2000 Jahre Eisenverhüttung um Dassel

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Gefördert mit Druckkostenzuschüssen von: Kultur- und Denkmalstiftung des Landkreises Northeim VR-Bank in Südniedersachsen eG Sollingverein Dassel e.V. Eisengießerei O. Gattermann GmbH & Co KG Förderverein Baudenkmal Blankschmiede Neimke e.V. Museum Grafschaft Dassel e.V. Sollinghauptverein Neuhaus e.V. Sollingverein Sievershausen e.V. Heimat- und Geschichtsverein Hellental - Heinade - Merxhausen e.V. Fa. Fliesenfreund Dassel sowie Fa. Mietwagen.MSL-Wehner Dassel, Fa. VV-Car Vieroth Dassel und Eichenapotheke, Dassel, Daniela Henne e.k.

Der Autor bedankt sich bei allen Geldgebern, ohne die dies Buch nicht hätte veröffentlicht werden können. Zu besonderem Dank bin ich Prof. Dr. Hans-Georg Stephan für seinen einleitenden Beitrag über die frühe Eisengewinnung am Solling verpflichtet. Mit ihm bin ich seit Jahren durch unsere gemeinsame Erforschung der Geschichte des Sollings sehr verbunden. Ebenso bedanke ich mich bei Wilfried Schrem und Karin Michelberger vom Deutschen Eisenofenmuseum Neu-Ulm/ Pfuhl für ihren Beitrag über „Schünemann-Öfen“. Ein großer Dank gilt dem Sollingverein Dassel e.V., dem Förderverein Baudenkmal Blankschmiede Neimke e.V. und dem Museum Grafschaft Dassel e.V., die Träger dieses Buchprojektes sind. Sie sind auch Veranstalter von zwei Ausstellungen in den Museen Dassels, die die Schönheiten des Dasseler Eisenkunstgusses präsentieren. Das vorliegende Buch gibt dazu die entsprechenden Erläuterungen und Vertiefungen in die Materie. Ein weiterer Dank gilt Andreas Liebe, 1. Vorsitzender des Fördervereins Baudenkmal Blankschmiede Neimke e.V., der sich der Mühe der Finanzierung des Buchprojektes angenommen hat. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-95954-105-3 Verlag Jörg Mitzkat, Holzminden 2020 www.mitzkat.de


Detlef Creydt

2000 Jahre Eisenverhüttung um Dassel Mit einem Beitrag von Hans-Georg Stephan

Verlag Jörg Mitzkat Holzminden 2020


Inhaltsverzeichnis 01 Einleitung

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1.

Eisen und Stahl: Bodenschätze, ihre frühe Erschließung, Verarbeitung und Nutzung [Hans-Georg Stephan]

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2.

Eisenerzvorkommen um Dassel und deren Ausbeutung 2.1. Der Steinberg bei Markoldendorf 2.2. Die Bedesau und der Heinberg bei Lüthorst 2.3. Nachbetrachtung

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3.

Eisenverhüttung – Vom Rennfeuer zum Hochofen 3.1. Rennfeuer 3.2. Stückofen 3.3. Hochofen 3.4. Kupolofen 3.5. Induktionsofen

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4.

Lokale historische Verhüttungsorte um Dassel 4.1 Oldendorf 4.2. Lauenberg 4.3. Lüthorst 4.4. Merxhausen 4.5. Dassel 4.6. Relliehausen

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5. Die neuzeitlichen Eisenhütten in Dassel 5.1. Eisenhütte Dassel 5.1.1. 1690 Gründung der Eisenhütte Dassel durch Jobst Edmund von Brabeck. Erster Hüttenfaktor: Jost 5.1.2. Die Eisenhütte unter dem Hüttenfaktor Flacke 5.1.3. Der Bruchmüller Münder wird Teilhaber 5.1.4. Die Eisenhütte unter dem Hüttenfaktor Bremer 5.1.5. Die Eisenhütte unter den Hüttenfaktoren Sandhagen und Hellkamp 5.1.6. Die Eisenhütte unter der Bergrätin Boden 5.1.7. Graf Andreas von Stolberg-Stolberg übernimmt die Eisenhütte

