verbale #04

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Ausgabe 04/2011

€ 2,00

ISSN 2219-942X

Werner F. Richter

Trance-Formationen

magazin

für

kreativität

kunst

und

kultur


H

ans Wurst lädt ein zum literarisch-humoristischen Miniatur-Symposium. Es geht um die Wurst. Hier wird durch den Fleischwolf gedreht. Jeder darf seinen Senf dazu geben. Mit vollem Mund das Wort zu ergreifen, ist erwünscht. Dem werten Publikum ist dank der Verkostung gesottener und geräucherter Wurst-Spezialitäten der Mund gestopft. Damit ist es zum Zuhören verdammt, bis der letzte Wurstzipfel den Weg alles Irdischen angetreten hat. Diese Minuten des genussvollen Schweigens bieten dem Literatur- und Kabarett-Nachwuchs die Gelegenheit, seinen Senf zum Alltags-Brät abzugeben. Im Anschluß daran lassen sich im lockeren Gespräch in gesellig-gesättigter Runde die frisch gewonnenen Sinneseindrücke literarischer und kulinarischer Art gastrosophisch verdauen.

wurst & wort

U

nter diesem Titel veranstaltet verbale magazin eine Reihe von literarisch-humoristischen Miniatur-Symposien. Diese finden im verbale forum sowie an wechselnden Orten der alltäglichen Bedarfsdeckung und der sozialen Begegnung statt, wie zum Beispiel LebensmittelGeschäften oder Cafes. Das Bespielen solcher allgemein nicht damit assoziierten Orte vermittelt Kunst durch direkte Begegnung und unerwartete Konfrontation. Die Verkostung von Wurst-Spezialitäten als „hors d´oeuvre“ weckt den Appetit auf „Kunst als Lebensmittel“. Das Projekt „wurst & wort“ schafft einen originellen und zwanglosen Rahmen, in dem Künstler und Publikum zueinander finden. Jede Veranstaltung ist einem Künstler gewidmet. Im Anschluss an ihr Programm stellen sich die jeweils für maximal 20 Minuten Vortragenden dem Dialog

mit dem Publikum, erklären im Gespräch ihre Intentionen und lassen Kunst als integrativen Bestandteil des Alltags begreifbar werden.

Mach mit! - AusschreIbung

Z

ur Teilnahme eingeladen sind LiteratInnen, KabarettistInnen und ähnliche WortkünstlerInnen. Insbesondere der Nachwuchs erhält die einzigartige Gelegenheit, das Projekt “wurst & wort” für ersten Publikumskontakt zu nutzen und sein Schaffen zu präsentieren. Die Symposien werden aufgezeichnet und als multimediale Anthologie zugunsten der Mitwirkenden verlegt. Anfragen nach weiteren Informationen und Teilnahmebedingungen bitte per Email an wurstundwort@verbale. org oder per Post an die Redaktion.


Inhalt

03 Inhalt

verbale magazin / Inhaltsverzeichnis / Impressum

Rechtevorbehalt Nachdruck, Vervielfältigung und Verbreitung sowie die Übernahme von Beiträgen iSd § 44 Abs 1 und 2 UrhG werden gemäß § 44 Abs. 1 zweiter Satz UrhG ausdrücklich verboten. Alle Urheber- und Verwertungsrechte bleiben vorbehalten. Die mit dem Namen des Verfassers gekennzeichneten Artikel stellen nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers und der Redaktion dar. Bei Einsendungen von Artikeln und Fotomaterial an die Redaktion wird das Einverständnis zur Veröffentlichung vorausgesetzt. Der Herausgeber übernimmt keine Gewähr für eingesandtes Redaktions- und Bildmaterial. Termine und Ausschreibungen werden nach Ermessen gewissenhaft, jedoch ohne Gewähr veröffentlicht.

Der Millionär als Auftraggeber?

Anzeigenpreise

Anzeigenannahme-/ Redaktionsschluss Bitte beachten Sie den Annahmeschluss für die kommende Ausgabe am :

20.06.2011, 18:00 Uhr

Zitronenkuchen für die 56. Frau

14 Trance-Formationen 16 Art 4 Everybody

Kunst-Poster zum Heraustrennen im Mittelteil

20 Edvard Munch - Pubertät

Bekannte Meister - Unbekannte Meisterwerke

22 Peter Huber

Ein „Unentdeckter“

Fokus

und

Es gelten die unter der Internet-Adresse www.­verbale.org/media veröffentlichten Mediadaten und Anzeigenpreise zu den unter www.verbale.org/tradingterms veröffentlichten Geschäftsbedingungen.

12 Seher Devirm Cakir

Werner F. Richter

24 Love Goat

Stoner Rock in Eigenregie

26 Andrea Steinlechner

Medea im Fünf-Sterne De-Luxe-KZ

29 Szene-Fotos magazin

Mediadaten

08 Daniel Suckert

10 Kunstdiebstahl

Anzeigenannahme Telefon: +43 681 10677574 Email: werben@verbale.org

Es weinte die Gitarre - Karfreitag mit Dietmar Rumpold Kommissar Prohaska ermittelt

Redaktion

Verein verbale, ZVR 662286396, Perthaler Gasse 15/2, 6020 Innsbruck, Österreich Email: redaktion@verbale.org Internet: http://www.verbale.org

Neues Stück am Rattenberger Schlossberg

07 Llora la guitarra

klang

und

05 Die Siebtelbauern

gebrochene heldINNen _ broken heroINes

Position

Herausgeber

Am Anfang ist immer noch das Wort...

06 Daniela Maria span

bild

Das verbale magazin als Magazin für Kreativität, Kunst und Kultur bietet Kunstschaffenden und Kulturtreibenden den notwendigen medialen Raum, welchen andere Medien nicht im benötigten Ausmaß einräumen können oder wollen. Es spricht ein breites Publikum an und weckt das Interesse an den Themen Kreativität, Kunst und Kultur auch bei nicht kulturaffinen Lesern. Mit dem Ziel, den Zugang zur Kunst zu erleichtern, wird zugunsten allgemeiner Verständlichkeit bewußt auf einen elitären Anspruch verzichtet. Der Kunstschaffende als Mensch steht im Mittelpunkt, wird nach seiner Motivation und Arbeitsweise gefragt und sein kreatives Schaffen auf eine sehr nahe gehende, persönliche Weise beleuchtet. Als ideologisches Ziel werden die kulturelle Identität und Selbstwahrnehmung innerhalb eines europäischen Kulturverständnisses gestärkt, beeinflusst und weiter entwickelt.

wort

04 Editorial Grundlegende Ausrichtung

Veranstaltungen im Rückblick

31 Der Scheisshaufen

Ruben Mutschlechner im „Freiraum“

INFOS AUF DER NÄCHSTEN SEITE... 3


Editorial

„Geist ist geil“ - Mit diesem, an einen in die Jahre gekommenen, aber umso nachhaltiger in uns eingebrannten Claim eines Elektronik- oder vielmehr Entertainment-Handelsgiganten angelehnten Slogan markieren wir unsere Position neu. Wie der Konsumtempel aus der „Kauf Dich glücklich“-Fraktion haben auch wir als unsere Zielgruppe ein breites Publikum anvisiert. Gegenteilig machen wir allerdings nicht künstlich auf Billigsdorfer, sondern bringen Kunst bis ins kleinste Dorf. Und das billig, im Sinne von günstig: um 2 Euro, für jeden leistbar. Professionelle Kulturschmarotzer, Gratis-Buch-Abstauber (die es dann ohnehin nur ungelesen verstauben lassen) und Kartenabreißer-Austrickser werden zwar aus tiefster Kehle einen entrüsteten Aufschrei pressen, können aber - wenn es nach uns geht - mit einem ebensolchen zur Hölle oder sonst wo hin fahren. Der „Ballermann“ auf Mallorca böte sich hierzu als Ziel an: qualitätsund niveaulos, also das totale Gegenteil zu unserem verbale magazin. Und Qualität hat ihren Preis! Was nichts kostet, hat keinen Wert - beziehungsweise wird dieser nur selten entsprechend geschätzt. Wir bieten ab sofort dank reduzierter Schriftlaufweite um gefühlte und messbare 30% mehr Inhalt, oder, um aus dem Essay von Egon A. Prantl zur Autorin Andrea Steinlech-

Geist ist Geil Kulturarbeit

ist wertzuschätzen

ner in diesem Heft zu zitieren, nicht „Telefonsex für Geizige - um 75 Cent pro Minute Stöhnen vom Tonband“, sondern beziehen vielfältigste Stellungen für einen extatischen MultipleOrgasmus der Kunst und Kultur, inklusive Abkuscheln und eben diesem verbalen Vorspiel. PS: Wer nicht nur seinen Geist geilstens verwöhnen will, sondern seinen Postkasten neben dem üblichen Werbe-Junkfood auch mit gesunden Vollwert-Druckwerken verwöhnen möchte, füllt am Besten gleich untenstehendes Abo-Bestellformular aus! Für lapidare 12 Euro werden die nächsten 6 Ausgaben des verbale magazin frisch aus der Druckerpres-

se noch vor dem offiziellen Verkaufsstart frei Haus serviert. Zwischen Ausfüllen, Ausschneiden und Abschicken bitte nicht auf das Porto vergessen! So eine hübsche, bunte Briefmarke ist auch das Ergebnis eines künstlerischen Prozesses und ihr Geld wert.

Herzlichst,

Florian Tschörner Gründungsherausgeber

Porto bitte nicht vergessen!

Ich will die nächsten 6 Ausgaben des verbale magazin jeweils noch vor dem ­ ffiziellen Verkaufsstart im Briefkasten haben! Dafür überweise ich auch o gleich 12,- € auf das Konto 03351060094 bei der Tiroler Sparkasse, BLZ 20503 mit dem Verwendungszweck „verbale abo“!

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Schlossbergspiele Rattenberg

Die Siebtelbauern Proben

auf dem

Rattenberger Schlossberg

Neues Theaterstück von Stefan Hellbert nach dem gleichnamigen Film von Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky, Regie Pepi Pittl.

