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ISBN 978-3-95954-139-8 © Ernst Würzburger Gestaltung: Ernst Würzburger Verlag Jörg Mitzkat Holzminden 2023 Umschlagabbildungen: Postkarte mit Blick in die Albaxer Straße, um 1900 (Stadtarchiv Höxter) Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Autors. 2
ERNST WÜRZBURGER
DIE BESIEDLUNG DER STADT HÖXTER AUSSERHALB DER STADTMAUER
(1858-1939)
Verlag Jörg Mitzkat Holzminden 2023
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Außerhalb der Wallanlagen sind nur die Mühlen und die Gebäude der Zichorienfabrik an der Corveyer Allee und am Rohrweg eingezeichnet. (Ausschnitt aus der Übersichtskarte des Urkatasters 1831).
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INHALTSVERZEICHNIS Vorbemerkungen Einleitung
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Die Befestigungsanlagen der Stadt Höxter Das Stadterweiterungsprojekt von 1875 Der Stadtbebauungsplan von 1890 Die Besiedlung Höxters außerhalb der Stadtmauer Corveyer Allee Bismarckstrasse Roonstrasse (Wallpromenade) Moltkestrasse Rohrweg Auguststraße Heinrichstraße Albaxer Straße Friedrichstraße Hermannstraße Brenkhäuser Straße Luisenstraße Am Roten Turm Friedenstraße Am Wiehenbrink Klausfeldweg Am Petriwall (Sanssouci) Krämerstraße Lütmarser Straße Gartenstraße Godelheimer Straße Vorstädtische Kleinsiedlung Fürstenberger Straße/Brückfeld
11 25 27 30 31 56 65 75 83 96 97 100 129 137 145 172 185 197 202 205 206 211 214 221 231 234 239
Anhang Ortsstatut betreffend die Anlegung von Straßen und Plätzen „Das Orts- oder Straßenbild verunziert“ Bauführer und Stadtbaumeister Maurermeister, Architekten und Bauunternehmer „Ein nicht als solches benutzte Pockenhaus“ Die Höxtersche Kleinbahn Literaturverzeichnis Abbildungsnachweis
242 244 245 247 251 258 260 261
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Titelblatt der Bauordnung vom Februar 1903.
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VORBEMERKUNGEN
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anche ältere Gebäude in Höxter erfreuen noch heute unser Auge, bei anderen, insbesondere bei denen, die sich zeittypische „Modernisierungen“ gefallen lassen mussten, liegen die Empfindungen zwischen traurig und grauenvoll. Manche Häuser sind sozusagen geschichtslos und stumm, andere erzählen die eine oder andere Geschichte.
Mit der vorliegenden Arbeit wird eine Lücke in der Aufarbeitung der Stadtgeschichte Höxters geschlossen, die auch als Ergänzung zu Brünings Buch „Wohnungsbau in Höxter von 1800 bis 1914“1 verstanden werden kann, das sich überwiegend mit der Bebauung innerhalb der Stadtmauer beschäftigt. Ausgehend vom ersten außerhalb der Stadtmauer erbauten Gebäude an der Corveyer Allee, mit dem 1858 die vorstädtische Besiedlung begann, werden so gut wie alle danach erbauten Gebäude außerhalb der ehemaligen Stadtbefestigung straßenweise und chronologisch vorgestellt. Begonnen wird in der Corveyer Allee, wo sich bis zum Rohrweg ein neuer Stadtteil mit neu angelegten Straßen entwickelte. Es folgen die Provinzialstraßen, die über die umliegenden und namengebenden Orte Albaxen, Brenkhausen, Lütmarsen und Godelheim führen, die zunehmend bebaut wurden. Damit ist bereits die Reihenfolge der Straßen vorgegeben, die teilweise durch neue Seitenstraßen ergänzt wurden. Die wichtigste Quelle waren die Bauakten der Stadtverwaltung Höxter, (Abteilung 91 Bauordnung) für bestehende Gebäude sowie die im Stadtarchiv vorliegenden Bauakten von abgebrochenen Häusern (die bedauerlicherweise nur teilweise dorthin gelangt sind). Eine Bauakte wurde von der jeweiligen Bauaufsichtsbehörde der Stadt Höxter angelegt, sobald ein Grundstück bebaut wurde. Einzureichen war ein Bauantrag mit Zeichnungen, Lageplan und Erläuterungen (Baubeschreibung). Dies wurde zumeist von den beauftragten Baugeschäften übernommen. Nach erfolgter Prüfung des Bauvorhabens wurde die Bauerlaubnis erteilt, die überwiegend unter der Überschrift „Bauschein“ ausgestellt wurde, der häufig mit mehreren Bedingungen verknüpft war. Das gleiche Verfahren galt selbstverständlich für alle weiteren genehmigungspflichtigen Bauvorhaben auf dem Grundstück wie An- und Umbauten am Hauptgebäude oder die Errichtung von Nebengebäuden wie 1 Brüning, Hans Joachim: Wohnungsbau in Höxter von 1800 bis 1914. (Höxtersches Jahrbuch, Bd. 7) Höxter 1993.
Der Historiker Dr. Brüning (1921-1996) war von 1983 bis 1994 Betreuer des Stadtarchivs Höxter. In einer Literaturliste des Stadtarchivs, in der „sowohl umfangreichere als auch kürzere Beiträge zur Stadtgeschichte“ zusammengestellt sind, ist Brüning mit etwa 90 Einträgern vertreten.
