5/2011 - 30 Prozent Mist. Dumpstern hilft

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über.morgen

www.uebermorgen.at | Jahr 3, Ausgabe 5 | Fr 24.6.2011 | Kostenlos

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„Dann sind ECTS für die Katz“ Töchterle im Interview ab S. 16

Kirchenprivilegien

Abschaffen oder nicht? S. 9-11

30 Prozent Mist?

Dumpstern hilft über.thema S. 4-6

Foto: Thomas Hawk

#Spanishrevolution expandiert S. 12

Foto: flickr, HeveaFan

Seewiesenfest Gatsch und Gaudi S. 13

Foto: Holger Lang

Demokratie in Ägypten chancenlos? S. 15


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über.kurz Frauenfußball-WM 2011 Die diesjährige Fraue n f u ß b a l l - We l t meisterschaft wird vom 26. Juni bis zum 17. Juli in Deutschland ausgetragen. Ein Großteil der Spiele wird im FLUC (Praterstern 5, 1020 Wien), im Tacheles (Karmeliterplatz 1, 1020 Wien) und Frauencafé (Lange Gasse 11, 1080 Wien, Achtung: Women only!) übertragen.

Jugendarbeitslosigkeit 8,8%

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Haus Döbling: Abriss droht ie Stimmung bei den BewohnerInnen in der gemütlich gestalteten D Gemeinschaftsküche ist an diesem Abend gekennzeichnet von Ratlosigkeit, Zorn und Zukunftsängsten. [pn] Was ist eigentlich los rund um die Base 19?

S.: Im Sommer 2012 will die stadteigene Wien Holding Teile des „Haus Döbling“, die Blöcke A, B und C unseres Wohnheims, abreißen. Dort sollen profitable Wohnungen entstehen. Mit Studierendenwohnheimen darf die Wien Holding keinen Gewinn machen, mit Genossenschaftswohnungen schon. Da geht es erneut um satte Gewinne für die Bauherrn.

Die Arbeitslosenquote Jugendlicher (15 bis 24 Jahre) liegt laut Statistik Austria (statistik.at) im ersten Quartal 2011 bei 8,8 Prozent. Frauen sind mit 10,6 Prozent deutlich stärker betroffen als Männer (7,9 Prozent). Insgesamt macht das 26,2 Prozent aller Arbeitslosen aus. Die Arbeitsmarktsituation der Jugendlichen ist damit immer noch schlechter als die der Gesamtbevölkerung, bei der die Arbeitslosenquote aktuell bei 4,6 Prozent liegt.

Was zeichnet das Haus Döbling aus?

Women2drive

Wie viele BewohnerInnen sind betroffen?

Der 17. Juni wurde von Aktivistinnen zum Tag des Autofahrens erklärt, weil Frauen in Saudi Arabien nicht Auto fahren dürfen. Die Kampagne „Women2drive“ ruft Frauen in Saudi Arabien auf, sich die Freiheit zur Fortbewegung zu nehmen. Meldungen zu Folge, haben mindestens 40 Frauen an dieser Kampagne teilgenommen und so manchen Strafzettel bekommen.

Sexuelle Gewalt in Nicaragua Alle bis 31. Juli bei Amnesty Wien eingelangten Schmetterlinge werden am 28. September bei der Frauenrechtsdemonstration in Nicaragua als Zeichen weltweiter Solidarität und Anteilnahme mitgetragen. Unter Dwww.amnesty.at/50 könnt ihr Schmetterlinge online gestalten. Video-Interview mit einer Amnesty International Aktivistin: Dhttp://tiny.cc/ai-interview

www.facebook.com/ueber.morgen

P.: Ein Zimmer kostet pro Monat ca. 190 Euro. Im Vergleich mit anderen Heimen, wo man ca. 300 Euro zahlt, ist das günstig. Das Heimstatut, das den Bewohnern „in allen das Heimleben betreffenden Fragen“ Mitbestimmung garantiert, ist auch besonders. Vom Internet bis zur Mülltrennung organisieren wir uns alles selber. In der Heimbar schenken wir Getränke ohne Profit aus. Eine Quote an ausländischen Bewohnern macht das Heim zu einem Vorzeige-Integrationsprojekt.

Tageszeitungen berichten immer wieder über die bedrohliche Gesamtsituation.

Wo seht ihr die größten Probleme?

V.: Im Zuge des Abrisses und der Eingliederung des Neubaus soll das einzigartige Heimstatut, das den BewohnerInnen „in allen das Heimleben betreffenden Fragen“ paritätische Mitbestimmung garantiert, „angepasst“ werden. Im heuer eröffneten Neubau ist dies schon passiert, da dieser Teil des Komplexes „nicht integrativer Bestandteil des Studentenheims“ sei (wobei in der Praxis der Neubau genauso in den Gesamtkomplex integriert ist wie jeder andere Block). Damit wird den BewohnerInnen

A.: Von den 380 Plätzen, die verloren gehen, werden am jetzigen Standort nur 126 neu gebaut. Die neuen Plätze werden aber ca. 100 Euro mehr kosten. Als Ersatz sollen im 11. und 22. Bezirk Heime gebaut werden. Das bedeutet aber eine viel längere Anfahrt zu den diversen Unis. Außerdem sollen diese Heime erst 2014 fertiggestellt werden. Da stehen viele von uns schon längst auf der Straße.

Was fordert ihr?

F.: Der Erhalt aller 850 Heimplätze in Döbling und die Sanierung der mutwillig heruntergewirtschafteten Bausubstanz. Wir wollen faire Heimpreise und das Heimstatut erhalten. Wir wehren uns dagegen, dass über unsere Köpfe hinweg entschieden wird.

Womit habt ihr bisher auf diese Situation aufmerksam gemacht?

Seit April 2010 haben wir u.a die Bewohner mit Aushängen und Aktionen über den Abriss informiert, einen Kurzfilm gedreht und Unterschriften gesammelt. Auf der großen Demo gegen das Sparpaket waren wir mit Transparenten und Flyern anwesend. Viele kleiner Demos und Standkundgebungen, wie vor 3 Wochen vor der Hauptuni bringen unsere Forderungen und Anliegen in die Öffentlichkeit.

die Basis für ihr so erfolgreiches Zusammenleben genommen. Eben dieser erwähnten garantierten Mitbestimmung wurde bei der Planung des Abrisses und des Neubaus keine Rechnung getragen! Es wurde über die Köpfe der BewohnerInnen hinweg entschieden!

Was erwartet ihr von RotGrün im Rathaus?

K.: Von der SPÖ erwarte ich mir nichts, sie hat den Abriss beschlossen. Bei den Grünen habe ich etwas mehr Hoffnung. Kontakt zu Vassilakou ist bereits hergestellt. Bisher haben die Grünen gesagt „Wir würden euch unterstützen, aber wir haben in Wien kein Mitspracherecht.“ Jetzt sitzen sie aber in der Regierung. ♦


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Porno schlägt Freiheit

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[red]

Wie man uns unterstützen kann: Nutzen Sie die Möglichkeit durch ein Spendenabo die über.morgen Monat für Monat frei Haus geliefert zu bekommen: Dhttp://abo.uebermorgen.at oder Dspenden@uebermorgen.at Konto: 20010926409 | BLZ: 14200 BIC: EASYATW1 IBAN: AT431420020010926409 Zweck: über.morgen Alle Einlagen gehen ausschießlich zugunsten des Vereins (Druckkosten).

über.termine Auch dieses Jahr gibt es wieder einen Wasserschlacht-Flashmob am 25. Juni von 13-14 Uhr. Der Ort wird noch bekannt gegeben, Informationen dazu auf Facebook: Dhttp://tiny.cc/wasserschlacht Vom 22. bis zum 31. Juli findet das Partycipation Festival in Gänserndorf statt. Workshop Days (22-28. Juli) mit: Outdoor-Spielen, biologisch und regional Kochen, Kreativ-Werkstatt, Jam-

Foto: JAAE

om Abtauchen in die Mülltonnen: Wie Sellerie, Krautkopf und Joghurt eine zweite Chance bekommen. Eine Schauplatz-Reportage vom Leben aus dem Müll bringen wir ab Seite 4. Nein zu KirchenPrivilegien, Ja zur Trennung von Staat und Kirche! Die Initiative gegen Kirchen-Privilegien sammelt Unterschriften für ihr Volksbegehren. Ist die Kirche noch zeitgemäß und wenn ja, welche Privilegien stehen ihr zu? Diskutiert wird auf Seite 10 und 11. Spanien auf der Straße. Geht der Protestbewegung nach der Räumung der Puerta del Sol die Luft aus? Wie stark ist der Rückhalt in der Bevölkerung wirklich? Wir berichten auf Seite 12. Was der neue Wissenschaftsminister den Studierenden zumuten möchte und warum ein Semester sechs Monate hat: Herr Töchterle im Interview auf Seite 16 und 17. Der arabische Frühling wird auf Seite 15 kommentiert. Von knöcheltiefem Schlamm, rockiger Musik und Männern in rosa Tutus berichten wir auf Seite 13, sudern tun wir auf Seite 19. Viel Spaß beim Lesen!

Kommentar

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egonnen hat es im Iran. FB und Twitter riefen zum Protest auf. Mobilisierung über Social Media, jederzeit abruf- und weiterleitbar über Smartphone und Co. Auch in Tunesien und Ägypten wurde getwittert und gefacebooked. Verzweifelte, kritische und zornige Stimmen vereinten sich über die digitalen Kanäle, um schließlich auf den Straßen von Tunis und Kairo das Ende der autoritären Regime zu fordern. Die Mobilisierung funktionierte auch noch, nachdem das Internet in Ägypten abgedreht wurde. Was ausschlaggebend war, ist die Verbreitung von Informationen über Repression, Korruption und Gewalt durch das Regime. Und die Schaffung eines Bewusstseins, dass es viele sind, die darunter leiden. Und dass es viele sind, die bereit sind dagegen auf die Straße zu gehen. Mubarak und sein ehemaliger Innenminister el-Adli wurden übrigens wegen dem Abschalten von Internet- und Telefonnetz zu insgesamt 83 Millionen US-Dollar Strafzahlungen verurteilt. Aber nicht wegen Verletzung der Informationsfreiheit, sondern wegen Schädigung der Volkswirtschaft. Auch die Türkei legt scheinbar wenig Wert

auf Informationsfreiheit. Ab 22. August soll ein Internetfilter aktiv werden. Was gefiltert wird, ist von der Kategorie abhängig, der der User zugeordnet ist: Familie, Kinder, Haushalt oder Standard. Zensiert und eingeschränkt ist das Internet in der Türkei schon lange. YouTube ist eine von 7.000 Internetseiten, die in den letzten zwei Jahren blockiert wurden. Seit vergangenem Jahr sucht eine spezielle Polizeibehörde das Internet nach „schädlichen“ Seiten ab. Erstellt wurde außerdem eine Liste von 138 Worten, die eine Domain nicht enthalten darf. Zu diesen zählt neben „fetish“, „hot“ und „teen“ auch das Wort „free“. Was offiziell als Feldzug gegen Pornographie getarnt ist, ist ein Zensurwerkzeug, das auch gegen unliebsame Kritiker eingesetzt werden kann. Ein ähnliches Vorgehen, wie es Orban in Ungarn versucht hat und auf Druck anderer EU-Staaten zumindest teilweise zurücknehmen musste. Die über.morgen ist weiterhin auch im Internet frei verfügbar. Unblockiert und unzensiert. Die Print-Ausgabe gibt’s ab Herbst in schicken Pappkartonständern an Instituten der Uni Wien. Viel Spaß beim Lesen und einen entspannten Sommer!

„...die Verbreitung von Informationen über Repression, Gewalt, Korruption...“

sessions, Bodypainting, Tanz und Theater, uvm. Music Weekend (29-31. Juli) mit: Bands & DJs, Open Stage, Feuershow, Visuals, Zirkusspielen etc. Mehr Informationen auf zu Workshops und Lineup auf Dwww.elcarracho.at. Am 1. Juli findet um 19.30 Uhr am Heldenplatz der „Erste Wiener Aperitif“ statt. Angestoßen wird auf Geburtstage, Sommertage, Weggehtage und alle sonstigen Tage. Vom 17. Juni bis zum 21. August ist in der Galerie WestLicht eine Polaroid-Ausstellung mit

[red]

Fotos von Andy Warhol, Charles Eames, Walker Evans, Mary Ellen Mark und vielen mehr zu bewundern. Die Redaktionssitzung der über.morgen am 24. Juni um 19 Uhr in der Pizzeria Mario habt ihr leider verpasst. Doch die Nächste kommt bestimmt. Unter Dwww.facebook.com/ueber.morgen wird das nächste Gelage verkündet. Kommt und schreibt beim Trinken! www.uebermorgen.at


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Von Dumpster-Divern und Freeganern Der Müllcontainer als Selbstbedienungsladen

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as im Müll liegt, ist nicht immer ungenießbar. Supermärkte entsorgen Unmengen an noch verwendbaren Lebensmitteln. Dumpster-DiverInnen holen diese wieder heraus - eine zweite Chance für so manche Selleriestaude. [pn] Elf Mal schlägt die Kirchturmuhr in einer belebten Einkaufsstraße in Wien Mariahilf. Vor gut drei Stunden hat ein bekannter Supermarkt den letzten Gast vor die Tür gebeten, langsam gehen in dem Laden die Lichter aus. Selbstbewusst geht, nennen wir ihn der Einfachheit halber F., im Schutz der Dunkelheit und mit Kapuzenpulli auf die Container im Hinterhof zu, öffnet sie, greift rein: kistenweise Karotten, Salate, Tagesgemüse. Das meiste ist sicht- und greifbar frisch, was gut aussieht, wandert in den Rucksack. Zurück auf der Straße trifft F. seine „KomplizInnen“. Heute sind die Dumpster- DiverInnen wieder einmal mit vollen Händen, Taschen und Rucksäcken unterwegs.

