Leseprobe Richard Bisig: Die andere KMU (Roman)

Page 1

Richard Bisig

Die andere KMU Kleiner Massloser Unterlasser

Roman


Das Werk einschliesslich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2017 Richard Bisig · richardbisig@outlook.com Umschlagbild: Erich Schatt · Embrach · www.holzmaschine.ch Satz und Herstellung: allerArt · Zürich Druck: CPI books GmbH · Leck Gedruckt auf FSC-zertifiziertem Papier Printed in Germany


Meinem allzu frĂźh verstorbenen Vater und meiner Mutter



«Cheat on me once, blame on you. Cheat on me twice, blame on me.» (Sprichwort aus Südafrika)

Die wichtigsten Personen Fritz Klöti Vater von Werner und Michael Klöti, gelernter Schreiner, gründete die Möbelfabrik Klöti AG und entwickelte sie zu einem auf Holzmöbel spezialisierten mittelgrossen Betrieb. Seine beiden Söhne Werner und Michael haben nach dem Tod ihres Vaters diese Firma übernommen und in die Klöti Holding AG integriert. Emma Klöti Ehefrau von Fritz Klöti und Mutter von Werner und Michael. Werner Klöti Älterer von zwei Söhnen von Fritz und Emma Klöti. Er studierte Maschinenbau mit Promotion und absolvierte ein Nachdiplomstudium in Betriebswirtschaft. Stationen seiner Laufbahn waren Direktionsassistenz in einer Holzverarbeitungsfirma, Geschäftsführung in verschiedenen mittelgrossen Unternehmen und Mandate als Verwaltungsrat und Verwaltungsratspräsident – unter anderem auch interimistisch als Partner einer Beratungsfirma. Verheiratet mit Brigitte, Vater von drei Kindern. Michael Klöti Der um fünf Jahre jüngere der beiden Söhne von Fritz und Emma Klöti. Er lernte Schreiner und war talentierter Handwerker. Seinem Ehrgeiz folgend bereitete er sich auf die Meisterprüfung vor und absolvierte diese erfolgreich. In der Folge erhielt er eine Stelle als Geschäftsführer in einer mittelgrossen Holzverarbeitungsfirma. Verheiratet mit Anita, Vater von sechs Kindern. Anita Klöti Einziges Kind von gutsituierten Eltern. Sie absolvierte eine Lehre als kaufmännische Angestellte, lernte Michael Klöti kennen, und die beiden heirateten kurz danach. Als talentierte Mutter mit ausbalancierter Güte und Strenge ging sie mit viel Hingabe vollends in ihrer Aufgabe als Mutter von sechs Kindern und als Familienfrau auf. Brigitte Klöti Absolvierte nach der Schulzeit eine kaufmännische Lehre und arbeitete anschliessend in einer Beratungsfirma, wo sie Werner Klöti kennenlernte. Zusammen pflegten sie eine jahrelange Beziehung, ohne zu heiraten. Sie war

7


sehr sportlich und wendete viel Zeit auf für ihr Training als Triathletin. Der Kinderwunsch war jedoch stärker als ihre sportlichen Ambitionen. Brigitte und Werner heirateten und hatten zusammen drei Kinder. Niklaus Hunziker Geschäftsführer der Häusermann GmbH in Österreich. Er wuchs in der Schweiz mit deutschem Vater und Schweizer Mutter auf und lernte Michael Klöti während der gemeinsamen Ausbildung zum Schreiner-Werkmeister kennen. Uwe Hoffmann Verkaufschef bei der Firma Häusermann GmbH. Amalie Schmidli Psychologin, spezialisiert auf Arbeits- und Organisationspsychologie. Rudolf Amstad Studienfreund von Werner Klöti mit Zusatzausbildung in Betriebspsychologie. Rechtsanwalt Karl Schuster Renommierter Anwalt in St. Gallen; berät Werner Klöti. Rechtsanwalt Jonas Meierhans Junganwalt in Appenzell; berät Michael Klöti.