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Inhaltsverzeichnis

5.1.8. Verkauf der Eisenhütte an Friedrich Schünemann 5.1.9. Eisenöfen des Historismus M.Schünemann, Eisenhütte Dassel [Wilfried Schrem und Karin Michelberger] 5.1.10. Umwandlung der Eisenhütte in eine GmbH 5.1.11. Die Eisenhütte im Zweiten Weltkrieg 5.1.12. Die Nachkriegszeit 5.1.13. Nachguss von Ofenplatten und Fund der Strahlenmadonna 5.1.14. Die Gießerei 5.1.15. Die Formerei 5.1.16. Das Emaillierwerk 5.1.17. Die mechanische Werkstatt 5.1.18. Die Galvanik 5.1.19. Die Endphase der Eisenhütte Dassel 5.1.20. Die Besitzerabfolge der Eisenhütte Dassel 5.1.21 Nachfolgebetriebe der Eisenhütte Dassel 5.2. Eisengießerei Gattermann Dassel 5.2.1. Am Kupolofen 5.2.2. Die Formerei 5.2.3. Nachguss von Ofenplatten, Wandschmuck, Figuren und Medaillons 5.2.4. Chronologie der Geschichte der „Eisengießerei Gattermann Dassel“ 5.3. Dasseler Eisenwerk Henne & Peinemann 5.4. Eisengießerei Wiesemann 6.

Die Schlackenbolde - Experimentelle Archäologie zu den Rennfeuerschlacken-Funden im Raum Dassel

7. Anhang 7.1. Literatur- und Quellenverzeichnis 7.2. Danksagung

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Inhaltsverzeichnis

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Einleitung

Einleitung Nur Wenigen ist bewusst, dass im Raum Dassel über Jahrhunderte hinweg Eisen hergestellt wurde. Auch heute noch ist die Eisen- und Stahlherstellung ein lebendiger Wirtschaftszweig der Stadt Dassel. Johannes Letzner1 erwähnt bereits in seiner 1596 erschienenen „Dasselschen Chronik“ über 20 Hüttenstandorte vor dem Solling. Ursächlich hierfür waren vor allem die günstigen Standortfaktoren. Dazu zählen Rohstoffe (Eisenerz und zum geringeren Teil Kalk), Energie (Holz, später Koks, heute Elektroenergie, aber auch die Wasserkraft), Arbeitskräfte und die Entfernung zum Absatzgebiet. Diese Faktoren ergeben insgesamt einen Transportkostenminimalpunkt, der den optimalen Standort ausweist.2 Die frühsten bekannten Spuren der Eisenherstellung finden sich bei Markoldendorf. Dort gibt es den Steinberg, der den begehrten Eisenstein lieferte. Durch den Raubbau an den Wäldern musste ab dem Mittelalter Holz oder Holzkohle allerdings von außerhalb herantransportiert werden. Deshalb verlagerte sich die Eisenverhüttung zuerst nach Lauenberg und ab dem 13. Jahrhundert nach Dassel. Damit wurde der rohstofforientierte Standort am Erz aufgegeben und orientierte sich nun in Richtung des Energieträgers Holz und Wasser. Holz bzw. Holzkohle wurde zwar über die Jahrhunderte hinweg immer knapper, war aber durch die nahen Sollingwälder noch einigermaßen kostengünstig zu bekommen. Die immer wichtiger werdende Wasserkraft für die Gebläse am Ofen und die Hammerwerke wurden durch die Ilme und Dieße gut bedient. Arbeitskräfte gab es in der notorisch armen Gegend reichlich. Geklagt wurde aber über die Jahrhunderte hinweg über die schlechten Wege im Solling und seinen Randgebieten. Ausgebaute Straßen gab es hier erst Mitte des 19. Jahrhunderts. Dafür entschädigte die nahe gelegene Weser als Wasserweg, wodurch sich weite Absatzmöglichkeiten eröffneten. Diese zum Teil sehr günstigen Standortvorteile führten dazu, dass sich der Raum Markoldendorf-Dassel im Laufe der Jahrhunderte neben dem Harz zu einem Zentrum der Schwerindustrie in Südniedersachsen entwickelte. Aufgrund von Verharrungstendenzen durch den etablierten Standort und die gegebenen Standortvorteile (ausgebildete Fachkräfte, Wasserkraft, Industrieflächen, Geschäftsverbindungen etc.) hat sich die Eisenherstellung, bzw. Eisenverarbeitung bis heute hier gehalten.