E

inen Leckerbissen des Tiroler Volkstheaters in ­Rattenberg gibt es wieder in der Zeit vom 01. Juli bis 06. August 2011 zu sehen. Der Tiroler Autor Stefan ­Hellbert („Kreuzwechsel“, „Seelenzoll“) hat ein Volksstück erster Güte geschrieben – nach dem bekannten Film von ­Stefan Ruzowitzky (2008: Oscar für den besten ausländischen Film „Die Fälscher“). Das Theaterstück „Die ­Siebtelbauern“ ist eine wuchtige, kantige Geschichte aus der bäuerlichen Welt der frühen 30er Jahre und spielt in einem fiktiven Tiroler Bergdorf. Es geht um Machtkämpfe, um soziale Gegensätze, um Hass, dramatische Konflikte – und um Liebe. Unter der Regie von Pepi Pittl, der in Rattenberg schon mehrere erfolgreiche Produktionen geleitet hat („Die Hutterer“, „Der Name der Rose“, „Speckbacher“, „Kein Platz für Idioten“), proben die Darsteller schon seit

Wochen. Ab Mai können die Probenarbeiten dann auf der Freilichtbühne am Schlossberg begonnen werden. Ab Juni wird die „Technik“ dazukommen – Licht, Ton, Pyrotechnik, Musik, Kostüme, usw. Claudia Lugger, die Obfrau der größten Freilichtbühne Tirols, ist voller Vorfreude auf den Sommer:

„Dieses Stück bietet alles, was sich ein Besucher eines Freilichttheaters erwartet. Eindrucksvolle Bilder, dramatische Szenen mit viel Bewegung und Licht- und Toneffekten. Auch die Pyrotechnik kommt zum Einsatz. Es gibt viele tolle Rollen und Charaktere. Stille, stimmungsvolle Szenen wechseln mit lauten, zum Teil auch brutalen Szenen: Volkstheater vom Feinsten! Und das Ganze auf einer wunderbaren Naturbühne mit einem imposanten Bühnenbild.“

Die Siebtelbauern

Theaterstück von Stefan ­Hellbert nach dem gleichnamigen Film von Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky, Regie Pepi Pittl. Premiere: Freitag 1.Juli 2011 Beginn: 21Uhr (Ersatzpremiere: Samstag 2.Juli 2011) weitere 20 Aufführungen zwischen 3.Juli und 6.August 2011 Informationen und Kartenvorbestellung: www.schlossbergspielerattenberg.at und 05337/93570

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Daniela Maria Span

Daniela Maria Span gebrochene heldINNen

_

broken heroINes

Daniela Maria Span setzt sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit Geschlechtsrollenklischees und physischen Schönheitsvorstellungen bis hin zum Kitsch auseinander. Die Ausstellung „gebrochene heldINNen_ broken heroINes“ zeigt die Destruktivität von medial forcierten Idealvorstellungen über Männlichkeit und Weiblichkeit auf, die in unserer Realität zu Essstörungen, unreflektiertem autound fremdagressivem Verhalten, Suchtproblematik, Konsumismus, Depression etc. führen können.

„Wie immer gibt es kein eindeutiges Gut und Böse, TäterInnen und Opfer, kein schwarz oder weiss – sondern zahllose Graustufen.“ Die Abbilder der Ikonen Barbie, Ken, Batman, Jesus, der heiligen Madonna mit und ohne Kind etc. fungieren als die Vehikel einer kritischen künstlerischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normen, Genderklischees und einer extrem heuchlerischen Sexualmoral, die herabwürdigende Darstellungen von Frauen in Werbung und Pornografie hervorbringen und zu Ausbeutung, Prostitution, Menschenhandel, ungleicher Bezahlung für gleiche Arbeit etc. führen. Frauen werden als unterlegen, willfährig, schwach, opferbereit oder gleich als Opfer schlechthin dargestellt, Männer vice versa als gierige, skrupellose Schädlinge und ewige Täter. Auf der anderen Seite gibt es

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die Klischees von Frauen als multitaskingfähige Hybride aus beruflicher Powerfrau, endlos liebesfähigem Erotikwunder, hingebungsvoller Mutter und Hausfrau etc., und Männern als dem allzeit bereitem Helden und Beschützer, furchtlos und niemals schwach.

„Markt und Medien setzen uns einer Überflutung mit Klischeevorstellungen aus, die uns auf vielen Ebenen überfordern. Die Reduktion von Frauen und Männern auf derart eingeschränkte Lebensentwürfe zerstört Authentizität und Kreativität und schränkt das Potential für gelungene Lebensentwürfe aller Menschen ein. Wer sich auf das Spiel der Klischees einlässt, lebt gefährlich.“

13.5. - 17.6.2011 kooio - forum für kunst und ­ ommunikation k Mariahilfstrasse 40, Innsbruck Mo, Di, FR 11:00-15:00 Uhr MI, DO 17:00-20:00 Uhr Eröffnung FR. 13.5. 19:00 Uhr Einführende Worte: Sabine Gatt Sound-Performance: Fritz Teufel 22.5. - 29.5.2011 verbale forum

Innstrasse 55, Innsbruck MO-FR 15:00-19:00 Uhr


Dietmar Rumpold

llora la guitarra Es

weint die

Gitarre

Karfreitag mit Flamenco-Gitarrist Dietmar Rumpold

M

it seinem Konzert unter dem Motto „Llora la ­Guitarra“ ­führte der ­Flamenco-Gitarrist ­Dietmar Rumpold am ­Karfreitag, den 22. April 2011 im verbale forum in Innsbruck in die ­während der Karwoche zelebrierten Bräuche Andalusiens ein und begeisterte das Publikum mit Beispielen der wenig bekannten ­mystischen Seite des Flamencos.

D

ie Karwoche von Palmsonntag bis Ostersonntag, als Semana Santa bezeichnet, wird in Spanien und vor allem in Andalusien ausgiebig und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung begangen. Besonders bekannt sind die zahlreichen Prozessionen, insbesondere jene am Karfreitag, die von der Kirche und ihrem Stadtteil nahestehenden Bruderschaften - Hermandades bzw. Cofradías genannt - organisiert und durchgeführt werden. An diesen Prozessionen nehmen oft bis zu über tausend Gläubige teil, die als Nazarenos (deutsch: ­„Büßer“) mit langen Kutten und der typischen Spitzhaube maskiert und oft bar-

fuß die Pasos genannten figürlichen Darstellungen von Stationen des ­Leidensweges Christi begleiten. Die reich geschmückten Statuen oder Figurengruppen werden von mehreren Personen getragenen und von Musikkapellen aus Schlaginstrumenten und Hörnern begleitet. Insbesondere in Andalusien wird deren langsame, getragene Marschmusik oft durch S ­ aetas unterbrochen - spontan vorgetragen von einzelnen Sängerinnen oder Sängern auf einem der Balkone entlang der Prozessionsstrecke. Diese ohne instrumentale Begleitung gesungenen und meistens den Virgenes - den Marienstatuen gewidmeten religiösen Bittgesänge haben starke arabische Anklänge und werden als Gattung des Flamencogesanges bezeichnet. Sie entwickelten sich vermutlich Ende des 18. Jahrhunderts aus einer korrumpierten Form der liturgischen Psalmodie heraus und sind meist Klagen der Muttergottes über den Leidensweg ihres Sohnes oder habenpersönliche Klagen des Sängers zum Inhalt.

Dietmar Rumpold geb. 1959 in Innsbruck Ausbildung: Gitarrestudium am Konservatorium Innsbruck, Unterricht bei Miguel Perez (Sevilla), und Manuel Lozano „el carbonero“ und José Luis Balao (Jerez de la frontera) Projekte: „Alcalá“, Flamencogruppe (A), „Centro Atlantico“, Zentrum f. Gitarre und Tanz (E), „Mesón Flamenco“, Flamenco-Club (E), „Candela“, Flamencogruppe (E), „Azahar“, Flamencogruppe (E), „Al Alba“, Flamencogruppe (E/A), „Confusión“, Flamencogruppe (A), „Alcalá“, Flamencogruppe (A/E), „delpaso“, Gipsy Kings Coverband (E/A) Mitarbeit bei José Teran & The Latinonnection, Comin & Goin, Rico Sanchez & The Gipsies, Carmen Amor Workshops in Spanien, Österreich, Deutschland, Italien, Taiwan.

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Daniel Suckert

Weltstadt Innsbruck Kommissar Prohaska

ermittelt

Autor und Kabarettist Daniel Suckert

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Daniel Suckert

N

ach zwei erfolgreichen Lesestücken präsentiert Autor und Kabarettist Daniel Suckert nun sein erstes, 2010 bei pyjamaguerilleros*/Innsbruck erschienenes Buch über das fiktive Ermittlerduo Kommissar Prohaska und Inspektor Maier. Nicht erst mit diesem Kurzgeschichtenband „Kommissar Prohaska: ‚Weltstadt‘ Innsbruck“ demonstriert er eindrücklich, dass Mundart und Dialekt durchaus zeitgemäß, unterhaltsam und literarisch ansprechend einsetzbar sind.

Daniel, Du wurdest 1980 in St. Johann in Tirol geboren, lebst und arbeitest in Innsbruck, unter anderem auch als Sportjournalist. Künstlerisch bist Du als Maler, Autor und Kabarettist tätig. Wie bist Du zum Kabarett gekommen? Meine künstlerische Laufbahn als Kabarettist hat im Dezember 2007 begonnen. Der „Schulclown“ hatte beschlossen, seine künstlerischen Beiträge, die jahrelang in ihm schlummerten, endlich ans Bühnenlicht zu befördern. Dass mein erstes Stück gleich so gut ankam, überraschte mich dann aber doch sehr. Und so spielte ich „ich, du, er, sie, es – gestatten: Einfach wir!“ zwölfmal in Nord- und Südtirol. In den zehn humoristisch-skurrilen Kurzgeschichten in Deinem ersten Buch werden die beiden Kriminalisten Opfer eines Scherzes der Drogenkommission, müssen den Ruf des berühmten Profilers Dr. Thomas Wühler retten, einen im Alpenzoo sein Unwesen treibenden Betrüger entlarven oder im Mini-U-Boot im Inn auf Patrouille gehen. Und das alles in der „Weltstadt“ Innsbruck. Wie entstand die Idee zu „Kommissar Prohaska“? Eines Abends, vor einem Auftritt in Bozen, wartete ich hinter der Bühne. Auf einer wärmenden Gasleitung sitzend und im hinteren Eck eine Ratte beobachtend, kam mir plötzlich die Idee zu der Figur des Wiener Kommissars Prohaska. Ein Wiener Polizist, der nach Innsbruck strafversetzt wird. Fünf Monate später feierte Kommissar Prohaska als Bühnenstück seine Premiere. Das war im August 2008 im Treibhaus in Innsbruck. Meine Wenigkeit arbeitete damals als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller. Das Stück funktionierte sehr gut und so war es naheliegend, einen zweiten Teil zu produzieren, obwohl ich mir damals schon gedacht habe, den Kommissar in einem Kurzgeschichtenbuch auftreten zu lassen. Doch dafür war die Zeit noch nicht reif und darum zog ich vorerst eine Fortsetzung des Bühnenstücks vor. Beide Stücke wurden übrigens in Nordtirol jeweils zehnmal gespielt – danach hatte ich vorerst einmal genug und wollte unbedingt wieder Solokabarett machen. Davor musstest Du aber erst noch irgendwie Deine ­ iplomarbeit dazwischen quetschen? D Ja, bevor es soweit war, stand erst einmal die Diplomarbeit meines Studiums Psychologie im Dezember 2009 an. Neben der Literaturrecherche begann ich, meine permanent aufkommenden Ideen zum Prohaska niederzuschreiben. Anfangs als Abwechslung zur trockenen Diplomarbeit – doch drei Wochen später wechselten

Diplomarbeit und Kurzgeschichtenbuch ihre Rollen. Ein halbes Jahr später war das Kurzgeschichtenbuch fertig – im Gegensatz zur Diplomarbeit.

