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Die Synagogengemeinde Lauenförde
Lauenförde liegt am Weserübergang der alten Ost-West-Handelsstraße MariensteinLauenförder-Chaussee im hannoversch-hessisch-westfälischen Grenzgebiet. Die erste urkundliche Erwähnung des Ortes stammt aus dem Jahre 1348. Seinen Namen erhielt der Ort wohl nach der Weserüberquerung Heinrich des Löwen. Er leitet sich von „Löwenfurt“ ab.2 Der Ort war seit 1684 Verwaltungsmittelpunkt des gleichnamigen eigenständigen Amtes, das zeitweise mit dem benachbarten Amt Nienover „in Personalunion“ verbunden war. 1825 schließlich wurden die Ämter Lauenförde und Nienover endgültig vereinigt. Seit 1852 gehörte das Amt Nienover-Lauenförde zum Amt Uslar und von 1885 bis 1932 zum Kreis Uslar.3
Wegen seiner günstigen Lage im Dreiländereck war der Ort für jüdische Händler aus dem Hochstift Paderborn und den nordhessischen Dörfern an der Oberweser ein attraktiver Handelsplatz und Wohnort zugleich. Im Falle einer Ausweisung aus dem Gebiet des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg konnten sie sich dann wieder in ihre Heimatorte auf der gegenüber liegenden Weserseite zurückziehen.
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In der Calenberger Kopfsteuerbeschreibung von 1689 finden sich erstmals Namen jüdischer Einwohner in Lauenförde: Der arme Häusling Hertzig, der mit einem Sohn und drei Töchtern seit 1682 in Lauenförde wohnte, sein Schwiegersohn Nathan mit Frau und zwei Kindern sowie der Brinksitzer Isaac Schwabe mit seiner Frau, einer Tochter und zwei Söhnen.4 1720 lebten nach einem Bericht des Uslarer Superintendenten und Lauenförder Pastors Heinrich H. Clare schon seit längerer Zeit vier jüdische Familien ohne Schutzbriefe in Lauenförde, bezahlten aber Schutzgeld: Der arme Hausierer Heinemann Bacharach, Isaac Schwabe seit 1682 und Hertz Moses. Dieser lebte seit 1701 in Lauenförde und war wohl aus Altersgründen gerade zu seinem Sohn Leffmann gezogen. Leffmann Hertz war seit 1693 selbständig, besaß ein eigenes Haus und eine „ziemliche Handlung“.
Nach dem derzeitigen Wissensstand ist nicht davon auszugehen, dass es sich bei den genannten Familien Hertzig und Hertz um Vorfahren der Familie Löwenherz handeln könnte.
Im Haus des Hertz lebte noch ein Rabbi und Lehrer, der in einem Betraum im Haus Gottesdienste abhielt. Dadurch war Lauenförde zu einem zentralen Versammlungsort der im Ort und in den umliegenden Dörfern Lüthorst, Schönhagen, Bodenfelde und Wahmbeck wohnenden Juden geworden. Die Toten der kleinen jüdischen Gemeinschaft
2 Klasse 7b, Gymnasium Beverungen, S. 2 f. 3 Jaenecke/Stein, S.32. 4 Mundhenke, S. 37 f.
Herzogtum Braunschweig: Solling und Oberwesergebiet
wurden auf dem dortigen Friedhof begraben. Die Lage dieses ersten Friedhofs ist nicht mehr bekannt. Es handelt sich aber mit Sicherheit nicht um den späteren jüdischen Friedhof in der Stolle.5
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sich in Bodenfelde eine jüdische Gemeinschaft gebildet, zu der die Juden Bodenfeldes, Uslars und Wahmbecks gehörten. In der Folge verlor Lauenförde seine Funktion als zentraler Versammlungsort im Amte Nienover. In Lauenförde selbst lebten zu dieser Zeit vier jüdische Familien: Abraham Mannes aus dem Hochstift Paderborn, der sich nach 1828 Eckstein nannte, Leib Levi Elias aus Gudensberg, Herz Elias, Salomon Kohlberg aus Herstelle, der sich vor 1828 Salomon nannte, und Abraham Löwenherz. Eine Vorfahrin Salomons, Ginte Salomon, hatte sich 1729 in Uslar christlich taufen lassen.6
Das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Juden aus dem Jahre 1842 bestätigte trotz der wenigen jüdischen Familien im Ort den Status Lauenfördes als Synagogengemeinde. Ein Anschluss an die nächstgelegene jüdische Gemeinde Bodenfelde war wegen