Frisches Brot im Müll

Das „Containern“, wie die nächtlichen Streifzüge durch die Müllcontainer der Supermärkte szeneintern genannt werden, findet mehr und mehr AnhängerInnen, seitdem Fernsehdokumentationen ein stärkeres Bewusstsein für die Wegwerfmentalität in hiesigen Supermärkten geschaffen haben. Tag für Tag wandern in unserer allernächsten Umgebung tonnenweise wertvolle Lebensmittel auf die Müllhalde, die völlig in Ordnung sind, mit denen sich ganze Großstädte ernähren ließen. Letztlich reagieren die Märkte damit auf das „KundInnenbedürfnis“, auch kurz vor Geschäftsschluss noch zwischen sechs Sorten

frischem Brot wählen zu können. Fünf davon werden um 20 Uhr entsorgt. Schrumpelige Gurken, gelbe Bananen und B-Ware-Äpfel kommen uns einfach nicht in den Einkaufswagen – unser nicht selten sinnloses und unverantwortliches Kaufverhalten „zwingt“ den Handel zur Entsorgung von Lebensmitteln, die noch lange nicht schlecht sind. Ebenfalls aussortiert werden Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeit in Kürze ablaufen wird. Was die KonsumentInnen schützen soll, „vergrault“ sie bereits Tage vor Ablauf des eigentlichen Haltbarkeitsdatums. Supermärkten „bleibt keine andere Wahl“, als die Waren an Volksküchen oder Tafeln abzugeben – oder immer öfter aus Bequemlichkeit zu vernichten. Eine Riesenverschwendung.

Verantwortung statt Verschwendung

F. gehört zu denen, die das ärgert. Ihn wurmt die Vorstellung, dass so viele wertvolle Lebensmittel umsonst angebaut, produziert und geliefert wurden, um sie dann in den Müll zu werfen. Seine Wertevorstellung sieht anders aus: verantwortlich verwalten, was die Natur geschaffen hat. Freeganer, wie sich die Container-TaucherInnen auch nennen, befinden sich im ethischen Konflikt. Containern ist für sie kein bürgerlicher Extremsport, sondern Reibung an Verhältnissen, die wir durch unseren längst überzogenen Konsum begünstigen.

Den lieblosen Missstand in der Wegwerfgesellschaft einfach hinzunehmen – für F. ist das keine Option. „Die tägliche Reflexion der Vorgänge in unserer Gesellschaft ermutigt uns dazu, Machtstrukturen und gesellschaftliche Verhältnisse zu hinterfragen“, sagt F. mit einem kämpferischen Unterton. Und ergänzt nach einer kurzen Pause: „Deshalb ist Widerstand gegen üble Verhältnisse im Sinne eines achtsamen Umgangs mit Menschen und den Ressourcen unserer Zeit.“ Hinter dem nächsten Supermarkt hat er einen einfachen Ansatz zur Lösung des Problems gefunden. Auch hier wandern Milch, Käse- und Süßwaren in großer Menge in die mitgebrachten blauen Ikeataschen.

Der Reiz des Containerns

Was macht den Reiz des Containerns noch aus? Am spannendsten ist die Frage, was wohl in der nächsten Tonne zu finden sein wird. F. erzählt von Glücksfunden – von einer großen Menge 2 Liter Weißweinflaschen und einer „ReFood“Tonne voller Überraschungseier. Meist aber sind es Karotten, Paprika, Porree, Zitrusfrüchte, Salatgurken, Äpfel, Snacktomaten und Bananen, die F. aus der Tonne kramt. Bei Milchprodukten und Brot gibt es Supermarkt-spezifische Unterschiede, die man mit der Zeit herausfindet. Fleisch- und Wurstwaren werden eher selten mitgenommen, wenn auch

Bei den Unmengen an Lebensmitteln, die man in Wiener Containern findet, ist Kreativität im Transport gefragt. www.facebook.com/ueber.morgen

Fotos: PN


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Wer dumpstert, verstößt gegen kein Gesetz - und es ist genug für alle da. sie in großer Menge vorhanden sind. Nicht nur, weil viele Dumpster-DiverInnen aus Überzeugung vegetarisch oder vegan leben, auch weil vor allem in der warmen Jahreszeit gerade diese Lebensmittel leicht verderblich sind. Und auch tagesspezifische Angebote finden sich in den Tonnen jedes Supermarktes. Die sind auf diversen Websites fast schon kalendermäßig zu verfolgen. Nicht unterschätzen darf man den finanziellen Aspekt: In Wien, wo F. meist zwei Mal in der Woche containern geht, lebte er in einer Fünfer-WG, die dank größerer Containerfunde nur etwa 100 Euro im Monat für den gemeinsamen Haushalt ausgeben musste.

„Massen an brauchbarem Essen“

Mit der Zeit kennen F. und seine DiverkollegInnen die Routen, auf denen sich das Containern lohnt. „Es ist wirklich unglaublich, was bei einigen Märkten fast täglich zu finden ist. Bei einem bekannten Großmarkt sind wir sogar mit einem geborgten Auto zugefahren, nicht nur wegen der Entfernung, sondern vor allem wegen der schier unbegreiflichen Fülle an frischem Obst und Gemüse“, sagt F. kopfschüttelnd. An manchen Tagen können sie trotzdem nicht alles mitnehmen, weil das auch in der Fünfer-WG keiner mehr essen kann. F. stellt dann eine volle Kiste bei seinen Eltern vor die Tür oder Freunde nehmen etwas mit. Und nicht selten bringen DumpsterdiverInnen wertvolle Lebensmittel zu den bekannten Wohnheimen in Wien, deren MitarbeiterInnen froh sind, dass zusätzliche Köstlichkeiten auf die Frühstückstische der Wohnheime kommen. Essen wegzuwerfen, das nicht schlecht ist, ist für den Endzwanziger eine Provokation: „Wenn du diese Masse an brauchbarem Essen siehst,

dann bist du nicht nur begeistert von dem Fund, sondern auch fassungslos und verärgert über diesen verschwenderischen Umgang“, sagt F. mit etwas Wut im Bauch. Über die Zeit sei er etwas abgestumpft, ergänzt er, genauso wie die Filialleiter der Supermärkte, die Abend für Abend ihr Sortiment austauschen und im Container verschwinden lassen. Die guten Lebensmittel, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr die Ladenregale füllen sollen oder dürfen, an die Tafel und ähnliche Organisationen zu geben, ist vielen Märkten fremd. Von manchen Produkten wird so viel entsorgt, dass nicht einmal die Tafel alles abnehmen könnte, wenn sie wollte.

Dumpster- Netzwerke

Meistens zieht F. mit einem Freeganer-Freund los. Von einer richtigen Szene, die sich organisiert und Fundsachen tauscht, wisse er nur in Ansätzen zu berichten. Anhaltspunkte dafür, dass sich FreeganerInnen untereinander organisieren, finden sich auf Dwww.dumpstern.at. Im Forum dominieren weibliche Vornamen, viele davon sind auf der Suche nach neuen Netzwerken. Eine von ihnen ist Inge, die sich seit gut 2 Jahren überwiegend von Lebensmitteln aus Mülltonnen ernährt. Sie plant nun, die Ware, die in manchen Märkten bereits abends abgeschrieben und an wartende AbholerInnen vergeben wird, netzwerkmäßig zu verteilen. Mit ihren FreundInnen aus der FreeganerInnen-Szene hat sie sich abgesprochen: Dienstags steht sie mit ihrem Wagen auf dem Hof des Supermarkts und lädt ein, was der Markt am nächsten Tag nicht mehr verkaufen will. An anderen Tagen wird sie von ihrem Netzwerk beliefert. Was zu viel für den eigenen Bedarf ist,

wird mit den anderen getauscht. Solange sie es nicht verkauft, darf sie mit den Lebensmitteln machen, was sie will. Inge will sich beizeiten revanchieren, indem sie die netten Verkäufer mit selbstgebackenem Kuchen versorgen wird – mit Mehl und Äpfeln aus dem Supermarkt. Und am Ende reichen die Lebensmittelvorräte sogar noch aus, um einen Kleintierzuchtverein mit altem Brot zu versorgen.

Dumpstern ist legal

So moralisch der Ansatz der Freeganer auch sein mag – F. und seine KollegInnen werden auf den Hinterhöfen der Supermärkte nicht immer gerne gesehen. Doch „Containern“ ist legal – zumindest in Österreich. Sobald der „Abfall“ auf dem Gelände der Supermärkte in den Müllcontainern landet, ist er „frauen/herrenloses“ Gut, wie es das Gesetz deutlich sagt. Etwas davon mitzunehmen ist daher nicht strafbar. F. ärgert sich: „Meiner Ansicht nach sollte es illegal sein, unversehrte Lebensmittel in Märkten wegzuschmeißen!“ Das sehr geringe Risiko einer „unsinnigen Anzeige“ wegen „Hausfriedensbruchs“ in einem Müllraum nehmen er und seine KollegInnen gerne in Kauf, um das gute Essen nicht vergammeln zu lassen. Zum Abschied gibt uns der Freeganer noch einen Wunsch mit auf den Weg: „Ich kann jeden nur dazu ermutigen, sich wenigstens einmal die Lage selbst anzusehen und nachts beim nächsten Supermarkt, der den Müll nicht verschlossen hält, in die Tonne zu schauen.“ Heute Abend trifft er sich übrigens mit Freunden zum Kochen. Was es denn gibt, wollen wir wissen. „Das“, so sagt er besonnen, „wissen nur die Tonnen.“ ♦ www.uebermorgen.at


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Fotos: gok

Dumpstern - ein Leitfaden F

risches Gemüse, Obst und Joghurt und das alles kostenlos? Dumpstern macht’s möglich. Ab 12,50 Euro seid ihr dabei. Über das Wie und Wo informieren wir euch hier. [cg] Für viele Menschen immer noch Ausdruck totaler Armut. Vielen nur bekannt aus dem Urlaub in wirtschaftlich schwächeren Ländern, für einige andere jedoch aktionistisch und praktisch: Essen aus dem Müll klauben! Oder anglizistisch gedacht: Dumpstern.

Dumpstern - was ist das?

Die meisten unserer LeserInnen haben wahrscheinlich schon davon gehört, und wissen zumindest ungefähr, worum es geht. Meist junge Menschen eignen sich jene Produkte an, die in unserer oberflächlichen Überschussgesellschaft zwar überbleiben, jedoch für die ProduzentInnen mehr Wert erzeugen, wenn sie im Müll liegen. Denn egal, ob von Dumpstern oder Containern gesprochen wird (beide bezeichnen die Praxis, sich Lebensmittel kostenlos zu organisieren), GeObben (dasselbe in grün; also sich Gemüse und Obst aus den Tonnen zu holen) oder Dumpster Diving (das allgemein das Suchen von Wertgegenständen in Mülltonnen bezeichnet), die Idee dahinter ist dieselbe.

Wo? Wie?

Auf dem Weg zum Dumpstern gibt es einige

Barrieren, manche sind hausgemacht, wie zum Beispiel Scham oder Ekel, andere wie Zäune, abgeschlossene Müllräume oder rechtliche Schranken, können leichter überwunden werden. Wir sagen dir wie: In Frage kommt grundsätzlich jedes Geschäft, beziehungsweise deren Mülltonnen. Um dem Risiko gesehen oder ertappt zu werden zu entgehen, versuchen die meisten im Schutz der Dunkelheit und der strengen Ladenöffnungszeiten ihr Glück. Dabei sind oft Zäune oder Türen im Weg. Das eine kann durch etwas Beweglichkeit bezwungen werden, das andere meist durch einen Zentralschlüssel (a.k.a. Müllschlüssel). Dieser ist bei Schlüsseldiensten frei erhältlich, schon ab 12,50 Euro geht es los. Manche Supermärkte haben ihre Tonnen zumindest unter Tags nicht verschlossen, je weiter du dich in der Peripherie befindest, desto eher wird das auch in der Nacht so sein. Aber auch bei traditionellen Märkten lässt sich viel entdecken, hier am besten mit den MarktlerInnen sprechen, man trifft auch oft auf Verständnis.

