Spurensuche in der Kulturlandschaft
Wirtschaftsfรถrderung im Weserbergland vor 300 Jahren
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Titelbild: Sandsteinbruch bei Lüchtringen, Umschlagrückseite: Duhnemühle bei Negenborn Verlag Jörg Mitzkat, www.mitzkat.de Holzminden 2013
Thomas Krueger, Hilko Linnemann mit Fotos von Jรถrg Mitzkat
Spurensuche in der Kulturlandschaft Wirtschaftsfรถrderung im Weserbergland vor 300 Jahren
HEUTE
Verlag Jรถrg Mitzkat Holzminden 2013
Inhalt
Inhaltsverzeichnis Vorwort Marlies Grebe Einleitung – Herzog Carl I. heute – Eine Spurensuche Thomas Krueger Spurensuche in der Historischen Kulturlandschaft Hilko Linnemann Fotografische Spurensuche Fotos: Jörg Mitzkat Texte :Thomas Krueger, Hilko Linnemann Literaturverzeichnis
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Fotografische Spurensuche: Tongrube bei Hohenbüchen Glasmacherhaus in Grünenplan Mundloch im Hils Halde im Hils Glasmacherhaus in Holzen Lenne-Brücke in Eschershausen Sandgrube bei Lenne Einbecker Straße bei Merxhausen Backhaus Hellental Faktorei der Glashütte Schorborn Mühle Schorborn Duhnemühle Mittelwald Graupenburg Sandsteindach in Forst Steinbruch im Beverbachtal Zichorie bei Allersheim Weserhalbinsel bei Holzminden Holzminden von der Weser Wehr am Unteren Teich Hohlweg am Pipping Eichenallee im Solling Sandwäsche Neuhaus Steinbruch bei Lüchtringen Lärchen im Otterbachtal Von Langen-Reihe in Fürstenberg Alte Mühle in Fürstenberg Porzellanmanufaktur im Schloss Fürstenberg
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Vorwort
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ines der wichtigsten Ziele des Heimat- und Geschichtsvereins für Landkreis und Stadt Holzminden e.V. (HGV) ist die Bewahrung der historischen Kulturlandschaft im Landkreis Holzminden. Mitglieder des Vereins, besonders die Arbeitsgruppe Kulturlandschaft, haben sich in den letzten Jahren der Entdeckung und Dokumentation von Kulturlandschaftselementen im Landkreis Holzminden verschrieben. Gerade aus dem 18. Jahrhundert sind dabei eine ganze Reihe von Relikten des menschlichen Handelns und Gestaltens wieder in das historische Bewusstsein gerückt. Die Wiederkehr des 300. Geburtstages des für die Gestaltung der Kulturlandschaft im Landkreis so einflussreichen Landesfürsten, Herzog Carl I. (1713 - 1780), bietet eine gute Gelegenheit, die Ergebnisse der Dokumentationen einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen. „Carl 300“, ein Projekt mit zahlreichen Veranstaltungen zum 300. Geburtstag des einstigen Landesfürsten im gesamten ehemaligen Herzogtum Braunschweig ist auf Anregung von Thomas Krueger, stellvertretender Vorsitzender des HGV und Leiter des Museums im Schloss der Porzellanmanufaktur FÜRSTENBERG, entstanden. Es war für den HGV selbstverständlich, sich auch im Rahmen seiner Möglichkeiten daran zu beteiligen. Der erste Gestaltungsentwurf für die zwei Ausstellungen in Fürstenberg und in Bevern zum Thema
Vorwort
Fürstlicher Landesausbau im Weserdistrikt im 18. Jahrhundert und seine Auswirkungen auf die Gegenwart wurde vom HGV professionell beauftragt. Aber auch andere Eigenmittel flossen während der Umsetzung in die zahlreichen Ideen und Entwürfe hier im Landkreis Holzminden ein. Ein so großes Unterfangen wächst und benötigt finanzielle Unterstützung. Wir sind dankbar für die Zuwendungen von der Stiftung Niedersachsen, der Kulturstiftung des Landkreises Holzminden und der Braunschweigischen Landessparkasse aus dem Reinertrag „Sparen und Gewinnen“ sowie des Projektpartners Kulturzentrum Weserrenaissance-Schloss Bevern. Ohne ihre Beiträge wäre das Unternehmen nicht zu verwirklichen gewesen. Ein Projekt wie dieses bedarf nicht nur finanzieller Zuwendungen, sondern ist immer auch ein Gemeinschaftswerk vieler. Wir haben daher denjenigen Freunden, Personen und Institutionen sehr zu danken, die an der Verwirklichung der Ausstellungen und Veranstaltungen mit Rat und Tat, mit Leihgaben, gestalterischem und handwerklichem Geschick beteiligt waren. Stellvertretend für sie sind hier zu nennen die Porzellanmanufaktur FÜRSTENBERG GmbH, das Stadtarchiv Holzminden, der Heimat- und Geschichtsverein für Heinade-Hellental-Merxhausen e.V., der Freundeskreis Fürstenberger Porzellan e.V., die Niedersächsischen Landes-
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Vorwort
forsten und die Kreisvolkshochschule Holzminden. Die Jugendwerkstatt der Kreisvolkshochschule Holzminden fertigte im Rahmen ihrer Qualifizierungsarbeit die Ausstellungsbauten an. Namentlich zu danken ist Angelika Reuter von Reuter Grafikdesign für die Hilfe bei der Gestaltung der Ausstellung in Bevern und die Beschaffung einiger Objekte. Dr. Christian Leiber für seine Bereicherungen aus seinem unermesslichen Erfahrungsschatz, und nicht zuletzt den Mitgliedern der Arbeitsgruppe Kulturlandschaftselemente im HGV, die jedem Wetter trotzend erst die Grundlagen für die Ausstellung in Bevern schufen: Annette Jeschke, Friedel Peter, Gabriele und Gerd Schaffron, Klaus Steger und Dr. Klaus A.E. Weber.
