst gestrichen, er war in einer ruhigen Straße in einer Gegend, die erst später interessant wurde. Es gab Wochen, in denen kein einziger Kunde kam und wir hatten oft den Eindruck, dass es nicht klappen würde. Tom hatte schon bei Eröffnung auf einem Computer bestanden, um die Kundendaten aufzunehmen, damit wir sie kontaktieren konnten. Also haben wir zu werben angefangen, haben unsere Kunden informiert, sie zum Wein eingeladen oder ihnen im Gespräch die Ware der neuen Lieferungen schmackhaft gemacht. Plötzlich haben wir verkauft. Weil wir so

wenig Laufkundschaft hatten, mussten wir lernen, uns um die bestehende Kundschaft zu kümmern, wir brauchten sie schlicht. Daraus hat sich unser Anspruch im Kundenservice entwickelt, weil es von Anfang an um Beziehungen ging. Wir haben immer schon Getränke angeboten, waren gastfreundlich. Manchmal kamen Leute einfach nur vorbei, um Kaffee zu trinken und Schach zu spielen. Wer den ganzen Tag nur wartet, wird zu so etwas wie einem Supermarkt, und das waren wir absolut nicht. Kunden wollen neue Mode, sie wollen schöne Dinge und sie wollen gut behandelt und beraten werden. Das war unsere Lehre, dass man proaktiv auf den Kunden zugehen muss und ein Momentum in der Beziehung mit ihm aufrecht erhalten muss.

Können Sie Schlüsselerleb­ nisse in der Entwicklung ihres Unternehmens ausmachen?

RC: Anfänglich war Matches ein kleiner Shop für Frauen und Männer. Aber die Grenzen haben sich recht schnell gezeigt, als sich Männer und Frauen an geschäftigen Samstagen in derselben Ecke umziehen mussten. Als sich abzeichnete, dass das Geschäft stabil war und wuchs, haben wir dann einen weiteren Laden für Männer eröffnet. Und als wir das gut gemacht haben, entwickelten sich gute Beziehungen zu Max Mara und Diane von Fursten­berg, sodass sie uns gefragt haben, Läden für sie zu eröffnen. Wir wurden Eltern und brauchten mehr Einkommen, um die wachsende Familie zu versorgen – und so war es ganz natürlich, dass wir neue Läden eröffneten. Wann sind Sie sich des Po­ tenzials der Digitalisierung bewusst geworden?

RC: Wir hatten immer internationale Kunden, die nach London gereist sind, und diese großartigen Kundenbeziehungen. Als sich das Internet so richtig entwickelte – so etwa vor neun Jahren – und als wir die ersten Onlinestores aufkommen sahen, war unser Gedanke, das auch für unsere internationalen

„Die besten Entscheidungen im Leben haben wir dank unserer Naivität getroffen.“ Tom Chapman 416 style in progress

Treibt die eigenfinanzierte Expansion gemeinsam mit den Gründern an: CEO Ulrich Jerome, seit 2015 an Bord und vorher bei Pixmania tätig.


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Kunden anzubieten. Wir waren noch weit davon entfernt, eigens für das Onlinegeschäft Einkauf zu machen, und haben einfach alles, was wir hatten, online gestellt, um diesen Kunden einen Service zu bieten. Kaum war unsere Plattform online, war alles verkauft. Uns wurde klar, dass wir plötzlich einen ganz neuen Kundenkreis hatten und dass es nur mit der Ware aus den Läden nicht klappen würde. Wir mussten wesentlich mehr Ware kaufen, weil unsere Kundschaft wuchs, und das weltweit. Das stellte unseren Cashflow auf die Probe, wir waren doch unabhängig von Investoren. Wir mussten innerhalb unserer Liquiditätsmöglichkeiten so viel Ware wie möglich bekommen, um unsere Kunden zu bedienen. Es galt zu vermeiden, dass ein loyaler Kunde enttäuscht wurde, weil er auf Matchesfashion.com nicht bekam, was er wollte. Genau das ist aber vor etwa vier Jahren passiert, weil wir selbst nicht über genügend Kapital verfügten, das Einkaufsvolumen dem Wachstum anzupassen. Um unseren Warenbestand entsprechend aufzustocken, haben wir Partner gesucht und zwei Investoren gefunden, die mit Minderheitsbeteiligungen an Bord gekommen sind. Erst dadurch sind wir an den Punkt gekommen, wirklich strategisch über die Zukunft unseres Unternehmens nachdenken zu können. TC: Das war der Punkt, wenn man als Einzelhändler seinen Webshop aufbaut und feststellt, dass das verdammt harte Arbeit

„Wenn wir nicht scheitern, sind wir nicht an unsere Grenzen gegangen und können nicht erfolgreich sein.“ Tom Chapman wird. Wir haben uns entschlossen, uns dieser harten Arbeit zu stellen. Mit den Partnern an Bord war klar, dass wir die Möglichkeiten des digitalen Businesses wirklich ausschöpfen wollten. Es galt, das Beste aus unseren Möglichkeiten zu machen. Ruth war tonangebend in dieser Entwicklungsphase und hat zum Beispiel entschieden, dass wir Matchesfashion.com über unsere stationären Läden schreiben. Das mag wie eine kleine Geste wirken, hat aber tatsächlich einen Mentalitätswandel signalisiert. Auf einmal hat jeder verstanden, dass wir ein digitales Business sind. Sie haben den Handel als klassischer Einzelhändler und als Onlineretailer erlebt. Was fasziniert Sie am digitalen Wandel besonders?

TC: Ich sehe es als Privileg, an der Front einer wirklich disruptiven Entwicklung des Handels zu sein. Seit 30 Jahren ist der Handel im Wandel, wie sehr er sich verändert hat, ist bemerkenswert. Diese Woche hat jemand eine Bestellung von mehr als 40.000 Dollar über sein Handy gemacht – das hätte sich doch vor zehn Jahren niemand vorstellen können. Vor zehn Jahren haben sich die Leute noch mit dem Konzept von Onlineluxus schwer getan, ganz zu schweigen von solchen

Transaktionen über eine Website oder gar eine App. Das ist ein Konsument, der sich brennend für die Produkte interessiert, hoch reaktiv auf uns ist und regelmäßig bei uns kauft. Zum Besten, was ich als Händler erlebt habe – und ich bin Händler aus Leidenschaft –, zählt, dass man den Kunden kennen lernt, wenn man mit ihm im Laden steht. Früher hat man seine Kunden punktuell kennen gelernt, man kannte sie ein bisschen, aber, um ehrlich zu sein, hatte man keine Ahnung, was sie interessierte. Man wusste nichts über ihre Lieblingsprodukte, welchen Marken sie sich verbunden fühlten, wofür sie sich interessierten – das konnte man gar nicht leisten. Die Beziehung zum Kunden baute auf einzelne Begegnungen auf. Aber konnte man als Händler auch eine Beziehung zwischen dem Kunden und einer Modemarke aufbauen und sie durch diese Vermittlungsrolle an sich binden? Das digitale Geschäftsmodell erlaubt uns genau das, wir wissen, womit sich unser Kunde ausein­ andersetzt, woher er kommt, welche Seiten er besucht, welche Marken er sich ansieht, wofür er sich interessiert. Aus der Zeit als stationärer Händler haben wir vor allem anderen gelernt, uns zu fragen, wie das Wissen über unsere Kunden unsere Entschei-

dungen beeinflusst und lenkt. Die Schlüsselfrage lautet: Wie lernen wir vom Kunden?

Es gibt einige digitale Luxus­ anbieter mit Wurzeln im Einzelhandel, die auf diesem Markt mitmischen. Sie sind die einzigen, die noch in privaten Händen sind. Was unterschei­ det Matchesfashion.com in diesem hoch kompetitiven Markt?

TC: Ich finde die Art, wie wir diese beiden Formen des Handels verschmolzen und wieder zusammengebracht haben, macht uns einigermaßen einzigartig. Wie wir durch diese digitale Erfahrung jetzt Beziehungen zu Marken aufbauen können, ist phänomenal. Am Beispiel von Racil, einer Marke, die wir gerade aufgenommen haben, erklärt: Wenn Sie jetzt das Gefühl haben, Racil zu kennen, persönlich durch Events oder medial über Videos und Interviews – und wir waren Initiatoren dieser Verbindung zu Racil, dann bauen wir so Loyalität auf. Nicht nur zu dieser Marke, sondern auch zu uns. Das ist der Schlüssel zu dem, was wir machen. RC: Am meisten zu unserem Erfolg beigetragen hat, dass wir immer die Mode im Fokus hatten und sehr eigenständig eingekauft haben. Wir haben viele Marken, die auch bei Net-a-porter und Mytheresa geführt werden, aber

Die Einrichtung der neuen Büros trägt Tom Chapmans Handschrift.

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024 THE LONGVIEW

wann immer wir unser Angebot vergleichen, stellen wir fest, dass maximal 15 Prozent der Artikel ident sind. Das zeigt, dass wir ganz anders einkaufen und auswählen. Unser Kunde ist ein Early Adopter, der die Trends mitmacht, also ist unser Einkaufsteam äußerst sensibel und schnell im Adaptieren neuer Trends. Sie halten wirklich jeden Tag Ausschau nach neuen Designern. Bei Vetements war das besonders

beeindruckend. Wir waren in der Woche die ersten, die die Marke online hatten, und Vetements war am schnellsten abverkauft, ganz aus dem Nichts und obwohl sie noch unbekannt waren. Wir sehen uns als Team, das Marken aufbauen kann, Möglichkeiten sieht und wir können all das dem Kunden liefern. Es ist ein fortwährender Diskurs, und zwar nicht nur in Bezug auf die Marken. Aus Ein-

„Wir wollen profitabel sein und expandieren.“ Ulric Jerome, CEO Matchesfashion

käufersicht interessiert uns der Lifestyle unserer Kunden, wir wollen wissen, wie sie leben, wie oft sie reisen, wie technikaffin sie sind, wie oft sie ins Fitnessstudio gehen und was sie bei all diesen Aktivitäten tragen werden. Wir versuchen vorwegzunehmen, was wir in den Showrooms sehen, weil wir denken, dass unser Kunde uns als Marke sieht, die sie ganzheitlich bedient. Kauft unser Kunde woanders, heißt das, dass wir versagt haben. Ulric Jerome: Ich möchte noch betonen, dass ich den Luxusmarkt nicht als kompetitiv empfinde. Der Luxusgütermarkt ist 270 Milliarden Dollar schwer. Davon werden momentan sieben bis acht Prozent online umgesetzt; 2019 werden es 15 Prozent sein. Das zeigt das massive Potenzial dieses Marktes auf. Um ganz ehrlich zu sein, ist uns die Konkurrenz egal. Was uns interessiert, ist, unsere Kunden zu bedienen, uns auf unser Sortiment zu konzentrieren, im Kundenservice exzellent zu sein und so viel Marktanteil wie möglich zu bekommen. Unsere Kunden sagen, dass sie zu uns kommen, um sich inspirieren zu lassen. Also machen wir unsere Hausaufgaben und versuchen, den nächsten Trend zu antizipieren, denn das erwartet der Kunde von uns. Das ist der eine Punkt. Daneben fragen wir uns, nach welchem Servicelevel sich der Kunde sehnt: Wie schnell müssen wir liefern, wie perfekt muss unsere Bildsprache sein, wie können wir Vorschläge und die Suche auf der Seite immer weiter personalisieren? Dennoch, der Druck ist nicht zu leugnen, insbesondere da viele Mitbewerber investitionsund expansionsgetrieben sind. Den meisten geht es um Marktanteile und die versu­ chen sie mit permanenter Reduzierung zu erobern…

Eigenständige Looks und mode­sinnige Kombi­ nationen unterscheiden Matchesfashion.com von seinen Mitbewerbern.

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UJ: Wir haben Investoren mit Minderheitsbeteiligungen, aber wir sind überwiegend eigenfinanziert und profitabel. Wir reinvestieren den Großteil unseres Gewinns und brauchen keine zusätzlichen Finanzmittel, um zu wachsen. In den nächsten drei bis vier Jahren wollen wir

jährlich um 35 bis 40 Prozent wachsen, auch dafür brauchen wir kein zusätzliches Investment. Momentan konzentrieren wir uns auf das Tagesgeschäft und dabei wollen wir uns nicht reinreden lassen. Wir wollen profitabel sein und expandieren. Wenn sich etwas ergibt, das für unser Geschäft sinnvoll ist, sind wir als Unternehmer natürlich neugierig. Aber im Moment steht das nicht auf der Agenda und wir sind die einzigen Online-Luxushändler dieser Größe, die so profitabel und unabhängig sind. TC: Reichweite ist unglaublich wichtig. Aber am Ende des Tages wollen wir ein profitables Geschäft aufbauen. Mein Leben soll sich nicht darum drehen, umherzulaufen und nach Investoren zu suchen. Ich habe etwas Besseres zu tun, als die ganze Zeit mit Investoren zu reden. Wenn ich eine Herausforderung in diesem Geschäft definieren müsste, ist es das Daily Business. Wir wollen ein profitables Geschäft aufbauen, das sich durch großartige Beziehungen auszeichnet. Die entstehen nicht, indem man die ganze Zeit reduziert, sondern mit einer feinfühligen Strategie: Wie man den Kunden einbezieht, wie man Loyalität schafft, wie man den Kunden zufrieden stellt. Genau mit dieser Strategie wachsen wir um 55 Prozent. Mit einer Discount-Strategie könnten wir um etwa 120 Prozent wachsen, aber an ein Unternehmen, das auf Rabattcodes fußt, glaube ich nicht. Meine Meinung ist: Verkauf erst gar nicht, was du nicht zum Vollpreis loskriegst. Das ist doch die Wahrheit! Das ist doch kein gangbarer Weg in die Zukunft. Handel bedeutet doch nicht, dass man ständig schaut, ob dieser oder jener schon reduziert hat – konzentriere dich auf deinen Weg! Bleib dabei, was du machst und fokussiere dich darauf. Das mag schwieriger sein, aber im nächsten Jahr wird sich das auszahlen. In unseren stationären Läden reduzieren wir übrigens überhaupt nicht mehr – nirgends.

Wie sieht die Zukunft des Handels aus?

TC: Es gibt so viele Anknüp-

„Mode bringt das Schöne immer noch zu Tage.“ Ruth Chapman


THE LONGVIEW 025

fungspunkte. Wir sind heute sowohl ein Mode- als auch ein Technologieunternehmen. Mittlerweile ist hier jeder vierte Mitarbeiter im Tech-Bereich tätig, es ist die größte Abteilung bei uns. Wir haben zwei Jahre damit verbracht, eine fantastische Plattform aufzubauen, die uns hilft, den Technologieaspekt unseres Unternehmens voranzubringen. Ich war während dieses Prozesses oft frustriert, weil ich das Gefühl hatte, dass wir nicht wegweisend waren, ich aber überzeugt bin, dass wir immer Anführer und nie Mitläufer sein sollten. Und jetzt haben wir diese unglaubliche Plattform, die es uns erlaubt, agil und kreativ zu sein. Was kommt also als nächstes? Sachen, die wir vorher nicht tun konnten! Unsere App haben wir vor gerade mal vier Monaten lanciert. Das ist verrückt! Das macht es so interessant. Was ist die Zukunft des Handels? In unserem Feld wird die mobile Nutzung unglaublich wichtig. Aber das ist nur ein Teil, es geht um Handel, es geht um das physische Erleben, es geht um Verbindung und um das Soziale. Die Geschwindigkeit der Veränderung ist so beeindruckend, da kann man schnell überrollt werden. Aber wenn man die Veränderung annimmt und sich nicht paralysieren lässt, ist es eine große Chance. Wie schafft man es, bei dieser extremen Geschwindig­ keit nicht auf der Strecke zu bleiben?

TC: Wenn wir zurückschauen, war unsere Naivität eine wundervolle Sache. Die besten Entscheidungen unseres Lebens haben wir dank unserer Naivität getroffen. Als wir unseren Online-Store eröffnet haben, haben wir in die ganze Welt geliefert und alle Währungen akzeptiert. Niemand hat das gemacht. Aber gerade die vermeintlich dummen und naiven Entscheidungen haben uns nie geschadet, im Gegenteil. Das ist bis heute ein fundamentaler Wert unseres Unternehmens, dass wir bereit sind, zu scheitern und dass die Angst vor Fehlern uns nicht lähmt. Wenn wir nicht scheitern,

sind wir nicht an unsere Grenzen gegangen und können nicht erfolgreich sein. Das Wichtigste ist uns, immer demokratisch zu sein. Wir wollen involviert sein, wollen verstehen, was die Zukunft ist, was jetzt passiert, wir wollen den Kunden, der sich verändert. Bei all diesen Dingen geht es um Inklusion, es geht darum, dem Kunden zuzuhören und dass wir definieren, was wir in Zukunft machen werden. Wir müssen als Händler das Richtige tun und mit dem Kunden genauso. Momentan versuchen wir gerade intensiv herauszufinden, wie wir für den Kunden relevant werden, ohne zu sehr von einem Algorithmus bestimmt zu sein. Es geht um die Balance zwischen Magie und Logik. Wie verbindet man die Magie von Matchesfashion.com mit der Logik eines Algorithmus? Wie bekommt man Informationen über den Kunden und wie kann man diese so aufbereiten, dass man aus dem Kundenverhalten ableiten kann, wie man ihn noch besser bedient?

Kunden wollen zeitgemäß sein und sich verbunden fühlen. Sie sind immer noch an etwas Schönem, Komfortablem interessiert, etwas, das sich anfühlt, als hätte sich jemand viel dabei gedacht. Dafür wird es immer einen Markt geben. Wir haben eine Marke, Zeus + Dionne, mit der wir sehr erfolgreich sind. Als Mareva Grabowski die Marke mit ihrer Partnerin gründete, war Griechenland am Boden. Sie ist hingefahren und hat Handwerker, die nichts hatten, engagiert. Sie hat ihnen geholfen, die Seiden-, Leder- und Stickgewerbe, wiederzubeleben. Den Kunden gefällt das. Das ist doch etwas Schönes – und die Mode bringt dieses Schöne immer noch zu Tage.

Matchesfashion.com Sitz: The Shard, London Gegründet: 1987 Gründer: Ruth und Tom Chapman CEO: Ulric Jerome (seit 2015) Geschäftsmodell: Online (85 Prozent), 11 Geschäfte in Großbritannien, 1 Private Shopping Haus Umsatz: 130 Millionen GBP (2015), 180 Millionen GBP (2016) Durchschnittlicher Warenkorb: 450 GBP Labels: 400+, In-House Label Raey

Danke für das Gespräch.

Die Mode nimmt immer mehr Tempo auf. Glauben Sie, dass diese Beschleunigung, den Ap­ petit auf Mode kaputt macht?

TC: Das Spannende momentan ist die Möglichkeit des Wandels. Jede Marke wird ein anderes Modell haben. Als Händler müssen wir sicherstellen, dass die Logistik stimmt, dass wir unser Markenerlebnis bieten können. Was ich aus 30 Jahren Erfahrung gelernt habe, ist, dass keine der 450 Marken, die wir haben, gleich behandelt werden kann. Also müssen wir in der Art und Weise, wie wir mit ihnen umgehen, flexibel sein. Aus logistischer Sicht heißt das, dass wir uns nach den Marken richten müssen. Wir müssen mit ihnen zusammenarbeiten und sicherstellen, dass wir sie bestmöglich repräsentieren. RC: Ich glaube nicht, dass der Appetit auf Mode zerstört wird. Oft gibt es eine sehr hohe Bereitschaft, Dinge zu bewegen. Man muss sich nur einen Weg schaffen und eine klares Angebot für den Kunden haben. Unsere

„Man muss fühlen, dass sich jemand Gedanken gemacht hat.“ Tom Chapman

Editorials, die Geschichten erzählen: Die Website bekennt sich zu einem hohen Modeanspruch.

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026 SO LÄUFT’S

SCHNELLES UMSCHALTEN

RAUS AUS DER ENDLOSSCHLEIFE Alle so: „Grillen!!! Strand!!!! Sommerkleider!!!!“ Und der Modehandel so: „Winter!!!! Nein? Echt nicht? Schade!“ Ein Kommentar von Stephan Huber

Kennen Sie das? Die Nachrichten laufen. Es geht beispielsweise um die Pensionsreform (Renten­ refom) und Sie denken nur noch: „Zum Henker, ist das eine Meldung aus dem Jahr 1997? Seit Jahrzehn­ ten ist das Problem definiert! Eigentlich auch klar, wie die Lösung aussehen muss. Warum passiert das nicht endlich einfach mal?“ Ja? Kennen Sie? Ich auch! Im August und im September waren die Temperaturen hoch und die Sonne hat gelacht. Die Umsätze im Mo­ dehandel waren im Keller und die Branche hat ge­ kotzt. Aber so wie nicht Menschen, die immer älter werden, schuld am erodierenden Pensionssystem sind, ist auch nicht Sommerwetter im August schuld an schlechten Geschäften mit Mode.

Die menschliche Psyche Was spricht denn eigentlich dagegen, bei 30 Grad mit dem tropfenden Stracciatella in der Hand dicke Winterjacken anzuprobieren? So ziemlich alles, wenn man ein wenig über die menschliche Psyche nach­ denkt. Ein ganzes Land im Freudentaumel, dass sich der Sommer doch noch herablässt, uns zu beehren. Alle so: „Grillen!!! Strand!!!! Sommerkleider!!!!“ Und der Modehandel so: „Winter!!!! Nein? Echt nicht? Schade! Sehen wir uns Mitte November? Beim Schluss­ verkauf?“

Probleme lösen sich nicht von selbst Alles nicht neu. Eher eine gefühlte Endlosschleife oder eine Tragikomödie in der ich problemlos alle tragenden Sprechrollen übernehmen könnte. Zusammen­ gefasst: „Der Handel verlangt doch so frühe Liefe­ rungen! Was soll ich machen?“ vs. „Das sind doch die Liefertermine, die mir die Industrie vorgibt. Was soll ich machen?“ Wie immer ist es keiner gewesen, aber alle leiden daran. Und wie kommen wir da her­ aus? Mit Schnee im August? Das dauert noch. Mal ganz nüchtern: Probleme lösen sich nicht ein­ fach von selbst, wenn man sie nur lange genug 416 style in progress

ignoriert oder weiterreicht. Zu systemstabilisieren­ dem Frühableben als gesellschaftlichem Trend wird es ebenso wenig kommen wie zu einer Anpassung des Konsumverhaltens an einen saisonalen Rhythmus, der schlicht nicht zum Leben von schwach geschätzt 95 Prozent der Konsumenten passt. Konsumenten übri­ gens, die erwiesenermaßen in durchaus erfreulicher Kauflaune sind. Explizit ausgenommen: Mode und Bekleidung!

Fundamentale Neuorientierung Reine Symptombekämpfung führt zu keiner langfris­ tigen bzw. nachhaltigen Heilung. Es geht um eine wirklich fundamentale Neuorientierung. In ihrem Zentrum MUSS der Endverbraucher stehen, also der Mensch und seine Bedürfnisse. Was wie eine Binsen­ weisheit aus einem mittelmäßigen Marketingseminar klingt, kann gar nicht deutlich und oft genug be­ tont werden. Denn obwohl ständig und überall immer nur betont wird, dass es „um die Menschen geht“, wird die Realität bewusst wie unbewusst vom exak­ ten Gegenteil bestimmt. Also noch einmal: Die Mode hat so massiv an tatsächlicher Relevanz verloren, weil sie die Menschen verloren hat – oder weniger melodramatisch – weil sie an den Bedürfnissen der klaren Mehrheit der Kosumentinnen und Konsumenten vorbei agiert. DAS ist die entscheidende Ursache für Frequenzrückgang und Umsatzschwäche. Wenn aber die Nachfrage nicht stimmt, dann sollte man sein Angebot überdenken. Der Motor der Neu­ orientierung kann nur die Ware, also das Sortiment sein. Ein zukunftsfähiges Sortiment muss wie eine spannende, durchdachte und anregende Speisekar­ te aufgebaut sein. Saisonale Highlights, regionale Referenzen, überraschende Kleinigkeiten und: Klas­ siker, die einfach über den Dingen stehen. Umgelegt auf die Mode also Produkte, die sich den ohnehin völlig anachronistischen Gesetzmäßigkeiten sich beständig wiederholender Saisonverläufe und der da­ mit verbundenen unheilvollen Entwertungslogik ganz einfach entziehen können.


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SCHWIERIGE ZEITEN?