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Tierställe, Schuppen oder Garagen. Grundlage waren die jeweils gültigen Baupolizeiverordnungen. In seinen Grundzügen gilt das Verfahren noch heute. Erschwert wurde die Recherche dadurch, dass zahlreiche Bauanträge nicht in der jeweiligen Bauakte zu finden waren, sondern in den verschiedenen Akten der Bauverwaltung und Baupolizei.2 Eine weitere Erschwernis lag in der zum Teil schlampigen Führung der Bauakten. So sind beispielsweise mehrfach Schriftstücke in falschen Bauakten abgeheftet.3 Dennoch liegen für die meisten Gebäude Bauzeichnungen (Fassaden, Lagepläne) vor, die allerdings von unterschiedlichster Qualität und zudem oft in sehr schlechtem Zustand erhalten sind. Deswegen mussten die meisten Zeichnungen bearbeitet werden. Zur besseren Anschaulichkeit und Vergleichbarkeit wurden sie überwiegend als schwarz-weiß-Zeichnungen vereinheitlicht. Von einigen Gebäuden und Straßenzügen standen historische Fotografien zur Verfügung, bei einigen Gebäuden war es erforderlich, aktuelle zu verwenden.4 Einquartierungslisten, sogenannte Urlisten und Volkszählungslisten (bis 1885), Einwohner- und Adressbücher sowie Gewerbeverzeichnisse ab 1914 liefern die Namen der jeweiligen Haubesitzer. Dies gilt bis zum Adressbuch Stadt Höxter Ausgabe 1974. Dem Häuserverzeichnis ist folgender Hinweis vorangestellt: „Die Namen der Hauseigentümer sind durch den Buchstabe E: bezeichnet. Wohnt der Eigentümer nicht in seinem Hause, so ist sein Wohnort besonders vermerkt.“ Querverweise im Text erfolgen durch in Klammern gesetzte Seitenzahlen. Durch die umfangreiche Bebilderung eignet sich das Buch auch als eine Art Stadtführer, der einen Blick in die Vergangenheit, aber auch einen Vergleich zwischen dem ursprünglichen Aussehen und dem heutigen Erscheinungsbild ermöglicht. Während einige der abgebildeten Gebäude heute kaum mehr wiederzuerkennen sind, sind andere inzwischen verschwunden. Die zahlreichen ästhetischen Entgleisungen bei Eingriffen in die bestehende Bausubstanz werden nur lapidar als „Bausünde“ bezeichnet, da diese zumeist weit außerhalb des gewählten Zeitrahmens liegen. Eine sachkundige Kritik wäre zwar reizvolles und notwendig, ginge aber weit über das Thema hinaus. Zudem – und das ist der Hauptgrund – wäre der Autor dazu nicht in der Lage. 2 StAHx B X Nr. 95 Baupolizei Bd. 1 und 2; Nr. 96 Baupolizei und Bauplätze Bd.1- 8; Nr. 105 Bauerlaubnis für An-
siedlungen; Nr. 106 Genehmigungen zur Gründung neuer Ansiedlungen 3 Dies traf insbesondere bei kombinierten Gebäuden zu (beispielsweise mit Hausnummer wie 2, 2a und 2b) oder wenn Gebäude einer anderen Straße zugeordnet wurden. Besonders gravierend ist das Durcheinander in den Bauakten des Berliner Platzes (vorher Brenkhäuser Straße 2 sowie Albaxer Straße 1a und 1b). Da insbesondere die Bauanträge und Baugenehmigungen des 19. Jahrhunderts keiner Straße zugeordnet waren, konnten sie teilweise den jeweiligen Objekten nicht oder nicht eindeutig zugeordnet werden. 4 Sie wurden teilweise bearbeitet und ggf. spätere Anbauten oder Veränderungen entsprechend vorhandener Vorlagen retuschiert, um einen möglichst unverfälschten Eindruck des ursprünglichen Gebäudes zu erzielen.
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EINLEITUNG
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er Beginn der „Ausdehnung der Stadt Höxter über die Stadtbefestigung hinaus“5 wird in der Denkmal-Akte des 1858 erbauten Wohnhauses Corveyer Allee 1 zunächst so formuliert: „Dieses Wohnhaus mit Nebengebäude ist die früheste Bebauung außerhalb der Stadtmauer.“ Diese Formulierung ist zumindest zu relativieren, da zu diesem Zeitpunkt weitere „Bebauungen außerhalb der Stadtmauer“ bekannt sind, die zumeist neben ihrer gewerblichen Nutzung auch bewohnt waren. So verfügte die von Clemens Dormann bereits 1853 an der Schelpe errichtete Maschinenpapiermühle (Grüne Mühle) ebenso über einen Wohnteil wie dessen zwanzig Jahre später ebenfalls an der Schelpe erbaute Holzstiftefabrik6 (Küsterweg). Dementsprechend sind in den Einquartierungslisten der Stadt Höxter von 18607 neben Clemens Dormann weitere acht Einquartierungspflichtige von außerhalb aufgeführt, die also über Wohnraum für einzuquartierende Soldaten verfügt haben. Über das vor der Grubemündung seit 1836 archivalisch belegte zweistöckige Fachwerkgebäude (Situationsplan Seite 35), das seit 1851 Franz Karl Lunghardt gehört hat, ist nur bekannt, dass es 1863 im Zuge des Eisenbahnbaus8 an die Altmärkerstraße umgesetzt worden ist.9 Laut Brüning soll es zudem vor dem Stummrigen Tor (Godelheimer Straße) ein „Wohnhaus aus dem Jahr 1842“10 gegeben haben, über das allerdings keine weiteren Hinweise zu finden waren. Dennoch schließt sich der Autor der Feststellung von Brüning an: „Das erste private Wohnhaus überhaupt wurde 1858 von Tischler Berlage errichtet, es ist das Eckhaus Corveyer Allee/Roonstraße.