Besonders zu erwähnen sind die drei Ausstellungskuratoren Jörg Mitzkat, Dr. Hilko Linnemann und Thomas Krueger. Jörg Mitzkat nahm die Fotografien auf und gestaltete das Begleitbuch und die Ausstellungsgrafik. Dr. Hilko Linnemann erforschte die Kulturlandschaftselemente im Landkreis Holzminden und fasste sie für die Ausstellung zusammen. Thomas Krueger steuerte nicht nur sein umfangreiches Wissen zum Thema und seine Erfahrungen als Ausstellungskurator und Museumsleiter bei, sondern leitete auch umsichtig das Gesamtprojekt. Ihnen allen sei für ihr großes Engagement vielmals gedankt. Möge die historische Kulturlandschaft und ihre Schönheit vielen Bewohnern und Besuchern des Landkreises Holzminden nahe kommen. Holzminden, im Juni 2013
Marlies Grebe 1. Vorsitzende Heimat- und Geschichtsverein für Landkreis und Stadt Holzminden e.V.
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Herzog Carl I. heute – Eine Spurensuche
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n der fast fünfzig Jahre währenden Regierungszeit Herzog Carls I. von Braunschweig-Wolfenbüttel (1713-1780) war die ‚Verbesserung‘ der wirtschaftlichen Situation im Lande übergeordnetes Ziel der fürstlichen Politik.1 In dieser Zeit etablierten sich mit landesherrlicher Unterstützung im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel zahlreiche Manufakturen, Leihhäuser und eine Brand-Versicherungsanstalt. Landesherrliche Maßnahmen verbesserten die Infrastruktur und unterstützten mit der Förderung der Land- und vor allem der Forstwirtschaft den wirtschaftlichen Ausbau im Lande. Bis heute kann der damals so genannte Weserdistrikt, der heutige Landkreis Holzminden im niedersächsischen Weserbergland, in diesem Geschehen als exemplarischer Fall angesehen werden. Zahlreiche Zeugnisse des Handelns der Menschen dieser Zeit sind noch heute vorhanden, andere sind in der Zwischenzeit den Zeitläufen zum Opfer gefallen. Eine Auswahl vorhandener Relikte in der Landschaft, die im 18. Jahrhundert entstanden bzw. auf die Politik Carls zurückführbar sind, sollen hier wie in der zugehörigen Ausstellung wieder sichtbar werden und zum Erleben vor Ort einladen. Die Geschichte der einzelnen Maßnahmen und ihrer Hintergründe, die zum Entstehen dieser Kulturlandschaftselemente geführt haben, hat die Ausstellung in Fürstenberg mit ihrer Begleitpublikation dargestellt, weshalb sie hier im einzelnen nicht noch einmal wiederholt werden 1
Peter Albrecht, Die Förderung des Landesausbaues im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im Spiegel der Verwaltungsakten des 18. Jahrhunderts (1671-1806), Braunschweig 1980. - Christian Lippelt / Gerhard Schildt (Hg.), Braunschweig-Wolfenbüttel in der Frühen Neuzeit. Neue historische Forschungen, Braunschweig 2003. - Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Braunschweiger Landes, Bd. 2, Braunschweig 2008.
