Jahrbuch 2019/2020 für den LK Holzminden Bd. 37/38

Page 1



Jahrbuch für den Landkreis Holzminden Herausgegeben im Auftrage des Heimat- und Geschichtsvereins für Landkreis und Stadt Holzminden e.V. von Matthias Seeliger

Band 37/38 2019/2020

Holzminden 2020 Verlag Jörg Mitzkat


Allen Mitarbeitern sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Unser Dank für eine finanzielle Förderung gilt der Kulturstiftung des Landkreises Holzminden und der Stadt Holzminden.

Redaktion: Dr. Matthias Seeliger, Stadtarchiv Holzminden Abbildungsnachweise bei den jeweiligen Beiträgen Titelbild: Braunschweigische Uniformen (vgl. S. 37) (Vorlage: Stadtarchiv Holzminden, HOL-Slg. 641 - 021)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Heimat- und Geschichtsverein für Landkreis und Stadt Holzminden e.V. sowie Autoren Satzanpassung, Scans, Layout: Verlag Jörg Mitzkat, Holzminden ISSN 0176-6538 ISBN 978-3-95954-103-9 Vereinsanschrift: Kulturzentrum „Weserrenaissance Schloss Bevern“, 37639 Bevern www.hgv-holzminden.de Der Bezugspreis für das Jahrbuch ist im Mitgliedsbeitrag des Heimat- und Geschichtsvereins enthalten.


Christoff Lichtenhahn † Nach mehrmonatiger schwerer Krankheit erlag er am 26. Februar 2019 im Alter von 79 Jahren einem Krebsleiden. Er starb zu Haus im Kreis seiner Familie. Christoff Lichtenhahn wurde am 28. Juli 1939 in Hannover geboren. Dort hat sein Vater als Architekt gearbeitet. Wegen der Kriegsereignisse zog die Familie nach Hildesheim. Als Christoff Lichtenhahn 14 Jahre alt war, zog seine Familie wieder zurück in die Landeshauptstadt. Von dort ging er bis zum Abitur auf die von Hermann Lietz pädagogisch geprägte Christophorus Schule in Elze. Nach der Schulzeit widmete er sich der Architektur. Er studierte zunächst in Braunschweig, dann wechselte er nach Karlsruhe und machte dort seinen Abschluss als Dipl. Ing. Architekt. Es folgte die erste Anstellung in Karlsruhe, die ihn dazu brachte, sein Studium zu vertiefen. Hatte er bisher einen Schwerpunkt auf die Ausbildung im Hochbau gelegt, folgte nun eine Erweiterung durch das Studium des Städtebaus. Um in den Staatsdienst gehen zu können, leistete er ein Referendariat in Stuttgart ab. Die darauf folgende Zeit verbrachte er als Assessor in Bremen, wo er anschließend zum Baurat befördert wurde. Nach drei Jahren bewarb er sich erfolgreich beim Landkreis Holzminden auf eine Stelle zum Oberbaurat und wurde kurze Zeit später zum Baudirektor ernannt. Zu seinen Tätigkeitsfeldern gehörten: Umweltschutz, Tiefbau, Hochbau, Wasserwirtschaft, Denkmalpflege, Planung und Unterhaltung öffentlicher Bauten. 2001 ging Christoff Lichtenhahn in den Ruhestand. Sehr frühzeitig brachte sich Christoff Lichtenhahn mit seinem beruflichen Fachwissen in den Heimat- und Geschichtsverein e.V. ein. Kurz nach der Gründung referierte er über die ländliche Denkmalpflege im Landkreis Holzminden, und bereits im zweiten „Jahrbuch 1984 für den Landkreis Holzminden“ war er mit einem Beitrag über den Camphof in Stadtoldendorf vertreten. Im folgenden Jahr leitete er zusammen mit Friedrich Schreiber eine Exkursion zu den beiden CampeHöfen in Stadtoldendorf und Deensen und erörterte vor Orte deren Geschichte. Weiterhin folgte in dem Doppelband 5/6 des Jahrbuches 1988 ein Beitrag über die Ortsdurchfahrten und deren Veränderungen durch die Straßenplanung. 1993 trug er vor den Mitgliedern des Vereins die Geschichte der Klöster und Kirchen entlang der Weser vor und organisierte eine Exkursion nach Hildesheim. Weiterhin bot Christoff Lichtenhahn erstmalig eine Fernexkursion nach Speyer an. 2001 sprach er vor den Mitgliedern über die Dokumentation der Denkmalstage. Er beteiligte sich aber nicht nur bei den Beiträgen in den Jahrbüchern für den Landkreis Holzmindern und den Vorträgen des Heimat- und Geschichtsvereins, sondern er stellte sich auch von 1999 bis 2005 als Zweiter Vereinsvorsitzender zur Verfügung. Damit war er auch in der Vereinsführung in verantwortungsvoller Stellung tätig. Nach der Grenzöffnung zur ehemaligen DDR nahm Christoff Lichtenhahn Kontakt zu seinem Amtskollegen in Quedlinburg auf. Die daraus entstandenen

V


Christoff Lichtenhahn referiert vor über 50 Exkursionsteilnehmern über die Geschichte des Camphofes in Stadtoldendorf, März 1985.

Beziehungen wurden im Laufe der Jahre immer enger. Dies nutzte er, um mit dem HGV im Oktober 2002 eine informative und interessante Exkursion in diese Harzrandstadt durchzuführen. Christoff Lichtenhahn schrieb auch weiterhin wertvolle Beiträge über die Geschichte des Landkreises Holzminden. Im Band 21 der Jahrbücher für das Jahr 2003 veröffentlichte er die Baugeschichte der Schulenburg und Gertrudenkapelle in Bodenwerder sowie deren Umbau und Neunutzung. Seinen letzten Beitrag veröffentlichte er in Band 23 für das Jahr 2005: „Aspekte und Hintergründe derzeitiger Landschaftsveränderungen im Landkreis Holzminden und im Weserbergland.“ Dieses Thema war ihm sehr wichtig. Es ist auch mit 20 Seiten sein umfangreichster Beitrag in den Jahrbüchern. Als 2002 die Arbeitsgemeinschaft Naturkunde beim Heimat und Geschichtsverein gegründet wurde, nahm er mit großem Interesse teil. Er untersuchte mit anderen Vereinsmitgliedern verschiedene Biotope im Landkreis Holzminden. ­Jeder in dieser Arbeitsgruppe hat als Fachmann/frau ein unterschiedliches Fachgebietswissen. Christoff Lichtenhahn war hier mit seinen botanischen Interessen ein gern gesehenes Mitglied. Dieses Wissen und die Erkenntnisse der Arbeitsgruppe um die Veränderungen unserer Kulturlandschaft im räumlichen Gebiet waren ­sicherlich Anlass zu seinem letzten Beitrag. Seine Vorträge und Exkursionen waren alle sehr gut besucht. Sie stellten für die Mitglieder des Heimat- und Geschichtsvereins eine große Bereicherung dar und werden ihn auch über seinen Tod hinaus noch lange Zeit in Erinnerung bleiben lassen. Detlef Creydt

VI


Inhaltsverzeichnis Aufsätze Der Weserraum im Blick von Herzog Carl I. und seinen Räten (1735–1780). Von Peter Albrecht

1 – 22

Das Gefecht bei Neuhaus im Solling am 13./14. September 1761: Das Kriegsjahr – Das Gefecht – Die archäologischen Funde. Von Detlef Creydt und Jan Schametat

23 – 60

Zichorienkaffee – eine Holzmindener Erfindung? Anmerkungen zur Geschichte des Hauses Böntalstraße 44 in Holzminden. Von Matthias Seeliger

61 – 80

Christian Holste (1836–1914): Aus dem Leben eines Kleinkötners in Polle, nach überlieferten Familienpapieren und Erzählungen. Von Jürgen Huck

81 – 88

Wucherer an den Galgen? Die „Burenschlachten“ im Raum Delligsen / Duingen 1921. Von Wolfgang Schäfer

89 – 100

Das Schweigen brechen nach 75 Jahren: Die Tragödie um die Familie 101 – 132 der Jüdin Margarete Pieper aus Osterbrak bei Bodenwerder in NS- und Nachkriegszeit. Von Bernhard Gelderblom Das Zusammenwirken der Eisenhütten im Weserdistrikt unter besonderer Berücksichtigung der Stahl- und Eisenfabrik Holzminden. Von Detlef Creydt

133 – 150

Wilhelm Raabes Gymnasialgeschichte(n): Auch er war ein Zögling des Herzoglichen Gymnasiums zu Holzminden. Von Reinhard Krebs

151 – 164

Die katholische Kirche in Boffzen und das Gemeindezentrum in Lauenförde. Von Maria Kapp (†)

165 – 186

Stadtarchiv Holzminden Bibliographie zur Geschichte des Landkreises Holzminden (20). Bearbeitet von Matthias Seeliger Verzeichnis der Mitarbeiter

187 – 199 200

VII



Jahrbuch für den Landkreis Holzminden

Band 37/38 2019/20

S. 1 - 22

Der Weserraum im Blick von Herzog Carl I. und seinen Räten (1735–1780) von Peter Albrecht Mit 2 Abbildungen

Carl I. Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, über dessen Regierungszeit ich hier berichten will,1 wurde am 1. August 1713 in Braunschweig geboren; sein Vater war Ferdinand Albrecht II. (1680– 1735), der nur wenige Monate regierte. Dessen Vater, Ferdinand Albrecht I., war der „tolle“ Herzog aus Bevern (1636–1687). Carl I. war staatsrechtlich gesehen Herzog von Braunschweig-Lüneburg und regierte das Fürstentum Wolfenbüttel als Teil des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg. Er fühlte sich als Herzog von Braunschweig, zu seinem Territorium gehörten das Fürstentum Wolfenbüttel, das Fürstentum Blankenburg mit dem inkorporierten Stiftsamt Walkenried, 3/7 des Communionharzes und das Amt Thedinghausen (vor den Toren Bremens gelegen). Zu seiner Regierungszeit landläufig – also nicht staatsrechtlich – alle zusammengefasst unter der Bezeichnung Herzogtum Braunschweig.2 Die Stammlande gliederten sich zu seiner Regierungszeit – die dauerte von 1735 bis 1780 – in den Wolfenbütteler Distrikt, den Schöninger Distrikt, den Harzdistrikt und eben den Weserdistrikt mit den Städten Holzminden und Stadtoldendorf und dem Stadtflecken, also der nicht so richtigen Stadt Eschershausen. 1793 lebten in diesem Gebiet 31.433 Menschen, in den drei Städten 4.567 und auf dem platten Lande 26.866, also 14,5% in den Städten, 85,5% auf dem Lande. Der Weserdistrikt umfasste rund 20% der Fläche der Gesamtlande, und dort wohnten rund 18,1% der Bevölkerung.3 Dies vorweg, um Abb. 1: Porträt Carl I., Herzog zu Braunschweigdie Einordnung der folgenden Ausführungen ein Wolfenbüttel, nach einer Zeichnung von Ludolf wenig zu erleichtern. Lafontaine. (aus: Galerie von Portraits der berühmten Meine Leitfrage lautet: Wieso interessiert Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, hrsg. v. Wilhelm Görges. Braunschweig 1838-1840, nach S. 116; Vorl.: man sich in Wolfenbüttel plötzlich so sehr für Stadtarchiv Holzminden, HOL-Slg 518 – 009) den arg fernen Weserdistrikt? 1