WIR NENNEN ES HERAUSFORDERUNG! 416 style in progress


Die Veränderungen des Mode­marktes sind evident, aber schwer greifbar. Wer jetzt nicht reagiert, verliert. Doch welche Maßnahmen stehen an? style in progress hat mit Händlern und Entscheidungsträgern im Business gesprochen. Text: Kay Alexander Plonka, Nicoletta Schaper. Illustration: Claudia Meitert@Caroline Seidler

EINE BÜHNE BIETEN

Simone und Roy Komorr, Inhaber Roy, Sylt

„Der Herausforderung des sich ändernden Marktes begegnen wir zum einen mit der Konzentration auf eine Filiale. Es ist für uns das Optimum, um den persönlichen Kontakt von uns und unserem langjährigen Team zu unseren Kunden zu pflegen bzw. neue ‚Froyndschaften‘ aufzubauen, sie individuell zu beraten und den Einkauf auf sie auszurichten. Gepaart mit Mut zu einem authentischen und inspirierenden Warenkonzept. Das bedeutet: WIR sind die Marke! Und wir sehen unseren Laden als eine Bühne – in Form von Entertainment – und der Kunde ist unser Star. Ihm und seinem persönlichen Styling schenken wir unsere volle Aufmerksamkeit.“

BESTÄNDIGKEIT

Alexander Manns, Inhaber Blum seit 1846, Deesen „Es reicht nicht, wenn du deinen Kunden nur kennst, du musst ihn sehr gut kennen. Dazu gehört, dass wir unsere Kunden auch zu Hause oder im Büro besuchen, auch außerhalb der regulären Geschäftszeiten. Zahlreiche Serviceleistungen wie Hemdenreinigung, Aufbügeln von Anzügen, Schuhreparatur sowie Maßkonfektion werden gerne in Anspruch genommen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Qualität der Stoffe sowie ihre handwerkliche Verarbeitung. Hier legen wir besonderen Wert auf Herstellungsorte in Deutschland und Europa. Starke Marken – nicht breit gestreut. Die Tiefe einer Kollektion ist uns wichtiger als die Masse an Labels in unseren Filialen. Aussagekraft ist hier unumgänglich.“

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COMMITMENT

Jörg Korfhage, Countrymanager Deutschland Liu Jo „Wer trägt welches Risiko für den Verkauf auf der Fläche, wer erfüllt welchen Part? Immer mehr gelangen wir zu der Überzeugung, dass klassische Vertriebsmodelle ausgedient haben. Dafür haben wir bei Liu Jo Kooperationsmodelle entwickelt, die das Commitment des Handels und umgekehrt voraussetzen. Sehr viele Kunden haben uns gesagt, dass sie schnellere Modethemen noch mal in der Saison brauchen. In der Saison heißt es dann aber zu oft, dass momentan das Budget fehle. Umso klarer muss das im Vorfeld abgestimmt und festgelegt werden. Gleichzeitig kämpfen wir gegen das Schubladendenken: Die eine Marke steht für Vororderlieferant, die andere für guten Lagerservice und wieder eine andere für Pronto Moda. Liu Jo muss dahin gelangen, in den Augen der Handelskunden auch für guten Lagerservice und Flash zu stehen. Für Marke wie auch Händler geht es darum, die Abverkäufe zu optimieren. Hier muss auf beiden Seiten richtig Aufwand betrieben werden. In diesem Optimierungsprozess liegt die größte Herausforderung.“

PERSÖNLICHKEIT

Dorothea Haselmann, Inhaberin Purpur. Mode & Design, Bamberg „Seit jeher steht und fällt der Erfolg eines Geschäftes mit der Persönlichkeit und der Anwesenheit des Besitzers.“

ECO FASHION ALS PLUS

Markus Leicher, Inhaber Dailys „Viele Händler geraten unter Druck, weil größere Flächenkonzepte, die hohe Minimums erfordern, nicht mehr so gut funktionieren. Dass sie nun mehr Eigenverantwortung übernehmen wollen, ist eine Chance für uns als junges Eco Fashionlabel. Wir spüren deutlich, dass die Akzeptanz für ökologisch korrekte Fashion deutlich gestiegen ist. Außerdem haben wir das Plus, dass das Label stylisch ist und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis hat. Vor drei Jahren wäre es für uns schwieriger gewesen, in den Markt hineinzukommen, aber jetzt haben wir unseren Durchbruch und werden 2017 über 300 Handelskunden erreicht haben, was uns zeigt: In der Krise liegt auch eine Chance.“

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PERSÖNLICHKEIT IST DAS SCHLÜSSELWORT

Barbara Ulmer, Inhaberin Etoile, Konstanz „Unsere persönliche Herausforderung war es, dass wir im November aufgrund einer Mieterhöhung von 500 Prozent (!) aus einer 1-a-Lage in eine 1-f-Lage gezogen sind. Diese Herausforderung haben wir überraschend zufriedenstellend gemeistert, weil wir sehr stark auf persönlichen Stammkundenkontakt setzen. Wir sind dafür bekannt, dass wir nicht markenorientiert, sondern sehr individuell einkaufen, mit Marken, die es im nahen Umfeld nicht gibt und die auch nicht massiv den Internethandel bedienen. Wir zählen zwar zu den größten Brunello Cuccinelli Einkäufern, aber bei uns findet die Kundin auch von dieser bekannten Marke eine ganz besondere Auswahl. Unser persönliches Sortiment hat uns so autark werden lassen. Überhaupt ist Persönlichkeit ein Schlüsselwort: Der Laden ist mein Wohnzimmer, meine Mitarbeiterinnen und die Kundinnen bilden mein privates Umfeld. Der Erfolg zeigt, dass es die Kunden nach wie vor gibt, die genau das spüren und schätzen.“

DEN KUNDEN VERSTEHEN

Oliver Beuthien, Geschäftsführer Engelhorn „Für mich gibt es nicht die eine wichtigste Maßnahme, sondern ein Bündel von Maßnahmen, die nur gemeinsam greifen können. Es geht um Beratung, Sortiment, Digitalisierung und Eventisierung, wie ich es nenne, um den Kunden in die Stadt zu bringen und seine Verweildauer bei uns zu erhöhen. Es ist nicht damit getan, die Klamotte in den Laden zu hängen. Es geht auch nicht mehr darum, zu sagen: Lieber Kunde komm und kauf, sondern wir müssen ihm vermitteln: Komm zu uns, weil wir dich verstanden haben. Dafür müssen wir unsere Gastgeberrolle perfektionieren und unsere Flächen emotional aufladen, nicht nur mit einem Sortiment, das schneller auf Trends reagiert, weshalb es mit nur einer Vororder in der Saison nicht mehr getan ist. Sondern ebenso mit unserer Gastronomie, die dazu beiträgt, den Kauf bei Engelhorn zu einem Erlebnis zu machen. Auch um die Digitalisierung kommen wir nicht mehr herum, wir arbeiten stark daran, online mit offline zu verknüpfen. Nur das alles gemeinsam führt zu einem nachhaltigen Erfolg.“


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BAUCHGEFÜHL UND LONGSELLER

Ralf Fischer, Inhaber Ralf Fine Garments, München „Anstatt auf hochkomplexe Warenwirtschaftssoftware vertraue ich beim Einkauf auf mein Bauchgefühl. Und statt in jeder Saison immer neuen Modellen und Schnitten hinterherzujagen, setze ich lieber auf Longseller, die sich bewährt haben. Einen Sale gibt es bei mir nicht. Stattdessen bekommen Stammkunden lieber einmal eine Dreingabe in Form von einer ausgesuchten Flasche Gin oder einer guten Tafel Schokolade. Das stärkt zum einen das Wohlbefinden des Kunden und zum anderen wird der Wert der Ware dadurch nicht in Frage gestellt.“

SICH TREU BLEIBEN

Stefan Dietzelt, Inhaber Eisdieler, Berlin „Unser Geschäft ist seit der Gründung eine Plattform für unsere eigenen Modelabels. Seit dem Jahr 1999 haben wir dann das Angebot mit Handelswaren immer mehr erweitert. Auch wenn sich seitdem viel verändert hat, an der Mode, dem Erscheinungsbild des Ladens und auch an der Anzahl unserer Gesellschafter, so sind wir dem Grundkonzept treu geblieben: Am Ende der Saison gibt es keinen Sale. Aus den Einzelanfertigungen von damals sind gefragte Kleinserien geworden und die eingekauften Marken sind nach Möglichkeit ebenso einzigartig, selten und nachhaltig. Bis jetzt geht diese Mischung an unserem Standort auf und wir optimieren unsere Nische mit der Sortimentspflege und dem guten Verhältnis zu unseren Kunden.“

KONSTANTER WANDEL

Antje Leinemann, Geschäftsführerin von Bikini Berlin

„Für Bikini Berlin lautet die wichtigste Maßnahme seit der Eröffnung vor über zwei Jahren: konstante Veränderung. Das bedeutet konkret, dass wir immer wieder neue Marken und Produkte in unseren Boxes im Erdgeschoss präsentieren – das sind Pop-up-Flächen, die zum festen Bestandteil der Concept Shopping Mall gehören. Konstanter Wandel bedeutet aber auch, dass wir unser Angebot permanent kritisch hinterfragen. Dinge, die noch nicht erfolgreich sind, werden optimiert. Und von den Besuchern gut angenommene Konzepte werden erweitert.“

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Rein in die Nische

Die Hosen sind von Levi’s und Carhartt, die Jacken von Schott und Mackintosh, die Anzüge von Brioni, der Rucksack von Eastpak, die Schuhe von Manolo Blahnik und Dr. Martens. Nein, dies ist kein extravagant sortierter Multilabelstore, sondern die Show des Pariser Designer-Kultlabels Vetements, die im Juni in den Galeries Lafayette über die Bühne ging. Für Head Designer Demna Gvasalia war eines ausschlaggebend: Für die einzelnen Produktgruppen wählte er beispielhafte Spezialisten. Selbst die Power einer Luxusmarke kann wenig gegen deren Expertise ausrichten. „Es ging darum, das absolut typische Produkt jeder Marke herauszusuchen und es in unserem Kontext weiterzuentwickeln“, so Gvasalia – und viele waren bei dem Experiment gerne dabei. Was paradigmatisch für die Luxusmarke zu funktionieren scheint, findet auch im Premiumsegment seinen Widerhall. Viele Händler haben genug von Marken mit profillosen, austauschbaren und überdies meist zu großen Kollektionen, bei denen man nicht mehr weiß, wofür sie eigentlich stehen und welches Teil daraus man ordern soll. In dieser Saison wurde oft

Was kannst du wirklich gut? Diese Frage stellte sich so mancher im Handel und der Industrie in der vergangenen Saison. Everybody’s Darling zu sein, ist nicht die Lösung. Unterschiedliche Strategien führen zum Erfolg, aber ein gutes Produkt scheint schon mal die halbe Miete zu sein. Text: Ina Köhler.

Illustration: Claudia Meitert@Caroline Seidler. Fotos: Gesprächspartner

über das „zu viel“ diskutiert: Zu viele gleiche Kollektionen, zu viel Ware, zu viele Wege, zu viele Ordermöglichkeiten. Spezialisierung und Fokussierung scheint ein Weg aus der Misere. „Die Händler haben keine Lust mehr darauf, gegängelt zu werden“, meint Valentino de Luca von Lucky de Luca. „Viele Gespräche drehten sich um Minimums – warum sollte ein Händler in jeder Saison mehr von einem Produkt kaufen, wenn es noch nicht mal gut ist?“ Und: „Wer will denn noch von Kopf bis Fuß in der

gleichen Marke herumlaufen, von der Sonnenbrille bis zum Schuh? Das ist doch nicht mehr zeitgemäß.“ Warum also sollten Marken und Händler nicht das tun, was sie richtig gut können? Glücklich mit einer Produktgruppe

Viele arbeiten jetzt schon erfolgreich so und verzichten dabei ganz bewusst auf eine breitere Kollektion. Ein Beispiel ist der Oberteilspezialist Better Rich: „Unsere Kunden bekommen bei uns cozy Oberteile aus bester Baumwolle oder feinen italienischen Garnen, die perfekt kombinierbar sind“, sagt Carina Wyen, tätig im Marketing der Brand. „Seit 2009 machen wir immer das Gleiche – was aber auf keinen Fall bedeutet, dass alles gleich bleibt. Wir orientieren uns bei der Erstellung der Kollektionen gezielt am herrschenden Zeitgeist und den modischen Veränderungen, die im Markt zu erspüren sind.“ Normalerweise geht der Weg erfolgreicher Labels dann sehr oft in die Breite. Nicht so bei Better Rich: „Häufig werden wir nach Produkterweiterungen wie Hosen oder Jacken gefragt. Aber das, was wir machen, machen wir richtig und nicht einfach, weil es gefragt wird. Gerade das kommt bei unseren Kunden an und verschafft somit Sicherheit auf allen Seiten.“ Better Rich ist ein Beispiel von vielen Unternehmen, die bei ihrem Leisten bleiben. In Bezug auf Jacken kann man Parajumpers nicht viel vormachen, denn darauf ist man seit der Gründung spezialisiert. „Technologie und Funktionalität

unserer Produkte war immer unser erster Fokus“, meint Ermanno Paulon, CEO von Ape & Partners, dem Unternehmen hinter Parajumpers. „Die Qualität der Materialien und der Finishings sind die Elemente, mit denen wir unsere Teile auf dem Toplevel des Marktes positionieren. Unsere Produkte sind dafür gemacht, dass sie viele, viele Jahre halten, der Fokus liegt auf Langlebigkeit sowohl im Style als auch in der Produktion.“ Das schafft Selbstbewusstsein, aber wäre nicht eine breitere Kollektion die logische Weiterentwicklung? „Wir wollen immer ein hohes Qualitätslevel garantieren, insofern fokussieren wir uns auf Produkte, von denen wir wissen, dass wir sie sehr gut realisieren können“, hält Paulon dagegen. „Das ist unsere Strategie, die uns die Möglichkeit gegeben hat, in jedem Jahr zu wachsen.“ Spezialitäten – kein Gemischtwarenladen

Es scheint in der Branche eine Rückbesinnung auf alte Tugenden zu geben. Denn kaum etwas ist heute so fatal, wie Everybody’s Darling für alle Kunden sein zu wollen. Wer alles kann, kann eben nichts richtig wirklich gut. Bietet der Imbiss chinesisches, bayerisches und türkisches Essen parallel an, endet es im Einheitsbrei. Der schmeckt keinem mehr – weder Einkäufern noch Kunden. „Wenn auf einer Speisekarte zu viele Gerichte stehen, dann kann nichts gut sein. Wir liefern ein bis zwei Gerichte in der besten Qualität“, erklärt Valentino de Luca, der mit Lucky de Luca und Barb’one zwei erfolgreiche style in progress 416


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„Zeit ist Geld. Einkäufer haben keine Lust mehr, 400 Musterteile zu sichten, um dann drei auszuwählen.“ Matthias Schwarte, Agentur Schwarte

Spezialiäten etabliert hat. „Unser Motto von Beginn an: Fokussierung auf ein tolles Produkt, eine sehr gute Produktion, exzellente Materialien und Finishings.“ Deren Qualität wissen viele Händler und Endkunden zu schätzen. Und weil es mit den Hemden so gut lief, wurde mit dem Hosenlabel Barb’one noch eins draufgesetzt: „Die Händler haben uns unterstützt und vertraut, dass wir es hinkriegen. So haben wir aus dem Stand geschafft, eine Nische zu besetzen.“ Als Hemdenmarke liefert Lucky de Luca lediglich vier bis fünf Modelle für Männer und Frauen in unterschiedlichen Qualitäten. Eine bewusste Reduktion. Das gilt auch für die Vororder. Wenn das Produkt ausverkauft ist, gibt es keine Nachlieferung. „Wir gehen den anderen Weg und wollen lieber langsam und stetig das Business erweitern. Bei mir kann man auch mal nur 30 Teile bestellen – das funktioniert. Die Branche muss umdenken“, meint de Luca. Klares Profil = glückliche Kunden

Die Einsicht, dass große Kollektionen zu viele materielle und personelle Ressourcen binden, greift um sich. Für die Marken sind die Kosten einfach zu hoch, wenn aus einer riesigen Musterkollektion letztlich nur

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„Wenn uns der Kunde glücklicher verlässt, als er den Laden betreten hat, haben wir alles richtig gemacht.“ Max Schoenberg, Fifty-6, Saarbrücken

ein kleiner Teil ausgewählt und dann produziert wird. Auch dem Einkäufer hilft es nicht weiter. Matthias Schwarte hat dies in seiner Münchener Agentur beobachtet: „Der Einkäufer muss in drei Minuten verstehen, worum es geht. Zeit ist Geld, Einkäufer haben keine Lust mehr, 400 Musterteile zu sichten, um dann drei auszuwählen. Die Marke ist oft nicht so entscheidend. Wenn das Produkt gut ist und sich selbst erklärt wie People of Shibuya, hat man ganz schnell die Einkäufer mit im Boot. Der Kunde sucht klare, fokussierte Produkte, die Spannung ins Sortiment bringen. Unsere Daseinsberechtigung als Agentur liegt darin, ihm diese zur Verfügung zu stellen.“ Auch im Handel profitieren diejenigen, die besondere Artikel zeigen. Max und Romy Schoenberg betreiben in Saarbrücken ihre sechs Fitfty-6-Läden mit Schuhen und Bekleidung – jeder individuell mit einem jeweils eigenen Konzept für ganz unterschiedliche Kunden. Das bedeutet einen Einkaufsmarathon, den die Inhaber persönlich absolvieren. Für sie

ist er die vorweggenommene Kür durch die Showrooms Europas. „Wir legen in acht Wochen Einkauf pro Saison den Fokus auf das Ordern von Ware, die das Versprechen von Mode und Qualität erfüllt – mit einer enormen Bandbreite an Marken, aber immer mit der Ausrichtung, topmodisch und tragbar zu sein“, erklärt Max Schoenberg. Das bedeutet harte Detailarbeit für jedes einzelne Teil und ein hoher Aufwand, der sich nicht für austauschbare Produkte rechtfertigt. Für Schoenberg zählen Werte wie Service und Einzigartigkeit. „Alle 45 Mitarbeiter müssen mit der Überzeugung, die richtige Ware in Griffweite zu haben, den Kunden als Menschen glücklich machen. Wenn uns dieser glücklicher verlässt, als er den Laden betreten hat, haben wir alles richtig gemacht.“ Die richtige Wahl des Spezialgebiets

Als Spezialist hat sich auch die Agentur Panorama Europe mit Produkten wie Schott NYC, Penfield oder Espadrij l’originale etabliert. Seit vergangenem Jahr auch mit dem eigenen Store Selekteur in der Düsseldorfer Altstadt, wo es neben Bekleidung auch andere wertige Produkte aus europäischen Manufakturen gibt – vom Taschenmesser bis zur Seife. „Im Handel

kann man als Spezialist für ein bestimmtes Thema besser auf die Kunden eingehen“, meint Geschäftsführer Felix Staeudinger. „Da online prinzipiell alles verfügbar ist, sollte der stationäre Store ein Statement setzen und Topprodukte der Spezialisten anbieten. Er sollte für etwas stehen, eine eigene Handschrift haben. Das gilt im Prinzip auch für unseren Laden Selekteur in Düsseldorf. Wir zeigen hier Produkte von Manufakturen, die durch die Qualität ihrer Produkte zu Marken geworden sind. Für uns ist es eine super Fläche, um Erfahrung mit Produkten im direkten Kontakt mit dem Endkunden zu sammeln – das hilft uns sehr in der Arbeit im Großhandel. Als Händler und auch als Distribution sollte man grundsätzlich überlegen, wie man sich differenzieren kann – der Charakter eines Shops muss spürbar sein.“ Und wie etabliert man ein Spezialprodukt im Handel? Mit Schott NYC sei man zunächst über das Kernprodukt, die Bomberjacke, eingestiegen, so Staeudinger. „In Frankreich ist die Marke bereits sehr stark, da

„Wir fokussieren uns auf Produkte, von denen wir wissen, dass wir sie sehr gut realisieren können.“ Ermanno Paulon, Parajumpers „Wer will denn noch von Kopf bis Fuß in der gleichen Marke herumlaufen, von der Sonnenbrille bis zum Schuh? Das ist doch nicht mehr zeitgemäß.“ Valentino de Luca, Lucky de Luca


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funktionieren dann auch andere Produkte.“ Der Vorteil sei, dass man als Spezialist diese Produkte auch dann noch verkaufen könne, wenn sie nicht mehr von allen anderen modischen Anbietern angeboten würden. Das gelte im gleichen Maße auch für Produkte wie Espadrij l’originale. „Wir möchten keinen Total Look anbieten, aber beispielsweise ein Lifestylekonzept, das sind etwa Artikel rund um die Côte d’Azur. Der Kunde kann so in eine neue Welt eintauchen und für ein paar Sekunden den Alltag vergessen.“ Kontrolle der Produktion

Viele gute Spezialisten zeichnen sich durch die Kontrolle der Produktion aus. „Wir waren immer schon fokussiert auf unser Kerngeschäft Cashmere-Strick und SeaCell-Cashmere“, sagt Andreas Knezovic, der sich mit FTC durch die eigene Produktion einen Namen gemacht hat, was in dem Markt einzigartig ist. Das Unternehmen bietet Cashmere-Produkte vollstufig an und hat alle Produktionsschritte in der eigenen Hand – von den eigenen Ziegen über die Arbeit mit den Farmern, die Spinnerei bis hin zum fertigen Produkt. „Man kann es gut mit einem Wein vergleichen: Wenn der gut werden soll, muss sich der Winzer um alles kümmern – vom Boden über die Rebe bis hin zum Keltern. Dann entsteht auch ein gutes Produkt. Wir übernehmen Verantwortung,

auch für die Mitarbeiter, die vor Ort für uns arbeiten.“ Durch die eigene Produktion kann er schnell und passgenau liefern und sehr individuelle Kundenwünsche erfüllen. „Wenn ein Partner für einen Endverbraucher ein spezielles Produkt braucht, können wir es ihm liefern. Wir reden grundsätzlich mit unseren Partnern immer über Geschwindigkeit, Service und Qualität, und das setzt sich langfristig durch. Wir haben beispielsweise erstmals Joyce in Hongkong bedient.“ Schon vor einem Jahr wurde die Kollektion von 120 auf rund 80 Teile reduziert, das erlaube noch schnelleres Agieren und spare Kosten. Wichtiger als die massive Steigerung der Stückzahlen ist Inhaber Knezovic ein respektvoller und wertschätzender Umgang mit den Ressourcen, die ihm zur Verfügung stehen. „Cashmere kann kein Massenprodukt sein. Was wir anbieten, ist bezahlbarer Luxus, darin sehen wir ein großes Zukunftspotenzial.“ Die Nische komfortabel ausbauen

In der Nische ist der Markt zwar umkämpft, allerdings hat es auch viele Vorteile. Man kennt das Produkt in- und auswendig und sieht Dinge, die anderen

„Es geht darum, zu erfahren, was der Konsument von uns als Hosenspezialisten letztlich erwartet.“ Marco Lanowy, Alberto „Als Komplettanbieter müssen wir in den einzelnen Produktgruppen mindestens so gut sein wie die Spezialanbieter.“ Thorsten Stiebing, Joop

„Im Handel kann man als Spezialist für ein bestimmtes Thema besser auf die Kunden eingehen.“ Felix Staeudinger, Panorama Europe, Selekteur, Düsseldorf

möglicherweise entgehen. „Wir machen das Thema Hose, bis uns dazu nichts mehr einfällt“, meint Marco Lanowy, Geschäftsführer von Alberto denn auch eher im Scherz. Schon früh hat man bei dem Hosenspezialisten den langfristigen Trend zu schlankeren Passformen vorausgesehen und den Herrenjeans, die heute 65 Prozent des Angebots stellen, einen kleinen Elasthan-Anteil beigemischt. Das macht die Hose komfortabel, ohne dass es nach Stretchhose aussieht. Im Golfbereich hat man sich über die Jahre hinweg zum Marktführer bei Hosen entwickelt. „Das liegt daran, dass wir uns sehr intensiv und bis ins Detail mit dem Produkt und seiner Anwendung im Alltag auseinandersetzen.“ Die neueste Entwicklung ist eine Bike Jeans, die etwas höher geschnitten ist und mit Reflektoren arbeitet. Ab Oktober eröffnet Alberto in Mönchengladbach einen Conceptstore, um im direkten Kontakt mit dem Endverbraucher, noch mehr über dessen Bedürfnisse zu erfahren. „Es geht uns darum, Dinge zu testen und und zu erfahren, was der Konsument von uns als Hosenspezialisten letztlich erwartet.“ Komplettanbieter in Konkur­ renz zu den Spezialisten

Am spannendsten ist die Frage nach dem Fokus für Komplettanbieter wie Joop, dessen

„Wir reden grundsätzlich mit unseren Partnern immer über Geschwindigkeit, Service und Qualität und das setzt sich langfristig durch.“ Andreas Knezovic, FTC

Kollektion in der aktuellen Saison sichtbar weiterentwickelt wurde. Für Thorsten Stiebing, Managing Brand Director ist die Antwort klar: „Wir haben mehr Zeit ins Produkt investiert und sind ins Detail gegangen, gerade bei den Produktgruppen Mantel, Jacke und Anzug. Als Komplettanbieter müssen wir in den einzelnen Produktgruppen mindestens so gut sein wie die Spezialanbieter.“ Das heißt im Umkehrschluss nicht eine größere, sondern eine konzentriertere Kollektion. „Vor einem Jahr haben wir bei allen Produktgruppen jedes Teil in die Hand genommen“, so Stiebing. „Lieber nur zehn Jacken zeigen, die top sind, als 15 generische. Die Kunst des Weglassens ist wichtig, denn dadurch entsteht Qualität. Wir wollen als Marke das Markenversprechen liefern und setzen daher auf Qualität. Wenn Marke, dann funktioniert sie nur mit einem guten Produkt.“ Eine Herausforderung, die bei Joop im Ergebnis gelungen sei, so Stiebing. „Wir haben für die Kollektion Komplimente bekommen; es war wohl sehr leicht für unsere Kunden, etwas Passendes auszusuchen.“

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Mann-zipation Da tut sich was im Männermarkt: Ein schönes Angebot, dazu mehr Modemut und neues Selbstbewusstsein, die Gründe, warum sich Männer zum Lieblingskunden entwickeln, sind vielfältig. style in progress über die Freuden, derzeit ein Männergeschäft zu betreiben. Text: Martina Müllner-Seybold. Illustration: Claudia Meitert@Caroline Seidler

„Die Männer sind die neuen Mädels, ganz klar“, bringt es Matthias Schwarte auf den Punkt. „Im Männermarkt erleben wir gerade, was vielleicht vor zehn, 15 Jahren bei den Damen stattfand. Interessierte Kunden, die sich bei entsprechender Beratung dem Neuen öffnen und gerne mal einen neuen Look oder eine neue Marke ausprobieren.“ Keine Albernheiten, gewiss, aber „Storys mit sofort sichtbarem Mehrwert, Dinge, die sich schnell erklären und die keine Fragen offen lassen“, so der Agenturinhaber. People of Shibuya ist so ein Beispiel. Funktionelle, aber anspruchsvoll designte Jacken, die neben vielen technischen Features fast überwiegend nach dem 2-in1-Prinzip funktionieren. „Da steigt dann auch mal der ganze Masculin Modekreis in der ersten Saison ein. Es geht den Einkäufern ja genau wie ihren Kunden: Auch sie suchen Produkte, die nicht kompliziert und innovativ sind“, findet Matthias Schwarte. Naturgemäß ist der Jubel aus dem Handel verhaltener, die Minuszahlen der ersten Herbstmonate gehen auch an den Männerläden nicht spurlos vorbei. Dennoch freut sich Clemens Sagmeister von Sagmeister Der Mann in Bregenz über seine Position. „Der Männerbereich ist bestimmt krisenresistenter, wir bekommen die Hochs und Tiefs nicht so stark zu spüren. Ein

Businesskunde zum Beispiel, der pro Jahr seine zehn Hemden und zwei Anzüge braucht, der bleibt ja nicht zu Hause, nur weil das Konsumklima gerade getrübt ist. Einmal im Laden, lässt er sich auch verführen, wenn wir ihm neue Materialien schmackhaft machen oder neue Themen zeigen – wie den Sneaker zum Anzug.“ Verführung sei das Maß aller Dinge. „Selbst der Bedarfskunde will keine Ärmelparaden mehr sehen, das ist ein Dinosaurierkonzept. Unser Handwerkszeug ist die Überraschung und manchmal auch, hartnäckig zu sein. Vielleicht sagt der Kunde dreimal nein zu einem Look, beim vierten Mal aber ist er überzeugt. Diese Überzeugungsarbeit ist doch unsere Kompetenz.“ Hahn oder Ei?

