4 minute read

Prof. Heike Bruch über Persönlichkeitsbildung und Leadership

Die ganzheitliche Persönlichkeitsbildung ist die Voraussetzung für das, was man heute Leadership nennt. Die «Kenntnis des eigenen Geschäfts» genüge nicht, um ein Unternehmen erfolgreich führen zu können, so heisst es schon im Bericht von Rektor Eduard Otto Schulze von 1913. «Ein Manager schaut sich die Zahlen an und orientiert sich am return on investment, und das ist es dann», so formuliert es mehr als ein Jahrhundert später Thomas Scheitlin, HSG-Alumnus und Vizepräsident des Universitätsrats. «Ein Leader hat gegenüber dem Manager die Fähigkeit, noch etwas Zusätzliches zu vermitteln: Er oder sie kann Leute begeistern, und zwar nicht in einer Top-down-Kultur, sondern indem er sie motiviert, gemeinsam Ziele zu erreichen. Auch ein Leader muss die Zahlen kennen und muss wissen, wie man damit umgeht, aber mit zusätzlichen Fähigkeiten. Und das ist eben HSG.»

Mit der Digitalisierung ändert sich das Konzept von Leadership: Mit dem Abbau der Hierarchien muss auch das Verhältnis von Chef und Angestellten neu gedacht werden.

Ein Gespräch mit der Wirtschaftspsychologin Heike Bruch, Professorin für Betriebswirtschaft und Leadership

Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Die Digitalisierung stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen. Was bedeutet Leadership heute?

Die Grundidee von Führung ist immer gleich: Es geht darum, Menschen zu mobilisieren und sie für Ideen zu gewinnen, die dem Erfolg des Unternehmens sowie dem ganzen Ökosystem dienen. Verändert hat sich nicht das Ziel, nur die Art, wie man es erreicht. Bestehende Muster funktionieren nicht mehr, doch die neuen Muster sind noch nicht erprobt, die Menschen dafür noch nicht qualifiziert: Das ist die Situation, in der sich heute viele Unternehmen wiederfinden, und überdies geschieht der Prozess der Transformation oft unfreiwillig – all das macht die Aufgabe so anspruchsvoll.

Was für neue Muster müssen jetzt eingeübt werden?

Es geht um eine neue Art, zu arbeiten und zu führen. Mit New Work –oder auch Arbeitswelt 4.0 – sind Dinge gemeint wie mobiles Arbeiten mit flexiblen Arbeitszeiten, desk sharing, digitaler Austausch. Diese strukturellen Neuerungen bedeuten viel Freiheit, doch das funktioniert nur, wenn noch etwas dazukommt, was wir New Culture nennen. Dabei geht es um Kultur, aber auch um Führungsaspekte und um die Kompetenz, eigenständig zu arbeiten. In der Forschung stellen wir fest, dass Unternehmen, die diese New Culture haben, erfolgreicher sind als andere, und zwar unabhängig davon, ob sie ansonsten traditionell arbeiten oder schon fortgeschritten sind mit der New Work.

Was macht den Führungsstil der New Culture aus?

Drei Dinge stehen im Zentrum. Erstens geht es um un-bossing. Die klassischen Führungstugenden von hierarchisch geführten Unternehmen – Command, Control, autoritäre Strukturen – werden aufgegeben. Dabei besteht die Gefahr, dass sich Unternehmen nur aufs Abschneiden der alten Zöpfe konzentrieren und dann bei einer viel schlimmeren Art der Führung landen, dem Laisser-faire: Keiner führt mehr, keiner entscheidet, keiner kümmert sich um die Mitarbeiter. Doch wenn ich nur loslasse und die Leute gar nicht mehr sehe, habe ich noch keinen modernen Führungsansatz. Die Antwort auf das un-bossing ist nicht weniger Leadership, sondern mehr.

Und damit bin ich beim zweiten Punkt: Wir müssen den frei gewordenen Raum mit einer neuen Form von Leadership füllen. Wie bereits gesagt, bedeutet Leadership nach wie vor, Menschen über eine Inspiration zu beeinflussen, sie für Veränderungen zu gewinnen. Wenn ich das nicht mehr klassisch über Druck erreichen will, brauche ich stattdessen eine Sinnorientierung. Bei der sinnorientierten Führung geht es darum, durch gemeinsame, übergeordnete Ziele Identifikation und damit Begeisterung herzustellen. Wenn ich den Leuten glaubwürdig sage: Das ist unsere Vision, so sieht die Zukunft aus, und dahinter stehe ich auch – dann ist das Gemeinsame, Übergeordnete im Fokus und nicht mehr der Einzelne mit seiner Einzelaufgabe. Wir kommen also von einer einzel- und aufgabenorientierten Führung zu einer kollektiv emotionalen, inspirierenden Führung.

This article is from: