Special Schmerz

Page 1

Schmerz

Wissen aus der Drogerie

Finger an Hirn: ÂŤBitte kommen!Âť l Schmerzpatienten haben ein Lobbyproblem l Keine falschen Hemmungen


Editorial

Schmerz gehört zum Leben Wer gesund ist, hat tausend Wünsche – wer krank ist, hat nur einen: gesund zu werden! Kein Mensch ist vor Krankheit und den damit verbundenen Schmerzen gefeit. Dies zeigt allein die Tatsache, dass jedes Jahr weltweit rund 100  Milliarden Aspirintabletten geschluckt werden – aneinandergereiht ergäbe dies eine Strecke von der Erde zum Mond und zurück. Wer nur bei gelegentlichen Kopfschmerzen in die Hausapotheke greift, kann sich glücklich schätzen. Weit schwieriger lebt es sich für die 1,2 Millionen Schweizerinnen und Schweizer, die unter chronischen Schmerzen leiden. Ihr Wunsch nach einem schmerzfreien Leben bleibt oft unerfüllt. Selbst modernste Arzneimittel sind manchmal nicht in der Lage, chronische Schmerzen dauerhaft auszuschalten. Trotzdem kann mithilfe einer individuellen Schmerztherapie Patienten effektiv geholfen werden. Wie das genau funktioniert, erfahren Sie ab Seite 10. Selbst Männer wissen: Geburtsschmerzen gehören zu den stärksten Schmerzen überhaupt. Da liegt es doch auf der Hand, dass Frauen weit weniger schmerzempfindlich

sein müssen als die Herren der Schöpfung. Fehlanzeige! Viele Untersuchungen zeigen, dass Männer stärkere Schmerzen aushalten können als Frauen. Sie behalten die Schmerzen für sich und machen buchstäblich einen auf «harten Kerl». Mit dieser Tatsache braucht sich das vermeintlich starke Geschlecht jedoch nicht zu brüsten. Bezieht man nämlich das Thema «Wehleidigkeit» in die Diskussion mit ein, könnte sich das Blatt schneller wenden, als es uns Männern lieb ist. Mehr zum Schmerzempfinden von Frauen und Männern lesen Sie ab Seite 28. Ich wünsche Ihnen eine schmerzfreie Lektüre.

Didier Buchmann Redaktor


Inhalt

4 Kurz und gut

6 Finger an Hirn! Von der Schmerzquelle bis ins Gehirn: eine faszinierende Reise.

Foto: Rolf Neeser

14 Multitalent Koffein Bei Kopfweh kann eine Tasse Kaffee Wunder wirken.

11 Unsichtbar Schmerzpatienten leiden unter einem Lobbyproblem. Daher verstehen sich Schmerztherapeuten als Anwälte für Menschen mit einem unsichtbaren Problem.

16 Tanz der Gelenke Gelenkschmerzen und eine falsche Ernährung haben viel miteinander zu tun. 19 Fakire kennen keine Schmerzen Mit mentaler Stärke gegen Schmerzen antreten.

Foto: pixelio.de

23 Nicht auf immer und ewig Auch das Schmerzgedächtnis kann «vergessen».

25 Rosenkranz statt Aspirin Menschen bekämpfen Schmerzen nicht nur mit Medikamenten. Sie setzen seit jeher auch auf die Kraft des Glaubens.

31 Falsche Hemmungen Auf die Zähne beissen statt ein Schmerzmittel einnehmen, das kann sich rächen. 34 Wenn die Seele spricht Unsere Psyche beeinflusst das Schmerzempfinden. 38 Haltung bewahren Rückenschmerzen sind zu einer Volkskrankheit geworden.

28 Frauen empfinden anders Männer sind schmerzempfindlicher als Frauen. Dieser Mythos ist widerlegt: Die Schmerzschwelle liegt bei Frauen tiefer.

41 Die Klassiker Wann warum welches? Eine Übersicht über die gängigsten Schmerzmittel. 46 Schmerzen weltweit Der Umgang mit Schmerzen ist kulturell geprägt.

schmerz

2 I3


Kurz und gut Kunstbetrachtung gegen Schmerzen

Weshalb Delfine «langsam» schwimmen Die schnellsten Schwimmer im Meer haben zwei Dinge gemeinsam: die halbmondförmige Schwanzflosse und grosse Kraft. Als Rekordhalter gelten der Blaue Marlin (rund 100 km/h), der Schwertfisch (90 km/h) und der Thunfisch (62 km/h). Doch aus welchem Grund schwimmt ein Delfin mit ideal geformter Schwanzflosse «lediglich» bis zu 54 Kilometer pro Stunde? Weil eine höhere Geschwindigkeit ihm zu grosse Schmerzen bereiten würde. Das behauptet ein Forscherteam vom Technion-Israel Institute of Technology in Haifa. Gil Iosilevskii und Danny Weihs haben errechnet, welche Kräfte auf die Schwanzflossen verschiedener Fische und Meeressäuger wirken. Bei rascher Bewegung entstehen im Wasser Unterdruckzonen, in denen sich kleine Dampfblasen bilden. Das nennt man Kavitation. Diese setzen beim Zerplatzen Kräf-

Foto: pixelio.de

Für ein Experiment der Neurologin Marina de Tommaso von der Universität Bari (Italien) waren die linken Handrücken der Versuchspersonen mit einer Apparatur verbunden worden, die ihnen mittels eines Wärmelasers leichte Schmerzreize zufügte. Gleichzeitig durften sich die Probanden an einem Monitor jeweils zwanzig Bilder anschauen, die sie vor dem Versuch in einer Präsentation von dreihundert Gemälden als «besonders schön» oder «besonders hässlich» beurteilt hatten. Ergebnis: Beim Betrachten von Bildern, die eine Versuchsperson sehr ansprechend fand, wurde der Schmerz um ein Drittel schwächer empfunden. Hirnstrommessungen per EEG (Elektroenzephalogramm), an denen sich Reizreaktionen ablesen lassen, bestätigten die Aussagen der Versuchsteilnehmer: Auch das Gehirn hatte weniger stark auf den unangenehmen Stimulus reagiert. Vor allem die P2-Kurve, deren Gipfel ein Mass für Aufmerksamkeit und die Verarbeitung von Reizen ist, fiel deutlich flacher aus als bei den als hässlich eingeordneten Gemälden. Die ästhetische Erfahrung verändert demnach die Wahrnehmung, sodass Schmerzen mehr oder weniger intensiv erlebt werden – je nachdem, ob ein Bild negative oder positive Gefühle auslöst. Dies gilt für Männer und Frauen in gleichem Masse. Die Neurologin bemängelt, dass die noch häufig nüchterne Einrichtung in Krankenhäusern dem schmerzlindernden Beitrag der Ästhetik kaum Rechnung trage. Auch der Einfluss von angenehm empfundener Musik sei noch wenig untersucht. geo.de


te frei, denen sogar das Metall von Schiffsschrauben auf lange Dauer nicht standhält. Den Berechnungen zufolge beginnt die Kavitation bei 36 bis 54 Kilometer pro Stunde zu wirken. Weil Delfine am Schwanz ein Geflecht von Nervenenden tragen, dürften sie die Implosionen auf der Haut wie Nadelstiche empfinden – und dabei ihr Tempo drosseln. Thunfische dagegen leiden nicht; ihre knochigen, oft vom «Kavitationsfrass» gezeichneten Schwänze sind nicht mit Nervenenden versehen. geo.de