Peter Albrecht

Die Untertanen in den vergangenen Jahrhunderten wussten sicherlich, dass sie einen Fürsten, einen Herzog hatten, sicherlich auch noch, dass dieser in Wolfenbüttel seine Residenz hatte und manchmal auch in der näheren Umgebung – also hier in Fürstenberg – sich zur Jagd aufhielt. Aber deswegen sich als Wolfenbütteler zu fühlen, das kam ihnen wohl kaum in den Sinn. Erst als sich die Vorstellung eines Territorialstaates durchzusetzen begann, also in unseren Breiten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, mühten sich die Obrigkeiten, so etwas wie Landesbewusstsein zu vermitteln und zu erzeugen. Dazu war es erforderlich, in den verschiedenen Landesteilen überhaupt erst einmal ein tieferes Gefühl der Zusammengehörigkeit zu erzeugen. Der dazu empfohlene Weg war, Kontakte zwischen den Landesteilen herzustellen und grundlegende Dinge einheitlich zu gestalten. – Was galt es denn zu vereinheitlichen? Maße und Gewichte Da wäre einmal der Umstand, dass es im ganzen Lande, auch nicht im Weserdistrikt, wirklich einheitliche Maße und Gewichte gab. Selbstverständlich gab es überall im Fürstentum, ja überall in den welfischen Landen Ellen, Pfunde, Centner, Himpten, Quartier usw. Soweit so gut, aber das bedeutete leider keineswegs, dass Maß und Gewichte wirklich gleich waren. Also eine Elle in Fürstenberg musste wahrlich nicht mit der entsprechenden eisernen am Altstadtrathaus in Braunschweig übereinstimmen. Dieser Übelstand war bereits seit mehreren Jahrhunderten bekannt und sollte schon mehrfach „gleich“ abgestellt werden. Entsprechendes sah etwa die Landestaxordnung von 1645 vor.4 Im Weserdistrikt war diese Unordnung ebenfalls zu beklagen. Ein paar Beispiele: 1738 musste der Gerichtsschultheiß und Bürgermeister von Holzminden nach Wolfenbüttel berichten, dass die Taxatoren, die Probemänner, festgestellt hätten, dass zwar gezeichnete Maße vorhanden, die aber ungenau seien. Das träfe sowohl auf Himpten, Pfunde und Ellen, ja auch auf Fässer zu. Man bat daher um die Überlassung aufrichtiger Himpten.5 Der Drost Hedemann in Ottenstein erhielt 1741 folgende Weisung: Ihr habet nun hierunter nach der Braunschweigischen Maaße euch zu richten und einen nach selbigen gezeichneten Himten von dem Amte Forst zu nehmen und darnach die Himten in dem Amte Ottenstein einrichten zu lassen, folgendes dahin zu sehen, daß in demselben kein anderer als dergleichen gebrauchet werde.6 Schon 1749 beklagt sich der Oberforstmeister von Langen aus Fürstenberg darüber, dass niemand die neu verfertigten Braunschweiger Himpten kaufen will.7 Nun ja, die mussten ja auch bezahlt werden. Ein vollständiger Satz geeichter Gewichte, der zehn Stücke umfasste, kostete 11 Reichsthaler 2 Mariengroschen und 2 Pfennige.8 Eine Menge Geld, die Summe entsprach in etwa dem Vierteljahresgehalt eines Dorfschullehrers. Immerhin forderte der Amtmann von Ottenstein im Jahre 1778 entsprechende Maße an. Umgehend kam die schon erwähnte Preisliste; ob er die Gewichte dann auch wirklich bestellt hat, darüber sagen die Akten nichts aus.9 Noch einige Beispiele: 1760 stellte Oberforstreiter von Hoym fest, dass im Amte Wickensen unrichtige Maße verwandt wurden.10 Aus Holzminden wurde 1772 berichtet: Nach dem Tode des Kontrolleurs Hasenbalg im Jahre 1748 hat sich im Weser-Distrikt eine nicht geringe Differenz fast durchgehends geäußert und soll es schwer seyn, zwey Himten zu finden, welche in den Maaße vollkommen überein kommen.11 Dabei ging es nicht um kleinere Abweichungen, etwa im Promillebereich. Gutes Anschauungsmaterial liefert da der zugehörige Bericht. Darin wurden vier „amtliche“ Himpten verglichen:

2


Der Weserraum im Blick von Herzog Carl I. und seinen Räten (1735–1780)

Senator Kerl Packhaus BS 2217 443/896 cm3 2217,49 cm3 100 Ratshimpte Holzminden 2291 1/7 cm3 2291,14 cm3 103,32 3 Amt Thran aus BS 2357 3/7 cm 2357,43 cm3 106,31 Obrist von Hoym aus BS 2451 22/28 cm3 2451,79 cm3 110,57 Also bei der Debatte um einheitliche Gewichte ging es nicht um Kleinigkeiten, jedenfalls nicht, wenn es um Himpten und Fässer ging. Warum gelang es nicht, diese einzuführen? Einmal kosteten solche Maße Geld, und besonders bei den Gewichten aus Eisen war das nicht wenig. Weiterhin war es oft nicht einfach, wirklich passgenaue Maße und Gewichte zu produzieren. Eisenringe sollen zum Beispiel beim Himpten den Trick mit dem feuchten Holz verhindern oder doch zumindest sichtbar machen. Schrumpfmaße sollten so offenkundig werden. Und dann gab es da ja noch die verschiedenen Wege, einen Himpten mit Getreide zu füllen: Am schwersten war „ein gerüttelt Maß“, ein Ausdruck, der sich bis heute erhalten hat. Dann gab es da noch den gestrichenen Himpten, und zum Streichen extra einen Streichstab. Später wurden auch viele Himpten mit einem Eisenkreuz versehen, das „geschicktes Agieren“ mit dem Streichstab unterbinden sollte.12 Sie ahnen wohl, welch Fortschritt die Dezimalwage war, die 1821 patentiert wurde. Zum anderen war die Ungleichheit der Maße meist nicht ein Produkt der Willkür, sondern richtete sich nach der Ausrichtung der Handelsbeziehungen. Ein drastisches Beispiel: Die Herren in Köln konnten in Sachen Maße und Gewichte im fernen Köln verordnen was sie wollten, in ihrem Hildesheimer Bistum galten die der Stadt Braunschweig, und in einigen Gegenden die aus Hannover, denn dort waren die Abnehmer ihres Getreides beheimatet, nicht im Rheinland. Und dann waren da noch die Handelsinteressen der eigenen Untertanen. 1788 musste der Amtmann von Allersheim nach Braunschweig schreiben: So ermangeln wir nicht unterthänigst einzuberichten, wie ich, der Amts-Rath bey dem Antritt der hiesigen Amts-Pacht vor 21 Jahren 2 geeichte Himpten vorgefunden, die nach dem Urtheil aller derer, welche in hiesiger Gegend Korn zu kaufen pflegen, zu klein in der Maaße gehalten. Es hat dieses die Folge für mich, daß das hiesige Korn gewöhnlicher maßen so lange liegen blieb, bis auf dem Fürstl. Amte Forst, wo seit geraumer Zeit größere jedoch geeichte Himpten vorhanden gewesen, debitiret worden. Um diesen Nachtheil zu vermindern, habe ich vor etwa 4 oder 5 Jahren neue Himpten, der Amt Forstischen Maaßen gleichförmig, verfertigen laßen, jedoch vernehme ich so eben, daß dieser neue Himpten bis lang aus einem Versehen meiner Leute, denen solches zu beschaffen, von mir aufgegeben, noch nicht geeichet wurden. Es ist hiebey von mir annoch submissest anzuführen, da der Senator Mittendorf in Stadtoldendorf einen Himpten führet, der die hiesigen an Größe noch übersteiget, ob er gezeichnet seyn soll, wie denn seither auch unter denen geeichten Himpen fast durchgängig keine genaue Gleichheit verspüret worden. In unterthänigster Befolgung des eingangs uns gewordenen höchsten Befehls haben wir dieses submissest einberichten sollen, die wir in tiefster Devotion beharren, Ew. Herzgl. Durchl. unterthänigste treu gehorsamste Knechte.13 Leider ist nicht überliefert, wie die Sache ausging. Eine Reaktion hat es mit Sicherheit gegeben, die Zeiten hatten sich geändert und es musste über die Umsetzung von Weisungen berichtet werden. Wirklich einheitliche Maße und Gewichte, also solche, die bis auf die erste Stelle nach dem Komma übereinstimmen, die finden sich dann erst im 19. Jahrhundert. Verordnungen Selbstverständlich mühte sich der Geheime Rat, durch Verordnungen, Avertissements, Reskripte usw. gleiche Verhältnisse im Territorium herzustellen. Deren Zahl nahm auch gewaltig zu, wie ein 3


Peter Albrecht

Blick in den Bestand 30 Slg in der Abteilung Wolfenbüttel des Niedersächsischen Landesarchivs deutlich vor Augen führt. „Verordnungssammlung“ lautet deren Titel, doch Vorsicht, dies führte und führt oft zu Fehlschlüssen. Lassen sie mich an einem Beispiel aus dieser Region einen typischen Vorgang, der zu einem Avertissement führte, kurz schildern: Anlass waren zwei Gründe: 1. Die inländischen Zeugmacher litten um 1755 unter Absatzmangel. 2. Es bestand Unbehagen darüber, dass das Gesinde sich über die Verhältnisse hinaus zu üppig kleidete. Die Sache kam dem Herzog und seinen Räten zu Gehör und wurde im Kollegium erörtert. Wie seit einigen Jahren gebräuchlich, wurden Stellungnahmen eingeholt. Gefragt wurde, ob eine Kleiderordnung angebracht sei, auch Amtsrat Büttner aus Holzminden, der fand jedoch offensichtlich keine Zeit für eine Antwort. Die angeschriebenen Herren fanden allerlei Bedenken nötig vorzutragen, aus einer allgemeinen Kleiderordnung wurde daher auch nichts. Untätig war man aber doch nicht, es ergingen gering voneinander abweichende Schreiben an die Städte Wolfenbüttel, Helmstedt, Königslutter, Schöningen, Schöppenstedt, Seesen und Gandersheim. Nach Stadtoldendorf und Eschershausen lautete der eigentliche Text wie folgt. Es ist dem Gesinde, welches zur gemeinen und gewöhnlichen Aufwartung und Dienstleistung in der Küche, im Hause oder sonst gebraucht wird, die Üppigkeit in Kleidern, so weit eingerissen, daß ordentlicherweise der Lohn nicht zureichen kann, also das Gesinde auf verbotenen Nebengewinn und übele Anwendung des Lohn verfallen muß, da diesem Unwesen nicht länger nachgesehen werden kann und soll, als[o] habet ihr gleich nach Einlangung dieses in dasiger Stadt bekannt machen zu lassen, daß alle und viele Dienstmägde, und zwar bei Strafe der Konfiskation, sich nicht ferner unterstehen sollen, Seidenzeug, es habe Namen wie es wolle, Gold und Silber besetzte, gestickte, sondern lediglich unbesetzte Mützen, lederne Schuhe und Pantoffeln zu tragen. Wobei euch gnädigst doch ernstlich anbefohlen wird, mit allen Nachdruck darüber zu halten, daß diesem genau nachgelebet werde, zu dem Ende auf die Kontraventiones fleißig invilgiren zu lassen, und gegen die Unboten ohne Nachsicht mit der Konfiskation zu verfahren.14 Also eine eindeutige Weisung, die es galt umzusetzen. Nun ja, so war das aber in der Mitte des 18. Jahrhunderts keineswegs. Die Magistrate waren alle recht eilfertig, ihre devoteste Untertänigkeit zu beteuern – nur in diesem Falle müsse man gewisse Dinge erinnern. Mit anderen Worten: Man tat erst einmal gar nichts und trug dafür dem Geheimen Rat Einwände bzw. Ergänzungsvorschläge vor und harrte einer Antwort aus Braunschweig. Ein Schreiben aus Stadtoldendorf fiel jedoch ganz aus dem Rahmen: Durchlauchtigster Herzog, gnädigster Herzog und Herr! Er[würdige] Herzogl[iche] Durchl[aucht] haben gnädigts geruhet, den Dienstboten in Dero Landen das Tragen des Gold und Silbers zu untersagen. Wir vernehmen diese Höchste Verordnung mit dem ersinnlichsten respect; Wir müssen aber auch Erw[ürdige] Herzogl[iche] Durchl[aucht] wehmütigst klagen, daß wir durch derselben unterthänigste Befolgung in die äußerste Verachtung kommen sind; maßen die übrigen Bürger-Töchter allhier, welche nicht dienen, uns dieserhalb verspotten, und gleichsam mit Fingern auf uns weisen, ohnerachtet die meisten von ihnen die Geschicklichkeit nicht haben, bey ordentlichen Herrschaften zu dienen, auch zum Teil lieber bey ihren Eltern und Anverwandten Hunger und Kummer leisen, als das Gold und Silber ablegen wollen. Es ist uns diese üble Begegnung desto schmerzhafter, da wir keine auswärtigen sondern insgesamt hiesige BürgerTöchter sind, und wenn uns dieses, daß wir dienen, und uns dadurch gewisse Fähigkeiten zu erwerben suchen, zur Verkleinerung und Verachtung bey unseres gleichen, ja gar zur Verspottung gereichen soll, so werden wir in die Nothwendigkeit gesetzt, entweder gar nicht oder in andern Landen zu dienen. 4


Der Weserraum im Blick von Herzog Carl I. und seinen Räten (1735–1780)