“11 Die Errichtung des Berlagschen Wohnhauses war nicht nur der Beginn des Ausbaus der Corveyer Allee, sondern der weiteren Besiedlung vor der halbkreisförmigen Stadtbefestigung zwischen Bollerbach-und Grubemündung. Bereits 1875 gab es ein erstes Stadterweiterungsprojekt, das aber nach dem Verlust der 5 Titel des vom Autor am 26. November 2018 an der VHS Höxter-Marienmünster gehaltenen Vortrags, der sich auf
die Bebauung mit Wohnhäusern beschränkte. 6 Würzburger, Ernst: „Das Fabrikwesen“ in Höxter im 19. Jahrhundert. Holzminden 2022. Seite 22 bzw. Seite 83. 7 StAHx B XVII, 72. Da es in Höxter noch keine Kasernen gab, wurden die Soldaten in Privathäusern einquartiert. 8 Würzburger, Ernst: Seit 150 Jahren Baugewerkschule Höxter, Eisenbahn Höxter-Altenbeken. Modernisierung im 19. Jahrhundert. Höxter: Eigenverlag 2014. 9 Brüning 1993, Situationsplan Seite 35. 10 Brüning 1993, Seite 8. In Krekelers Aufzählung der „vorausgeeilten Bauten“ ausserhalb der Stadtmauer wird kein Wohnhaus an der Chaussee nach Godelheim (Godelheimer Straße) erwähnt. 11 https://www.hvv-hoexter.de/wp-content/uploads/2010/08/Bemerkungen-zur-Corveyer-Allee.pdf
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Garnison12 nicht weiter verfolgt wurde. Dieses Projekt gab aber den Anstoß, preiswerte Bauplätze für die sogenannten „kleinen Leute“ im Bereich des Petriwalls/Krämerstraße zur Verfügung zu stellen. Nachdem Höxter 1881 wieder Garnisonstadt geworden war, wurde 1890 erneut ein Stadtbebauungsplan erarbeitet, der die Anlegung neuer Straßen (Bismarck-, Moltke- und Roonstraße) vorsah. Dem folgte bis zum Ersten Weltkrieg ein weitgehender Lückenschluss bereits vorhandener Straßen (insbesondere Rohrweg, Albaxer- und Brenkhäuser Straße), der Bau von ersten Unternehmerstraßen (Roon-, Friedrich-, August- und Heinrichstraße), die Erschließung neuer Baugebiete (Luisen- und Hermannstraße), und im südwestlichen Bereich die ersten Wohnhäuser in der Lütmarser- und Gartenstraße. Damit waren die meisten zur Verfügung stehenden altstadtnahen Flächen für Wohnbebauungen erschlossen. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges am 1. August 1914 war die Bautätigkeit in Höxter für mehrere Jahre weitgehend unterbrochen. Wie schon angedeutet, wird der Begriff Wohnbebauung nicht zu eng ausgelegt, da zahlreiche Häuser nicht nur von ihren Eigentümern gleichzeitig für Handel, Gewerbe oder Handwerk genutzt wurden. Dies betraf insbesondere Gebäude an der Albaxer- und Brenkhäuser Straße sowie am Rohrweg. Für öffentliche Gebäude und Gewerbebetriebe, die stadtgeschichtlich oder wirtschaftlich von Bedeutung oder von besonderem Interesse waren, gilt der gesetzte Zeitrahmen bis 1939 nicht. Zwischen den beiden Weltkriegen gab es nur noch größere Bauvorhaben in den beiden neu angelegten Querstraßen der Brenkhäuser Straße, also der Friedenstraße und der Parallelstraße Am Wiehenbrink. Hinzu kam schließlich noch die sogenannte Hindenburgsiedlung an der Lütmarser Straße, die in den Quellen allerdings nur als „vorstädtische Kleinsiedlung“ bezeichnet wurde. Bevor es um die Besiedlung außerhalb der Stadtmauer geht (bei der es sich ja nur um den inneren Ring der Stadtbefestigung handelt), soll zunächst die Geschichte dieser mittelalterlichen Befestigungsanlage beleuchtet werden, insbesondere ab dem 18. Jahrhundert.13
12 Das im Juli 1877 ins Manöver ausgerückte Bataillon kehrte nicht nach Höxter zurück. Würzburger, Ernst: Garnison-
stadt Höxter. Vom preußischen Infanteriebataillon bis zum ABC-Abwehrbataillon. Holzminden 2018 Seite 106 ff. 13 Als Überblick: König, Andreas: Die mittelalterliche und frühneuzeitliche Befestigung der Stadt Höxter. In: Manfred Gläser (Hrsg.), Lübecker Kolloquium zur Stadtarchäologie im Hanseraum VII: Die Befestigungen. Lübeck 2010, Seite 343-358. Andreas König war von 1986 bis 2022 Stadtarchäologe.
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DIE BEFESTIGUNGSANLAGEN DER STADT HÖXTER
Höxter um 1660 von Südwesten. Zu sehen sind innerhalb der Stadtmauer die Petri-, Nicolai- und Kilianikirche (von links).