Angst vor Schmerzen begünstigt Schmerzen Darauf, ob Schmerzen chronisch werden oder nicht, haben psychologische Faktoren einen entscheidenden Einfluss. Das ist eine der Kernaussagen des sogenannten «FearAvoidance»-(Angst-Vermeidungs)-Konzepts. Denn mit der Schmerzerfahrung beginnt ein Teufelskreis aus Angst vor Schmerzen und Angst vor Bewegung. Das Angst-Vermeidungs-Konzept, das die amerikanische Medizinerin Clare Philips bereits in den 1980er-Jahren entwickelte, besagt, dass die Schmerzen zunächst durchaus eine körperliche Ursache haben. Nach der akuten Schmerzerfahrung beginnt jedoch ein Teufelskreis, in dessen Verlauf die Patienten zunächst eine Angst vor Bewegung entwickeln – denn Bewegung, das haben sie in der Akutphase gelernt, verursacht Schmerzen. Da Bewegungen vermieden werden, schwächt sich die Muskulatur ab, Fehlstellungen entwickeln sich, und die Funktion des Bewegungsapparats nimmt ab. Weitere Schmerzen sind die Folge. In einer Studie konnte Michael Pfingsten vom Zentrum für Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin der Universität

Göttingen nachweisen, dass bereits die Erwartung einer schmerzhaften Bewegung die Schmerzen von Rückenpatienten verstärkt. Wird den Patienten jedoch mitgeteilt, dass die auszuführende Bewegung harmlos ist, verringert sich die Schmerzempfindung deutlich. medizinauskunft.de

Palliative Care in der Schweiz Im Herbst vergangenen Jahres wurde auf Betreiben von Bundesrat Pascal Couchepin ein Nationales Fördergremium Palliative Care eingesetzt. Dieses Fördergremium verfolgt das Ziel, Palliative Care besser im schweizerischen Gesundheitswesen zu verankern. Demnächst sollen zu Fragen der Finanzierung, Öffentlichkeitsarbeit, Aus-, Weiter- und Fortbildung sowie Forschung erste Lösungsvorschläge vorliegen. Palliative Care verbessert die Lebensqualität von Menschen mit unheilbaren, lebensbedrohlichen oder chronisch fortschreitenden Krankheiten. Sie umfasst medizinische Behandlungen, pflegerische Interventionen, psychische, soziale und spirituelle Unterstützung am Lebensende. Für das Bundesamt für Gesundheit steht Palliative Care für die vier «S»: ❙  Symptommanagement – Symptombehandlung und Anleitung zur Selbsthilfe. ❙  Selbstbestimmung – Die Betroffenen entscheiden vorausschauend und etappenweise, wie sie die letzte Lebensphase gestalten möchten. ❙  Sicherheit – Die Betroffenen kennen ihr zuständiges Palliativnetz, und es steht ihnen zur Verfügung. ❙  Support – Die Angehörigen kennen die Unterstützungsmöglichkeiten vor Ort und können sie in Anspruch nehmen. bag.admin.ch; palliative.ch; pallnetz.ch

schmerz

4 I5


Finger an Hirn: «Bitte kommen!» Ein Schnitt in den Finger, ein Bauchkrampf: Das Hirn registriert den Schmerz in Sekundenbruchteilen. Die faszinierende Reise von der Schmerzquelle bis ins Gehirn.

I

ch möchte ein wenig dazu beitragen, dass der Mensch seinen Freund, den Körper, besser verstehen lernt. Schauen wir doch deshalb einmal in einen solchen Körper hinein», witzelte der ostfriesische Otto Waalkes im Sketch «Der Menschliche Körper». Darin lässt die Komikerlegende Grosshirn sowie Kleinhirn mit den inneren Organen in einen Blödeldialog treten. Ganz so falsch ist das nicht. Am Beispiel Schmerz aufgezeigt, funktioniert die «Kommunikation» aber in die umgekehrte Richtung: von der Haut oder den inneren Organen hinauf zum Hirn. Was Schmerzen sind, weiss jeder. Die Frage, warum wir sie haben, ist schon schwieriger zu beantworten. Schmerzen sind zwar ein Übel, aber ein notwendiges. Denn Schmerz ist eine nützliche, weil lebenserhaltende Reaktion auf alle äusseren und inneren schädlichen Reize. Vereinfacht gesagt: Je grösser der Schmerz, desto grösser die Gefahr, Schaden zu nehmen. Zu den äusseren Einflüssen zählen zum Beispiel Hitze, Druck oder Verletzungen. Im Inne-

ren des Organismus entsteht Schmerz etwa durch mangelnde Durchblutung, Entzündungen oder Tumore. Zu den häufigsten Schmerzursachen gehören Kopf-, Nervenund Rückenschmerzen und solche im Zusammenhang mit Krankheiten wie Rheuma, Arthrose, Osteoporose und Krebs.

Innert Sekunden Der Körper reagiert auf Schmerzen und versucht, durch Gegenmassnahmen Schaden abzuwenden. Von einer heissen Herdplatte zieht man die Hand reflexartig zurück, noch bevor der Schmerz empfunden wird. Bei einer Schnittverletzung fällt diese Schutzfunktion weg. Sofort stellt sich ein scharfer, brennender Schmerz ein. Blut

Danièle dell’Ava, 44 Jahre alt, Shiatsu-Therapeutin und Mutter: «Alle drei Geburten brachten mich an meine Grenzen. Ich wusste, dass an diesem unglaublichen Schmerz kein Weg vorbei führt, da musste ich einfach durch. Auch wenn mir die Gewalt von Wehenschmerzen sinnlos erscheint, war ich am Schluss jeweils um zwei Dinge reicher: um ein Kind und eine Erfahrung, die trotz allem Kraft gibt.»


schmerz

  6 I7


Schmerzgedächtnis Der Körper kann ein Schmerzgedächtnis entwickeln, wenn Schmerzen über einen längeren Zeitraum bestehen und unbehandelt bleiben. Die Nervenbahnen, die den Schmerzimpuls durch den Körper leiten, werden dadurch ständig gereizt, mit der Folge, dass sich die Schmerzen verselbstständigen. Am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München untersuchten Forscher, was bei Schmerzen in den Zellen passiert. Wenn man sich verletzt oder eine Entzündung im Körper besteht, senden Nervenzellen im Rückenmark laufend Signale ans Gehirn. Treten diese Reize in regelmässigen Abständen auf, reagiert die Zelle jedes Mal heftiger. Auch wenn der Reiz nicht stärker wird, sendet sie dann pausenlos Signale ans Gehirn. Schmerzen können aber auch wieder verlernt werden. Obwohl das Schmerzgedächtnis sehr stabil ist, bleibt es nicht unangreifbar. Dazu muss der Patient aus positiven neuen Erfahrungen lernen. Verständlicherweise gehen Schmerzgeplagte solchen Lernsituationen aus dem Weg. Wen zum Beispiel das Gehen schmerzt, der meidet es möglichst. Deshalb muss der Schmerz erst medikamentös in Schach gehalten werden. Die plötzliche Schmerzfreiheit beim Gehen kommt für die Patienten überraschend und prägt sich ihnen ein. Mit der Zeit werden alte Erwartungen («Diese Situation wird wehtun») durch neue («Das wird nicht schmerzen») «überschrieben».