Wir stellen Erw[ürdige] Herzogl[iche] Durchl[aucht] gnädigstes Ermeßigung unterthänigst anheim, ob es gestalten Sachen nach nicht rathsam seyn dürfte, obgedachte gnädigste Verordnung auch auf die übrigen Bürgertöchter allhier, welche nicht dienen, zu extendiren, daß sie aufhören über uns zu frohlocken und uns bey allen Gelegenheiten zu insultiren. Auch müssen wir, Caroline Schulzen, Louise Sporleder und Dorothea Verlehausen unterthänigst anzeigen, daß wir am verwichenen 2ten Ostertage besetzte Mützen getragen haben, weshalb diese von dem hiesigen Magistrate für verfallen erkläret sind. Wir können aber eidlich erhärten, daß wir solches nicht zum despect der gnädigsten Verordnung gethan haben, sondern dadurch verführet sind, daß des hiesigen Gerichtschultheiß Wilcken und Bürgermeister Bartels Dienstmägde am verwichenen stillen Freytage besetzte Mützen getragen haben. Wir schlossen daraus, daß in der höchsten Verordnung, deren eigentlichen Inhalt uns nicht bekannt ist, vielleicht eine gewisse Zeit bestimmt worden war, nach deren Ablauf sie erst vim legis haben sollte, und welche noch nicht verflossen war. Wir flehen Erw[ürdige] Herzogl[iche] Durchl[aucht] weltgepriesenen Gnade unterthänigst demüthigst an: Höchstderselben geruhen gnädigst, uns für diesesmal die verwirkte Strafe in höchsten Gnaden zu erlassen. Wir erstreben mit unterthänigsten respect, Durchlauchtigster Herzog, Gnädigster Herr und Herr, Erw[ürdige] Herzogl[icher] Durchl[aucht] Stadtoldendorf, den 24. April 1760 Unterthänigste getreueste sämtliche Dienstboten allhier.15 In Wolfenbüttel war man beunruhigt und verwundert: Nicht etwa, weil man die Zusammenrottung der Dienstmädchen fürchtete, sondern weil hier der Verdacht der Korruption bestand, und weil man schlicht nicht auf die Idee gekommen war, dass in herzoglichen Städten noch Bürgertöchter als Dienstmädchen arbeiten würden. In den Stammlanden war das wohl ganz offensichtlich nicht so, in keiner Replik wird dieser Umstand erwähnt – also eine Besonderheit des nun einmal nicht so wohlhabenden Weserdistriktes. Die ganze Aktion hatte ja auch die Absicht, die ärmeren Bürgertöchter zu schützen, damit sie weiterhin sich durch Kleidung von Dienstmädchen, also Landesfremden oder Töchtern von Nichtbürgern, deutlich zu unterscheiden waren. – Im Umkehrschluss: Dienstmädchen trugen in ihren Freistunden nicht mehr ihre Dienstkleidung, sondern liefen wie Bürgertöchter herum. Was veranlasste man in Wolfenbüttel: Man beauftragte den Bürgermeister mit einer Untersuchung. Der lud fleißig allerlei holde Weiblichkeit zur Vernehmung vor und musste unter anderem auch protokollieren lassen, dass seine Dienstmagd eine solche Mütze getragen habe, die sie von seiner Frau geschenkt bekommen habe. Nun ja, die Untersuchung über Begünstigung verlief im Sande. Sonst erging folgende Weisung: vorerst bis auf weitere Verordnung den Mägden das Tragen der Mützen zu gestatten, nur die übrigen Teile sollten streng beachtet werden – die hatten aber auch gar keine reale Bedeutung. Also, in Stadtoldendorf galt das Reskript überhaupt nicht. In Gandersheim war das auch so, in anderen Städten gab es ebenfalls allerlei Änderungen. Also aus dem Text eines Avertissements, eines Reskriptes so ohne weiteres zu folgern, das sei gültiges Recht gewesen, ist nicht möglich. Diese Vorgehensweise hatte – darauf sei kurz verwiesen – ihren Ursprung im ständestaatlichen Denken, die Magistrate waren nicht einfach weisungsgebundene Organe, sondern getreu ständischer Vorstellung Mitbeteiligte. Daher hatten alle Reskripte des Geheimen Rates bis ins ausgehende 18. Jahrhundert den Charakter einer Ankündigung, die bei akzeptierten Gegenvorstellungen durchaus noch abgeändert werden konnte. Solche Vorstellungen entsprachen nun gar nicht mehr den absolutistischen Wertvorstellungen einer wohlgeordneten Verwaltung und sollten und wurden auch abgestellt. Der Geheime Rat ließ sich kaum noch auf Sonderregelungen ein. 5


Peter Albrecht

Abb. 2: Titelblatt des 1777 erschienenen ersten Bandes von Fredersdorffs „Promtuarium“ (bildlich betrachtet ein Lagerraum oder Magazin für all die gesammelten Verordnungen). (Stadtarchiv Holzminden, Bibliothek: 3/F/3020)

6


Der Weserraum im Blick von Herzog Carl I. und seinen Räten (1735–1780)

Grundsätzlich wurde das Problem erst unter Carl Wilhelm Ferdinand angegangen. In Preußen schaffte dies das berühmte Allgemeine Landrecht (1794), in Braunschweig das Promtuarium,16 welches Fredersdorff17 erarbeitete. Dieser Herr, zunächst Justizamtmann in Walkenried, dann Polizeidirektor der Stadt Braunschweig, war ein weit über die Landesgrenzen hinaus sehr bekannter Vertreter des Naturrechtes, über das er auch publiziert hatte. Er trug seit 1774, so hieß es überall, nur das alte Recht des Landes unter sachgemäßen Stichworten zusammen, also nichts Neues, und daher blieben Proteste auch ganz aus, als 1777 die ersten zwei Bände erschienen. Jeder Kundige der Zeit sah sofort, was es damit wirklich auf sich hatte. Der Herr nahm erstens die Reskripte usw. wie sie Wolfenbüttel bzw. später Braunschweig in der Erstfassung verlassen hatten, zweitens, noch wichtiger, er wählte überaus großzügig aus. Was nicht in sein System passte, das fand er einfach nicht. Da er dann auch noch die einschlägigen Kommentare, etwa für die Justizbeamten, also die Juristen, die bei den Ämtern beschäftigt waren, verfasste, war die Wirkung seiner Werke besser als jedes neukonzipierte Recht. Es galt, einigermaßen einheitliche Lebensbedingungen im Lande herzustellen. Diese Forderung steht auch in unserem Grundgesetz – und Sie wissen, wie schwer dies umzusetzen ist. Das war im 18. Jahrhundert kein bisschen anders. Da wäre zunächst einmal die erforderliche Hilfe, weil eine temporäre Notlage entstanden ist. Der zentrale Engpass im 18. Jahrhundert – Getreide. Misswuchs und kriegerische Auseinandersetzungen waren meistens die Ursache. Kornmangel 1756/58 Die Herzogliche Verwaltung war sich ihrer Pflicht, die Untertanen im Falle der Not mit dem Notwendigsten zu versorgen durchaus bewusst, im Übrigen nichts Neues, diese Pflicht oblag dem Grundherren, und der war im Braunschweigischen fast immer der Landesherr. Der hatte diese Verpflichtung in aller Regel seinen Amtmännern übertragen. Sie, die Pächter der Amtsgüter, der Klostergüter hatten dafür zu sorgen, dass alle Untertanen in ihrem Amte mit dem notwendigen Getreide versorgt wurden, wenn sie dazu selber nicht in der Lage waren. Dabei ging es um Brotkorn für Mensch und Vieh und um Saatkorn, das eine besondere Qualität haben musste. Zur Bewältigung solcher Krisen mussten die Untertanen auf Verlangen sehr umfangreiche Auskünfte erteilen, Personenzahl des Haushaltes, Vorräte der einzelnen Getreidesorten, Bedarf für Aussaat usw. Wenn es wirklich ernst wurde, kamen Schätzer auf den Hof, denn den Angaben der lieben Untertanen traute man wohl zu Recht nicht über den Weg. Lange Listen – die viel über die Vermögenslage der Einwohnerschaft aussagen – finden sich in den Akten des Geheimen Rates, denn dort lag die Zentrale zur Bekämpfung, dort versuchte man den Überblick zu behalten. Hier soll es aber nur um den Kornmangel in den Jahren 1756 bis 1758 im Weserdistrikt gehen. Dazu zunächst einmal dies: Unterthänigster Bericht des Amtsraths Büttner zu Holtzminden, die Versorgung der Holtzmindischen Einwohner mit Brodt-Korn betreffend [vom 16. Juni 1756]. Ew. Herzogl. Durchl. habe bey jetzigen theuren Korn-Preise unterthängst Anzeige thun sollen, wie ich alles mögliche angewendet, daß nicht allein bisher Holtzminden, sondern auch das nahe gelegene Altendorf, und die Corveyischen Dörfer keinen Mangel an Korn und Brodt erlitten. Ich habe bey Zeiten verschiedene Korn-Käufern und andere im Paderbornischen und Lippischen Lande bekannte Leute ausgeschicket, welche, ehe der Zuschlag [Ausfuhrsperre] im Paderbornischen geschehen, von daher zugeführet, indem von Bremen nichts herauf gekommen, weil dort selbst die Theuerung auf kurtze Zeit größer geworden als hier. Es hat dieses auch soviel gefruchtet, daß noch der Zeit ohnerachtet die 3 Corveyischen Dorfe Luchtringen, Albaxen und Stahle bereits einige Monate hiesiges Bäckerbrodt 7


Peter Albrecht

gegeßen, an Korn und Brodt kein Mangel gewesen, vielmehr haben die Corveyischen Dörfer die das Brodt in Menge gehabet, den hiesigen Bäckern Nahrung gebracht. Ein Hagel-Schlag und Sturtz-Regen hat diese Dörfer in die betrübten Umstände gebracht, daß sie Holtzminden jetzt als ihr Brodt- und Korn-Magazin ansehen müssen. Er berichtete dann noch von den Kornpreisen in Nordhausen am Harz, die recht hoch waren, und dass in Bremen die Preise wieder gesunken seien, nachdem Zufuhr von Getreide über die Ostsee wieder frei sei. Getreidehandel war ein recht kapitalistischer Handel, er wurde auf der einen Seite von den Großproduzenten (Gutspächtern) beherrscht, auf der anderen Seite standen Großkaufleute. Für Getreide gab es „Weltmarktpreise“ – große Mengen von Getreide wurden über weite Entfernungen in Europa verschickt. Keineswegs war dazu immer schlechter Boden, Misswuchs, Krieg oder eine große Bevölkerungszahl der Anlass. Der Ausbau des Transportwesens ging mit einer anderen Entwicklung einher, der kapitalistischen Arbeitsteilung. Die Region Braunschweig mit vorzüglichen Böden (Magdeburger Börde, Hildesheimer Börde) musste ungefähr seit der Mitte des 18. Jahrhunderts Roggen einführen. Selbstverständlich wuchs in der Braunschweiger Umgebung der Roggen gut, der Weizen aber auch und der brachte durchaus mehr Geld in die Kassen der Bauern. Und dumm waren die nun auch nicht. Andererseits, die Amtmänner im Weserdistrikt kannten sich auch aus. So schrieb Oberamtmann August Philipp Freyenhagen, Wickensen, am 10. November 1756 nach Braunschweig: Es ist aber zu besorgen, daß in Bremen nicht viel [Korn] ankommen dürfte. Die in Liefland und Curland auch Preußen stehende respective Rußische und Preußische Trouppen verursachen daß aus Riga, Dantzig und Königsberg mithin aus der Ostsee keine Zufuhr zu hoffen. Die Königreiche Engelland und Irland bauen aber mehr Korn, als sie selbst consumieren. Zu Friedenszeiten gehet solches sehr häufig, bekanntermaßen, nach Frankreich. So lange als diese Mächte im Krieg verwickelt, ist die Kornausführ dahin contrebande, eintfolglich zu praesumiren, daß erstere sehr gern ihr Korn ihren Alliirten gegen bare Bezahlung, überlaßen werden.18 Er empfahl, mit den nicht gerade geliebten Vettern Kontakt wegen Getreidelieferungen aufzunehmen. Ob das geschehen ist, kann nicht gesagt werden, wahrscheinlich ist es nicht. Diese Großkäufe von Getreide erfolgten auf „herrschaftliche Rechnung“, denn nur so kam das Getreide ungehindert in den Weserdistrikt. Im Mai 1756 hatte der Kaufmann Flotho in Bremen Roggen zum Preise von 70 Reichstaler je Last , also je 16 Malter (ca 2.990 Liter) erworben, und diese Lieferung wurde in Minden aufgrund des dort bestehenden Stapelrechts festgehalten und von Einheimischen aufgekauft. Dies löste arge Verstimmung aus, denn in der Zwischenzeit war der Preis auf 90 Reichstaler gestiegen.19 Als Käufer traten wie schon erwähnt die Amtmänner auf, die selber Kornproduzenten waren und sich auf diesem spekulativen Markt auskannten. Zwar kauften sie stets auf „herrschaftliche Rechnung“, doch gegenüber den Lieferanten hafteten sie mit ihrem eigenen Vermögen. Dabei ging es um große Summen. Der Oberamtmann August Philipp Freyenhagen, Amtssitz Wickensen, hatte in den Jahren 1756/57 insgesamt 11.745 Reichstaler 30 Mariengroschen 4 Pfennige vorgeschossen. Am Ende des Jahres 1757 hatte er davon aus herzoglichen Kassen 7.288/6/0 erhalten, also hatte er immer noch 4.457/24/4 an Außenständen zu beklagen.20 Insgesamt soll im Weserdistrikt Korn im Werte von 17.612/15/2 Reichsthaler verborgt worden sein.21 Lange Listen zeigen, an wen wie viel Korn geliefert worden war. Nun waren die herzoglichen Kassen im 18. Jahrhundert chronisch leer, durch die Wirrnisse des Siebenjährigen Krieges ganz besonders. Um es kurz zu machen: die Empfänger des Getreides sollten dies nach Einbringung der neuen Ernte bezahlen. Das fanden die Amtmänner gar nicht gut, war die Mehrzahl 8