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Johannes Letzner, Pfarrer im benachbarten Lüthorst von 1583 - 1589. Er war vielfältiger Chronist und brachte u.a. die „Dasselsche und Einbecksche Chronik“ 1596 heraus. Webersches Standort-Dreieck; s. auch Voppel, Wirtschaftsgeographie 1970, S. 41 ff. und S. 116.

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Detlef Creydt

Nachfolgend behandelt der Beitrag die Eisenerzvorkommen und die Eisenverhüttung in ihrem historischen Verlauf. Ein Schwerpunkt liegt hierbei auf den neuzeitlichen Eisenhütten in Dassel und ihrer Geschichte bis heute.

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Eisen und Stahl: Bodenschätze im Mittelalter

1. Eisen und Stahl: Bodenschätze, ihre frühe Erschließung, Verarbeitung und Nutzung. Zur Entwicklung der Kulturlandschaft im Weserund Leinebergland im Mittelalter Hans-Georg Stephan Meteoreisen wurde in alten Kulturen gelegentlich bereits frühzeitig verwendet, es galt als außerordentlich selten und kostbar. Vom Menschen serienmäßig künstlich hergestelltes Eisen und Stahl wurden aufgrund der erforderlichen hohen Schmelztemperaturen bei mindestens 1200 Grad Celsius und der recht schwierigen Arbeitsprozesse beim Schmieden erst sehr viel später üblich. In der Alten Welt geschah dieser technologisch-kulturelle Entwicklungssprung zunächst in Vorderasien im Reich der Hethiter seit etwa 1600-1200 v. Chr. Gusseisen entwickelten die Chinesen sehr frühzeitig, in Europa konnte man es erst seit dem 15. Jahrhundert fertigen, sodann verbreitete sich die Technologie ziemlich rasch (Beck 1884-1903; Johannsen 1953; Ludwig, Schmidtchen 1992; Pleiner 2000; Singer et al. 1972). Stets war die Waffentechnik der entscheidende Impulsgeber. In Mitteleuropa gehörte Eisen als gängiger Roh- und Werkstoff seit der vorrömischen Eisenzeit ab etwa 800 bis 600 v. Chr. zu den unverzichtbaren gängigen, wenngleich noch relativ wertvollen und außerhalb der Hallstattkultur (um 800 v. Chr. - 450 v. Chr.) und der Welt der Kelten (größte Ausdehnung um 275 v. Chr.) nicht eben massenhaft vorkommenden Metallen. Eine um jene Zeit neu anbrechende Ära wird danach als Eisenzeit (800 v. Chr. – 500 n. Chr.) bezeichnet. Man verwendete es vor allem für Waffen, Werkzeuge wie Messer und für repräsentatives Kleidungszubehör. Allerdings verdrängte es die weiterhin beliebte Bronze auf bestimmten Anwendungsgebieten nur allmählich. Mit dem steigenden Bedarf stellte man Eisen auch regional her, wenn auch zunächst nicht überall in größerem Umfang. Metallurgen waren schon in der Bronzezeit begehrte, hoch angesehene, weiträumig mobile, für besonderen Bedarf tätige oder auch unter bestimmten Voraussetzungen dauerhaft vor Ort präsente Spezialisten gewesen. Sie standen gewiss nicht selten unter der besonderen Protektion der Herrschenden. Mancher Schmied und Schmelzer wird als ungewöhnlich kenntnisreicher, geheimnisvoller Mensch gegolten haben, der mit höheren Mächten in Verbindung stand. Das Wissen, wo man brauchbares Eisenerz fand und wie man es verarbeitete, war nicht an jedem beliebigen Ort bekannt. Mit dem zunehmenden Bedarf