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achdem bei einem Überfall der Vögte von Schwalenberg 1152 die bisherige Befestigung Höxters zerstört worden war, forderte König Friedrich I. (genannt Barbarossa) die höxtersche Bürgerschaft auf, die niedergelegte Befestigung umgehend wieder in Stand zu setzen. Da bisher weder die historische noch archäologische Forschung eindeutige Ergebnisse liefern konnte, ist davon auszugehen, dass der heutige Mauerverlauf auf die für 1152 überlieferten Befestigungsanlagen zurückgeht. Angenommen wird, das die Stadtmauer Mitte des 13. Jahrhunderts errichtet wurde. Die zu grossen Teilen erhaltene und stadtbildprägende Stadtmauer lehnt sich halbkreisförmig an die Weser und umschliesst mit einer Länge von zweieinhalb Kilometern eine Fläche von etwa zweiundvierzig Hektar. Ihr waren Graben und Wall vorgelagert. Die flussseitige Befestigung ist Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend dem Eisenbahnbau zum Opfer gefallen. Wie bei sakralen und profanen Steinbauten üblich, ist auch die Stadtmauer aus Buntsandstein errichtet, der im nahe gelegenen Solling gebrochen wurde. Sie besitzt stellenweise noch eine Höhe von bis zu sechseinhalb Meter und weist eine Stärke von sechzig Zentimeter bis zu zwei Meter auf. Die ursprüngliche Mauerkrone mit der Brustwehr hat sich nicht erhalten. An einigen wenigen Stellen sind auf der Innenseite noch steinerne Bögen vorhanden, auf denen der Wehrgang lagerte.
Ganz links Überrest eines halbrunden Turms, daneben die Bögen des Wehrganges (Anwohnerstraße Hinter der Mauer). 11
Stadtviertel und Fernhandelswege. Stadtplan nach der Katasterkarte von 1831.
Die Stadtmauer war durch fünf Tore, zwei sogenannte Fisch(er)pforten und zahlreiche Türme gegliedert. Die wichtigsten Stadtzugänge lagen an den durch Höxter führenden Fernhandelswegen (Abb. oben). Dies waren der Hellweg über die Westerbach- und Weserstraße (blau eingezeichnet) und die Bremer Straße über die Nicolai-, Markt- und Stummrigestraße (rot eingezeichnet). Am Hellweg lagen das Petri- und Brücktor mit dem auf der anderen Weserseite vorgelagerten Düsteren Tor und an der Bremer Straße das Stummrige- und das Nicolaitor (gelegentlich auch als Klaustor bezeichnet). Von nur lokaler Bedeutung waren das Corveyer Tor an der Grubemündung bzw. das 1716 geschaffene Neue Corveyer Tor in der Verlängerung der heutigen Corbiestrasse. Während das vorgelagerte Düstere Tor wahrscheinlich schon nach der 1673 erfolgten Zerstörung der Weserbrücke durch französische Truppen abgebrochen worden ist, schrieb Josef Lappe14 über das Brücktor: „Als nach dem siebenjährigen Kriege das Brücktor so baufällig war, dass alle Augenblicke der Einsturz drohte, wurden in der Ratssitzung am 7. April 1767 Werkverständige beauftragt, mit Zuziehung der Bauherren das Tor zu besichtigen und darüber zu berichten. Auf 14 Lappe, Josef: Krekelers in Höxter. Eine Sippengeschichte im Rahmen der Stadtgeschichte. o.O. 1942. Seite 202.
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Grund ihres Gutachtens stimmte am 23. Juli der Ratsherr Krekeler mit der Mehrheit dafür, dass das Tor so, wie es damals stand, repariert werden sollte, und lehnte den Gegenvorschlag ab, das Dach abzudecken und das Tor ein Stockwerk niedriger zu machen.“ Das Nicolaitor, das gleichzeitig als Glockenturm der an die Stadtmauer angebauten Nicolaikirche diente, wurde bereits 1766 niedergelegt; ein Jahr später begann der Abbruch der Kirche. Als Stadtzugang wurde 1772 stattdessen ein Pfeilertor errichtet, von dem zwei Torsäulen erhalten sind. Das Stummrigetor wurde 1805 ebenfalls durch ein Pfeilertor ersetzt, aber in Wilhelmstor umbenannt. Nachdem die Petrikirche bereits 1810/11 abgetragen worden war, folgte 1815 der Abbruch des benachbarten Petritors. Es wurde ebenfalls durch ein Pfeilertor ersetzt, wobei auch diese Torpfeiler erhalten sind. Auf den Abbruch der Corveyer Tore wird weiter unten eingegangen. Von den vierzehn halbrunden, in die Stadtmauer eingebundenen Türme, deren Durchmesser sich zwischen drei und zehn Meter bewegten, haben sich – bis auf einen – nur Überreste erhalten. Für neun Türme sind die Namen bekannt, die sich aber nicht alle zuordnen lassen. Sicher ist aber, dass es sich bei dem im Bereich der Unteren Mauerstraße Nr. 50/52 weitgehend erhaltenen Halbturm nicht um den „Roten Turm“ handelt. Schließlich erfährt man bei Lappe noch: „Die Türme über den Stadttoren wie auch andere Türme wurden früher als Wohnungen benutzt.“ Der Stadtmauer vorgelagert waren Graben- und Wallbefestigungen, wobei die Gräben mit dem Wasser aus der Grube und dem Bollerbach gespeist wurden. Erst als die Stadtbefestigung ihren Verteidigungscharakter endgültig verloren hatte, begann die intensivere Bebauung der „Mauerstraßen“: In der Unteren Mauerstraße ab 1819 und in der Oberen Mauerstraße ab 1825. Der Wallbereich vom Petritor bis zum Nicolaitor wurde schon vor dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) von den Webern zum Bleichen ihres Garns und Leinens genutzt. Im November 1804 wurden der Webergilde durch Erbprinz Wilhelm Friedrich von Oranien-Nassau „die bisher nicht in Erbpacht gehabten Teile zwischen dem Nicolai- und dem Petrithor, wie auch die gesamte Graserey [Beweidung] längs der zwischen den Thoren liegenden Wälle“ in Erbpacht gegeben. In dem Vertrag wird ihnen auch die Nutzung der neben den Wällen liegenden Teiche gestattet. Die Gilde war verpflichtet, die über die Wälle führenden Alleen zu unterhalten „wobei ihr aber da wo Kastanien-Bäume ausgegangen sind, Kirschen- Birn- und Aepfel-Bäume zu pflanzen“ erlaubt war.15 15 Die Teiche lagen zwischen Stadtmauer und Wall, nachdem die Bewässerung des Grabens aufgegeben worden
war. Nicht erlaubt war den Webern aber die Trockenlegung des am Nicolaitor liegenden Teichs, „wodurch der Nicolaistraße das im Fall von Feuersbrunst nöthige Wasser entzogen wird.“ Würzburger 2022, Seite 130.