Wo ist der Haken?

an verderblichen Sachen sind normalerweise kein Problem, achtgeben müsst ihr auf Schimmel und damit verbundene Mykotoxine. Diese bergen gesundheitliche Risiken, informiert euch (siehe Link unten), bei welchen Produkten ihr wie vorgehen müsst. Rechtlich befindet man sich als Müllverwerter in Österreich in einer Grauzone. Bei Müllräumen ist es so, dass der bloße Aufenthalt eigentlich kein Problem darstellt und rechtlich nicht zu belangen ist. Zum Dumpstern an sich: Es hängt von der Intention des Eigentümers ab, was er mit dem Müll vor hat, ob es sich um Diebstahl oder freie Entnahme handelt. Klettert ihr über Zäune, knackt Schlösser o.ä. handelt es sich meist um Hausfriedensbruch bzw. Sachbeschädigung. In den meisten Fällen wurde bisher von einer Anzeige abgesehen, ähnliche Fälle in Deutschland wurden mit Sozialdienst bestraft.

Was brauche ich dafür?

Grundausstattung sollten sein: ein Rucksack, eine Taschen- oder Stirnlampe. Weiters nützlich sind feste Schuhe (falls ihr weiter in die Materie vordringt), Plastik- und Stofftaschen, ein Zentralschlüssel und ein Leatherman-ähnliches Werkzeug. Dwww.freegan.at/basics.htm Dhttp://antinationale.org/?page_id=1324

Gefahren gibt es hierbei gesundheitlicher und juristischer Natur. Druckstellen oder ähnliches

Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz Medieninhaber: Verein zur Förderung studentischer Eigeninitiativen. Taubergasse 35/15, 1170 Wien; Vereinsgegenstand: Der Verein, dessen Tätigkeit nicht auf Gewinn gerichtet ist, bezweckt die Aufklärung und Bildung der Öffentlichkeit und seiner Mitglieder im Speziellen, durch die Förderung und Unterstützung studentischer Eigeninitiativen; Organschaftliche Vertreter: Obmann: Dario Summer, Obmann-Stv.: Clara Gallistl und Anna Renner; Schriftführer: Jakob Arnim-Ellissen, Schriftführer-Stv.: Matthias Hütter; Kassier: Nikolaus karnel, Kassier-Stv.: Markus Schauta ; Der Verein zur Förderung studentischer Eigeninitiativen ist ein freier Zusammenschluss von Studenten und Studentinnen, welche sich zum Ziel gesetzt haben die Öffentlichkeit mit unabhängigen Informationen zu versorgen. Er ist frei von politischem Einfluss. Der Verein finanziert sich durch die Mitgliedsbeiträge, Förderungen und Spenden, diese werden ausschließlich für die Druckkosten verwendet; Grundlegende Ausrichtung: über.morgen ist eine freie und unabhängige studentische unregelmäßig erscheinende Zeitschrift mit dem Ziel unsere Anliegen und Themen der breiten Öffentlichkeit näher zu bringen und die öffentliche Diskussion zu fördern. Wir bieten keinen Raum für jegliche Art von Diskriminierung und stehen für eine faire und kritische Auseinandersetzung mit den Themen. Impressum: Medieninhaber & Herausgeber: Verein zur Förderung studentischer Eigeninitiativen. Taubergasse 35/15, 1170 Wien. Homepage: www.uebermorgen.at; Redaktion: Verein zur Förderung studentischer Eigeninitiativen. Taubergasse 35/15, 1170 Wien; Redaktionelle Leitung: Markus Schauta, Nikolaus Karnel; Herstellerin: Druckerei Fiona, www.fiona.or.at; Herstellungs- und Erscheinungsort: Wien; Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach §44 Abs. 1 Urheberrechtsgesetz: © Verein zur Förderung studentischer Eigeninitiativen. Dem Ehrenkodex der österreichischen Presse verpflichtet. www.facebook.com/ueber.morgen


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Wocheneinkauf um einen Euro I

mmer mehr Menschen unserer Gesellschaft Leben am Rande der Armutsgrenze. Nach Abzug der Wohnkosten bleibt ihnen oft nicht mehr genug für das Nötigste, wie Essen und Hygieneartikel. Wir haben das Caritas-Projekt Lebensmittel + Orientierung (Le+O) begleitet, das sich zum Ziel gesetzt hat, diesen Menschen zu helfen. [gog]

Lebensmittel

Im Eingangsbereich sitzt eine kleine Gruppe von Frauen, ins Gespräch vertieft, manche haben ihre Kinder dabei. Im Pfarrsaal herrscht hektisches Treiben. Es ist kurz vor 12 Uhr. An zwei Reihen von Tischen werden die letzten Lebensmittelpakete gepackt, die ersten Gemüsekisten werden bereits weggeräumt. „Auf der einen Seite haben wir alle frischen Lebensmittel wie Obst oder Gemüse und auf der anderen alle Trockenwaren, wie Brot oder Teigwaren“, erklärt mir Irina, 45 Jahre, Lehrerin, „der kleine Tisch hier drüben ist dann noch für Hygieneartikel und anderes.“ dabei zeigt sie auf einen kleinen Tisch am Rand. Obwohl der Andrang groß ist, läuft alles geordnet ab. „Früher haben wir die Nummern der Reihe nach vergeben, also wer zuerst da war, kam auch zuerst dran. Mittlerweile losen wir die Reihenfolge, somit wird jeder mal früher mal später bedient“, erzählt sie. An die 15 ehrenamtliche MitarbeiterInnen, erkenntlich an den roten „Caritas Le+O“ T-Shirts, sind an diesem Tag damit beschäftigt, das Essen zu verteilen, Gespräche zu führen und die Lebensmittel immer nachzuschlichten. „Insgesamt gibt es in der Pfarre an die 40 ehrenamtliche Helfer in jedem Alter“, erzählt Irina, „wir veranstalten auch Ausflüge in Museen“, sie zeigt auf einen Aushang, auf dem ein Bericht von dem letzten Ausflug ins Museum hängt. Die Lebensmittelausgabe ist übrigens nicht kostenlos. „Gegen einen Unkostenbeitrag von einem Euro erhalten die KlientInnen ungefähr zehn kg Lebensmittel“, erklärt Ender C., der Sozialarbeiter vor Ort, „vor einem Jahr waren es noch ungefähr 5 kg.“

Orientierung

Neben dem Lebensmittelangebot gibt es auch die Möglichkeit, eine Sozialberatung in Anspruch zu nehmen. „Es ist immer ein Sozialarbeiter oder eine Sozialarbeiterin vor Ort“, sagt Ender, „wir sind da, aber man muss nicht mit uns sprechen, das Angebot ist rein freiwillig. Wir bieten keine direkte finanzielle Hilfe, ein großer Teil unserer Arbeit liegt darin, den KlientInnen bei der Orientierung im österreichischen Behördendschungel zu helfen, oder ihnen auch Wege aufzuzeigen“.

Wo das Essen herkommt

Es ist schon nach 12 Uhr. Die Ausgabe ist vorbei. Die übergebliebenen Lebensmittel werden in den Caritas-Bus eingeladen und in das Lager zurück gebracht, wo sie für andere Ausgabestellen weiter verwendet werden. Einige Stunden vorher, um 7.30 Uhr in Wien Floridsdorf, das Industrieviertel erwacht gerade, ich trinke meinen ersten Kaffee des Tages im Le+O Zentrallager. Es stapeln sich Meter hoch die Lebensmittel-Spenden, aber auch Hygieneartikel, wie Windeln oder Duschgels. Es findet sich hier alles Mögliche, von Zucker über Mehl und Teigwaren bis hin zu frischem Gemüse, aber auch Süßes, wie Schokolade. Manche Sachen gibt es nur ab und an, erklärt mir ein Mitarbeiter: „Kaffee und Kakao sind sehr selten, werden aber benötigt.“ Die Spenden kommen von unterschiedlichen Seiten, von einzelnen Personen, welche die Lebensmittel direkt in den Pfarren abgeben, über kleine Bäckereien und Gärtnereien sowie Supermärkten, bis hin zu Großspendern.

Gespendet werden neben frisch geernteten Paprika auch Softdrinks und Konserven.

Eine Tour der Nächstenliebe Um kurz nach 8 Uhr geht’s los. Ich sitze im Bus und fahre mit zu den Supermärkten, welche Lebensmittel spenden. „Manchmal gibt’s auch nichts“, berichtet der Fahrer aus seiner Erfahrung, „dafür gibt’s dann das nächste Mal mehr.“ Die Spenden sind genauso unterschiedlich wie das Sortiment im Lager, von Brot bis Schokolade ist auch hier alles dabei. Im Nordosten von Wien, genauer im 22. Bezirk, ein paar Hundert Meter von Niederösterreich entfernt, fahren wir zu einer Gärtnerei. Ein riesiges Glashaus, randvoll mit Paprikapflanzen, nimmt den Großteil des Geländes ein. Hier holen wir frischen Paprika ab, gleich zwölf Kisten. Das Gemüse ist komplett in Ordnung, es ist lediglich nicht hübsch genug für den Handel. Nach insgesamt sechs Stopps, wo wir bei vier etwas bekommen haben, geht es zurück ins Lager und danach weiter zu der Lebensmittelausgabe in die Pfarre Erlöserkirche Endresstraße.

Die Hilfe kommt an

Le+O ist ein Projekt, welches es in dieser Form noch nicht gab. Alleine im Jahr 2010 konnte 10.069 Menschen geholfen werden. Die Not ist groß und die Zahl jener die Hilfe benötigt steigt. Die Caritas braucht laufend Spenden und freiwillige Arbeitskraft.

Das Projekt Le+O startete im November 2009. Mittlerweile werden an 11 Ausgabestellen in ganz Wien KlientInnen betreut. Dwww.caritas-wien.at Caritas Spendenkonto RBI 40 40 50 050, BLZ 31000 Kennwort: „LeO”

Fotos: gok

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Essen für alle, und zwar umsonst V

olxküche heißt Essen für alle – und zwar gratis. Wie das so ausschaut und was sich die AktivistInnen dieser sozialen Bewegung so denken, berichten sie für die über.morgen in der Beschreibung einer ihrer Aktionen. [pn] Verführerische Düfte schweben durch die Gänge des Geschäftsareals des Franz-JosefsBahnhofs im neunten Wiener Gemeindebezirk. Eine Stunde zuvor hat sich ein buntes Grüppchen motivierter Menschen mit „Sack und Pack“, sprich Töpfen, Kochutensilien, Klapptischen, Lebensmitteln, und mit Freude am gemeinsamen Tun, mit den Öffis auf den Weg gemacht. Das Ziel: Der freie Platz vor der Geschäftspassage des auch an Sonn- und Feiertagen belebten Bahnhofs. Während die eine Seite der Gesellschaft selbst am Sonntag dem Einkaufsrausch frönt, sind es nur wenige Schritte in die prekäre Seite der Gesellschaft. Oft ohne sich umzusehen, nicht selten beschimpfend und Nase rümpfend und beladen mit den Zeichen des Wohlstandes, rauschen viele an jenen vorbei, die am Rande der

Gesellschaft stehen, wohnungslose Menschen, BettlerInnen, Punks und ihre Hunde, den oft einzigen BegleiterInnen in einer sehr hart gewordenen Lebenswelt.

Schnell und mobil

Schnell ist die Vokü, aufgebaut. Schon bald wird geschnippelt, geraspelt und gelacht, dass die ersten Gäste kommen, und das Treiben beobachten. Ein etwa 20-Jähriger fragt neugierig: „Jo, wos gibt’s den heit bei eichara Vokü?“ Die Schreibweise Volxküche kommt durch eine erklärt antinationalistische Haltung zustande, derzufolge der Begriff „Volk“ als soziale Konstruktion mit negativen Folgen angesehen und als „ausgrenzend“ abgelehnt wird. Sie ist zugleich eine spaßhafte Ausdrucksweise der anarchistischen bzw. autonomen Szene. Die Volxküche im aktuellen Sinne gilt als Kind der HausbesetzerInnen-Szene der 1980er-Jahre.