quillt aus der Wunde. Für den Weg, den das Schmerzsignal von der Quelle, also dem verletzten Finger, über das Rückenmark ins Gehirn zurücklegt, braucht er nur Sekundenbruchteile. Mehr als achtzig Prozent aller «peripheren» Nervenfasern im menschlichen Körper – ausserhalb von Gehirn und Rückenmark – gehören zum System der Schmerzwahrnehmung und verarbeitung. Nicht nur die Haut, auch die meisten inneren Gewebe und Organe werden von Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren), fein verzweigten Nervenendigungen, durchzogen. Nozizeptoren in der Haut reagieren auf Reize wie Hitze oder starke Druck- und Sticheinwirkungen. Elektrische Signale werden zum Gehirn weitergeleitet und lösen dort die Wahrnehmung «schmerzhaft» aus. Bevor dies allerdings so weit ist, kommen die Signale auf den Prüfstand. Der Thalamus, der grösste Teil des Zwischenhirns, «sortiert» ankommende Reize zunächst. «Hier wird entschieden, welche Informationen ignoriert und welche bewusst wahrgenommen werden sollen», erklärt Peter Felleiter, Leitender Arzt Intensivmedizin am Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil (LU). Ob ein Nervenimpuls überhaupt unsere Aufmerksamkeit erregt, ist auch stark von der Situation, in der wir uns befinden, abhängig. «So schreckt uns ein Mückenstich an einem ruhigen Abend sofort auf, während wir ihn während eines Tennismatches nicht wahrnehmen würden», sagt der Arzt. Vom Tennisplatz zurück zum Thalamus. Dieser kommuniziert wiederum eng mit dem limbischen System, dem Ort im Gehirn, wo unsere Emotionen «verwaltet» werden, und dem Hypothalamus, dem Steuerzentrum des vegetativen Nervensystems. Dieses erzeugt die körperlichen


Stärke und Form variieren Auswirkungen von Schmerzen wie Anstieg von Blutdruck und Herzschlag, Schwitzen und anderen körperlichen Funktionen. Schliesslich gelangt die Schmerzwahrnehmung zum Gyrus postcentralis, einer für die Wahrnehmung von Berührungen spezialisierten Windung des Grosshirns. «Hier nun sind wir in der Lage, den Schmerzreiz zu lokalisieren», sagt Felleiter. Schmerzreize lösen aber noch in verschiedenen anderen Hirnregionen Aktivität aus.

Blitzschnell Die schnellsten Schmerzfasern sind diejenigen, mit denen unser Organismus unwillkürliche Reflexe ausführt. Sie lassen uns die Hand blitzschnell von der heissen Herdplatte zurückziehen, bevor der Hitzeschmerz wahrgenommen wird. An diesem Reflexsystem sind dünne, markhaltige Fasern beteiligt. Deren Signale werden im Rückenmark – unter Umgehung des «Wahrnehmungsapparates» im Gehirn – auf motorische Nervenfasern umgeschaltet, die in Richtung Muskulatur verlaufen. Dort lösen sie die zurückzuckende Bewegung aus. Oder nach Otto Waalkes: «Rückenmark an Muskeln: Hand zurückziehen! VerbrenClaudia Merki ❰ nung droht!»

Mehr Wissen vitagate24.ch/schmerzen_schmerzarten. aspx

Das Schmerzempfinden ist sehr subjektiv. Ein identischer Schmerzreiz wird von verschiedenen Menschen unterschiedlich stark empfunden. Das hat auch mit dem allgemeinen Befinden und der Gefühlslage zu tun. Psychische Faktoren können einen Einfluss darauf haben, ob und wie stark sich eine Schmerzerkrankung ausbildet. Menschen mit Depressionen etwa sind stärker gefährdet als psychisch gesunde Personen. «Wenn bei ihnen ein weiteres schwerwiegendes Problem wie chronische Schmerzen dazukommt, können Patienten entgleisen», erklärt der Arzt Peter Felleiter. Weiter spielen bestimmte Persönlichkeitsmerkmale eine Rolle, wie beispielsweise die individuelle Strategie zur Problem- und Stressbewältigung. Schmerzen variieren nicht nur in ihrer Stärke, sondern auch in ihrer Form. Es gibt dumpfe oder stechende Schmerzen und solche, die ausstrahlen oder lokal begrenzt sind. Manche äussern sich in einem Brennen. Damit der Arzt das richtige Schmerzmittel verschreiben kann, ist es wichtig, die Schmerzen so genau wie möglich zu beschreiben. Mit dem Schmerzschieber können die Schmerzen «gemessen» werden. Auf einer Skala von 0 bis 10 kann der Patient angeben, wie stark er seinen Schmerz empfindet. Der Schmerzschieber ist besonders während einer Behandlung sinnvoll, um den Erfolg einer Therapie beurteilen zu können. In einem Schmerztagebuch kann der Patient die Werte und die Befindlichkeiten notieren. schmerz

8 I9


Damit Ihre R端ckenschmerzen nicht zum Dauerbrenner werden:

stillt den Schmerz w辰rmt hemmt Entz端ndungen

Perskindol Dolo Gel hilft bei R端cken- und Gelenkschmerzen. Lesen Sie die Packungsbeilage. Vifor SA.


:

z

n.

Dauernd Schmerzen, wen interessierts? Schmerzpatienten haben ein Lobbyproblem. Schmerztherapeuten versuchen nicht nur, eine Schmerzreduktion zu erreichen, sie verstehen sich auch als Anwälte für Menschen mit einem unsichtbaren Leiden.

I

n der Tat sterben wenige Patienten an Schmerzen», sagt Ulf Klostermann, «aber viele Menschen sterben mit Schmerzen, und noch viel mehr müssen mit Schmerzen leben.» Klostermann ist Anästhesist mit Spezialisierung in Schmerztherapie und Mitinhaber des «Schmerz Zentrum Zofingen» im Kanton Aargau. Ketzerisch gesagt, sei die neue ärztliche Fachrichtung «Schmerztherapie», zumindest im Fall von chronischen Schmerzen, ein wenig Luxusmedizin: «Schmerzen sind meist kein lebensbedrohliches Problem, weswegen sie etwa in Entwicklungsländern leider keine Priorität in der medizinischen Versorgung geniessen.» Ulf Klostermann ortet das gravierende Problem von Schmerzpatienten – mit sozialen Folgen wie Arbeitsplatz- oder Partnerverlust – in einem Lobbyproblem. «Hat jemand einen Beinbruch oder einen amputierten Arm, dann sieht jeder, was los ist», sagt er. Hingegen sind Schmerzen für die Umwelt, die Angehörigen unsichtbar. Auch

haben chronische Schmerzen im Gegensatz zum akuten Schmerz keine Warnfunktion mehr. Mit Schmerzen ist man weitgehend alleine. Dies sind Erklärungsansätze des Arztes, weswegen das Berufsbild «Schmerztherapeut» noch jung ist. In Deutschland und Österreich wurden in den 1990er-Jahren die Ausbildungsstandards für die Spezialisierung zum Schmerztherapeuten festgelegt und die ersten Fachtitel verliehen. In der Schweiz folgte die FMH-Anerkennung erst im Mai 2008.