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Hans-Georg Stephan

und der immer stärkeren Verbreitung von Eisen für den täglichen Bedarf muss allein schon aufgrund der Transportprobleme und Kosten die Suche nach lokalen Erzlagerstätten verstärkt eingesetzt haben. Diese sollten unter den seinerzeit gegebenen technischen und ökonomisch-organisatorischen Rahmenbedingungen oberflächennah angestanden haben und leicht abzubauen sein, so etwa Ausbisse der Erze oder sekundäre Ablagerungen in Bächen oder Feuchtgebieten. Zumindest aber mussten sie anhand einer spezifischer Zeigervegetation mit bloßem Auge erkennbar sein. Eine unabdingbare Voraussetzung war weiterhin, dass die Erze einen möglichst hohen Eisengehalt aufwiesen, denn bei den damals üblichen Schmelzverfahren im Rennfeuer, bei dem mindestens 1200 Grad Celsius erreicht werden mussten, blieb etwa 60 % des Eisens in der Schlacke zurück. Aus diesem Grunde waren zahlreiche in der Neuzeit kommerziell genutzte Erzvorkommen für die vorindustrielle Eisengewinnung grundsätzlich ungeeignet. Allenfalls bestand die Möglichkeit, hocheisenhaltige Erze oder recyceltes Eisen mit Beischlägen von minderwertigen Erzen etwas zu strecken. Dazu kamen noch Probleme mit störenden Begleitstoffen wie Schwefel, Phosphor und Aluminium (Tonerde), die für die Mehrzahl der im Solling und geologisch ähnlichen Vorkommen in den Buntsandsteingebieten des Weserberglands charakteristisch sind. Eine derartige Zusammensetzung bedingt zudem eine gewisse Sprödigkeit der Produkte, die im Gebrauch recht nachteilig ist. Günstig in Hinblick auf die Herabsetzung der Schmelztemperatur und damit des Energieverbrauchs wirken sich hingegen natürliche Anteile bzw. die Zugabe von Kalk(stein) aus. Eine derartige Beschaffenheit kennzeichnet im Solling allein das qualitativ ohnehin einzigartig hochwertige Vorkommen am Steinberg bei Markoldendorf (Abb. 1, 5). Aus diesem Grund darf man mit einigem Recht vermuten, dass es besonders früh und in stärkerem Umfang ausgebeutet worden ist. Oberflächennah anstehende Raseneisenerze etwa der norddeutschen Niederungsgebiete mit vielfach höherem Eisengehalt als die Rot- und Brauneisensteine der Berglandregionen waren dagegen leichter zu gewinnen und zu verarbeiten als die geologisch älteren Erze in Gesteinsformationen und tertiären Sanden. Bei Letzteren war zudem der Metallgehalt vielfach erheblich geringer. Dies gilt ganz besonders für die Mehrzahl der kleinen Erzvorkommen im Solling, welche gegenüber denen etwa des benachbarten Harzes in jeder Hinsicht qualitativ weit zurückstehen. Insofern erschien es bislang durchaus fraglich, ab wann die Eisenerze am Solling, die in der frühen Neuzeit in erheblichem Umfang, wenn auch nicht selten nur kurzfristig, mit hohen Kosten und letztlich durchaus zweifelhaftem wirtschaftlichem Erfolg ausgebeutet wurden, von den Menschen der Region gesammelt, abgebaut und zu Endprodukten weiterverarbeitet wurden. Schriftzeugnisse dazu sind vor dem späteren 16./17. Jahrhundert äußerst selten. Dies ist kein Einzelfall, denn zu vielen Aspekten des Alltagslebens und der

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Eisen und Stahl: Bodenschätze im Mittelalter