Kartoffelgulasch mit FreundInnen

Heute steht ein köstliches Kartoffelgulasch auf der Speisekarte des sozialen Tuns, das uns allen, Gästen wie KöchInnen, viel Freude macht. Seit fast zwei jahren treffen wir uns regelmäßig zu Aktionen und Events, wo wir gemeinsam

Lebensmittelspenden, Obst und Gemüse, das wir vor der Mülltonne bewahrt haben, zu köstlichen veganen Gerichten verarbeiten. Vegan ist Grundkonsens, damit alle Gäste mitessen können. Konsens ist ebenso, dass in der Vokü keine Preisgestaltung gibt, damit auch Menschen, die kein Geld haben, mitessen können. Wir sind zu FreundInnen geworden, treffen uns privat und helfen einander auch gegenseitig - und wir verstehen uns auch als gesellschaftskritische Bewegung, die auf Missstände aufmerksam macht. Langsam wandern immer mehr Zutaten, wie Zwiebeln und Kartoffeln, die uns ein Biobauer am Großgrünmarkt geschenkt hat, Gemüse, das am Abend vorher vor dem Müll gerettet wurde und Gewürze in den Topf, aus dem in Kürze ein köstliches Gericht an die Gäste ausgegeben wird. Es wird geplaudert, gelacht, und auch tiefsinnige Gespräche lassen für kurze Zeit die oft drückenden Existenz- und Alltagssorgen ein wenig vergessen. Zwei Stunden später ist der Topf geleert – die vorbeiziehende Karawane des Kaufrauschs ist auch gegen 18 Uhr noch nicht abgeebbt. ♦

Gutes Leben für alle, auch für Arme

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rbeitslosigkeit stellt einen massiven Eingriff in die Lebenswelt der Betroffenen dar. Der Verein „Gutes Leben für Alle“ nimmt sich ihrer Bedürfnisse im Tagesstrukturzentrum 2.0 an. [gach] Laut Armutskonferenz sterben arme Menschen fünf Jahre früher als wohlhabende. Menschen mit Armutserfahrungen haben zu wenig Geld fürs Leben zur Verfügung. Wer immer nur billige Lebensmittel einkaufen kann, der wird sich eher schlecht als recht ernähren. Folglich leiden Betroffene früher oder später an gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung (bMS) ist kein Meilenstein, wie Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) gerne behauptet, sondern eher ein Stolperstein für Betroffene. Ein erster Ansatz zur Verbesserung der Lebenssituationen von BezieherInnen der bMS müsste also darin bestehen, dass die Auszahlung in einer Höhe erfolgt, die nicht nur Wohn-, sondern auch Energiekosten vollständig abdeckt. Und darüber hinaus auch ausreichend Geld zur www.facebook.com/ueber.morgen

Verfügung stellt, damit qualitativ hochwertige Lebensmittel erworben werden können. Verarbeitung von Traumata- und Arbeit Als Betroffener wünsche ich mir ein Projekt, in dem es nicht nur eine Tagesstruktur gibt, sondern auch verschiedene Schwerpunkte, wie Bildungsangebote, Gesundheitsvorsorge und gesunde Ernährung. Menschen mit einem verhängnisvollen Mix aus verschiedenen Unzulänglichkeiten - ein Alter, das für den Arbeitsmarkt wenig attraktiv macht, keine abgeschlossene Berufsausbildung sowie mehrfache gesundheitliche Beeinträchtigungen brauchen Projekte, die zeitlich unbefristet sind. Ein solches Projekt müsste den Betroffenen ausreichend Zeit und Raum geben, damit sie sich von vergangenen Enttäuschungen bzw. traumatischen Erlebnissen, wie dem Verlust der Wohnung oder des Arbeitsplatzes, erholen können. Wo sie wieder aufgebaut werden, wo sie ihren Selbstwert wieder entdecken und wo sie sich überlegen können, was sie wirklich, wirklich arbeiten wollen.

Tagesstrukturzentrum 2.0

Das geplante Tagesstrukturzentrum 2.0 wurde

beim 1. Kongress der Solidarischen Ökonomie vorgestellt. Die Initiative entstand von TeilnehmerInnen der SHG_fMisL (Selbsthilfegruppe für Menschen in schwierigen Lebenssituationen, jetzt Gutes Leben für Alle). 2008 startete das Projekt mit einer Kochgruppe im Stadtteilzentrum Bassena Am Schöpfwerk. Langfristig soll das TSZ 2.0 über eigene Räumlichkeiten verfügen, wochentags geöffnet sein und diversen Aktivitäten Raum bieten: Erfahrungsaustausch, geselliges Zusammensein, Veranstaltungen mit Referenten, Workshops, Begleitdienst zu Behörden und vieles mehr. Im November 2008 erzielte das Projekt TSZ 2.0 den ausgezeichneten 4. Platz beim Wiener Spendenparlament. Um diese Zeit nahmen meine gesundheitlichen Beschwerden zu. Diabetes mellitus Typ II wurde erst im Dezember 2008 festgestellt, Hepatitis C ein halbes Jahr später. Da waren beide Leiden bereits chronisch geworden. Kein Wunder nach mehr als zwanzig Jahren „Leben“ weit unterhalb der Armutsgrenze, zahllosen Enttäuschungen und viel Druck vom AMS. Dhttp://petergach.wordpress.com


über.denken

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Jobsuche International

Zu Besuch in einer Indischen Berufsschule

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wei Jahre ist es jetzt her, dass ich mein Politikwissenschaftsstudium abgeschlossen habe. In dieser Zeit ist viel passiert, vieles auch nicht. Beruflich gesehen bin ich nicht annähernd dort, wo ich hin will. Die Suche nach einer Arbeit ist bei mir das vorherrschende Thema. Ich kann gar nicht anders, als darüber nachzudenken, beziehungsweise zu schreiben. Inwieweit das mit dem, was ich in Indien erlebt habe, zu tun hat? Mal schauen. Also ich war letztes Jahr in Indien - ein wirklicher Glücksfall. Ein Praktikum, das ich anfangs gar nicht machen wollte, hat mir dazu verholfen. Die Praktikumsstelle war in der Abteilung „Internationale Zusammenarbeit“ einer österreichischen NGO angesiedelt. Im Zuge eines Wiederaufbauprogramms nach dem Tsunami 2004 wurde von dieser Organisation und ihren PartnerInnen ein nachhaltiges Berufssausbildungsprogramm initiiert. Gemeinsam mit der implementierenden Partner-NGO vor Ort hat man an der südindischen Küste zwei Berufs-

schulzentren errichtet. Die beiden Zentren bieten Ausbildungsprogramme für Branchen mit großer Nachfrage: Automechanik, Elektrik, Schweißen, Metallverarbeitung und EDV.

Fotos: TRI

Gastbeitrag

Mein Anknüpfungspunkt zum Projekt war neben meinem entwicklungspolitischen Interesse eine Maschinenschlosserlehre, die ich vor dem Studium absolviert habe. Dadurch eröffnete sich für mich die Möglichkeit, die Projektkoordinatorin bei ihrer Monitoringreise zu begleiten und die einzelnen Ausbildungspro-

gramme zu besuchen. Drei Wochen durfte ich mitarbeiten und teilweise auch lehren. Hauptsächlich ging es darum, mit den SchülerInnen und den Lehrenden Gespräche zu führen und entsprechende Berichte zu verfassen. Schließlich sollten sich die Bildungsmaßnahmen nachhaltig positiv auf die Jugendlichen auswirken. Aus Befragungen mit den Jugendlichen, Lehrenden und AdministratorInnen ergab sich die beachtliche Zahl von 80 Prozent Erfolgsquote bei der Jobsuche. Die Zahl bezieht sich auf die Quote jener SchülerInnen, die innerhalb eines Jahres nach Abschluss eine Arbeit entsprechend ihrer Ausbildung gefunden haben. Abgesehen davon, was auf fachlicher Ebene alles Interessantes abläuft, wenn ein indischer Schlosser auf einen österreichischen trifft, ist es doch viel mehr, was man mitnimmt. Es ist die Gewissheit, dass uns alle dasselbe beschäftigt: Wir wollen Glück und Geborgenheit und zumindest die Aussicht auf einen Job, der uns ein Stück weit dazu verhilft..

[tri]

Angriff auf den Gottesstaat K

irchen genießen in Österreich neben steuerlichen Vorteilen noch einige andere Privilegien, was nicht allen BürgerInnen recht ist. Deshalb haben sie das Kirchenvolksbegehren initiiert. [gog]

Privilegien abschaffen

Die Initiative gegen Kirchenprivilegien ruft zum Kirchenvolksbegehren 2011. Die Plattform, welche unter anderem von Claudia Gamon, Studentin und Mitglied der „Jungen Liberalen“ (JuLis) initiiert wurde, spricht sich für eine klare Trennung zwischen Kirche und Staat aus. Gefordert wird neben der Abschaffung kirchlicher Privilegien und Streichung gigantischer Subventionen auch ein Bundesverfassungsgesetz zur Aufklärung kirchlicher Missbrauchsfälle.

Stein des Anstoßes

Genauer kritisieren die InitiatorInnen, dass viele kirchliche Besitztümer grundsteuerbefreit sind. Auch werden Religionslehrer und kirchliche Fakultäten vom Staat bezahlt. Die-

ser hat jedoch keinen Einfluss auf den Inhalt des Lehrplans, und die Lehrer unterstehen dem kirchlichen Dienstrecht. Auch die steuerliche Absetzbarkeit der Kirchensteuer, wodurch der Staat finanziellen Verlust hinnehmen muss, ist ein Kritikpunkt. Ein weiterer großer Kritikpunkt ist das Kirchenrecht, dieses fungiert laut Meinung der Plattform als Staat im Staat, wodurch sich Mitglieder der Kirche dem „normalem“ Recht entziehen können.

Gerechtfertigt

Nicht alle sind dieser Meinung. Viele sehen in den Kirchen und ihrer Arbeit wichtige soziale Einrichtungen, welche der Gesellschaft einen großen Dienst erweisen. Daher finden sie die Privilegien gerechtfertigt.

Eifersucht Eins darf jedoch bei der Debatte nicht außer Acht gelassen werden: Mitglieder einer Religionsgemeinschaft werden von dieser nach außen hin vertreten. Auch können sie die Vorzüge ihrer Einrichtungen, wie private Kindergärten und Schulen, aber auch Pflegeheime und Spitäler, genießen. Atheisten fühlen sich in der Gesellschaft jedoch nicht angemessen vertreten, und habend das Gefühl, dass ihre Steuergelder unsachgemäß, für eine kleine Gruppe Auserwählter, verschwendet seien.

Weitere Informationen zum Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien unter: Dwww.kirchen-privilegien.at - das Volksbegehren läuft noch bis 15. Oktober 2011. Unterschreiben kann man in jedem Gemeindeamt oder in Wien in jedem Bezirksamt. Unterschreiben darf jeder und jede wahlberechtigte ÖsterreicherIn. www.uebermorgen.at


über.reden

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Es ist halt nicht so einfach Gastkommentar

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n den Atheistinnen und Atheisten, den Konfessionslosen und Nicht-Gläubigen können sich viele ein Beispiel nehmen. Seit Jahren kämpfen sie um ihre Anliegen, seit Jahren stoßen sie mit ihren Forderungen auf taube Ohren. Dabei wäre es durchaus spannend, mit ihnen zu diskutieren. Nur leider, es ist halt nicht so einfach. Worüber soll man als „gläubiger Mensch“ debattieren? Die anfängliche und grundsätzliche Diskussion über das Verhältnis Staat und Kirche endet immer als Generalabrechnung mit der römisch-katholischen Kirche. Da wird dann der Zölibat kritisiert, die vorhandene Diskriminierung von Frauen thematisiert und über undemokratische Strukturen im Vatikan geklagt. Nur, was hat das mit der prinzipiellen Diskussion über das Verhältnis Staat und Kirche zu tun, frage ich mich als Protestant. „Mein“ Martin Luther hat schon vor fünfhundert Jahren Kritik an der römischen Kirche geübt, die strittigen Punkte heute sind in „meiner“ evan-

gelischen Kirche, wo es verheiratete Pfarrerinnen und Pfarrer gibt und alle Ämter durch Wahl besetzt werden, kein Thema mehr. Ähnliches gilt für Juden, Muslime und viele andere Christen. Die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher gehört einer Religionsgesellschaft an. Punkt. Die Religionsgesellschaften würden eine Sonderstellung „auf Kosten der Allgemeinheit“ genießen, heißt es auf der Homepage des Volksbegehrens. Ich frage mich aber, warum der Staat nicht die Religionsgesellschaften finanziell unterstützen soll, wo diese doch einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten und rund 85 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher einer von ihnen angehören? Ist es nicht Aufgabe eines pluralistischen, demokratischen Staates, dass er Religionsgemeinschaften finanziell subventioniert, wie er es auch bei Museen oder etwa Parteien tut? Dass atheistische Verbände oder Vereine nicht unterstützt werden, ist durchaus zu hinterfragen. Ich jedenfalls hätte kein Problem damit, wenn es auch für diese Organisationen staatliche Beihilfen geben würde. Die Schwierigkeit sehe ich darin, dass nur wenige Personen

solchen Institutionen angehören. Denn was natürlich nicht geht, ist: alle Konfessionslosen automatisch für sich zu vereinnahmen. Letztlich geht es vielen Anti-Kirchen-Aktivisten nur um eines. Die Religionen sollen endgültig verschwinden, der homo religiosus soll aussterben, ist er doch von Haus aus unvernünftig und dumm. Und auch deshalb ist es nicht so einfach, mit AtheistInnen und Konfessionslosen zu diskutieren – weil sie dies nicht offen zugeben. Stefan Janits studiert evangelische Theologie in Wien und arbeitet als freier Journalist.