Der Weserraum im Blick von Herzog Carl I. und seinen Räten (1735–1780)

der Einwohner schon immer arm, so hatte sich deren Zahl durch die französische Besetzung noch arg vergrößert. Sie meinten wohl nicht zu Unrecht, dass bei solchen Schuldnern ihr eigener Kredit gefährdet sei. Braunschweig lieferte aber kein Geld, allein eine sehr bemerkenswerte Regelung wurde erlassen: Getreideschulden aus den Jahren 1756/58 rangierten vor allen anderen Schulden, sogar vor den oneribus publicis, also den Steuern.22 Daher war man in Braunschweig der Ansicht, dass der Kredit der Amtmänner nicht gefährdet sei. Durch diese Regelung seien auch die ärmeren Kreise des Distriktes „gute“ Schuldner. Die Amtmänner könnten also fest damit rechnen, zu ihrem Gelde zu kommen, und daher sei auch ihr Kredit gesichert. Die eigentlich Abrechnung dieser Schulden zog sich noch bis ins Jahr 1765 hin. Existenzgefährdend war das nicht, kein Amtmann des Weserdistriktes musste Konkurs anmelden. Bemerkenswert ist dabei allerdings eins: Fehlte einem Untertanen das erforderliche Getreide – für Nahrung oder Saat –, dann bekam er das, ohne dass danach gefragt wurde, ob er auch kreditwürdig sei. Mit anderen Worten: Erst behob man die Not, dann kümmerte man sich um die finanzielle Seite. Im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel hatte der Landadel eine sehr schwache Position, im Bereich der Adligen Gerichte wohnen 1793 nur 10,5% der Bevölkerung; von den bestehenden 420 Dörfern lagen nur 68 in adligen Gerichten. Vom Ackerland gehörten zu adligen Gerichten gerade mal 7,9%, und oft waren das auch noch recht bescheidene Böden. Durch den Getreidemangel 1756/57 war auch das adlige Gericht Brunkensen betroffen.23 Mit Datum 22. Februar 1757 wendeten sich die Einwohner des Ortes Brunkensen an den Herzog mit der Bitte, ihnen zu gestatten, in Greene und Wickensen Getreide einzukaufen. Die beiden Amtmänner hätten es abgelehnt, an „Auswärtige“ zu verkaufen. Sie hätten schon vor längerer Zeit eine Liste mit Angaben über den Bedarf bei ihrer Herrschaft eingereicht, seien jedoch von dieser an die benachbarten Ämter verwiesen worden. Aus einer bei den Akten befindlichen Übersicht ergibt sich, dass rund 145 Malter Roggen, 38 Malter Gerste, 5 Malter Hafer fehlten. Umgerechnet sind das 27.000 Liter Roggen, etwas über 7.000 Liter Gerste und gut 900 Liter Hafer. Mit Datum 26. März 1757 wandten sich Sämtliche Knechte der Gemeinde Kleinen Holtzen, die Braunschweiger nannten den Ort Lütgenholtensen, direkt an den Herzog: Die Sämbtl. Gemeine zu Kleinen Holtzen unter dem Adlichen Gerichts Brunckensen bittet in Fußfälligster Devotion um gnädigste erhörung, daß ihnen zu ihrer einsaat daß Liebe Korn aus dem Hoch-Fürstl. Amte Greene bin zu der Ernte möge gereicht werden, indem anjetzo nicht mehr das liebe Brodt-Korn satthaben und große noth leyden müßen, auch sondern ihr Acker braach muß liegen bleiben.24 Der Brief landete im Geheimen Rat und man handelte umgehend: Erstes Schreiben: Wir haben höchst ungern vernommen, daß ihr vor die dasigen Unterthanen in Ansehung des benöthigten Korns nicht mehr Vorsorge gebrauchet habet, und wie diese eure Schuldigkeit ist; so befehlen Wir euch hiedurch ernstlich, fördersamst vor dieselben zu sorgen und wie solches geschehen sey unterthänigst zu berichten. Solche Briefe war man in den Kreisen des Landadels gewohnt und schätzte sie ganz und gar nicht. Also, es passierte nichts. Neue Klagen, neues Schreiben: ohngeachtet euch unter dem 29. Vergangenen Monaths anbefohlen worden, eure Hintersassen mit dem benöthigten Korn zu versorgen; so müßen Wir dennoch mißfälligst vernehmen, daß solches von euch bisjetzo nicht geschehen ist. Wir befehlen euch also nochmals ernstlich und bey Vermeydung Unserer höchsten Ungnade und unangenehmer Verfügungen, sogleich nach Empfang diese zu Versorgung der dasigen Einwohner Anstalten zu machen, und habt ihr binnen drey Wochen zu berichten, wie solches bewerkstelligt worden.25 Diesmal kam aus Wrisbergholzen mit Datum 25. April Antwort von Dorothea Maria Fürstin von Goertz, geborene von Gehlen. Kurz gefasst, sie habe Korn kaufen wollen, Oberamtmann 9


Peter Albrecht

Freyenhagen die Vorräte besichtigt, da Hildesheim und Hannover Kornsperre hätten, kämen nur Wickensen und Floto infrage. Bittet zu erlauben, dort einkaufen zu dürfen. Wird genehmigt, aber auch dieser Satz findet sich in dem Schreiben an die Fürstin: und habt ihr demnach euch nunmehro zeitig in einen hinlänglichen Vorrath zu setzen.26 Man zeigte dem Landadel gern, wer Landesherr ist. Noch ein kleiner Nachtrag zum Thema Korn. Im Herbst des Jahres 1761 kampierte erneut eine französische Armee hier in der Gegend. Aus Dölme, Amt Forst, erreichte den Geheimen Rat folgendes Schreiben: Wie leider im Herbst a.p. die Frantzösische Armee, welche 6 Wochen allhier in der Nähe zu Forst und Allersheim campirte, uns armen leuten folgender gestalt unserer sämtlichen Haabseligkeiten völlig verwüstet […] und geraubet habe, die […] 1) wurden uns alle unserer eingescheuerte Kornfrüchte, auch alles Heu und Stroh aus den Häusern reine wegfouragirt, die Wände, Thüren und Fenster hin und wieder entzwey geschlagen, und wer sich im geringsten wiedersetzte, erbärmlich geprügelt, viele Kleidung und linnen geräthe aus den Häusern geplündert, alles Garten-Gewächs weggeraubet, Plancken und Zäune aber überall aufgrißen und verbrennet, daß nun alles einer Einöde allhier gleichet; 2) wurden wir gezwungen ihnen Tag vor Tag mit unseren Pferden harte und sehr weite Spann-Dienste zu leisten, 8 von unseren Pferden blieben dabey todt, die übrigen aber alle dermaßen abgemallert und abgetrieben, daß sie dermahlen, besonders bey dem großen Fütterungs-Mangel, ganz entkräftet und vollends unbrauchbar worden sind, überdem noch mußten wir 8 Kühe, einige Schweine und viele Schaafe ohnentgeltlich liefern; was uns aber am härtesten drückte, so mußten wir 3) 2 200 Reichsthaler Brandschatzgelde aufbringen, dieses konnte aber aus unseren Kräften nicht geschehen, mußten allso diese Geld größten theils von dem jenseits der Weser gegen uns über wohnenden so genannten Stein-Müller borgen.27 Als Sicherheit wurde diesem Stein-Müller der Roggen der Feldmark Dölme verpfändet. Verfasser war ein Koncipient, der dafür neun Mariengroschen erhielt. Der Herr Egeln hat die Situation recht dramatisch geschildert, besser als seine Konkurrenten aus den anderen Dörfern, dafür sprachlich viele Schnitzer gemacht, weswegen ich diesen Text etwas geglättet habe. Aus Bevern, Braak, Reileifzen und Rühle liegen ähnliche Briefe vor, und wenn man sucht, findet man vermutlich noch weitere. Amtmann Cleve berichtete am 22. Januar 1762, dass in den drei Ämtern Allersheim, Bevern und Forst noch 1.218 Morgen Wintergetreide, 3.414 Morgen Sommergetreide und 1.422 Morgen Brachland eingesät werden müssen. Das sind knapp zwei Drittel der gesamten Feldmark dieser drei Ämter.28 Für die Einsaat würden rund 854 Malter Gerste, 735 Malter Hafer, 158 Malter Weiße Erbsen und 206 Malter Grüne Erbsen fehlen.29 (In Litern rund 159.000 Gerste, 137.000 Hafer, 29.500 Weiße Erbsen, 38.000 Liter Grüne Erbsen.) Es ging also immer um große Mengen, also viel Geld. Eins fällt aus heutiger Sicht auf: Nirgends wurde die Frage auch nur erörtert, ob so arg unterschiedlich verteilte Kriegslasten auf die gesamte Bevölkerung umgelegt werden sollten. Generell blieben die Lasten auf dem Amte, dem Orte und letztlich vor allem auf den Betroffenen hängen. Wesentlich schwieriger waren Notlagen zu beheben, deren Ursache – um einen heutigen Ausdruck zu gebrauchen – struktureller Art waren. Es geht vor allem um jene Regionen, die landläufig als die Armenhäuser eines Landes bezeichneten wurden. Es ist daher unmöglich, sich nicht mit der Ottensteiner Hochebene zu beschäftigen. Ottenstein Ottenstein – nun im Weserdistrikt muss man nicht erst erklären, wo sich diese Landschaft denn befindet, in Braunschweig ist das unbedingt erforderlich, damit die Leserinnen und Leser wissen, 10


Der Weserraum im Blick von Herzog Carl I. und seinen Räten (1735–1780)

wovon die Rede ist. Der Weserdistrikt ist eben doch recht fern, und die Hochebene schon lange. Im 19. Jahrhundert bezeichnete man Ottenstein als das Sibirien des Landes, mit Sibirien hatte es das ungemütliche Klima und die Ferne vom eigentlichen Machtzentrum gemein. Im 18. Jahrhundert – und sicherlich auch zu anderen Zeiten – war die Hochebene von Ottenstein das Armenhaus des Landes. Im Amt Ottenstein lebten 1793 1.816 Menschen, im Ort Ottenstein 983, also rund die Hälfte,30 insgesamt 5,78% aller Einwohner des Weserdistriktes. Der neu eingesetzte Gerichtschultheiß Philipp Christian Geitel – ein junger Jurist – erstattete 1748 einen umfangreichen Bericht über seinen Amtsbezirk. Einige Sätze daraus: Die Nahrung dieses Ortes ist wegen dessen Abgelegenheit nicht sonderlich, der eintzige leinen Strumpf-Handel concervirt jedoch noch die Einwohner, indem alte und junge sich aufs Strumpfstricken legen. Dass er dann über die Bodenbeschaffenheit klagt, verwundert wohl nicht. Verwundert hat mich jedoch dies: WasserMangel hieselbst, welcher […] den verwichenen Sommer hierdurch so groß gewesen, daß nur noch ein eintziger wasserhabender Brunnen kaum das benötigte Wasser für Menschen darreichen können, […] obschon mitten im Flecken, sowohl, als ohnweit dem Flecken, ein Teich vorhanden, so ist doch in solchen beyden Teichen das Wasser geringe und unrein geworden. Sothaner Wasser-Mangel nun ist der hauptsächlichste Vorwurf von denjenigen auswärtigen Leuten, welche man anstellert, sich allhier nieder zu lassen, wozu noch kommt, daß es auch an Wohnungen fehlet, gestalt ich denn selbst bey andern Leuten im Hause wohne und mich samt selbigen einer Küche behelfen muß.31 Und dieser Bericht hatte Folgen: Hofjägermeister von Langen wurde angewiesen, sich gutachterlich zum Thema Wassermangel zu äußern. Das tat er auch, wenn auch erst 1755. Die Teiche wurden entschlammt, wenn auch erst 1766. Sie gehörten im Übrigen zum Besitz des Amtes. Geitel wurde angewiesen, über den Strumpfhandel sich kundig zu machen und zu berichten, darauf gehe ich noch ein. Dann sollte er sich um die Schule kümmern und Vorschläge unterbreiten, wie ihr aufzuhelfen sei. Nun, in Kurzfassung, die Kinder gingen oft nur drei bis vier Jahre zur Schule, also keineswegs jene acht Jahre, die verordnet waren. Insgesamt seien 80 bis 100 Kinder in der Schule. Sie sind in dem Worte Gottes schlecht gegründet, ja solches sogar nicht einmahl recht lesen können. Der Organist sei recht ordentlich, der andere Lehrer stamme aus „Obersachsen“, den würden die Kinder nicht recht verstehen. Dies Problem löse sich aber bald, da dieser Lehrer 60 Jahre alt ist – damit Sie das richtig verstehen: Geitel rechnete mit seinem baldigen Tod, pensioniert wurden Lehrer zu dieser Zeit nicht. Auch dieser Bericht hatte Folgen: 50 Reichstaler aus der Klosterkasse wurden bereitgestellt, damit in Ottenstein ein weiterer Lehrer angestellt werden konnte. Und der Herr Geitel musste im Dezember 1748 lesen: Ihr werdet bey eurer redlichen Absicht mögliche Dienst zu leisten, nunmehro auch keinen Fleiß noch Mühe sparen, euch die NahrungsGeschäfte und Policey-Sachen gründlich bekannt zu machen. Wie kaum ein Grund und Boden so schlecht ist, worauf nicht dieses oder jenes wachsen könne; Also ist auch kein Ort so elend, wo nicht einige Verbesserung statt fände, auch welches Augenmerk wir insonderheit die Gerichts-SchultheißenBesoldung ausgeben lassen.32 Deutliche Worte – wieso konnten die Herren in Wolfenbüttel so deutlich werden? Gegenüber einem Amtmann hätte man solch ein Schreiben nie abgeschickt, denn die waren Pächter der Domänen, also eigentlich freie Unternehmer; tüchtige „Gutsherren“, tüchtige „Ökonomen“ brachten gute Pachterträge. Die Gerichtsschultheißen, an anderen Orten im Lande in ähnlicher Position die Justizamtmänner, waren den eigentlichen Amtmännern als Gehilfen zugesellt worden, die sie auch zu bezahlen hatten. Wer bezahlt, der bestimmt? Oft, aber nicht in diesem Falle, denn die jungen Juristen hatten nun kaum die Absicht, ihr Leben ewig in Ottenstein oder anderen bedeutenden Orten dieser Art zu verbringen. Die Gerichtsschultheißen, 11