„Der Mann hat modisch bestimmt aufgeholt, da gibt es eine klare Entwicklung nach vorne“, bestätigt Lars Braun, Inhaber von Braun Hamburg und Betreiber des gleichnamigen Onlineshops. Doch was war der Auslöser? Gab es zuerst ein besseres Angebot oder zuerst die Nachfrage danach? Henne oder Ei? „Da sage ich ganz klar: Henne. Ohne Bedürfnis kein Angebot. Die Nachfrage nach einem entspannten, unkonformeren Look ist seit einiger Zeit zu spüren. Die Uniformität bricht auf und das tut der Männermode gut. Die Trennlinie zwischen Job und Freizeit ist style in progress 416


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nicht mehr so scharf. Wir sehen, dass viele Themen sich viel freier und aufgelockert präsentieren. Das bringt naturgemäß ein frisches Bild und macht Lust, verführt.“ Dass der Mann sich dieser Lust, Kleidung zu kaufen, auch hingeben darf, ist ein vergleichsweise junges Phänomen: „Der Mann ist eitler geworden, hedonistischer, in Stilfragen viel aufgeklärter. Unsere Kunden sind teilweise beeindruckend informiert, was in Designhäusern passiert – einen Wechsel des Designers oder ähnliches, davon hätte doch früher außerhalb der Branche kaum jemand Notiz genommen.“ Rob Kriescher, Inhaber des Männerladens Dreist in Aachen, ergänzt: „Dieses Interesse an der Mode kommt ja nicht alleine, es ist umrahmt von einem ganzen Lebensgefühl, das sich geändert hat. Ob Barber oder Grooming, ob schöne Accessoires oder Schuhe und deren richtige Pflege, in den letzten Jahren hat sich

„Der Männerbereich ist krisenresistenter.“ Clemens Sagmeister von Sagmeister Der Mann, Bregenz

jagen, um nur kein spannendes Label zu verpassen. Da gibt es die anderen, „die nur ihre Stammlieferanten besuchen und dort jeweils eine halbe Stunde quatschen, um sich danach zu beschweren, dass sie nichts Neues gesehen haben“, fasst Michael Brockmann von den Heritage Agents bewusst überspitzt zusammen. „Aber ehrlich, wer vom Pitti nach Hause kommt und sagt, er hätte nichts Neues gesehen, der hat entweder nicht geguckt oder nur im Colle Bereto gestanden. Wenn wir über die Messe gehen, können wir uns gar nicht einkriegen, so viel geiles Zeug ist da. Das ist unsere Champions League, da muss man wach und eingeschalten und aktiv sein, da muss man das Neue zulassen und

„Das Interesse an der Mode kommt nicht alleine, es ist umrahmt von einem ganzen Lebensgefühl.“ Rob Kriescher, Dreist, Aachen

ein ganzer Kosmos entwickelt, der es dem Mann jetzt erlaubt, sich für die schönen Dinge des Lebens zu interessieren. Das Wichtigste ist, dass es eine gute Story gibt und dass man als Verkäufer nicht müde wird, diese Geschichte nochmal und nochmal und nochmal zu erzählen. Denn diese Geschichte wird weitererzählt, wenn unser Kunde dann mit seinen Kumpels bei einem Bier über seinen Einkauf spricht. Ein Mann sagt ja nicht: Kuck mal, was ich mir Schönes gekauft habe. Er will den Kauf viel stärker rational begründen können – und dafür müssen wir ihm die richtigen Argumente mitgeben.“ Eiersuche

Jede Saison im Epizentrum der Männermode: Da gibt es die einen, die wie von der Tarantel gestochen über den Pitti Uomo 416 style in progress

wollen. Wenn mir ein Händler sagt, er brauche keine Messe, staune ich. Wie soll denn sonst die Innovation in den Laden kommen? Freilich, vielleicht braucht man nicht jede Saison neue Lieferanten, aber wenn man aufgehört hat, Spaß am Entdecken zu haben, dann wird man seinen Kunden bestimmt nicht gerecht.“ Zumal der Kunde heute auch ganz genau weiß, was ihm der Händler vorenthalten will. Medial und vor allem visuell ist ein Event wie Pitti Uomo stilprägend für eine ganze Saison. Stichwort Streetstyles aus Florenz, die heute in etablierten Medien genauso wie auf Blogs und Instagram eine bedeutsame Rolle spielen. „Es ist immer schwierig, so etwas zu pauschalieren, aber der Endverbraucher ist in meiner Wahrnehmung heute viel aufgeklärter“, sagt

Lars Braun. „Egal ob Modeschauen, die er sich online ansieht, Magazine im Web oder Fashionblogs, dazu Instagram und Co., diese Bildwelten sind wichtiger geworden und beeinflussen viele Männer, sich modisch Dinge zu trauen, die sie früher schlicht nicht gekannt hätten.“ Der stilvolle Gentleman, der jeden Tag seine Outfits postet, ist Instagram sei Dank eine neue Größe. „Ich glaube, dass Streetstyle und besonders die Blogs den Männern grünes Licht dafür gaben, sich für Mode zu interessieren und darüber zu sprechen“, sagte Nick Wooster im Interview mit style in progress. Lars Braun: „In der Tat gibt es für Männer Leitbilder, mit denen sie sich identifizieren. Anders als bei den Damen wirken diese echter und natürlicher. Das müssen auch nicht zwangsläufig lebende Ikonen sein, man denke nur daran, dass zum Beispiel Steve McQueen immer noch eine Größe ist, an der sich Männer gerne orientieren.“ Was sagt die Henne?

„Unsere Kunden erwarten im Stereo/Muc Vollbedienung. Sie wollen alles über das Produkt wissen und sind insbesondere interessiert, wie und wo das Produkt hergestellt wird und aus welchen Materialien es sich zusammensetzt. Die Marke spielt hierbei eher eine untergeordnete Rolle. Außerdem wollen sich die meisten Männer bei uns möglichst komplett einkleiden. Hier zählt eher der Outfit-Gedanke als Einzelteile. Somit versuchen wir möglichst viele Outfits im Laden darzustellen, um die Kunden immer wieder aufs Neue zu inspirieren“, erzählt Florian Ranft, Inhaber von Stereo/Muc,

„Die Uniformität bricht auf und das tut der Männermode gut.“ Lars Braun, Braun, Hamburg



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„Unsere Kunden erwarten im Stereo Vollbedienung.“ Florian Ranft, Komet und Helden, Stereo/Muc

mehreren Woolrich-Stores und der Agentur Komet und Helden. „Die meisten Männer kommen mittlerweile alleine zum Shoppen und vertrauen sich ihrem Lieblingsverkäufer voll und ganz an. Er übernimmt hier zum Teil die Rolle der Frauen, die früher regelmäßig ihren Männern beratend zur Seite standen.“ Mit jedem erfolgreichen Beratungsgespräch ist ein loyaler Kunde gewonnen, diese Milchmädchenrechnung geht auch in Zeiten von Onlinekonkurrenz und Vertikalen auf. „Frauen sind wie Schmetterlinge, fliegen von Blume zu Blume und suchen sich das Beste raus. Männer sind viel entscheidungsfreudiger“, schildert Michaela Schirlbauer ihre Erfahrung. Auch Clemens Sagmeister, selbst mit einem Gutteil seines Angebots via Farfetch im Onlinehandel präsent, bestätigt die These der hohen Loyalität bei Männern. „Das ist auch irgendwie logisch: Je hochwertiger ein Mann kauft, umso nötiger ist es, dass es in der Schneiderei genau auf ihn angepasst wird. Sich einen Anzug online zu bestellen und ihn dann selbst zum Schneider zu tragen, das tut sich doch kein Mann an. Da muss er also ins Fachgeschäft seines Vertrauens gehen.“ Wo die Nähmaschinen brummen wie selten zuvor: „In unserer hauseigenen Schneiderei haben wir so viel Änderungen wie noch nie. Auch hier hat das Bewusstsein zugenommen, wenn ein Mann etwas kauft, dann will er, dass alles perfekt passt. Zusätzlich haben wir Maßkonfektion in unser Angebot aufgenommen, ursprünglich gedacht für wichtige Anlässe wie Hochzeiten. Jetzt sehen wir, dass es für viele Männer erst gar keinen so bedeutsamen Anlass braucht, das macht ihnen Spaß. Ich vergleiche das gerne mit dem Konfigurieren eines Autos – der Mann hat Spaß daran, das Leder und die Farbe des Interieurs auszusuchen. Und wir begleiten ihn dabei.“ 416 style in progress

Legebatterie? Freiland­ haltung!

Ja, man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Signale auf Expansion stehen: Das Ka­DeWe befreit sich mit neuen Einkaufschefs vom Diktat der Concession-Flächen, der Maßkonfektionär Lanieri platziert in München seinen Flagship­ store, Apropos The Concept Store eröffnet in Hamburg einen Männerladen, Marco Burresi widmet den Herren in Frankfurt einen Shop, in vielen kleinen und mittleren Städten trauen sich Händler an das ungenützte Potenzial der modisch interessierten Männer. Dazu noch Namen, die bisher nur mit Damensortimenten von sich hören ließen – myclassico.com Men zum Beispiel geht in die dritte Saison, seit Juli auch mit einem stationären Laden auf Hamburgs Großen Bleichen. „Wir sind die Antithese zum Herrenausstatter, denn Männer kaufen heute viel modischer und selbstbewusster, da sehe ich ganz klar einen Umbruch im Markt“, so Lennart Heldmann, der bei Classico für das Männerprojekt verantwortlich zeichnet. Klar ist: Ein Aufschwung oder Boom ist das nicht, vielmehr eine – statistisch wahrscheinlich vollkommen vernachlässigenswerte – Verschiebung der Umsätze. „Die ganzen Marken, die mit eigenem Retail und Flächen bei den Großen daherkommen, das sieht doch alles gleich aus. Da ist Langeweile vorprogrammiert“, findet Matthias Schwarte. Harm Hesterberg, ehemals Stiesing in Bremen, seit kurzem mit Sailor & Harbour in Bremerhaven aktiv, drückt es so aus: „Das Überangebot an Mode, auch im hochwertigen Bereich, auf

allen Kanälen, stationär, im Outlet und online, hat zu einer zwangsläufigen Ermüdung und Ignoranz bei vielen Männern geführt. Rarer than rare! Wer dieses Thema bedienen kann, unerwartete kleine Labels miteinander mixt, unbekannte Manufakturlabels gekonnt inszeniert, auch Dinge protegiert, die nicht online verfügbar sind, gepaart mit einer anderen Aufenthaltsqualität, Beratern, die etwas zu sagen haben, vielleicht die Kunst eines guten Cappuccinos beherrscht, dem fällt die neue Aufmerksamkeit zu, der hat die Chance, das Phlegma zu durchbrechen.“ Hesterbergs Prinzip ist eine Mischung aus Begeistern und Dinge knapp halten: „Jeder Mann liebt spielen. Dieser Spieltrieb und die Jagdlust nach Dingen, die nicht jeder hat, wollen befrie-

„Wenn wir über den Pitti gehen, können wir uns gar nicht einkriegen, so viel geiles Zeug ist da.“ Michael Brockmann, Heritage Agents

digt werden.“ Denn: „Mode hat nichts mit frieren oder schwitzen zu tun! Begehrlichkeit kommt von haben wollen und nicht von hinterhergeworfen bekommen. Auf den Bedarf wird zur heutigen Zeit mit dem Best Price reagiert. Ein Trugschluss! Wenn der Mann merkt, das am Preis nichts zu machen ist, dann konzentriert er sich auf das wesentliche, nämlich den Inhalt. Und siehe da, plötzlich ist er bereit, ganz anderes Geld dafür zu zahlen, weil es entweder ‚rare‘ ist, oder weil es ihm wert ist. Ein Überangebot hat noch nie Träume hervorgebracht!“

„Begehrlichkeit kommt von haben wollen und nicht von hinterhergeworfen bekommen.“ Harm Hesterberg, Sailor & Harbor, Bremerhaven


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„Jeder optimiert seine Außenwirkung“ Henning Korb zeichnet bei Apropos The Concept Store für den Einkauf mitverantwortlich, als Geschäftsführer des jüngst eröffneten Männerladens in Hamburg stehen die Herren in seinem besonderen Fokus. Mit style in progress hat er über seine Erfahrung im Luxussegment gesprochen. Text: Martina Müllner-Seybold. Foto: Apropos The Concept Store

Henne oder Ei: Was war zuerst da: Das erstarkende Interesse der Männer an der Mode oder aber ein Angebot an Mode, das Männer animiert, sich für Bekleidung stärker zu interessieren?

Apropos The Concept Store hat mit einem Herrensortiment begonnen, dies nunmehr vor über 30 Jahren. Auch damals gab es spannende Mode für Männer. Wir haben z. B. die Debütkollektionen für Herren von Prada oder Jil Sander geführt und sehr gut verkauft. Heute gibt es eine Flut von Information und Eindrücken. In einer globalisierten Welt mit Social-Media-Kanälen wird das eigene Image immer wichtiger. Jeder optimiert seine Wirkung nach außen so gut er kann, das neue Körperbewusstsein bringt dann Interesse an Mode- und Life­ stylethemen automatisch mit sich.

Im Vergleich zur Damenmode, die jede Saison wieder bei null anfängt, kann man in den Herrensegmenten Evolutionen in den Kollektionen feststellen: Vieles, was in der Folgesaison präsentiert wird, ist eine logische Weiterentwicklung aktueller Trends und Bestseller. Macht das den Einkauf einfacher oder besser strukturierbar?

Man kann nicht sagen, dass Designerkollektionen für Männer immer nur auf einen einmal gesetzten Look fußen. Demna Gvasalia hat kürzlich in einem Interview gesagt, dass es ihm ganz wichtig ist, dass seine Herrenkollektion für Balenciaga ebenso kreativ ist wie die der Damen, also eben nicht die logische Weiterentwicklung des letzten Winters wird. Oder schauen Sie Alessandro Michele für Gucci an. Ich glaube nicht, dass sich die neuen Designer diesbezüglich einschränken lassen. Uns geht es beim Einkauf ähnlich. Unsere Kunden suchen Highlights und niemand kauft dasselbe Highlight zweimal. Deswegen ist Erneuerung im Luxussegment essenziell.

Männliche Role-Models sind – vermeintlich – erreichbarer, trotzdem sie Wert auf Bekleidung legen, niemals verkleidet oder geckenhaft. Wie wichtig sind diese positiven Beispiele?

Wie schon gesagt: Social-Media-Kanäle wie Instagram sind eine Macht. Auch im Herrensegment merken wir, dass Kunden sich leiten oder inspirieren lassen. Anders als bei den Damen sind es aber eher Sportler oder DJs, die hier den Ton angeben, weniger Influencer, die rein durch ihren Instagram-Account Berühmtheit erlangt haben.

Grooming, Parfüms, Cremes, Barber, dass der Mann sich jetzt auch seiner Pflege widmen darf, ist in der breiten Masse angekommen. Wen sehen Sie als die Wegbereiter dieses Trends, wer hat es salonfähig gemacht?

Das gesteigerte Körperbewusstsein der letzten Jahre, das Interesse an gesunder Ernährung, Sport und Pflegeprodukte sind sicherlich dem allseits gegenwärtigen männlichen Schönheitsideal zu verdanken. Großen Einfluss hat hier sicherlich David Beckham genommen. Was Anfang 2000 noch als metrosexuell galt, ist heute Normalität. Er hat den Männern die Angst vor Eitelkeit genommen.

Kauft Ihre männliche Zielgruppe stärker in Outfits als die Damen?

Männer kaufen meistens mehr als ein Teil. Hier liegt der Fokus aber deutlich auf starken Einzelteilen, die sie in ihre bestehende Garderobe integrieren können und weniger auf einem Outfitgedanken. Erfährt Beratung bei Herren eine andere Wertschätzung?

Absolut! Männer sind viel treuer als weibliche Kunden. Wenn Sie einmal mit der Beratung zufrieden waren, sind sie sehr auf einen Berater fixiert. Viele unserer Herrenkunden rufen vorab an und vereinbaren Termine, um sicherzustellen, dass ihr Lieblingsverkäufer da ist.

„Niemand kauft dassel­ be Highlight zweimal“, sagt Henning Korb über die Wichtigkeit der Erneuerung in der Herrenmode.

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Wer nicht einkauft, kann nicht verkaufen Es geht zur Sache: In der letzten Orderrunde hat der Handel noch einmal drastisch bei der Vororder gespart. Das bringt nicht nur langjährige Partnerschaften auf den Prüfstand. Wo sind die schwindenden Limits spürbar geworden und worauf haben die Händler stattdessen gesetzt? Text: Nicoletta Schaper. Illustration: Claudia Meitert@Caroline Seidler. Fotos: Gesprächspartner

Jetzt hat Andreas Weitkamp einen klaren Cut gemacht. „Wir haben für Frühjahr/Sommer 2017 nichts geordert, wovon wir nicht hundertprozentig überzeugt waren“, erklärt der Geschäftsführer des Modehauses Schnitzler. „Das heißt, wir haben radikal gekürzt bei dem, was uns nicht gefiel, und mehr ausgegeben für das, was uns gefallen hat. Genau das macht uns unser Kunde vor: Er kauft nur das schönste Teil.“ Die Order Frühjahr/Sommer 2017 steht exemplarisch dafür, was sich schon länger abzeichnet. „Wir stehen an einem Entscheidungszeitpunkt“, sagt Peter Haertel, dessen Agentur Vestitus mit Marken wie Jacob Cohën, Herno, Santoni und Antonelli auf das Luxussegment spezialisiert ist. „Die Händler verabschieden sich jetzt auch von Produkten, denen sie lange treu geblieben waren, weil die Abverkäufe nicht mehr gestimmt haben.“ Der Druck hat zugelegt und die Volumina abgenommen – um die zehn bis 15 Prozent, mitunter ist von einem Orderrückgang von 30 Prozent die Rede. Das bringt manche Anbieter stark in Bedrängnis. Kommt damit eine Marktbereinigung? Sie ist in vollem Gang. Es gibt von allem zu viel – und vor allem zu viel Austauschba-

res. Einwaller hat die Einkaufsstrategie entsprechend neu ausgerichtet und sich damit auch von einigen großen Kollektionen verabschiedet. „Wir haben uns schwer getan, langjährige Partnerschaften zu beenden Aber die Entwicklungen haben gezeigt, dass Industrie und der Handel manchmal zu weit vom Endverbraucher entfernt sind“, sagt Theresa Minatti-Einwaller, die den Einkauf für das Familienunternehmen managt. „Der Kunde kauft heute nur noch das Richtige. Zum Glück gibt es nach wie vor Marken, die super Umsätze erzielen; von denen haben wir mehr geordert. Was außerdem keinen Sinn für uns macht, sind viele kleine Labels. Wenn wir hier mal für 5.000 Euro ordern und da mal, ergibt das keine Aussage im Laden und rettet unseren Umsatz nicht. Lieber verzichten wir auf die Riesenauswahl und bieten als Fachhändler unserem Kunden die Orientierung, die ihm oft fehlt.“ Konzentration

Die Zeit stellt langjährige Vertriebspartnerschaften auf die Probe. Große Order garantieren mitunter beste Zusammenarbeit, Entgegenkommen und damit reibungslose Abläufe. Dennoch hat Andreas Weitstyle in progress 416


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Theresa Minatti-Einwaller, Einkauf Einwaller: „Es braucht die Zahlen, aber es braucht viel mehr Emotio­ nen und Risikobereitschaft, damit es nicht ausschaut wie bei allen anderen.“

Andreas Weitkamp, Geschäftsführer Modehaus Schnitzler: „Alles, was austauschbar ist, verliert gnadenlos.“

Oliver Feske, Geschäftsführer Agentur P4: „Es verlieren die Marken, die überdistribuiert sind, oder diejenigen, deren Kollektion nicht zeitgemäß ist.“

kamp in manchen Fällen auf gute Konditionen verzichtet. Dennoch geht es ihm um partnerschaftliche Zusammenarbeit. „Schaue ich mir die letzte Order an, haben wir vor allem bei denen gut gekauft, die sich persönlich engagieren“, stellt er fest. „Zu viele im Vertrieb beschäftigen sich zu ausschließlich mit Excel-Listen, zu wenige sind bereit, sich auch mal an einem Samstag in den Laden zu stellen, um zu sehen, wie es läuft. Daran lässt sich einiges ablesen.“ Peter Haertel gehört zu denjenigen, die die Reduzierungen in der Vororder wenig zu spüren bekommen haben. „Es gibt keine Markentreue, es gibt nur Servicetreue“, sagt er. Immer ansprechbar sein ist sein erklärtes Prinzip, Ware rasch tauschen, wo sie nicht läuft. „Aber wenn sie läuft, muss schnell nachgeliefert werden können, diese Schnelligkeit ist unser Wettbewerbsvorteil“, erklärt Haertel. „Deshalb legen wir als Agentur die Bestseller aus einzelnen Kollektionen auf Lager, sodass der Händler sie sofort von uns nachziehen kann. Wir gehen hier mit hohem Budget ins Risiko, was sich aber bisher immer gelohnt hat.“ Peter-Boy Weber ist für das Modehaus Ehlers in Wyk auf Föhr auf unbedingte Zuverlässigkeit 416 style in progress

angewiesen. „Ich brauche den Winterpulli früh, denn wenn die Kundin ihn schon in Hamburg oder München gesehen hat, ist es hier auf der Insel zu spät“, liefert er ein Beispiel. „Für mich ist es ein klarer Imagegewinn, wenn ich die neuesten Sachen früh habe. Kommt die Ware für Winter erst Mitte September, kann das zu spät sein. Dann braucht es eine Sonderregelung mit der Lieferantenseite.“ Mit seinem Geschäft hat er sich mit der letzten Saison einmal mehr auf Premium spezialisiert. Das schützt ihn nicht vor Preissensibilität, die jetzt unisono enorm zugenommen hat. „Es gibt eine psychologische Preisschwelle, die weniger denn je überschritten werden darf“, so Peter Haertel. „Ich brauche Qualität, aber zum richtigen Preis. Unser Endverbraucher ist bereit, viel auszugeben – aber er möchte auch wissen wofür.“ Lang vorbei ist die Blütezeit im Outerwearmarkt, zu der die Konsumenten ohne zu zögern viel Geld für Markenjacken hingeblättert haben. Doch für Kollektionen wie Save the Duck aus Italien ist die Krise eine Chance: Weil sie mit einem frisch-unverbrauchten Namen, dem Bewusstsein für Nachhaltigkeit und last but not least einem guten Preis-Leis-

tungs-Verhältnis plus hoher Kalkulation punktet. „Der Bestandskunde kauft bei uns 20 Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahr. Wir haben die Saison mit einer Exportquote von 40 Prozent abgeschlossen“, sagt Daniela Holnsteiner, die für den internationalen Vertrieb von Save the Duck zuständig ist. „Wir haben keine Märkte in Europa, wo unser Produkt nicht funktioniert. Wir entwickeln uns sehr global – und, was auch positiv ist: Wir werden in keine Schublade gesteckt.“ Damit das Label weiter gesund wächst, gilt es, den Vertrieb selektiv und sensibel auszuweiten. „Gerade in einem übersättigten Markt ist es wichtig, nicht von der eigenen Positionierung abzurücken“, weiß Daniela Holnsteiner. „Umso größer ist die Glaubwürdigkeit der Marke.“ Vom Vertrieb hängt sehr viel ab, ist Peter-Boy Weber ebenfalls überzeugt. „Wir haben die Marken im Sortiment verstärkt, die nicht mit Macht auf den Markt drücken, sondern sich ihre Individualität erhalten und so für den Premiumhändler interessant bleiben. Dann gibt es auch kein Problem mit den Abverkäufen.“ Innovation? Ein Muss

Um besonders zu sein, ist Innovation ebenfalls unerlässlich, in

den Kollektionen, im Handel. Muss dann auch so oft Neues im Laden sein, wie es die Vertikalen vorleben? Verschiebt sich das Budget des Handels stärker in Richtung Kurzfristiges – oder in Richtung NoS? Oliver Feske führt in seiner Agentur das dänische Label Minimum. „Die Kollektion hat ein super Stockprogramm und die Händler profitieren davon. Vielen ist es wichtig, die Bestseller in der Saison nachziehen zu können.“ Dazu kommen bei Minimum vier Ordertermine jährlich, nicht nur für Oliver Feske ist das ein guter Rhythmus. Save the Duck soll jetzt schneller getaktet werden. Das Ziel sind sechs bis acht Ordertermine mit vier Pre- und Haupt- und zwei bis vier Flashkollektionen, die auch über einen virtuellen Showroom zu beziehen sein sollen. „Wichtig dabei ist aber, dass jede Kollektion sich auf ein Thema spezialisiert, das der Handel zu diesem Zeitpunkt braucht, wie zum Beispiel ein Fake-Lederprogramm im Oktober“, so Holnsteiner. „Und da sich die Kollektionen sehr voneinander unterscheiden, entsteht auch kein Warendruck.“ 15 Prozent Spielgeld hatte sich Andreas Weitkamp für die laufende Saison zurückbehalten, für alles, was ihm spontan


INTERNATIONAL FASHION TRADE SHOW

January 28 – 30, 2017 Saturday – Monday

AREAL BÖHLER HANSAALLEE / DÜSSELDORF

IGEDO.COM


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Peter-Boy Weber, Geschäftsführer Modehaus Ehlers: „Ich muss mich auf Abspra­ chen verlassen können, ich brauche die Bereitschaft für Sonderregelungen.“

Daniela Holnsteiner, Exportmanager Save the Duck: „Für mich auf Labelseite muss ein bestimmtes Vororder­ volumen da sein. Umso mehr Service kann ich geben.“

Peter Haertel, Geschäftsführer Agentur Vestitus: „Marken, die nicht richtig betreut werden, haben heute keine Chance mehr.“

gefällt. „Allerdings glaube ich nicht, dass ich in der Saison von den starken Marken noch mal neue starke Flashware bekomme – ebenso wenig wie ich daran glaube, dass wir uns mehr in Richtung Ready to wear bewegen müssen. Wenn meine Winterware erst im November kommt, was hätte ich beispielsweise die letzten drei Augustwochen verkaufen sollen? An einem Montag hatten wir 16 Grad, ein Bombentag, um Outerwear zu verkaufen. Am Freitag 32 Grad. Hätte ich da die Winterjacken raus und die Badehosen wieder reinhängen sollen?“ Im Modehaus Schnitzler gehören Kollektionen wie Dorothee Schumacher, auch Armani und Stone Island zu den starken Komplettlookanbietern. „Aber es verschiebt sich stärker von Weltmarken weg und hin zu Nischenlabels“, so Weitkamp. Wird das Produkt wichtiger? Und damit auch die Produktspezialisten? „Absolut“, antwortet Weitkamp. „Ich denke, dahinter steckt auch eine soziologische Entwicklung. Die Leute erwarten heute so viel mehr Qualität für ihr Geld. Das zeigt sich ja auch stark in der Gastronomie. Für Zweit- und Drittklassiges wollen sie kein Geld mehr ausgeben.“ Klasse statt Masse ist auch Pe416 style in progress

ter-Boy Webers Maxime. Ende September hat er noch einmal einiges an Cruisecollections in Mailand geordert. Für ihn ist das mittlerweile der Hauptanteil der Order, zumal er die Lieferpünktlichkeit der Italiener sehr lobt. Statt großer Kollektionen setzt er stärker auf unbekanntere Namen und Nischenlabels. „Die brauchen wir als Multibrandhändler, um die eigene Dachmarke zu stärken und um unser Profil zu schärfen.“ Bei Einwaller dagegen haben große Namen wie Chloé, Dolce & Gabbana, vor allem aktuell Gucci nichts von ihrer Zugkraft eingebüßt. Die großen Designer stehen nicht nur stark für Innovation, sondern sie sind das Aushängeschild von Einwaller, was nicht nur der Lage der Einwaller-Stores geschuldet ist, die sich am Tourismusstandort Innsbruck auf dem Weg zum Stadtwahrzeichen Goldenen Dachl gruppieren. „Das bringt uns beispielsweise viele asiatische Kunden in die Geschäfte, zusätzlich zu der einheimischen Stammklientel“, so Theresa Minatti-Einwaller. „Du musst heute so viel genauer wissen, wer dein Kunde ist und was genau er will.“ Theresa Minatti-Einwaller hat wie viele andere erfolgreiche Händler nicht einfach die Order reduziert, sondern sie hat sich in

der Order konzentriert. „Einfach überall nach Rasenmäherprinzip weniger zu ordern, bringt aber meiner Meinung nach nichts. Da folgen wir im Unternehmen lieber dem Leitsatz meines Vaters Josef Einwaller: Wer keine Ware einkauft, kann auch keine verkaufen.“ Was ist ihr wichtiger: Bauch oder Kopf bei Einkaufsentscheidungen? „Du musst dir die Zahlen schon anschauen, aber am besten gleich wieder vergessen“, so Theresa Minatti-Einwaller. „Es braucht viel mehr Emotion, damit das Sortiment nicht ausschaut wie bei den anderen. Wir stehen für Farbe, aber manchmal bremst dann der Vertrieb. Wen wundert es dann, dass der Kunde nicht die x-te Jacke in Beige oder Dunkelblau kauft! Wir haben als stationärer Einzelhandel irrsinnig große Möglichkeiten, und die fangen im Einkauf an.“ Wer überrascht, gewinnt

Aber nicht nur da gibt es Potenzial, das es auszuschöpfen gilt. „Die Kunden wollen konsumieren – doch oft fehlt die Spannung im Geschäft“, meint Oliver Feske. „Wir verstehen uns schon länger als Lifestyleagentur und stellen in unserem neuen Showroom eine 100 Quadratmeter große Conceptstore-Fläche vor, mit Büchern, Elektro-

nik, Schnaps, Duftkerzen, Seife und Möbeln. Darauf haben wir bereits sehr gutes Feedback bekommen.“ Es geht um das Besondere, auch das Unerwartbare. Darin sieht auch Andreas Weitkamp seine Chance im Multibrandgeschäft. „Du musst, damit das Haus spannend bleibt, ins Risiko gehen, gerade in unsicheren Zeiten“, sagt er. „Der Kunde muss überrascht werden, sonst kann er sich ja gleich auf dem Sofa durch sämtliche Onlineshops klicken. Die Überraschung ist das wichtigste Element – und der größte Fehler ist es, immer auf Nummer sicher zu gehen.“


„Mode ist nicht mehr unser Geschäft!“ Weniger vorordern? Lieber vom Richtigen mehr, lautet Franco Savastanos Maxime. Was der Geschäftsführer von Jelmoli Zürich darunter versteht und wie sich das Traditionshaus auf die heutige Marktdynamik einstellt, beschreibt er im Interview. Text: Nicoletta Schaper. Fotos: Jelmoli

Für die Frühjahr-/Sommer-Saison 2017 hatte der Handel angekündigt, die Vororder deutlich zu reduzieren. Auch Jelmoli?

Wir haben knapp zehn Prozent weniger geordert, das ist nicht besonders viel. Wir hätten natürlich sagen können, wir kürzen die Vororder um 30 Prozent, aber damit wäre kein Problem gelöst. Einfach weniger ordern, birgt das Risiko, dass das Richtige nicht dabei ist – und das Angebot im Store kein Bild ergibt. Was heißt das konkret?

In aller Regel hält die Industrie kein großes Lager vor. Außerdem bestellen viele Anbieter den Stoff erst, wenn die Bestellungen eingegangen sind, um danach mit der Produktion zu beginnen. Das bedeutet, dass sich die Händler sechs bis neun Monate im Voraus festlegen müssen und das Risiko nach wie vor stark auf Händlerseite liegt. Wer aber insgesamt weniger vorordert, riskiert, nicht genug Innovationen im Geschäft zu haben oder nicht die richtigen. Wo setzen Sie an?

Indem wir mit guten Marken partnerschaftlich zusammenarbeiten. Das heißt, mit einem schönen Vorordervolumen der Marke bei Jelmoli ein angemessenes Forum zu geben. Daraus ergibt sich eine Partnerschaft, die viel ermöglicht: gemeinsame Events, Schulungen, Warentausch. Statt ein bisschen hier und da zu ordern, müssen wir Händler uns viel stärker zu den Marken committen. Umso besser ist der Warenfluss. Das heißt weniger Marken, aber nicht weniger ordern.

Das große Thema ist ja nicht die Ware selbst. Wenn wir heute von Mode sprechen, meinen wir Gucci und Prada,

die ihrerseits von Vertikalen wie Zara perfekt kopiert werden. Das heißt, die Mode wird heute von Gucci oder Zara gemacht, alles, was dazwischen liegt, hat nichts mehr mit Mode, sondern mit Stilen zu tun. Wir bei Jelmoli arbeiten stark mit Stilen, mit Icons wie dem Parka von Woolrich oder Canada Goose. Mit Marken wie Diane von Furstenberg, die für das Kleid steht, mit der Incotex-Hose oder Strick von FTC. Sprechen wir über Mode und damit über die Schnelldreher, dann ist das einfach nicht mehr unser Geschäft, das müssen wir akzeptieren. Daher haben Marken ohne starke Identität jetzt ein Problem.

Auch auf Händlerseite gibt es öfter das Problem der fehlenden Identität.

Darin liegt die Crux. Heute müssen wir für etwas stehen. Stellen Sie sich vor, Sie gehen in Ihr Lieblingsrestaurant und der Kellner sagt Ihnen, wir haben jetzt auch Fondue und Sushi. Wie glaubwürdig ist das dann noch?

Was ist wichtiger: Kollektionen oder Partnerschaften?

Schon beides. Die tollste Kollektion nützt nichts, wenn der Vertrieb nicht gut ist, und umgekehrt. Wir haben sehr gute Partner, mit denen wir uns intensiv zusammensetzen. Wo wir austauschen, wenn nötig, und uns absprechen, was online gestellt wird. Das ist ein sehr konzentriertes, akribisches Arbeiten. Statt Vororder reduzieren, gilt es, enger zusammenzuarbeiten – um gemeinsam zu lernen. „Heute müssen wir mehr denn je für etwas stehen“, sagt Franco Savastano, Geschäftsführer von Jelmoli Zürich.


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Alle nach Hause? Diskutiert wird die Rückführung industrieller Produktion nach Europa schon seit Jahren. Setzt jetzt durch das Zusammenspiel aus verändertem Konsumentenverhalten, wirtschaftlicher Dynamik und Industrie 4.0 tatsächlich eine großflächige Rückkehr nach Europa ein? Text: Quynh Tran. Illustration: Claudia Meitert@Caroline Seidler

Die Lebensmittelindustrie nahm Trends immer vorweg: Bio oder Fair Trade wurden zuerst beim Essen wichtig. Dieser Trend, der heute mit 4,4 Prozent Marktanteil zwar noch immer eine Nische ist, zwischen 2000 und 2015 aber immerhin von 2,1 Milliarden auf 8,6 Milliarden Euro Umsatz gewachsen ist, gewinnt immer noch an Boden. Inwiefern sich diese Entwicklung in der Modeindustrie spiegelt, ist statistisch noch nicht nachweisbar, aber vor allem nach zahlreichen Horrormeldungen um die Billigproduktion in Fernost

beginnt ein Umdenken, das Unternehmen wie auch Konsumenten bestätigen. Analog dazu erfreut sich regional Produziertes wachsender Beliebtheit: In fast jedem größeren deutschen Supermarkt findet man mittlerweile nicht nur Bio-Regale, sondern auch Hinweisschilder, die die Regionalität von Lebensmitteln bewerben. Die Studie „Lebensmittel: Regional ist gefragter als Bio“ der Unternehmensberatung A.T. Kearney aus dem Jahr 2015 ist sogar zu dem Ergebnis gekommen, dass regionale Lebensmittel höher bewertet werden als biologisch angebaute Lebensmittel. Das hat laut Studie zum einen mit dem Nachhaltigkeitstrend zu tun, da regionale Produkte oft als nachhaltig eingestuft werden, zum anderen aber auch mit der Identifikation ihrer Kunden mit der Region und einer immer transparenteren Kennzeichnung regionaler Lebensmittel. Wie und wo

Wenn man auch diesen Trend als Vorboten für die Entwicklung in anderen Branchen betrachtet, lautet die These, dass in Zukunft die Nachfrage nach Konsumgütern, die statt in Fernost im Inland oder innerhalb Europas hergestellt werden, einen ähnlichen Aufschwung erleben könnte. Auf dem letzten Pitti Uomo war das greifbar – beinahe flächendeckend betonten die Aussteller ihr Made in Italy. In Berlin war es zwei Wochen später kaum anders; gerade Marken im mittleren und oberen Preissegment grenzten sich durch „Made in Europe“-Parolen von vertikalen Discountern ab. „Für unsere Kunden ist es sehr wichtig, wo unsere Produkte hergestellt werden. Auf Messen wird natürlich als Allererstes nach dem Preis gefragt. Die zweite Frage aber ist, woher das Produkt kommt“, sagt Andrea

Curti, Gründer und Inhaber von P448. Curti hat sein Label, das Sneaker in einem Preissegment bis 200 Euro im Verkaufspreis vertreibt, 2012 gegründet und entschieden, die Schuhe ausnahmslos in Italien herzustellen. „Mit der Produktion in Italien gewährleisten wir die Qualität und gehen sicher, dass wir die Kontrolle über jeden einzelnen Schritt im Produktionsprozess haben“, sagt er. Die Nähe zum Markt ist ausschlaggebend

Auch Maximilian Koehler hat sich in Hinblick auf die steigende Konsumentenwertschätzung für europäische Rohwaren und für eine Produktion in Europa entschieden, als er 2013 sein Damenmodelabel Quantum Courage gelauncht hat: „Die Transparenz der Produktionsprozesse ist ein wesentliches Entscheidungskriterium für unsere exklusiven Kunden. Der Begriff ‚Made in Europe‘ unterstreicht den Aspekt der Nachhaltigkeit, die Einhaltung der ethischen Standards und beeinflusst daher auch die Kaufentscheidung unserer Endkunden maßgeblich. Die Handwerkskunst und das Verarbeiten feinster Qualitäten sind in Europa einzigartig“, sagt er. Produktionsstätten in Fernost dagegen würden sich auf Quantität konzentrieren und Großkunden favorisieren. In Europa hingegen sei die Produktion flexibler und die Serviceleistung höher. „Für uns ist der enge und kontinuierliche Austausch mit unseren Lieferanten sehr wichtig. Die Nähe zu unseren Produktionsstätten ist ein absoluter Vorteil. Unsere Qualitätskontrollen können somit einerseits schnell durchgeführt werden und andererseits unsere Lieferwege vereinfacht und verkürzt werden. Dies wirkt sich wiederum sehr positiv auf unsere sehr hohe Kundenzufriedenheit aus. Trotz der entste-

henden Mehrkosten in Europa sind wir überzeugt, dass es wirtschaftlich tragbar ist, seine Produktion kurz-, mittel- und langfristig in Europa durchzuführen“, so Koehler. Schnell reagieren

„Der ausschlaggebende Grund für die Kaufentscheidung ist das Made-in-Prädikat zwar nicht, aber es ist ein zusätzliches Argument. Der Endkunde schätzt die Produktion in Europa und im Falle Italiens rechtfertigt es eine Akzeptanz höherer Preise von zehn bis 15 Prozent mehr“, sagt Daniele Fiesole, Geschäftsführer der WoolGroup, die ihre Manufakturen in Italien betreibt. Als Produzent berichtet er auch, dass ihn immer mehr Anfragen von größeren Brands und Private Labels erreichen, die ihre asiatischen Produktionsaufträge nach Italien zurückbringen wollen. „Es gibt eine sichtbare Tendenz Produktion nach Europa – nach Italien, Portugal, Rumänien und so weiter – zurückzuführen. Die Hauptvorteile sind kürzere Lieferzeiten, die Möglichkeit, kleine Volumina in Form mehrerer Bestellungen während der Saison in Auftrag zu geben, um besser auf Kundennachfragen zu reagieren, und das Faktum, dass die steigenden Transportkosten und die sinkenden Lohnunterschiede zwischen Europa und Asien eine lokale Produktion kostenseitig attraktiver machen“, berichtet Fiesoli. „Einer der Hauptgründe für das Erstarken Europas als Produktionsstandort ist natürlich der Logistikvorteil: Europäische Zulieferer reagieren besser und schneller und die Schnelligkeit hilft uns, Kundenerwartungen und Marktnachfragen besser zu bedienen“, bestätigt auch Michael Azoulay, CEO von American Vintage. Aktuell produziert die Marke zu 60 Prozent in Europa und Marokko und zu 40 Prozent in Asien. style in progress 416


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Reshoring ist das Zauberwort

Das alles klingt hoffnungsfroh, vor dem rosarot getrübten Blick warnen jedoch die handfesten Zahlen. So hat die Unternehmensberatung A.T. Kearney im U.S. Reshoring Index 2015 festgestellt, dass es zwar punktuell Back-Reshoring (Rückkehr der Produktionen in den Heimatmarkt) und Near-Reshoring (Verlagerung der Produktion in Nachbarländer) gibt, Offshoring aber noch immer den höheren Anteil hält. Doch: Gerade in der Bekleidungsindustrie, die sich immer stärker auf den Kunden konzentriert und schneller reagieren muss, bietet Reshoring enormes Potenzial. „Wir können beobachten, dass vereinzelt deutsche Marken in unserem Verband nach Europa zurückkehren, punktuelle Tendenzen gibt es definitiv. Ob sich das zu einem Trend entwickelt, bleibt abzuwarten, aber ausschlaggebend sind die kürzeren Lieferwege und das Potenzial, durch die Nähe zum Absatzmarkt schneller auf Kundennachfragen reagieren zu können“, sagt Hartmut Speisecke, Sprecher des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie. Ironisch: Selbst die Zaras und H&Ms dieser Welt, die die Karawane der Arbeitsverlagerung in Billiglohnländer erst ausgelöst haben, bedienen sich europäischer Produktion – den hohen Lohnkosten zum Trotz. Schnelligkeit ist für sie eben alles. Die Forschungsgruppe UniClub MoRe, ein Zusammenschluss fünf italienischer Universitäten, beschäftigt sich seit 2005 mit dem Thema. Neben dem Vorreiter USA sieht sie seit der Finanzkrise 2009 Italien, Deutschland, Großbritannien und Frankreich als Profiteure des Reshorings. Die Hälfte der Rückkehrer kommt laut Studie aus dem Bekleidungssegment. Die Gründe sprechen Bände: 25,1 Prozent geben kosten- und produktbezogene Aspekte an, 21,9 Prozent Logistikkosten, für immerhin 19,7 Prozent ist der Made-in-Effekt ausschlaggebend, weitere 19,7 Prozent die steigenden Lohnkosten in Fernost, 18,9 Prozent Qualitätsbedenken und 17,8 Prozent Lieferverzögerungen sowie fehlender Kundenservice. Laut 416 style in progress

der Studie zeichnet sich ab, dass diese Gründe eine höhere Rückkehraktivität in Zukunft befördern könnten. Lokale Produktion hat Potenzial

Eine Befragung der Boston Consulting Group unter US-Großunternehmen im Dezember 2015 kam zu dem Ergebnis, dass 31 Prozent der Firmen in den nächsten fünf Jahren Produktionskapazitäten in den USA ausbauen werden. Die Kehrseite der Medaille: 20 Prozent gaben an, dass sie auch in China Kapazitäten steigern würden. Das lässt schließen, dass es bei Großunternehmen vielmehr um eine geografische Diversifizierung der Produktionsstruktur als um eine pure Rückkehrinitiative geht. Aus der Praxis: Walmarts Reshoring Initiative will bis 2023 Warenproduktionen im Umfang von 250 Millarden US-Dollar aus dem Ausland wieder in die USA bringen. Auch Nike hat angekündigt, bei Inkrafttreten des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP 10.000 Jobs in der Produktion zu schaffen. Ein Beispiel aus Europa: In Großbritannien hat Burberry erst Anfang dieses Jahres verkündet, 50 Millionen Britische Pfund in englische Manufakturen zu investieren. Kommunikation für „Made in“ bleibt beim Unter­nehmen

Auch wenn vielfältige Gründe das Reshoring begründen, bleibt auf regulatorischer Seite die fehlende Verbindlichkeit von „Made in“-Auszeichnungen und damit verbundene Intransparenz zur wirklichen Herkunft von Waren ein Problem. So kann zum Beispiel eine Sonnenbrille, die in Italien nur zusammengeschraubt wird und sonst in China produziert wird bereits als „Made in Italy“ ausgezeichnet werden. Eine Lösung für dieses Problem ist von öffentlicher Seite nicht in Sicht. „Viele unserer Kunden wissen bis heute noch nicht, welch hoher Wertschöpfungsgrad unserer Produkte noch in Deutschland stattfindet und das wollen wir verstärkt kommunizieren – und zwar auch mit Werbekampagnen, die provokanter sind und

die den Kunden dazu herausfordern, sich Gedanken über die Produktionsbedingungen zu machen“, berichtet Matthias Mey von Mey. Woher die Kleidung kommt, muss also auch vom Unternehmen proaktiv kommuniziert werden. „Mey hat ein extrem vertikales Geschäftsmodell, bei dem die Wertschöpfung zu einem großen Teil im Unternehmen liegt: 85 Prozent der Stoffe werden im Haus hergestellt, 100 Prozent selbst zugeschnitten. Im letzten Schritt geht es dann um die Konfektion, welche jedoch in der Regel der teuerste Teil ist“, erzählt Mey. Zusätzlich wurde Mey Story lanciert, das bewusst aktiv mit dem Sigel „Handmade in Germany“ arbeitet: „Es ist wissenschaftlich belegt, dass Kunden handgemachte Sachen mehr wertschätzen. Bei Mey Story haben wir auf Basis unserer Werte eine eigenständige Marke geschaffen. Die Produkte sind vom Faden bis zum fertigen Produkt handmade in Germany. Hierbei geht es um Werte, um Überzeugungen, um die Essenz dessen, wofür Mey auch als Unternehmen steht. Gerade in Japan und Korea ist die Wertschätzung für das Handgemachte und das Interesse an der Geschichte sehr hoch. In Deutschland läuft es sehr gut, es gibt aber auch noch viel Entwicklungspotenzial.“ Die Industrie 4.0 als Treiber

Ist die Produktion in Europa und die Zurückverlagerung von Produktionen im Ausland nach Europa in der Modeindustrie also nur für Marken im mittleren und gehobenen Preissegment sinnvoll? Innovationen aus der digitalen Technologie verheißen andere Möglichkeiten: Unter dem Stichwort Industrie 4.0 arbeiten immer mehr Forschungsgruppen und Unternehmen an der Vernetzung industrieller Produktion mit modernen Informations- und Kommunikationstechniken. Vorreiter in diesem Bereich sind Sportbekleidungshersteller. So arbeitet Adidas gerade intensiv an der Speedfactory, die mit 3-D-Druck Sportschuhe lokal in kürzester Zeit auf den Fuß maßgeschneidert herstellen soll. „Derzeit nimmt der Prozess bis ein Produkt im Laden steht

bis zu 18 Monate in Anspruch – einschließlich Design, Entwicklung des Produkts, Hineinverkauf in den Handel, Produktion, Versand etc. Dieser Zeitraum könnte mit Hilfe der Speedfactory deutlich reduziert werden – damit können wir nicht nur schneller auf Trends reagieren, sondern dem Wunsch der Creator nach Schnelligkeit, Ästhetik und Performance noch besser nachkommen“, sagt Katja Schreiber, Pressesprecherin des Unternehmens. „Als ich zu Adidas kam, wanderte die Produktion ab. Jetzt kehrt sie nach Deutschland zurück“, sagt Vorstandsvorsitzender Herbert Hainer dem Handelsblatt im September 2016. Bereits diesen Herbst soll die Speedfactory in Ansbach die ersten 500 Paar Schuhe produziert haben. Perspektivisch sollen die Fabriken aber integraler Produktionsbestandteil werden: „Im Jahr 2015 haben wir insgesamt 301 Millionen Paar Schuhe produziert. Basierend auf unserem strategischen Geschäftsplan Creating the New rechnen wir bis 2020 mit einem jährlichen Umsatzwachstum im zweistelligen Bereich. Im Zuge dessen werden wir im Jahr zusätzlich etwa 30 Millionen Paar Schuhe produzieren. Die Speedfactories bieten daher zusätzliche Produktionskapazitäten. Für Sie als Vergleich: In jeder der Fabriken sollen mittel- bis langfristig 500.000 Paar Schuhe jährlich hergestellt werden“, sagt Schreiber. Es ist eine Entwicklung, die die Stärkung Europas als Produktionsstandort aus einem ganz anderen Blickwinkel sieht, und die nicht, wie so viele hoffen, Arbeitsplätze schafft, sondern sie durch maschinelle Innovationen wie dem 3-D-Drucker ersetzt. Die Boston Consulting Group prognostiziert, dass bis 2025 25 Prozent der Produktionen in Deutschland von Maschinen bewerkstelligt wird, 2015 waren es zehn Prozent. Doch immerhin, die Wertschöpfung kehrt zurück: Unter den von der Boston Consulting Group befragten US-Großunternehmen gaben 71 Prozent der Manager an, dass neue Fertigungstechniken die Produktion im Westen wirtschaftlicher machen.


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„Deutschland hat Innovationskultur – wir müssen sie nutzen“ Lisa Lang, Gründerin des Fashiontech-Start-ups ElektroCouture und Jurymitglied des Telekom Fashion Fusion Wettbewerbs für Fashiontechnologie glaubt an den Produktionsstandort Europa – mit einem Industrie 4.0.-Hub in Berlin. Interview: Quynh Tran. Foto: ElektroCouture

Wird Europa als Produktionsstandort für die Textilindustrie gerade wieder interessanter?

Von unseren Großkunden höre ich in letzter Zeit immer wieder, wie sie mehr Zeit und größere Kosten hatten, weil sie ihre Produktionen aufgrund von niedrigen Preisen nach Asien verlegt haben – da herrscht momentan so etwas wie eine Katerstimmung. Wir waren über zehn Jahre in einem Preisverfall, der uns in eine Situation gebracht hat, in der es keine Qualität, keine Entwicklung, keine Innovation und keine Freude gibt, und die Kreativen verbrannt werden, weil sie pausenlos produzieren müssen. Europa ist als Standort in den letzten Jahren attraktiver geworden, weil man erkannt hat, dass der Preis nicht alles ausmacht und man hier Stil und Innovation findet. Die Infrastruktur ist bereits vorhanden und der Preis ist absolut gerechtfertigt, weil die Produzenten wissen, wie es geht. Wenn wir hier etwas bestellen, wissen wir, dass es auch hergestellt und pünktlich geliefert wird und es keinen Ausschuss gibt. Um erfolgreich zu arbeiten, muss man mit Menschen und Maschinen arbeiten. Und da sind die Nähe zwischen Entwicklern, Produzenten und Absatzmarkt ebenso wie die Innovationskultur hier ein Vorteil. Welche Rolle spielt die Digitalisierung der Industrie, die sogenannte Industrie 4.0, in diesem Zusammenhang?

Zunächst kann man mit der Industrie 4.0 bestehende Technologien ausnutzen,

indem man sie durch Digitalisierung besser manipuliert. So kann man etwa Nähmaschinen und Webstühle umprogrammieren, um eine innovativere und effizientere Produktion zu erzielen. Auf der anderen Seite gibt es neue Formen von Fashion­ technologie, die die Arbeit mit ganz neuen Materialien ermöglichen, wie zum Beispiel Smart Textiles oder 3-D-Druck. Für große Bekleidungshersteller ist es natürlich ein feuchter Traum, einen Drucker zu haben, mit dem der Kunde nach einem Scan ein maßgeschneidertes Produkt bekommt. Das ist auch der Wunsch des Kunden. Die Realität sieht anders aus: Der 3-D-Druck ist noch nicht ausgereift, es gibt noch immer Konstruktionsprobleme und es ist zu teuer. Zudem gibt es keine Zertifizierungen für 3-D-gedruckte Produkte und skalierbare Manufakturkosten funktionieren nur, wenn es Standards gibt, mit der sich Produzenten absichern können. Anders sieht das beim Prototyping aus: Für einen Designer gibt es nichts Besseres, als eine Idee zu haben, die Maschine zu laden und innerhalb kürzester Zeit eine 3-D-Form zu haben. Fortgeschritten ist außerdem der Schmuck- und Accessoirebereich. Da kann eine Gussform zum Gießen von Objekten gedruckt werden, was präziser und billiger als die klassische Formherstellung ist. Oder es werden 3-D-Objekte gedruckt, die mit Gold und Silber überzogen werden. Da gibt es in Europa eine hochqualitative, schnelle Produktionskette. Wir brauchen gar nicht über die Grenzen

Europas hinauszugehen, weil in diesem Bereich schon alles hier ist. Gerade bei den neumodischen Techniken muss man sich als Designer mit der Produktionskette beschäftigen, und die liegt in diesem Fall in Europa. Vojd Studios, zum Beispiel, ist ein Berliner 3-D-Druck-Studio, das Couture-Schmuck designt, aber auch für Alexander McQueen und Dior produziert. Die sind nach Berlin gekommen, statt in London oder Paris zu bleiben. Das ist Wahnsinn, wenn man bedenkt, wie sehr Berlin mit seiner Reputation kämpft. Aber es wächst aus Berlin gerade eine ganz neue Generation, die mit deutscher Ernsthaftigkeit hoch technische, hoch qualitative Innovationen hervorbringt.

