Nachdenken über das Alter – Erlesenes und Erdachtes

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Altersglück Bedingungslos durch das Leben gedrängt, hat es dir plötzlich ein hohes Alter geschenkt. Und zwischen Kummer, Bangen und Hoffen bedenke: Nur Menschenlos hat dich getroffen! Fassungslos der Blick zurück, fragst du: Was ist Altersglück? Die Pflichterfüllungszwänge bringen dich im Alter nicht in die Gänge. Sieh das Schöne, die natürliche Pracht, die Freundlichkeit und wenn die Seele lacht. Suche, was Zufriedenheit bringt, die Heiterkeit ihre Lieder singt. Glaube an schöne Lebensmomente, „vergeude“ für Lebenslust deine Rente. Der Sinn des Lebens im Alter ist nicht das Sterben, sondern zum Segen für Andere zu werden. Und so findest du den ersehnten Frieden: Zuneigung, Verständnis und Lieben, Hilfsbereitschaft, Mitgefühl, Dankbarkeit. Versuche es, dann steht auch das Glück bereit. Dieter Strümpel


Herausgegeben vom Seniorenrat Holzminden im Mai 2016


Dieter Strümpel

Nachdenken über das Alter Erlesenes und Erdachtes

Verlag Jörg Mitzkat


Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Altwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Altersreife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Die „einfachen“ Lebensprobleme . . . . 23 Stellung in der Gesellschaft . . . . . . . . . . 27 Bedeutung der Körperkräfte . . . . . . . . . 33 Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Heiterkeit und Humor . . . . . . . . . . . . . . 41 Zufriedenheit und Glück . . . . . . . . . . . . 45 Gelassenheit und Toleranz . . . . . . . . . . . 49 Liebe und Loslassen . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Umgang mit der Einsamkeit . . . . . . . . . 61 Krankheit, ­Sterben, Tod . . . . . . . . . . . . . 67 Formen der Dankbarkeit . . . . . . . . . . . . 73 Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78




Vorwort „Nachdenken über das Alter“ als Idee und Versuch, das Älterwerden und das Altsein besser zu verstehen. „Nachdenken über das Alter“ ist eine Art Dialog mit Persönlichkeiten, die sich in diesem Bereich auskennen und darüber geschrie­ ben haben. Dabei versuche ich immer daran zu denken, dass sich die Charakte­ re und Temperamente der Menschen, auch bei den älteren, so unterschiedlich ergeben, wie es die Menschen sind.

„Nachdenken über das Alter“ als Lebenshilfe? Ob man es will oder nicht: Alle Menschen werden alt, und so wird für Nachdenkliche das Interesse daran aufdringlich. Deshalb kann es sinnvoll sein, sich Gedanken über das Altwerden und über das Alter „durch den Kopf gehen zu lassen“ – ­vielleicht als Lebenshilfe.

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Altwerden Alt und älter werden gehört zum ­Menschsein. Aber wann beginnt eigent­ lich das Alter? Zunächst stellt man fest, dass sich mit dem Älterwerden unser Leben „irgendwie“ verändert – aber wir wissen nicht, wie wir darauf reagieren sollen, bis wir schließlich, noch etwas älter geworden, reagieren müssen. So gesehen beginnt das Alter, wenn Einschränkungen spürbar werden, die Kräfte des Körpers und des Geistes schwächer werden und man an Bedeu­ tung verliert. Zunächst sind es Er­ schöpfungs­zustände die Unsicherheit verbreiten und zu Hilflosigkeit führen und vom Menschen erzwingen, sich das Alter immer wieder vorstellen zu müssen.