5 LKA H, A1 11107. 6 Herbst/Schaller, S. 108.
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Oben: Geburtenliste der Synagogengemeinde
Rechts: Steuerliste des Amtes Lauenförde von 1812
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der großen Entfernung von 24 Kilometern nicht möglich. Die strengen Gesetze zur Einhaltung der Sabbatruhe hätten den Besuch der Gottesdienste in Bodenfelde unmöglich gemacht. Die Lauenförder Gemeinde schloss sich deshalb 1846 als Filialgemeinde der westfälischen Gemeinde Beverungen am gegenüberliegenden Weserufer an.7
Im selben Jahr wurde die Lauenförder jüdische Schule letztmalig erwähnt. 1848 lebten in Lauenförde 26 Juden. Infolge des Anschlusses an die Gemeinde in Beverungen erhöhten sich die finanziellen Aufwendungen der Lauenförder Gemeinde für Schul- und Synagogenlasten auf 21 Taler. Nach der Auflösung der jüdischen Elementarschule wegen der rückläufigen Kinderzahl zogen es die Lauenförder Juden vor, ihre Kinder nicht auf die christliche, sondern auf die jüdische Schule in Beverungen zu schicken. Nach deren Auflösung 1854 wurden sie in den Elementarfächern und im Religionsunterricht von dem jüdischen Privatlehrer Nordhaus in Beverungen unterrichtet.8 1852 weihte die jüdische Gemeinde Beverungen ihre neue Synagoge in der Langen Straße ein, an deren Kosten sich auch die Lauenförder Gemeinde beteiligen musste. Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Beverungen gestalteten ihr Gemeindeleben überwiegend nach liberalem Ritus. In den 1890er Jahren erhielt die Synagoge sogar eine
7 Herbst, „Lauenförde“ in: Handbuch der jüdischen Gemeinden, S. 939. 8 NLA H, Hann 74 Uslar Nr. 2056.
Orgel.9 1865 überstiegen die Beiträge der Lauenförder Gemeinde für die Schule und Synagoge mit 160 Talern die der Vorjahre erheblich.
Zwischen 1872 und 1874 wurde innerhalb der jüdischen Gemeinde immer wieder über einen Zusammenschluss mit der Bodenfelder Gemeinde beraten. Er wurde aber nicht vollzogen, da die Gemeindemitglieder lieber die traditionellen Bindungen nach Beverungen aufrechterhalten wollten. Der Gemeindevorstand der Lauenförder Gemeinde wurde von den steuerpflichtigen männlichen Juden der Reihe nach wahrgenommen. In den Handbüchern des Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes wird Lauenförde letztmalig 1890 als selbständige Gemeinde aufgeführt, in den Staatshandbüchern 1914.10
Im 19. Jahrhundert waren außer der Familie Löwenherz vier weitere jüdische Familien in Lauenförde ansässig: - Abraham Meyer Eckstein betrieb ein Leihhaus und eine kleine Tabak- und Zigarrenmanufaktur. Er gab das Leihhaus und die Manufaktur 1842 auf und eröffnete in Göttingen eine Tabak- und Zigarrenfabrik, in der er auch mit der Herstellung von
Zigaretten experimentierte.11 In Dresden gründete er 1891 die „Cigarettenfabrik
A. M. Eckstein & Söhne“, in der auch die legendäre „Eckstein No. 5“ in der grünen
Verpackung hergestellt wurde. - Calman(n) Kohlberg hatte anfänglich eine kleine Kram- und Fruchthandlung, aus der sich im Laufe der Jahre ein florierender Landhandel entwickelte. Das Geschäft und das Lager befanden sich bis zur Deportation der Familie in der Unterstr. 1. Hedwig,
Hilde, Walter und Joel Kohlberg wurden am 26. März 1942 in das Ghetto Warschau deportiert. - Marcus und Minna Wilzig kamen aus Flatow in Westfalen. Es ist nicht bekannt, wie lange sie in Lauenförde lebten und welcher Beschäftigung sie nachgingen. Ihr 1886 in Lauenförde geborener Sohn Jacob kam 1939 im Konzentrationslager Sachsenhausen um. - Johannes Ludwig Georg Karl Philipp Mannsberg aus Bodenfelde ließ sich 1819 in
Lauenförde nieder. Er hatte sich ein Jahr zuvor christlich taufen lassen und Philippine Caroline Seitz aus Lippoldsberg geheiratet. Bis zu seiner Taufe hatte er sich
Matthias Mansberg genannt. Seine Frau war in Lauenförde unter dem Namen Philippine Caroline Schrader bekannt. Das Ehepaar besaß in der Langen Str. 32 einen
Kramladen.12
9 Alicke, S. 269. 10 Herbst/Schaller, S. 64. 11 Herbst, „Eins, zwei, drei…“ in: Jahrbuch 2013 für den Landkreis Holzminden, S. 46 ff. 12 Herbst/Schaller, S. 117.