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Petriwall mit Kastanienallee und „Wächterturm“. Dieser Bereich diente den Leinenwebern bis 1870 als Bleichplatz.
Nachdem das Fürstentum Corvey dem Königreich Preußen zugesprochen worden war (1815), standen laut einer „Allerhöchste Cabinetsbestimmung“ vom 31. März 1822 die „Bleichplätze allen Einwohnern zu Höxter zur unentgeltlichen Benutzung“ zur Verfügung. Dies führte zu jahrzehntelangen Konflikten zwischen den Leinenwebern und der Stadt Höxter, die erst 1863 mit einem Vergleich endeten. Danach wurde den Webern bis 1870 der Wallbereich vom Grubebach bis zum Petritor verpachtet. Im Verwaltungsbericht 1890/9116 ist von Verhandlungen über den Erwerb der noch der Herrschaft Corvey gehörenden Wallgrundstücke zu lesen, der zusätzliche Informationen liefert: „Die alten Befestigungswerke der Stadt, Mauern, Thürme, Thore, Gräben und Wälle, sind nach dem sogenannten Gnaden-Recesse vom 17. März 1674 […] der Stadt, welche im Aufstande gegen die Landeshoheit sich befunden, genommen und der Disposition des Landesherrn unterworfen. Dieselben sind dann bei der Säkularisation mit den Grundgütern der Abtei einfach zur Mediatherrschaft Corvey gekommen. Im Wege des Vergleichs und des Austausches ist nach und nach der größte Theil des Umrings wieder in den Besitz der Stadt zurück gelangt, und nur noch das Stück vom Nikolai-Thore bis zum Corveyer Thore und nach der Brandt‘schen Sägemühle17 befindet sich noch im Besitz der Herrschaft Corvey.“ In der amtlichen Gemeindechronik18 lesen wir, dass „Seine Durchlaucht Landgraf von Rothenburg“ nicht abgeneigt gewesen sei, „der hiesigen Stadt den Wall und Graben, zwischen dem Wilhelms und Petri Thor, gegen einen geringen 16 StAHx B I, 14a Bericht des Magistrats zu Höxter über den Stand und die Verwaltung der Gemeindeangelegen-
heiten Seite 10 (nachfolgend nur als Verwaltungsbericht bezeichnet). Sie liegen mit einigen Lücken von 1858 bis 1914 vor, ab 1887 in gedruckter Form (Verwaltungsjahr jeweils vom 1. April bis zum 1. April des Folgejahres). 17 Die an der Grubemündung liegende Sägemühle gehörte seit 1866 dem Holzmindener Dachdecker C. Brandt jun., der sie in eine Gipsmühle umwandelte. Nach Besitzwechsel war sie ab 1885 wieder eine Sägemühle. 18 StAHx Reg. A XXI, Nr. 6. Amtliche Gemeindechronik für 1800 bis 1843.
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Canon [Grundzins] zu überlassen. Der Zweck Seitens der Stadt war dabei hier einen Kirchhof anzulegen.“ Dann etwas ausführlicher: „Im Jahre 1829 endlich ergab sich eine Gelegenheit, wodurch nicht allein diesem Bedürfnisse abgeholfen, sondern auch zur Verschönerung der Umgebungen der Stadt ein Bedeutendes beigetragen werden konnte. Die Landgräflich Rothenburgische Kammer war nemlich Eigenthümerin des zwischen dem Petri und Wilhelmsthore gelegenen Walles circa 10 Morgen groß. Dieser Wall wurde von besagter Kammer der Stadt gegen einen jährlichen Canon von 18 rt. 8 Sgr. als Erbpacht offerirt und diese Offerte angenommen, der Erbpachtvertrag unterm 30 Juli 1831 abgeschlossen und unterm 30. August von Königlicher Regierung in Minden genehmigt. Hierauf wurde nun mit der Abtragung und Planirung des besagten Walles vorgeschritten, so daß dieser Act im Jahre 1832 vollendet war. Ueber die Benutzung des gewonnenen Planes wurde folgende Disposition gemacht und ausgeführt: Ein 18 Fuß breiter Weg als Spaziergang vor dem Abhange nach der Bollerbache hin, wurde abgeschnitten und mit Obstbäumen bepflanzt. Von dem hier nach bleibenden Raume wurde in der Mitte ein längliches Quadrat von 3 Morgen zu einem gemeinschaftlichen Todtenacker für die christlichen Confessionen abgegränzt und eingerichtet. Der übrige Raum wurde in 7 Theile getheilt, welche an einzelne Liebhaber veraftererpachtet wurden. [...] Evangelischer Seits wurde im November 1834 mit dem Begraben der Todten darauf der Anfang gemacht. Die erste darauf beerdigte Leiche war die des Justiz-Rath Caspari. Katholischer Seits geschah die Einweihung des Kirchhofs nach dem Ritus dieser Kirche [?]ten November 1834.“ Erst im Verwaltungsbericht von 1898/99 erfährt man von „Berathungen über die künftige Einrichtung und Benutzung des von der Herrschaft Corvey angekauften Wallgrundstücks“ („Nikolai-Thore bis zur Brandt‘schen Sägemühle“). Danach sollte die alte Wallpromenade bestehen bleiben „und das Wallgrundstück in Höhe der anschließenden Straßen – Corveyer Allee einerseits und Clausthor andererseits – ausgefüllt und mit Anlagen versehen werden.“ Ein Jahr später war zu lesen, dass die Ausfüllung dieses Wallgrundstücks „soweit fortgeschritten ist, daß voraussichtlich im nächsten Jahr die daselbst beabsichtigten Anlagen in Angriff genommen werden können.“ Zwei Archivbände beschäftigen sich ab dem Jahr 1809 mit der „Unterhaltung der Stadtmauer“19, die eine Vielzahl an Reparaturrechnungen enthalten. So beispielsweise von Maurermeister Knoop vom Oktober 1848 über die „Herstellung und Ergänzung der Stadtmauer vom Brücktor bis zur Schleifmühle“ (Mündung der Westerbache). Auf der Lohnliste stehen die Namen von sechs Arbeitern, die sechs Tage daran gearbeitet haben. Neben den Lohnkosten stellte Knoop zwei Fuder Sand und zehn Scheffel Kalk in Rechnung. 19 StAHx B X 10 Die Unterhaltung der Stadtmauer. Bd.1 und 2. Im „Inventar des Archivs der Stadt Höxter.“ (Leesch,
Wolfgang, Münster 1961) stimmt eine Jahreszahl nicht (Seite 105). Band 1 wurde 1809, nicht 1909 begonnen.