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Dann beginnt ein Lebensabschnitt, der sich nach Roger Willem­ sen praktisch so zeigt: „Der Tag, an dem man ein Medikament verschrieben bekommt, dass man bis ans Ende seines Lebens nehmen muss; der Tag, an dem man das Geländer braucht, um eine Treppe abwärts zu steigen; der Tag, an dem man nur noch abgestützt aus der Hocke kommt; der Tag, an dem man im Zug den Koffer nicht mehr allein auf die Abla­ ge bekommt.“ D.h., man verliert seine Souveränität, fragt sich, ob man noch für „dieses oder jenes“ tauglich ist und gibt seine Erwartungen an hochge­ steckte Ziele auf. Nur die „Unbekümmerten“ versuchen ihre Mange­ lerscheinungen zu ignorieren und weiter glaubwürdig zu erscheinen. Zur „Erholung“ eine Gedichtzeile von Hermann Hesse:

Der Mann von sechzig Jahren* Von der Wiege bis zur Bahre sind es sechzig Jahre, dann beginnt der Tod. Man vertrottelt, man versauert, man verwahrlost, man verbauert und zum Teufel gehn die Haare. Auch die Zähne gehen flöten, und statt dass wir mit Entzücken junge Mädchen an uns drücken, lesen wir ein Buch von Goethen.

(* Hesse hat vor vielen Jahren „fünfzig“ geschrieben)

Alte Menschen selbst sehen das Älterwerden meistens so: Zum „normalen Älterwerden“ gehört, dass sich allmählich im­ mer mehr Zipperlein einstellen. Man bekommt Arthritis oder Dia­ betes, man wir kurzatmig, läuft langsamer, sieht und hört schlech­ ter, und man kann sich nicht mehr alles so gut merken wie früher. Alles in allem ist man jedoch immer noch rüstig, kann sich selbst versorgen und das Leben genießen. 10

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„Echt alt“ sind dagegen die Menschen, die gravierende geistige Ausfälle, schwere körperliche Gebrechen und ein unangepasstes So­ zialverhalten haben, Regeln nicht mehr beachten können und sich häufig „danebenbenehmen“. Das Einstellen auf die sich aufdrängende neue Alter-Lebenspha­ se ist für viele Menschen eine sehr schwierige Aufgabe, wobei auch die „Eigenarten“ des Menschen von großer Bedeutung sein können.

Susi Reinhard beschreibt drei verschiedene Arten: 1. Zufriedene Alte: Am leichtesten haben es jene, die schon vor dem Renteneintritt ein Leben neben der Arbeit gepflegt haben. Das betrifft vor allem Hobbys, F ­ reundschaften, Vereine, soziales Engagement, Garten. 2. Unzufriedene Alte: Die Bekümmerten, die wahrscheinlich schon ihr ganzes Leben lang überwiegend unzufrieden waren. 3. Die schwer anpassungsfähigen Alten: Das sind diejenigen, die sich z.B. ihrem Beruf mit Leib und Seele verschrieben hatten. Die nun, „plötzlich“ bedeutungslos geworden, leiden unter Statusverlust, fehlende Freunde und Freizeitinteressen. Die Folge sind nicht selten psychische Krisen.

Um das Älterwerden „meistern“ zu können, wenden alte Menschen meist eine der drei n ­ achfolgenden Strategien an: 1. Strategie: Diese Menschen wollen beweisen, dass sie immer noch „kompetente Erwachsene“ sind; dies geschieht u.a. durch Abgren­ zung von noch Älteren. Im Kontakt zu Jüngeren reden sie gern über Dinge von denen sie mehr verstehen bzw. die sie besser können.

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2. Strategie: Um mit den Veränderungen des Alters besser umgehen zu können, pflegen diese Menschen das Reden über Krankheiten und Operationen, das Witze machen über graue Haare und andere Zeichen des Alters wie nachlassende Körper- und Geisteskräfte. 3. Strategie: Diese Menschen starten ständig Versuche, um durch Kommunikation das Zusammengehörigkeitsgefühl zu pflegen. Sie erzählen, erzählen, erzählen, hören zu, wiederholen, was der Partner gesagt hat usw. Bedeutende Hinweise zum Älterwerden beschreiben R ­ iemann und Kleespies: „Die Umstellung ermöglicht eine Wandlung; das Festhalten kann die Basis zu einer Panik abgeben […] Viele glauben, dass die Lebens­ probleme an ihrer Ehe liegen ohne auf die Idee zu kommen, dass es in ihnen selbst liegt, etwa in einem Mangel an Liebesfähigkeit, in Illusionen über sich selbst oder das leben überhaupt. Im Alter wird der Selbsterhaltungstrieb (z.B. durch krampfhafte Versuche die Ge­ sundheit zu erhalten) wahrscheinlich der stärkste Trieb überhaupt, leicht überwertig, wenn man sonst nichts zu erhalten hat. […] Eine große Gefahr: Erwartungen an die Kinder, so dass diese Schuldgefühle kriegen, wenn sie uns allein lassen. […]“