Wirtschaft gibt es aus dem Mittelalter nur eine sehr dürftige oder überhaupt keine schriftliche Überlieferung, vor allem aus der Zeit vor etwa 1200/1300. Bis dahin war die Schriftlichkeit in Mitteleuropa noch weitgehend ein Reservat der Kirche und der königlichen Kanzlei, sodann zunehmend auch landesherrschaftlicher Verwaltungs- und Rechtsakte bei Rechtsfindungen, Privilegienerteilungen, Güterübertragungen und sonstigen Haupt- und Staatsakten der Herrscher. Es gab zwar ein königliches Bergregal, aber dies betraf zunächst nur Edelmetalle, allenfalls noch Buntmetalle, während die Gewinnung und Weiterverarbeitung von Eisen den Grundherren und Städten offenbar freigestellt waren. Aus diesem Grunde besitzen Geländeforschungen von Geologen und Lagerstättenkundlern, Archäologen und engagierten Laien fundamentale Bedeutung für unsere Kenntnis der realen Verhältnisse. Derartige Recherchen sind äußerst mühevoll und zeitaufwendig. Sie sollten nach Möglichkeit Fächer übergreifend angegangen werden, wobei schriftliche und mündliche Überlieferungen unbedingt mit einzubeziehen sind, um so weit wie überhaupt möglich gezielt vorgehen zu können. Dabei verbleiben immer noch große Ungewissheiten. Detlef Creydt hat sich dabei im Raum Dassel-Nordsolling große Verdienste erworben und beispielhafte Arbeit geleistet, deren Ergebnisse nun auch in angemessener Art und Weise publiziert und damit für die Forschung und die Nachwelt festgehalten werden - was leider keine Selbstverständlichkeit ist. Ergänzend dazu sind naturwissenschaftliche Materialanalysen notwendig. Deren vielfältige Arbeitsweisen, Untersuchungsmethoden und analytischen Ergebnisse werden seit einiger Zeit unter dem Stichwort Archäometrie zusammengefasst. Dieser Teil der Arbeit ist apparativ besonders aufwendig und kostspielig, weshalb er bisher zumeist noch fehlt oder erst ganz ansatzweise umgesetzt werden konnte. Für Bodenfunde und Erze aus dem Solling und angrenzenden Gebieten wie dem Harz oder aus Höxter-Corvey liegen jedoch erfreulicherweise eine ganze Reihe von Einzeldaten und Serienanalysen zur historischen Metallurgie vor, die zumindest als vielversprechender Anfang zu bewerten sind (Krabath 2001; Lepper et al. 2003; Segers-Glocke 2000; Stephan 1998; Stephan 2001; Wedepohl, Schneider 1986 mit Lit.). Mit den bloßen Daten ist das Ziel kulturhistorisch allerdings noch keineswegs erreicht. Sie bedürfen der umsichtigen sachkundigen Bewertung. Dies ist keine kleine Aufgabe, vor allem wenn man sich nicht mit der jeweils fachspezifischen Erhebung von Daten und deren Einordnung begnügt, sondern darüber hinaus größere Zusammenhänge einbezieht und eine gut verständliche Vermittlung der Ergebnisse an breitere Interessentenkreise anstrebt. In diesem Zusammenhang gewinnen auch die Umsetzung und Überprüfung von allgemein verbreiteten Vorstellungen und Forschungsauffassungen eine erhebliche Bedeutung. Über das in den Naturwissenschaften übliche Experiment im Labor hinaus sind hiermit prak-

