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Kunst am Bau: Ein Gespräch mit Brigitte Walz über ihren Vater Eduard Naegeli

Ein Gespräch mit Brigitte Walz, der Tochter von Eduard Naegeli, über ihren Vater und sein Engagement für die Kunst.

Ihr Vater Eduard Naegeli war an der HSG Professor für Rechtswissenschaft. Was war seine Beziehung zur Kunst?

Mein Vater wollte eigentlich Pianist werden, doch dann sah er ein, dass seine Begabung nicht reichte, um ganz nach oben zu kommen, und so studierte er Jus. Sein Elternhaus war sehr musisch, alle spielten ein Instrument. Lange Jahre war er Präsident des Kunstvereins St.Gallen, später auch Präsident des Schweizerischen Kunstvereins, er machte das Programm des Cineclub und gründete die Vereinigung Neue Musik in St.Gallen.

War er damit erfolgreich?

Mit moderner Musik konnte man damals nicht sehr viele St.Galler begeistern, und in der bildenden Kunst kämpfte mein Vater anfänglich gegen unglaubliche Widerstände. Im Jahr 1955 organisierte er die erste Ausstellung mit Paul Klee im Kunstmuseum St.Gallen. Er wollte Klee dabei auch Kindern nahebringen, als Einstieg für die Erziehung zur Kunst, also lud er Schulklassen ein. Doch dann hiess es, er verführe Jugendliche: Paul Klee, das sei keine Kunst, sondern Schund! Es gab Eltern, die in die Schule gingen, um zu verhindern, dass ihre Kinder diese Ausstellung besuchten. Mein Vater war auf eine solche Reaktion überhaupt nicht vorbereitet, es war ein grosser Schock für ihn. Für meine Schwester und mich hingegen war das Museum beinahe ein zweites Zuhause. Unsere Gespräche bei Tisch sind mir bis heute präsent. Die vielen Aufregungen im Zusammenhang mit dem Campus, einerseits das Unverständnis nach endlosen Sitzungen, andererseits die Freude und Begeisterung beim Planen!

Meine Mutter war für meinen Vater eine wichtige Kraft, sie war stets an seiner Seite: diplomatisch und mit Charme, oder, wenn’s sein musste, auch kämpferisch. Das war nicht seine Art, jemand hat einmal gesagt, er sei die sanfte Gewalt.

Was für eine Beziehung hatte Ihr Vater zu Walter Förderer?

Walter Förderer war für alle eine Überraschung. Er hatte nicht studiert, sondern war Künstler, dabei schüchtern und introvertiert. Für ihn waren diese Hochschulkreise etwas ganz Neues. Mein Vater sah beim Neubau sofort die Chance, Kunst und Architektur zu integrieren: Die Studierenden sollten sich nicht nur mit Wirtschaft beschäftigen.

Förderer und mein Vater haben sich sehr gut verstanden, so waren sie sich sofort einig, dass sie für den Campus-Neubau nicht einfach Kunst einkaufen, sondern Vorschläge von lebenden Künstlern für diesen Ort einholen würden. Die beiden reisten fast alle zwei Wochen nach Paris. Mein Vater nahm jeweils vorab mit den Künstlern Kontakt auf, und ich war immer dabei, das war grossartig. So lernte ich etwa Giacometti kennen. Wir waren an einem Nachmittag in der Galerie Maeght an der Rue de Téhéran verabredet. Wir stiegen aus dem Taxi, Giacometti kam mit dem Velo und stellte es an die Hauswand, noch mit den Veloklammern an den Hosenbeinen, nur schon der Anblick! Dann fanden die ersten Gespräche statt, mit Giacometti, Tàpies, Miró bei Maeght, dann Penalba, Stahly. Alexander Calder, das war mein erstes Mal im «Deux Magots», der grosse mächtige Mann im langen Regenmantel, begleitet von seiner Frau, ein unvergesslicher Auftritt! Alle waren begeistert von dem Projekt. Wir waren auch mit Braque verabredet, sie wollten unbedingt ein Werk von ihm, doch er war schon zu krank. Das Mosaik Oiseau an der HSG war sein letzter Entwurf.

Hatten Sie zu den Künstlern einen persönlichen Kontakt?