Lisa Lang glaubt fest daran, dass die Nutzung von Technolo­ gien Produktion nach Europa zurückbringen kann.

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054 SO LÄUFT’S

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SO LÄUFT’S 055

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Bel Paese Und wieder einmal wendet sich das Blatt: Während noch vor kurzem stillstehende Fabriken und Billigproduktion durch chinesischstämmige Unternehmer Italiens Wirtschaftsnachrichten beherrschten, mehren sich die Zeichen der Hoffnung. Unternehmer, die aller Stagnation zum Trotz investieren, ihre Firmen dynamisch halten und jetzt schon für einen Aufschwung rüsten, der so logisch scheint. Text: Martina Müllner-Seybold, Kay Alexander Plonka, Nicoletta Schaper. Illustration: Claudia Meitert@Caroline Seidler

Das Image des Made in Italy ist ungebrochen hoch: Wer europäische Mode sagt, muss italienische Kompetenz nennen. Ob im Design, in der Fertigung oder Veredelung, in vielen Disziplinen ist Italien unangefochtene Nummer eins. Verwundert es irgendwen, dass hinter den positiven Firmenkonjunkturen – oh ja, die gibt es – flammende Unternehmer stehen? Während einige Giganten der italienischen Modeindustrie straucheln, mit Steuerskandalen oder sinkenden Börsenkursen kämpfen, hat sich der Mittelstand vielerorts als krisensicher bewiesen. Auf die Veränderungen des Marktes zu reagieren, hieß, sich bedingungslos auf den Export zu konzentrieren und endlich, zu akzeptieren, dass andernorts die Uhren anders ticken. Was noch niemand dazu bewogen hat, die Ferragosto-Schließzeiten im August vom Kalender zu nehmen, doch Agenturen und Kunden, die lange mit italienischen Unternehmen zu tun haben, bestätigen unisono, dass im Exportgeschäft eine

Professionalisierung stattgefunden hat. Austausch, Retouren, Zahlungsziele mit Skonto, die Abkehr von Gummiterminen, ein verlässliches Lager, B2B-Portale, Nachordermöglichkeit – das ABC für gemeinsamen Erfolg muss man den italienischen Geschäftspartnern nicht mehr nahelegen. style in progress hat italienische Unternehmer zum Gespräch gebeten – und dabei viel über die Stärken derer erfahren, die aus der Not ihre Tugend gemacht haben, sich perfekt in der Nische positioniert haben und nicht müde werden, ihr Angebot noch besser auf die Herausforderungen der Zeit und die Bedingungen des Marktes anzupassen. Jedoch: Keinesfalls, ohne die dazugehörige Italianità zu verlieren.

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056 SO LÄUFT’S

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Frankie Morello

„Wir sind ausgemachte Optimisten“ Seit der Übernahme durch FFM zeigt sich die Designermarke Frankie Morello in neuer Blüte. Hinter dem Investment steht Familie Ammaturo, die ihr Geld bisher mit Öl und Energie verdiente. Dass Mode in dieses Unternehmensportfolio passt, zeigt Angela Ammaturo, die style in progress ihre Pläne für die Marke verriet. Text: Martina Müllner-Seybold. Fotos: Frankie Morello

Die italienische Mode­ industrie steckt aus verschiedenen Gründen in der Krise, doch Ihre Familie hat beschlossen, genau jetzt in Mode zu investieren. Warum?

Die gesamte italienische Wirtschaft steht im europäischen Kontext und hat derzeit einfach zu kämpfen. Das trifft natürlich auch die Modeindustrie. Die Frage ist, wann es wieder bergauf geht. Ich glaube, dass wir damit mittelfristig rechnen können. Wir haben die Talsohle durchschritten und daher ist es wahrscheinlich, dass wir in der Zukunft ein moderates Wachstum haben werden. Zudem haben die Entscheidungsträger erkannt, dass es nötig ist, ihren Kurs zu ändern und die aktuelle Austeritätspolitik zu durchbrechen. Meine Familie und ich sind ausgemachte Optimisten – und wir haben dieses Investment in die Mode mit einer mittelfristigen Perspektive getätigt. Wir wollen die Chance nicht verpassen, zu profitieren, wenn die Wirtschaft wieder anzieht, und dafür müssen wir uns jetzt vorbereiten. Freilich ist es herausfordernd, aber die Ammaturos lieben die Herausforderung. Mein Traum ist, dass Frankie Morello tonangebenden unter den italienischen Marken ist, die wieder ein starkes Wachstum in die gesamte Branche bringen. Nun ist es ja ein weiter Weg von Öl zur Mode: Wessen Idee war das?

Das war ich und schon als ich es aufgebracht habe, war meine Familie sehr interessiert. Ich glaube, ich habe einen neuen Aspekt in die Art, wie meine Familie über ihre Unternehmungen denkt, eingebracht und jetzt sind sie wirklich – besonders mein Vater – enthusiastisch und unterstützen mich voll. Ich habe diese Idee geboren und dann hat sie laufen gelernt – unterstützt 416 style in progress

von all der unternehmerischen Erfahrung und den Ressourcen, die unsere Familie hat. Mich fasziniert die Mode, seit ich ein Teenager bin. Sie hat etwas Mystisches, Mode ist eine Kunst und gehört zu den künstlerischen Dingen, die Menschen Tag für Tag brauchen, um sich gut zu fühlen.

Frankie Morello ist nicht nur ein Investment für Sie, sondern auch eine Aufgabe, die Sie voll und ganz in Beschlag nimmt, nicht zuletzt in Ihrer Rolle als CEO. Konzentrieren Sie sich darauf oder haben Sie noch andere Aufgaben in der FFM Gruppe?

Ich habe keine Managementaufgaben in anderen Unternehmen, nein, das erlaubt mir, mich ganz auf Frankie Morello zu konzentrieren. Das Projekt erfüllt mich, ich arbeite fast ununterbrochen daran und ermüde trotzdem niemals an der Arbeit. Ich bin glücklich, überall involviert zu sein. Selbstverständlich könnte ich das alles niemals ohne die Unterstützung und den Beitrag meines fantastischen Teams leisten. Was hat Sie angefixt? Die glamouröse Seite der Mode oder die Zahlen?

Beide Seiten in Kombination, beides finde ich höchst spannend. Ich bin glücklich, in einem Wirtschaftszweig mit Glamourfaktor zu arbeiten. Aber allein diese Seite hätte mich noch nicht bewegt, aktiv zu werden. Es war schon die Motivation, ein Unternehmen zu führen.

Wird Frankie Morello das einzige Investment Ihrer Familie in der Modebranche bleiben oder ist das nur der Startschuss für ein ganz neues Betätigungsfeld?

Schwierige Frage, im Moment bin ich so auf Frankie Morello fixiert, dass ich nicht daran

Am Corso Venezia in Mailand er­ öffnet Frankie Morello seinen Flag­ shipstore sowie einen Showroom.

denken kann, etwas anderes zu machen. Aber ich bin sicher, dass ich früher oder später das Bedürfnis habe, ein weiteres Modeprojekt zu entwickeln. Das ist ein bisschen wie mit Müttern: Sie kümmern sich intensiv darum, ein Kind großzuziehen – und haben doch den Gedanken, mehrere Kinder zu haben.

Was sind denn die wichtigsten Vorzüge, in einer Phase des Rückgangs oder der Stagnation zu investieren?

Wie ich vorher sagte, man muss sich in diesen Phasen vorbereiten, um dann in Zukunft erfolgreich zu sein. In diesen Phasen kann man natürlich auch tolle Chancen ergreifen, die andere auslassen, weil sie in Schwierigkeiten sind. Das gilt auch zum Beispiel für Mitarbeiter, die man jetzt einfacher bekommt. Das war für uns toll, ich habe wahnsinnig gute Leute engagiert, weil sie woanders freigesetzt wurden. Wenn du einen guten Job machst, kannst du auch in solchen Zeiten gutes Business machen und eben jetzt den Boden für eine bessere und solide Zukunft bestellen.

In all Ihren Exportmärkten gelten italienisches Design und italienische Bekleidung etwas.


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Angela Ammaturo im Rahmen der Kollektionspräsentation für die Exportpartner des Labels Frankie Morello.

Was braucht Italien, um dieses Image hochzuhalten?

Italien darf sich nicht auf den Lorbeeren vergangener Tage ausruhen. Die Mode braucht die Fähigkeit, sich permanent neu zu erfinden. Neue Ideen, neue Emotionen, junge Designer und Mitarbeiter, die fähig sind, das Hier und Jetzt zu interpretieren und die Zukunft zu antizipieren – das ist ein Muss. Das Frankie Morello Reborn-Projekt spiegelt die Welt der Jungen wieder, es

interpretiert die Interaktion von Mensch und Technik, die gerade so wichtig ist. Das ist sicher ein neuer Einfluss in der Mode. Fühlt man sich als Unternehmer eigentlich von der Regierung und staatlichen Organisationen unterstützt?

Ja, es gibt zum Beispiel für Frauen und Gründer gute Programme, es ist tatsächlich so, dass die Regierung und staatlichen Organisationen helfen können, und ich finde, sie tun ihr Bestes,

Unternehmer wie mich zu unterstützen. Dazu kommt, dass viele Dinge, die die Regierung unternimmt, indirekt helfen, zum Beispiel die Rahmenbedingungen, die das Wachstum ankurbeln sollen. Was macht Italien zu einer guten Heimat für Unternehmen wie Ihres?

Italien ist mein Land und es ist ein magischer Ort. Voller Geschichte, Kunst, Kultur und sagenhaften Regionen. Für Generationen von Designern war es eine Inspirationsquelle und das ist es immer noch. Wenn man Mailand sagt, denkt man sofort an Mode – da ist nichts mehr hinzuzufügen. Wenn Sie einen Tag Italiens Premierministerin wären, was würden Sie tun, um der Modeindustrie zu helfen?

Das wäre eine schwierige Aufgabe, wirklich. Ich glaube das unser Premier das Beste versucht, ganz generell, und das hat natürlich auch positive Auswirkungen auf die Modeindustrie. Es gibt einige neue Initiativen, die exportorientierte Unternehmen unterstützen, davon kann die Modeindustrie sehr profitieren. Ihr Unternehmen ist familien­ geführt – macht das etwas anders?

Eine starke modische Identität und unverkennbare Designhandschrift sind essenzielle Merkmale von Frankie Morello.

In Familienunternehmen ist das Verantwortungsbewusstsein und das Zugehörigkeitsgefühl sehr groß. Was nicht heißen soll, dass es anderswo weniger davon gibt, aber ich finde diese Werte prägen Familienunternehmen stärker. Aus organisatorischer

Sicht hat man besonders am Beginn und in der Entwicklungsphase eines Unternehmens als Familienunternehmer sicher einen Vorteil. Später, zum Beispiel bei einem Börsengang, sollten Unternehmen anders organisiert sein.

Was sind Ihre Ziele für Ihr Unternehmen, nicht nur für Frankie Morello? Welche Spuren wollen Sie hinterlassen?

Ich bin eine Unternehmerin: Mit zufriedenen Kunden Ertrag und Profit zu machen, das ist klar mein Ziel. Ich möchte das Unternehmen so entwickeln, dass es mittelfristig eines Tages an die Börse gehen kann. So ein Ziel zu erreichen, wäre das größte für mich. Ich will nicht pathetisch klingen, aber ich glaube darüber hinaus an die soziale Funktion von Unternehmen. Erfolgreiche Unternehmen generieren Wohlstand und Arbeit. Wenn ich gut performe, profitieren davon auch andere.

Welche unternehmerischen Eigenschaften haben Sie von Ihrem Vater gelernt und was lernt er umgekehrt von Ihnen?

Mein Vater ist Unternehmer durch und durch. Von ihm konnte ich lernen, eigenmotiviert zu sein, sozusagen die Fähigkeit, an meine Träume zu glauben und sie mit viel Antrieb und Einsatz umzusetzen. Mein Vater andererseits genießt es, durch mich dieses Geschäftsfeld der Mode kennen zu lernen. Er erlebt, dass es unserem Unternehmen gut tut, dass wir neue Geschäftsfelder hinzunehmen, und das ist positiv. style in progress 416


058 SO LÄUFT’S

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Ottod’Ame

„Wir laufen nicht, bevor wir gehen können“

Modische Femininität made in Italy ist ein wesentliches Merkmal von Ottod’Ame. Das Label ist bei starker Eigenidentität international orientiert und punktet somit nicht nur in Märkten wie den USA und Asien, sondern auch in Frankreich und im deutschen Markt. Inhaberin Silvia Mazzoli erklärt im Interview, was es zum Erfolg braucht. Text: Nicoletta Schaper. Foto: Ottod’Ame

Was macht Ottod’Ame anders als andere italienische Marken?

Erfolgreich sein setzt Investitionen voraus. In welchen Bereichen?

Wir reisen viel, um die jeweiligen Marktgegebenheiten und Bedürfnisse genau zu verstehen und sensibel auf sie eingehen zu können. Unsere Kollektion ist entsprechend nicht zu nischig, sondern bewusst vielfältig, auch, was das Größenspektrum anbelangt. Auf diese Weise sind wir in der Lage, verschiedene Kunden in den verschiedenen Märkten zu bedienen. Gleichzeitig behalten wir die starke Identität der Ottod’Ame Frau immer im Blick. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, immer hochwertige und niemals banale Mode zu kreieren, die emotional berührt und sich nicht zu stark an Massentrends orientiert.

Wir wollen als Marke sichtbar sein und haben deshalb in Werbung investiert, vor allem im Heimatmarkt Italien und darüber hinaus in Belgien, Holland, Deutschland und UK. Dazu kommen unsere Flagship­ stores in Florenz, Mailand und Tokio, denen weitere Hauptstädte weltweit folgen sollen. Und wir haben unser Kommunikationsnetz ausgebaut, um so auch unseren Kundenservice zu verstärken. Ebenso arbeiten wir an unserem Vertriebsnetz und stetig daran, in punkto Service und Lieferung ein zuverlässiger Partner zu sein. Unsere Beständigkeit ermöglicht uns nicht nur, bestehende Kunden zufriedenzustellen, sondern auch, Neukunden schnell zu überzeugen. Was die Kollektion betrifft, strukturieren wir unser Angebot an Accessoires, denn hier liegt sicher einiges Potenzial.

Was ist noch wichtig?

Die richtige Balance von Qualität und Preis zum Beispiel. Und dass wir als Unternehmen versuchen, uns eine gewisse Bescheidenheit und Demut zu erhalten: Wir laufen nicht, bevor wir gehen können, lautet unser Grundsatz. Das bedeutet, dass wir neue Ideen möglichst sorgfältig und Schritt für Schritt entwickeln, bevor sie in den Markt gelangen.

Sensibel auf die jeweiligen Marktbege­ benheiten eingehen, ist für Silvia Mazzoli, Inhaberin von Ottod’Ame, Voraussetzung einer global funktionierenden Kollektion.

Welche Fähigkeiten braucht es, um ein guter Unternehmer zu sein?

Ottod’Ame ist ganz bewusst nicht zu nischig, sondern vielfältig in der Mode, auch was das Größenspektrum anbelangt.

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Menschlichkeit und Demut, Entschlossenheit, Entdeckergeist, Neugier und die Fähigkeit, nach vorn zu sehen. Wie wird sich der Mode­ standort Italien weiterentwickeln?

Italien wird immer Fashion-Landmark sein, dank unserer Kultur und unserer Talente in der Mode. Das ist einfach in der italienischen DNA verankert. Aber die heute höheren Produktionsund Lebenskosten zwingen manch große Unternehmen, in anderen Ländern zu produzieren, wenn sie mit einem guten Produkt zum guten Preis konkurrenzfähig bleiben wollen. Künftig wird es mehr und mehr dem Luxussegment oder Marken im gehobenen Premiumsegment vorbehalten sein, ausschließlich in Italien zu produzieren. Und das auch nur mit größeren Anstrengungen, um weiterhin die Balance von Qualität und Preis zu halten.



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Lardini

„Passion und Liebe eint uns“ Aus dem beschaulichen Filottrano stammend, hat die Familie Lardini vorgemacht, was es heißt, in Krisenzeiten ihre Chance zu nützen. Traditionelles Schneiderhandwerk, modern interpretiert und fühlbar wertig – das sind nur die offensichtlichsten Vorzüge der Marke. style in progress hat mit Kreativdirektor Luigi Lardini über die Gründe des Erstarkens des Familienunternehmens gesprochen. Text: Martina Müllner-Seybold. Fotos: Lardini

Ja, man darf Lardini mit traditioneller Schneiderkunst gleichsetzen: Die Marke fußt auf jahrzehntelanger Erfahrung, lokalem Know-how und purer Hingabe an dieses Qualitätsversprechen, das italienische Manufakturarbeit impliziert. Die Kombination dieser Werte hat Lardini weit gebracht und sie gilt heute als eine der wichtigsten Firmen auf dem italienischen und internationalen Markt. Die Fertigungskompetenz, wie sie nur noch wenige haben, wird im Werk in Filottrano gehegt und gepflegt. Eine bezaubernde mittelalterliche Stadt nahe Ancona, die der Marke nicht einfach nur eine pittoreske Heimat ist, sondern ihre Seele nährt, wie Kreativdirektor Luigi Lardini es ausdrückt. Jeden Tag werden dort 2.000 Bekleidungsstücke hergestellt und in alle Welt verschickt – das kontinuierlich wachsende Kundennetzwerk umfasst 550 Kunden in aller Welt – ausgewählte Multibrandstores sowie Flächen in Departmentstores, nicht nur in Europa, sondern auch in Japan, Korea, Russland, China und den USA. 2014 wurde in einem repräsentativen historischen Gebäude in der Via Manzoni, im goldenen Dreieck Mailands, ein Showroom eröffnet, der 2016 um 300 Quadratmeter erweitert wurde. Das war 2016 nicht das einzige Expansionsprojekt: In der Produktion in Filottrano wurde das technische Set-up verbessert und vergrößert, die Fläche wurde verdoppelt – unter strengen Umweltauflagen und ohne das Landschaftsbild zu stören. Ein deutliches Zeichen inmitten wirtschaftlich instabiler Zeiten und internationaler Krise. Aus dem Nichts

Ein Blick in die Firmenhistorie macht deutlich, dass die 416 style in progress

Luigi Lardini ist Kreativdirektor der Marke, die er mit seinen drei Ge­ schwistern Andrea, Lorena und Annarita aufgebaut hat.

Lardinis immer schon Chancen ergriffen: Als Luigi Lardini mit nur 18 Jahren seine Männerkollektion startete, hatte er nichts außer seiner Leidenschaft für Stil und Eleganz. Seine Geschwister Andrea, damals 21 und Lorena, damals 19, folgten ihm aus reinem Bauchgefühl. Ihr Vater unterstützte das Trio während der Gründungsphase finanziell. 1978 konnten sie so ihre erste Fabrik eröffnen, die schnell das Interesse einiger Fashiongrößen erregte. Innerhalb weniger Jahre erweiterten die Geschwister ihren Kundenkreis, angesehene internationale Namen waren jetzt darunter. Das Unternehmen florierte und die Lardinis übernahmen verschiedene, sich ergänzende

Rollen, um das Wachstum des Unternehmens voranzutreiben. Sein Informatikstudium prädestinierte Andrea für die technologischen Fragen, während Lorena sich um die Verwaltung und Finanzen kümmerte. Ein paar Jahre später folgte auch das vierte Kind der Familie ins Unternehmen, Annarita übernahm die Qualitätskontrolle. Bestärkt durch ihre unternehmerischen Erfolge und getrieben vom Wunsch, neue Expansionsmöglichkeiten zu nützen, beschloss die Familie Lardini ein neues Abenteuer zu starten – eine Marke unter eigenem Namen. 1993 verließ die erste Lardini Männerkollektion die Fabrik. Heute teilt sich die Marke in verschiedene Linien, die sich


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In Filottrano nahe Ancona hat Lardini seine Produktionskapazitäten deutlich vergrößert, um der Nachfrage nach der eigenen Kollektion und den in Lizenz hergestellten Linien gerecht zu werden.

zwar im Stil unterscheiden, aber alle der gleiche akribische Anspruch an die sartoriale Fertigung kennzeichnet. Da ist die Kollektion Gabriele Pasini, gemacht von dem gleichnamigen Designer, der auf besondere Art und Weise körpernahe Silhouetten mit klassischer britischer Ästhetik und einem rebellischen Charakter vereint. + Lardini ist das Ergebnis fruchtbarer Kooperationen mit international bedeutsamen Modevordenkern, eine wichtige Zusammenarbeit unter dieser Flagge ist jene mit Nick Wooster. RVR Lardini wiederum steht für eine nachhaltig produzierte Outerwear-Kollektion, deren Teile alle beidseitig getragen werden können – die Buchstabenkombination RVR steht für reversible. Last but not least: Die Lardini Damenkollektion, die all die Innovation der männlichen Linien in feminine Damenkonfektion übersetzt und rasch eine feste Größe im Markt werden konnte. Wie kommt es, dass Lardini wächst, während andere straucheln?

Was uns immer schon unter-

schieden hat, ist die sorgfältige Entwicklungsarbeit bis in jedes kleinste Detail. Wir experimentieren dauernd mit verschiedenen Stoffen und bringen so in jedem Stück wirkliche Innovation, die aber gründlich ausgereift ist. Hilft es, dass Ihr Unternehmen in Familienhand ist? Was ist der Vorteil?

Die Stärke eines Familienunternehmens ist die Leidenschaft und die Liebe, die uns zusammenhält. Wir kämpfen jeden Tag für etwas, an das wir glauben. Wir sind dynamisch, sehr flexibel und immer in der Lage, auf den europäischen und internationalen Markt zu reagieren und die Veränderungen mitzumachen. Heute gibt es keine Regeln mehr und wir müssen uns an diese neue Art zu arbeiten gewöhnen. Finden Sie genügend geeignetes und talentiertes Personal für Ihr Wachstum?

Das Wichtigste ist, dass man an andere glaubt, und man muss ein gutes Portfolio haben. Talent ist mit Glaubwürdigkeit gleichzusetzen. Eine gute Kollektion zu haben, reicht längst nicht

mehr. Welche Verbesserungen haben Sie vor allem für die Bedürfnisse der Exportmärkte gemacht?

Ganz einfach: Service, Qualität und Preis. Nach den Herren: Kommen jetzt auch die Damen groß heraus?

Wir wollen eine erfolgreiche Kollektion machen, die gleichzeitig sehr menschlich ist und unsere DNA, die uns von anderen unterscheidet, weiterträgt. Die Damenkollektion wird mit ihrem starken „Made in Italy“-Charakter sicher Marktanteile erobern können. Ihre Eleganz steht stets in Kombination mit Qualität, Stil, exquisiten Stoffen und Weiblichkeit. Stilistisch erneuert und reinterpretiert, atmet sie einen ganz neuen Geist. Wir trennen die Distribution gänzlich von jener der Männer, sie wird ihren eigenen Weg finden und ihre eigene Identität haben. Nach einer langen Zeit des Abwanderns der Produktion kann man jetzt im Luxussegment die ersten Heimkehrer beobachten. Was sind die Gründe dafür?

auch eine Verheißung, getragen von Glaubwürdigkeit und einem ganz besonderen Lebensstil. Wo auch immer man ist, dieses Land gibt einem jeden Tag etwas anderes. Unterstützt die italienische oder europäische Politik die Modebranche, wieder stark zu werden?

Italien ist das Bel Paese, das schönste Land der Welt, in dem dir aber niemand hilft, weder die EU noch der italienische Staat. Die Modeindustrie und der Staat hatten noch nie Gemeinsamkeiten, wir gehen unseren Weg alleine. Was nagt am Made in Italy?

Die Konkurrenz durch Produkte, die irgendwo auf der Welt, wo Arbeit unterbezahlt wird, gefertigt werden. Über die Jahre haben die Menschen die Kultur des gut Anziehens verloren und sie messen dem, was sie sich kaufen, kaum Bedeutung zu. Sie bekleiden sich, statt sich zu kleiden. Das hat auch Italien erreicht. Wir waren immer die Bestangezogenen, aber auch hier grassiert dieser negative Aspekt der Globalisierung.

Italien ist ein Gütesiegel, aber style in progress 416


062 SO LÄUFT’S

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Alpha Studio

„Wir wollen das Handwerk nicht aus den Augen verlieren“

Alpha Studio steht nicht nur für modischen Strick und Value for Money, sondern allem voran für Service. Paolo Rossi, Sohn des Markengründers Franco Rossi, spricht im Interview darüber, wie wichtig es ist, mit den Kunden an einem Strang zu ziehen – und welche Investments dafür nötig sind. Text: Nicoletta Schaper. Fotos: Alpha Studio

Von der allgemeinen Wirtschaftskrise scheint Alpha Studio nicht betroffen. Was macht Sie so erfolgreich?

Vielleicht liegt es daran, dass wir uns der neuen Dynamik des Marktes angepasst haben und ein qualitativ hochwertiges Produkt bieten, ohne den Preis dafür zu erhöhen. Wir folgen außerdem einer sehr kundenorientierten Politik, dazu gehört viel Service und auch Lagerservice. Wir tun alles, um eine direkte Beziehung zum Kunden aufzubauen. Worin liegt die besondere Herausforderung?

Darin, auf die Marktbedürfnisse zu hören und unsere eigene Organisation darauf einzustellen. Nur so gelingt es uns, das Risiko unserer Handelskunden zu minimieren – und gleichzeitig das Sell-out zu maximieren, was beiden Seiten zugute kommt.

Welches Investment ist dafür nötig?

Wir versuchen stetig, unsere Abläufe zu perfektionieren und haben beispielsweise in unser B2B-Portal investiert. Dort kann der Händler nicht nur Ware nachziehen, sondern nach Bedarf auch direkt tauschen, ganz unkompliziert und ohne weiteren Zwischenschritt über den Vertrieb. Ebenso haben wir unser Logistikcenter mit Partnern wie DHL und DPD aufgebaut, was uns ermöglicht, schnell zu liefern. Unser Lieferdienst kommt nicht einmal, sondern zweimal täglich, auch für kleine Pakete, etwa wenn der Händler eine einzelne Größe für seinen Kunden nachbestellt. Außerdem investieren wir in unser Prozessmanagement und unsere eigenen 416 style in progress

Produktionsbetriebe, damit wir auch da flexibel reagieren können. Ist es für diese Flexibilität zuträglich, ein familiengeführtes Unternehmen zu sein?