Mit Deiner Diplomarbeit hättest Du vielleicht auch weniger Erfolg gehabt als mit Deinem Buch, oder? Nun ja - am 30. September 2010 kamen rund 70 Personen in den Alpenzoo. Aber eben nicht, um die Diplomarbeit zu feiern, sondern um der Präsentation meines Buches beizuwohnen. Zusätzlich bin ich ja im Dezember 2010 auch als Solokabarettist mit dem Programm „Abseits der Liebe“ wieder auf die Bühne zurückgekehrt, und nebenbei verkaufte sich das Buch „Kommissar Prohaska: ‚Weltstadt‘ Innsbruck“ in fünf Monaten gleich 500 Mal. Das war für mich als junger Tiroler Autor eine ganz besondere Freude. Deine Karriere als Autor und Kabarettist hatte ja eher einen traurigen Auslöser. Was war Deine Motivation? Der Schritt hin zur künstlerischen Tätigkeit hatte einen ursprünglich traurigen Hintergrund. Im Sommer 2007 fand meine siebenjährige Beziehung ihr schmerzhaftes Ende. Ich fand mich nach dem Aus in einem Loch wieder. Als die erste Trauerphase beendet war, spürte ich so viel Energie in mir, die unbedingt genutzt werden wollte. Ich betone immer wieder gerne: Das, was in mir schlummerte, fand mit einem traurigen Ende einen freudigen Beginn. Was dürfen wir und Deine Fans dieses Jahr noch erwarten? Das Jahr 2011 steht bei mir ganz im Zeichen des Genusses. Ich bin mit meinem Buch und meinem Solokabarett in ganz Tirol unterwegs und darf die Früchte meiner Arbeit einsammeln. Bisher bin ich in der glücklichen Situation, dass sowohl meine Stücke als auch mein Buch sehr gut angekommen sind. Derzeit arbeite ich ja an einer Buchfortsetzung für das Jahr 2012 und daran, den Kommissar eventuell für einen 90-minütigen Spielfilm aufzubereiten. Das sind ja großartige Aussichten! Da wollen wir Dich nicht länger aufhalten und danken für das Gespräch!

Mord und Totschlag - das sind die Aufgabenbereiche der Innsbrucker Mordkommission. Nicht aber des Duos Kommissar Prohaska und Inspektor Maier. Der Wiener und der Tiroler stehen für Chaos, permanente Hassliebe und Belanglosigkeiten. Statt Fälle zu lösen, widmet sich das Duo weltbewegenden Fragen wie: „Was ist gelb und kann nicht schwimmen?“ Daniel Suckert Kommissar Prohaska: „Weltstadt“ Innsbruck 10 humoristisch-skurrile Kurzgeschichten 152 Seiten, broschiert pyjamaguerillerios, 2010 ISBN 978-3950302103

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Kunstdiebstahl

Kunstdiebstahl Der Millionär

als

Auftragsgeber?

Der Millionär geht in den Keller, öffnet den Safe, nimmt ein Gemälde heraus, setzt sich mit einem Glas Wein in seinen schweren Ledersessel und betrachtet eindringlich das Meisterwerk. Eine Szenerie, die wir alle zu kennen glauben. Autor: Mag. Helmut Ortner, Innsbruck

< Suche nach den weggeworfenen Kunstwerken im Rhein-Rhòne Kanal Aus: Aktenzeichen Kunst, DuMont-Verlag, Köln 2004

D

er folgende Text begibt sich anhand einiger Beispielfälle des letzten Jahrhunderts auf eine einführende Spurensuche über Motive für Kunstdiebstähle. Es wird aufgezeigt, dass es den Millionär als Auftraggeber - um seine private Kunstsammlung zu bereichern - kaum gibt. Hinter dem Diebstahl eines Kunstwerkes steht, wie die aufgeklärten Fälle zeigen, fast immer der Versuch einer Erpressung. Ziel dieser sind Privatleute, Museen, Versicherungen und auch Regierungen. Das häufigste Motiv ist simple Geldgier, aber auch aus politischen, sozialen und patriotischen Gründen sowie aus Liebe zur Kunst werden immer wieder Kunstwerke entwendet. Als Inbegriff eines vom Patriotismus getriebenen Kunstdiebes gilt Vincenzo Peruggia, der Italiener, der 1911 zusammen mit den Lancelotti-Brüdern die „Mona Lisa“ aus dem Louvre entwendete. Als Peruggia zwei Jahre später nach einem vergeblichen Erpressungsversuch bei der Bildübergabe an die Direktoren der Uffizien

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verhaftet wurde, gab er sich als Patriot, der einen italienischen Kunstschatz in seine Heimat zurückführte. Seine Berufung auf Patriotismus bescherte ihm in Folge ein äußerst mildes Urteil und eine enorme Symphatiewelle in seiner Heimat. Leonardos Meisterwerk kehrte nach einer kurzen Ausstellungsreise durch Italien wieder in den Louvre zurück. Nicht Patriotismus oder Geldgier,

Peruggias Diebstahl der Mona Lisa

Aus: Louvre, Verlag Könemann, Köln 1999

sondern soziale Gedanken waren die Triebfeder von Kempton Bunton für einen der spektakulärsten Kunstdiebstähle Großbritanniens. Betroffen war Goya`s „Bildnis des Duke of Wellington“, das Portrait jenes Mannes, der Napoleon bei Waterloo geschlagen hatte. Ähnlich wie die Mona Lisa für die Franzosen gilt Wellington‘s Bildnis für die Briten als nationales Heiligtum. Das Verschwin-

Goya, Bildnis des Duke of Wellington

Aus: Ich Goya, Prestel Verlag, München 2004


Kunstdiebstahl

den des Goya löste auf der Insel ein ungeheures mediales Echo aus. Auch die Filmindustrie griff den Fall auf. In „James Bond jagt Doktor No“ bleibt Sean Connery im Versteck des reichen Bösewichtes kurz vor einer Kopie von Goya`s verschwundenem Gemälde verdutzt stehen. Der Mythos des reichen Kunsträubers flimmerte über die Leinwände. Zwischenzeitlich haben unzählige Filme das Bild des reichen, kultivierten Kunstdiebes um seiner selbst Willen in die Welt hinausgetragen. Der 1961 gestohlene „Duke of Wellington“ blieb vier Jahre verschwunden, ehe Kampton Bunton ihn unversehrt zurückgab. Zuvor versuchte er mit Hilfe des Goya mehrmals den britischen Staat dahingehend zu erpressen, armen und hilfsbedürftigen Menschen die seiner Meinung nach viel zu teuren Fernsehgebühren zu erlassen. Ähnlich motiviert war der Diebstahl von Vermeer‘s „Die Gitarrenspielerin“ 1974 in London. Als Austausch forderte der Dieb die Einrichtung eines Fonds, aus dem freie Mahlzeiten für Bedürftige bezahlt werden sollten. Auch diesmal war die Erpressung erfolglos, und der Vermeer kehrte unbeschadet zurück. Anders gelagert ist das Motiv für den ersten von mehreren Kunstdiebstählen in den 1970er Jahren im Russborough House im irischen Blessington, in dem sich die berühmte „Beit Collection“ befindet. Politische Erpressung war der Hintergrund für den Raub mehrerer Bilder. Werke von Rubens, Goya und Jan Vermeer`s „Brief-

Vermeer, Briefschreiberin und Dienstmagd Aus: Vermeer, DuMont-Verlag, Köln 2003

schreiberin und Dienstmagd“ waren unter den Beutestücken. Mit ihrer Hilfe versuchten die Diebe die Freilassung bzw. Verlegung mehrerer inhaftierter IRA-Mitgliedern zu erzwingen. Wie in den meisten Fällen scheiterte auch diese Erpressung und die wertvollen Bildern blieben unversehrt. Dass Kunstdiebstähle zwar sehr oft, aber keineswegs immer glimpflich ausgehen zeigen uns die Einbruchstouren von Stèphane Breitwieser. Der Mann aus dem Elsass gilt als der emsigste Kunstdieb Europas. Über 200 erbeutete Kunstgegenstände hortete er von 1995 bis 2001 in seinem kleinen Haus. Genauer gesagt richtete er sich dort sein privates Kunstmuseum ein und ließ Gemälde sogar neu rahmen. Das Motiv für seine Raubzüge war nicht Geldgier oder Erpressung, sondern besessene Liebe zur Kunst. „Ich brauche die Werke, wie sie mich brauchen“, soll Breitwieser in einem Polizeiverhör gesagt haben. Nach der Inhaftierung des Täters fand der Fall allerdings ein tragisches Ende. Als Breitwiesers bis dahin nichts ahnende Mutter von den Diebstählen ihres Sohnes erfuhr, zerstörte sie in Panik einen Teil der Kunstwerke und versenkte die restlichen in einem Kanal. Etwa die Hälfte aller gestohlenen Werke war verloren. Breitwieser selbst versuchte sich darauf erfolglos das Leben zu nehmen und verfasste einige Zeit später ein Buch über seine Taten und deren Motive. Sein Fall, der Saliera-Diebstahl 2003 in Wien, oder etwa auch der vor einigen Monaten stattgefundene Raub von zwei Beuys Bildern in Frankfurt zeigen, wie unbehelligt Kunstdiebe noch heutzutage agieren können. Fakt ist, dass jährlich Kunstwerke aufgrund mangelnder Sicherheitsmaßnahmen sowohl aus privaten Sammlungen als auch aus den größten Museen der Welt verschwinden. So verhöhnten etwa die Diebe von Edvard Munch`s „Der Schrei“ 1994 aus der Nationalgalerie in Oslo die zuständigen Direktoren, als sie am Tatort nicht nur ihr Werkzeug und die Leiter, sondern auch eine Postkarte mit der Aufschrift „Danke für die gute Alarmsicherung“ zurücklie-

ßen. Weiters ist bemerkenswert, dass der Großteil aller Kunstwerke aus Kostengründen mangelhaft oder gar nicht gegen Diebstahl versichert ist. Dieser Umstand verschärft das ohnehin schwierige Unterfangen, Diebeskunst zu Geld zu machen, da Versicherungen vielfach nicht belangt werden können und somit die Geldquelle für einen Erpressungsversuch entfällt. Das wiederum ist mitunter ein Grund, warum viele Werke irgendwo im Geheimen schlummern und, wenn überhaupt, erst nach langer Zeit wieder auftauchen. Betreff der Motive kann zusammenfassend gesagt werden, dass hinter Kunstdiebstählen fast immer Erpressungsversuche, meist finanzieller, aber auch sozialer, politischer oder patriotischer Natur stehen. Das Motiv „Liebe zur Kunst“ scheint hingegen eher selten, und der Mythos des reichen Auftraggebers, der durch Diebstahl seine private Kunstsammlung erweitern möchte, dürfte im wahrsten Sinne ein Mythos sein.

Anhang:

Im Frühjahr 2011 zeigte Pal Enger, einer der Räuber von Edvard Munch`s „Der Schrei“ (1994) erstmals eigene Bilder in einer Osloer Galerie. Aktuell steht Stephane Breitwieser vor einer erneuten Anklage wegen Kunstdiebstahls, da kürzlich in seiner Wohnung mehrere Kunstwerke unbestimmter Herkunft beschlagnahmt wurden.