Peter Albrecht

Justizamtmänner, eine Neuerung aus der Regierungszeit Carls I., ermöglichten erstmals einen wirkungsvollen Durchgriff in die Ämter. Ottenstein lag den Herren im Geheimen Rat ganz offensichtlich wirklich am Herzen. So wurde 1751 der Amtsrat Grantzin aus Holzminden beauftragt, ein ausführliches Gutachten über die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Ottenstein anzufertigen. Er schlug vor, Versuche mit dem Anbau von Buchweizen, Linsen, Esparsette und türkischem Klee zu machen. Die Kammer wurde angewiesen, für drei Jahre dafür drei Morgen Land bereitzustellen.33 Laut Geitel gerieten Buchweizen und Esparsette auch ganz gut. 1753 regte Grantzin an, Kartoffeln anzubauen und bat, die erste Saat gratis abzugeben. Das sollte geschehen, und Grantzin sollte bei seinem nächsten Aufenthalt in Ottenstein die landbesitzende Einwohnerschaft persönlich von dem Vorteil der genannten Gewächse überzeugen. Nun, das versucht er auch und erlebt eine Überraschung: weder Esparsette noch der Buchweizen hatten auf Dauer wirklich gute Erträge geliefert, was auch der Herr Gerichtsschultheiß einräumen musste. Nur mit Kartoffeln, da wollten eine ganze Reihe Ottensteiner Versuche wagen, und ihnen wurde entsprechendes Saatgut angewiesen. Eine Einschätzung von Grantzin will ich Ihnen nicht vorenthalten: Das Wetter ist so kalt, dass Obst hier nicht vollkommen reif wird. Der Amtmann hatte eine ganz andere Erklärung für die missliche Lage: Die Leute seien zu faul, sie würden lieber knütten als schwere Arbeit tun. Erstmals 1753 findet sich in den Akten des Geheimen Rates der Hinweis, dass in Ottenstein viel Acker brach liegt. Einige Felder würden nur alle sechs oder neun Jahre einmal besät. Es wurde die Frage gestellt, ob auf diesen Feldern nicht Birken- und Tannensamen ausgebracht werden sollten.34 Dann kam der Siebenjährige Krieg (1756–1763), und erst 1765 wurde diese Anregung wieder aufgegriffen. Forstrat Trabert sprach sich dafür aus, und die Landvermessungskommission wurde beauftragt, sich der Sache anzunehmen. Amtmann Wichmann und Gerichtsschultheiß Geitel erstatteten längere Berichte. Den Bericht vom 8. Mai 1767 kommentierte der Professor Oeder wie folgt: Der Bericht der Beamten ist ihrer Schläfrigkeit gemäß. […] Wenn das Land kaum die Einsaat wiedergiebt, wie hat der Beamte es übers Herz bringen können, einen Himpten Zins-Korn davon zu nehmen, ohne dieserhalb Vorstellung zu thun? – Also um Remission, um Erlass oder Verminderung zu bitten. – Gras wächst nicht, weil andere es sagen […]. Wurde keine Probe gemacht?35 Der Kammerrat erstattet ein 22 halb beschriebene Folioseiten umfassendes Gutachten. Ein ganz wesentlicher Punkt ist, dass der Ackerbau nur dann bessere Ergebnisse liefern wird, wenn der Boden ausreichend gedüngt wird. Und das bedeutete in der Mitte des 18. Jahrhunderts vor allem, dass Mist herbei musste. Der vermehrte Anbau von Futterkräutern sollte dazu die Basis bilden und es ermöglichen, auf die Stallfütterung umzustellen. Neu die Anregung, Jauchegruben anzulegen und die Jauche auf den Feldern auszubringen. Bis dahin lief der Urin der Tiere ungenutzt in den Boden. Auch sollten die Böden gemergelt werden, insbesondere auch deswegen, weil in der Nähe von Ottenstein entsprechende Gruben vorhanden seien. Alles gut und schön, aber – das sagten das Gutachten und die eingeholten Stellungnahmen deutlich – der Dünger würde bei weitem nicht für die gesamte Feldmark ausreichen. Es sollte daher geregelt werden, dass nur so viel Land bestellt werden darf, wie auch gedüngt werden kann. Das waren nach einer Aufstellung gerade mal 489,5 Morgen, davon sollten mit Esparsette 62,5 Morgen bebaut werden. Oeder war im Herbst des Jahres 1767 selber in Ottenstein und hat dort für den Anbau von Esparsette geworben. Leider brechen dann die Akten ab, so dass nicht vorgetragen werden kann, ob dies bemerkenswerte Experiment Früchte getragen hat. Unklar ist sogar, ob und in welchen Umfang es überhaupt ausgeführt wurde. 12


Der Weserraum im Blick von Herzog Carl I. und seinen Räten (1735–1780)

Aber deutlich ist: Der Geheime Rat, mit Herzog Carl an der Spitze, mühte sich um Ottenstein sehr intensiv; führende Personen des Landes wurden mit den dort herrschenden Problemen befasst und selbst Geld wurde eingesetzt, um die Verhältnisse zu besseren. Aus Braunschweiger Perspektive waren dort „arme Leute“ zu Hause, denen dringend geholfen werden musste. In der Perspektive des Heiligen Römischen Reiches, nun da war Ottenstein nicht die allerärmste Gegend. Armut ist ein relativer Begriff, der seine Bedeutung erst durch den Vergleich mit Nachbarn erhält, seien es andere Gebiete, seien es andere Personen. Handelsbeziehungen Der Geheime Rat war – und das mit hohem Einsatz – bemüht, die Wirtschaftskraft des Landes generell zu erhöhen. Mit den Professoren Georg Heinrich Zincke und Johann Ludwig Oeder waren zwei der im 18. Jahrhundert bekanntesten Ökonomen zeitweise als Kammerräte tätig. Entsprechend vielfältig auch die ergriffenen Maßnahmen. Drei Bereiche sollen herausgegriffen werden. Zunächst: Handelsbeziehungen Wie erwähnt, im 18. Jahrhundert ging es um die Durchsetzung des Territorialstaates in unserem heutigen Verständnis. Dazu gehörten auch Bemühungen, einen einheitlichen Wirtschaftsraum zu kreieren, also einen Raum ohne Binnengrenzen, andererseits aber auch, möglichst viele Handelsbeziehungen innerhalb des eigenen Territoriums abzuwickeln. Unbestrittenes Handelszentrum des Herzogtums war die Stadt Braunschweig, die mit ihren beiden Warenmessen im 18. Jahrhundert ein großer Wirtschaftsfaktor in ganz Norddeutschland war. Was hatte das mit dem Weserdistrikt zu tun? Es gab eine Reihe von Versuchen, die hiesige Region an die StadtBraunschweiger Handelsbeziehungen anzubinden. Die Motive dazu waren arg unterschiedlich. Wenden wir uns zunächst einmal dem Marktflecken Ottenstein zu, im 18. Jahrhundert vier Stunden von Holzminden entfernt gelegen. Dieser Ort hatte um 1800 um 980 Einwohner. Bei Hassel und Bege liest man dazu 1803: Die Verfertigung leinener und seit einigen Jahren auch wollener Strümpfe ist ein Hauptnahrungszweig für alle Einwohner ohne Ausnahme, die sich von den Kinderjahren an demselben widmen. Man verfährt die Strümpfe bis nach Holland, und gewinnt jährlich auf 10 000 rthl. damit. Einträglicher, aber nicht so allgemein, ist das Garnspinnen.36 1766 geriet dieser Erwerbszweig ins Blickfeld des Geheimen Rates. Man stellte fest, dass zehn bis zwölf Händler all diese Strümpfe aufkaufen, sie bleichen und dann ins Ausland vertreiben. Als Absatzorte wurden Amsterdam, Köln, Hamburg und Bremen genannt. Nach Amsterdam gingen alleine 300 bis 400 Dutzend, also 1.800 bis 2.400 Paar. Keine kleinen Mengen. Solch lukratives Geschäft – so meinte der Geheime Rat – sollte weitgehend in den Händen einheimischer Kaufleute liegen. So lag es nahe, den Kramern der Stadt Braunschweig den Einstieg in diesen Handel nahezulegen. Das klappte aber ganz und gar nicht. Als diese sich dann auch noch über die Hausierer aus Ottenstein beschwerten, wurde noch genauer hingesehen und die Herren mussten eingestehen, dass sie, falls sie einmal einen Auftrag über Leinenstrümpfe erhielten, diese selber bei den einschlägigen Hausierern kauften. Kurz: Alles blieb beim Alten – auf der Ottensteiner Hochebene führte man weiterhin ein Eigenleben, ganz unbehelligt von Entscheidungen in Braunschweig, jedenfalls was die Strümpfe betraf. Nun kann man lange darüber spekulieren, ob man in Braunschweig einfach keine Leinenstrümpfe trug oder dass die Hausierer aus Ottenstein den Markt völlig beherrschten oder dieser Artikel bei den Hoken zu haben war. Gute Fragen – Antworten jedoch nicht möglich. Das geht sehr oft bei solchen das Alltagsleben betreffenden Fragen. 13


Peter Albrecht

Die Braunschweiger Kramer waren auch in einem anderen Fall ausersehen, ein Problem des Weserdistrikts zu beheben. In der schönen Stadt Holzminden bestand 1766 die Hutmacherfabrik der Gebrüder Otto; die litt, wie viele Manufakturen der Zeit, unter erheblichen Absatzschwierigkeiten. Nach Ansicht des Geheimen Rates sollten die Kramer der Stadt Braunschweig dabei behilflich sein, diese zu überwinden. Mit anderen Worten, fleißig Hüte aus Holzminden verkaufen, vorzugsweise auf der Messe, also an Fremde. Der Geheime Rat veranlasste, dass Probehüte nach Braunschweig geschickt wurden, das Polizeidepartement – im 18. Jahrhundert auch für den Bereich Wirtschaft zuständig – wurde aufgefordert, den Kramern die Abnahme solcher Hüte nahezulegen, wohlgemerkt, nicht etwa zu befehlen. Die Ältesten der Kaufmannsgilde sahen durchaus Möglichkeiten dazu, wenn die zu liefernden Stücke den Mustern entsprächen. Doch dann hieß es aber auch: Was hingegen aber die producirte grobe Sorte beträfe, so wären solche zu dicke geraten, und allzu viel Wolle in denselben hineingebracht, dergestalt daß zum Vortheil des Fabriquanten 3 Stück aus zwey Stück hätten verfertiget werden mögen, ohne desfals am Verkaufs-Preis etwas einzubußen und könnten denn 100 Stück von dieser Art Hüthe ohngefehr 25 Rthlr. gelten.37 Auch sollten die Hüte – wie es die augenblickliche Mode erfordere – nicht 13 sondern nur 12 Zentimeter hoch sein. Also, solche kleine Änderungen dürften keine Probleme bereiten. Das sahen die Brüder wohl auch so, doch die hatten noch ganz andere Wünsche. Auf einen nicht erhaltenen Brief antwortet das Braunschweiger Krameramt 1766 wie folgt: An des Herrn Amtmann und Senatoris [Johann Paul von Kalm] als zeitigen Commissairum der Krahmer Gilde, wohlgeb[oren] – Gehorsamtste Promemoria. Ew. Wohlgeboren – haben wir die Ehre hiedurch die auf Serenissimi gnädigsten Befehl, wegen des von den Huthmachern Gebrüdere Otto in Holtzminden geschehenen neuen Antrages, daß die hiesigen Kaufleute zum Behuf ihrer Huth-Fabrik sie mit der benöthigten Stoffage verlegen und ihnen solche von Messe zu Messe creditiren mögten, von uns geforderte Erklärung gehorsamst abzugeben. So sehr wir es uns auch zu unserer vornehmsten Pflicht machen, zur Aufnahme der hiesigen Landes Fabriken, alles was in unseren Kräften ist beyzutragen und dadurch die gnädigste Absicht Serenissimi zu befördern, so unmöglich ist es dennoch bey unserer gegenwärtigen Lage der Handlung uns denen Gebrüdern Otto zur Lieferung der benöthigten Stoffage auf die vorgeschlagenen Art verbindlich zu machen. Keiner von den hiesigen Kaufleuten hat diesen Artikel von Waaren in seinem Laden, weil man solche, wenn sie mit Nutzen gekauft und verkaufet werden sollen in großen Parteyen aus Holland kommen lassen. Die Bieberhaare aber werden in Holland nicht anders verkaufet als in Säcken zu 500 Pf[und], wovon jedes Pf[und] 10 Rthlr kostet und die Caninichen(!) Haare kommen in eben so großen Parteyen, das Pfund zu 4 Rthlr zu stehen. Ein so großes Lager von diesen Waaren zu errichten und ein so ansehnliches Capital dazu vorzuschießen ist weder den Kräften unserer Handlung noch dem Absatz einer angehenden Fabrique gemäß. Sollten wir aber diese Stoffage en detaille by 50 Pfund aus der zwoten Hand kaufen, um die Gebrüdere Otto damit zu versehen, so würde solche dadurch mehr Schaden als Vortheil haben. – Wir glauben ohnvorzweiflich ein Mittel zu finden, wodurch denen Gebrüdern Otto in Ansehung der Preiß Stoffage zu ihrer Huth Fabrik einigermaßen ein Vortheil zuwachsen könne, ohne daß solche unmittelbar von uns damit verleget würden. Wir sind nehmlich erböthig, denen Gebrüdern Otto in bevorstehender Laurentii Messe einen Kaufmann aus Hamburg auszumachen, welcher mit dergleichen Stoffage handelt und von welchem sie, nach ihrem Absatz diese Waaren nicht allein von Messe zu Messe, sondern auch außer der Messe um einen weit gemäßigteren Preiß erhalten könten. Wir zweiffeln auch gar nicht, daß gedachter Kaufmann denen Gebrüdern Otto nicht einigen Credit aus sechs Monate geben sollte. Die von den Gebrüdern Otto angebotenen Probe–Hüthe erwarten wir und werden solche nach den angesetzten Preisen untersuchen. – Uns 14