Statistik verhalf zum Durchbruch Statistische Erhebungen haben 2003 erstmals das Ausmass des Problems Schmerzen aufgezeigt: 1,2 Millionen Menschen (oder 16 Prozent der Bevölkerung) in der Schweiz leiden an chronischen Schmerzen. In jedem dritten Haushalt lebt ein Patient mit chronischen Schmerzen. Die Patienten leiden im Durchschnitt seit 7,7 Jahren an Schmerzen. Dieses alarmierende Ausmass hat in der Schweiz zu einem Umdenken in Sachen Schmerztherapie geführt. Ulf Klostermann betont, dass es bei der Schmerztherapie in erster Linie um eine Verbesserung der Lebensqualität der Patienten gehe, aber dass in Zukunft auch vermehrt gesellschaftliche und ökonomische Interessen berücksichtigt werden müssten. Patienten mit chronischen Schmerzen kommen das Gesundheitssystem teuer zu stehen, zumal viele «Schmerzkarrieren» in

Schmerz

10 I 11


einer IV-Rente enden, wie er sagt. Deshalb seien er und seine rund hundert Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz auch Reisende in eigener Sache: «Wir halten viele Vorträge, um unser Anliegen bekannt zu machen und Krankenversicherer, Spitäler, Hausärzte mit ins Boot zu holen.» Schmerzpatienten ernst nehmen, ihnen zu einem besseren Leben verhelfen, das sei eine wichtige Massnahme gegen explodierende Gesundheitskosten.

konnte belegt werden, dass Patienten mit mehrfachen Kindheitstraumata ein Risiko von 85 Prozent haben, dass Rückenoperationen erfolglos verlaufen.» Schmerzen sind ein komplexes, weites Feld. «Ja», sagt Klostermann, «und ein unheimlich spannendes obendrein.» Katharina Rederer ❰

Nur im Team möglich Im «Schmerz Zentrum Zofingen» arbeiten Ärzte verschiedenster Fachrichtungen mit der Spezialisierung Schmerztherapie mit Chiropraktoren, Psychologen und Psychiatern als Team eng zusammen: «In der Schmerztherapie kann man nur im Team Erfolge erzielen», stellt Klostermann klar. Grund: Fast die Hälfte der chronischen Schmerzpatienten leidet zusätzlich an Depressionen oder Angststörungen und hat mit Schlafproblemen zu kämpfen. Eine Verbesserung der Lebensqualität sei da nur mit einem ganzheitlichen Ansatz möglich. Denn oft geht es laut Klostermann darum, dem Patienten verständlich zu machen, dass zwar seine Depressionen und Schlafstörungen behandelt, eine Schmerzreduktion erzielt werden kann, aber dass ein völlig schmerzfreies Leben nicht immer möglich sein wird. Immerhin: «Bei fünfzig Prozent der chronischen Schmerzpatienten können wir eine Schmerzreduktion von fünfzig Prozent erzielen», sagt der Arzt. Der Abschied vom Wunsch nach einem schmerzfreien Leben sei ein Prozess, der auch psychologisch unterstützt und begleitet werden muss. Umgekehrt kann der Körper angebotene Hilfe ohne vorgängige psychotherapeutische Begleitung möglicherweise gar nicht «annehmen»: «In einer Studie

Emotionale Färbung Ist es für den Arzt wichtig, dass ein Patient den Schmerz (brennend, stechend, ziehend, warm, wellenartig) gut beschreiben kann? «Natürlich erheben wir sehr sorgfältig die Art der Schmerzen des Patienten», sagt Ulf Klostermann. Für Schmerztherapeuten sei es aber ebenso wichtig, genau hinzuhören, wie ein Patient über Schmerzen spricht. Mit welcher emotionalen Färbung. Das sage viel darüber aus, wie ein Patient mit dem Schmerz umgehe. Spricht ein Mensch von «höllischen Schmerzen» oder davon, dass «man halt damit leben, auf die Zähne beissen muss», dann sage dies einiges über die Gefühlslage und die Verarbeitungsstrategien des Patienten aus.

Mehr Wissen schmerzzentrum.ch

J

Schm an


Neue Ansätze «Beim Studienabschluss hatte ich das Gefühl, alles über Schmerzen zu wissen», lacht Ulf Klostermann rückblickend. Heute wisse man zwar praktisch alles über Schmerzentstehung, aber nicht alles über die -verarbeitung im Körper. Die Schmerzforschung habe hier noch grosse Aufgaben vor sich. Ein Beispiel: Bei der Schmerzbekämpfung hat man sich bislang aufs Nervensystem, insbesondere auf die Nervenzellen konzentriert. Heute weiss man, dass das die Nervenzellen umgebende Stützgewebe und Immunzellen mit den

Nervenzellen in reger Interaktion stehen und dort laufend Boten- und Entzündungsstoffe ausgetauscht werden. Die Bedeutung des Immun- und Stützgewebes für die Schmerztherapie sei ein neues Feld, sagt Klostermann. Dort liegen ganz neue Ansätze für die Entwicklung der Schmerzmedikamente und -therapien von morgen. Doch bis zur klinischen Umsetzung am Patienten sei noch ein weiter Weg. Und erst nach zahlreichen klinischen Tests werde sich herausstellen, ob diese Hoffnungen begründet waren.

Jürg Meerstetter, 58 Jahre alt, eidg. Angestellter, Nierentransplantation: «Auch mehrere Wochen nach der Transplantation traten immer mal wieder postoperative Schmerzen auf. Ich konnte damit am besten umgehen, wenn ich mir einen guten Film im Kino anschaute. Beim Eintauchen in die fiktive Filmwelt verschwanden meine realen Schmerzen.»

schmerz

12 I 13


«Ein Indianer kennt keinen Schmerz!»

Bei Muskel- und Gelenkschmerzen

ka Be

Bitte lesen Sie die Packungsbeilage! Erhältlich in Apotheken und Drogerien. Iromedica AG, 9014 St.Gallen

Ky t

ta

Sa

lb e

,

W T n AR V-W nt a al lw D er us un bu d ur e d ng r z ZD F

• schmerzlindernd • entzündungshemmend • abschwellend


rz

r

Ob leichtes Schädelbrummen oder mörderische Migräneattacke: Brummt der Schädel, ist das Leben nicht mehr wirklich schön. Eine Tasse Kaffee kann Wunder wirken.