Sicher hilft uns die kleine, familiäre Struktur, wenn es darum geht, kreative und auch mal unkonventionelle Lösungen zu suchen und auch umzusetzen. Das ist ein klarer Wettbewerbsvorteil gegenüber großen und viel komplexer aufgebauten Produktionsfirmen. Mindestens so wichtig ist allerdings, dass unsere Mitarbeiter gut vorbereitet und kompetent sind, sei es in der Produktion oder im Kundenservice.

ten zu führen. Und es ist in unserem Business wesentlich, das Handwerk nicht aus den Augen zu verlieren. Denn wir reden nicht nur von einer Geschäftsfirma, sondern von einem Betrieb, der die Seele des Produkts genau kennt. Auch deshalb versuchen wir, unsere eigene Produktion in Teilen der Kollektion mehr und mehr nach Italien zurückzuführen: Um die eigene DNA made in Italy zu stärken und beizubehalten.

Welche unternehmerischen Fähigkeiten zählen heute?

Ein Unternehmer muss heute Visionär sein, er muss offen um sich schauen, was die Kunden, die Mitbewerber und neue Technologien betrifft. Er braucht ebenfalls eine fundierte Ausbildung fürs Management, um eine Firma durch turbulente Zei-

Ein kleines Unternehmen kann schnell auf die Markt­ dynamik reagieren, weiß Paolo Rossi, des­ sen Vater Franco Rossi die Kollektion Alpha Studio gründete.


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AT.P.CO, People of Shibuya

„Ich liebe meine Marken“

Ein hochwertiger Look, ein super Preis: Dass die Damen- und Herrenkollektion von AT.P.CO so reüssieren, hat Gründe. Aus der gleichen Unternehmensgruppe punktet People of Shibuya: italienisches Design, japanische Materialien, eine simple, aber raffinierte Kollektion. Luca Orsatti, Managing Director der Muttergesellschaften Golden Season Srl und Goodfellas Srl, erklärt im Interview mit style in progress sein Erfolgsgeheimnis. Interview: Kay Alexander Plonka. Fotos: AT.P.CO, People of Shibuya

Die italienischen Modebranche hat schwer zu kämpfen. Aber es gibt Firmen wie Ihre, die sich ausgezeichnet entwickeln. Welche Faktoren sind dafür entscheidend?

Schnelle Entscheidungen, moderne Denke und beherztes Handeln nennt Luca Orsatti die wichtigsten Tugenden eines Unternehmers.

In einer Welt, die sich jeden Tag ein bisschen mehr öffnet und über alle Kontinente vernetzt, müssen wirtschaftliche Akzente bei Marken heute innerhalb von wenigen Monaten gesetzt werden und nicht mehr wie früher über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Schnelle Entscheidungen, Leistungsfähigkeit, Flexibilität und vollständig digitalisierte Bewirtschaftung aller Prozesse sind die Schlüsselfaktoren für den Erfolg. Die meisten Probleme italienischer Unternehmen entstehen oft durch die Ineffizienz des Systems. Wir haben eine große Leistungsfähigkeit in diesem schwierigen Moment des Marktes geschaffen, indem wir versuchen, immer auf dem neuesten Stand zu sein, zum Beispiel bei lokalen Gesetzen und Möglichkeiten. Trotzdem gilt es, die ganze Welt immer im Blick zu haben.

AT.P.CO - „atipico“ - also untypisch, dieser Name ist Programm: Klassiker und Mode zu einem überzeugenden Preis-/Leistungsverhältnis.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Marktsituation in Italien?

Ich denke, dass es sich bei der aktuellen Situation nicht um eine Krise handelt, sondern eher um langsame Änderungen, die die gesamte Textilbranche betreffen – von der Beschaffung bis zum Verkauf. Wir arbeiten direkt mit allen unseren Lieferanten zusammen und managen jeden Aspekt selbst intern. Dadurch sind wir sehr flexibel, vor allem aber effektiv bei der Kostenkontrolle. Und das offenbart sich schlussendlich bei der Verkaufspreisgestaltung. In welche Bereiche in Ihren Unternehmen investieren Sie aktuell?

Wir haben in alle Bereiche investiert, um dem schnellen Wachstum gerecht zu werden. Im Moment konzentrieren wir uns auf besser IT-Systeme im Bereich Lager- und Logistikmanagement, die Kreation der Markenidentität, Messeteilnahmen, digitale Kommunikation und zu guter Letzt Product Research. Was ist die wichtigste Eigenschaft eines Unternehmers?

In erster Linie Leidenschaft für das, was er tut. Ich liebe meine Marken und meine Arbeit, auch wenn sie manchmal hart sein kann, aber am Ende habe ich immer ein Gefühl von Zufriedenheit. Leider ist es aber nicht nur eine Frage der Intuition und der Bereitschaft, Risiken zu tragen, vielmehr geht es irgendwann um konstanten Einsatz und weiterführende Kalkulationen. Am Anfang braucht man viel Mut, doch wenn man ein gewisses Volumen

erreicht hat, sollte man sich die Zeit nehmen, langfristige Strategien zu entwickeln und Prozessanalysen anzustellen.

Sie produzieren in China, Kambodscha, Myanmar und Italien. Was sind die ausschlaggebenden Gründe für die Fertigung in Asien?

Wir stellen unsere Produkte dort her, wo wir die entsprechenden Möglichkeiten für den Zugriff auf Produktionslinien geboten bekommen. Dabei geht es nicht nur um die Kosten. Manchmal ist es sogar teurer, in Asien zu produzieren, als in Italien. Wir haben dort ein globales Beschaffungssystem entwickelt, das in erster Linie auf Flexibilität, Qualität, Nachhaltigkeit und strategische Einhaltung der Liefertermine abgestimmt ist. Wie beurteilen Sie die langfristige Perspektive Italiens?

Italien ist ein großartiges Land, das viele goldene Jahre hatte, in denen nur die Reputation und die bisherigen Schemata zählten. Ich denke, dass nun nach dem bösen Erwachen eine neue Generation von aufstrebenden Unternehmern mit einem globalen Bewusstsein die Branche hierzulande wieder aufbauen wird. Auf lange Sicht wird Italien mehr und mehr seine Vorzüge und sein Knowhow monetisieren müssen. Die Italiener können sehr hart arbeiten und mit neuen effizienten Systemen werden sie auch in allen Segmenten wettbewerbsfähig sein, nicht nur im Luxusbereich.

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SCHNELLES UMSCHALTEN

Daniele Fiesoli

„Wir sehen unsere Kunden als Partner“ Daniele Fiesoli ist der Inhaber der italienischen WoolGroup, die die Marken Wool & Co und Daniele Fiesoli herstellt und vertreibt. Der sportbegeisterte Optimist liebt es, das unmögliche möglich zu machen, und spricht mit style in progress über die Stärken von Made in Italy und die Vorteile eines Familienbetriebes. Interview: Kay Alexander Plonka. Fotos: Daniele Fiesoli

Zeigt, was Strick alles kann: die Kollektion Daniele Fiesoli.

In Italien gibt es Mode­ betriebe und sogar ganze Regionen, die wirtschaftlich am Boden liegen. Und es gibt Firmen wie Ihre, die eine positive Konjunktur haben und erstarken. Was macht den Unterschied?

Professionalität ist sicherlich ein Schlüsselwort, aber eine solche Arbeitsweise allein hilft heute nicht mehr, um am Markt erfolgreich zu sein. Kreativität ist genauso wichtig und zwar in allen Abteilungen eines Unternehmens. Zuverlässigkeit ist ein Grund dafür, warum wir immer noch wachsen. Wir sehen unsere Kunden als Partner und nicht nur als Nummern. Warum haben Sie besser auf die Krise und Ihre Herausforderungen reagiert?

In unserer Branche ändert sich alles sehr schnell, was in dieser Saison absolut richtig ist, kann in der nächsten völlig falsch sein. Man muss immer bereit sein, die Sichtweise, Gedanken und 416 style in progress

Strategien zu ändern, ohne die Stimmigkeit des Produkts zu verlieren. Sie müssen die Kunden überraschen und ihnen gleichzeitig solide Sicherheit vermitteln. Neugierde treibt uns an, weiterzusuchen, Leidenschaft lässt uns experimentieren und die Struktur unserer Firma erlaubt es uns, flexibel zu sein. Und wir hinterfragen uns stets selbst.

Welches Kundenbedürfnis kam Ihnen in dieser Zeit entgegen?

Jeder Kunde, der nicht nur nach dem günstigsten Preis sucht, sondern auch bereit ist, für Qualität einen gewissen Preis zu bezahlen. Wir liefern nicht nur Stoffe, wir bieten unseren Händlern eine professionelle Distribution, eine garantierte 2,8er-Kalkulation, B2B Fullservice, pünktliche Lieferung und die Gewissheit, in jeder Kollektion immer Produkte anzubieten, mit denen unsere Kunden die Bedürfnisse ihrer Kunden befriedigen können.

All diese Dinge klingen wie selbstverständlich, aber glauben Sie mir, das sind sie längst nicht. Viele unserer Mitbewerber in der Branche sind längst nicht mehr als Produzenten tätig, sondern nur noch als Konverter. Dadurch, dass wir so gut wie alles selbst gestalten, können wir hervorragende Strickqualität zu guten Preisen liefern.

Wie sieht Ihr ganz persönliches Investitionsprogramm aus? Investieren Sie derzeit und wenn ja, in welche Abteilungen Ihrer Firma?

Aufgrund der stetig steigenden Umsätze müssen wir investieren. Allerdings kann man das nicht immer an allen Stellen tun, an denen man gerne aktiv werden möchte. Priorität hat bei uns derzeit die Kommunikation und die Integration der IT-Abteilung. Wir möchten gut mit unseren Geschäftspartnern vernetzt sein, und dank der heutigen Möglichkeiten mit Apps und Internet gibt es dort


Wolle gewordene Lässigkeit, dazu coole Konfektion: Wool & Co.

viele großartige Möglichkeiten. Zudem investieren wir immer in die Produktion und in unsere Mitarbeiter sowie in aktuelle Software. Mittelfristig werden wir an Monobrand-Retailprojekten arbeiten. Hat die positive Entwicklung Ihrer Firma Ihrer Meinung nach damit zu tun, dass Sie ein familiengeführtes Unternehmen sind? Wenn ja, was macht familiengeführte Unternehmen krisenresistenter oder agiler?

Es ist wichtig, Menschen an strategisch wichtigen Positionen im Unternehmen zu haben, denen man vertrauen kann. Und wir haben bewiesen, dass wir ein gutes Team sind. Wenn eine Firma wie eine Familie geführt wird, dann ist die Einstellung eines jeden Mitarbeiters eine andere. Jeder gibt sein Bestes für die Familie und nicht nur für sich. Ein solcher Anspruch spiegelt sich dann erst recht in den Produkten wider.

Sie gelten als flammender Unternehmer, der keine Risiken scheut, der anpackt und der mit Vision sein Unternehmen entwickelt. Was ist die wichtigste Eigenschaft, die ein Unternehmer in Zeiten wie diesen haben muss?

Improvisationstalent und damit die Fähigkeit, adaptieren und Dinge bewerkstelligen zu können, ohne dabei die eigenen Wurzeln zu verlieren. Wie beurteilen Sie die Perspektive Italiens? Wird sich das Land auch langfristig als Produktionsstandort halten können oder glauben Sie, dass noch mehr Arbeit abwandern wird?

Nein, ich denke die Abwanderung wird sicher nicht weiter voranschreiten. In den letzten zwei Jahren sehe ich immer öfter, wie Produktionen auch von großen Firmen wieder zurück nach Italien kommen. Natürlich nicht in allen Bereichen, aber besonders dort, wo nicht nur der

Preis, sondern das Produkt im Vordergrund steht. Wir erhalten täglich Anfragen von anderen Marken aus aller Welt, weil sich die Anzahl von Produzenten drastisch reduziert hat und damit auch das Know-how um innovativ und schnell gute Qualitäten zu guten Preisen herzustellen. Ich denke, ein grundsätzliches Problem überall auf der Welt ist eher der dramatische Rückgang von Qualität und Verkaufszahlen.

Was braucht es, um die Herstellung in Italien zu erhalten?

Hartnäckigkeit und den Glauben in die Tatsache, das das, was wir herstellen, nicht bloß ein simples Stück Stoff ist. Wir erschaffen Emotionen, Leidenschaft und tragen Jahrhunderte von Tradition auf unseren Schultern. Der beste Designer der Welt wäre nichts ohne das immense Wissen der Frau, die seine Kreationen näht, strickt oder bügelt. Das ist nichts, was man einfach so lernen kann,

Daniele Fiesoli gilt als Unternehmer, der Chancen ergreift.

es ist die Erfahrung, die über all die Jahrhunderte von Generation zu Generation weitergegeben wurde, um Schönes zu erschaffen.


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L’Incontro. ZUSAMMENRÜCKEN

Ein eigenes Label mit dem Namen des Clubs bringt Mode zum richtigen Zeitpunkt.

Keine Erfa-Gruppe, kein Einkaufsverband, sondern ein exklusiver Club gleich­ gesinnter Händler: Mit L’Incontro formiert sich ein neuer Kreis von Händlern im Topgenre. Das Ziel: Austausch – im wahrsten Sinne des Wortes. Text: Lisa Freund. Fotos: L’Incontro

„Die Herausforderungen, die man derzeit als Händler zu meistern hat, sind elementar. Wir stecken mitten in einem Wandel und jeder versucht auf seine Weise, darauf Antworten zu finden. Ganz oft wünsche ich mir, mich in diesem Prozess auszutauschen. Andere zu fragen, sich zu beraten, einander Feedback zu geben“, erzählte Katrin Koller-van Eersel vor rund einem Jahr. Inzwischen hat die Idee Form angenommen, ist 416 style in progress

vom Wunsch in ein konkretes Produkt gereift: L’Incontro heißt der Club, mit dem sich Katrin Koller-van Eersel mit gleichgesinnten Ladeninhabern in Deutschland und Österreich vernetzt. „Das oberste Ziel ist, für jeden Händler, der Mitglied ist, einen echten Mehrwert zu schaffen.“ Schließlich sei es nur bei handfesten Vorteilen möglich, Einzelhändler von einem Miteinander zu überzeugen. „Wir sind alle Einzelkämpfer, aber als ich alle Wunschmitglieder besucht habe und lange mit ihnen gesprochen habe, setzte bei jedem ein Nachdenkprozess ein. Passt dieses Einzelkämpfertum noch in die Zeit? Sind wir vernetzt nicht viel besser dran?“, beschreibt die Initiatorin. Gesagt, getan. „Schon die Erstgespräche waren beeindruckend offen, inspirierend und

haben uns zusammenrücken lassen.“ Gespräche, die das Profil des Clubs noch einmal geschärft haben. „Aus dem Input der Mitglieder haben sich neue Prioritäten ergeben, die Leistungen des Clubs spiegeln also die Wunschliste der Mitglieder wider.“ Zusammen mehr erreichen

Dem Grundgedanken, sich Herausforderungen im Verbund zu stellen, entspringen ganz praktische Ideen. Austausch zum Beispiel. Ein Chat verbindet die Mitglieder ganz unkompliziert von Handy zu Handy, so kann im Showroom in Paris sitzend noch schnell abgefragt werden, welche Erfahrung die anderen mit einer Marke hatten. „Oder wenn jemand ein neues Label entdeckt, dann kann er schnell und unkompliziert den Tipp an seine Kollegen weitergeben.“

Doch Erfahrung ist nur das eine, das die Mitglieder teilen. „Wir haben eine verschlüsselte Internetplattform, auf der die Händler sich mit Ware helfen können. Teile, die sich nicht verkaufen, den anderen anbieten oder, was häufiger vorkommt, Ware suchen. Das Chloé Kleid in XS, das eine Kundin unbedingt haben möchte, dass aber natürlich über die Marke in der laufenden Saison meist nicht aufzutreiben ist“, beschreibt Koller-van Eersel. „Oder wir tauschen Dekomaterial. Ich habe zum Beispiel im letzten Jahr ganz aufwändige Engelsflügel à la Victorias Secret für unsere Schaufensterpuppen bauen lassen. Die wegzuwerfen wäre schade – aber ein zweites Mal kann ich sie in unserer Stadt nicht zeigen. Also habe ich sie einer Kollegin weitergege-


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der Club seit Anfang September mit bislang fünf Gründungsmitgliedern. „Mit jedem neuen Mitglied entwickeln wir uns weiter.“ Lücken intelligent füllen

Die Ober-Netzwerkerin von L’In­ contro: Katrin Koller-van Eersel.

ben.“ Daneben gibt es über die Plattform Goodies, die der Club aushandelt: Gute Konditionen bei Hotels, Lieferanten, Dienstleistern, frische Ideen, wie man Frequenz und Geschäft beleben kann; ob Social-Media-Schulung oder Modenschau, als Mitglied genießt man Vorteilspreise. Diese ersten Fallbeispiele markieren den Anfang, operativ ist

Warum es von so vitaler Bedeutung ist, dass die Händler ähnliche Profile haben – familiengeführt, modisch progressiv, im gehobenen Segment tätig – wird klar, wenn Katrin Koller-van Eersel von einem weiteren Baby erzählt: Dem Label L’Incontro. „Uns geht es nicht um Basics mit toller Marge, sondern um Fashion mit toller Marge. Mit kurzen Order- und Lieferrhythmen, also perfekt, um die Ware dann, wenn die ersten Lücken im Sortiment entstehen, nachziehen zu können. Ein geschorener Lammfellmantel zum Beispiel, aber exakt in dem Light Blue, das diese Saison so angesagt ist, den unsere Händler im August bestellen und im Oktober

geliefert bekommen.“ Neben den harten Fakten – Kalkulation von bis zu 3,2, gute Preislagen – ist es Koller-van Eersel wichtig, dass die Story stimmt. „Wir produzieren in kleinen Manufakturen in der Nähe von Vicenza, die auch für sehr angesehene Marken fertigen.“ Mit diesem weiteren Aspekt des Clubs wird es endgültig schwer, L’Incontro in eine Schublade zu stecken. Erfa-Gruppe, Einkaufsgemeinschaft, Werbeunion, das alles ist L’Incontro nicht: „Es ist ein moderner Club. Wir sind jung im Kopf, agil, flexibel, können uns schnell den Bedürfnissen anpassen.“ Einzig an der regionalen Exklusivität für jedes Mitglied will Koller-van Eersel niemals rütteln. „Die Mitglieder sind weit genug voneinander entfernt, um keine Konkurrenz zueinander zu sein. Weil das gewährleistet ist, spielt jeder mit offenen Karten.“ Für das kommende Jahr hat sich L’Incontro viel vorgenommen: „Wir werden

wachsen, neue Angebote schaffen und arbeiten an gemeinsamen Lösungen, zum Beispiel für den Onlinebereich.“ L’Incontro nennt sich ein Club, der Händler im Topgenre verbindet, ihnen Vorteilskonditionen verspricht und ein Eigenlabel exklusiv für die Mitglieder präsentiert. Ab 299 Euro monatlichem Mitgliedsbeitrag können Kandidaten, deren Profil zum Club passt, aufgenommen werden. Erste Mitglieder und weitere Informationen: www.l-incontro.de

Gefertigt wird in kleinen Manufak­ turen in Italien.

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Diadora Heritage Made in Italy

Die Highlights der Heritage-Linie des italienischen Sportartikelhersteller Diadora sind die in Italien gefertigten Premiummodelle. Eigens wurde dafür eine Produktionslinie mit alten Originalmaschinen im Werk in Caerano di San Marco in Treviso nach über 15 Jahren stillstand wieder in Betrieb genommen. Enrico Moretti Polegato, Präsident und Geschäftsführer von Diadora erklärt: „Wir sind stolz darauf, dass es uns in so wenigen Jahren gelungen ist, nicht nur das Unternehmen international wieder zum Erfolg zu führen, sondern auch einen Teil unsere Produktion wieder in das Unternehmen zu verlagern. Eine Entscheidung, die es uns ermöglicht, das Fachwissen, das unsere Region im Design und der Entwicklung von Sportschuhen vorweisen kann, maximal zu nutzen und damit anspruchsvollen Verbrauchern qualitativ hochwertige und innovative Produkte bieten zu können.“ Zu den Kunden dieser Heritage-Linie gehören in Deutschland und Österreich u. a. Lodenfrey, Braun, Daniels, Breuninger, Sagmeister und Dantendorfer sowie internationale Stores wie Hanon, Patta, 24 Kilates, Kith, Packer und Concept. Die VK-Preise liegen zwischen 215 und 340 Euro. Diadora Heritage, Roshan Paul, München/ Deutschland, T 0049.151.54753686, roshan@xplusplus.biz, www.diadora.com 416 style in progress

FiNDEN WIR GUT

Tortona 21 Die Eleganz der Einfachheit

Tortona 21 heißt die neue Stricklinie, die den Total Look von Antonelli aus Florenz ergänzt – und den gleichen Vorgaben folgt: nämlich die Eleganz der Frau mit den Stilmitteln der Simplicity zu unterstreichen. Klare Linien, bewusst schnörkelloses Design sowie hochwertige Texturen kreieren immer neue Formen für einen Daily Chic mit purem Understatement, der in Florenz entworfen und auch produziert wird. Die bevorzugten Materialien heißen Cashmere und Leinen. Im Heimatmarkt Italien gibt es rund 100 Handelskunden, zu denen La Tenda in Mailand zählt. In Deutschland ist Tortona 21 im Vertrieb der Agentur Vestitus gestartet, die ebenso die Distribution der Womenswear von Antonelli verantwortet. Dort gehören bereits Wirschke in Düsseldorf, Daniels in Köln und München, Möller & Schaar in Frankfurt, KaDeWe in Berlin, Burresi in Wiesbaden und Schnitzler in Münster zu den Handelskunden der exklusiven Strickkollektion, deren EK-Preise sich zwischen 80 und 200 Euro bei einer Kalkulation von 2,8 bewegen. Vestitus GmbH, Düsseldorf/Deutschland, T 0049.211.4360750, service@vestitus.eu, www.vestitus.eu

8and7 Talisman von einem anderen Stern

Der Münchner Designer Detlef Block stellt bei seiner Accessoirekollektion Eternal-Eightand-Holy-Seven Glücksbringersymbolik und besondere Materialien in den Vordergrund. Die Zahl 8 steht für Unendlichkeit und soll die Kraft für Vollkommenheit, Unendlichkeit, Unversehrtheit und Ausdauer für ein befreites Leben transportieren. Die Holy 7 soll Energie, Freude, Glück und eine positive Einstellung zur Entfaltung der eigenen Individualität verkörpern. So verarbeitet Block beispielsweise für eines seiner Armbänder Meteorite und Gesteinsteile vom Campo del Cielo in Argentinien. Dieses auf 87 Stück limitierte Deep Space Armband besteht zudem aus Onyx, Calzedon und wie alle Stücke aus 925er Sterling Silber. Der VK-Preis liegt bei 349 Euro mit einer 2,5er-Kalkulation. Eine Kette aus Lava, Sandelholz und 925er Sterling Silber mit dem symbolträchtigen Namen Earth S wird für 299 Euro verkauft. Aktuell umfasst die Kollektion, die aus Armbändern, Halsketten, Ringen und Anhängern besteht, mehr als 60 Modelle mit Preisen von 169 bis 579 Euro und wird stetig erweitert. Verkauft wird 8and7 bereits u. a. im Different Fashion Store in Mannheim. eternal-eight-and-holy-seven, München/ Deutschland, T. 0049.89.55006311, info@8and7.co, www.8and7.co


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Local Authority Rebellischer Lifestyle

Cooler und rebellischer Lifestyle from California, dafür steht Local Authority Los Angeles. Ins Leben gerufen wurde das Label 2014 von zwei Freunden aus Malibu, die sich einem rockigen Vintage-Style vor dem Background der jungen Kunst- und Musikszene, der echten Undergroundkultur von Surfern, Skatern und Motorbikern verschrieben haben und zu der Mode ihren Slogan „The Fucked Up Friends Club“ prägen. Der lässige Look begeistert die Prominenz wie Gigi Hadid, Miley Cyrus und Kendall Jenner. Es gibt zwei Kollektionen jährlich mit bis zu 20 Styles. Die T-Shirts kosten 48 Euro, die Sweater 85 bis 105 Euro bei einer Kalkulation von 2,7. Mit Frühjahr/Sommer 2017 ist Local Authority bei Brama im Vertrieb gestartet, wobei die Brama Gruppe für den europäischen Markt, den Nahen Osten und Russland zuständig ist und Brama Gallery den D-A-CH-Markt betreut. In den USA wird die Kollektion bei Maxfield, Hirshlifers und Jeffery’s verkauft. In Deutschland ist Local Authority Los Angeles zum Beispiel bei Breuninger, Petra Teufel, Pool, Jades, Stylebop und Mytheresa zu finden. Brama Gallery, Düsseldorf u. München/ Deutschland, T 0049.211.97176054, janine@bramagallery.de, www.bramagallery.de

Mastercraft Union Leiser Luxus

Der Japaner Hiro Yoshikawa gründete 2012 das Denimlabel Mastercraft Union. Seine Selvegde-Jeans mit authentischen und einzigartigen Waschungen für Männer und Frauen verfügen zumeist über einen kleinen Stretch-Anteil und gewährleisten dadurch einen sehr guten Sitz. Zu den Fans zählen Brad Pitt, David Beckham, Michael Fassbender, Gerard Butler und Dominic Cooper. Ein spezielles Highlight sind die mit hauchdünnen Papierfasern vermischten Denimstoffe, die genau wie alle anderen Fabrics in der Kollektion aus Japan stammen. In einer familiengeführten Weberei in Okayama wird der Stoff produziert und anschließend in den Bergen von Shimane genäht und gewaschen. Die Waschungen entstehen durch Verwendung von vulkanischen Bimssteinen und Wasser aus den heißen Quellen des Berges. Die Kollektion beinhaltet etwa 35 Teile, neben Denims auch eine kleine Auswahl Jackets, Hemden, Army-Hosen, Chinos und T-Shirts. Die VK-Preise für Hosen mit meist schmal und tapert geschnittenen Passformen reichen von 349 bis 699 Euro. Zu den Kunden gehören u. a. Harvey Nichols, Selfridges, Abseits, Helmut Eder, Franz & Emil, Bazar Royal, Volls, Crämer & Co und Pool. McAlpine Consulting, 80803 München/ Deutschland, T. 0049.89.38476388, info@mcalpine.de, www.mastercraftunion.com

Kanuk Leichte Daune

In den 1970er-Jahren gab es in Kanada nur einen Weg, den rauen klimatischen Bedingungen mit geeigneter Outerwear zu trotzen: sie selbst zu fertigen. So gründete 1974 Louis Grenier die Marke Kanuk in Québec – mit der Schneeeule als Markenzeichen und Logo, die in Tundrengebieten beheimatet ist und über zehn Jahre später auch der offizielle Vogel der kanadischen Region Québec wurde. Die Kollektion Kanuk besticht heute mit einer großen Vielfalt von Styles und Farben für Jacken und Mäntel, erhältlich in acht Größen. Das Besondere an den Daunenjacken: Sie sind ultraleicht, weil die Daune mit Luft aufeinander geschichtet wird. So entsteht ein Daunenvlies nach der Thindown-Verarbeitung, bei dem keine Daune durch den Stoff nach außen dringen kann. Komfort steht neben dem Style nach wie vor im Vordergrund. Über die Jahre wurden Nähtechniken entwickelt und verfeinert, um zu vermeiden, dass durch die Nähte kalte Luft eindringen kann. Im EK kosten die hochwertigen Jacken und Mäntel für Männer und Frauen 130 bis 260 Euro bei einer Kalkulation von 2,8. Gefertigt wird in Kanada. Für den deutschen Markt hat Torsten Müller mit der Room Nine Agency den Vertrieb übernommen. Room Nine Agency, Düsseldorf/ Deutschland, T 0049.211.22987978, torsten.mueller@roomnineagency.de, www.roomnineagency.de, www.kanuk.com style in progress 416


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Ein Fest fĂźr die Sinne: Bei Heckmann kĂśnnen die Kunden auf eine kleine Entdeckungsreise gehen.