Der Weserraum im Blick von Herzog Carl I. und seinen Räten (1735–1780)

wegens werden wir nach allen unsern Vermögen uns sämtliche bestreben, der Fabrik der Gebrüder Otto den versprochenen Absatz zu verschaffen und Serenissimi gnädigsten Willen wegen Aufnahme und Beförderung derselben unterthänigst zu erfüllen. Braunschweig, d. 26. July 1766 – gehorsamst Johann Daniel Meyer als Gilde Ältester, Rud. Gerh. Balhorn p.t . Ober-Gilde-Meister.38 Eine fein formulierte Ablehnung, nicht wahr? Wohl recht überraschend kamen dann auch noch zwei Lieferungen, die nach Ansicht der Kramer ganz und gar nicht den Proben entsprachen, und das war wohl auch zutreffend. Man behielt die Ware, zahlte jedoch weniger und – glaubt man den weiteren Ausführungen dazu einige Jahre später –, blieb auf der Ware sitzen; wenn überhaupt, konnten die Hüte nur unter dem Einstandspreis verkauft werden. Also diese Maßnahme fand keinen befriedigenden Abschluss. In der Gewerbeaufstellung von 1803 ist auch von einer Hutfabrik nicht mehr die Rede, wahrscheinlich ist sie aber schon viele Jahre früher insolvent geworden. Selbstverständlich hatte man auch bei einigen größeren die Gesamtlande betreffenden Vorhaben den Weserdistrikt mit im Auge, ja in einigen Bereich ganz besonders, da man hier noch Ausbaumöglichkeiten sah. Handwerk Absolutistisch ausgerichtete Herrschaften setzten viel Energie dafür ein, Zwischenobrigkeiten auszuschalten. Das galt auf hoher Ebene den Landtagen, den Stadtobrigkeiten, soweit sie aus der Bürgerschaft heraus besetzt wurden – aber auch auf viel niederer Ebene waren solche Bestrebungen an der Tagesordnung. In den welfischen Territorien hatten vor allem die Gilden unter erheblichen Eingriffen in ihre hergekommenen Rechte zu leiden. Bereits 1691 wären die Gilden (Zünfte, Ämter oder wie auch immer diese Vereinigungen sich nannten) nach den Vorstellungen der Welfen gänzlich aufgehoben worden. Nun, daraus wurde nichts, aber 1731 – das sogenannte Reichszunftgesetz – das beruhte weitgehend auf dem damals gescheiterten Textentwurf. Carls Regierung begrüßte diesen Reichsabschied von 1731 sehr und mühte sich, ihn wortgetreu, wenn nicht gar noch ein Stückchen darüber hinaus, umzusetzen. Ziel war, die Macht der Gilden, die sie unter dem Deckmantel des alten Herkommens fleißig pflegten, im Interesse der Kunden zu brechen. So dienten zum Beispiel sogenannte Ehrbarkeitsregeln sicher auch dazu, zweifelhafte Kandidaten dem Handwerk fern zu halten, sie waren aber auch ein vorzügliches Mittel, die Zahl der Mitglieder klein zu halten. Da gab es Gilden, besonders unter den Schmieden, die sich als Erbamt verstanden, also die Zahl der Betriebe konnte nicht erhöht werden. Hier soll keine Übersicht über all jene Eingaben angeführt werden, mit denen sich die Amtsinhaber die Konkurrenz vom Leibe halten wollten und oft auch schafften. Solche Eingaben erfreuten den Geheimen Rat in aller Regel nicht. Die Gilden kamen im 18. Jahrhundert unter obrigkeitliche Aufsicht, was nicht alle aber allerlei Probleme löste.39 Speziell den Weserbezirk betraf eine Aktion, welche sicherlich bei diesem Hintergrund erst einmal verwundert. Da gab es den Flecken Eschershausen, – 1761 547, 1793 725 Einwohner40 –, der mit Hilfe aus Wolfenbüttel in den Status einer Stadt gehoben werden sollte, juristisch arg schwierig, das Herzogtum ist immer noch ein Ständestaat, in dem kann auch der Herzog nicht die Struktur so ohne weiteres verändern. Eschershausen als vollwertige Stadt hätte ja Anspruch, auf der Städtebank des Landtages vertreten zu sein. Also das schien den Herren in Braunschweig zu viel Ärger auszulösen. Aber jede andere Möglichkeit, den Flecken einer Stadt ähnlich zu gestalten, wurde genutzt. Als der Bürgermeister von Eschershausen 1749 um die Erlaubnis nachsuchte, eigenständige Gilden für die ortsansässigen Handwerke zu gründen, war man sehr einverstanden.41 Vielleicht wurde ihm diese Bitte gar aus dem Umfeld des Geheimen Rates nahegebracht. 15


Peter Albrecht

Wer war strikt dagegen? Natürlich die Herren aus Stadtoldendorf.42 Um die 15 Gilden gab es dort – von den Bäckern bis hin zu den Zimmerleuten – und wie schon gesagt, Konkurrenten, die schätze man in den ehrlichen Handwerkerkreisen ganz und gar nicht. Auch kann man bei Hassel und Bege nachlesen: Stadtoldendorf ist ein todter gewerbsloser Ort, dessen Einwohner sich hauptsächlich von Ackerbau, der Leineweberei, dem Brauwesen und einigen Handwerkern nähren.43 Also ein Ort, der selber Wirtschaftsförderung bedurfte. Es ging hin und her44, doch 1753/55 erhielt Eschershausen zehn Gilden: 1753: Kaufleute oder Kramer; Schneider; Leineweber. 1754: Schuster; Bäcker; Fleischer; Vereinigte Gilde der Maurer, Steinhauer, Zimmerleute. 1755: Schmiede; Tischler, worin auch die Drechsler und Böttcher organisiert waren.45 Voraussetzung, um überhaupt eine Gilde errichten zu dürfen, war, dass am Ort mindestens drei Meister ansässig waren. Da auch zwei Jahrmärkte genehmigt wurden, war aus dem Flecken faktisch eine Landstadt geworden – also aller Grund für die Einwohnerschaft, zufrieden zu sein. Na ja, nicht alle fanden die neuen Entwicklungen gut. Hören Sie, was die drei Bäcker zu klagen hatten, genauer, was Gerichtsschultheiß Laurentius nach Braunschweig schrieb: Die drei Bäcker von Eschershausen beschweren sich aber darüber, daß verschiedene Bürger in ihren Backöfen, die sie nur zum Obsttrocknen gebrauchen sollten, selbstbacken, weswegen sie öfters nicht so viel Back-Gäste bekommen, daß ihre Öfen voll würden; oft gar keine hätten, und die Öfen kalt werden lassen müßen, wenn sie auf dem Laden noch Brot vorrätig hätten. Ich habe nun zwar dieser Beschwerde dadurch abzuhelfen gesucht, daß ich die Bürger, welche selbst backen, bedeutet habe, wie sie weniger Mühe und Zeit zu verwenden hätten, wenn sie ihren Teig zu den ordentlichen Bäckern brächten; und daß es wider die gnädigste Verordnung und zu ihrem eignen Schaden gehandelt sey, wenn sie ihre Backöfen zu einem jeden Gebacke besonders aufheitzen, überdem ist auch die Abschaffung der mehrsten vorhandenen Backöfen erforderlich; es liegen selbige nehmlich den Gebäuden zum Teil zu nahe; zum Teil sind selbige schlecht gemacht und übelverwahrt, und um so mehr gefährlich, wenn sie zum Flachstrocknen ins geheim gebraucht werden. Nur einige von Maurermeistern gemachte, wolverwahrte Backöfen könnten zum Obstbacken beybehalten werden, weil die 3 hiesigen Bäcker nicht vermögend sind, das hier fallende Obst nebenher in ihren Öfen zu darren. Vom Geheimen Rat – das Manuskript trägt die Paraphe C = Carl – kommt die eindeutige Weisung, das Privatbacken gänzlich zu verbieten und Öfen, die Gebäuden zu nahe, abzuschaffen. Wird das nun gemacht? Vorerst nein, Friedrich Dorries und Consorten wenden sich direkt an den Herzog und bitten um Aufhebung der Weisung. Jedoch ohne Erfolg, es bleibt bei dem verordneten.46 Das Ganze ein typischer Vorgang für die Braunschweigischen Lande: Die lieben Untertanen nahmen keineswegs alles so einfach hin; wenn ihnen etwas nicht passte, schrieben sie an den Herzog, also an Carl I. – und nicht selten bekamen sie das, was sie sich wünschten. In diesem Fall bestand dafür aber keine Chance, denn es ging um das Gemeinwohl – Feuersgefahr ist eine allgemeine Gefahr, da haben Privatinteressen zurückzustehen. Und dann sollten die Privatbacköfen auch deswegen abgeschafft werden, weil es galt, das knappe und teure Feuerholz zu sparen. Wäre es nur diese Sache, dann hätten die Bittsteller vielleicht Erfolg gehabt, Holz war in Eschershausen – ohne dass ich das genauer untersucht habe – sicherlich im Vergleich zu den Stammlanden spottbillig und reichlich vorhanden. Auch in Ottenstein ging die Initiative für die Gründung von Gilden von der Obrigkeit aus. Hier folgerte der Amtsrat Grantzin aus dem Umstand, dass in Ottensen ein Gerichtsschultheiß etabliert wurde, dass in diesem Flecken ebenfalls Gilden eingerichtet werden sollen. Gerichtsschultheiß Geitel informiert sich über die Meinung der dort ansässigen Handwerker und berichtet, dass die Schuster 16


Der Weserraum im Blick von Herzog Carl I. und seinen Räten (1735–1780)

und die Schneider gern eine eigene Gilde haben möchten, alle anderen fürchteten die mit einer Gilde verbundenen Kosten. Der Wunsch nach einer eigenen Gilde wurde mit dem beschwerlichen 2 Meilen (ca 15 km) langen Weg nach Holzminden, der zu viel Zeitverlust führe, begründet. Nun, das war ohne jegliche Frage allenfalls die halbe Wahrheit für die gewünschte Loslösung. Die Ottensteiner schätzen ihre Kollegen in Holzminden kaum. Dafür muss man volles Verständnis aufbringen, Landmeister, also Handwerker, die in Dörfern und Flecken ihren Wohnsitz hatten, wurden von den Stadtmeistern nicht für richtige Meister angesehen und fast überall recht übel behandelt. Sie waren oft von Teilen der Sitzung ausgeschlossen, mussten am Nebentisch, dem Katzentisch, Platz nehmen. Im Antrag der Ottensteiner steht davon nichts, sie verwiesen – wie gesagt – mehr auf den überaus beschwerlichen Weg nach Holzminden. Was auch immer die Entscheidung im Geheimen Rat beeinflusste, Ottenstein bekam seine Gilden. Zuvor hatte der Gerichtsschultheiß Geitel noch eine Zusammenstellung aller im Amte Ottenstein ansässigen Handwerker angefertigt, Alter, Familienstand, Kinderzahl, welches Handwerk ausgeübt wurde, welche anderen Tätigkeiten ausgeübt wurden und schließlich noch die Höhe der jährlichen Kontribution, also der Höhe der zu zahlenden Steuer wurden erhoben. Gilden wollten sie schon haben, aber diese wegen ihrer Armut geschenkt bekommen, so die Schneider und Schuster, beides wahrlich überall im Lande keine reichen Handwerke, in Ottenstein schon lange nicht. So richtig voran ging auch hier die Sache nicht. Die neu erlassene Vorschrift, dass Landmeister, wenn sie weiterhin ihr Gewerbe ausüben wollten, sich in genau festgelegten Orten bei der dortigen Gilde einschreiben lassen mussten, brachte dann erneut Bewegung in die Sache. Die Gildemeister in Holzminden hätten ihnen, den Ottensteinern, gar zu harte Bedingungen gestellt. Viel zu hohe Aufnahmegebühren hätten sie verlangt, auch wurde ihnen untersagt, Lehrlinge und Gesellen zu halten, selbst für die eigenen Söhne würde das gelten. Nun, letzteres entsprach der Generalgildeordnung, war also keine Schikane der Holzmindener. Im November 1754 bekamen die Schneider, die Schuster und die Grobschmiede ihre Gilde. Eine gemeinsame Gilde bildeten seit 1752 die Tischler, Zimmerer, Böttcher und Rademacher.47 1774 versuchten auch Handwerker aus Delligsen eigene Gilden zu gründen, doch daraus wurde nichts.48 Ab Mitte des 18. Jahrhunderts gab es im Weserdistrikt in Holzminden, Stadtoldendorf, Eschershausen und Ottenstein vollwertige Gilden, die allerdings wie überall im Lande nur im Beisein eines obrigkeitlich eingesetzten Gildebeauftragten tagen durften. Wurde nicht ausgeführt, dass der Geheime Rat die Macht der Gilden mit allen Mitteln brechen wollte? Nun, so ist es, daran kann gar kein Zweifel bestehen. Warum dann noch solche Neugründungen? Ganz einfach, es entstanden lauter sehr kleine Gilden, die konnten den obrigkeitlich verordneten Gildeaufsehern keine wirkliche Macht entgegensetzen. Teile und herrsche, auch im Bereich Gilden ein überaus wirksames Mittel. Seidenbau Unter der Federführung des Geheimen Rates wurden besonders um 1745 eine ganze Reihe von Manufakturen gegründet – wenn sie wirklich beständigen Erfolg gehabt hätten, dann wäre die Region Braunschweig zu einem der industriösesten Gebiete im Deutschen Reich geworden. Viel Geld wurde investiert, im Vergleich dazu wenig erreicht. Von der größten Pleite will ich kurz berichten. Im Herzogtum sollte ab 1745 der Seidenbau eingeführt werden. Seidenbau – nun das ist der Fachausdruck, unter dem im 18. Jahrhundert das Unternehmen ablief. Konkret, es sollten Maulbeerbäume angepflanzt werden, damit diese das nötige Futter für die Seidenraupen liefern würden, und aus den von den Raupen für ihren Nachwuchs gesponnenen Kokons sollten die 17