E

in dumpfer Druck hinter den Augen, rhythmisches Pochen in der Schläfe oder ein leichtes Hämmern unter der Schädeldecke – Kopfschmerzen sind immer unangenehm. Während die einen zur Tablette greifen, harren andere tapfer aus, bis der Schmerz von allein vergeht. Ein weiteres probates Mittel: Eine Kaffeepause einlegen. Kaffee steigert nicht nur die Leistungsfähigkeit des Gehirns, auch der Körper reagiert auf den Stoff. Koffein kurbelt den gesamten Stoffwechsel an, die Blutgefässe weiten sich, der Herzschlag wird erhöht und die Durchblutung aller Organe verbessert. Dass diese anregende Wirkung des Koffeins Kopfschmerz vorübergehend stillt, ist schon lange bekannt – schliesslich wurde bereits Coca Cola ursprünglich als Therapie gegen Kopfschmerzen eingesetzt. Wissenschaftler haben nun herausgefunden, weshalb ein doppelter Espresso hilft, Kopfschmerzen zu vertreiben. Die Forscher konnten nachweisen, dass Koffein die Bildung eines Enzyms blockiert, das für die Freisetzung von Prostaglandinen verantwortlich ist. Prostaglandine sind hormonähnliche Substanzen, die unter anderem an der Weiterleitung von Schmerzen beteiligt

sind und deshalb auch eine wichtige Rolle bei der Wahrnehmung von Kopfschmerzen spielen. Die Untersuchung hat allerdings auch ergeben, dass das Koffein allein nur einen geringen Hemmeffekt auf die Prostaglandinbildung hat. Die Kombination aus Koffein und einem Schmerzmittel wie Acetylsalicylsäure (ASS) oder Paracetamol ist dagegen um ein Vielfaches stärker.

Umstrittene Kombinationspräparate Über Sinn und Unsinn solcher Kombinationspräparate mit Koffein sind sich Experten allerdings nicht einig. Einer Untersuchung zufolge soll das Koffein durch seine anregende Wirkung dazu verleiten, die Schmerzmittel länger als nötig zu nehmen. Dadurch erhöhe sich das Risiko, einen schmerzmittelbedingten Dauerkopfschmerz zu entwickeln. Andere Experten finden diese Warnung übertrieben. Sie heben hervor, dass gerade die Kombination aus ASS, Paracetamol und Koffein besonders wirksam sei, wobei Koffein als «Beschleuniger» wirke: Dieser Effekt ist unter anderem dadurch zu erklären, dass Koffein die Aufnahme von ASS aus dem Darm ins Blut beschleunigt, die Stoffe sich also gegenseitig ergänzen und eine schnellere Wirkung erzielen. Christa Friedli Müller ❰

d

n ZD g F

Multitalent Koffein

schmerz

14 I 15


Tanz der Gelenke Mindestens ein Jahr lang übt eine Puppenspielerin, bis sie ihrer Marionette Laufen gelernt hat. Das zeigt, wie komplex die menschlichen Bewegungsabläufe sind. Was der Körper bei jeder Bewegung vollbringt, merken viele Leute erst, wenn ein Gelenk schmerzt oder ganz «aussteigt».

D

ie eine Hand umschliesst für einen Moment die Hand eines anderen Menschen. Als Zeichen des Vertrauens und der Zuneigung drückt sie sanft zu. So selbstverständlich diese Alltagsbewegung ist: Ohne das präzise Zusammenspiel aller Gelenke wäre sie nicht möglich. Insgesamt sind es mehr als hundert grössere und kleinere Knochenverbindungen, die umschlossen von Muskeln und Sehnen alle möglichen Bewegungen ausführen. Je nachdem, welche Aufgaben die Gelenke im jeweiligen Körperteil übernehmen, heissen sie Scharnier-, Kugel- oder Sattelgelenke. Die Gelenke sind überzogen mit einer elastischen Knorpelschicht, die wie ein Stossdämpfer die Bewegungen abfedert. In grösseren Gelenken wie zum Beispiel dem Kniegelenk ist zudem eine gelartige Gelenkflüssigkeit enthalten, die für die nötige Gleitbewegung sorgt. So zumindest beim gesunden Gelenk. Nicht selten beginnt im Laufe des Lebens das eine oder andere Ge-

lenk zu schmerzen. Die Gründe dafür sind vielseitig: Bei gichtgeplagten Menschen lagern sich Harnsäurekristalle in den Gelenken ab. Bei der Arthrose ist infolge Fehloder Überbelastung der Knorpel so spröd und rissig geworden, dass er den Knochen nicht mehr zureichend schützen kann. Beim Menschen mit Arthritis greifen die körpereigenen Abwehrstoffe das Gelenk an.

Beweglich bleiben Jede dieser Erkrankungen führt zu einer Entzündung und später zu einem Schmerz, der für viele Betroffene lebensbestimmend wird. «Ich frage meine Mutter manchmal gar nicht mehr, wie es ihr geht», erzählt die Tochter einer Arthrosepatientin. Ihre ständigen Schmerzen seien derart präsent, dass

Anina Ramp, 26 Jahre alt, Schreinerin, Amputationsverletzung: «Schmerzhaft war nicht der Moment, als der kleine Finger meiner linken Hand in die Hobelmaschine geriet, und ich die Fingerkuppe verlor. Ich spürte nichts, weil der Schock zu gross war. Schmerzhaft war, dass ich mich nur schwer an die neue Sensibilität des verletzten Fingers gewöhnte. Fuhr ich mit dem Finger beispielsweise über weichen Jeansstoff, dann fühlte sich das so grob an, als ob ich ihn über eine Raffel ziehen würde. Noch heute fühlen sich Berührungen an dieser Stelle komisch an.»


schmerz

  16 I 17


alles andere nebensächlich werde. Wer rechtzeitig das Ruder herumreisst und sein Leben, die Ernährung sowie lieb gewonnene Gewohnheiten verändert, kann Gelenkentzündungen vorbeugen und chronische Schmerzen verhindern. Es heisst nicht umsonst «Wer rastet, der rostet». Wer seine Gelenke nicht regelmässig bewegt, durchbiegt und geschmeidig hält, wird mit der Zeit steif. Beweglich bleiben im weitesten Sinn des Wortes kann auch bedeuten, dass man wieder flexibler wird, sich selber beobachtet und sich zum Beispiel fragt, ob der morgendliche Kaffee wirklich nötig ist, oder ob es zwischendurch auch mal ein Tee sein darf. Dasselbe gilt für fast alle Speisen, die wir täglich essen. Warum nicht mal das geliebte, abendliche Café complet durch eine Gemüsesuppe ersetzen oder statt weissen Nudeln mehr Kartoffeln essen. Praktisch alle Gelenkerkrankungen hängen mit einer unausgewogenen oder für die betroffene Person ungeeigneten Ernährungsweise zusammen. Entsprechend günstig kann sich eine auf das Beschwerdebild angepasste Ernährung auf die Prävention und die Therapie von Gelenkentzündungen auswirken. Ein zentrales Thema sind die Eiweisse aus Fleisch und Milchprodukten. Sie setzen während des Abbaus Säuren frei, die der Körper neutralisieren muss. Da der Körper diese Säuren nicht alle gleichzeitig ausscheiden kann, deponiert er sie im Bindegewebe oder in den Gelenken, was die Schmerzen in den Gliedern verstärken kann. Für die Linderung von Gelenkerkrankungen sind deshalb ganzheitliche Vorgehensweisen gefragt. Nur durch die gleichzeitige Behandlung auf verschiedenen Ebenen kann sich der Erfolg nachhaltig einstellen. Neben der Bewegung und der Ernährung lindern Nahrungsergänzungen von innen