Buchtipp „Aktenzeichen Kunst“, Stefan Koldehoff, DuMot-Verlag, Köln 2004 ISBN 978-3-8321-7435-4 Darin begeben sich die Autoren auf die Spuren der spektakulärsten Kunstdiebstähle des letzten Jahrhunderts. Auch die in diesem Text kurz angerissenen Fälle werden darin ausführlich ­durchleuchtet.

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Seher Çakir

Seher Çakir Zitronenkuchen

für die

56. Frau

Test: Oliver Hartwig, Foto: Margit Manul

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ei der Organisation unseres Gesprächstermins meinte Seher Çakir am Telefon: „Mit meinem roten Schal bin ich kaum zu übersehen!“. Als jetzt am Nachmittag eine junge Frau voller Elan das kleine Wiener Kaffeehaus betritt, kann ich das nur schmunzelnd bestätigen. Doch so attraktiv sie ist, wäre sie mir auch ohne diesen aufgefallen. Ich hebe kurz die Hand zum Gruß, schon steuert sie mit dynamischem Schwung auf mich zu. „Nehmen wir doch bitte den großen Tisch, ich brauche Platz!“ Espresso wird bestellt. Ein zweites Briefchen Zucker, bitte. Zügig, zielstrebig, selbstbewußt. Noch während sie sich aus besagtem Schal wickelt und ihn lässig über die Handtasche neben sich wirft, fragt sie: „Ich bin ja gespannt, welche innovativen Fragen Sie vorbereitet haben“. Als routinierte Interview-Partnerin stutzt die erfolgreiche österreichische Autorin bei meiner Antwort: „Gar keine. Plaudern wir einfach drauf los!“. Kennenlernen möchte ich den Mensch hinter den Fakten, die Lebenslauf und

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Wikipedia ausspucken. Die übliche Migrationshintergrund-Ausschlachterei will ich der 1971 in Istanbul geborenen und seit 1983 in Wien lebenden Schriftstellerin ersparen. Schließlich ist es nebensächlich, woher AutorInnen stammen. Viel wichtiger ist, was sie uns zu sagen haben. Wie jeder Künstler, jede Künstlerin, will auch Seher Çakir ihre Ideen weitergeben. „Akzeptiert die Leute so, wie sie sind!“, „Bringt Euren Mitmenschen Respekt entgegen!“, „Jeder Mensch soll gehen können, wohin er will!“. In ihrer Lebenseinstellung begründete Botschaften wie diese verpackt sie in ihre Texte. Eine ihrer Geschichten handelt von einer verheirateten Frau, die sich das Leben nehmen möchte, weil sie ihre Liebe zu einer anderen Frau nicht öffentlich ausleben darf - womit auf die Probleme Homosexueller in der Türkei verwiesen wird. Eine andere Geschichte erzählt von einer jungen Frau, die spontan beschließt, nach Lissabon auszuwandern, was die Fragen aufwirft: „Was bedeutet das für

sie selbst, was für diejenigen, die sie zurück lässt? Kann ein Mensch einfach so, von heute auf morgen, in ein anderes Land gehen?“ „Er kann!“, meint Çakir. Darüber, als Österreicherin jederzeit überall hin reisen zu können, ist sie froh. Würde sie statt dessen in der Türkei leben, wäre dies nicht so einfach möglich. Auch wenn sie in einigen ihrer Erzählungen Bezug auf ihre Herkunft nimmt, reagiert sie allergisch darauf, als „Migranten-Literatin“ abgestempelt zu werden. „What the fuck soll das sein, Migranten-Literatur? Dürfen die nur Migranten lesen? Oder Ethnologen, die sich für Migranten interessieren?“ In ihren Erzählungen geht es um „Leben, Liebe, Philosophie“, wie sie selbst kurz zusammenfasst. Werte, die jeden Menschen betreffen. Den Stoff für ihre Erzählungen liefern ihr also wir Leser selbst. „Literatur ist harte Arbeit“, meint Seher Çakir: „sie zu schreiben genauso, wie sie zu lesen.“ Aber wir sind


Seher Çakir

faul geworden. Leser wie AutorInnen. Vielleicht liegt dies an dem Überangebot an Unterhaltung, an der medialen Überreizung. „Wozu soll ich mir die Mühe machen und mir in meiner Fantasie auszumalen, wie ein Kleid aussieht oder welche Falten es wirft, wenn mir das Fernsehen das doch so mühelos serviert?“ Vielleicht sollten sich AutorInnen auch dem Leserniveau anpassen - à la „Feuchtgebiete“ nur noch „über Schwänze und Muschis“ schreiben, oder sich nur mehr Klischees bedienen: „Nicht ohne meine Tochter, ich wurde von meinem Mann geschlagen, ich bin eine arme arabische Prinzessin,...“? Seher Çakir tut dies nicht. Sie geht mit offenen Augen und Ohren durch das Leben und beobachtet aufmerksam: ihre Umgebung, ihre Mitmenschen und ihr eigenes Denken. Vielleicht ergeben sich aus den Notizen dazu eines Tages neue Geschichten. „Wenn es in Dir drin ist, kommt es von selbst!“ Auf dem Holzweg kann sie damit nicht sein: 2005 erhielt sie mit „Hannas Briefe“ den Exilliteraturpreis. 2007 war sie Preisträgerin des Inzinger Literaturwettbewerbs und schrieb im Rahmen des Wiener Wortstättenstipendiums das Theaterstück „Sevim & Savas oder Liebe und Kampf“. 2008/2009 erhielt sie das österreichische Staatsstipendium für Literatur. Ihr 2009 im Exil Verlag erschienenes Buch „Zitronenkuchen für die 56. Frau“ erhielt die Buchprämie 2009 vom bmukk. Ihre Kurzgeschichten sind in diversen Literaturzeitschriften und österreichischen Tageszeitungen veröffentlicht. Trotz ihrer bisherigen beachtlichen Erfolge befindet sie sich ihrer ­Meinung nach aber noch immer am Anfang des Weges. Ganz kann ich dann doch nicht auf das Thema Migration verzichten. So frage ich abschließend noch nach: „Wie war das damals eigentlich für Dich als 12-jähriges Mädchen, nach Wien zu kommen - in eine fremde Stadt in einem fremden Land?“ In der Türkei hätten ihre Eltern schon lange keine Zukunft mehr gesehen und seien deshalb immer wieder umgezogen. Wien sei also im Grunde nur

eine weitere neue Stadt gewesen. Anders als Istanbul - leise, steriler, und weniger Kinder auf der Straße. Dank der Nachbarskinder im neuen Zuhause habe sie privat aber dennoch schnell Anschluß gefunden. In der Schule sei es aber umso schwieriger geworden, je besser sie die deutsche Sprache verstanden und damit mehr und mehr die fremdenfeindlichen Aussagen mitbekommen habe. Die deutsche Sprache hat sie übrigens von Anfang an interessiert. So hat sie ihre Tagebücher in Österreich von Beginn an auf Deutsch geschrieben. Zu jedem neuen Wort machte sie sich Notizen, weil sie die Sprache beherrschen lernen wollte. Jedes Buch, das sie in die Hände bekam, verschlang sie, auch wenn sie zunächst kaum die Hälfte des Geschriebenen verstehen konnte. Besonders beeindruckt war sie damals von dem Buch „Ülkü, das fremde Mädchen“ von Renate Welsch. In manchen Dingen konnte sie sich in der Heldin dieser 1973 bei Jugend und Volk erschienen Zuwanderer-Geschichte wiedererkennen. Die Suche ihrer Eltern nach Zukunftsperspektiven hat sie auch zum Schreiben gebracht. Während eines langen Australien-Aufenthaltes ließen ihre Eltern die Kinder bei der Großmutter zurück. In dieser Zeit hat Seher Çakir ihrer kleinen Schwester täglich selbst erfundene „Gute-Nacht-“ und „Guten-Morgen-Geschichten“ erzählt. Dieses Erzählen sei, wie später das Schreiben, eine tröstende Zuflucht gewesen. Eine Möglichkeit, sich eine bessere Welt zu machen. Eine freie Welt, ohne geografische Grenzen. Die sind nämlich „...Scheiße, Nonsens, wider die Natur...“

Seher Çakir geboren in Istanbul, aufgewachsen in Wien, erhielt 2008/2009 das österreichische Staatsstipendium für Literatur. Ihre Kurzgeschichten sind in diversen Literaturzeitschriften und österreichischen Tageszeitungen veröffentlicht. Sie lebt in Alsergrund, Wien.

Publikationen 1999- ∞ Mitbegründerin/ Mitarbeiterin d. zweisprachigen Zeitung „Öneri“ 1999 Kurzgeschichte i.d. Anthologie “Die Fremde in mir“ Verlag Hermagoras/Mohorjeva 2002 Kurzgeschichten i.d. Anthologie „Eure Sprache ist nicht meine Sprache“ Verlag Milena 2003 Gedicht in der Reihe „Ausgewählte Werke VI“ v.d. Nationalbibliothek des Deutschsprachigen Gedichtes herausgegeben 2004 Gedichtband „Mittwochgedichte“ Hans Schiler Verlag, Berlin 2004 Gedichte i.d. Anthologie „Heim.at“ Eye Verlag, Tirol 2005 Veröffentlichung der Kurzgeschichte in der Anthologie “Wortstürmer”, Verlag Exil, Wien 2006 Medienbildung in der Migrationsgesellschaft (Kurzgeschichte & Gedichte), Herausgeber:GMK 2008 Anthologie “Andernworts” Skarabäus Verlag, Kurzgeschichte: Vertraut nie einer Frau

Seher Çakir „1001 Zitronenkuchen“ 20. Mai 2011, 20:00 Uhr verbale forum, Innsbruck

2009 Anthologie: “Risse im Beton – das Beste aus dem MDR-Literaturwettbewerb” Kurzgeschichte: Der Tipp des Arztes.

Lesung aus „Zitronenkuchen für die 56. Frau“ und ihrem noch unveröffentlichten neuen Roman.

2009 Kurzgeschichtenband: Zitronenkuchen für die 56. Frau

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Werner F. Richter

Im Bauch

des

Wals - Rot

Öl-Acryl-Mischtechnik, 150x100cm, 2010

TranceFormationen Werner F. Richter

Um es gleich vorweg zu nehmen: es geht hier nicht um drogenunterstütze Trance-Zustände und auch nicht um die gleichnamige Musikrichtung. Unter einer Trance (lat. transire: hinübergehen, überschreiten) versteht man einen schlafähnlichen oder auch einen höchst konzentrierten Bewusstseinszustand, bei dem man intensiv mit einer Thematik beschäftigt ist. Text: Goerg Rainalter

W

ERNER F. RICHTER bezeichnet das Gefühl - die Umwandlung seiner Kreativität in Kunst - als Trance. Meist malt er in der Nacht: dann, wenn die Ruhe auf Schloss Melans einkehrt, und die ständigen Interaktionsprozesse eines Menschen, die von dem Philosophen und Sozialpsychologen George Herbert Mead als das „I, Me and Self“ beschrieben werden, in der Stille zu einem einzigen Ich werden. Oft hört der Künstler dann über Kopfhörer tibetisches Mantra oder „ganz normale“ Musikstücke. Er beginnt, ohne einen vorher festgelegten Plan, lässt „Es“ beginnen mit irgendwelchen Linien, die der Bleistift zieht. Formen entstehen - und damit kommt die Bedeutung des Wortes „Trance“ zur Geltung: das „Reinkommen in diesen Akt der Verwirklichung, sich mit dem Bild verbinden, in das Bild hineinkommen.“ „Es“ verdichtet mehr und mehr. Ob er mit Kreide, Wasserfarben oder Acryl malt, ist ihm dabei nicht wichtig. „Ich staune oft selber, was dabei herauskommt.“ sagt RICHTER, „Es passieren natürlich die üblichen Dinge - von zehn Bildern bleiben zwei über, die ich für ausstellungswürdig empfinde.“ So kann es passieren, dass bestehende Bilder übermalt, zerschnitten, zerstört, oder einfach andere Dinge daraus gemacht werden.