Ja, vor allem zu Alicia Penalba, sie arbeitete lange an ihren Plastiken in St. Gallen, eine faszinierende Frau. Unsere Freundschaft begann in Paris, wo sie für mich an manchen Wochenenden Feste veranstaltete und dazu viele ihrer argentinischen Freunde in ihr Atelier-Traumhaus einlud. Dort entstanden für mich lebenslange Freundschaften. Ich war damals 21, und Penalba fand, für so ein junges Mädchen müsse in Paris doch etwas los sein. Ihr Freund Michel war jünger als sie, er übernahm alles Praktische, damit sie Kunst machen konnte, er war auch ihr Chauffeur. Sie sind 1982 zusammen tödlich verunglückt, ich glaube, es war auf dem Weg von Paris nach St.Gallen.

Auch Tàpies arbeitete auf dem Campus, er war mit seiner Frau Teresa oft bei uns zu Hause, wir machten Ausflüge ins Appenzellerland oder an den Bodensee.

Was haben Sie von dem Kunststreit damals mitbekommen?

An den Senatssitzungen wurden manche Professoren plötzlich zu Kunstkennern und traten auf wie Kunstsachverständige, es war grotesk. Mein Vater sagte oft: «Der versteht überhaupt nichts von Kunst!», schliesslich wusste er, was bei einigen von ihnen zu Hause an den Wänden hing. Es gab harte Auseinandersetzungen, Freundschaften zerbrachen.

Manche fanden, es sollten auch St. Galler Künstler ausgestellt werden, und später gab es das dann durchaus: Roman Signer zum Beispiel, den hätte mein Vater auch genommen.

Auch in der Stadt regte sich Widerstand gegen abstrakte Kunst, viele hätten in der neuen Hochschule lieber gegenständliche Kunstwerke gesehen.

Es war für uns ein Glück, dass fast alle Künstler in der weltoffenen Stadt Paris lebten. Schon in Orly liess man den fanatischen Kleinkrieg St.Gallens zurück, konnte atmen und sich all dem Grossartigen der Kunst widmen. In Paris gingen mein Vater und Förderer abends oft an der Seine spazieren. Sie wandelten dann jeweils bis spät in die Nacht, vertieft in philosophische Gespräche, die Förderer sich alle notierte. Sie sprachen auch darüber, ob man ein Projekt überhaupt durchführen soll, wenn fast eine ganze Stadt dagegen ist. Als ich das später las, kamen mir fast die Tränen.

Sie sagten nicht: «Wir finden diese Kunst toll, wir ziehen das einfach durch!» Sondern sie überlegten, wie man das Problem entschärfen könnte, ohne bei der Kunst Kompromisse zu machen und auf gefälligere Werke auszuweichen. Die Anfeindungen waren massiv: Wir bekamen anonyme Anrufe und Briefe, es gab Hetzartikel in der Presse. Manche Leute, von denen mir dies bekannt war, habe ich nie mehr gegrüsst.

Hatte der Streit auch Auswirkungen auf die Finanzierung der Kunst, die ja ausschliesslich von privater Seite kam?

Eine Zeit lang war es in der Tat fraglich, ob das Projekt überhaupt realisierbar sein würde. Mein Vater kannte die Direktoren der Firmen, die sich am Bau beteiligt hatten, und er wusste, dass manche von ihnen Kunst sammelten. Er nahm Kontakt zu ihnen auf und schilderte die Situation, er konnte sie begeistern, so dass sie das Projekt finanziell unterstützten. Rettend war schliesslich eine Glanzidee: Er bat alle Künstler um eine Lithografie, die dann gesammelt als Kunstmappe verkauft werden konnten.

Welche Rolle spielte der Rektor Walter Adolf Jöhr?

Ohne Jöhr wäre das Projekt gescheitert. Er setzte das ganze Gewicht seiner Persönlichkeit ein und stand mit voller Überzeugung dahinter. Das stärkte meinem Vater und Walter Förderer den Rücken. Zu Hause fand mein Vater während dieser ganzen aufregenden Zeit die Unterstützung von meiner Schwester, meiner Mutter und mir. Die Devise von uns drei Frauen lautete: «Weitermachen! Weitermachen! Weitermachen!»

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