Herzog Carl I. heute
müssen.2 Es sollte reichen, lediglich auf einige übergeordnete Aspekte zur Einführung in die Geschichte des Landesausbaues im Weserdistrikt einzugehen.3 Der Fürstliche Landesausbau unter Herzog Carl I. Herzog Carl I. wird noch immer als Verschwender erachtet, der sein Fürstentum fast in den Ruin getrieben habe. Doch eigentlich wissen wir über die Person Carls so gut wie nichts. Die einzige Biographie über ihn erschien vor rund einhundert Jahren, und noch immer ist das Urteil der Biographin gültig, dass es vielleicht keinen gibt, der so oft und so sehr verkannt worden ist als Carl I.;4 nicht einmal die Namen seiner Mätressen, die er wie so gut wie alle Fürsten mit Sicherheit hatte, sind bekannt. Denn eines darf keineswegs übersehen werden, sieht man sich die Leistungen dieses Landesfürsten an: Herzog Carl I. war einer unter vielen Landesherren im Deutschland des Alten Reiches, denen neben der Pflege eines luxuriösen Lebensstils vor allem die ‚Verbesserung‘ der wirtschaftlichen Situation des eigenen Territoriums und seiner Untertanen als übergeordnetes Ziel ihrer Politik galt. In nahezu allen deutschen Ländern des Alten Reiches5 gab es im 18. Jahrhundert – ganz im Sinne der Zeit der Aufklärung – wirtschaftliche Initiativen von Seiten der 2 3 4 5
Thomas Krueger, Arbeit, Holz und Porzellan. Carl I. und die Wirtschaftspolitik im 18. Jahrhundert. Der Weserdistrikt, Holzminden 2013. Zum Folgenden vgl. im Überblick Horst-Rüdiger Jarck, Gerhard Schildt (Hg.), Die Braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region, Braunschweig 2000, dort auch weiterführende Literatur. Frieda Biehringer, Herzog Karl I. von Braunschweig, Wolfenbüttel 1920, S. 1. So bezeichnet man kurz die im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bis 1806 zusammengeschlossenen deutschen Länder.
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Thomas Krueger
Regierungen, um die allgemeine wirtschaftliche Situation im Lande und damit den Unterhalt der Untertanen zu verbessern. Diese Initiativen von Seiten der Regierungen erhielten im Kontext der Staatswissenschaften in den unterschiedlichen Territorien ihre eigene spezifische Ausformung.6 Am bekanntesten sind heute sicherlich die Maßnahmen Friedrichs II. von Preußen, des Alten Fritz, mit der Trockenlegung des Oderbruchs und der Förderung des Kartoffelanbaus. Doch weder der Alte Fritz noch sein Schwager Carl I. waren allein in diesem Bemühen. In ganz groben Zügen sei die Zeit und ihr Verständnis vom guten Fürsten oder Landesvater vorgestellt. Die Epoche, in der Herzog Carl I. regierte, wird allgemein als Absolutismus bezeichnet, in der späteren Phase als aufgeklärter Absolutismus. Unter Absolutismus versteht man nach einer in der Geschichtswissenschaft seit dem 19. Jahrhundert vorherrschenden Auffassung die Herrschaft eines aus eigener Machtvollkommenheit handelnden Landesfürsten, ohne politische Mitwirkung ständischer Institutionen. Dieses Bild vom absoluten Herrscher wird in der jüngeren Zeit mehr und mehr in Frage gestellt, was nicht zuletzt daran liegt, dass man in den Forschungen zum Landesausbau immer wieder feststellt, wie wichtig die Räte und Beamten des Herrschers vor Ort waren, ohne die ein Fürst gar nicht handeln konnte. Schließlich waren die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Residenz und Provinz im Postkutschenzeitalter erheblich beschränkter als im heutigen Zeitalter des Internet. 6
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Andre Wakefield, The Disordered Police State: German Cameralism as Science and Practice, Univerrsity of Chicago Press, 2009. - Vgl. auch Theresa Becker, Kameralismus: Theoretische Perspektiven und praktische Erwägungen ³ die Fälle Lüneburg und Hann. Münden, in: Thomas Krueger (Hg.), Der fürstliche Landesausbau im 18. Jahrhundert. Beiträge zur gleichnamigen Tagung des Arbeitskreis Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen anlässlich des 300. Geburtstages von Herzog Carl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel (1713-1780) am 9. und 10. November 2012 im Schloss der Porzellanmanufaktur FÜRSTENBERG (in Vorbereitung 2013).