die Entzündung, und Sprays oder Gels schmieren die Gelenke von aussen. Weitere Möglichkeiten sind: ❙  Salben: Die kräftige Selbstmassage lockert die Muskulatur und macht die Bänder und Sehnen weich und geschmeidig. (Nicht bei Entzündungen.) ❙  Heilerde: Innerlich bindet die Heilerde überschüssige Säuren, äusserlich als Wickel angewendet lässt sie Entzündungen abklingen. ❙  Säure-Basen-Gleichgewicht: Basische Mineralsalze neutralisieren im Körper die überschüssigen Säuren. ❙  Knorpelschutz: Der Extrakt aus Grünlippmuscheln schützt den Knorpel und hemmt die Entzündung. Auch das Chitin aus Schalentieren wird immer häufiger in Form von Tabletten als Gelenkschutz eingesetzt. Zu empfehlen sind auch Chondroitinsulfat und Glucosamin. ❙  Entzündungen hemmen: Hagebuttenpulver (Vitamin C), Vitamin E und Omega-3Fettsäuren aus Fisch- oder Leinöl wirken entzündungshemmend. ❙  Schwebend in der Badewanne: Baden lockert die erstarrten Gelenke und wärmt nachhaltig. Besonders geeignet sind Zusätze mit Weihrauch, ätherischen Ölen, SchweSabine Hurni ❰ fel oder Heublumen.

Mehr Wissen vitagate24.ch/schmerzen.aspx biokinematik.de rheumaliga.ch basica.ch Birgit Kahle: «Natürliche Hilfen bei Gelenkbeschwerden», Lebensbaum Verlag, 2002, ISBN 978-3-928430-29-6, ca. Fr. 19.–


Weshalb der Fakir keinen Schmerz spürt Schmerzen werden im Gehirn bewertet – und auf ihre Wahrnehmung kann man Einfluss nehmen. Daher sind Marathonläufer und Fakire wahre Experten, wenn es darum geht, das Schmerzempfinden bewusst auszuschalten.

W

arum lässt ein einfacher Nadelstich den einen Menschen vor Schmerzen aufschreien, während ein anderer nicht einmal zusammenzuckt? Und warum gibt es Leute, die über Nagelbretter laufen, ohne eine Miene zu verziehen? «Das Gehirn kann lernen, bestimmte Reize zu unterdrücken», erklärt Michèle Braun von der Klinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie am Inselspital Bern. Denn das bewusste Schmerzempfinden könne durch andere äussere Reize, aber auch durch die Stimmungslage beeinflusst werden.

Warnsignal für den Körper Primär sei Schmerz aber ein biologischer Schutzmechanismus und damit ein Warnsystem für eine drohende Schädigung des Körpers. Dabei werde der Schmerzreiz über Nervenfasern an das Gehirn weitergegeben, wo dann das bewusste Schmerzempfinden stattfinde. «Sobald Schmerz

auftritt, geschehen Veränderungen auf Nervenebene, die bei längerem Andauern der Schmerzen dazu führen können, dass sogar eine einfache Berührung als schmerzhaft empfunden wird», führt Michèle Braun weiter aus.

Muskelentspannung In diesem Zusammenhang haben ein Psychologe und ein Arzt aus den USA bereits 1965 die sogenannte «Gate-Control-Theorie» entwickelt. Diese Theorie geht davon aus, dass die Schmerzinformationen von der am Körper geschädigten Stelle nicht direkt ins Gehirn gelangen, sondern über verschiedene Tore (Gates) auf dem Weg ins Gehirn entweder verstärkt oder gedämpft werden. Dabei wurde auch erkannt, dass allein über die bewusste oder unbewusste Muskelanspannung der Schmerz als mehr oder weniger stark empfunden wird. Fazit: Je angespannter oder gestresster das Nervensystem ist, desto stärker das Schmerzempfinden. «Hier setzen denn auch jene Menschen an, die ihr Schmerzempfinden beeinflussen können», erklärt Stefan Schläpfer, Mentaltherapeut aus Rehetobel (AR). «Sie haben bewusst entspannende Gedanken, die sie meist in harmonischen Bildern so oft geübt haben, dass sie durch mentales Training in einen Bewusstseinszustand gelangen, in dem sie schmerzunempfindlich sind.» Denn Unruhe, Ängste und Depressivität würden Schmerzen in dem Masse ver-

schmerz

18 I 19


Ins_Rheumakombi_148x210_D:Layout 1 06.07.09 12:33 Seite 1

Pflanzliches Arzneimittel – Bitte lesen Sie die Packungsbeilage. Bioforce AG, CH-9325 Roggwil TG

Mit der Natur gegen Gelenkschmerzen. pie Akutthera

rapie

e Langzeitth

Zwei für mehr Lebensqualität: A.Vogel Rheuma-Gel und -Tabletten – Effizient bei akuten und chronischen rheumatischen Beschwerden – Fördert die Gelenkbeweglichkeit – Überzeugt als pflanzliche Alternative zu Schmerzmitteln www.avogel.ch


stärken, wie sie durch Entspannung, Hypnose oder autogenes Training vermindert werden könnten. Schläpfer ist überzeugt, dass sich ein Patient bereits nach drei bis vier Sitzungen Mentaltraining in einen Zustand versetzen kann, in dem die Schmerzwahrnehmung stark herabgesetzt ist.

Unempfindlich Der Schmerzreiz kann aber auf dem Weg ins Gehirn nicht nur mental beeinflusst werden. Wesentlich häufiger werden die unangenehmen Empfindungen durch Medikamente oder eine Narkose in Schach gehalten. Das erfährt jeder Patient beim Zahnarztbesuch. «Die lokale Betäubung verhindert, dass der Schmerz überhaupt das Gehirn erreicht», erklärt Michèle Braun. Auch unter Alkohol sei das Schmerzempfinden vermindert. Chronischer Alkoholkonsum dagegen senke die Schmerzschwelle, hält die Schmerzspezialistin fest.

Fehlendes Schmerzempfinden Manche Menschen empfinden wegen einer besonderen genetischen Anlage von Geburt an gar keine Schmerzen. Sie leiden an einer kongenitalen Analgesie. Es gibt angeborene und erworbene Formen. Bei den erworbenen Formen ist die Lepra-Erkrankung die wohl bekannteste. «Bei Lepra kommt es durch eine bakterielle Infektion der Haut zum Absterben der Nerven», erklärt Michèle Braun. Dies führe unter anderem zu einer verminderten Empfindungsfähigkeit. Wenn keine Schmerzen wahrgenommen werden, entfällt die Warnfunktion für eine potenzielle Schädigung. Die Folgen sind Verletzungen bis zur Verstümmelung und oft ein früher Tod.

Runner’s High Es gibt aber auch körpereigene Systeme, die die Schmerzreize dämpfen: «In Extremsituationen kann der Körper selberschmerzdämpfende Substanzen zur Verfügung stellen», so Braun. Dabei würden vor allem Endorphine und Adrenalin in hoher Dosis ausgeschüttet. Trainierte Läufer kennen den vorübergehenden Zustand der Unempfindlichkeit gegen Schmerzen unter dem Begriff «Runner’s High». Auch bei ernsteren Verletzungen reagiere der Körper ähnlich. Bei einem Verkehrsunfall sorgen Endorphine dafür, dass man beispielsweise trotz eins Bruchs die Beine noch bewegen kann, um notfalls aus dem Auto steigen zu können. Silvia Stähli-Schönthaler ❰

n

schmerz

20 I 21


Selbst Schmerzgedächtnis kann vergessen Menschen mit chronischen Schmerzen sind stark gefordert. Dennoch sind «Dauerschmerzen» kein unabänderliches Schicksal. Grund: Auch ein Schmerzgedächtnis kann vergessen.