Debatte geht am Kern vorbei Gastkommentar

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in alter Vorwurf: Die römisch-katholische Kirche - nur von ihr ist interessanterweise die Rede - genießt in Österreich Privilegien, die ihr im Sinne der Gleichberechtigung nicht zustehen. Es drängt sich die Frage auf: Was ist ein Privileg? In der Gerechtigkeitstheorie spricht man davon, dass sich Privilegien und Diskriminierungen gegenseitig aufschaukeln und provozieren - ein Privileg geht also einher mit einer umgekehrten Diskriminierung. Diese Parallelität funktioniert in den formulierten Anliegen oft zurecht, oft aber auch gar nicht: Beispiel Sexueller Missbrauch (der nicht, wie suggestiv angegeben, ein Privileg, sondern ein Verbrechen ist!): Das kirchliche Recht hat Vorrang vor dem staatlichen. Das ist etwas kurz gedacht, ist das Kirchenrecht doch in den meisten Fällen die einzige Möglichkeit für Opfer, juristische Maßnahmen zu ergreifen und die Täterinnen und Täter auch zur Rechenschaft zu ziehen, da das Strafrecht den Großteil der Fälle als verjährt ansieht. Eine Diskriminierung? Beispiel Steuerprivilegien: Die neue Spendenabsetzbarkeit kommt fast ausschließlich kirchwww.facebook.com/ueber.morgen

lichen Einrichtungen zugute. Anders gesagt: Es gibt zu viele kirchliche und zu wenig staatliche bzw. private Einrichtungen, die ihre gemeinnützige Tätigkeit auf (absetzbare) Spenden stützen. Eine Diskriminierung? Beispiel Zivildienst: Zivildiener werden in kirchlichen Einrichtungen als schlecht bezahlte Arbeitskräfte eingesetzt. Tell me news - das betrifft alle Zivildienstträger Österreichs. Ein Privileg? Drei recht wahllos aufgegriffene Beispiele, die in ihren Pauschalisierungen für mich allerdings eine Grundsatzfrage aufwerfen: Geht es hier wirklich darum, die Kirche als gleichberechtigte, das heißt nicht privilegierte, aber auch nicht diskriminierte Akteurin zu verstehen und sie legitim als solche einzustufen? Oder geht es nicht vielmehr darum, die Kirche als ganze und pauschal zurückzudrängen - und zwar dorthin, wo sie am besten gar nichts mehr tut und sagt? Viele werden jetzt sagen: Ja, genau dort soll sie hin - und immerhin ist auch das eine legitime, freie Meinung. Dann allerdings sollte dieser Wunsch auch artikuliert und nicht unter dem Schleier der Gleichberechtigungsdebatte geführt werden. Ohne nun - wie üblich - in die Debatte um den sozialen und politischen Bei-

trag der Religionsgemeinschaften in Österreich einzusteigen, muss ich mich letztlich auch noch ernsthaft fragen, ob denn in diesen Anliegen die wirklichen Probleme und Chancen des Verhältnisses von Religion, Staat und Gesellschaft überhaupt ansatzweise angesprochen sind das wäre nämlich längst überfällig. Florian Mayr hat Theologie, Religionswissenschaften und Geschichte studiert und unterrichtet nun an einem Wiener Gymnasium.


über.reden

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Religion muss Privatsache werden Gastkommentar

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taat und Religion sind in Österreich laut Gesetz getrennt. In der Praxis vermischt sich beides jedoch in unzulässiger Weise. Der Kirche werden Vorrechte gewährt, die aus der Monarchie und dem Austrofaschismus stammen. Der Einfluss auf das Leben der Frauen ist besonders stark, etwa wenn es um das Verbot der Anwendung sicherer Verhütungsmittel geht. Generell handeln Kirchenvertreter so, als ob ihnen das ganze Land gehören würde. Das fängt ganz harmlos bei dem Läuten von Kirchenglocken zu allen möglichen Tag- und Nachtzeiten an. Wenn die Kirche ihren Mitgliedern etwas mitteilen möchte, warum müssen das alle mitbekommen und warum nimmt man in Kauf, dass viele gestört werden? Viel schlimmer ist der anhaltende Einfluss der Kirche auf die Fruchtbarkeit von Frauen. So wurde z.B. die rezeptfreie Abgabe der ‚Pille danach’ zur Notfallverhütung jahrelang von der Kirche durch massive politische Interventionen verhindert, obwohl sich dies in beinah allen

westeuropäischen Ländern seit fast 10 Jahren sehr bewährt hat. Damit können Frauen das Eintreten einer ungewollten Schwangerschaft nach einem Verhütungsunfall noch im letzten Moment verhindern. Gerade im Bereich der Fruchtbarkeit von Frauen werden viele Fortschritte nur gegen den massiven Widerstand der Kirche durchgesetzt. Ginge es nach deren Willen, gäbe es keine Verhütungsmittel und der Schwangerschaftsabbruch würde mit schweren Strafen geahndet, so wie es z.B. auf den Philippinen und in Nicaragua der Fall ist. Wer sich mit diesen repressiven Werthaltungen identifiziert, kann und soll Mitglied der katholischen Kirche bleiben. Wer damit nichts zu tun haben möchte, darf erwarten, dass Religion eine private Angelegenheit ist. Weiters dürfen sich BürgerInnen unseres Landes erwarten, dass Steuereinnahmen tatsächlich für die Menschen dieses Landes ausgegeben werden und nicht für den Machterhalt eines Kirchenapparates. Die Kirche hat in den letzten Jahren dramatisch an Glaubwürdigkeit verloren. Die Menschen fordern eine wirkliche Trennung von

Kirche und Staat ein. Genau diese Zielsetzung hat auch das aktuelle Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien, Dwww.kirchen-privilegien.at, welches derzeit in allen Gemeindeämtern zur Unterschrift aufliegt. (Alternativ kann die Unterstützungserklärung auch von der Website heruntergeladen werden.) Christian Fiala initiierte das Portal (Dwww.meinkirchenaustritt.at) und unterstützt das Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien.

Mittelalterliche Kirchenprivilegien endlich abschaffen Gastkommentar

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er österreichische Staat steckt in einer Budgetkrise: Auf Grund unserer hohen Schulden, den folglich hohen Zinsen, den starken Lobbies und den ideologisch geleiteten Politikern, ist es in unserem Lande immer das Schulsystem, welches ohne mächtige Unterstützer letztendlich immer mit weniger Geld dasteht. Man würde meinen, dass eine Verwaltung in einer solch prekären Situation sich über Prioritäten und Wertigkeiten im Schulwesen Gedanken macht, um zu garantieren, dass unsere Kinder nach Ende der Schulpflicht trotzdem als mündige, vernünftige und gebildete Erwachsene die Schulgebäude verlassen. Die Prioritäten scheinen jedoch auch in finanziell schwierigen Jahren auf Grund Jahrzehnte alter Verträge bereits in Stein gemeißelt zu sein: Die katholische Kirche, eine der größten Grundbesitzer der Republik und eine international agierende Organisation, wird für ihre ‚Dienste’ im Schulwesen mit Steuergeldern unterstützt, als wäre sie ein mit Geldnöten kämpfender karitativer Verein. Anstatt das Schulwesen in ländlichen Gebieten auszubauen, werden bestehende katholi-

sche ‚Privatschulen’ subventioniert und viele Kinder dem Zwang einer religiös beeinflussten Schulbildung ausgesetzt. Anstatt alternativpädagogische Schulen zu fördern, werden sie ausgehungert. Anstatt die freie Wissenschaft den Lehrplan dirigieren zu lassen, müssen Kinder einen ihnen aufgezwungenen, vom Vatikan gestalteten Religionsunterricht besuchen, dessen einzige Alternative der zwanghafte Ethikunterricht ist. Dessen Lehrende wiederum meist Theologen sind und dessen Lehrplan entsprechend katholisch unterwandert ist. Anstatt die besten Pädagogen in unseren Schulen arbeiten zu lassen, dürfen nur jene den Religionsunterricht in staatlichen Schulen halten, deren Privatleben den Regeln des mittelalterlichen Weltbildes jener Kirche entspricht, die Homosexualität noch für eine Krankheit hält und gutgläubigen Menschen in Entwicklungsländern untersagt, sich mit Kondomen vor AIDS und ungewollten Schwangerschaften zu schützen. Anstatt dass die Universitäten endlich jenes Geld bekommen, das nötig wäre, um menschenwürdige Ausbildungsverhältnisse zu garantieren, werden an katholisch-theologischen Fakultäten Lehrpläne unterrichtet, die vom Vatikan bestimmt sind, und die später

mit staatlich anerkannten, ‚wissenschaftlichen’ Titeln belohnt werden. Es ist offensichtlich, dass im Staate Österreich ein Problem der Prioritätensetzung besteht. Auch wenn jene Prioritäten teilweise geschichtlich erwachsen sind, und durch das Konkordat zementiert wurden, sollte sich eine Republik und deren Verwaltung der Steuergelder nicht in Geiselhaft nehmen lassen und endgültig den längst notwendigen Schritt wagen, sich davon zu befreien: für einen neuen, modernen und selbstbestimmten Staat Österreich. Claudia Gamon ist Mitinitiatorin des Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien und stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen. www.uebermorgen.at


über.denken

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Von den Plätzen in die Barrios Der spanische Aufstand expandiert

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ie Räumung der Puerta del Sol bringt die #spanishrevolution in die nächste Phase: Dezentral und selbstbewusst trägt die Bewegung den Kampf in die Stadtviertel.

„Wir gehen nicht, wir expandieren!“. Die Bewegung 15M in Spanien hat die Besetzungen unzähliger öffentlicher Plätze beendet. Einen knappen Monat beherrschte sie durch dieses Protestmittel die Titelseiten der Tageszeitungen. Nun wurde beschlossen, sich zu transformieren, um nicht zu stagnieren. „Wir müssen jetzt den Schwerpunkt in die Stadteilversammlungen verlagern, und die Menschen dort zu Wort kommen lassen.“, erklärt Maria, arbeitslose Psychologin während den Abbauarbeiten am 13. Juni in der mittlerweile legendären „Puerta de Sol“ in Madrid. Und um glaubhaft zu machen, dass die Bewegung mit dem Ende der Platzbesetzungen keineswegs leiser treten wird, bildet sich um Mitternacht eine Spontandemonstration aus mehreren tausend Menschen, die die Polizei drei Stunden lang in Atem hält: „El pueblo unido, jamás será vencido! – Das vereinte Volk ist unbesiegbar!“, hallt es durch die Straßen der nächtlichen Metropole.

Ein Schritt nach vorne

Die zuvor abgehaltene zweite Koordinierungsversammlung der mittlerweile über 120 Stadteilversammlungen im Großraum Madrid war gut besucht. Die Diskussion ist lebendig, Aufbruchstimmung steht den Leuten ins Gesicht geschrieben. Die Bewegung löst sich damit aus der Lethargie, die sich über die Camps auf den Plätzen zu legen begonnen hatte, gefangen in

Foto: flickr, IpUrBeLtZ

[fu, red]

Die Plaza ist tot, es lebe das Barrio! nicht enden wollenden Diskussionen darüber ob, wie und wann diese abgebaut werden sollten. Die Dezentralisierung belebte die inhaltlichen Debatten, die zuvor in den Camps ins Stocken geraten waren. Außerdem beschlossen die Stadtteilversammlungen die Unterstützung der landesweiten Demonstrationen am 19. Juni, zu der verschiedene ArbeiterInnenkomitees unter dem Motto „Gemeinsam gegen Krise und Kapital“ aufriefen.

Die Revolution lebt

Es scheint, als als hätte dieser Schritt nach vorne das Zusammenfallen der Bewegung verhindert. Denn am 19. Juni empörten sich alleine in der Hauptstadt Madrid 40.000 Menschen gegen Arbeitslosigkeit, ein rigoroses Sparpro-

gramm und Korruption. Landesweit waren es mehr als 100.000, die auf die Straßen gingen. Aus den Barrios wurde dabei auf den Kongress und die Rathäuser marschiert, um sie schlussendlich einzukreisen. „Nächste asamblea – im Kongress!“, riefen die Delegierten aus den Stadtteilen, ein neues Selbstbewusstsein ist hier im Entstehen. Der Sympathien der Bevölkerung kann sich 15M jedenfalls sicher sein. Laut einer in El Pais veröffentlichten Studie, halten 81 Prozent der Befragten die Anliegen für berechtigt, 84 Prozent meinen, die Forderungen würden ihr Leben direkt betreffen. Für den 15. Oktober wird zu einer europaweiten Demonstration aufgerufen. ♦

Budapest: Österreichische Gay-Pride-AktivistInnen verhaftet

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ei der Gay and Lesbian Pride in Budapest wurden zwei österreichische AktivistInnen verhaftet, nachdem ihre Gruppe von Neonazis attackiert worden war. Etwa 15 Rechtsradikale hatte eine Delegation von 50 AktivistInnen aus Österreich nach der Parade attackiert und besprayt. Als die Polizei eintraf beschuldigten die Neonazis die AktivistInnen sie angegriffen zu haben. Zwei TeilnehmerInnen wurden als TäterInnen „identifiziert“ und in polizeilichen Gewahrsam www.facebook.com/ueber.morgen

genommen. Der Rest der Gruppe durfte die Heimreise antreten. Die zwei Beschuldigten wurden bis nach 23 Uhr festgehalten. Ihnen wird Landfriedensbruch vorgeworfen. „Der skandalöse Vorfall verdeutlicht ein weiteres Mal, dass lesbisch-schwul-trans* AktivistInnen massiv von der Polizei schikaniert und kriminalisiert werden. Es ist exemplarisch für die politische Situation in Ungarn, in der die extreme Rechte seit geraumer Zeit massive

Zuwächse verzeichnen kann“, zeigt sich das Vorsitzteam der ÖH Universität Wien empört und bestürzt ob des Vorfalls. Die Parade in der ungarischen Hauptstadt war von Sprechchören rechtsradikaler Gruppen begleitet. Ein großes Polizeiaufgebot und private Sicherheitsfirmen waren notwendig, um die TeilnehmerInnen der Parade zu schützen.