In jenen Zeiten gab es in den einzelnen Territorialstaaten bereits gewisse Mitbestimmungs- oder Beratungsorgane, die Ständeversammlungen mit ihren in die Verwaltungen reichenden Unterorganen. Die Verfassung dieser Organe war in den Staaten ganz unterschiedlich geregelt. Der Adel, der Klerus und mit großen Einschränkungen die Bürger besaßen als die führenden Schichten eines Landes gewisse Mitspracherechte und konnten nicht zuletzt ihre Besteuerung mitbestimmen. Einberufen wurden sie jedoch vom Fürsten. Der Fürst brauchte die Stände also nur, wenn er nicht genug Einnahmen aus seinem Eigentum als Herrscher (nicht als Person) und den bestehenden Steuern erzielen konnte, um die Staatsaufgaben zu erfüllen. Herzog Carl I. gelang es zumindest bis 1768 ganz ohne die braunschweigischen Landstände auszukommen, die zuletzt 1682 getagt hatten, also über 80 Jahre zuvor. Die Braunschweiger Herzöge konnten bis dahin trotz allem Hang zum Luxus mehr schlecht als recht aus eigener Macht- und Geldvollkommenheit herrschen. Dennoch: Völlig selbstherrlich und egoistisch war ein Fürst dem Verständnis der Zeit nach nicht. Ein Fürst besaß um einen berühmten Begriff aus der historischen Forschung zu verwenden, zwei Körper:7 Da gab es zum einen den Menschen Carl und zweitens den von Gott durch Geburt und Vorsehung bestimmten Fürsten, der allein von Gottes Gnaden Herzog von Braunschweig-Lüneburg Wolfenbüttelschen Teils war; der bekannte Ausruf beim Tode eines Herrschers: Der König ist tot, es lebe der König! hat darin seinen Ursprung und verweist darauf, dass das Fürstentum nicht sterben kann. Der Fürst war danach zwar nicht unfehlbar, doch durch seine Geburt und die sakralen Handlungen bei seiner Inthronisierung mit besonderem göttlichen Segen ausgestattet. Im Heiligen Römischen Reich 7
Nach Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, Stuttgart 1992 (zuerst engl. The King‘s Two Bodies , 1957).
Deutscher Nation war ein Landesfürst wie Herzog Carl I. daher über alle Untertanen erhoben und allein dem Kaiser verpflichtet. Konnten sich Fürsten im Streitfalle untereinander nicht einigen, suchten sie die Entscheidung im schlimmsten Falle durch Krieg herbeizuführen. Krieg zwischen den Fürsten war also die legitime Suche nach dem Urteil Gottes, wenn Diplomatie und Politik bei der Durchsetzung einer gerechten Sache versagten, unabhängig davon, ob sie tatsächlich begründet erschien oder nur mit vielleicht fadenscheinigen Gründen hergeleitet wurde. Die Schlesischen Kriege und der Siebenjährige Krieg im 18. Jahrhundert, die gerade auch die Politik des Braunschweiger Herzogs betrafen, sind ein gutes Beispiel hierfür. Die Erbberechtigungen, die König Friedrich II. von Preußen zur Legitimation der Eroberung Schlesiens vorbrachte, waren recht weit hergeholt. Aber begründen musste der Schwager Herzog Carls seinen Feldzug, sonst hätte er zur Unterstützung keine Allianzen bilden können. Aus seiner von Gott gegebenen Machtvollkommenheit erwuchs dem Fürsten aber auch eine besondere Verantwortung. Ein Fürst hatte Sorge zu tragen für seine Herrschaft, sein Territorium und für seine Untertanen, und potentielle Thronfolger waren auf ihre zukünftigen Aufgaben von Kindheit an vorzubereiten. So war auch Carl erzogen worden. Da die älteren Vettern des Vaters kinderlos geblieben waren oder nur Töchter hatten, war klar, dass Carls Vater Ludwig Rudolph einmal die Regierung übernehmen würde und Carl als sein Erstgeborener ihm nachfolgen würde. So war der 1713 geborene Carl schon in seiner Erziehung auf das Amt vorbereitet worden. Aber der absolute Geist der Machtvollkommenheit des Herrschers, wie er sich noch im Sonnenkönig Ludwig XIV. von Frankreich zeigte: Der Staat bin ich!, begann von der Vernunft überformt zu werden. Die Aufklärung mit ihrem Streben nach Vernunft und Wahrheit, ihrer Anerkenntnis menschlicher Geistesleistungen und der Vorstellung der Befähigung des
Herzog Carl I. heute
Menschen durch Bildung, Wissenschaft und Kunst hatte auch den Braunschweiger Hof erreicht. Die wohl berühmteste Definition dessen, was Aufklärung ist, hat sicherlich Immanuel Kant 1784 in seiner Schrift: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? gegeben: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Das passte sehr gut zur Vorstellung des Fürsten als dem sorgenden Hausvater, dem ersten Diener im Staate, wie sich sprichwörtlich