D

ie linke Schulter von Liliane Kohler tut weh. «Wenn das Wetter umschlägt, sind die Schmerzen manchmal fast unerträglich», sagt die fünfzigjährige Hausfrau und Mutter aus Büren an der Aare (BE). Es vergeht kein Tag ohne Schmerzen seit jenem Dezemberabend im Jahr 2000, an dem sie bei einem Sturz eine Trümmerfraktur erlitten hat. Obwohl sie danach dreimal operiert worden ist und mehrere Aufenthalte in einer Rehabilitationsklinik hinter sich hat, haben sich die Beschwerden kaum gebessert. Denn durch die jahrelangen Fehl- bzw. Schonhaltungen im Schulterbereich ist die ganze linke Körperseite unbeweglich geworden. «Das Wichtigste ist jetzt, mit Physiotherapie einer totalen Versteifung entgegenzuwirken», so Liliane Kohler. Ihr Leben sei seit dem Unfall an manchen Tagen nur noch beschränkt lebenswert. Der Aktionsradius ist klein geworden: «Die ewigen Schmerzen zermürben und laugen mich aus.» Liliane Kohler ist bei Weitem kein Einzelfall. Gemäss der Studie «Pain in Europe»

aus dem Jahre 2003 leiden rund 1,2 Millionen Menschen in der Schweiz an chronischen Schmerzen. «Von chronischem Schmerz spricht man, wenn der Schmerz länger als drei bis sechs Monate andauert», erklärt Lutz Frank, Schmerzspezialist am «Schmerz Zentrum Zofingen». Dabei seien chronische Rückenschmerzen das Problem Nummer eins, gefolgt von rheumatischen Beschwerden und Kopfschmerzen.

Der Schmerz, der bleibt Normalerweise sorgt ein körpereigenes Hemmsystem dafür, dass Schmerzen schnell wieder abklingen: Die Beule am Kopf tut schon kurze Zeit später nicht mehr weh. Doch es gibt Schmerzen, die bleiben – und das häufig selbst dann, wenn ihr eigentli-

Finn Rederer, 8 Jahre alt: «Ich bin der ‹Sturzpilot› in unserer Familie. Nebst vielen Schrammen und Beulen habe ich mir einmal das Schlüsselbein gebrochen, und zweimal musste ich im Spital eine Kopfwunde nähen lassen, und einen Zahn habe ich auch einmal verloren. Wenn ich irgendwo heruntergefallen bin, dann kann ich gar nichts mehr denken, es tut einfach ganz fest weh. Aufs Klettern verzichte ich aber trotzdem nicht.»


schmerz

  22 I 23


cher Auslöser längst nicht mehr existiert. Ursache ist das sogenannte Schmerzgedächtnis. «Dabei kommt es zu Veränderungen am Nervensystem, welches die Schmerzimpulse verarbeitet», erklärt Lutz Frank. Der ursprüngliche schmale Pfad, der für die Schmerzimpulse zur Verfügung gestanden habe, werde durch die jahrelangen starken Schmerzreize sozusagen zu einer mehrspurigen Autobahn ausgebaut. Zusätzlich werde der schmerzenden Körperregion im Laufe der Zeit im Gehirn mehr Platz zur Verfügung gestellt, was als Neuroplastizität (bewegliches Gehirn) bezeichnet wird. Dieser Mechanismus funktioniere sogar dann, wenn der Körperteil, der ursprünglich den Schmerz verursacht habe, längst nicht mehr existiere, etwa nach Amputationen. Dies sei auch die Erklärung für den lange Zeit rätselhaften Phantomschmerz, bei dem die Betroffenen Schmerzen an der Stelle fühlen, an der ihr amputiertes Bein oder der amputierte Arm gesessen habe. Trotzdem: «Chronische Schmerzen sind kein unabänderliches Schicksal», macht Lutz Frank Mut. Nach einer erfolgreichen Therapie könne sich das Nervensystem auch wieder normalisieren: «Denn ein Gedächtnis kann auch wieder vergessen.»

Schmerzen durch Fehlhaltung Ein weiteres Problem von chronischen Schmerzen sind Fehlhaltungen und Verspannungen angrenzender Körperregionen, die zuerst gar nicht vom chronischen Schmerz befallen worden sind, wie der Schmerzspezialist sagt. Ausserdem komme es durch die jahrelange Pein verständlicherweise zu psychischen Belastungen. «Dazu gehören soziale Isolation, Existenzängste, berufliche und finanzielle Sorgen», so Frank. Moderne Therapiekonzep-

te sähen daher vor, dass diese Probleme in einem sogenannt multimodalen Konzept mitbehandelt werden: «Therapiekonzepte, welche ausschliesslich auf Injektionen und Infiltrationen der schmerzenden Region abzielen, sind daher wenig erfolgversprechend.» Eine umfassende Schmerztherapie (siehe auch Seiten 11 und 34) beinhaltet je nach Schmerzursache also auch psychologische Massnahmen: «Beispielsweise lernt der Patient in einer Verhaltenstherapie, besser mit den Schmerzen zu leben», so Lutz Frank. Auch Liliane Kohler lernt immer mehr, mit den Schmerzen umzugehen: «Was bleibt mir anderes übrig», fragt sie. Ihr wöchentliches Therapieprogramm besteht unter anderem aus Physiotherapie und Mobilisationsübungen im Wasser. Dort kann sie ihren Arm zumindest teilweise wieder bewegen – und der Schmerz rückt für einen kurzen Moment in den Hintergrund. Silvia Stähli-Schönthaler ❰


Rosenkranz statt Aspirin Menschen nutzen nicht nur Schmerzmittel, die schon die Vorfahren kannten, sondern greifen bei der Schmerzbekämpfung auch auf ein ganz einfaches, aber probates Mittel zurück: auf die Kraft des Glaubens.