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Es gab zahlreiche Streitfälle, insbesondere wenn die Stadtmauer von Bürgern in irgendeiner Weise genutzt werden durfte. So meldete der Gastwirt und Ratsherr Ludwig Watermeyer im April 1848, dass ein Teil der Stadtmauer hinter seinem Wohnhaus (Stummrigestraße 47) „zwischen den auf der Stadtmauer ruhenden Nebengebäuden eingestürzt“ sei. Er bat darum, „die Reparatur dieser Mauer schleunigst auf Kosten der Stadt reparieren zu wollen.“ Nachdem ein Gutachter festgestellt hatte, dass der Einsturz „ohne Zweifel von der Miststätte des Watermeyer herbei geführt“ worden sei, wurde Watermeyer vom Magistrat aufgefordert, die Mauer sofort selbst wieder herzustellen. Ein im Oktober 1847 gestellter Antrag auf Abbruch der Stadtmauer vor dem Haus von Bürgermeister Karl Georg Bartels (1847 bis 1853; Bachstraße 13) wurde abgelehnt. Stattdessen beschloss eine Baukommission, dass die schadhaften Stellen ausgebessert und die Mauer wieder in ihrer bisherigen Höhe hergestellt wird. In wessen Auftrag Wilhelm Knoop Ende 1850 einen Kostenanschlag „über Abbruch des oberen Theils der Stadtmauer von der Fischpforte bis zu Bürgermeister Bartels Haus“ angefertigt hat, gibt die Quelle nicht Preis. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Antrag des Stadtverordneten Heinrich Krekeler (1813-1857; Begründer der gleichnamigen Brauerei), bei dem es um den „Wiederaufbau der eingefallenen Stadtmauer von der Knochenbache bis zum Faulebach“ (Obere Mauerstraße zwischen Knochenbach- und Nagelschmiedstraße) ging. „Es ist doch unsere Pflicht, jährlich etwas Geld in dem Etat auszusetzen, um wenigstens unsere Ringmauer einigermaßen zu erhalten, damit unsere Nachkommen nicht die gerechte Klage führen dürfen, wir hätten ganz vergessen, dass wir einst zu dem wichtigen Hansabunde gehört hätten.“ Es gab allerdings auch andere Sichtweisen über den Erhalt der Stadtmauer. So druckte das Wochenblatt für den Kreis Höxter20 am 26. Januar 1850 den Brief „eines uns unbekannten Einsenders“ mit der Überschrift „Sollen wir unsere Stadtmauern abbrechen?“ ab. Der stellte zunächst fest, dass die Stadtmauern keinerlei Nutzen mehr hätten, aber „jährlich eine nicht unbedeutende Summe zur Ausbesserung der Mauer bewilligt“ würde, die aber nicht ausreiche. „Man denke sich nun längs der Weser die Mauer abgetragen, und das schönste Gemälde der Natur bietet sich dem entzückenden Auge dar, den bislang eine steinerne Binde den prachtvollen Anblick verwehrte. Von der Fischerpforte bis zur Schleifmühle läßt sich die schönste Winter-Promenade anlegen, und alle Anwohner dieser Straße werden sich beeilen, ihre hinfälligen Häuser, in denen Niemand wohnen will, weil, wie man zu sagen pflegt, hier 20 Zunächst wurde 1803 das „Corveyisches Intelligenz-Blatt für die Wesergegend“ herausgegeben, das 1810 in
„Wochenblatt für die Stadt und den Bezirk Höxter“ umbenannt und 1835 eingestellt wurde. 1837 erfolgte eine Neuauflage durch Buchdrucker Ad. Th. Diele unter dem Titel „Wochenblatt für den Kreis Höxter), das 1851 endgültig eingestellt wurde.