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der Alte Fritz verstanden hatte; sein Schwager Carl wird ähnlich gedacht haben. Sie hatten dafür zu sorgen, dass die Untertanen Kraft ihres eigenen Vermögens ihren Unterhalt sichern konnten. Als Fürst eines protestantischen Landes war Herzog Carl oberster Bischof der Landeskirche und auch deshalb für das Bildungswesen verantwortlich. Aus christlicher Ethik heraus förderte Carl daher den Landesausbau ebenso wie das Bildungswesen, einerseits auf dem Lande wie ab 1760 mit der Verlegung der Amelungsborner Klosterschule und ihrer Vereinigung mit der dortigen Stadtschule als Lateinschule in der Stadt Holzminden, andereseits in der Stadt Braunschweig 1745 mit der Gründung des Collegium Carolinums, der heutigen Technischen Universität. Seine Söhne wurden vom Abt Jerusalem erzogen, einem Aufklärer, der maßgeblich an der Gründung des Collegium Carolinums beteiligt war. Bei Hofe galt wie an allen Fürstenhöfen natürlich das feste Zeremoniell, die Rangordnung wurde eingehalten. Luxus und glänzende Repräsentation waren auch am Braunschweiger Hof wichtig, um die Machtfülle des Herrschers zu demonstrieren. Wie seine Vorfahren liebte Carl I. den Luxus und gab für die eigenen Kunstsammlungen und das Naturalienkabinett, für Oper und Theater sehr viel Geld zu Lasten der an sich überschuldeten Staatskasse aus. Doch der aufgeklärte Geist am Hofe äußerte sich auch hier, denn Carl machte die Sammlungen öffentlich zugänglich, und so entstand 1754 in Braunschweig mit dem Herzoglichen Museum eines der ersten öffentlichen Museen in Europa, das heutige Herzog-Anton-Ulrich-Museum und das Naturhistorische Museum. Angehörige des herzoglichen Hauses waren auch in der Öffentlichkeit unterwegs, man traf sie bei Theater- und Opernaufführungen, in den guten Kaffeehäusern oder in der Freimaurerloge an. Den Bruder des Herzogs, Herzog Ferdinand, sah man Schach spielen mit dem Dichter und Hofbibliothekar an der berühmten Bibliothek in Wolfenbüttel, dem 1769 von Carl I. berufenen Bürger Gotthold Ephraim Lessing.
Diese Geisteselite aus Adel, adeligen und bürgerlichen Beamten, höheren Militärs, Geistlichen und Gelehrten umfasste im Herzogtum ungefähr 400 Personen, die mit dem Herzogshaus in ständigem Dialog standen. Aus diesem Kreis der Geisteselite seiner Zeit schöpfte Herzog Carl I. Rat. Man kann sagen, dass etwa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts beide Herzöge, Vater und Sohn Erbprinz Carl Wilhelm Ferdinand, mehr auf die Leistung einer Person und weniger auf das ‚von‘ sahen. Schon Herzog Carl I. verstand sich als Hausvater, der auf klugen Rat zu hören und danach zu regieren habe, sein Sohn und Nachfolger Herzog Carl Wilhelm Ferdinand noch mehr. Bildung und Wissenschaft prägten das 18. Jahrhundert, einige Beispiele mögen das verdeutlichen: Der berühmte welfische Gelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (16461716), der zuletzt viele Jahre in Hannover wirkte, hatte vor allem die Naturwissenschaften geprägt, er kommunizierte mit Wissenschaftlern auf der ganzen Welt. 1737 wurde im benachbarten Kurfürstentum Hannover die Universität Göttingen als Reformuniversität mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt gegründet. In ihrem Schatten verlor die alte braunschweigische Universität in Helmstedt zusehends an Bedeutung, nach und nach entwickelte sich Carls Collegium Carolinum in Braunschweig zu einer praxisnahen, an Naturwissenschaften, Technik und moderner Verwaltung orientierten Hochschule. Die Geisteseliten der Zeit dürstete es nach umfassendem Wissen und Erkenntnis. So begründete 1747 der im gleichen Jahr 1713 wie Herzog Carl geborene Denis Diderot (gest. 1784) gemeinsam mit Jean Le Rond d‘Alambert (1717-1783) die Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, in der in elf Bänden und rund 72 000 Artikeln das Weltwissen versammelt war. Johann Zedler (17061751) begründete 1731 das deutsche Gegenstück im Großen vollständigen Universallexikon Aller Wissenschaften und Künste.