INTERVIEW
18
Allergieschutz vom Bauernhof Interview mit Frau Professor Erika Jensen-Jarolim
Univ.-Prof. Dr. med. Erika Jensen-Jarolim Fachärztin für Klinische Immunologie, Allergieexpertin, Wien
A
llergiebeschwerden wie ständiges Niesen, laufende Nase und juckende Augen sind eine Herausforderung für viele Menschen. Städter sind davon meist stärker betroffen als Menschen, die auf einem Bauernhof aufgewachsen sind. Warum das so ist, fand ein interdisziplinäres Wiener Forschungsteam um Frau Professor Erika Jensen-Jarolim heraus: Im Stallstaub von traditionellen Kuhställen wie auch in der unverarbeiteten Kuhmilch ist ein von den Kühen abgesondertes Protein, das Beta-Laktoglobulin, enthalten, das vor Allergien, Asthma und atopischen Sensibilisierungen schützen kann. Was es mit diesem „BauernhofSchutzfaktor“ auf sich hat und wie er sich für die Stärkung der Im munabwehr nutzen lässt, erläuterte Frau Professor Jensen-Jarolim in einem Gespräch. Frau Professor Jensen-Jarolim, Allergien sind auf dem Vormarsch. Besteht Grund zur Sorge? Prof. Jensen-Jarolim: Fast jeder vierte Deutsche leidet unter einer Allergie. Es gibt allerdings eine gute Nachricht: Kinder, die auf dem Bauernhof aufgewachsen
sind, sind vor Allergien, Asthma und Neurodermitis wesentlich besser geschützt. So beträgt das Heuschnupfen-Risiko bei Kindern, die im Kuhstall spielen und unverarbeitete Milch trinken, nur 3 %, bei Stadtkindern dagegen 13 % [1]. Zum einen wirkt der Aufenthalt auf dem Bauernhof, also das Einatmen der Bauernhof-Luft, als Schutzfaktor, zum anderen aber auch das Trinken von Rohmilch. Es gibt also einen „Bauernhof-Effekt“, der zum Allergieschutz beiträgt. Einen neuen Mechanismus, der dahinter steckt, haben Studien des Instituts für Pathophysiologie und Allergieforschung der MedUni Wien und des interuniversitären Messerli Forschungsinstituts aufgedeckt [2]. Was genau besagt der BauernhofEffekt? Prof. Jensen-Jarolim: Beim Bauernhof-Effekt stand bisher die Bakterienvielfalt (das Mikrobiom) als Schutzfaktor im Fokus. Wir haben jedoch festgestellt, dass das Protein Beta-Laktoglobulin, das in der Umgebungsluft von Bauernhöfen und auch in der Rohmilch zu finden ist, zentral für diesen Bauernhof-Effekt ist. Im Umkreis von etwa 300 Metern eines Bauernhofs mit einem „dampfenden“ Kuhstall zu leben, kann vor Allergien, Asthma und atopischen Sensibilisierungen schützen, während von hoch industrialisierten Tierhaltungen mit besonders reinen Ställen weniger bis gar kein Schutz ausgeht, da hier das Protein fast völlig fehlt.
JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2021 · 30. JAHRGANG
Was ist das Besondere an dem im Kuhstall entdeckten Protein? Prof. Jensen-Jarolim: Das im Stallstaub und in unbehandelter Rohmilch gefundene Beta-Laktoglobulin gehört zur Familie der Lipocaline. Wie alle Lipocaline ist auch das Beta-Laktoglobulin wie eine Tasche aufgebaut, in der es kleine Moleküle wie SiderophorEisen-Komplexe [2], Vitamin A [3, 4] oder Zink binden und zu den Immunzellen transportieren kann. Wie wir in Studien mit jedem einzelnen dieser Nährstoffe zeigen konnten, führt deren Kombination mit Beta-Laktoglobulin zu einem anti-allergischen Schutz. In placebokontrollierten Mausstudien haben wir nachgewiesen, dass nur das mit den 3 genannten Liganden beladene Beta-Laktoglobulin die allergische Immunantwort unterdrückt und die Tiere vor Sensibilisierung, aber auch vor Anaphylaxie schützt. Basierend auf Ihren wissenschaftlichen Untersuchungen und den daraus gewonnenen Erkenntnissen wurde die „Kuhstallpille“ immunoBON® entwickelt. Wie sind Sie dabei vorgegangen? Prof. Jensen-Jarolim: Das Protein Beta-Laktoglobulin mit korrekt ausgebildeter Tasche, das wir als Schutzfaktor vom Bauernhof identifiziert haben, kommt in der Kuhmilch-Molke hoch angereichert vor – es macht etwa 50 – 65 % der Molkeproteine aus. Wir haben es mit Eisen, Zink und Vitamin A kombiniert und in eine Lutschta© VERLAG PERFUSION GMBH