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die Welt mit Brettern zugenagelt ist, auszubauen, und zu Miethswohnungen einzurichten, in dem ihnen die freundliche Lage einen höheren Miethzins sichert, als wie sie in der Mitte der Stadt erhalten würden. Anwohner, deren Grundstücke bis an die Stadtmauer grenzen, werden entweder dieses furchtbare Areal in geschmackvolle Gärten verwandeln, oder neue Gebäude aufführen, diejenigen aber, welche selbst auf die Mauer gebaut haben, werden mit der Zeit ihre Hütten als Bauplätze zu hohen Preisen veräußern, und sich in das Innere der Stadt zurückziehen.“ Dann wies der Anonymus auf den Hauptvorteil eines Abbruchs hin. „Es liefern nämlich dicke alte Mauern einen lange ausreichenden Schatz von Baumaterial für städtische und Privatbauten, und dadurch eine nicht unbedeutende Quelle für die Kämmerei-Kasse.“ Während Baumaterial teuer herbeigeschafft werden müsste, lieferten „unsere unnützen Stadtmauern das Material für alle neu zu erbauenden und auszubessernden Straßen.“ Abschließend ist dann zu lesen: „Daß im obigen kein plötzlicher Abbruch der gesamten Stadtmauer in Vorschlag gebracht wird, versteht sich ebensowohl, als er an denjenigen Punkten, wo Local-Verhältnisse ihn augenblicklich nicht gestatten, vor der Hand gänzlich unterbleiben muß. Man trage ab, wo niemand dadurch genirt [gestört] wird, und überzeuge sich von den Vortheilen, welche den nächsten Anwohnern dadurch erwachsen. […] Wird in dieser Weise fortgefahren, so umschließt in einer Reihe von Jahren statt einer düster, zerfallenen, durchaus unnützen Mauer unsere Stadt eine Reihe von freundlichsten Wohnhäusern.“ Als das Magistratsmitglied Friedrich Freise21 im September 1852 den Abbruch der reparaturbedürftigen Stadtmauer vom Neuen Corveyer Tor bis zur Schleifmühle forderte, vermerkte Bürgermeister Bartels auf Freises Antrag: „Der Magistrat ist der Ansicht, dass dieser Teil der Stadtmauer „nicht abgebrochen, vielmehr, wo es erforderlich, repariert werde, wie dies auch mit der Stadtmauer vom Nicolaithore bis zum Neuen-Thore geschehen muß. Es ist hierzu in den Etat pro 1853 eine Summe von 60 Talern aufzunehmen.“ Sehr aufschlussreich ist ein Schreiben des Landrats Friedrich von Wolff gen.[annt] Metternich (1816-1898)22 vom 30. April 1857, mit dem er auf einen – bedauerlicherweise nicht überlieferten – Brief des Magistrats antwortet. „Dem Wohllöblichen Magistrat erwiedere ich auf den Bericht vom 25ten d.M., den Abbruch eines Theiles der Stadtmauer betreffend, dass es keineswegs Absicht ist, die theilweise oder gänzliche Abtragung der Stadtmauer zu inhibieren [hemmen], im Fall sich ein wirkliches Bedürfnis zum Zwecke einer Anlage oder Verschönerung des äußeren Ansehens der Stadt als sehr wünschenswert oder notwendig darstellen sollte. Dergleichen Veränderungen be21 Es deutet einiges darauf hin, dass er der „unbekannte Einsender“ gewesen ist. 22 Von Wolff war von 1845 bis 1887 Landrat des Kreises Höxter. Er hatte das Amt von seinem Vater Phillip von Wolff
gen. Metternich (1770-1852) übernommen, der seit 1817 Landrat war.
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dürfen aber nach den in meiner Verfügung vom 8ten d. M. angegebenen gesetzlichen Vorschriften der Genehmigung der Aufsichtsbehörden, indem diese zu prüfen hat, ob den Umständen nach eine solche Veränderung nothwendig sei oder nicht. Dem Magistrat hätte im vorliegenden Falle diese Erforderniß umso mehr gegenwärtig sein müssen, als derselbe noch in Folge der Circular-Verfügung vom 24. März 185523 die Stadtmauer des darnach eingereichten Verzeichnisses der alten Denkmäler pp. verzeichnet und dadurch der besondern Aufsicht der Stadt unterworfen hat. Indem ich dem Magistrat die genaue Beachtung des Inhalts dieser Cirkular-Verfügung dringend empfehle, mache ich darauf aufmerksam, wie die Herren Mitglieder des Magistrats sich verantwortlich machen werden, wenn sie von der Befolgung der gesetzlichen Vorschriften eigenmächtig abweichen sollten. Die in dem Bericht vom 25ten d. M. angeführten Entschuldigungen waren übrigens kein Hinderniß, die erforderliche Genehmigung einzuhalten und daher insofern umhaltbar.“ Erstaunlich ist der harsche Ton des Landrats gegenüber dem höxterschen Magistrat. Zudem erfährt man, dass die Stadt Höxter keine freie Verfügung über die Stadtmauer hatte. Bemerkenswert ist allerdings auch, dass der Landrat die Kommunen in der genannten Verfügung offensichtlich aufgefordert hatte, ein „Verzeichnis der alten Denkmäler“ zu erstellen und einzureichen. Dies ist ein erster Schritt hin zum zweckfreien Denkmalschutz. Einem Protokoll vom 10. Oktober 1858 ist zu entnehmen, dass ein „Creditgesuch für geschehene Ausbesserung der Stadtmauer“ von der Stadtverordnetenversammlung zwar bewilligt wurde, „es jedoch zu tadeln fand, daß der Magistrat, ohne zuvorige Anfrage Bauten ausführen läßt, für welche ausdrücklich ein Etat nicht ausgeworfen ist. Die Versammlung will am Grundsatz festhalten, an der Stadtmauer so wenig als möglich zu verwenden und keine Erhöhung derselben vorzunehmen. Insbesondere soll an der Stadtmauer vom Petri- bis Neuen Thore nichts repariert werden, bis entschieden ist, welche Richtung die anzulegende Eisenbahn erhalten wird, da sehr leicht durch dieselbe ein Teil dieser Stadtmauer abgerissen werden muß.“ Nachdem die Stadt Höxter schon 1854 ein kostenloses Grundstück zum Bau eines Bahnhofs angeboten hatte, beschloss der Magistrat ein Jahr später, dass die Eisenbahngesellschaft die Wälle, Wallgraben, Stadtmauer und Promenaden nutzen könnte, wenn sie den Wunsch der Stadt berücksichtige, den Bahnhof in entsprechender Nähe zu erbauen. Es dauerte bis 1861, bis die Linienführung der Bahntrasse endgültig feststand und die Bauarbeiten beginnen konnten. Dies führte dazu, dass die Stadtmauer längs der Weser abgetragen wurde. Dies war aber offensichtlich nur bis zu einer erforderlichen Höhe erfolgt, da Polizei-Wachtmeister Laporte im August 1889 meldete: „Die Mauer, welche an 23 Wahrscheinlich geht diese Verfügung auf Ferdinand von Quast zurück, seit 1843 erster preußischer Landeskon-
servator, der 1854/55 zum Zweck der Inventarisierung in Westfalen mit einer Fragebogenaktion begann.