Für im Beruf Erfolgreiche „Gerade zum Alter hin, wenn wir bereits ein sicheres Können und eine gewisse Souveränität auf unserem Gebiet erreicht haben, soll­ ten wir an die Ausweitung unserer Interessen denken. […] Wichtig: Loslassen können und schöpferische Aktivitäten […] Jeder Alternde steht vor der Entscheidung, entweder das Festhal­ ten zu wollen, was er ihm entgleisen fühlt, oder sich auf das neue Lebensgefühl einzulassen und sich damit neuen Möglichkeiten und Wandlungen zu öffnen. […] Größere Toleranz bedeutet aber keineswegs ein schwächliches alles Annehmen; im Gegenteil kann uns gerade das Alter aus unse­ ren Erfahrungen unbestechlicher machen und den Blick schärfen 12

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für das Wahre und Gute. Aber toleranter können wir nur sein, weil wir weniger affektiv in vieles verstrickt sind und so eine größere Dis­ tanz und die Möglichkeit zu größerer Objektivität haben. […] Im Alter besteht die Chance zu einer neuen Liebesfähigkeit da­ durch, dass wir uns selbst nicht mehr so wichtig sind, uns nicht mehr so wichtig zu nehmen brauchen, und damit ein Stück unseres Nar­ zissmus aufgeben können, unsere Eigenliebe, unsere Ichhaftigkeit.“ Einige Ausführungen über das Altern von Jean Amery: „Wer an die Schwelle gerät, dieser an Jahren früher, jener ein wenig später, manche gewappnet mit Aufrichtigkeit, ein anderer gefangen in einer Selbsttäuschung, die aber allemal sich als wenig solide er­ weist, muss irgendwann erfahren, dass er die Welt nicht mehr ver­ steht.“ […] Selbst Alte, die versuchen den Gegenwartsproblemen usw. Ver­ ständnis entgegen zu bringen, werden damit abgetan: „Er meine es zwar ganz gut und sei als Alter immerhin aufgeschlossen, doch des rechten Verständnisses müsse er notwendigerweise ermangeln.“ Und auch das noch: „Der Alternde ist ein solcher nicht nur für die Jugend, sondern auch für die Jahrgangsgleichen.“ Sicherlich spielt das individuelle Schicksal des einzelnen Men­ schen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, wie es einem im Leben ergeht. Der Philosoph Karl Popper drückt das sehr nachdenklich so aus: „Wie es einem im Leben ergeht, ist hauptsächliche eine Sache des Glücks oder der Gnade, und zu einem verhältnismäßig klei­ nen Teil vielleicht auch Sache der Tüchtigkeit, des Fleißes und anderer Tugenden.“ Zu guter Letzt sorgt sich auch noch Martin Walser um sein „Ansehen“ im Alter: „Je älter man wird, desto mehr empfiehlt es sich, darauf zu achten, wie man auf andere wirkt. Ich bin dreiundsechzig. Südlich der Do­ nau sagt man zum Beispiel: Der und der wird auch allmählich ko­ misch. Das merken alle, wissen alle, nur der, der allmählich komisch wird, merkt es nicht.“ Altwerden

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Herausgeber Seniorenrat der Stadt Holzminden Abbildungen www.pixabay.com S. 6 – 7 und S. 36 – 37: Jörg Mitzkat Layout und Gestaltung Verlag Jörg Mitzkat, Berit Nolte Verlag Jörg Mitzkat Holzminden 2016 www.mitzkat.de Alle Rechte vorbehalten. ISBN 978-3-95954-013-1


Anhang

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