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INTERVIEW
Univ.-Prof. Dr. med. Erika Jensen-Jarolim Fachärztin für Klinische Immunologie, Allergieexpertin, Wien
Allergiebeschwerden wie ständiges Niesen, laufende Nase und juckende Augen sind eine Herausforderung für viele Menschen. Städter sind davon meist stärker betroffen als Menschen, die auf einem Bauernhof aufgewachsen sind. Warum das so ist, fand ein interdisziplinäres Wiener Forschungsteam um Frau Professor Erika Jensen-Jarolim heraus: Im Stallstaub von traditionellen Kuhställen wie auch in der unverarbeiteten Kuhmilch ist ein von den Kühen abgesondertes Protein, das Beta-Laktoglobulin, enthalten, das vor Allergien, Asthma und atopischen Sensibilisierungen schützen kann. Was es mit diesem „BauernhofSchutzfaktor“ auf sich hat und wie er sich für die Stärkung der Immunabwehr nutzen lässt, erläuterte Frau Professor Jensen-Jarolim in einem Gespräch.
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Frau Professor Jensen-Jarolim, Allergien sind auf dem Vormarsch. Besteht Grund zur Sorge? Prof. Jensen-Jarolim: Fast jeder vierte Deutsche leidet unter einer Allergie. Es gibt allerdings eine gute Nachricht: Kinder, die auf dem Bauernhof aufgewachsen
Allergieschutz vom Bauernhof
Interview mit Frau Professor Erika Jensen-Jarolim
sind, sind vor Allergien, Asthma und Neurodermitis wesentlich besser geschützt. So beträgt das Heuschnupfen-Risiko bei Kindern, die im Kuhstall spielen und unverarbeitete Milch trinken, nur 3%, bei Stadtkindern dagegen 13% [1]. Zum einen wirkt der Aufenthalt auf dem Bauernhof, also das Einatmen der Bauernhof-Luft, als Schutzfaktor, zum anderen aber auch das Trinken von Rohmilch. Es gibt also einen „Bauernhof-Effekt“, der zum Allergieschutz beiträgt. Einen neuen Mechanismus, der dahinter steckt, haben Studien des Instituts für Pathophysiologie und Allergieforschung der MedUni Wien und des interuniversitären Messerli Forschungsinstituts aufgedeckt [2].
Was genau besagt der BauernhofEffekt? Prof. Jensen-Jarolim: Beim Bauernhof-Effekt stand bisher die Bakterienvielfalt (das Mikrobiom) als Schutzfaktor im Fokus. Wir haben jedoch festgestellt, dass das Protein Beta-Laktoglobulin, das in der Umgebungsluft von Bauernhöfen und auch in der Rohmilch zu finden ist, zentral für diesen Bauernhof-Effekt ist. Im Umkreis von etwa 300 Metern eines Bauernhofs mit einem „dampfenden“ Kuhstall zu leben, kann vor Allergien, Asthma und atopischen Sensibilisierungen schützen, während von hoch industrialisierten Tierhaltungen mit besonders reinen Ställen weniger bis gar kein Schutz ausgeht, da hier das Protein fast völlig fehlt. Was ist das Besondere an dem im Kuhstall entdeckten Protein? Prof. Jensen-Jarolim: Das im Stallstaub und in unbehandelter Rohmilch gefundene Beta-Laktoglobulin gehört zur Familie der Lipocaline. Wie alle Lipocaline ist auch das Beta-Laktoglobulin wie eine Tasche aufgebaut, in der es kleine Moleküle wie SiderophorEisen-Komplexe [2], Vitamin A [3, 4] oder Zink binden und zu den Immunzellen transportieren kann. Wie wir in Studien mit jedem einzelnen dieser Nährstoffe zeigen konnten, führt deren Kombination mit Beta-Laktoglobulin zu einem anti-allergischen Schutz. In placebokontrollierten Mausstudien haben wir nachgewiesen, dass nur das mit den 3 genannten Liganden beladene Beta-Laktoglobulin die allergische Immunantwort unterdrückt und die Tiere vor Sensibilisierung, aber auch vor Anaphylaxie schützt.