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Hans-Georg Stephan

tische Arbeiten gemeint, mit denen man versucht, historische Verfahren zu rekonstruieren. Dies erscheint besonders wichtig, seitdem alte Handwerkstechniken durch die Industrialisierung weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Mit derartigen Vorgehensweisen ist gewiss kaum ohne weiteres die Routine der alten Metallurgen oder gar deren exklusives Spezialwissen zu erreichen. Dennoch ist die „Experimentelle Archäologie“ von größter Bedeutung als Prüfstein und Korrektiv für unsere vorgefassten, zweifellos nicht selten und mehr als uns bewusst ist, theoretisch und von in der Moderne gemachten Erfahrungen und heutigen Gepflogenheiten geprägten Meinungen. Diese grundsätzlich nicht ganz neuartige Arbeitsweise gehört seit einigen Jahrzehnten erfreulicherweise zu den immer häufiger und eindringlicher praktizierten, nicht zuletzt auch für die Vermittlung von Geschichte und Forschung in der breiteren Öffentlichkeit wichtigen und gern rezipierten Medien (z. B. Melzer 2008). Durch die verstärkten archäologischen Geländeforschungen in und um den Solling, insbesondere in der Stadtwüstung Nienover und deren weiten Einzugsbereich, wurde immer mehr offensichtlich, welche Bedeutung die Verarbeitung und Gewinnung von Eisen im Mittelalter hatte. Besonders aufschlussreich waren die Befunde und Funde auf einem Grundstück im Zentrum der Stadt, keineswegs am Rande, wie man von Verhältnissen in jüngerer Zeit ausgehend annehmen könnte. Dort wurde von etwa 1180/1200-1270 teils nacheinander, aber wohl auch nebeneinander Eisen, Bronze und Silber verarbeitet. Demnach wird man vermuten dürfen, dass die Verhältnisse in anderen Städten der Region ähnlich waren und im Hochmittelalter noch nicht durchgängig eine strikte Trennung der verschiedenen Zweige der Metallurgie üblich war. Bemerkenswert ist in diesem Kontext, dass trotz des Fehlens von Kupfererzen im Solling in der frühen Neuzeit neben den Eisenhütten auch Hüttenbetriebe vorhanden waren, in denen Harzer Kupfer verarbeitet wurde. Bei den Geländerecherchen zur Lokalisierung der Spuren mittelalterlicher Eisenverhüttung und Eisenverarbeitung ergaben sich räumlich am Südrand des Solling, im Westen bei Fürstenberg und vor allem im Norden um Merxhausen, Lüthorst, Dassel und Lauenberg deutliche Schwerpunkte. Daraufhin angesetzte geologisch-lagerstättenkundliche Prospektionen erbrachten eine Fülle von kleineren und etwas größeren Erzvorkommen im Solling, Bramwald und Reinhardswald, teils auch etwas darüber hinaus (Abb. 1, 5) ; Koch et al. 2003; Lepper et al.2003; Stephan 2011, bes. 124-127). Nachfolgend sollen nun einige Ergebnisse der Forschungen vor allem der vergangenen vier Jahrzehnte aus archäologisch-historischer Sicht skizziert werden. Es stellte sich vor allem die Frage, ob und in welchem Umfang zumindest einige dieser Erzvorkommen bereits im Mittelalter oder sogar in noch älterer Zeit aus-

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Eisen und Stahl: Bodenschätze im Mittelalter

Abb. 1 Übersichtskarte zu Orten mit Eisengewinnung und Eisenverarbeitung. 1 Höxter, 2 Corvey, 3 Fürstenberg, 4 Schmeessen, 5 Neuhaus, 6 Amelith, 7 Nienover, 8 Bodenfelde, 9 Wiensen, 10 Schönhagen, 11 Sohlingen, 12 Uslar, 13 Vahle, 14 Dinkelhausen, 15 Gottsbüren, 16 Gieselwerder, 17 Schlarpe, 18 Holtensen, 19 Steinbühl bei Nörten-Hardenberg, 20 Lenglern, 21 Heinade, 22 Merxhausen, 23 Lüthorst, 24 Markoldendorf, 25 Dassel, 26 Relliehausen, 27 Lauenberg, 28 Vogelbeck, 29 Veckerhagen, 30 Heisebeck, 31 Kammerborn