[red]


über.kultur

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Schlamm und super Musik Foto: a_Kep, subtext.at

A

m 28. Mai hat das Seewiesenfest wieder die oberösterreichische Provinz gerockt. Seit 20 Jahren ist dieses Fest der Geheimtipp der österreichischen Party- und Festivalszene. Mit dabei waren auch einige internationale Acts und viel Bier. [sud] Noch besoffen vom Vortag komme ich am Wiener Westbahnhof an. Es regnet. Meine Jacke ist nass. Meine Haut auch. Eigentlich weiß ich nicht, warum ich mir das antue. Es ist irgendwas um zwei Uhr Nachmittag und mein Trip soll erst beginnen. Ich kaufe mir eine Fahrkarte zweiter Klasse und eine Flasche kaltes Bier. Mein Ziel ist Kleinreifling, ein Nest irgendwo in Oberösterreich und Heimat einer der besten Parties in Österreich. Die Zugfahrt ist ereignislos. Nach meinem Bier hab ich den Rest nicht mehr mitbekommen. Ich habe geschlafen. Angekommen trotte ich durch den historischen Bahnhof. Das Wetter hat sich verbessert. Nur noch Wolken am Himmel, keine Tropfen in der Luft. Zum Glück. Ich trage meine Adidas. Wasserfestigkeit: gegen Null. Um den Bahnhof herum ist alles zugeparkt. Das Seewiesenfest hat halt einen Namen. Ich schließe mich den anderen ZugfahrerInnen an und ziehe Richtung Seewiese.

Die Katastrophe

Zehn Minuten Fußweg. Das ist zu schaffen. Die kurze Schlafphase im Zug hat mich doch einigermaßen fit gemacht. Nach der Kurve ist der Blick auf die Seewiese frei. Mein erster Gedanke: „Scheiße! Was ist hier passiert?“ Fast am ganzen Gelände Schlamm, teilweise knöcheltief. Ich blicke auf meine Adidas und dann auf das Mädchen an der Kassa: „Was ist hier passiert?“ „Ölkatastrophe.“ antwortet sie, „Die Feuerwehr musste gestern die halbe Wiese abtragen. Wir sind froh, dass das Fest überhaupt stattfinden kann.“ Ich kaufe mir meine Karte.

Das Schlammloch durchquert, erreiche ich die Bar. Nach einem Blick auf meine Schuhe, bin ich froh, dass sie davor schon braun waren. Ich kaufe mir ein Bier. Wohlverdient nach den Reisestrapazen. Im großen Zelt sollten eigentlich Bilderbuch beginnen. Doch die Bühne betreten Esben & the Witch. Eine dänische Band, gerade ein Insidertip. Mich können sie heute nicht begeistern. Die Musik ist ganz gut, aber Stimmung nicht vorhanden. Vor dem Zelt einige Bekannte aus Steyr. Wir unterhalten uns.

Das Fest

Derweil passieren im großen Zelt Bilderbuch und Ra Ra Riot. Die beiden Bands füllen langsam den Platz vor der Bühne. Wir bleiben aber noch draußen. Die Musik mag zwar okay sein, aber hier kann man abseits der großen Bühne und des Schlammloches gemütlich quatschen. Einige der Leute habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Am Gelände steht auch noch ein kleines Zelt. Darin wird der Poetry Slam, ein literarischer Vortragswettbewerb, abgehalten. Die jungen KünstlerInnen sind gut. Sie unterhalten die Leute. Das kleine Zelt – grün, wie von der Army – und das große werden abwechselnd bespielt. Großes Zelt bekanntere Bands mit mehr Aufbau; kleines Zelt Poetry Slam und Love&Fist. Love&Fist sind super. Sie unterhalten zweimal ihre ZuhörerInnen. Ich bin begeistert.

Der Höhepunkt

Noch schnell an die Bar. Ein Bier muss her. Jetzt kommen gleich Kreisky dran. Geile Band! Wir

kämpfen uns ganz nach vor. In einer Masse von verschwitzten Menschen tanzen wir. Bier und Schweißtropfen fliegen durch die Luft. Alle sind in Ekstase. Danach bin ich nass, wie schon Stunden zuvor am Westbahnhof. Es ist mir egal. In der Pause holen wir uns noch was zu trinken. Vor dem kleinen grünen Zelt feiert das Seewiesenfest seinen zwanzigsten Geburtstag. Es gibt eine Riesentorte und eine Tanzperformance mit Männern in rosa Tutus. Zumindest sehe ich Männer in rosa Tutus. Ziemlich sicher sind sie echt. So viel Bier hab ich noch nicht getrunken. FM Belfast bespielen die große Bühne. Ich kenne sie nur dem Namen nach. Habe keine Vorstellung, was auf mich zukommt. Es haut mich um. Diese Isländer schauen aus wie Nerds und machen feinsten Elektro. Verdammt! Wieder bin ich ganz vorne. Wieder tanze ich. Wieder bin ich durch und durch nass. Und wieder sehe ich Männer im rosa Tutu. Die haben die Bühne geentert und unterstützen die Verrückten aus Reykjavík. Die Stimmung kocht. Weg ist der Frust über Schlamm und Müdigkeit. Geile Party. Möge sie niemals ein Ende haben. Das Ende ist gekommen. Ich habe jemanden gefunden, der noch Auto fahren darf und komme so bis nach Hause. Aus ist die beste Party der oberösterreichischen Provinz. Aus ist ein Wochenende, das grau angefangen hat und am Ende umso bunter ausgeklungen ist. Jetzt weiß ich, warum ich mir das angetan habe. Seewiesenfest forever! ♦

www.uebermorgen.at


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über.politik

Nachgefragt: Das EHEC-Bakterium W

as einen Virus auszeichnet, was das besondere an EHEC ist und was eigentlich passiert, wenn man sich infiziert, beantwortet Prof. Florian Thalhammer, Internist der Universitätsklinik für Innere Medizin am AKH Wien.

die Serotypbezeichnung O104:H4. Die große Anzahl an schweren Verläufen – vor allem bei Erwachsenen – ist ungewöhnlich und dürfte auf eine größere Virulenz des neuen EHEC-Erregers hindeuten.

[sl]

In der medialen Diskussion sind einige Begriffe im Raum, die niemand bis dato ausreichend erklärt hat. Was ist ein Virus, ein Bakterium und wodurch unterscheiden sich beide Formen? Gibt es Unterschiede bei der Behandlung? Welche Formen der Übertragung gibt´s allgemein und was ist für EHEC zu beachten? Viren haben im Gegensatz zu Bakterien keinen eigenen Stoffwechsel und brauchen die Wirtszelle, um sich vermehren zu können. Bakterien sind eigenständige Mikroorganismen, die sich auch selbständig vermehren. Im Vergleich zu Bakterien sind Viren viel kleiner und können nicht mit einem normalen Lichtmikroskop angeschaut werden. Während für die Vielzahl von Bakterien eine große Anzahl verschiedener Antibiotika als Therapieoptionen zur Verfügung stehen, trifft dies bei den Viren nicht zu. Wir haben heute zwar eine große Bandbreite an Virustatika zur Verfügung, um Hepatitis B bzw. Hepatitis C oder HIV behandeln zu können, auch für Herpesinfektionen bzw. bei immungeschwächten PatientInnen für die Zytomegalievirusinfektion stehen Medikamente zur Verfügung, aber viele andere Virusinfektionen wie Tollwut, FSME, Masern oder Röteln können derzeit nicht medikamentös therapiert werden. Bei diesen Infektionen ist es wichtig und auch die einzige Schutzmöglichkeit, sich rechtzeitig impfen zu lassen. Bakterien, Viren

Welche Symptomatik sollte bei Verdachtsmomenten, infiziert zu sein, beachtet werden?

als auch Parasiten können auf vielfältige Weise übertragen werden. Die Übertragung kann über Vektoren (zum Beispiel Borreliose durch den Biss des gemeinen Holzbocks), Nahrungsmittel (Salmonellen, EHEC, …), Geschlechtsverkehr (Syphilis, HIV, ...), Kontaktinfektion (zum Beispiel Influenza durch den Türgriff), faeco-oral (Hepatitis A, Salmonellen, ...) oder aerogen (zum Beispiel Keuchhusten) erfolgen. Die klassische Übertragung bei EHEC ist faeco-oral nach Kontakt mit dem klassischen Reservoir, bestehend aus Rindern, Schafen oder Ziegen – beispielsweise im Streichelzoo – oder Verzehr von kontaminierten Nahrungsmitteln – typischerweise nicht ausreichend durchgegartes Faschiertes vom Rind – bzw. Kontakt mit Stuhl von Erkrankten – die Kindesmutter, die den Popo ihres Kleinkindes mit Durchfall putzt. In diesen Fällen kann es auch zu einer Mensch-zuMensch- Übertragung kommen. Deswegen ist regelmäßiges Händewaschen immer dringend.

Zu Beginn finden sich wässrige Durchfälle, die blutig werden können, sowie Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen. Bei den meisten Patienten ist eine EHEC-Durchfallserkrankung selbstlimitierend und heilt nach 8 – 10 Tagen ohne Komplikationen ab. Bei wenigen Patienten kommt es zum gefürchteten HUS – haemolytisch urämischen Syndrom. Eine Stuhlkultur mit einem entsprechenden Toxin-Nachweis sichert die Diagnose ab. Aber festzuhalten ist, dass es jedes Jahr sporadisch EHEC-Fälle in Österreich gibt, aber dieser neue Stamm bis dato in Österreich nicht nachgewiesen wurde und die vereinzelten Fälle mit dem neuen EHEC-Stamm sich nicht in Österreich infiziert haben.

Danke für das Gespräch! Prof. Thalhammer ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten & Tropenmedizin.

Der aktuelle Erreger zeichnet sich durch seine Aggressivität aus - können Sie sich erklären, wie diese entstanden ist?

Von aktuellen Genanalysen wissen wir, dass der Erreger der EHEC-Epidemie in Deutschland eine Kreuzung zweier verschiedener Serotypen ist: einem schon bekannten EHEC-E. coli-Stamm sowie einem enteroaggregativen E. coli-Stamm (EAEC), der als Verursacher persistierender Durchfälle bei Kindern in der Dritten Welt bekannt ist. Der neue Bakterienstamm hat

Im Internet kann man sich immer über den aktuellen Stand erkundigen. In Österreich bei der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Zusätzlich besteht auch die Möglichkeit sich telefonisch über EHEC bei der AGES-Infoline unter 050 555 555 zu informieren.

über.foto

D Foto: flickr, linmtheu

www.facebook.com/ueber.morgen

er Syntagma-Platz in Athen, Griechenland. Der Guardian kommentiert: „Syntagma is now closer to Cairo's Tahrir Square than to Madrid's Puerta del Sol“. Facebook und Twitter haben gerufen, Hunderttausende sind gekommen. Der „Platz der Verfassung“ (so die direkte Übersetzung) wird zum Herz der Revolution. ♦


über.politik

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Keine Demokratie in Ägypten? Kommentar

O

b „die Araber“ jemals die „Werte einer westlichen Demokratie“ verwirklichen können, sei zu bezweifeln, so eine Stimme auf Facebook [FB]. Doch so einfach ist das mit „den Arabern“ und „der westlichen Welt“ nicht. „Die Araber“ sind ebenso Teil einer globalisierten Welt wie Europa. Und Europa trägt mit dazu bei, dass die Welt ist, wie sie ist. Demokratiepolitische Defizite in Nordafrika sind da keine Ausnahme. Die Revolution ist gewonnen, Mubarak abgetreten, die Dinge sind in Bewegung geraten. Doch das ist erst der Anfang. Die ägyptische Wirtschaft, schon vor der Revolution angeschlagen, ist heute schwächer als zuvor. Ausländische Investitionen bleiben aus. Im Tourismus sind Einbußen bis zu 40 Prozent zu verzeichnen. Ein schwerer Schlag für ein Land in dem etwa 10 Prozent der Bevölkerung direkt oder indirekt in diesem Wirtschaftszweig arbeiten. Hinzu kommt die Rückkehr ägyptischer Arbeiter aus Libyen und damit ein Einbruch der für Ägypten so wichtigen Auslandsüberweisungen. Vermehrt flackern Unruhen auf und religiös motivierte Anschläge erschüttern das Land. Diese richten sich nicht nur gegen christliche

Kirchen, sondern ebenso gegen schiitische Gruppierungen und islamische Heiligenschreine. Beobachter vermuten, dass ausländische Kräfte, wie zum Beispiel Saudi Arabien, fundamentalistisch islamische Gruppen in Ägypten unterstützen. Denn viele autoritäre Regime in der arabischen Welt fürchten, dass die Demokratiebewegung auch ihren Staat erfassen und damit ihre Herrschaft gefährden könnte.