Selbst ist der Mann: Peter Heckmann hat mit viel Aufwand den Laden in Eigenregie gestaltet.

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Do It Yourself. Heckmann Store/Darmstadt. Seit 1978 verkauft Peter Heckmann in Darmstadt ausgewählte Premium­ sportswear. Jetzt ist er nach 16 Jahren zum vierten Mal umgezogen und hat mit einem dreimal so großen Laden, den er gemeinsam mit zwei Freunden binnen vier Wochen sanierte, eine neu Anlaufstelle für Lieb­ haber anspruchsvollen Designs geschaffen. Text: Kay Alexander Plonka. Fotos: Frank Blümler

„Das Ladenlokal hab ich durch Zufall bekommen. Die Lage ist optimal: Gegenüber gibt es ein sehr gutes Bistro, einen kleinen Blumenladen, eine alte Bäckerei, ein nettes Café und alle Läden auf der verkehrsberuhigten Straße sind inhabergeführt. Ganz früher war in dieser Immobilie ein wunderschöner Buchladen mit hohen Decken und herrlicher Einrichtung, den ich in den 1960er- und 1970er-Jahren oft mit meinem Vater besucht habe, um Bücher zu kaufen“, erzählt Peter Heckmann. „Ich wollte dem Laden seine Seele zurückgeben und so haben wir die abgehängten Decken rausgerissen und am Ende alles in den Rohbau-Zustand versetzt, um den Laden von Grund auf neu zu gestalten. Eine schöne Abwechslung zu den Tätigkeiten, die man sonst bewerkstelligt.“ Von der Planung bis zur Ausführung nahm Peter Heckmann den gesamten Ladenbau selbst vor: „Wir wollten uns finanziell nicht zu weit aus dem Fenster lehnen und haben deshalb viele alte Warenträger umgebaut oder repariert. So zum Beispiel auch die Beleuchtungsanlage aus unserem vorherigen Geschäft, die wir umkonstruiert und teilweise sogar auf LED-Technik umgerüstet haben. Das tüfteln und werken hat uns sehr viel Freude

bereitet und letztendlich ist es auch eine vernünftige Form von Nachhaltigkeit.“

Früher haben wir am Samstag um 16 Uhr geschlossen und es hat auch gut funktioniert.“

Zurück zu alten Werten

Mit allen Sinnen genießen

„Aussagelose Fußgängerzonen und mit Sale-Schildern zugekleisterte Schaufenster sind für viele Menschen keine attraktiven Anziehungspunkte mehr. Eine kleine Straße mit viel Ästhetik, auf der echtes Leben herrscht, macht nicht nur unseren Kunden viel mehr Freude, sondern auch uns. Wir haben nur ein kleines Sale-Schild mit 30 Prozent ins Fenster gestellt und den Abverkauf ausgewählter Teile klein und leise von statten gehen lassen. Damit haben wir die besten Erfahrungen gemacht“, schildert Heckmann. Auch die vergleichsweise kurzen Öffnungszeiten in Anlehnung an dänische oder schwedische Verhältnisse schrecken die Kunden nicht ab. Peter Heckmann erklärt: „Wir haben von 10 bis 18.30 Uhr geöffnet, vielleicht denken wir in Zukunft gemeinsam mit unseren Nachbarn über die Wiedereinführung eines langen Donnerstags nach, aber das skandinavische Vorbild zeigt doch, dass es auch ohne unendliche Öffnungszeiten gehen kann. Zeit mit der Familie, Freunden und beim Sport oder einem guten Essen zu verbringen, wird den Menschen immer wichtiger.

Neben Kleidung für Frauen und Männer gibt es zahlreiche Vintage-Möbel, im Eingang stehen Artifort Groovy Chairs von Pierre Paulin, ergänzt durch Stücke von Eames oder Wegener. Eine Papeterie-Abteilung mit schönen Schreibgeräten und Tassen, Gläser, Teller und Artifakte ergänzen das Sortiment. „All diese Artikel sind echte Frequenzbringer. Sowas habe ich in fast 40 Jahren Einzelhandel nicht erlebt. Seit wir diese vielen schönen Dinge verkaufen, verweilen die Kunden viel länger im Laden – schauen, staunen, machen uns Komplimente für die Atmosphäre und die Auswahl. Und auch Männer, denen es in unserem alten Laden vielleicht zu eng war, kommen wieder verstärkt zu uns.“ Draußen vor dem Laden stehen zwei Rosmarinbäumchen die Heckmann im gegenüberliegenden Blumenladen entdeckt hat. „Ich hätte nie gedacht, was Duft für eine Wirkung auf die Kunden hat. Die Leute streichen mit den Händen über die Blätter der Bäumchen und freuen sich am Geruch. Auch das LeinOrangen-Öl mit dem wir die Möbel im Laden aufgefrischt haben, wird immer wieder von

den Kunden bemerkt. Früher habe ich dem Faktor Geruch wenig Beachtung geschenkt, aber heute weiß ich, wie wichtig es ist, alle Sinne der Kunden anzusprechen“, sagt Heckmann zum Abschluss.

Heckmann Store Darmstadt Schulstraße 5 64283 Darmstadt/Deutschland www.heckmannstore.eu Inhaber: Peter Heckmann Anzahl der Mitarbeiter: 3 Neueröffnung nach Umzug: 28. April 2016 Verkaufsfläche: 110 qm Marken Frauen: Armor-Lux, Bellerose, Bsbee, Custom Made, Denham, Gallego Desportes, Leon & Harper, Mads Norgaard, Medwinds, Rabens Saloner, Rains, Ropachica Marken Männer: Armor-Lux, Blue de Gênes, Breco, East Harbour Surplus, First Pattern, Knowledge Cotton Apparel, Mads Norgaard, Medwinds, Orcival, Poggianti, Universal Works, Vetra Marken Accessoires: Anokhi, Cooperative de Creation, Deven, Ina Seifart, Kaweco, Serax, Titlee, Werkstadt München, Marken Schuhe: Blue Heeler, Blundstone, Chippewa, Fred de la Bretoniere

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Memories of Lissabon. Blue Sense/Heidelberg. Leidenschaft, gleich doppelt: für Mode und für Portugal. Wie perfekt das zusammen­ passt, zeigen Natalie Nicoletti und Norbert Erhard in ihren zwei – bald drei – Blue Sense Concept Stores in Heidelbergs Altstadt. Text: Martina Müllner-Seybold. Fotos: Blue Sense/Sabine Arndt

Strahlendes Azurblau, dazu unverkennbar portugiesische Kacheln an der Wand. Handgefertigt in einer kleinen Manufaktur nahe Lissabon, aus der Natalie Nicoletti und Norbert Erhard auch Keramik für ihre Blue Sense Concept Stores beziehen. Wer den vor zwei Jahren eröffneten Damenladen oder das im Juni eröffnete Pendant für Männer betritt, fühlt sich im Lissabon-Urlaub. „Viele Kunden waren schon einmal in Lissabon oder planen einen Trip dorthin, das weckt positive Emotionen“, erzählt Erhard, der die Läden gemeinsam mit seiner Partnerin Nicoletti führt. Beide haben eine lange Geschichte in der Mode. Erhard war zuletzt als CEO beim Denimlabel Herrlicher, Nicoletti seit 15 Jahren an der Handelsfront. Aus dem privaten Dreamteam wurde ein berufliches, als der Wunsch, etwas ganz Eigenes zu machen, mit Blue Sense Form annahm. „Wir beide fühlten, dass jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen ist.“ Wider jede Besserwisserei

Jetzt? Ja, lesen Nicoletti und Erhard denn keine Branchenblätter? Frequenzrückgang, der Exodus der kleinen Fashion­ stores in der preislichen Mitte, dazu die Onlinekonkurrenz. Nichts, wovor das Duo Angst haben muss. „Frequenz muss man schaffen, das ist klar. Aber 416 style in progress

wenn jemand mit Leidenschaft im und hinter seinem Laden steht, das honorieren die Kunden sehr. Für mich ist der Laden eine bewusste Antithese zur durchdigitalisierten, rationalen Geschäftswelt; wir entsprechen gerne dem Wunsch der Kunden nach echten, sinnstiftenden Gesprächen, nach Nähe und nach fast schon freundschaftlichen Beziehungen.“ Das erklärt auch die Preislage, die sich die beiden ausgesucht haben: „Unsere Kundin kommt alle zwei bis drei Wochen, in diesen Abständen muss sie sich auch etwas Neues bei uns leisten können.“ Schnelle Drehung im Sortiment ist essenziell, dabei helfen Marken wie Herrlicher, Replay oder Beck Söndergaard, dazu Mode „bei der der Name auf dem Etikett kaum eine Rolle spielt“, so Erhard. „Im Männerladen allerdings haben wir einen draufgesetzt, nicht preislich, sondern in der Auswahl. Da ist viel Handwerkliches dabei, weil Männer offen für Produkte mit Story sind.“ Weine, Port, Delikatessen, am Ende weiß man gar nicht, was der Mitnahmeartikel ist – die Mode oder all die Souvenirs aus Portugal. „Wir verdienen an den Weinen oder so besonderen Dingen wie kleinen Modellschiffen aus Holz nicht viel Geld, aber sie begeistern. Es macht uns Freude, dass wir mit unserem Sortiment portugiesische Betriebe fördern können. Dem Land geht es ja

Natalie Nicoletti und ihr Herzensprojekt: Blue Sense in Heidelberg.

nicht gerade rosig.“ Ein Büro in Lissabon haben Erhard und Nicoletti gegründet, um diesen Part des Business stärker auszubauen, alle vier bis sechs Wochen sind die beiden vor Ort. Das macht sich bezahlt, genau wie die fast wöchentlichen Events. „Klar, bei einem Winetasting am Samstag geht man auch mal erst um 21 Uhr aus dem Laden, diesen Einsatz spüren die Kunden. Nur so kann man schaffen, was uns gelungen ist: Innerhalb kurzer Zeit in den schwarzen Zahlen zu sein und einen hohen Stammkundenanteil zu haben.“ Denn, so Erhard: „Natürlich bin ich auch Kaufmann.“ Ein Kaufmann, der noch viele Ideen auf den Weg bringen will – der dritte Store ist fest in Planung, ein Webshop wird folgen, die portugiesische Lebensart will man auch anderen Händlern zugänglich machen – nach dem EM-Titel erst recht.

Blue Sense Concept Store Theaterstraße 2a, 69117 Heidelberg/Deutschland www.bluesense.me Eröffnung: November 2014 Damen, Juni 2016 Herren Inhaber: Nathalie Nicoletti, Norbert Erhard Anzahl der Mitarbeiter: 3 Vollzeit, 2 Aushilfen Verkaufsfläche: 75 qm Damen, 70 qm Herren Marken Frauen: Blaumax, Herrlicher, Indi & Cold, LangerChen, Second Female Marken Männer: Blaumax, Herrlicher, LangerChen, Replay Marken Accessoires: Beck Söndergaard, Freitag, Grenson, Wolverine


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Ein Damen- und ein Herrenladen, ein dritter Store soll demnächst folgen. Zwei Jahre nach dem Start bilanziert Blue Sense deutlich positiv.

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Ein Wohnzimmer, in dem Kunden wie bei Freunden abhängen: Das ist Dreist fßr viele seiner Fans.

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Ein Zuhause. Dreist/Aachen. In Aachen hat der gebürtige Holländer Rob Kriescher sein Zuhause gefunden – und eines ge­ schaffen: Für Männer und Frauen, die Mode an einem Ort kaufen wollen, der ihnen etwas bedeutet. Text: Martina Müllner-Seybold. Fotos: Dreist

Open Mic, das ist eine Aufforderung: Ein Verstärker, eine Gitarre, ein Mikrofon und jeder, der die Bühne sucht, kann sie bei Dreist betreten. Da füllt sich der Laden schnell und was jetzt geboten wird, zieht Kreise. Wem das musikalische Talent fehlt, der kommt an einem anderen Tag zum Zug, darf seine Platten mitbringen und bei Dreist auflegen. Nur selbstverständlich, dass solche Sessions häufig nach Ladenschluss bei (noch) einem Feierabendbier oder einem gemeinsamen Abendessen stattfinden. „Die Aachener entdecken uns und gewinnen uns lieb“, sagt Rob Kriescher, der sich vor vier Jahren den Traum vom eigenen Laden erfüllte. Nicht in seiner Heimat Holland, wo die Krise voll zugeschlagen hatte, sondern in der Geburtsstadt seines Großvaters. Viele Züge

„Wir sind Heritage, wir sind Hipster, wir fahren viele Züge in Sachen Stil, weil wir uns in Aachen gar nicht auf eine einzige Zielgruppe spezialisieren können. Auch die Motorradfahrer fühlen sich bei uns zu Hause. Unsere Basis ist Raw Denim, da startet alles“, erklärt Kriescher. Authentische und nachhaltige Marken, über die es lange, eindrucksvolle Geschichten zu

Von 60 auf 240 Quadratmeter: Dreist präsentiert sich nach dem Umzug großzügig und dem spannenden Konzept angemessen groß.

berichten gibt. Ein Paradies für Kerle und deren Frauen, nachdem der Laden in seinem vierten Jahr umgezogen ist und von 60 auf 240 Quadratmeter erweitert hat. Dass die Damen jetzt umso mehr in den Fokus rücken, hat auch mit Rob Krieschers Schwester zu tun, die in Holland ihre stationären Läden geschlossen hat und sich nun nur noch um ihren Onlinestore und eben des Bruders Damenabteilung kümmert. Mit Labels wie MbyM oder Minimum sind jetzt auch Brands abseits des Heritage-Dogmas im Angebot, das Feminine und Verspielte kommt an. In Aachen, einer Studentenstadt mit deutlichem Männerüberhang – es werden vor allem technische Studien angeboten – kommt es gerne vor, dass die Frauen einmal hintenstehen. „Das werden wir ändern, wobei wir auch bei den Frauen unserem Stil treu bleiben“, erklärt Rob Kriescher. Der sich für die Beratung seiner

Kunden immer an einem perfekten Schrank orientiert. „Wir zeigen unseren Kunden, wie sie aus Basics ihren Look immer neu kreieren, wir wollen sie nicht zu kurzfristigen Trends überreden, sondern ihnen eine solide Garderobe zusammenstellen.“ Eine Herausforderung, genau diese frisch zu halten und immer für neue Kaufimpulse zu sorgen, denn „wie viele gute Raw Denims braucht ein Mann? Doch keine 15!“ Also recherchiert Rob Kriescher viel im Internet, sucht neue Marken, bestellt auch mal in den USA eine Brand und importiert sie auf eigene Kosten. „Wir wollen unserer Zeit voraus sein, wir müssen schon wissen, wohin die Reise morgen geht. Damit wir für unsere Kunden ein modisches Zuhause sind.“

Dreist Wirichsbongardstraße 12 52062 Aachen/Deutschland www.dreist-ac.de Eröffnung: Dez. 2011 Inhaber: Robert Kriescher Anzahl der Mitarbeiter: 2 Verkaufsfläche: 240 qm Marken Frauen: Hannes Roether, Hope, Joah Brown, Lee, MbyM, Minimum, Ruby Tuesday, Schott NYC, Shoto, Red Wing, Wolverine 1000 mile, Wrangler u. a. Marken Männer: Blaumann Jeans, Blue Blanket Jeans, Blue de Gênes, Chippewa, Cruna, Daniele Fiesoli, Denham The Jeanmaker, Deus, Eat Dust, Edwin, Fleurs de Bagne, Fred Perry, Grenson, Hannes Roether, Hope, Indigofera, Lee101, Lightning Bolt, Minimum, Nudie Jeans Co, Penguin, Red Wing, Scarti Lab, Schott NYC, Shoto, Tellason, Thedi Leather, Wolverine 1000 mile, Zeha Berlin u. a. Marken Accessoires: Brooklyn Soap Company, Dettline, Diefenthal und Sohn, Fango Tang, Pig & Hen, Marshall, Ondura, Ottermann, Rough and Loyal, Secrid, Tannergoods, Trico u. a.

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Heimkommen. Eibl am Kajetanerplatz/Salzburg. Tanja und Markus Eibl sind schon die dritte Generation, die an diesem äußersten Winkel der Salzburger Altstadt erfolgreich Geschäfte macht. Jetzt gönn­ ten sie dem Geschäft ein stylisches Make-over, das perfekt zur Zielgruppe passt. Text: Martina Müllner-Seybold. Fotos: Eibl

Tanja Eibl, Seele des Ladens am Salzburger Kajetanerplatz.

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Zurückhaltend, reduziert, die Ware im Mittelpunkt – so präsentiert sich Eibl nach dem Make-over 2015. Das gesamte Interieur lässt sich mühelos umstellen, so gut wie nichts hat einen festen Platz, denn: Tanja Eibl dekoriert gerne um.

Der Großvater war noch Lebensmittelhändler, die Mutter hatte dann die zündende Idee mit Mode – und „heute kehre ich eigentlich wieder zu ihrem Grundgedanken zurück, diese totale Kundenorientierung hat schon sie gelebt“, erklärt Schwiegertochter Tanja, die gemeinsam mit Mann Markus die dritte Generation der Eibls repräsentiert. „Ich weiß genau, was ich will, was ich brauche und was ich einkaufe – weil ich ja unsere Kunden kenne“, sagt die Salzburgerin. So oft es geht, steht sie selbst im Laden. Und genau diese Persönlichkeit wissen die Kunden zu schätzen – schon immer. „Aber der Umbau hat das ganze Konzept noch einmal gefestigt und jetzt nach einem Jahr können wir auch sagen, dass es sich wirklich gelohnt hat.“ Selbst geplant, selbst umgesetzt, ganz den individuellen Bedürfnissen und Tanja Eibls Stil entsprechend. „Sehr zurückhaltend und reduziert, ich will ja nicht, dass der Kunde angesichts des coolen

Ladenbaus die Ware übersieht. Die muss immer im Mittelpunkt stehen.“ Hochgradig individuell, ein einziges Regal ist fest verschraubt, alles andere kann nach Lust und Laune neu arrangiert werden. „Zum Beispiel nach der Sale-Phase, da geht bei uns einen Tag lang der Rauch auf, da wird zu viert geschoben und geräumt, bis der Laden wieder picobello ist und sich frisch und neu zeigt. Das macht auch uns dann richtig Lust auf die neue Saison und die gerade eingetroffene Ware.“ Besonders haben von der Neugestaltung übrigens die Herren profitiert – sie mausern sich zu einer loyalen Kundschaft. „Männer sind einfach treu, das Segment entwickelt sich stark bei uns.“ Gemeinsam erwachsen

In seiner Geschichte war Eibl jahrelang Anlaufpunkt von Teens und Twens, täglich ziehen hunderte Schüler der nahen Gymnasien an den Schaufenstern vorbei. Viele, die damals

hier ihre Replay, Diesel oder später Miss Sixty Jeans vom abgesparten Taschengeld erstanden haben, kommen heute wieder. Erwachsen geworden, mit anspruchsvollem Modegeschmack und vielen positiven Erinnerungen. „Im Premiumsegment finden die Kunden in Salzburg nicht viel Angebot, das ist unsere Nische“, erklärt Tanja Eibl, wissend, dass „ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis das A und O ist. Die Kunden sollen kein Beatmungsgerät brauchen, wenn sie auf das Preisetikett schauen.“ Lokal und nachhaltig, diese Leitmotive haben sich im Sortiment etabliert. Ob der Schmuck von See Me, Kosmetik von Be my Friend aus Salzburg oder die handgestrickten Eibl-Hauben, diese Goodies werten Marken aus überwiegend europäischer Produktion wie Drykorn, Mason’s oder Closed noch zusätzlich auf. Auch im Einkauf zeigt sich Eibl patriotisch: „Ich finde doch in Salzburgs Agenturen alles, was ich brauche. Ich mag es nicht,

aus jeder Agentur einen Hund zu kaufen, lieber konzentriere ich mein Budget auf die vier, fünf Partner, mit denen ich gut arbeite. Dann habe ich dort auch ein entsprechendes Volumen und Standing – und umgekehrt die Sicherheit, dass man mich nicht hängen lässt, wenn es ein Problem gibt.“

Eibl am Kajetanerplatz Schanzlgasse 4, 5020 Salzburg/ Österreich www.eibl.or.at Eröffnung: 1972, Umbau 2015 Inhaber: Markus Eibl Mitarbeiter: 4 Verkaufsfläche: 120 qm Marken Frauen: Drykorn, Filippa K, Mason’s, Samsoe & Samsoe, Set, Sophie, Supernatural Marken Herren: Closed, Drykorn, Filippa K, Fil Noir, Mason’s, Supernatural Marken Accessoires: Be my Friend, Bloomingville, Erfurt, Komono, Love Letters, Maschalina, Mint Sweden, See Me, Silvie Eder Schmuck

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078 VOR ORT

Kerniger Look: Beim Design stehen Holz, Metall und Leinen im Vordergrund.

Como Park, ein renommiertes Retailstudio, verantwortet das Einrichtungskonzept.

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VOR ORT 079

Modern Heritage. Oeben’s Mercantile/Utrecht. Seit dem frühen 19. Jahrhundert arbeiten die Mitglieder der Familie Oeben als erfolgreiche Kaufleute. Kein Wunder, dass Thomas Oeben mit der Eröffnung seines Oeben’s Mercantile im niederländischen Utrecht dieser Familien­ tradition nun folgt. Text: Kay Alexander Plonka. Fotos: Oeben’s Mercantile

Seit dem Jahr 2002 arbeitet der 31-jährige Thomas Oeben im Handel, zuletzt einige Jahre als Einkäufer für einen bekannten Menswearstores mit Filialen in Rotterdam und Utrecht. Während eines Urlaubs am Strand von Miami, kurz nach seinem 30. Geburtstag, fasste er den Entschluss, einen eigenen Laden für Männer zu eröffnen, der einen ausgewogenen Stil und Markenmix anbieten sollte. Das Besondere: Unter dem Claim „Dieser Conceptstore wird den Service bieten, der in der modernen Welt von heute manchmal vergessen wird“, sammelte Oeben 10.000 Euro auf der Crowdfundingplattform Crowd About Now ein. Mit diesem Add-on stockte er seine eigenen 80.000 Euro Startkapital noch einmal auf. Neben echter Workwear, kräftigen Denims, robusten Boots, dezenten Turnschuhen und kerniger Outerwear umfasst das Portfolio eine sorgfältige Selektion von Anzügen, Mänteln, Blazern, Hemden und Westen, um dem modernen Mann von heute ein zeitgemäßes Outfit sowohl für die Bedürfnisse des Arbeitslebens als auch für die Freizeit zu bieten. Accessoires wie Uhren, Quer- und Langbinder, Gürtel, Taschen und Reisegepäck und die eigene Linie runden das Sortiment ab.

Sonntags geöffnet

Utrecht ist die viertgrößte Stadt der Niederlande. Rund 340.000 Menschen leben in der zentral und verkehrsgünstig gelegenen Stadt. Bewohner pendeln zur Arbeit ins nahgelegene Amsterdam und im Gegenzug kommen viele junge Leute aus Amsterdam jeden Tag zum Studieren an die renommierte Universität und die Musik- oder Fachhochschule. Oeben’s Mercantile Store liegt ganz in der Nähe des Domplatzes in einer schönen Einkaufsstraße, umgeben von vielen ander kleinen Läden, Cafés und Restaurants, inmitten der historischen Altstadt. „Wie in vielen Städten in den Niederlanden üblich, ist der Store Sonntags von 12 bis 17 Uhr geöffnet und dafür montags geschlossen. Während dienstags und mittwochs nur bis 18 Uhr geöffnet ist, besteht dafür am Donnerstag die Möglichkeit, bis 21 Uhr und am Freitag immerhin bis 20 Uhr einzukaufen. Samstags wird schon um 10 Uhr statt wie unter der Woche erst um 11 geöffnet, dafür aber bereits wieder um 18 Uhr geschlossen“, erklärt Thomas Oeben die gleichermaßen Kunden- und Familienfreundlichen Öffnungszeiten. Das Interieurdesign des Stores stammt von Kenneth Jaworski und seinem Retail Architecture

Studio Como Park aus Amsterdam, das bereits für Marken wie Levi’s, Filson oder G.H. Bass Läden und Messestände realisiert hat. Auch bei der Auswahl der Marken und der Konzeptentwicklung war er maßgeblich beteiligt. „Die Kombination von hochwertigen Materialien und einem klassischen Look stand bei der Konzeption im Vordergrund. Look and Feel sollte weder used oder vintage aussehen. Gemeinsam mit Kenneth habe ich mir viele Läden angesehen und bin dann zu dem für mich perfekten Ergebnis gekommen. Natürliche Materialien wie Eichenholz und Leinen in Kombination mit einer Palette dunkler Wandfarben vermitteln ein vertrautes und einladenes Gefühl, während die großen Bilder und Fotografien das High-end-Feeling unterstreichen, das wir schaffen wollten“, erklärt Thomas Oeben.

Er setzt auf den Mix aus Klassik und Moderne: Thomas Oeben.