Basierend auf Ihren wissenschaftlichen Untersuchungen und den daraus gewonnenen Erkenntnissen wurde die „Kuhstallpille“ immunoBON® entwickelt. Wie sind Sie dabei vorgegangen? Prof. Jensen-Jarolim: Das Protein Beta-Laktoglobulin mit korrekt ausgebildeter Tasche, das wir als Schutzfaktor vom Bauernhof identifiziert haben, kommt in der Kuhmilch-Molke hoch angereichert vor – es macht etwa 50–65% der Molkeproteine aus. Wir haben es mit Eisen, Zink und Vitamin A kombiniert und in eine Lutschta-
blette „verpackt“. Wir können, basierend auf unseren Studien, davon ausgehen, dass durch das Lutschen der Schutzfaktor vom Bauernhof an die Immunzellen herangebracht wird und dort die Allergie-dämpfenden regulatorischen Zellen auf „Toleranz“ stellen kann. Unsere In-vitro-Daten belegen, dass wir mit immunoBON® ein Defizit an mehreren Mikronährstoffen bei Allergikern ausgleichen und entzündliche Prozesse inhibieren können. Dass immunoBON® auch in vivo die allergische Immunantwort verhindert, konnten wir mit unseren Studien am Mausmodell [5, 6] sowie durch eine doppelblinde, placebokontrollierte Pilotstudie mit Pollenallergikern nachweisen [7]. Man muss also nicht auf einem Bauernhof mit Kühen leben und ihnen nahe sein, um sich gegen Allergien gut schützen zu können.
Warum unterstützt immunoBON® allgemein bei Allergien, also bei ganz unterschiedlichen Allergien wie Pollen- oder auch Hausstaubmilbenallergien? Prof. Jensen-Jarolim: immunoBON® zielt auf die angeborene, natürliche Immunabwehr ab und stärkt diese. Wir nennen das Phänomen Immun-Resilienz. Daher ist der Effekt unspezifisch, also gegen unterschiedliche Allergien wie Pollen-, Hausstaubmilben- und Tierhaarallergie gerichtet.
Warum kann ich keinen Allergieschutz durch einen erhöhten Verzehr von handelsüblicher Supermarktmilch erzielen? Prof. Jensen-Jarolim: Es besteht ein erheblicher Unterschied zwischen Rohmilch und industriell verarbeiteter Milch aus dem Supermarkt. Durch die sehr komplexen industriellen Prozesse wird die Supermarktmilch in ihre Einzelteile zerlegt und durch die Pasteurisierung verlieren die Proteine der Milch ihre Struktur. Das schützende Protein Beta-Laktoglobulin verliert seine „Taschen“ und damit seine Transportfähigkeit: Es kann die wertvollen Nährstoffe nicht mehr an die Immunzellen bringen.
Frau Professor Jensen-Jarolim, wir bedanken uns vielmals für das informative Gespräch. Brigitte Söllner, Erlangen
Literatur
1 Riedler J et al. Exposure to farming in early life and development of asthma and allergy: a cross-sectional survey. Lancet 2001;358:1129 2 Roth-Walter F et al. Cow’s milk protein β-lactoglobulin confers resilience against allergy by targeting complexed iron into immune cells. J Allergy Clin Immunol 2020. published May 30; DOI: https:// doi.org/10.1016/j.jaci.2020.05.023 3 Hufnagl K et al. Retinoic acid-loading of the major birch pollen allergen Bet v 1 may improve specific allergen immunotherapy: In silico, in vitro and in vivo data in BALB/c mice. Allergy 2020
Aug;75(8). doi: 10.1111/all.14259. Epub 2020 Apr 16 4 Hufnagl K et al. Retinoic acid prevents immunogenicity of milk lipocalin Bos d 5 through binding to its immunodominant
T-cell epitope. Sci Rep 2018;8:1598 5 Afify et al. Dietary supplementation with a new immune tablet reduces antigen presentation and allergic symptoms in a poly-sensitization BALB/c model. EAA-
CI poster #1414, 2020 6 Bartosik et al. Dietary supplementation with a new immune tablet ameliorates human symptom load during birch pollen season: lower B-cell numbers yet with higher intracellular iron. EAACI poster #1213, 2020 7 Afify MS et al. The protective farm effect against allergies in a lozenge confers immune resilience in mice and man. 2020
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SIERRA LEONE: Wir helfen in einem Land, in dem viele Kinder bereits vor ihrem fünften Geburtstag an Krankheiten sterben. © Peter Bräunig
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