Die Firmen Klöti AG Von Fritz Klöti, dem Vater von Werner und Michael, aufgebaute Möbelfirma, die nach der Übernahme durch Werner und Michael Klöti in die Klöti Holding AG integriert wurde. Klöti Holding AG Von Werner und Michael Klöti nach der Übernahme der österreichischen Möbelfirma Häusermann GmbH gegründete Holding, die neben dieser Firma die Sägerei Anderau AG und die von ihrem Vater übernommene Möbelfirma Klöti AG umfasste. Sägerei Anderau AG Von Werner und Michael Klöti gekaufte Firma, die später in die Klöti Holding AG integriert wurde. Michael Klöti GmbH Privatfirma von Michael Klöti. Häusermann GmbH Österreichische Möbelfirma, die von den beiden Brüdern erworben und mit einer Mehrheitsbeteiligung von neunzig Prozent in die Klöti Holding AG integriert wurde. Slowia GmbH Von Michael Klöti eigenmächtig gekaufte Firma in der Slowakei, die von der Klöti Holding AG bezahlt wurde und nach zwei Jahren abgeschrieben werden musste.

8


Die Entdeckung «Michael, erklär mir den Betrag von rund einer halben Million unter ‹Abschreibungen› in der Jahresrechnung.» Werner Klöti versucht ruhig zu bleiben, obwohl er innerlich kocht. Er ist erstaunt, dass in der Jahresrechnung ein derart hoher Betrag abgeschrieben wird. Die beiden Brüder haben am Sitzungstisch in Michael Klötis Büro Platz genommen. Unzählige Male haben sie sich in den vergangenen zwölf Jahren an diesem Tisch getroffen, aber heute ist die Stimmung eine ganz andere. Und vor allem: Michaels Blick ist unsicher. Die vertraute Atmosphäre ist einer nicht definierbaren Spannung gewichen, die sich in den verhärteten Gesichtszügen beider Brüder manifestiert. Werner Klöti hatte kurz vorher die Jahresrechnungen jeder einzelnen Firma ihrer Holding durchgesehen und will nun zu einem ganz bestimmten Konto mehr wissen. Michael will sich erklären, holt tief Luft und erwidert trotzig: «Weisst du, Werni, die Firma Slowia hatte mir einen guten Eindruck gemacht. Ich kenne den Besitzer und dessen Sohn und meine Einschätzung war, dass der Kauf dieser Firma strategiekonform ist und …» Michaels Blick schweift ab, seine Körperhaltung ist nicht wie gewohnt straff, sondern eher schlapp, er stockt und nach einigen Augenblicken bricht es aus ihm heraus: «Verdammt», brüllt er, «Im Nachhinein weiss ich, dass ich sie nicht hätte kaufen sollen. Ich wurde über den Tisch gezogen und die Firma ist, verdammt noch mal, nichts wert und die Revisorin war der Meinung, die Firma müsse abgeschrieben werden, andernfalls dürfe sie den Revisionsbericht nicht erstellen.» «Eine Katastrophe! Du hast es unterlassen, mich einzubeziehen! Du hast es auch unterlassen, auf meinen fachlich fundierten QuickCheck zu reagieren!»

9


Werner Klöti ist ausser sich. Von seinem sonst gesunden Aussehen ist wenig zu sehen, sein Gesicht ist bleich bis fahl, sein zurückhaltend-besonnenes Auftreten hat er abgelegt und seine normalerweise deutliche Artikulation leidet, als er lautstark und mit hohem Sprechtempo weiterfährt: «Weisst du, was eine Katastrophe ist? Nicht die Abschreibung, sondern dass du mich hintergangen hast! Du hattest mir auf mein Drängen hin die Bilanz und die Erfolgsrechnung dieser Firma gegeben und auf diesen Zahlen basierend hatte ich in der Form eines Quick-Checks die Firma beurteilt und dir diese Beurteilung zugestellt. Ich hatte mich noch gewundert, wieso ich von dir kein Echo darauf erhielt. Jetzt ist mir klar, wieso, verdammt noch mal!» Er macht eine Pause. Seine Körperhaltung wirkt steif, seine Mimik ist gespannt und sein direkter Blick in die Augen seines jüngeren Bruders ist hart. Ihm wird bewusst, dass dieses Ereignis einen Meilenstein – einen negativen Meilenstein – in der Beziehung zu seinem Bruder darstellt. Nie hätte er gedacht, von seinem Bruder übergangen und hintergangen zu werden. Der Kauf der österreichischen Firma Häusermann vor rund drei Jahren hatte ihm bereits die zu starke emotionale Orientierung seines Bruders bei Firmenentscheiden offenbart. Als er ihm damals vorschlug, vor dem Kauf eine vertiefte Unternehmensabklärung, eine Due Diligence, durchzuführen, hielt Michael eine solche Abklärung nicht für notwendig. Und hier nun Analoges: Anstatt sich von Zahlen leiten zu lassen, gibt Michael seinem Bauchgefühl nach – mit fatalen Folgen. «Du hast mich hintergangen: Dieser eigenmächtige Kauf der Firma Slowia ist absolut inakzeptabel!» Werner steht abrupt auf. Es braucht viel, bis er die Fassung verliert, aber von seinem Bruder hintergangen zu werden, ist schon niederschmetternd. Er ist auch grenzenlos enttäuscht von seinem jüngeren Bruder, den er sein ganzes Leben auf jede erdenkliche Art zu fördern und zu unterstützen versucht hatte.