Dieses Klima macht es Demagogen leicht, Gehör zu finden. Auch die Reste der Staatssicherheit stehen im Verdacht, Chaos zu schüren, um die Revolution in Misskredit zu bringen. Natürlich tauchen diese Spannungen nicht völlig aus dem Nichts auf. Islamistische Gruppen, die die Welt in „wahr“ und „falsch“ im Sinne ihres Islam einteilen und auch vor Gewalt nicht zurückschrecken, gab es schon vor der Revolution. Zu all dem kommen strukturelle und personelle Überreste des alten Regimes, die in vielen Bereichen einer Demokratisierung entgegenstehen: ein korrupter Beamtenapparat, Polizeiwillkür und ein vernachlässigtes Bildungs-

wesen. Dieses Klima macht es profanen und religiösen Demagogen leicht, ihren Stimmen Gehör zu verschaffen – zu Ungunsten demokratischer Entwicklungen. Das Regime, das die Misere zu verantworten hat, war weder islamistisch, noch war es von der westlichen Welt isoliert. Ägypten, in einer geopolitisch wichtigen Lage, wurde von der EU und den USA stark unterstützt. Wie auch all die anderen Diktatoren Nordafrikas. Das sollte man im Auge behalten, wenn man den Arabern und Muslimen in Nordafrika „Demokratieunfähigkeit“ unterstellt. Vielleicht sollte das Anlass geben, unsere eigene demokratische Befindlichkeit zu reflektieren. Denn der Widerspruch zwischen den nach außen hin zur Schau gestellten „Werten einer westlichen Demokratie“ und dem internen Unbehagen über eben jenes demokratische Europa wächst. Nicht das „Araber-Sein“ oder das „Europäer-Sein“ entscheidet über die Demokratiefähigkeit. Es sind politische und gesellschaftliche Konstellationen, die Demokratie befördern, oder ihr entgegenstehen. Aber diese, und das ist entscheidend, können sich verändern. In Nordafrika genauso wie in Europa.

Markus Schauta

Revolutionsbedürftig Kommentar

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emonstrationen sind in einer Republik selbstverständlich. Sobald etwas im Argen liegt, steht ein Interessensbereich gemeinsam auf und fordert Berücksichtigung seiner Positionen bei allfälligen Entscheidungen. In den letzten Jahren allerdings stellt sich heraus, dass die Kommunikation über die Straße nicht mehr richtig funktioniert. Immer öfter werden Forderungen diverser Gruppen ignoriert oder Proteste gar verboten, im Extremfall sogar niedergeschlagen. Auch in Österreich. Nun mag man meinen: Gut, angesichts der Bilder aus Nordafrika können wir über Unterdrückung oder Zensur nicht klagen. Immerhin wird auf Demos noch nicht scharf geschossen. Gut. Die Tendenz hin zu Einschränkungen dieser fundamentalen Grundrechte – mit teils skurrilen Begründungen - nimmt auch in Europa zu (beinahe in dem Ausmaß, wie wir es in den USA beobachten), und tagtäglich ereilen uns

Berichte von aufgebrachten BürgerInnen in ganz Europa, die sich unangemessen vertreten fühlen von ihren ParlamentarierInnen. In Spanien hat sich die vorwiegend junge BürgerInnenschaft dazu entschieden, dieser politischen Ignoranz ein Ende zu bereiten und sitzt nun auf den Hauptplätzen. In Griechenland wird bereits aktiv, von Seiten der Polizei mit Steinen und Tränengas darum gestritten.

Die Einschränkung fundamentaler Grundrechte nimmt auch in Europa zu . Auch in anderen Ländern ist die Unzufriedenheit deutlich zu spüren. Dass das Ausmaß der Proteste mit der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation zusammenhängt, ist zwar nicht von der Hand zu weisen, jedoch dürfte der Zeitpunkt noch andere Gründe haben. Etwa die Tatsache, dass die EU-NATO-Mitglieder mit Bomben und Raketen dafür kämpfen, in den aufstrebenden Demokratien Afrikas einen

Fuß auf den profitablen Boden zu bekommen, und im selben Augenblick die eigene Bevölkerung zu Einschnitten zwingt, um finanzielle Drahtseilakte zu vollführen - welche sogar Raubkriege nach sich ziehen und vermutlich bitter enden? Oder dass sich quer über alle Mitgliedstaaten ein Sumpf der Korruption, der privilegierten Ausschweifung und des Hohns gegenüber der arbeitenden und konsumierenden Bevölkerung ausbreitet? Wie nämlich den Tageszeitungen zu entnehmen ist, gilt in Österreich rundwegs die Unschuldsvermutung bei Bestechungs- oder Hinterziehungsdelikten, während auf Jugendliche-„AnarchistInnen!“ - gerne geschossen würde und AsylwerberInnen schneller abgeschoben werden als sie „deutsch“ sagen können. Nebenher gibt es immer weitere budgetäre Einschnitte aus EU-Solidarität (nur im Sozialbereich, versteht sich). Mit ein Grund, warum auch hierzulande bereits die zumeist unverstandenen „Hippies“ auf Plätzen und Straßen campieren?

Alexander Krall www.uebermorgen.at


über.bildung

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„Ein bisschen Geduld kann man den Leuten schon zumuten.“ FotoS: AXT

M Als Innsbrucker Rektor haben Sie im besetzten Hörsaal mit den Studierenden diskutiert. Gab es damals Forderungen, die Sie überzeugt haben und die Sie nun als Minister umsetzen werden? Einiges hat mich überzeugt, zum Beispiel, dass man die Studierenden nicht um ihren Wunsch nach einem akademischen Studium betrügen darf und man sich auch in den neuen BachelorStudien bemühen muss akademisch zu bleiben und nicht zu sehr zu verschulen. Anderes hat mich positiv überrascht, zum Beispiel diese starke Sehnsucht nach Bildung jenseits der Verwertbarkeit.

Unibrennt wird oft dafür gelobt, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Unimisere gelenkt zu haben. Ihre Forderungen wurden und werden aber kaum umgesetzt. Liegt das an den Forderungen oder der Politik?

Das liegt wahrscheinlich an beidem. Manche Forderungen sind natürlich utopisch, das ist aber das gute Recht solcher Bewegungen, dass sie sich am Ideal ausrichten. Ich denke, dass es auch volkswirtschaftlich nicht stimmig ist, die Universität für alle zu wollen, oder für die meisten. Dass es auch universitätsstrategisch nicht stimmig ist, wenn man eine Universität als Forschungs- und Wissenswerkstatt will. Ich kann natürlich sagen, ich will eine Art Volkshochschule, die jeder durchläuft. Aber das Resultat wäre, dass es nur ein oder zwei Unis gibt, in denen Spitzenforschung geliefert wird und einen Haufen Lehranstalten, die zweit- oder drittrangig sind. Mir ist lieber wir haben für 30% der Bevölkerung eine breite Spitze, als für 5% eine ganz weit oben. Denn dann haben wir erst wieder extreme Ausleseprozesse, sozialer und intellektueller Art. www.facebook.com/ueber.morgen

it Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle stritten wir über die Auswirkungen von Zugangsbeschränkungen, Jugendarbeitslosigkeit und die Vereinbarkeit von Beruf und Studium. Wer danach immer noch nicht genug hat, findet eine ausführlichere Version des Gesprächs auf Dwww.zurpolitik.com. [jaae] Was sollen MaturantInnen tun, die wegen Zugangsbeschränkungen nicht an die Uni gelassen werden?

Erst einmal wird es sicher weiter sehr, sehr viele Studien geben, zu denen sie zugelassen werden. Ich denke, dass wir die Begrenzungen erst einmal in Massenfächern brauchen, weil dort die Zustände einfach unhaltbar sind. Ich denke auch, dass wir mittelfristig Wege finden müssen, damit die Studienplätze für Österreicherinnen und Österreicher gesichert sind. Jenseits aller Nationalismen ist es das gute Recht der Steuerzahler, dass ihre Kinder in dem System, dem sie ihr Geld geben, auch studieren können. Wie man das konkret ausgestaltet ist sehr schwierig, das muss sehr ausgewogen und klug gemacht werden.

„Wir haben die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in der EU. Und wir sollen uns jetzt rechtfertigen vor den Jungen, die keine Arbeit finden?“ Sie sehen da eine Chance auf europäischer Ebene?

Ja. Es gibt Chancen, die wir selber nutzen können, da machen wir uns gerade kundig. Und es muss natürlich auch Gespräche geben in Europa über Ungleichgewichte finanzieller Art. Ich werde im Sommer ein ausgiebiges Gespräch mit [der deutschen Bildungsministerin, Anm.] Schavan führen, damit ich ihre Position besser kennenlerne.

Sollten Sie scheitern, was heißt das dann für die Beschränkungen?

Ich denke man kann nicht jedem Österreicher jeden Studienplatz bieten. Aber ich prophezeie ja etwas anderes: in 10 Jahren wird man um jeden Jungen kämpfen, die Unis, die Lehrlingsausbildungsstätten, die Fachhochschulen. Wir haben jetzt noch einmal einen demografischen Höhepunkt, in 10 Jahren nimmt das ab und dann schwindet die Brisanz dieses Problems.

Nur für Leute, die jetzt vor dem Studium stehen…

… die haben das Pech in einer sehr starken Kohorte zu sein. Die sind aber in zehn Jahren auch noch nicht alt, vielleicht 30. Dann haben sie vielleicht dazwischen etwas anderes getan und können erst in zehn Jahren ihr Idealstudium beginnen. Es gibt ja auch die Möglichkeit, in späteren Lebensabschnitten noch zu studieren. Lebenslanges Lernen, Mobilität, Flexibilität, hören ja nicht auf, wenn du 25 bist. Ich verhehle nicht, dass es momentan einen Engpass gibt und wir werden unser Möglichstes tun, aber ein bisschen Geduld oder eine etwas längere Perspektive kann man den Leuten, unter den gegebenen Rahmenbedingungen, schon zumuten. In 10 Jahren sieht es anders aus. Oder in 15.

Geduld ist leicht gesagt, man kann ja keine Pause machen für 10 Jahre.

Wir haben die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in der EU. Und wir sollen uns jetzt rechtfertigen vor den Jungen, die keine Arbeit finden? Ich denke, bei uns findet jeder Arbeit.

Warum haben wir dann eine Jugendarbeitslosigkeit? Wir kennen die Ursachen, das ist oft temporär und es gibt natürlich immer einen Bodensatz von schwer Vermittelbaren.


über.bildung

Die aktuellste Zahl ist über acht Prozent [Anm.: 8,8 Prozent im April].

Etwa die Hälfte davon ist der Bodensatz, den man nie wegkriegt an Arbeitslosen. Wir geben in Österreich eine Ausbildungsgarantie. Soweit ich weiß, gibt es bei uns keinen Mangel an Lehrplätzen, sondern einen Mangel an Lehrlingen. Meine generelle Botschaft ist, ja, im Moment gibt es einen Engpass aufgrund der demografischen und der universitätspolitischen Situation. Aufgrund der Unmöglichkeit, Studienplätze sehr rasch, sehr stark zu vermehren. Wir haben immerhin zwischen 2005 und 2010 50.000 neue Studienplätze geschaffen. Das ist ja nicht nichts und ist auch mit steigenden Universitätsbudgets einhergegangen. Man kann nicht sagen, dass wir nichts tun. Ich finde, wir müssen dieses Anspruchsdenken, ich muss ganz selbstverständlich alles, was ich nur will, in diesem Land studieren können, eben aufgeben.

Mit dem nächsten Semester wird die neue Studieneingangsphase eingeführt. Am Beispiel der Uni Wien lässt sich nun ausrechnen, dass StudienanfängerInnen im nächsten Semester einen Arbeitsaufwand von ca. 4.8h/ Tag (inkl. Sonn-/Feiertage) bzw. eine 34h-Woche haben. Ist Arbeiten neben dem Studieren noch erwünscht?

Es ist natürlich grundsätzlich erwünscht, Arbeiten und Studieren miteinander zu verbinden. Aber der Tag hat eben 24 Stunden und es geht nicht alles. 15 ECTS sind vorgeschrieben in der STEOP, normal wird ein Semester mit 30 ECTS angeschlagen. Da sehe ich das Problem nicht.

Bei 30 ECTS, kommt man auf eine über 40h-Woche.