gebeutet wurden. Schriftliche Überlieferungen dazu gibt es allein für den Steinberg bei Markoldendorf ab 1304 (Mirus 1981). Ansonsten setzen die Nachrichten in Akten und Chroniken erst in der frühen Neuzeit ein, und dies nur für eine sehr begrenzte Anzahl von Lagerstätten und Orten der Eisenverarbeitung. Ein Kronzeuge für das 16. Jahrhundert ist der Chronist Johannes Letzner, ein aus Hardegsen gebürtiger gelehrter protestantischer Pfarrer, vor allem mit seiner „Dasselischen und Einbeckischen Chronika“ von 1596. Die weitgehende Übereinstimmung fast durchweg aus sich heraus allerdings nicht exakt datierbarer archäologisch lokalisierter, zumindest überwiegend aber doch wohl mittelalterlicher Standorte von Waldschmieden und Hüttenwerken kann kaum zufällig sein. Dennoch stand der seinerzeit in Hinblick auf archäometrische Fragestellungen führende Göttinger Geochemiker der Vermutung eines kausalen Zusammenhangs zwischen regionalen Erzvorkommen am Solling und archäologischen Indizien früher Metallgewinnung und Metallverarbeitung überaus skeptisch gegenüber. Karl Hans Wedepohl argumentierte nach damaligem Konsens in der historischen Eisenforschung ganz zu Recht, die Erze der meisten, ja fast aller bekannten oder infrage kommenden Lagerstätten seien unter den Rahmenbedingungen der Rennfeuertechnik der Frühgeschichte und noch des hohen Mittelalters nicht schmelzbar gewesen. Dies war keine zu weiteren Aktivitäten ermutigende Einschätzung.

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Hans-Georg Stephan

Nach einer kurzen Phase der Resignation entschlossen wir uns dann doch zu neuen Experimenten. Möglich war dies allein mit der tatkräftigen Unterstützung durch den in Sachen historischer Feuertechnik aufgrund gemeinsamer Erfahrungen im Nachbau eines mittelalterlichen Keramikbrennofens für Steinzeug, für das ebenfalls etwa 1200 Grad Celsius erreicht werden müssen, sehr erfahrenen Kunsttöpfer Hannes Klett Drechsel aus Fredelsloh (Brosch et al. 2003). So erfolgte schließlich 2003 der Nachbau eines Rennofens in der Stadtwüstung Nienover und dessen Beschickung mit im Solling an verschiedenen Stellen gesammelten Erzen (Abb. 2). Die Schmelze mit lokal in Bodenfelde erzeugter Buchenholzkohle, die in Abb. 2 Schlackenabstich am experimentellen Ofen in der Stadtwüstung etwa dem traditionell schon seit frühgeschichtlicher Zeit entsprechenden Nienover 2003 (Foto Michael Koch) Feuerungsmaterial entsprechen dürfte, erwies sich als eine Herausforderung. Sie gelang jedoch schließlich grundsätzlich. Die Ausbeute an Eisen war gering, der Eisengehalt in der Schlacke (der Luppe) hingegen sehr hoch. Dennoch fühlten wir uns ermutigt, die Experimente fortzusetzen. Ein daraufhin auf Initiative einer Arbeitsgruppe um Michael Koch (Koch et al. 2004) ab 2002 eingeleitetes längerfristiges Experimentierprojekt gemeinsam mit dem traditionell arbeitenden Kunstschmied Georg Petau erbrachte dann endgültige Klarheit (vgl. Kap. 6). Das zuvor für unmöglich gehaltene Schmelzen regionaler Erze mit niedrigem Eisengehalt und die Verarbeitung des gewonnenen Roheisens gelangen nach geraumer Zeit mit recht guten Ergebnissen. Vorab ist noch anzumerken, dass die modernen politischen Grenzen den alten größeren Natur- und Kulturraum Weserbergland zerschneiden. Dies ist in mancher Hinsicht ein Problem, nicht zuletzt auch für die von der Sache her unbedingt erforderlichen raumübergreifenden Forschungen und Einschätzungen der historischen Wissenschaften. Geologisch ist der Solling ein Teil der Buntsandsteinformationen beiderseits, vornehmlich aber östlich der Fulda, Werra und Oberweser zwischen Kassel, Göttingen, Holzminden und Bodenwerder. Insofern ist dieser letztlich zusammen mit dem Bramwald und dem Reinhardswald zu sehen. Zumindest ansatzweise wird darauf zurückzukommen sein.