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der Eisenbahn entlang führt, von der [Fischerpforten]mühle bis zur Brandtschen Mühle, ist an verschiedenen Stellen reparaturbedürftig. Es fehlen auf derselben auch mehrere Deckplatten.“ Da Laporte der Meinung war, dass die Westfälische Eisenbahn-Direktion dafür zuständig sei, wandte sich Bürgermeister Wilhelm Leisnering (1849-1912)24 an das Königliche Eisenbahn-Betriebsamt in Paderborn, das sich aber nicht veranlasst sah, „die fragliche Mauer, welche einen Teil der alten Stadtmauer bildet, in Stand setzen zu lassen.“ Zwei Wochen später meldete Laporte: „Die Mauer ist ausgebessert.“ Im Juni 1864 erfüllte der Maurermeister Wilhelm Borgolte den Wunsch der Stadt Höxter, den über fünf Meter breiten und über vier Meter tiefen Turm des alten Corveyer Tores an der Grubemündung abzubrechen. In einem Vertrag vom 16. September 1864 verpflichtete er sich, „den ihm gehörigen alten Turm unweit des Bahnkörpers bis zum 1. April 1865 abzubrechen und den Grund und Boden zu planieren.25 Als Gegenleistung trat die Stadt Höxter die Stadtmauer zwischen den beiden Corveyer Toren an Borgolte ab.
„Corvei-Thor zu Höxter“. (Neues Corveyer Tor,Blick in die heutige Corbiestraße).
Durch den Eisenbahnanschluss entwickelte sich zum sechshundert Meter vor dem Neuen Corveyer Tor (Abb. oben) gelegenen Güterbahnhof ein lebhafter Frachtverkehr. Dies führte zunehmend zu Beschwerden von Frachtfuhrleuten, 24 Leisnering wurde im März 1887 zum Bürgermeister gewählt, nach seiner dritten Wahl 1910 auf Lebenszeit. Er
besaß als erster eine Dienstwohnung im Gebäude Holenbergstraße 2. Leisnering starb am 14.1.1912. 25 Siehe Planskizze Seite 36.
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die das Tor nicht passieren konnten, wenn ihre Wagen mit Sperrfracht beladen waren. Deswegen teilte Bürgermeister Wilhelm Eckardt (1820-1880)26 den Stadtverordneten im April 1868 mit: „Diese Übelstände in Verbindung mit dem Umstande, daß das Thor in Wahrheit durchaus keine Schönheit, vielmehr nur noch ein bloßer Steinklumpen ist, führen zu der Erwägung, ob es jetzt nicht an der Zeit ist, das Tor abzutragen.“27 Nachdem das Fürstliche Rentamt Corvey unter der Bedingung, das am Tor eingelassene Corveyer Wappen der Rentkammer zur Verfügung zu stellen, dem Abriss zugestimmt hatte, beschloss der Magistrat umgehend den Verkauf des Tores auf Abbruch. Die Akte „Die Unterhaltung der Stadtmauer“ enthält neben zahlreichen Rechnungen für entsprechende Erhaltungsarbeiten und Reparaturen eine große Anzahl an Briefen von Bürgern, die Schäden an der Stadtmauer oder den Türmen meldeten (z. B. „herausfallende Steine hinter meinem Haus“; „ein Theil der Stadtmauer eingestürzt“ oder „der Einsturz droht“). Es liegen aber auch zahlreiche Schriftstücke über Abbrucharbeiten vor. Als der Maurer Ludwig Sternberg im April 1882 vom geplanten Abriss der Stadtmauer „hinter dem von der Stadt angekauften Diesingschen Besitztum“ (III/3528; Obere Mauerstraße 42) gehört hatte, bot er dem Magistrat an, die Arbeiten gegen vierzig Mark zu übernehmen. „Für dieses Geld will ich die Stadtmauer und den runden Turm abbrechen, das gute Material auf dem Platze aufstapeln und den Schutt, soweit er nicht zum Auffüllen des Kellers und der Mistgrube gebraucht wird, in den Wallgraben auf die mir bezeichnete Stelle schieben. Auch die vorhandenen Fundamente will ich abreißen und das gute Material sammeln.“
Mauerdurchbruch im Bereich des Grubeeintritts. Kartengrundlage: Westfälischer Städteatlas. 26 Der Amtsanwalt Eckardt war von 1858 bis zu seinem Tod im Mai 1880 Bürgermeister (an Typhus gestorben). 27 Würzburger, Ernst: Der Abbruch der Corveyer Tore in Höxter. In: Jahrbuch Kreis Höxter 2019, 2018, S. 114-121. 28 Höxter war damals in vier Viertel (Stadtplan Seite 12) eingeteilt und die Häuser viertelweise durchnummeriert.
Die Zuordnung III/35 bedeutet: Hausnummer 35 im dritten Viertel.
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