Peter Albrecht

Fäden abgelöst und zu Seidenstoffen verwoben werden. Die Herren im Geheimen Rat waren gut informiert, besser, glaubten den Berichten, wie erfolgreich diese Sache in Preußen und in Hannover anliefe. Es wurde Geld investiert, Fachpersonal aus dem Auslande angeworben, Anleitungen für Planteure gedruckt und Versuche gestartet. Und nicht zuletzt recht ansehnliche Preise für die Akteure ausgelobt, die die meiste Seide produzierten. Die örtliche Presse berichtete ausführlich, natürlich nur positiv. Das ganze Arsenal aufklärerischer Marktbeeinflussung wurde eingesetzt, kein Wunder, war doch der Kammerrat Zincke, einer der führenden Ökonomen der Zeit, mit der Aufsicht beauftragt, jedenfalls am Anfang der Sache. Allein für den Münzberg bei Braunschweig, der zentralen Anzuchtstätte für Maulbeerbäume des Landes, hatte man bis 1770 27.695 Reichstaler investiert. Die Kammer berichtete 1769, dass sie 28.922 Reichstaler aufgewandt habe – vermutlich ein arg schön gerechneter Betrag. Wie auch immer, extrem viel Geld. Wirklich verabschiedet hat man sich von dem Vorhaben erst 1804, jedoch kann man sagen, dass ab 1775 wohl keine obrigkeitliche Förderung mehr stattfand. Hier soll es aber nur um den Anteil des Weserdistriktes am Seidenbau gehen. Wie zu vermuten, am Anfang stand der Oberjägermeister von Langen. Er erhielt am 9. Dezember 1745 folgenden Befehl: Da Wir auf eine besondere Attention auf die Anziehung der Maulbeer-Bäume haben, so habet ich eure Vorschlage darzu […] gelegentlich einzuschicken. Es wurden ein paar Briefe gewechselt, und 1749 gelang es von Langen, in Braunschweig ¼ Loth (ca 4 Gramm) und in Celle 6 Loth (ca 90 Gramm) Maulbeersamen zu erhandeln. Im Jahr 1750 begann dann die Anlegung einer Plantage, genauer eines eingezäunten Gebietes für die Aufzucht von verpflanzbaren Bäumchen. Wie euphorisch man – auch von Langen – an den Erfolg glaubte, machte dieser Bericht deutlich: Ich [von Langen] habe ohngefehr vor 30 Jahren auf des Geheimten Rats von Seebach, meinen Vettern Güthern, dergleichen Saamen saen auch die Pflantzen versetzen helfen, wovon lauter vollerwachsenen Bäume vorhanden sind; mann[!] sieht also aus einer ohnwiedersprechl[ichen] Erfahrung, daß dergleichen Bäume hier in Teutschland, so wohl als in denen nördlichen Ländern wachsen, sich in der Kälte conserviren auch reifen Saamen hervorbringen; ich habe auch dergleichen wohl Hundert-Jahr alte Bäume, dies- und jenseits des Belts in Dennemarck angetroffen, die von extraordinairer Größe und ohne Fehler wahren; können nun solche in besagten weit kälteren Ländern und schlechten Boden wachsen; so ist in hiesigen Gegenden nicht einmahl an ihren guten Fortkommen und nützlichen Gebrauch zu zweifeln, und kommt nur lediglich darauf an, daß Ew. Durchl. Landes-Väterliche Gesinnung in die bald möglichste Erfüllung gesetzet wird, welches auch um so ehenter geschehen kann, in dem es weder an Raum noch an Erfahrung fehlet, dieselbe beglücket fort zu führen.49 Die Plantage wurde angelegt, im Derentaler Forst im Eilschen-Grund. Im Oktober 1750 schreibt der von Langen: Auch eine weisse Maul-Beer-Plantage sollte anlegen lassen, welches auch zu unterthänigster Folge geschehen, und recht nach Wunsch angewachsen ist. Ich hoffe, es sollen diese kleinen Bäume in Zeit von 3 Jahren alle pflantzbar seyn. Er fuhr dann fort: Wann wird auch die Probe mit Oliven und andern Bäumen instehendes Frühe-Jahr machen, welche vielleicht eben so gut als die Cedern von Libanon und die Lerchen-Bäume aus norden[!] und Süden am Solling wachsen werden.50 Es gab in der Mitte des 18. Jahrhunderts weit verbreitete Versuche, fremde Nutzpflanzen im Lande heimisch zu machen, Versuche Importgüter durch einheimische Produkte zu ersetzen. – Fürstenberg ist ja auch ein Produkt dieser Art Bemühungen. Nun musste man im Weserdistrikt nicht warten, bis aus dieser Plantage die ersten Pflanzen herangewachsen waren, in der Fürstlichen Münzberg-Plantage bei Braunschweig gab es davon reichlich. Von dort kamen auch Pflanzen nach hier. Generell sollten die Verantwortlichen 18


Der Weserraum im Blick von Herzog Carl I. und seinen Räten (1735–1780)

dahingehend wirken, dass die lieben Untertanen zahlreiche Bäume – natürlich zu ihrem eigenen Besten – anpflanzten. Das Beispiel Stadtoldendorf51 zeigt deutlich, wie erfolgreich das war:

Nr. Name Beruf Zahl Bäume 1 Luttich Superintendent 12 2 Wilcke Gerichtsschultheiß 40 3 Tappe Bürgermeister 6 4 Floto Bürgermeister 2 5 Bode Lieutenant 12 6 Meyer Organist 12 7 Liedenburg Kaufmann 15 8 Dröhler Kaufmann 12 Summe: 111 Im Herbst 1749 hatten sich nur Angehörige aus der sicherlich recht schmalen Schicht der Honoratioren dazu bereit erklärt, und der Herr Gerichtschultheiß, also jener, dessen Lebensweg sehr vom Geheimer Rat abhing, hat dann auch noch die allermeisten gepflanzt. 1755 konnte von Langen berichten, dass alle bei Stadtoldendorf gepflanzten aus dem Münzberge stammenden Bäume verdorben seien. In einem Garten in Holzminden sollten – so von Langen – aber noch verschiedene vorhanden sein. Auch machte er in diesem Bericht darauf aufmerksam, dass zum Gedeihen der Maulbeerbäume guter Boden erforderlich sei. Und dann wörtlich: Ich gedencke auch, so bald die Witterung es gestattet, einen weiteren Versuch an dem unter hiesigen Schloße – [also hier in Fürstenberg, wo wir sind] – belegenen Cathagenberge mit Pflantzung junger Maul-Beer-Bäume zu machen und werde über den Ausfall davon unterthänigst einzuberichten ohnvermangeln.52 Ottenstein – das darf auch hier nicht fehlen – auch dort wurden 1749 Maubeerbäume gepflanzt, die aus Braunschweig stammten, 100 Stück. Am Ende des Jahres 1749 waren es noch 84, am Ende des Jahres 1750 noch 24. Geitel schob das Klima vor, in Braunschweig meinte man, es habe an der Pflege gefehlt. Hofrat Zincke entschied, es wird eine neue Plantage angelegt. Am 11. Januar1751 ging an Geitel folgendes Schreiben: Es hätte euch geziemet, die Ursachen, welche die Anlegung der Maulbeer-Plantage zu Ottenstein bishero behindert haben, frühzeitig zu melden. Wir erinnern euch gn[ädig]st [daran, dass die Euch] vermachte Besoldung ohne merklichen Nutzen des Fleckens ausgegeben worden.53 Also die jungen Herren wurden beobachtet – soweit ich sehe, machte Geitel aber keine Karriere im Herzogtum. Eberhard Tacke sah die Aktivitäten Geitels wohl zu freundlich.54 Zu erwähnen ist noch, dass es mit der Zeit wirklich zahlreiche Maulbeerbäume im Weserdistrikt gab. Die Bäume waren ja nicht um ihrer selbst willen gepflanzt – Seide war das Ziel. Dazu musste man Raupen einsetzen – und das Vorhaben scheiterte grandios. Die Förderung des Seidenbaues war ein großer Reinfall, nicht nur in Braunschweig, sondern überall. Abgesehen von den erheblichen Anfangsschwierigkeiten bei der Aufzucht der Maulbeerbäume, scheitere das Unternehmen vor allem an nicht zu überwindenden Problemen bei der Raupenaufzucht. Nur aus völliger Verkennung der damit zusammenhängenden Schwierigkeiten ist es zu erklären, das im ganzen Lande verstreut Maulbeerbäume angepflanzt wurden, deren Laub dann nicht zu nutzen war. Na ja, die Karnickel werden es wohl geschätzt haben, vielleicht auch die Schafe und Kühe. 19


Peter Albrecht

Durchsetzung aufklärerischen Gedankengutes Die Herren in Braunschweig redeten und schrieben nicht nur über die Aufklärung, sondern bemühten sich nachhaltig, dieses Gedankengut gesellschaftlich wirksam werden zu lassen. Hilfegesuche kamen immer wieder aus dem Kreise des Handwerks. Die Herrschaften waren nun keineswegs wirklich gegen aufklärerische Vorstellungen eingenommen, nein, das Bestreben war fast immer, einen unliebsamen Mitbewerber fernzuhalten. Dazu ließ sich das alte Herkommen vorzüglich instrumentalisieren. Ein schönes Beispiel aus dem Weserdistrikt soll angeführt werden, obwohl es schon in die Regierungszeit von Carl Wilhelm Ferdinand, also dem Sohn Carls I. fällt. Der Tischlermeister Heinrich Christoph Puls jun. wandte sich verzweifelt an den Herzog, denn die Gilde hatte ihm unmissverständlich angedroht, ihn auszuschließen, falls er die Tochter des Abdeckers Philipp Döring aus Lügde, Stift Paderborn, heiraten würde. Verwundert forderte man aus Braunschweig einen Bericht vom Amte Ottenstein an. Der Amtmann stütze die Absicht der Tischler, wenn auch recht vorsichtig formuliert, er hatte da wohl so eine Ahnung. Im Geheimen Rat sah man die Sache gänzlich anders, hier die entscheidenden Sätze: Den Kindern der Abdecker soll nach dem bekannten Reichsschluß von 1772, wenn sie nicht zu denen Beschäftigung des Vaters übergehen, deshalb überall kein Vorwurf gemacht werden und wird zum Ueberfluss der Tochter des Abdeckers Döring aus Lüde, wenn gedachter Tischler Meister Puls selbige ehelicht, aller aus Vorurtheil ihr angedichteter Makel hiermit ausdrücklich abgenommen.55 Eine für die herzogliche Verwaltung ganz typische Antwort und das auch schon Jahrzehnte davor. 1. Aller Makel sollte von ihr genommen sein, wenn sie ihn geheiratet hatte. – Ja warum denn nicht gleich? Ganz einfach, das junge Mädchen wohnte in Lügde, also im Ausland, und da durfte der Herzog selbstverständlich sein Gnadenrecht nicht ausüben. 2. Wieso überhaupt noch dieser Gnadenakt, war das Vorgehen der Tischler doch illegal. So kann und sollte man den Bescheid lesen. Allerdings, ein geschickter Advokat hätte schnell herausgefunden, dass dieser Bescheid auf recht schwachen – juristisch gesehen – Füßen stand. Mit dem Gnadenakt war der ganze Vorgang jeglicher weiterer Nachprüfbarkeit entzogen. Zurück zum Liebespaar. Im September 1802 heiratete der Tischlermeister seine 20 Jahre alte Marie Therese Döring. Sie bekamen mehrere Kinder und unter den Paten waren Eltern, mehrere Handwerksmeister bzw. deren Gattinnen. Wobei sicherlich auch hilfreich war, dass sein Vater als Böttchermeister in Ottenstein lebte. Ganz offensichtlich ist es dem Paar gelungen, in dem kleinen Ottenstein gesellschaftlich anerkannt zu werden. Nur eins fällt auf: Verwandte aus ihrer Linie finden sich unter den Paten nicht. Offen muss auch bleiben, ob sie an Familientreffen teilgenommen haben oder überhaupt einmal in Ottenstein aufgetaucht sind. Auszuschließen ist, dass sie an irgendwelchen Feiern mit vielen Gästen teilhatten.56 Zum Schluss ein Blick von außen auf das Herzogtum Ein Blick von außen tut immer gut. Der Hamburger Justizrat Johann Peter Willebrandt, welcher in seinen Reiseberichten mehr als deutlich die Verhältnisse in Deutschland beleuchtet, schrieb 1758: Doch dasjenige, was alles übrige noch bey weitem übertrifft, ist die Grösse der Seelen, welche man in der Braunschweigischen Herzoglichen Herrschaft bemerket. Man siehet an den Fürstlichen Personen dieses Hofes die Menschen-Liebe so hervorleuchten, daß man davon gänzlich eingenommen wird. Insbesondere ist der Herzog Carl ein Fürst, der seiner Unterthanen und aller Menschen Wohl als sein eigenes ansiehet, und er ist das Beyspiel eines tugendhaften und um das Wohl seiner Unterthanen recht sehr besorgen Fürsten. Von des Erb-Prinzen Gelehrsamkeit und Heldenmuth höret man überall 20