Trance Trace

Öl- Acryl - Mischtechnik, 150x100cm, 2011

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Werner F. Richter

Im Bauch

des

Wals - Blau

Öl-Acryl-Mischtechnik, 150x100cm, 2010

Seit nunmehr zwei Jahren ist der Künstler in einer ausschliesslich „malenden“ Phase, und versteht seine Kunst als Prozess und kompromissloses Tun. Das Wirken und Schaffen von WERNER F. RICHTER ist ein Prozesshaftes, ein nie wirklich Fertigwerdendes. Den Punkt, an dem etwas beendet ist, gibt es für ihn nicht: „Meiner Meinung nach ist alles im Leben ein Prozess, von der Geburt bis zum Tod, und nach dem Tod geht’s weiter - da fängt der Prozess dann von vorne an. Wir werden es alle erleben, da wir sterbliche Wesen sind, und das Leben ist ja schlussendlich lebensgefährlich.“ Das sind die Themen, die RICHTER schon seit langer Zeit intensiv beschäftigen, nicht zuletzt wegen gewisser Krankheiten, die ihn in der Vergangenheit geplagt haben. Damals erkannte er diese als Chance, die ihn auf die wesentlichen Dinge im Leben hinwiesen: „Es ist keine Zeit vorhanden für oberflächliches Gesäusel, für ­Konsumidiotie. Keine Zeit für ständiges Zuschütten durch irgendwelche Sachen wie Computer oder Alkohol, was auch immer. Ich bin kein Verächter, bin ein Genussmensch, aber wenn ich heute in Innsbruck in ein Kaufhaus gehe, dann sehe ich da keinerlei Genuss, sondern Frust, und das will ich mir ersparen. Ich hole mir meine Kraft in der Natur, man braucht ja nur rauszugehen. Man muss die Wahrnehmung schulen, das haben wir ja alle verlernt. Wir sehen keine Blumen oder Vögel mehr, wir sehen nicht mehr, in was für einer wunderschönen Welt wir leben, die ja im Moment gerade wieder massiv zerstört wird, siehe Japan. Die Natur ist Kunst, man braucht sich nur einen Berg anschauen, einen Baum oder Gras, einen guten Freund, meine Frau, oder wenn ich zufällig mal in einen Spiegel schaue, mich selber.“ Das sind Sätze eines Künstlers, der schon lange über die egoistische Mauer des Schaffens geklettert ist und hinter den Tiroler Bergen die Welt erkannt hat. Mit seinem Schaffen bezieht WERNER F. RICHTER Stellung und fordert dies auch von allen anderen Künstlern. Seine Überzeugung - „wenn Kunst keine Stellung mehr bezieht, ist die Welt endgültig am Ende“ - lässt einen dann auch in einer stillen Minute nachdenken und am Ende die Wahrheit in diesem Satz erkennen. Mit Kunst kann man etwas bewegen, sie ist die Essenz einer Gesellschaft. In früheren Zeiten war Kunst eine religiöse Kulthandlung, die wie die Höhlenmalereien einen Stamm definiert haben, oder sonstige, meist von Schamanismus beeinflusste Strukturen. „Kunst hat es immer schon gegeben, und wird es immer geben. Es darf nur nicht abdriften in Behübschungskunst, in Kunst für die Seitenblicke, für die High Society, da mache ich nicht mit, da muss man aufpassen.“

Strandgut

Öl- Acryl - Mischtechnik, 150x100cm, 2011

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Werner Richter Trance-Formation, テ僕-Acryl Mischtechnik, 150x100cm, 2010



Werner F. Richter

schaft nicht mehr selbstverständlich. Jeder jagt irgendetwas hinterher, keiner weiss, wo er sein Glück findet. Schon damals, genau wie heute, waren wir damit nicht einverstanden. Die Mechanismen des Turbokapitalismus sind im Grunde einfach tödlich für Menschen. Die Kreativität ist ein Weg mit Würde heraus. Kreativität in allen Gebieten. Ein Strassenkehrer, oder besser Strassenpfleger, der seine Arbeit mit einer gewissen Ausstrahlung, einer Gelassenheit macht, der ist ein wahrer Künstler.“

Z

um Interview wurde ich von WERNER F. RICHTER und seiner Frau Gerlinde an seine Wirkungsstätte, nach Schloss Melans, eingeladen. Dieses liegt bei Absam auf einem kleinen Hügel, „einer übergebliebenen Insel, die es in ihrer Ruhe und Natürlichkeit so nirgendwo mehr gibt im Unterinntal“. Der Empfang ist herzlich, und wenn man das Atelier betritt, ergreift einen sofort die Ernsthaftigkeit, mit der hier Kunst gemacht wird. Es ist die Atmosphäre, die einen sofort einfängt, und bei einem Kaffee fängt RICHTER an, aus seinem ereignisreichen Leben zu erzählen: wie er schon als kleines Kind sehr gerne gezeichnet und gemalt hat. Oder dass er dann als Jugendlicher gegenüber allem und jedem gestreikt hat, auch gegen die Kunst. Und doch beginnt er eine Ausbildung in einem kreativen Beruf: er besucht die Glasfachschule, und lernt damit Grafik und Malerei. Dort entsteht der Entschluss, sein Leben mit einer kreativen Arbeit zu verbringen. Es kreuzen sich zu dieser Zeit auch die Wege mit Gerlinde, die zur damaligen Zeit Botanik studiert, ebenfalls ein sehr kreativer Mensch und eine Künstlerin. Sie wird später seine Frau. Er beschliesst, zu lernen, was zu lernen ist, und besucht die Freie Akademie in Innsbruck bei Bildhauer Günther Blaas. Dieser wird für die Ausprägung seines Talents sehr wichtig - vor allem lernt er bei ihm,

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Glasfenster und Glasobjekte zu gestalten. Werner und Gerlinde schliessen sich wenig später einer Künstlergruppe an und emigrieren für einige Jahre nach Südfrankreich - in die Gegend um Avignon und in die Provence. Sie leben vom Handel mit ihren Artefakten, kleinen Arbeiten, die sie auf Kunstmärkten verkaufen. Sie knüpfen mit Menschen aus aller Welt Kontakte und lernen in dieser Zeit nach eigener Aussage sehr viel: „Man lernt das Künstlerische nicht durch technische Weiterentwicklung, sondern in dem man lebt.“ Diese Erkenntnis zieht sich durch das Schaffen des Künstlers bis heute: „Man muss leben, gut leben lernen, denn das ist in der heutigen Gesell-

WERNER RICHTER spürt, dass es immer um das Selbe geht, ob in der Malerei, der Bildhauerei, oder bei kleinen Kunst-Objekten: es geht darum, sich als Teil des Ganzen zu sehen. Diese Erkenntnis sieht er als sehr wichtig in der von Egomanen überschwemmten Kunstszene an. Es ist ein Fehler, wenn man die Kreativität einzig auf sich selber bezieht, diese nur sich selbst zugesteht: „Wenn jemand kommt und mir mein Bild erklärt, was ich selbst ganz anders sehe, oder wenn ein Bild jemandem überhaupt nicht passt, und wir kommen darüber ins Gespräch, dann ist mir das wichtig, dann ist das gut. Schlecht ist nur, wenn man ignoriert wird.“ Anfang der 70er Jahre gründen WERNER F. RICHTER und seine Frau zusammen mit bis zu zwanzig Künstlern einen „Zwischenraum für holofaktische Gestaltung“ in der Lerchen-


Werner F. Richter

feldgasse in Wien. Dort organisieren sie Ausstellungen, feiern viele Feste (auch Feste feiern ist eine Kunst!) und organisieren Musikveranstaltungen. Sie erschliessen neue Kreise. Später eröffnet das Paar einen neuen Raum in Innsbruck und beschließt, diesen „Zwischenraum für interaktives Handeln“ zu nennen. Die Menschen, die in diesem Zwischenraum Ausstellungen besuchten, wurden ein Teil derselben, konnten mitgestalten oder mitreden. Auch gab es dort Projekte, bei denen die Kunstwerke durch die Besucher verändert werden konnten. „Es war manchmal auch sehr humorvoll, was auch sehr wichtig ist. Man muss sich selbst nicht immer so ernst nehmen, auch wenn man ein ernsthaftes Anliegen hat.“ Dann passiert etwas, das WERNER F. RICHTER als ein zutiefst einschneidendes, positives Ereignis bezeichnet: es kommen zwei Söhne auf die Welt. Die bis dahin durchgeführten Reisen werden eingestellt, und Familie Richter lässt sich auf Schloss Melans nieder, wiederum zusammen mit einer Gruppe von Künstlern. Sie ziehen ins Gesindehaus - „wo die Hofnarren ja schon immer gewohnt haben“ - und die beiden Söhne wachsen umgeben von schönster Natur zusammen mit sieben anderen Kindern sehr behütet auf. Heute sind sie erwachsen, und, wie könnte es bei derart kreativen Eltern auch anders sein, ebenfalls als Künstler oder in künstlerischem Schaffen tätig. Es

besteht ein sehr inniges Verhältnis, nicht nur auf der persönlichen Ebene, sondern eben auch im künstlerischen Austausch: „Wir machen sehr viel Dinge, aus denen wir von unseren Kindern lernen können. Die Kraft und Frische ist gut.“ Die anderen Mitglieder dieser Künstlergruppe sind inzwischen weggezogen, und RICHTER bezeichnet sich als letzter Mohikaner; er hält auf Schloss Melans die Stellung: „Weil wir das Gefühl haben, gewisse Aufgaben sind hier noch zu erfüllen, und es wird die Zeit kommen, dann werden wir uns verabschieden, und nicht mehr zurückschauen, sondern nur mehr vorwärts. Ich kann überall wohnen, aber im Moment ist hier der richtige Platz.“ Und so veranstalten WERNER F. RICHTER und seine Frau, Gerlinde Richter-Mühlmann, weiterhin ihre Symposien, welche sie in der Natur, an Orten des sozialen Lebens oder anderen Orten abhalten. Dabei geht es den beiden um ein einlassen auf den jeweiligen Ort, oder besser gesagt um eine Antwort auf die Örtlichkeit. Ob das nun in Imst im sogenannten „Bergl“ in der Rosengartenschlucht mit dem Thema von „innen nach aussen“ war, oder im „Haus der Begegnung“, wo mit behinderten Künstlern zusammengearbeitet wurde unter der Überschrift „ungehindert frei“, oder ob sie heuer im September den „Münzerturm“ in Hall mit einer Gruppe von Künstlern „von unten nach oben“ bespielen, immer

steht auf ihren Fahnen die künstlerische Auseinandersetzung mit wichtigen Themen wie Umweltschutz, Integration oder das Zusammenleben aller Menschen auf der Welt. Seinen Antrieb ist dem Künstler eine Entwicklungsgeschichte, an deren Anfang der Entschluss steht, sein eigenes Ding zu machen, seine eigene Kunst. Es ist ein lebenslanger Kampf, der meist sehr schwierig war: „Wir haben immer auf der Kippe gelebt, auf des Messers Schneide“. Doch die Liebe zur Kunst, die Faszination am kreativen Prozess ist derart gross, dass das Paar sein ganzes Leben danach ausrichtet. WERNER RICHTER ist ein kritischer Künstler, der es schafft, seine manchmal unbequemen Wahrheiten durch eine gewisse Ruhe umso eindringlicher und glaubhafter an den/die Mann/Frau zu bringen. Wer ihn einmal sein spitzbübisches Lächeln hat lächenln gesehen, versteht die Ernsthaftigkeit in seinem Tun.