Oeben’s Mercantile Oudkerkhof 34 3512 GL Utrecht/ Niederlande www.oebens.com Inhaber: Thomas Oeben Eröffnung: 18. März 2016 Verkaufsfläche: 100 qm Marken Männer: AT.P.CO, Arrow, Armor-Lux, Baracuta, Barbour Heritage, Closed, Diadora Heritage, Fumagalli, Gant Rugger, G.H. Bass, Kings of Indigo, Levi’s, Lightning Bolt, Paltò, Pike Brothers, Reds, Red Wing Shoes, Tellason, Vanacore Marken Accessoires: Briston, Etnia Barcelona, Filson, Indigo People, Tanner Goods, Timex

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080 VOR ORT

Geradlinig, passend zu der skandinavisch geprägten Mode: das Interieur im Misc Männershop.

… and Gentlemen. Misc/Salzburg. Die allerbeste Nachbarschaft hat Michaela Schirlbauer ihrem Damenladen Misc angedeihen lassen: einen Store nur für Männer. Unter historischen Korbbogengewölben sind nun auch Herren eingeladen, ihren Stil nach Misc-Art zu verfeinern. Text: Martina Müllner-Seybold. Fotos: Misc

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Michaela Schirlbauer ist seit sechs Jahren mit einem Damengeschäft erfolgreich – jetzt wagt sie sich an die Männermode.

„Die Partner unserer Kundinnen haben immer wieder gefragt, warum es denn die gleiche Beratungsqualität und das Sortiment nicht auch für Herren gibt“, erzählt Michaela Schirlbauer. Das Freiwerden der Immobilie gleich neben ihrem Damenladen sollte den Entschluss, einen Männerladen zu eröffnen, beschleunigen. „Bevor ich den hundertsten Weihnachtskugel- oder Mozartentenshop als Nachbarn bekomme“, lacht die Unternehmerin über ein in der Altstadt von Salzburg weit verbreitetes Phänomen. Weil unabhängige Einzelhändler die Mieten in 1-a-Lagen kaum noch bezahlen können, grassieren Souvenirshops und die immer gleichen Filialisten. Am Mozartplatz, wo Michaela Schirlbauer nun seit sechs Jahren erfolgreich ihr Damengeschäft betreibt, ist der Touristenstrom schon ausgedünnt, selbst für Einheimische ist es keine Lauflage.

Ihre Stammkundschaft musste sich Schirlbauer also erarbeiten und dem Beispiel der Boutique für Damen soll auch das Angebot für Herren folgen. „Ich halte Mundpropaganda für die einzig wichtige Werbung. Begeisterte Kunden sind die beste Empfehlung, die ich mir wünschen kann.“ Freilich, ein bisschen Facebook hier und da, aber die bestehenden Kundinnen sind Schirlbauers effizienteste Art, den Männern ihren Stil schmackhaft zu machen. Skandinavisch, lässig

Um im Sortiment unverwechselbar zu sein, reist Schirlbauer mehrmals im Jahr in skandinavische Länder, die Messen in Kopenhagen sind ihre wichtigste Trendquelle. „Ich will den Männern Mut machen, weg vom klassischen Anzug zu gehen, hin zu einer lässigeren, aber dennoch gut angezogenen Garderobe.“ So wundert es kaum, dass man den

klassischen Cool Wool Anzug in Dunkelblau im Sortiment niemals finden soll. „Wenn schon Anzug, dann mit einem besonderen Twist, zum Beispiel im Sommer mit einer kurzen Hose“, erklärt Schirlbauer. Trotzdem, die Grenzen bleiben eng gesteckt, weiß die Geschäftsfrau doch genau um den konservativen Stil der Stadt. „Salzburg ist sicher kein experimentelles Modepflaster, aber das ist auch nicht mein Stil. Ich mag, wenn ein Mann gut angezogen ist – und das ist unsere Mission.“ Wie die Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen korrekt angezogen und coolem Outfit gelingt, zeigt Schirlbauer ihren Kunden am liebsten selbst. Ihre Beratung ist herzlich, ehrlich, niemals drängend und voll Freude am Tun. „Bequem, bequem, bequem, das ist derzeit das allerwichtigste Motto bei den Herren. Zum Beispiel in die Jogg­jeans, reinschlüpfen und

wohlfühlen, Männer wollen es nicht kompliziert.“ Das impliziert auch einen nachvollziehbaren Preisaufbau: „Meine Erfahrung sagt: Wenn die Qualität passt und ein Teil gefällt, ist es dem Mann eigentlich egal, was es kostet – selbstverständlich unter der Prämisse, dass er sich generell sicher sein kann, dass in dem Geschäft das Preis-Leistungs-Verhältnis passt.“ Das passt. Und noch viel mehr.

Misc Fashion Men Mozartplatz 5, 5020 Salzburg/Österreich www.misc-fashion.at Eröffnung: August 2016, Damen Juli 2010 Inhaber: Michaela Schirlbauer Anzahl der Mitarbeiter: 5 Verkaufsfläche: 65 qm Herren, 90 qm Damen Marken Männer: A Fish Named Fred, Anerkjendt, Bruli, Dornschild, No Excess, Sand Marken Accessoires: Effio, Floris van Bommel, Gents

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082 VOR ORT

Mann, Mann, Mann. Classico Men/Hamburg. Koinzidenz heißt das Zu­ sammentreffen zweier Ereignisse – bei Classico gleich mehrfach Geburtshelfer für den Start des Shops für Männer. Nach dem Onlinelaunch jetzt auch stationär. Text: Martina Müllner-Seybold. Fotos: myclassico.com

„Damit hat er mich geködert – und es hat geklappt“, lacht Lennart Heldmann, wenn er vom Start des Onlineshops für Männermode unter myclassico-Flagge berichtet. Dass sein Vater Harald Heldmann wollte, dass der Sohn nach ersten Erfahrungen in der Modebranche ins elterliche Unternehmen einsteigt, war kein Geheimnis. Doch schnell war klar, dass die neue Generation auch ein neues Projekt benötigen würde, um nicht das Etikett „Sohn von“ anhaften zu haben. Gemeinsam mit den wenigen Männern im Unternehmen Classico war die Idee schnell gefunden: Einen eigenen Onlinestore für das starke Geschlecht sollte es geben. Lennart Heldmann brachte die Begeisterung, Harald Heldmann warf die Rechenmaschine an. „Zunächst wollten wir uns an unsere Stammkundschaft wenden. 65.000 E-Mail-Adressen und 80.000 aktive Kundinnen im Damenbereich sind ja ein Wert, von dem man ausgehen darf, dass die meisten auch einen Partner haben, dem sie das Shopping bei uns schmackhaft machen können“, erklärt Harald Heldmann die vornehme Zurückhaltung, mit der das Projekt erst peu à peu an die Öffentlichkeit ging. Danach wurde das digitale Kommunika416 style in progress

Vater und Sohn: Lennart und Harald Heldmann präsentieren ihr jüngstes Projekt: Classico Men.

tionsfeuerwerk gezündet – mit Social Media, Google-Werbung und allem, was ein Onlinestore für Traffic tun kann. Platz für die Neuen

Schnell wurde klar, dass der Onlinestore auch von einem stationären Geschäft profitieren würde. „Wie es der Zufall will, spricht mich auf offener Straße ein Kollege an, der seinen Shop aufgeben wollte“, berichtet Harald Heldmann. Wieder heißt es rechnen: Die Zahlen sprechen dafür, innerhalb kürzester Zeit steht plötzlich Classico Men an der Tür einer bei Herren bekannten Adresse. 65 Quadratmeter klein, aber immerhin – und die Damen sind auch gleich mit einer Filiale ins Geschäftslokal gegenüber gezogen. Synergieeffekt heißt das auf gut Unternehmerdeutsch. Synergieeffekte ergeben sich auch aus dem

Vater-Sohn-Gespann. Lennart Heldmann: „Modisch ticken wir natürlich unterschiedlich, das tut dem Sortiment gut. Während mein Vater die klassischeren Dinge ordert, versuche ich, dass wir Trends früh adaptieren.“ Um Reichweite, Sichtbarkeit, Kompetenz geht es beiden, wenn man sie nach den Zielen der Männersparte fragt. „Im Premiumbereich gibt es durchaus eine interessante Nische, ein Segment, das bisher online wie stationär nicht vollständig abgebildet war“, analysiert Harald Heldmann. „Trotzdem, als Männerhändler würde ich uns noch nicht bezeichnen – die Damen sind und bleiben der Fokus“, sagt der Vater. Der Sohn nickt zustimmend – und gibt trotzdem zu verstehen, dass er sein Erstlingswerk im Unternehmen mit aller Motivation vorantreiben wird.

Classico Men Große Bleichen 36, 20354 Hamburg/Deutschland www.myclassico.com/men/ Inhaber: Harald Heldmann Eröffnung: Juli 2016 Anzahl der Mitarbeiter: 3 Verkaufsfläche: 65 qm Marken Männer: 0039 Italy, 7 for all Mankind, AG Jeans, Aglini, Alpha Industries, Baracuta, Barbour, Baronio, Belstaff, BLK Denim, Blonde No. 8, C.P. Company, Canada Goose, Canadian Classics, Closed, Colmar Originals, Como No. 1, Daniele Fiesoli, Deus Ex Machina, Drakewood, Drykorn, Dstrezzed, DU4, Goosecraft, Gran Sasso, Hannes Roether, Harris Wharf London, Hartford, Heldmann, IQ+ Berlin, Jacob Cohen, Kiefermann, Majestic Filatures, Mason’s, Matchless, MC2 Saint Barths, MMX Germany, Myths, Oakwood, Paltò, Parajumpers, Phil Petter, Post & Co, Q1, Rag & Bone, Samsoe & Samsoe, Save the Duck, Schott NYC, The Kooples, Todd Snyder x Champion, Wood Wood, Wool & Co Marken Accessoires: Anderson’s, Antica Cuoieria, Briston, Burlington, Buttero, Cowboysbag, Diadora Heritage, Diemme, Ecco x The Last Conspiracy, Espandrji l’originale, Falke, Fausto Colato, Filling Pieces, Fracap, Gino B., Grenson, Gum, H by Hudson, Kapten & Son, Kolmyo, Le Cord, Le Specs, n.d.c. Made by Hand, Miansai, Moma, National Standard, Native Union, Philippe Audibert, Philippe Model, Pig & Hen, Puma, Reptile’s House, Sandqvist, Superga, Taschen, TeNeues, The Last Conspiracy, The White Briefs, Umschau, Voile Blanche


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Das Beste auf kleinem Raum: Mit Classico Men besetzt der Händler das Premiumsegment, in dem er bei den Damen schon lange unangefochten ist.

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Komplett. Apropos The Concept Store/Hamburg. Nach der Vergrößerung des Damenladens in Köln haben die Luxusmodehändler Daniel Riedo und Klaus Ritzenhöfer in Hamburg ihren zweiten Laden eröffnet. Ausschließ­ lich dem Mann gewidmet, erneut in direkter Nähe der Alster. Text: Martina Müllner-Seybold. Fotos: Apropos The Concept Store

Sieben Läden in Hamburg, München, Köln und Düsseldorf sind die Erfolgsbilanz von Daniel Riedo und Klaus Ritzenhöfer.

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Das Architektenduo Rodolphe Parente und Benjamin Liatoud sowie das Architekturbüro Unzen durften aus dem Vollen schöpfen. Exklusive Materialien und ausgewählte Designobjekte, dazu mutige Farben und Specials wie eine komplett verspiegelte Umkleidekabine.

Die Expansion will nicht abreißen: Nachdem am Stammsitz Köln in diesem Jahr der Laden um 100 Quadratmeter erweitert wurde, haben sich Daniel Riedo und Klaus Ritzenhöfer nun erneut in Hamburg aufs Parkett gewagt. Ihren Damenladen am Neuen Jungfernstieg 16 ergänzt ein Herrenladen nur zehn Hausnummern entfernt. „Im Designerbereich sehen wir in Hamburg für die Herren noch ungenutztes Potenzial im Markt“, begründet Ritzenhöfer die Expansionspläne des Unternehmens. Das Netzwerk von Apropos umfasst demnach sechs Conceptstores – in Köln (2), Düsseldorf, München und Hamburg (2) – sowie einen Gucci Franchisestore in Köln. Auf 250 Quadtratmetern erwartet die anspruchsvolle Klientel in Hamburg die bewährte, besondere Mischung des Conceptstores. Neben Mode von Marken wie Balenciaga oder Gucci punktet der Store mit ausgewählten Interieur- und Pflegeprodukten.

„Ein Menswearstore für alle Sinne, den es so in Hamburg noch nicht gibt“, heißt es aus dem Unternehmen. Luft nach oben

An Auswahl mangelt es der betuchten Hamburger Klientel ganz bestimmt nicht – und trotzdem schließt Apropos The Concept Store eine Lücke im Angebot der Hansestadt. Sie hätten „die besten internationalen Menswearbrands aus unserem Designersortiment“ nach Hamburg mitgebracht, so die Inhaber Ritzenhöfer und Riedo. Das Geschäftslokal, das die beiden für ihre Expansion ausfindig gemacht haben, besetzte ehemals Rena Lange. Ein Glück, dass mit Apropos ein unabhängiger Multibrandhändler zum Zug kommt, man kennt es ja auch anders: Ob Tesla, Nespresso oder zuletzt Lidls Pop-up-Store am Neuen Wall, in den Luxuslagen der Stadt wird immer seltener Geschäft mit Mode gemacht. Die hohen Mieten, die Konzer-

ne unter Marketingausgaben buchen, sind für unabhängige Modeeinzelhändler kaum zu erwirtschaften – das international immer gleiche Bild der Monolabelstores wird kaum noch von einem individuellen Konzept durchbrochen. Umso erfreulicher, dass Apropos dem Ruf seiner Kunden folgte. Henning Korb, Einkäufer und Geschäftsführer des Hamburger Standorts: „Es gibt bereits sehr schöne Herrenausstatter, allesamt gut geführte und funktionierende Geschäfte. Conceptstores für Herren gab es bisher keine. Das zeigten uns nicht nur die unzähligen Männer, die in unseren Damenstore kamen, in der Hoffnung wie in Köln, Düsseldorf oder München eine Herrenabteilung zu finden. Es war auch das Feedback von Produzentenseite. Wir sind in Hamburg mit exakt demselben Designersortiment gestartet, wie wir es in Köln, Düsseldorf und München bereits führen. Ich denke, das spricht für eine Lücke, die wir nun

geschlossen haben.“ Weitere Expansionspläne bestünden derzeit nicht, so die beiden Eigentümer, weder in Hamburg noch in anderen Städten: „Jetzt sind wir komplett.“

Apropos The Concept Store Neuer Jungfernstieg 6, 20354 Hamburg/Deutschland www.apropos-store.com Eröffnung: Juli 2016 Inhaber: Daniel Riedo, Klaus Ritzenhöfer Geschäftsführer: Henning Korb Marken Männer: Balenciaga, Fendi, Gucci, John Varvatos, Moncler, Off-White, Saint Laurent, Thom Browne, Valentino Marken Accessoires: Aqua di Parma, Assouline, Christian Louboutin, Cire Trudon, Fornasetti, John Derian, L’Objet, Manolo Blahnik

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Grandiose Beratung, hervorragende Brands und ausgefallenes Ambiente. Mit diesem Mix Ăźberzeugt Sailor & Harbour seine Kunden.

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VOR ORT 087

Auf ein Neues Sailor & Harbour/Bremerhaven. Nach seinem Aus­ stieg beim Bremer Traditionshaus Stiesing hat Harm Hesterberg reiflich überlegt, was er in Zukunft tun möchte. Schlussendlich ist er bei seinem Leisten ge­ blieben: dem Handel mit Textilien und schönen Dingen. Seinen neuen Laden eröffnete er direkt an der Weser­ mündung im Shoppingcenter Mediterraneo. Text: Kay Alexander Plonka. Fotos: Sailor & Harbour

Im Alter von 51 Jahren nochmal bei null anfangen? Harm Hesterberg hat den Schritt gewagt. Gemeinsam mit einem Auszubildenden entschied er sich letztes Jahr, seinen eigenen Laden in einer neuen Stadt zu eröffnen. „Wir wollen unseren Kunden Handel wieder erleben lassen. Es geht darum, gute Stimmung zu erzeugen, Emotionen zu wecken und Spaß an der Kultur von guter Mode zu transportieren.“ Bei seinen Inspirationsreisen führt ihn der Weg immer wieder in den flämischen Teil Belgiens. „In Flandern gibt es viele gute Stores. Dort wird gekonnt Interieurmit Textildesign kombiniert und durch Food und den Handel mit Delikatessen abgerundet“, erklärt Hesterberg. Eine ähnliche Konstellation hat er auch für Sailor & Harbour gewählt. Schon jetzt, kurz nach der Eröffnung, denkt er über eine Erweiterung des Interieurkonzepts auf der benachbarten Fläche nach. Nordseeküste mit Schön­ wettergarantie

Die Havenwelten sind ein maritim geprägtes Stadtviertel im Bereich des Alten und Neuen Hafens von Bremerhaven. Die Seestadt hat rund 120.000 Einwohner. Dass Hesterberg ein Shoppingcenter als Standort gewählt hat, liegt an dessen Besonderheiten: Das Mediterraneo

trumpft mit über 40 Fachgeschäften und zahlreichen Restaurants. Das Herzstück bildet eine zentrale Piazza, die von einer großen Glaskuppel überdacht wird. Bei schönem Wetter laden mediterrane Terrassenflächen mit Blick auf den Hafen zum Sonnenbaden ein. „Die Havenwelten sind ein einzigartiges Projekt. In Bremerhaven hat sich ein Strukturwandel vollzogen und es gibt einen sehr gesunden Mittelstand. Außerdem haben die Windkraftbranche und die Meeresforschung des Fraunhofer Instituts den Standort attraktiv gemacht“, erzählt Hesterberg. In direkter Nachbarschaft betreibt auch Sternekoch Steffen Heumann sein Restaurant Pier 6. Ware mit Wert

Neben einigen wenigen ausgewählten großen Stammlieferanten wie Drykorn, Hackett, Parajumpers und Stone Island konzentriert sich das Angebot vorwiegend auf kleinere Marken, um Botschafter für Produkte mit nachhaltiger Lebensdauer zu sein. „Eine Marke wie Stone Island überzeugt durch Kontinuität über Jahrzehnte. Das Familienunternehmen ist kerngesund und bietet Topprodukte für den Mittelstand, und das weltweit auf hohem Niveau. Es gibt keinen Warendruck, keine Überproduktionen, keine

Neustart: Harm Hesterberg hat sich ein zweites Mal für den Modehandel entschieden.

Outlets – mit solchen Partnern macht man gerne gute Geschäfte“, sagt Harm Hesterberg Aber noch viel wichtiger ist es für ihn, Menschen zusammenzubringen: „Während wir die Outfits für unsere Kunden zusammenstellen, bieten wir der Begleitung Kaffeespezialitäten an unserer kleinen Bar an und die Kinder können in den Tim & Struppi Comics schmökern. Wir planen für einen der nächsten unserer regelmäßig stattfindenden Maßanfertigungstermine einen Event auf einem alten Zweimaster-Segelschiff, mit dem wir gemeinsam mit unseren Kunden auf die See raussegeln, um dort einen schönen Tag zu verbringen und Spaß zu haben, aber natürlich auch, um zu arbeiten und Geld zu verdienen.“ Also dann: Schiff ahoi und immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel!

Sailor & Harbour 8East GmbH & Co. KG Am Längengrad 12 27568 Bremerhaven/ Deutschland www.sailorharbour.de Anzahl Mitarbeiter: 6 Eröffnung: 26. März 2016 Verkaufsfläche: 300 qm Marken für Frauen: 5Units, 7 for all Mankind, 81Hours, Anokhi, Antonym, Au soleil, Alessandro Gherardini, B-Belt, Beck Söndergaard, Blonde Nr. 8, Brasi & Brasi, Candice Cooper, Debby Debot, Don`t cry Milan, DooWoop, Il Mondo il Mio, Le Crown, Lost in Albion, Lucky 9, Miss Goodlife, Manymal, Parajumpers, Rains, Rehard, Rose & Rose, Save the Duck, Superdry, Shirts 4 Life, S.W.O.R.D, Temptation Positano, The Jacksons Marken für Herren: Bespoke by Sailor, Blue de Gênes, Broska, Deus, Dressler, Fashion Helmet, Filson, Fil Noir, Hackett, Hiltl, Jim & Judi, Kreis, Lovet & Green, Nagano, Nudie, Parajumpers, S4, Save the Duck, Superdry, Superga, Stone Island, Thurston, van Laack

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088 EDITOR’S LETTER /// IMPRESSUM

Keep Your Story Straight!

Kennen Sie Lisa und Lena? Nein? In gewisser Weise haben Sie dann tatsächlich etwas verpasst. Näm­ lich ein Lehrstück in Sachen Aufmerksamkeits­ökonomie, Story­ telling und „Clash of Cultures“ (Nein, nicht im Sinne Huntingtons). Also: Lisa und Lena sind 14-jährige Zwillinge aus Baden-Württemberg, die mit Kurzclips, bei denen sie tanzen und synchron zum Text ihre Lippen bewegen, zu dem geworden sind, was man als Internetphänomen bezeichnet. Fünf Millionen Follo­ wer auf Instagram, zehn Millionen Abonnenten bei der App musical.ly. Was viele vielleicht ratlos zurücklässt, ist letztlich leicht erklärt. Die beiden Mädchen sind hübsch, modern und stylisch, taugen also als Role Model oder Projektionsflächen und spielen das offensiv aus. Ganz Old School also. Letztlich ist das nichts anderes als die Olsen-Twins-Nummer in kleine­ rem Format, aber nach den Gesetz­ mäßigkeiten der digitalen Revolution. Dass das vielen von uns fremd ist oder sogar Kopfschütteln auslöst, tut nichts zur Sache. Jugendphänomene, die von der Elterngeneration nicht verstanden oder sogar massiv abgelehnt worden sind, hat es schon immer gegeben. Und in gewisser Weise sind sie auch wichtig. Verschwimmende Grenzen zwischen Jugendlichen und erwach­ senen Berufsjugendlichen sind höchst ungesund. Aber fünf Millionen InstagramFollower wecken Begehrlichkeiten. Und das ist der Moment, an dem aus einem mehr oder weniger unschul­ digen Hype plötzlich ein knallhartes Businessmodell wird. Auch das ist übrigens völlig legitim. Lisa und Lena bzw. deren Eltern und/oder Manage­ ment wären schön dämlich, würden sie diese enorme Popularität nicht in bare Münze umwandeln. Aber jetzt komme ich zum eingangs erwähnten „Clash of Cultures“. Das Kernelement jeder Subkultur, und auch wenn das jetzt viele bestreiten werden, handelt es sich auch bei diesen mir zugegeben 416 style in progress

Eigentümer/Verleger/ Redaktion/Anzeigen UCM-Verlag B2B Media GmbH & Co KG Salzweg 17, 5081 Salzburg-Anif Österreich T 0043.6246.89 79 99 F 0043.6246.89 79 89 office@ucm-verlag.at www.ucm-verlag.at Geschäftsführung Stephan Huber Nicolaus Zott

nicht zugänglichen 15 Sekunden Clips irgendwie um Subkultur, ist Authentizität. O. k. – Buzzword. Aber das Sensorium dieser (oder fast jeder) Zielgruppe, ob der gelieferte Content auf Augenhöhe ist oder nicht, ist wesentlich ausgeprägter, als Marke­ tingstrategen vermuten. Dabei geht es gar nicht darum, ob der Content eventuell gekauft oder gesponsert ist, sondern darum, ob er zur Story passt – und zwar wechselseitig. Wenn nun also Hugo Reversed meint, die exorbi­ tante Followerzahl sei ein ausreichen­ des Argument, um an der virtuellen Popularität zweier fröhlicher Teenager mitzunaschen, dann ist das schlicht ein Missverständnis. Und damit wären wir auch schon bei der kurzen, medial intensiv gehypten Liaison zwischen Brioni und Justin O’Shea. Da hat die Story, auch wenn man Brüche und Widersprüche noch so spannend fin­ det, einfach genau gar nicht gepasst. Ein in die Jahre gekommenes, exklu­ sives Steak-House kann auch mit dem angesagtesten veganen Foodblogger als neuem Küchenchef das Ruder nicht herumreißen. Zumindest nicht, wenn es auch in Zukunft mit Steaks Geld verdienen will. Die Häme, die sich über den smarten It-Bad-Boy ergossen hat, war zwar erwartbar, aber gleich­ zeitig billig. Denn das Missverständnis lag in diesem Fall ausschließlich beim Brioni-Eigentümer Kering. Er ver­ stand entweder die Positionierung der Marke Brioni nicht oder hatte nicht den Mut und die Geduld, eine völlig neue Positionierung auch durchzuzie­ hen. Der für alle gültige Lerneffekt: Keep your story straight! Ihr Stephan Huber stephan.huber@ucm-verlag.at

Chefredaktion Stephan Huber stephan.huber@ucm-verlag.at Martina Müllner-Seybold martina.muellner@ucm-verlag.at Art Direktion/Grafik/Produktion Elisabeth Prock-Huber elisabeth@ucm-verlag.at Autoren dieser Ausgabe Isabel Faiss Ina Köhler Kay Alexander Plonka Nicoletta Schaper Quynh Tran Fotografen Trent McMinn Illustratorin Claudia Meitert Bildbearbeitung Anouk Schönemann anouk.schoenemann@ucm-verlag.at Anzeigenleitung Stephan Huber stephan.huber@ucm-verlag.at Verlagsassistenz/Vertrieb Sigrid Staber sigrid.staber@ucm-verlag.at Christina Hörbiger christina.hoerbiger@ucm-verlag.at Lektorat Johannes Seymann Übersetzung Manfred Thurner Druck sandlerprint&packaging 3671 Marbach, Österreich Druckkoordination Manfred Reitenbach

Nächste Ausgabe 12. Januar 2017


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„Wenn du es nicht zum vollen Preis verkaufen kannst, dann kauf es erst gar nicht!“

WOOLRICH SINCE 1830 AMERICA'S OLDEST OUTDOOR CLOTHING COMPANY WOOLRICH RESERVOIR, PENNSYLVANIA

19. Jahrgang # 4.2016

woolrich.eu

#4/2016

Ulric Jerome, Ruth und Tom Chapman, Matchesfashion.com

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Spezialitätengeschäft statt Gemischtwarenladen – Everybody’s Darling gibt es nicht /// Kreatives Erwachen – Italiens Modeindustrie kämpft sich aus der Krise /// Weniger ist mehr – Die Ordervolumina werden neu verteilt /// Der treue Mann – Aus Einkaufsmuffeln werden Lieblingskunden


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