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Eisen und Stahl: Bodenschätze im Mittelalter

In Hinblick auf die Eisenerze, Eisenhütten und Metallverarbeitung stand dieser Raum im Schatten und in Konkurrenz, aber vermutlich auch frühzeitig in Verbindung zum Harz und zum Rheinischen Schiefergebirge als bedeutende Bergbaugebiete mit zahlreichen Schmieden und Hüttenbetrieben. Dies kann hier nicht weiter vertieft werden, ist aber grundsätzlich anzumerken. Für die Neuzeit ist die Überlieferung recht gut, ob und in wie weit daraus Rückschlüsse für die älteren Zeiten möglich sind, ist schwer zu beurteilen. Der Solling wird von mehreren sehr alten, vornehmlich west-ost- und südostnordwest/nordost- orientierten Fernwegen gekreuzt. Im Westen begrenzt ihn die einst schiffbare Weser, im Osten die Leine. Das flach aufgewölbte Bergland ist keineswegs sonderlich verkehrsfeindlich, besonders unwirtlich oder abgelegen. Im Gegenteil reichen besiedelte Talzüge und frühe Siedlungsinseln weit in das Bergland hinein, und alte Siedlungsgefilde säumen es längs der Weser, vor allem aber im Osten an der Leine und Ilme. In ur- und frühgeschichtlicher Zeit war der größte Teil des Sollings, abgesehen von einigen Talungen mit wasserreichen Bächen und Quellen, seit der Ausbreitung der sesshaften Lebens- und Wirtschaftsweise mit Ackerbau und Viehzucht in der Jungsteinzeit weitgehend wohl wenig besiedelt. Zumindest für saisonale oder extensive Viehwirtschaft (z. B. weiträumige Transhumanz) und als Hinterland spielte der Solling jedoch eine erhebliche, für Leben, Bauen (Holz) und Ökonomie unverzichtbare Rolle. Insbesondere gilt dies für wärmere relativ trockene Klimaabschnitte, etwa während der ausgehenden Jungsteinzeit, der Bronzezeit, der jüngeren vorrömischen Eisenzeit und vor allem dann seit dem 8./9. Jahrhundert. Damals waren nicht allein die angrenzenden Tallandschaften zunehmend dicht besiedelt, sondern die Kulturlandschaftserschließung drang auch in für die Landwirtschaft geeignete Teilbereiche des Solling vor. Im Kontext derartiger seit Jahrtausenden üblicher vielfältiger Nutzungen müssen die Menschen auch auf bestimmte Anzeiger für die Erzvorkommen anhand der Geländebeschaffenheit gestoßen sein. Im Übrigen ist damit zu rechnen, dass Wanderhandwerker bzw. Prospektoren aus dem Harz oder aus anderen weiter entfernten Regionen zu verschiedenen Zeiten gezielt nach Metallvorkommen gesucht haben. Das Wissen davon, oder zumindest Hinweise in Gestalt von Erzählungen oder indirekt über Aussagen zu typischen Vegetationsmerkmalen könnten etwa einheimische Hirten und Heilkundige beigetragen und tradiert haben. Einschlägige Gewässernamen (Rotes Wasser), Orts- oder Flurnamen sowie Bergnamen können weit zurückreichen, stammen allerdings überwiegend aus der frühen Neuzeit. Der älteste derzeit bekannte regionale Nachweis für Eisenverarbeitung und Verhüttung stammt aus dem östlichen Vorland des Solling nördlich von Göttingen. Im Randbereich einer großen Siedlung der jüngeren vorrömischen Eisenzeit am Steinbühl westlich von Nörten-Hardenberg wurde etwa im dritten bis ersten

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