Formationen - Offenes Atelier 21. Mai 2011, ab 17:00 Uhr WG Richter, Melans 3 (Schloss Melans), 6067 Absam Telefonische Anmeldung unter: +43 (0)664 73883057

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Bekannte Meister - unbekannte Meisterwerke

Edvard Munch „Pubertät“

© Bild aus: Edvard Munch, taschen Verlag Köln, 1999

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Bekannte Meister - unbekannte Meisterwerke

Bekannte Meister unbekannte Meisterwerke „Pubertät“

von

Edvard Munch

Autor: Mag. Helmut Ortner, Innsbruck

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enn man den Namen Edvard Munch hört, denkt man unweigerlich an Der Schrei, ein bahnbrechendes Werk für die moderne Kunst. Solche eng mit einem Künstler verknüpften Arbeiten lassen uns vielfach vergessen, welche weiteren großartigen Bilder aus ihrer Hand stammen. Eines jener unbekannten Meisterwerke ist Pubertät vom großen norwegischen Maler Edvard Munch. Das 151,5 x 110 cm große Bild, gemalt 1894 in Öl auf Leinwand befindet sich heute in der „Nasjonalgalleriet Oslo“. Gezeigt wird ein junges Mädchen, das aufrecht auf einem beidseitig vom Bildrand abgeschnittenen Bett sitzt. Munch`s Verständnis von Malerei entsprechend, lenkt keine komplizierte Komposition, kein überflüssiges Detail vom Bildzentrum ab. Alles konzentriert sich auf das Mädchen. Die Beine zusammengepresst, den Genitalbereich mit ihren gekreuzten Händen verdeckend, starrt sie den Bild-Betrachter mit weit aufgerissenen Augen an. Auf den ersten Blick

scheint es sich um eine einfache Aktdarstellung eines verschüchterten Mädchens zu handeln. Bei genauerer Betrachtung erkennt man allerdings Munch`s Absicht. Gemalt ist die greifbare Unsicherheit über die stattfindende Veränderung eines jungen Körpers und die damit verbundene Angst vor einer ungewissen Zukunft als erwachsener Mensch. Bei der Wandlung zur Frau, der Abkehr vom Kind-Sein, übernimmt die Angstkomponente die tragende Rolle. In seiner Auffassung von Sexualität befand sich Munch im Spannungsfeld zwischen einer von seinem Elternhaus praktizierten strengen Sexualmoral und einem für jene Zeit äußerst freizügigen Umgang mit den menschlichen Trieben, proklamiert von mehreren befreundeten Künstlern und Literaten. Die daraus resultierende Unsicherheit, sowie enttäuschende erste Liebeserfahrungen belasteten Munch`s Sicht von der Liebe. Dementsprechend suggeriert der nackte weibliche Körper in Pubertät nur sekundär das Gefühl von Lust, primär strahlt er Unsicher-

heit und Schmerz aus. Verstärkt wird dieser Zustand durch den rechts von dem Mädchen emporsteigenden Schatten, der für sich etwas Eigenständiges an sich hat. Die verlorengegangene Erstfassung dieses Bildthemas malte Munch mit 22 Jahren. Geprägt von frühen Todesfällen und Krankheiten in der Familie sinnierte der Künstler in seinen schriftlichen Aufzeichnungen über den Körperschatten als etwas Erschreckendes und Bedrohliches. In diesem Sinne erscheint hier der mächtige Schatten als eine düstere Vorausschau auf kommende Ereignisse. Ein innerer Zustand, den der junge Maler nur all zu gut kannte. Daher scheint es nicht verwunderlich, wenn einem beim Betrachten von Pubertät unweigerlich das Gefühl überkommt, dass Munch hier seine eigene Angst vor dem Leben gemalt hat. … und übrigens, wer von uns kennt nicht die in diesem Bild festgehaltene innere Anspannung aus eigener Erfahrung?

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Peter Huber

Peter Huber - ein „Unentdeckter“ Meine Theater-

und

Literatur-Freundschaft

Reinhard Auer, Theaterregisseur, Freies Theater Bozen

P

eter Huber ist ja eigentlich ein Spätberufener. Seit er als 18jähriger vom Berg fiel und seither querschnittsgelähmt auf Krücken geht, beschäftigt er sich mit Literatur. Aber zu schreiben hat er erst mit 30 begonnen. Poeme zuerst, später auch Theaterstücke. Kennengelernt habe ich ihn als Zuschauer meiner Theater-Inszenierungen in Bozen. Er fiel mir als regelmäßiger Besucher auf. Eines Tages sprach ich ihn an und war erstaunt über seine theatralische Bildung - di er sich ja als Autodidakt und fleißiger Theatergeher angeeignet haben muss, im Lande der Kunst-Ignoranten und Dilettanten. Erst nach und nach erfuhr ich, dass er auch schreibt (er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits in Chile publiziert). Fast hätte er es mir verschwiegen... Das erste Theaterstück von ihm, das ich als Zuschauer sah, war „Alle Hirsche sollen Geweihe tragen“, aufgeführt 1999 in der Bozner Carambolage. Es war für mich eine Art Kabarett-Revue, unzureichend

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präsentiert, aber mit Texten voll kauzigem Humor und kasuistischer Argumentation, also so etwas wie ein „Sophistical“. Das hat mich für ihn eingenommen, sodass er mich mehr zu interessieren begann. Er hat mir dann auch seine Stücke zu lesen gegeben: „Oberleutnant Apfelbaum“, „Tam-Tam eines betrunkenen Flohs“ oder „Posthumer Dienst an einer blauen Kuh“. Sie schienen mir in der Nachfolge der Skurrilitäten eines Schwitters oder Scheerbarts zu stehen, geistreiche dramatische Fingerübungen allemal, aber mir als an Bertolt Brecht und Heiner Müller geübtem Dramaturgen nicht „kräftig und explosiv“ genug. 2001 gab ich ihm den Tipp zu einem - wie mir schien - großen, dramatischen Stoff: „Bozner Gold“, basierend auf der Geschichte des Goldfundes bei einem Autounfall nahe Bozen im Jahre 1945. Peter Huber schrieb ein groß angelegtes Stück mit über 15 Personen, überbordend an Ideen, Anspielungen und Handlungsebenen. Alles hat er da reingepackt: seine Lie-


Peter Huber

PETER HUBER Jahrgang 1963, aus Lana bei Meran, wo er auch lebt, arbeitet als Hilfsschreiber am Landesgericht Bozen. Ist der zur Zeit aktivste Südtiroler Dramatiker, schreibt seit 1991, zuerst Poeme (Publikationen in Bozen und Santiago de Chile, wo er jeden Winter verbringt), seit 1998 erste Theaterstücke (zumeist unveröffentlichte Manuskripte). Wichtigste Arbeiten: Alle Hirsche sollen Geweihe tragen (UA 1999, Carambolage Bozen), Tam-Tam eines betrunkenen Flohs (2002), Tagebuch eines Kindes mit dem Namen Schwein (UA 2003, Galerie Lungomare Bozen), Oberleutant Apfelbaum (2004), Maul und Bernhard (UA 2005, Carambolage Bozen; ins engl. übersetzt unter dem Titel: The domestic life of Ms. Discrecent), Hoffer (UA 2009, Braunsbergbühne Lana, Preisträger beim Schreibwettbewerb des Südtiroler Theaterverbands), Canto 41 für Bert Brecht (2009), Georgij Sviri nun Witwer (UA 2010, Braunsbergbühne Lana). Peter Huber I-39100 Lana, Zollstr.8 Tel.: 0039-338-7412990 www.perituro.com

be zu Fernando Pessoa, das Schicksal Walter Benjamins, die Wut auf die Südtiroler Alt-Nazis, Schweizer Bankdirektoren und die ewigen Kriegsgewinnler und eine Eloge auf Fidelia (die „unbekannte Frau“, so wie ein unbekannter Soldat). Ein Monstrum von einem Stück, ein unspielbarer dramatischer Bastard. Ich begriff: meine Zusammenarbeit mit ihm musste ich in kleinen und langsamen Schritten angehen. 2003 ergab sich dazu eine Gelegenheit. Er hatte einen Text geschrieben: „Tagebuch eines Kindes mit dem Namen Schwein“, eigentlich ein Monodrama, also ein Stück für einen einzigen Schauspieler. Der Text wurde vorgetragen, von ihm selbst, in der Bozner Galerie Lungomare – und wurde ein voller Erfolg. Wiederholungen gab es dann noch in Meran, beim Emergency-Fest und im Centro Culturale, auf Deutsch und in italienischer Übersetzung. Ich las dabei das deutsche „Schwein2 – und unterhielt mich und die anderen glänzend. 2006 sah ich dann sein - in meinen Augen - bisher bestes Werk: „Maul und Bernhard“, die Geschichte einer verstörten und vereinsamten Ehefrau, ein „Spielwerk“ (eigentlich) für eine einzige Schauspielerin. Alpiner ­Existenzialismus mit einem Schuss Strindberg. Ich habe es ins Englische übersetzen lassen und suche nun nach einer Möglichkeit, es international zu präsentieren. Ich versuche, ihn auch ständig zu „verführen“, also zum Schreiben zu ermuntern und zu ermutigen. So habe ich

ihn überredet, am Schreibwettbewerb des Südtiroler Theaterverbands anlässlich des Hofer-Gedenkjahrs 2009 teilzunehmen. Das tat er mit durchschlagendem Erfolg. Sein Stück „Hoffer“, ebenfalls ein Monodrama, gewann den 2.Preis (der erste blieb wohl nur verwehrt, weil es ein „kleines Stück“ war und wohl nicht repräsentativ genug fürs „Große Jubiläum“!). Als Revanche „musste“ ich es dann inszenieren. Da staunten seine Südtiroler Landsleute nicht schlecht, als ich zusammen mit dem Münchner Schauspieler Klaus-Peter Bülz den „Verfolgungswahn“ eines eine Andreas Hofer-Biografie-schreibenden Südtiroler Journalisten auf die Bretter hievte. Natürlich war es ein Skandal! Es flogen die Türen, es gab Zwischenrufe und (Droh-)Anrufe, und einmal flug sogar ein Stuhl, vom Zuschauerraum aus auf die Bühne geworfen. Klar, wenn die Trinität aus Alkohol, Hitler-Bild und Makarov-Pistole besteht... Vorigen Herbst sah ich sein bisher letztes Stück, „Georgij Sviri jetzt Witwer“ in seinem Heimatort Lana, aufgeführt von Laien. Ein kleines an Tschechow erinnerndes LustTrauer-Spiel, eine verschenkte Perle. Das ist ja seine Crux, es gibt kein Theater, das ihn spielen kann (Südtirol hat zwar eine Monsterbühne, aber kein Profi-Ensemble dazu!). Und so muss Peter Huber weiter warten. Vielleicht geschieht in Südtirol doch noch ein Theaterwunder, irgendwann einmal, und wenn er bis dahin nicht gestorben ist...