Der Weserraum im Blick von Herzog Carl I. und seinen Räten (1735–1780)

viel reden. Die Hof-Bedienten schienen die Tugend zu besitzen, die man sonsten an Höfen vergeblich suchet. Mit wenigem, ich bin ganz von Braunschweig eingenommen. Denn es scheinet mir, daß der Braunschweiger Herzen, und sogar derselben Sprache, die ausländische Heucheley und Falschheit, die unsere Landesleute so sehr angestecket hat, anzunehmen unfähig sind.57 Im Jahre 1781 wurde (wenngleich erst 1787 publiziert) berichtet: Ausser der bekannten fürstenberger Porcellänfabrike, die aber nicht mehr so einträglich ist, da jetzt allenthalben Porcallän, und an den meistern Oertern besseres gemacht wird, und die sich nur noch durch die Wohlfeile ihrer Preise erhält, und ausser der Spiegelfabrik im grünen Plane, giebt es hier [in den Braunschweigischen Landen] eben keine interessante Fabriken, obgleich viele dergleichen existiren. Eine Menge ehedem gemachter Versuche sind nicht geglückt, und unser Land kann auch wol nicht, aus macherley Gründen, eine starkes Fabrikenland werden. An der Weser gedeihen dergleichen Anstalten noch am besten.58 Und wenn man es etwas genauer nimmt, dann ist die Porzellanmanufaktur Fürstenberg – neben der Glashütte Grünenplan – der einzige gewerbliche Betrieb, der aus der Regierungszeit von Carl I bis heute ununterbrochen bestand hat. Ich hoffe, Sie sind mit mir einig, dass dies auch so bleiben soll.

Anmerkungen 1 Leicht erweiterte Fassung des Abend-Vortrages, der auf der Tagung des Arbeitskreises für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen am 9.November 2012 im Saal der Porzellanmanufaktur Fürstenberg gehalten wurde. Der Redestil wurde weitgehend beibehalten, da er wesentlich die Anordnung der behandelten Punkte bestimmte. 2 Einzelheiten siehe: Albrecht, Peter: Das Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel (1666–1735): Ein kleines Land – aber auf der europäischen Bühne zu Hause. In: Hermann Korb und seine Zeit: 1656–1735. Barockes Bauen im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel. Wolfenbüttel 2006, S. 21–28. 3 Siehe zu den Grunddaten: Albrecht, Peter: Die Förderung des Landesausbaues im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im Spiegel der Verwaltungsakten des 18. Jahrhunderts (1671–1806) (Braunschweiger Werkstücke, 58). Braunschweig 1980, S. 11ff. Generelle Aussagen über das Herzogtum beziehen sich stets auf die in diesem Werk nachgewiesenen Quellen, ohne dass dies immer ausgewiesen wird. Über die Register sind die entsprechenden Stellen leicht aufzufinden. 4 Niedersächsisches Landesarchiv – Abteilung Wolfenbüttel [nachfolgend: NLA WO]: 40 Slg 2135. 5 Ebd.: 2 Alt 12284 (16.8.1738). 6 Desgl. (29.5.1741). 7 NLA WO: 2 Alt 12384 (19.6.1749). 8 Ebd.: 2 Alt 12287 (30.12.1748). 9 Ebd.: 2 Alt 12888 (24.10.1778). 10 Ebd.: 2 Alt 12287 (29.11.1760). 11 Ebd.: 2 Alt 12287 (f 57). 12 Weitere Einzelheiten: Albrecht, Peter: Die Maße und Gewichte. In: Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Braunschweigischen Landes vom Mittelalter bis zur Gegenwart: Im Auftrag der Braunschweigischen Landschaft e.V. hrsg. v. Karl Heinrich Kaufhold, Jörg Leuschner u. Claudia Märtl. Unter Mitarbeit v. Barbara Klössel-Luckhardt u. Tanja Stramiello. 3 Bände Hildesheim u. a. 2008, Band 2 S. 125–138; hier S. 131f. 13 NLA WO: 2 Alt 12288 (9.2.1788). 14 Ebd.: 2 Alt 13622 (13.7.1759). 15 Desgl. Siehe auch: Albrecht, Peter: Die zunehmende Kleiderpracht der Mägde in den Städten des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel in der Mitte des 18. Jahrhunderts. In: Braunschweigisches Jahrbuch 60 (1979), S. 99–108. Ders.: Die Nationaltrachtsdebatte im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. In: Jahrbuch für Volkskunde 1987, S. 43–66. 16 Fredersdorff, Leopold Friedrich: Promtuarium der Fürstlichen Braunschweig-Wolfenbüttelschen Landes-Verordnungen in einem wesentlichen Auszuge derselben. Theil 1 u. 2 Braunschweig 1777.

21


Peter Albrecht 17 Albrecht, Peter: Fredersdorff, Leopold Friedrich. In: Braunschweigisches Biographisches Lexikon: 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. HorstRüdiger Jarck u. Günter Scheel. Hannover 1996, S.187. 18 NLA WO: 2 Alt 13429 f 43. 19 Ebd.: 2 Alt 13429 f 2. 20 Ebd.: 2 Alt 13430 f 30. 21 Ebd.: 2 Alt 13430 f 83. 22 Ebd.: 2 Alt 13429 f 134. 23 Hassel, [Johann] G[eorg Heinrich] u. K[arl Friedrich] Bege: Geographisch-statistische Beschreibung der Fürstenthümer Wolfenbüttel und Blankenburg. 2 Bände Braunschweig 1802–1803; hier Bd. 2 S. 356–359. 24 NLA WO: 2 Alt 13441 f10. 25 Ebd.: 2 Alt 13441. 26 Ebd.: 2 Alt 13441. 27 Ebd.: 2 Alt 13450 . 28 Hassel/Bege (wie Anm. 23), Bd. 2 S. 329, 339 u. 354. 29 NLA WO: 2 Alt 13450 f 9. 30 Hassel/Bege (wie Anm. 23), Bd. 2 S. 348–350. 31 NLA WO: 2 Alt 7999 (18.10.1748). 32 Ebd.: 2 Alt 7999. 33 Tacke, Eberhard: Zu frühen Versuchen des Esparsette-Anbaues in Südniedersachsen durch den Hofjägermeister Johann Georg von Langen. In: Neues Archiv für Niedersachsen 11 (1962/63), S. 321–322. 34 Alles NLA WO: 2 Alt 7999. Bei den Landesvermessungen in den Jahren von 1756 bis 1771 wird in vielen Orten des Weserdistriktes große Anteile wüsten Ackerlandes festgestellt, siehe Übersicht in: Tacke, Eberhard: Die Entwicklung der Landschaft im Solling: Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte und zur Geschichte der Siedlungsplanung in Niedersachsen (Schriften der Wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft zum Studium Niedersachsen e.V., N.F. 13). Oldenburg 1943, S. 102. 35 NLA WO: 2 Alt 8000. 36 Hassel/Bege (wie Anm. 23), Bd. 2 S. 350. 37 StadtA BS: C VII 608. 38 Ebd. 39 Zu diesen Fragen: Kaufhold, Karl Heinrich: Gilde, Stadt und Territorium in der Frühen Neuzeit (1528–1806). In: Handwerk in Braunschweig: Entstehung und Entwicklung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hrsg. von Martin Kintzinger. Braunschweig 2000, S. 129–205. 40 Mundt, Wilhelm: Raabestadt Eschershausen: Gegenwart und Vergangenheit. Informationen über die Stadt und ihre Umgebung. Eschershausen (1977), S. 70. Hassel/Bege (wie Anm. 23), Bd. 2 S. 288. 41 NLA WO: 2 Alt 13140 Die schon vorhandene Brauergilde zählt zeitgenössisch nicht als „echte“ Handwerksgilde. Für Brauer galten im ganzen Herzogtum Sonderrechte. 42 Ebd.: 2 Alt 13140. Generell zu Gilden in Stadtoldendorf: Eggeling, E[rnst]: Chronik von Stadtoldendorf, der Homburg und Kloster Amelungsborn. Stadtoldendorf 1921, S. 210–225. 43 Hassel/Bege (wie Anm. 23), Bd. 2 S. 285. 44 NLA WO: 2 Alt 13140, 2 Alt 13133. 45 Ebd.: 2 Alt 12662. 46 Ebd.: 2 Alt 13133. 47 Ebd.: 2 Alt 13137, 2 Alt 13141. Hassel/Bege (wie Anm. 23), Bd. 2 S. 350. Rose, Heinrich: Chronik von Ottenstein und Glesse. Kemnade 1927, S. 174–187. 48 NLA WO: 2 Alt 13142. Hassel/Bege (wie Anm. 23), Bd. 2 S. 324. 49 NLA WO: 2 Alt 14050 f 17. 50 Ebd.: 2 Alt 14050. 51 Ebd.: 2 Alt 14061. 52 Ebd.: 2 Alt 14050. 53 Ebd.: 2 Alt 14068. 54 Tacke, Eberhard: Die Planung und Einrichtung des Bauerndorfes Glesse bei Ottenstein (1753–1773). In: Neues Archiv für Niedersachsen Bd. 10 (1961/62), S. 295–319; hier S. 296. 55 NLA WO: 2 Alt 12671. 56 Generell zur Problematik der Abdecker siehe nun: Kieckbusch, Klaus: Henker und Abdecker in Holzminden und an der oberen Weser (16. bis 20. Jahrhundert). In: Jahrbuch für den Landkreis Holzminden 27 (2009), S. 15–57. 57 Willebrandt, Johann Peter: Historische Berichte und Practische Anmerkungen auf Reisen in Deutschland […]. Frankfurt / Leipzig 1758, S.228. 58 Vom Herzogthume Braunschweig. In: Neue Reisebemerkungen in und über Deutschland. Vierter Band Halle 1787, S. 159–168; hier S. 166. Generell siehe dazu: Mende, Michael: Das Gewerbe in Manufakturen und Fabriken. In: Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Braunschweigischen Landes (wie Anm. 12), Band 2 S. 436–530.

22


Jahrbuch für den Landkreis Holzminden

Band 37/38 2019/20

S. 23 - 60

Das Gefecht bei Neuhaus im Solling am 13./14. September 1761: Das Kriegsjahr – Das Gefecht – Die archäologischen Funde von Detlef Creydt und Jan Schametat Mit 15 Abbildungen

Der aus Eschershausen, Landkreis Holzminden, stammende Militärhistoriker Otto Elster (1852–1922) schreibt in seiner Geschichte über die Braunschweiger Truppen von 1714 bis 1806,1 dass es während des Siebenjährigen Krieges (1756 bis 1763) 14 Schlachten und größere Gefechte unter Beteiligung Braunschweigischer Truppen gegeben habe. Fünf von ihnen fanden im Jahr 1761 statt, darunter ein Gefecht im Solling. Über dieses Gefecht gibt es keine narrativen Überlieferungen, keine Sage oder irgendeine Geschichte, die in der Bevölkerung an die folgenden Generationen weitergegeben wurde; kein Flurname erinnert daran. Nur eine ganz spärliche schriftliche Überlieferung im Kirchenbuch von Meinbrexen weist auf dieses militärische Ereignis hin.2 Mit diesem geringen Wissen machten sich die Autoren auf den Weg, den über 500 Quadratkilometer großen Solling zu erforschen und den Kriegsschauplatz zu finden. Wie ihnen dies gelang, zeigen die folgenden Seiten. Einführend werden zunächst die Ereignisse des Kriegsjahres 1761 referiert. Danach folgt die Beschreibung des Verlaufs des Gefechtes. Am Schluss steht die archäologische Bearbeitung des Gefechtsfeldes mit den Karten über die Fundverteilung sowie Beschreibung und Auswertung der Funde. Der Siebenjährige Krieg Der Siebenjährige Krieg dauerte von 1756 bis 1763 und war der letzte von drei Kriegen zwischen Preußen und Österreich um Schlesien. Aufgrund von Allianzen und Bündnissen weitete sich dieser Krieg immer mehr zu einer europaweit geführten Auseinandersetzung aus. Letzten Endes ging es um die Kolonien in Nordamerika, um die auch in Europa zwischen England und Frankreich gekämpft wurde. Auf preußischer Seite befehligte König Friedrich II. Truppen von ungefähr 120.000 Mann. Er teilte sie in drei Armeen ein und behielt sich selbst die Führung der Hauptstreitkräfte vor. Die Flügel der Armee des Königs befehligten zwei Braunschweiger Herzöge: auf der rechten Seite Ferdinand von Braunschweig-Bevern, Bruder des in Braunschweig regierenden Herzogs Karl I. (Karl I. war wiederum Schwager des Preußenkönigs), und auf der linken Seite der Vetter der beiden, August Wilhelm, der aufgrund seiner Herkunft nur kurz Bevern genannt wurde. Beide sollten später als selbständige Heerführer entscheidend für den Ausgang des Krieges zu Gunsten Friedrichs des Großen sein. 23


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.