10


«Du hast auch meine bisherige grosse Toleranz dir gegenüber missbraucht. Ich habe dich weitgehend gewähren lassen und habe dir in deine operative Unternehmensführung nicht hineingeredet – und nun dies!» Er setzt sich wieder hin und fixiert seinen Bruder. «Du hast gegen jede betriebliche Vernunft gehandelt, Michael. Mein Quick-Check hätte dir zeigen müssen, dass diese Firma niemals hätte gekauft werden dürfen.» Werner steht frustriert auf und verlässt wortlos Michaels Büro.

Michaels Schul-, Lehr- und Fortbildungszeit Das geschäftliche Beziehungssystem zwischen Werner Klöti und Michael Klöti funktioniert ganz simpel: Michael als Geschäftsführer orientiert seinen Bruder als Verwaltungsratspräsidenten der gemeinsamen Holding nach Gutdünken, und Werner beschränkt sich auf die Abnahme der jeweiligen Jahresrechnungen. Werner hat grenzenloses Vertrauen in seinen jüngeren Bruder. Er hat sich als Älterer wegen dem sehr grossen zeitlichen Engagement ihres Vaters in dessen Firma für seinen kleineren Bruder schon immer verantwortlich gefühlt. Später als Halbwüchsiger und dann ganz besonders als Erwachsener hat er sich aus eigenem Antrieb und aus Überzeugung für den Jüngeren eingesetzt, wo er nur konnte. Michaels schulische Leistungen liessen oft zu wünschen übrig und er hatte auch wegen einer angeborenen Legasthenie eine schwierige Schulzeit. Michael war sehr enttäuscht gewesen, als er die Aufnahmeprüfung in die Sekundarschule nicht geschafft hatte. Da er über eine ausgeprägte praktische Intelligenz verfügt, hatte er die Lehre als Schreiner mit guten Noten bestanden. Diese Lehrzeit hat er als weit interessanter erlebt als die für ihn eintönige und von wenig Erfolg gekrönte Schulzeit. Sein Selbstwertgefühl hat sich enorm gesteigert, erstens

11


dadurch, dass die während der Schulzeit absolvierte Sprachtherapie zielführend war und niemand in seinem neuen beruflichen Umfeld etwas von dieser Therapie wusste und auch gar nicht feststellen konnte, denn diese war ja geglückt. Zum anderen dank seinen praktischen Fähigkeiten und seiner sympathischen Art im Umgang mit seinen Mitlehrlingen und seinen Vorgesetzten. Er wurde geschätzt als guter, fleissiger und für seinen Beruf engagierter junger Mann. Innerhalb der Familie hatte er sich aber wegen seiner schlechten schulischen Leistungen immer in der Defensive gefühlt. Seinen Eltern und seinem Bruder ist nicht verborgen geblieben, dass er nach der erfolgreichen Sprachtherapie und während seiner Lehrzeit richtiggehend aufblühte. Seinem Ehrgeiz entsprechend wollte er beruflich weiterkommen und absolvierte auch die Ausbildung zum Schreinermeister mit Auszeichnung.

Tanzbekanntschaft «Ist es erlaubt?», fragt Michael Klöti die wohl knapp über zwanzig Jahre alte langhaarige Blondine. Er hat dieses Lokal gewählt, weil es als fest etablierte Adresse für den eher gehobenen Partyspass bekannt ist, nicht nur in der Stadt, sondern auch in der weiteren Umgebung. Das Musikprogramm gilt als vielseitig. Man findet hier einen guten Mix aus populärer Schlagermusik, Walzer und aktuellen Hits. Michael hat sich durch die für ein vornehmes Tanzlokal für seinen Geschmack zu eng gestellten Tische gezwängt. Dass dieses Lokal zur gehobenen Klasse gehört, sieht man auch an den wertvollen Tischen aus Kirschholz und den feudalen Stühlen. Sein Schreinerherz schlägt höher, als er leicht über die Tischplatten streicht und feststellt, dass sie eingeölt sind, um so unter anderem ein Eindringen von Rotwein zu verhindern.

12


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.