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Love Goat

Love Goat Stoner Rock

in

Eigenregie Text: Georg Rainalter

E

ndlose Fahrten nach München oder Wien, kaum ist das Konzert vorbei, das Selbe wieder zurück. Und einer ist immer der Blöde: er muss nämlich zurückfahren, und kann daher das besuchte Konzert nur in abgespeckter, soll heissen, in nüchterner Zuständigkeit geniessen. Wer, der ebenfalls aus dem Desert kommt, kennt dies nicht selbst zur Genüge. Was tun ist des Konzertbesuchers Frage, und die ist vor allem eine, die den fahrenden Exemplaren dieser Gattung auf der Seele (oder der unterversorgten Leber) liegt. Man gründet einen Verein, und veranstaltet einfach die Konzerte mit den geliebten Bands selbst,in der eigenen Stadt. In diesem Fall in Innsbruck. Love Goat. Ja, der Verein heisst in der Übersetzung wirklich „Liebe Ziege“. Man mag über den Namen nachdenken bis - wie lange weiss ich nicht -, es wird in rein philosophischen Sinn-Zusammenhängen enden. Die zwischen vier, den seinerzeitigen

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Gründern, und in der Vergangenheit bis zu neun Mitgliedern schwankende Zahl an Innsbruckern, die sich 2006 als Verein zusammengeschlossen haben, hatten eines gemeinsam: die Liebe zu der Musikrichtung Stoner Metal. Entstanden Anfang bis Mitte der 1990er Jahren, gilt für diese Stilrichtung der Bluesrock als Basis, tiefgestimmte Gitarren, die teilweise durch Bassverstärker gespielt werden, scheppernde Drums, entrückte bis rockige Vocals, stark ausgeprägter Groove und ein allgemein sehr basslastiger Sound. Dieser erinnert an die härteren der PsychedelicRock-Bands der späten 1960er und frühen 1970er Jahre, die für viele Stonerbands als Quelle der Inspiration dienen. Damit fing es an, solche Bands wollten die Jungs nach Innsbruck holen, und das haben sie auch gemacht. Und zwar in beeindruckender Qualität. Inzwischen sind schon absolute Grössen dieses treibenden Sounds


Love Goat

in Innsbruck gewesen, allen voran die deutsche Gruppe Colour Haze oder Crowbar aus Louisiana, USA. Es wurden über die Jahre schon einige legendäre Abende in der PMK gefeiert, ohne die das Ganze überhaupt nicht funktionieren würde. By the way, pmk: wenn wir uns schon einmal so nett in einem Artikel treffen, grossen Respekt und Anerkennung von bescheidener Seite, sie sind doch da: die Signalfeuer. Es gibt ja nun einige „Veranstaltungszentren“ in Innsbruck, aber der entscheidende Unterschied liegt darin, dass diese ja alle mehr oder weniger am Gewinn orientiert sind. Schaut man aber ein bisschen tiefer, in die

„freie“ Musikszene, in den „underground“, dann gibt es dafür einfach viel zu wenig Örtlich- und Möglichkeiten. Den Jungs von LOVE GOAT geht es einfach schlicht und ergreifend darum, für preiswerte Eintrittskarten heisse Bands nach Innsbruck zu lotsen, und eine tolle Party mit sehr guter Musik zu feiern. Sollte nach einer Veranstaltung wider Erwarten ein bisschen Geld überbleiben (soll es in heutigen Zeiten auch noch geben), dann kommt dieses in die Vereinskasse, und es können wieder auch etwas teurere Konzertabende durchgeführt werden. Ansonsten wird vom Booking über die Flyer-Art bis hin zur

Werbung alles selbst gemacht. Und die Musiker selbst wollen gehegt und gepflegt, zumindest aber betreut sein. Das Davor ist sehr viel Arbeit, aber wie mir einer der Jungs gesagt hat: „Wenn man eine „Arbeit“ gerne macht, ist es ja schon keine mehr!“ Wahrscheinlich ist das dann auch einer der Gründe, warum der Verein es immer wieder schafft, mit kleinem Budget wirklich tolle Musik-Acts nach Innsbruck zu locken: das familiäre Drumherum! So wird für die Künstler sogar eigens gekocht. Die Bands wiederum lieben es, in einem kleineren Rahmen (100-150 Geniesser), in einer intimeren Atmosphäre, nach dem Konzert noch die Möglichkeit zu haben, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Die LOVE GOAT People sind alle selbst musikalisch, es ist angefangen bei DJs, Plattensammler und anderen Musikern alles vertreten bei den liebestollen Ziegen, und damit verwundert es auch nicht, dass nicht nur Stoner Rock veranstaltet wird, sondern in naher Zukunft das Spektrum grösser und weiter wird. Dubstep- und HipHop Formationen sollen zukünftig nach Innsbruck eingeladen werden. Das beginnt am 03. Juni 2011 gleich einmal mit einem Konzert der deutschen DubStep Band Braintheft aus Berlin. Davor, am 13. Mai, geben sich die Jungs von Keelhoul die Ehre; eine US-amerikanische Stoner Rock Band aus Cleveland, zusammen mit der Innsbrucker Formation Bug. Für alle weiteren Infos lohnt es sich jedenfalls die Homepage des Vereins www.wix.com/lovegoat/666 zu klicken, denn wo LOVE GOAT draufsteht, und das Ende 666 heisst, kann nur gute Musik geboten sein. So bleibt den LOVE GOAT-Jungs zu wünschen, dass sie ihre Motivation nicht verlieren, und uns noch viele Konzerte der anderen Art schenken.

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Andrea Steinlechner

Andrea Steinlechner Medea

im

Fünf-Sterne De-Luxe-KZ

Essay von Egon A. Prantl

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enn dann im Heute Medea durch diese potemkinschen vollklimatisierten Nobelbaracken in den Vierte-Welt-Ländern, mit blutverschmierten Beil des Nachts bei den volltrunkenen und ach so glücklichen Konsumenten ihre Runden macht, ist Hamlet längst eine Komödie, von Ödipus will ich gar nicht reden.

D

ie erste Begegnung mit der Kunst von Andrea Steinlechner mache ich, als sie mir einen Packen Manuskripte gibt, um mir die Geschichte anzuschauen – und es handle sich dabei, wie sie sagt, um den Entwurf eines Romans „in Form eines Tagebuchs“, betreffend ihre Flucht aus der Zivilsation in die Wildnis. Ich bin fasziniert von der Idee und von ihrem Mut, all das zu sagen - sich zu offenbaren, der Welt ihre Lügen um die Ohren zu schlagen. Was mich diese Arbeit besonders genau lesen lässt, ist das wirklich ungeheuere Potential an Können. Da steckt in dem Entwurf schon so massig Talent - das kann man nicht lernen. Wir treffen uns öfter und führen lange Gespräche über die Motivation, Haus und Herd zu verlassen, eine praktisch gesicherte Existenz aufzugeben, den Schritt zu tun in die Wildnis - was Mut erfordert, die Menge!! – und Erkenntnis voraussetzt. Eine Erkenntnis, welche sich auf die Philosophie von Frau Steinlechner gründete, deren Fundament die LIEBE ist/war. In vielen irre langen Diskussionen konnte ich Frau Steinlechner davon überzeugen, dass LIEBE nichts als ein

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Wort ist. Diese - ihre - Philosophie aber, aufgebaut auf die Liebe, von der sie anfänglich dachte, sie sei der Grund für den Bruch mit der Welt der glücklichen Konsumenten, ist der Grund, dass sie zu der Frau, der Künstlerin wurde, die sie heute ist. Wenngleich damals schon, in diesem ersten Entwurf, nicht die Liebe sondern vielmehr die Begierde das Hauptmerkmal des Textes ist - der dann in ein Theaterstück umgearbeitet („13x3“) an den Kammerspielen unter der Regie von Klaus Rohrmoser uraufgeführt wurde. In unseren Gesprächen ging es immer darum, die Liebe auszublenden und Frau Steinlechner zur Erkenntnis zu bewegen, dass nicht Liebe, sondern allein die Begiere Berge versetzt. Ich meine, als Adam und Eva vom Baume der Erkenntnis essen, fallen sie sich auch nicht um den Hals und sagen „Ich liebe dich“. Nein, er sieht, er erkennt: eine wunderschöne, sinnliche Frau, und es zieht ihm einen Steifen auf! Na, denkt sich die Eva, so was von einem geilen Schwanz - und sie ficken. Aus Lust. Die Konsequenz der Bestrafung durch den eifersüchtigen Gott ist ihnen egal. Begierde. Millionen mal am Tag wird es gesagt: ICH LIEBE DICH, und Millionen mal ist es gelogen. Liebe ist eine Lüge. Die erste Lüge, die ein Paar vor dem Altar oder dem Standesbeamten ausspricht: „Dich lieben und ehren in guten wie in schlechten Tagen.“ JA ICH WILL ist eine verdammte Lüge. Glaube, Liebe, Hoffnung (nicht umsonst