Nein, das kann gar nicht sein, das bestreite ich schlicht. Wir haben das oft in CurriculumKommissionen berechnet, das ist eine absolut

erträgliche Arbeitsbelastung. 750 Stunden auf sechs Monate…

Das Wintersemester dauert von Oktober bis Ende Jänner. Sechs Monate sind ein Semester. Die Ferien sind ja nur vorlesungsfreie Zeit.

„Offenbar rechnet dann ganz Europa falsch und alle Studenten sind arme Teufel.“ StudienanfängerInnen in der Publizistik beginnen im Oktober und haben ihre Prüfungen Ende Jänner. Das sind vier Monate.

Sie haben Oktober, November, Dezember, Jänner und auch Februar. Dann dauert das Wintersemester eben nur fünf Monate.

Februar haben sie nicht, wenn sie die Prüfungen Ende Jänner machen müssen.

Ich glaube, es muss immer mindestens zwei Prüfungstermine geben. Also 750 Arbeitsstunden muss man durch die, von mir aus, vier Monate dividieren. Das sind dann 42 Wochenstunden.

Und da soll man noch nebenbei arbeiten können?

Ihrer Argumentation folgend ist die ganze ECTSBerechnung, die europaweit gilt, irgendwie für die Katz‘. Ich halte die ECTS-Berechnung selbst auch nicht für ganz schlüssig. Weil sie eigentlich nur aussagt, wie lange man für eine Sache zu arbeiten gedenkt. Sie sagt aber nichts darüber aus, was man dann gelernt hat.

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Aber es rechnen auch LV-LeiterInnen damit, man wird dann darauf hingewiesen so und so viel Zeit zur Verfügung zu haben.

Offenbar rechnet dann ganz Europa falsch und alle Studenten sind, wie man in Tirol sagt, arme Teufel. Ich habe immer etwas ganz anderes erlebt. Ich lasse mir hier jetzt nicht einreden, dass die Publizistikstudenten in Wien wie die Berserker Tag und Nacht studieren müssen, damit sie ihre Studieneingangsphase schaffen. Ich sehe nicht wirklich, was das Problem ist.

Das Problem ist nicht, dass man es erledigen muss, sondern dass man ein Jahr verliert, wenn man es nicht erledigt.

Man verliert nur ein Semester wenn man diese 15 ECTS nicht schafft. Wenn man 15 nicht schafft, dann hat man das falsche Studium gewählt. Dazu dient die Studieneingangs- und Orientierungsphase. Das ist die Hälfte von dem, was ich üblicherweise in einem Semester schaffen müsste.

Zum Abschluss die obligatorische Frage zu Studiengebühren: Was spricht denn konkret gegen die Finanzierung der Hochschulen durch eine Erhöhung von Vermögenssteuern?

Natürlich kann man grundsätzlich über den Sinn oder Unsinn von Vermögenssteuern diskutieren. Grundsätzlich hat der Staat die Aufgabe, das Bildungssystem mitzufinanzieren und das tut er in Österreich auch wesentlich. Wir wissen aus Vergleichen, dass in Österreich verhältnismäßig mehr vom Staat kommt, als in anderen Ländern. Das heißt, wenn wir uns anderen internationalen Verhältnissen angleichen wollen, müssten wir eher versuchen, andere Finanzierungsquellen verstärkt heranzuziehen. Gleichwohl werde auch ich mich bemühen, öffentliche Gelder vermehrt zur Verfügung zu stellen. ♦

www.uebermorgen.at


über.reste

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Rassevorschriften in der Deutschen Burschenschaft D

er Dachverband der Deutschen Burschenschaft besinnt sich seiner volksdeutschen Tradition und will daher ein ganzes Corps ausschließen - wegen der „nichteuropäischen Körpermorphologie“ eines Mitglieds. [arr] gebieten in Ost- und Südosteuropa liegen.“ Aufgebracht hat das Ganze die Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn, die derzeit den Vorsitz der „Burschenschaftlichen Gemeinschaft“ inne hat und forderte, dass die Mannheimer Burschenschaft Hansea ausgeschlossen werden solle, da sie ein Mitglied aufgenommen habe, das „eine nichteuropäische Gesichts- und Körpermorphologie“ aufweise und „die Zugehörigkeit zu einer außereuropäischen populationsgenetischen Gruppierung und damit eine nichtdeutsche Abstammung“ daher anzunehmen sei. Neu ist diese extreme Ausrichtung der Deutschen Burschenschaft nicht, seit jeher bekennt sie sich zum „volkstumbezogenen Vaterlandsbegriff“ und schließt Nichtdeutsche aus, viel passiert allerdings hinter verschlossenen Türen, an die Öffentlichkeit gelangt wenig. Nachdem die Debatte um die Aufnahmeregelungen von der Presse vielfach aufgegriffen wurde, gab der Vorstand bekannt, die Alte Breslauer Burschenschaft hätte ihren Antrag zurückgezogen und der Punkt wäre damit von der Tagesordnung. Ob der Antrag ohne die entsprechende medi-

Unser Zahlenrätsel

Foto: flickr, Josef nowak33

In Eisenach ist im Juni Burschentag, das jährliche Gremium von Abgeordneten der größten deutschen Burschenschaften, eingeleitet von Fackelmarsch und Totengedenken. Passieren tut das Ganze schon seit 1818, und wie es scheint, haben sich auch die Themen seit damals nicht großartig verändert: Der Rechtsausschuss der Deutschen Burschenschaft hat die am alten Staatsbürgerschaftsgesetz orientierte Regelung verändert, die besagt, dass das Vorhandensein eines volksdeutschen Elternteils ausreichend ist, um Mitglied in einer Burschenschaft zu werden. Adoptierte Kinder oder Kinder aus binationalen Ehen hatten sich schon hier einer Überprüfung zu unterziehen, nun sollten die Aufnahmekriterien noch verschärft werden. Wörtlich heißt es in dem Gutachten, das jetzt die Aufnahme von Mitgliedern regeln sollte: „Maßgeblich ist die Abstammung von Angehörigen des deutschen Volkes. Deutscher im Sinne der Grundsätze der Deutschen Burschenschaft ist daher nur derjenige Bewerber, dessen familiäre Wurzeln schwerpunktmäßig im deutschen Siedlungsgebiet in der Mitte Europas oder in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschlossenen deutschen Siedlungs-

Wie zu Opas Zeiten: deutsche Burschenschaften ale Aufmerksamkeit durchgegangen wäre, bleibt offen, ebenso wie die Frage, ob die Öffentlichkeit nun mit anderen Augen auf die Deutsche Burschenschaft blicken wird, die bisher oft im Ruf stand, ein reiner Saufverein für Studenten zu sein. ♦

Unser Lieblingsplatz Chillen auf der Ledercouch, ein Bier an der Theke, hitzige Diskussionen am Ecktisch: Die Feile – ein gemütliches Lokal für viele Gelegenheiten. Zwei Räume mit unterschiedlicher Atmosphäre: Vorne die Theke, hinten die Sitzlandschaft und ein WC, in dem der umgedrehte Sessel am Plafond als Trockenpapierspender dient. Andi der Wirt, immer für einen Plausch zu haben, erfüllt auch gerne mal Musikwünsche. Ein grün beleuchtetes Werkzeug über dem Eingang weist euch den Weg in die Novaragasse 37 im 2. Bezirk.

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über.reste

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True Blood: Not again another myth-doing-popculture

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Heute haben wir uns eines wohl situierten Pudels angenommen. Der kleine Michi aus der Zucht der Fleischhacker ist ein ganz hinterlistiger Rüde. Er mag vor allem die konservativen Seiten am Leben und steht gerne im Mittelpunkt. Gerade eben hat er wieder in aller Öffentlichkeit seine Notdurft verrichtet. Noch dazu will er viel Geld dafür, dass ihm junge Leute zuhören. 1500 Euro für ein Training nach seinen Vorstellungen. Wir haben die Geduld mit ihm verloren und suchen jetzt ein neues Zuhause für ihn.

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Eure über.morgen-Tierredaktion

Gut, d a s s ich meine Möbel selber zusammenbauen muss, hinterfrage ich schon lange nicht mehr und dass der Computer jetzt meine Küche plant - geschenkt. Dann aber bei IKEA an der Expresskassa meine Billies unter der Aufsicht einer knüppelbewährten Security selber einscannen zu müssen, ist eine Frechheit. Schon allein deshalb, weil durch den einen Haudrauf gleich mal vier Kassadamen und –herren eingespart werden. Richtig kotzübel aber wird mir, wenn ich mir vorstelle, dass das Schule macht. Dass man diese Hilfssheriffs in Zukunft nicht mehr nur beim Ausgehen oder (schlimm genug!) in der Uni sehen muss, sondern die mir irgendwann auch noch beim wöchentlichen Einkauf ins Wagerl gschafteln: „Na, hamma auch nicht vergessen unsere Eier zu zahlen?“ So weit darf’s nicht kommen, mein lieber Hausverstand, oder wer auch immer im Einzelhandel noch was zu sagen hat: Der Billa darf nicht der Praterdome werden! Ende der Durchsage. ♦

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a, True Blood ist eine amerikanische Vampirserie und: Ja, die Protagonistin ist eine weiße, blonde Jungfrau, die zwischen zwei „Männern“ steht (ja, einer ist ein Vampir und der andere vielleicht ein Werwolf). Das ist nicht nur Grund für verächtliches Lächeln der not-addicts, sondern auch für die anfänglich ablehnende Haltung der Hauptdarstellerin Anna Paquin. Sie, die bereits mit 11 Jahren den Oscar als beste Nebendarstellerin in The Piano bekommen hat, wurde allerdings bereits im ersten Lesen umgestimmt. Sookie Stackhouse ist nicht nur eine schlanke, junge Kellnerin in kurzen Shorts. Ihr Lebensziel besteht auf keinen Fall im Mutter- und Ehefrauenglück. True Blood entwirft, im Gegensatz zu Twilight, weniger ein „modernes“ Beziehungs- und Gendermodell als den Versuch, eine ausgegrenzte Minderheit in die Mainstream-Gesellschaft einzugliedern. True Blood ist der Name synthetisch hergestellten Blutes, das Vampiren ermöglicht, Teil der amerikanischen Gesellschaft zu werden.

morbider und vor allem fast unerträglich spannender Momente an diese Serie gebunden, sodass der Sender HBO sich dazu getrieben fühlte, eine eigene Internetseite einzurichten, auf der Fans gemeinsam der 4. Staffel entgegensehen können. Spannender als die Lösung der narrativen Konflikte (Kommen Sookie und Bill zusammen? Wer tötet die schönen Frauen im Provinzdorf Bon Temps? Gerät Sookies vergnügungssüchtiger Bruder Jason auf die gute oder schlechte Seite?) ist die sukzessive Entwicklung der sich definierenden Charaktere. Ja, Sookie rettet Bill, Bill rettet Sookie und sie sind füreinander bestimmt. Aber True Blood ist so viel mehr. In der Betrachtung dieser fiktiven Welt (bemerkenswert witzig, die satirischen Authentifizierungsstrategien à la „Angelina Jolie adoptiert ein Vampir-Baby.“) lässt sich Wesentliches in unserer „realen“ Welt erkennen. Welche Taten bedürfen Rechtfertigung? Und: Was heißt es genau, wenn Bill sich für aggressive Ausrutscher entschuldigend meint: „I'm doing my best to mainstream.“

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Es geht darum, Fremdes kennenzulernen. Bill, der 173-jährige Haupt-Vampir in Gestalt eines fast normalen 30-jährigen Mannes, ist betont assimilierungswillig und erklärt Sookie in der ersten Staffel: „You can't be afraid of everything you don't know!“. Alan Ball, zuvor Regisseur der Serie „Six Feet Under“, entwirft abermals ein differenziertes Gesellschaftsmodell und beseelt es mit angenehm schattierten Frauen- und Männerfiguren. Sookies beste Freundin Tara zeigt als schwarzes Einzelkind einer alleinerziehenden Alkoholikermutter am Existenzminimum eine junge Frau, die ihre persönlichen Probleme hinter den Vorhang des Kampfes gegen Reflexe und Ausläufer von Kolonialismus, Rassismus und Sexismus drängt. Bill ist ruhig und kontrolliert, doch trägt er Gewalt und Sucht schon metaphorisch in Reißzähnen und Vampirblut, das Menschen als beste illegale Droge gilt, in sich. Parallel zum Versuch, fremdartige Wesen in die menschliche Gesellschaftsform der Demokratie einzugliedern, zeigt die True Blood-Welt eine schwule Subkultur, die – wie die Vampire, aber auch die aufgeklärte Weltanschauung – auf Ausgrenzung und Sympathie stößt. Das Publikum wird mit einer Fülle erotischer,

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Rezension

www.uebermorgen.at


Philipp Render

Sind wir Tier oder Maschine? Der Mensch benutzt immer wieder Vergleiche, um seine eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten darzustellen und zu übertreiben. Stark wie ein Löwe, präzise wie ein Uhrwerk. Wir mes-

sen uns mit Stärkerem und Besserem und niemandem fällt dabei auf, dass wir uns damit unsere eigene Mittelmäßigkeit attestieren. Philipp Render


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