Andrea Steinlechner

gehören sie zu den Kardinaltugenden) sind die Wörter, welche das meiste Unglück in dieses Leben bringen. Ich kann einen Schweinsbaten lieben. Einen Menschen kann ich nur begehren. Schwanz und Möse. Auf dieser Basis entsteht dann der Roman MADAGASKAR (Studienverlag), den Frau Steinlechner mit mir zusammen schreibt. (Über den Folgeband, den 2. Teil des sogenannten Wolfs-Werk SANSIBAR, gilt es noch [rein rechtliche] Differenzen mit dem Verlag zu überwinden. Wir denken, das Buch im Herbst, wieder bei Skarabäus, vorstellen zu können.) Und dann ist sie da: die Erkenntnis, dass der glückliche Konsument - der Mensch in der Masse, den Edgar Allan Poe zu finden sucht - einfach Angst vor der Begierde, vor dem Ficken hat. Was er betreibt, ist nichts als die weltweit übliche Kopulation oder noch schlimmer: der Vollzug der ehelichen Pflicht. Ein Pflichtfick ist eine Todsünde am Begehren an der Lust. Und sperrt man die Lust aus, geschieht genau das, was jetzt grade geschieht und

was de Sade beschrieben hat, was Pasolini grandios in den „120 Tagen von Sodom“ umgesetzt hat: der Faschismus ist im Vormarsch! Schwanz und Möse: der Orgasmus, predigt Wilhelm Reich, und sie verbrennen seine Bücher und sperren ihn ins Irrenhaus. Die Inflation des Sexuellen, ganz zu schweigen, dass ja SEX in dieser so offenen Zeit immer noch ein Tabu ist, zum Tabu wird: in dem Augenblick – wo gezeigt wird (wie in den Arbeiten von Andrea Steinlechner), dass Sex LUST ist. Und zwar LUST zu leben in einem Leben mit LUST. Leben und nur scheinbar leben, diesem Antagonismus geht Andrea Steinlechner auch in ihrem neuen Stück „DAMENABEND“ nach (Uraufführung 2012 in den Kammerspielen in Innsbruck). Darin schleppen sich fünf Frauen - einstige Freundinnen - als glückliche Konsumentinnen nur noch mit Ersatzbefriedigungen durch das Leben - ihrer Gastgeberin, die ihr Leben in der Wildnis in Lust lebt, nach. Mit diesem Stück deckt Frau

Steinlechner wie in all ihren Projekten schonungslos die Verlogenheit der „Masse Mensch“ auf. Warum zum Beispiel ist in den zivilisierten Ländern Alkohol die einzige (und wirklich die einzige) Droge, welche gefördert wird vom Staat, dieser scheinbaren Macht? Ruhe muss her! Und das in einer Zivilisation, in welcher im Minimum 30% der ach so glücklichen Konsumenten alkoholkrank, also Säufer sind. Im weiteren Verlauf dehnt Andrea Steinlechner ihre Arbeit, deren Fokus immer auf LUST & BEGIERDE gerichtet ist, auf Projekte aus LyrikZyklen mit Fotografie im Posterformat aus. Da der moralische Bürger so schnell mit dem Wort Pornografie zur Stelle ist, kämpft Andrea Steinlechner gegen dieses Verurteilen von LUST und der Gleichsetzung mit Pornografie an. Telefonsex für Geizige – 79 Cent pro Minuten Stöhnen vom Tonband. Geiz ist geil. Sinnlichkeit ist das Wort, welches den Mensch, der sich für die Begierde

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Andrea Steinlechner

und die Lust entschlossen hat, fesselt. (Iason, der Medea nach allen Regeln der zivilisatorischen Kunst liebt, hat Null Ahnung von der Begierde, welche Medea dazu veranlasst, sich dem Mann hinzugeben und das zu tun, was getan werden muss. Dass Iason die Begierde nicht erkennt sich ihr versperrt - ist sein Pech. Er endet wie so viele glückliche Konsumenten als Wermuth-Bruder in den Hafenkneipen von Korinth: WILLST NICHT AUCH DU DAS BLUT VON MEINEM DEGEN LECKEN?). Für mein Projekt „Die Winterreise“ habe ich Andrea Steinlechner gebeten, mir 24 sinnliche Gedichte zu schreiben, welche nur scheinbar an den 24 Songs der „Winterreise“ hängen. Und diesen Zyklus hat Frau Steinlechner mit einer solchen Sinnlichkeit umgesetzt, dass darin ­Literatur und Fotografie zu einem Syncreact der Sinnlichkeit verschmelzen, was meines Erachtens bis heute noch keinem zuvor gelungen ist. Zur Zeit arbeitet Andrea Steinlechner an ihrem Projekt „ICH / DU / WIR“ – wiederum eine Verschmel-

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zung von Literatur und Fotografie. Aus der anfänglichen Philosophie, welche Frau Steinlechner erkennen hat lassen, dass SIE mehr ist als das Weibchen, das dem Mann das Essen zu machen hat, dann und wann zu kopulieren und in den Urlaub zu fahren in die Nobel KZs – je mehr Sterne desto besser -, und zu hoffen, dass der Mann heute nicht angesoffen nach Hause kommt, ja, daran zu glauben: „Mit der Liebe kriege ich das schon hin!“ – aus dieser Philosophie wurde unter Zuhilfenahme der Weiterentwicklung in harter Denkarbeit und ihrer Kunst eine Philosophie auf dem Denkgrundsatz des Begehrens. Einer Begierde, welche Schmerz beinhaltet, der aber hingenommen werden muss, für diese Augenblicke des Glücks. Denn der Mensch in der Wildnis - eine Frau und Künstlerin vom Format einer Andrea Steinlechner - weiß jetzt: das Glück sind Augenblicke, für die sich jeder Schmerz lohnt. Der glückliche Konsument ist eine Lüge in sich: er wird belogen, glaubt die Lüge - und belügt sich selbst, in der Hoffnung, dass morgen alles besser sein wird.

Nein, nicht so Andrea Steinlechner! Beinhart und erbarmungslos, und mit einem hohen Maß an Mut ihr Innerstes nach Außen zu tragen, zeigt in ihrer Arbeit den echten, den ungeschminkten Wert der LUST AM LEBEN. Schwanz und Möse. Und wie alles, was von Wert ist in der Kunst, ist in ihrer Arbeit (und in der Künstlerin selber) jede Menge an Wahnsinn vorhanden - und auch Blut. Medea is still on the road! Grönland im Winter 2011, E.A.Prantl

Andrea Steinlechner Die Lustreise 13.-20. Mai 2011 verbale forum, Innstrasse innsbruck

55,

Eröffnung am 13. Mai 2011, 20:00 Uhr es liest Brigitte ­Jaufenthaler Einführung von E.A. Prantl ZUTRITT AB 18 JAHREN!


Szene

Llora la guitarra Karfreitags-Konzert

mit

Flamenco-Gitarrist Dietmar Rumpold

Mit seinem Konzert unter dem Motto »Llora la G ­ uitarra« (»Es weint die Gitarre«) ­führte der ­Flamenco-Gitarrist Dietmar Rumpold am ­Karfreitag, den 22. April 2011 im verbale forum in Innsbruck in die ­während der Karwoche zelebrierten Bräuche Andalusiens ein und begeisterte mit Beispielen der wenig bekannten ­mystischen Seite des Flamencos.

Title Subtitle Description

Einführung:

egon A. Prantl Es liest:

Brigitte Jaufenthaler

K Fs 18

AndreA Steinlechner

Die Lustreise

29 13.05. bis 20.05.2011


Szene

1. Surround-Konzert Innsbrucks Ambient-Touch-Gitarrist Harry Triendl

im verbale forum

Am 18. März 2011 performte der Ambient-Musiker und Touch-Gitarrist Harry Triendl das erste SurroundKonzert Innsbrucks im verbale forum in der Innstrasse 55 in St. Nikolaus.

„Iwan Innschteg umma“ Pepi Pittl

liest

Rudi Vogl

Vom 1. bis 8. April 2011 veranstaltete das verbale forum eine 7-tägige Lesereihe im Gedenken an den 2010 verstorbenen Innsbrucker Mundart-Schriftsteller Rudolf „Rudi“ Vogl. Ein besonderes Highlight war die Lesung von Schauspieler und Regisseur Pepi Pittl, begleitet von Boris Faupel (Gitarre) im kellergewölbe von Schloß Büchsenhausen am 04. April 2011.

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Freiraum

Der Scheisshaufen Ruben Mutschlechner

I

ch habe geträumt, ich stecke bis zum Becken in einem Scheißhaufen. Ich habe geträumt ich stecke in einem Scheißhaufen, wedle mit den Armen, während mein Schwanz in der stinkenden Brühe regelrecht herumschwimmt und sich mein Arschloch mit Scheiße füllt, wo sie doch von dorten heraus fließen sollte. Ich habe geträumt, ich stecke in einem Scheißhaufen, wedle mit den Armen, habe mein Arschloch voller Scheiße und versuche mit den Füßen zu strampeln um mich aus dieser Ansammlung stinkenden Abfalls zu befreien. Vergebens! Ich habe geträumt, ich stecke in einem stinkenden Scheißhaufen, aus dem ein Befreien so gut wie unmöglich ist, während die Kacke in meiner Arschritze bereits zu verkrusten begann und sehe nach oben, wo ich eine Brücke sehe, die ganz und gar nur aus Geldscheinen besteht und über den Scheißhaufen- meinen gegenwärtigen Gefängnis- hinüberführt. Ich habe geträumt, ich stecke in einem Scheißhaufen fest, schaue mit Kackeverkrusteten Arsch nach oben, wo ich sehe, dass gesichtslose Gestalten in schwarzen Anzügen über die Brücke ziehen und ihre Lügen

im

Freiraum

Gassi führen, während Gott ihnen zulächelt und ihnen ein paar Sonnenstrahlen schenkt. Ich habe geträumt, ich sehe, während ich in einem Scheißhaufen stecke, nach oben und bitte jene gesichtslosen Gestalten, deren Lügen an jeden Hydranten pinkeln, mir eine milde Spende zu geben, um mir eine Leiter auf die Brücke zu bauen, wo ich endlich im Sonnenschein meine Träume träumen kann. Ich habe geträumt, ich stecke in einem Scheißhaufen, dessen Gestank eine harte Probe für meinen Geruchssinn darstellt, wedle mit den Armen und schreie und bettle um eine milde Gabe, doch die gesichtslosen Gestalten, die stets zu der Größe ihrer bei sich führenden Lügenrasse zu passen schienen, warfen mir nur Kleingeld zu, welches zwar schön glitzerte, aber einfach zu schwer war. Ich habe geträumt, ich stecke in einen Scheißhaufen und versuche emsig jede Münze, die mir die gesichtslosen Gestalten, deren Lügen stets voller Energie und nie müde zu sein scheinen, zuwerfen, aufzufangen, bis ich merkte, dass sie zu schwer waren und ich anfing noch tiefer zu sinken. Ich habe geträumt, ich sinke immer weiter und immer tiefer in die Schei-

ße und die gesichtslosen Gestalten, deren Lügen nun lauter als jemals zuvor zu bellen schienen, gehen einfach vorüber, bis auch meine Augen mit Kacke verdeckt sind und ich weiß, dass ich in einem Scheißhaufen meinen Unfrieden finden werde.

N

achdem ich die Volks – und Mittelschule und das Realgymnasium in Bruneck besucht habe, schrieb ich mich an der Leopold-Franzens Universität ein und studiere dort seit drei Semestern Alte Geschichte und Orientalistik. Ich schreibe wann immer es mich dazu drängt und wann immer ich einen Stift finde, der funktioniert. Ruben Mutschlechner, geboren 1989 in Bruneck/Südtirol

Freiraum für ­Jedermann! Das verbale magazin ­bietet Platz zur Publikation f­reier Meinung. ­Jeder ist ­eingeladen, seinen ­Beitrag einzureichen! Die Veröffentlichung erfolgt garantiert unzensiert, aber auch ungeprüft, nach dem Zufallsprinzip. Zusendungen mit Foto und kurzem Lebenslauf bitte per Email an freiraum@verbale.org.

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