E

r war erkältet, hustete, spuckte Blut. Mit stechenden Schmerzen in der Lunge schleppte er sich zum Arzt, der ihm eine Morphiumspritze verabreichte. «Plötzlich wurde ich ganz wach. Ein sonderbares, schwer zu beschreibendes Glücksgefühl ‹nahm von mir Besitz›», schrieb der Schweizer Schriftsteller Friedrich Glauser (1896 –1938) später im Aufsatz «Morphium. Eine Beichte». Und weiter: «Trotzdem es mir damals materiell schlecht ging, war alles plötzlich verändert, die Not hatte ihre Wichtigkeit verloren, sie war nicht mehr vorhanden, ich hielt das Glück in den Händen; es war, um einen schlechten Vergleich zu gebrauchen, so, als ob mein ganzer Körper ein einziges Lächeln wäre.» Weil der Schmerz zu denjenigen Symptomen gehört, die die Lebensqualität besonders nachhaltig beeinträchtigen, sind die Bemühungen Schmerzen zu bekämpfen so alt wie die Menschheit selbst. Archäologische Funde belegen beispielsweise, dass Morphium, das 1917 Glauser ein schmerzfreies Glücksgefühl bescherte, sowohl bei

den Sumerern als auch in der Jungsteinzeit als Schmerzmittel bekannt war. Nebst den Kenntnissen, sich der verschiedenen Pflanzen und Kräuter zu bedienen, die eine schmerzlindernde oder entzündungshemmende Kraft besassen, griffen unsere Vorfahren aber auch auf andere Bräuche zurück. Für Menschen der Vorzeit war Schmerz eine von bösen Geistern und Dämonen ausgesandte magische Kraft, die es zu vertreiben galt. Medizinmänner und Schamanen waren hoch angesehen, sie waren es, die Menschen vor den Einflüssen dieser Geister schützen konnten. Hatten die Dämonen bereits von einem Körper Besitz ergriffen, wurden mit Behandlungsmassnahmen wie Einritzen der Haut oder Öffnung der Schädeldecke den Geistern Wege gebahnt, damit diese aus dem Körper entweichen konnten. Auch der über 5000 Jahre alte Ötzi ist ein Beweis dafür, dass die Menschen vor Jahrtausenden schon einiges von Medizin verstanden haben mussten. Wissenschaftler haben bei der Mumie über fünfzig Tätowierungen gefunden. Vermutlich liess sich Ötzi gegen die Schmerzen behandeln, die durch Darmparasiten und die Abnutzungen an Wirbelsäule und Beingelenken verursacht wurden. Denn seine Tätowierungen liegen exakt an den Punkten, an denen ein Akupunkteur auch heute ein Rückenleiden und Verdauungsbeschwerden behandeln würde. Die Fachleute sind sich sicher: Ötzi wurde akupunktiert. In der religiös dominierten Gesellschaft des Mittelalters war das Leibliche den geistigen und seelischen Dingen untergeord-

schmerz

24 I 25


Wirkt auch wenn Sie nicht daran glauben.

Wirkt schnell gegen Kopfschmerzen. Etwa nach 30 Minuten. Lesen Sie die Packungsbeilage. Vifor SA.


net. War man gesund, so galt das als Hinweis darauf, dass Gott mit dem, was man tat und wie man lebte, zufrieden war. War man krank, konnte das entweder als Prüfung verstanden werden, die Gott für einen vorgesehen hatte, oder als Strafe für falsche Lebensführung. Man unterschied zwischen «natürlichen» Krankheiten, etwa Seuchen, die auch über «gute» Menschen hereinbrechen konnten, und anderen, deren Auftreten man durch sein eigenes Verhalten verschuldet hatte. Wer ein Mittel gegen Schmerzen anbot, schloss, in den Augen der Kirche, einen Pakt mit dem Teufel und wurde als Hexe oder Hexer verbrannt. Schmerzen wurden als Parallele zum Leidensweg Christi angesehen, sie waren die Strafe Gottes und mussten zur Erlösung der Seele ertragen werden. Die Erlösung von den Schmerzen galt als Gnade Gottes. In Klostergemeinden wurde Schmerz oft durch Askese bewusst herbeigeführt, um die Verneinung der Leiblichkeit auszudrücken. Der amerikanische Autor David B.  Morris schreibt in seiner «Geschichte des Schmerzes»: «Schmerz gab den Christen einen Vorgeschmack dessen, was es – theologisch gesprochen – bedeutete, verdammt zu sein. Er konkretisierte den Glauben.» Noch heute pilgern Tausende von Menschen zu Wallfahrtsorten, wo sie sich Heilung von physischem und psychischem Leid erhoffen.

Heilender Glaube Im Jahre 1632 beschrieb der französische Naturwissenschaftler und Philosoph René Descartes in seinem Werk «De Homine» (Über den Menschen) als Erster die Schmerzleitung von den Gliedmassen zum Gehirn. Bis dahin galt der Schmerz als ein körperlicher Vorgang ohne Einfluss auf die Emotionen. Descartes hatte im Zusammenhang

von Schmerzwahrnehmung, -entstehung und -verarbeitung die Kopplung von körperlichen und seelischen Vorgängen beschrieben. Eine Erkenntnis, die auch heute noch Grundlage der modernen Schmerztheorien ist. Wie weit die moderne Forschung sich aber auch entwickelt hat, ein Zusammenhang zwischen Glaube und Schmerzwahrnehmung besteht auch heute noch. Obwohl in der westlichen Welt Schmerzen meist nur noch als blosses Signal für einen körperlichen Defekt angesehen werden, und die Schmerzwahrnehmung heute vermehrt durch unser Medizinsystem und nicht durch den Glauben bestimmt wird, bestätigt die Forschung ein Phänomen: Neurologische Untersuchungen von Wissenschaftlern an der Universität Oxford zeigten nämlich, dass ein starker Glaube, Schmerzen lindern kann. Nach Erkenntnissen der Forscher wird die oft beobachtete Schmerzlinderung bei starken religiösen Gefühlen von einer speziellen Gehirnregion gesteuert. Die Wissenschaftler konnten bei Versuchen die entsprechende Region im Frontallappen der Grosshirnrinde ausfindig machen. Dieses Phänomen erklärt wohl auch, weshalb in katholischen Ländern der Einsatz von Schmerzmitteln weitaus geringer ist als in protestantischen. Christa Friedli Müller ❰

Mehr Wissen Diana Bryg: «Eine Geschichte des Körpers im Schmerz – Theorien von Elaine Scarry und David B. Morris im Vergleich», Grin Verlag, 2007, ISBN 783-6-3885-424-5, ca. Fr. 25.— welt.de/wissenschaft; planet-wissen.de schmerz

26 I 27


Schneller, stärker, häufiger: Frauen empfinden anders Frauen sind generell schmerzempfindlicher als Männer. Ihre Schmerz- und Toleranzschwelle ist niedriger, und sie leiden häufiger unter chronischen oder wiederkehrenden Schmerzen als Männer.

F

rauen, heisst es landläufig, sind weniger schmerzempfindlich als Männer. Schliesslich müssen sie die Kinder gebären. Und Geburtsschmerzen gehören zu den stärksten Schmerzen überhaupt. Welcher Mann würde das aushalten? So weitverbreitet diese Meinung ist, so falsch ist sie: «Tatsächlich zeigt sich in vielen Untersuchungen, dass Männer stärkere Schmerzen aushalten können als Frauen», erklärt Peter Felleiter, Leitender Arzt Intensivmedizin am Schweizer ParaplegikerZentrum Nottwil (LU). Zudem ertragen sie starke Schmerzreize länger. «Es gibt viele Theorien darüber, was die Ursache für dieses Phänomen sein könnte», so der Arzt. Eine lautet: Die Haut des Mannes könnte dafür verantwortlich sein. Deren dickere Hornschicht funktioniert wie ein Schutzschild gegen Schmerzen. Deshalb gelangt nur ein kleiner Teil der Schmerzreize zu den Nozizeptoren (Nervenendigungen) in der darunterliegenden Hautschicht,

welche die Reize zum Gehirn weiterleiten, wo der Schmerz verarbeitet wird. Die Menstruation kann es mit sich bringen, dass Frauen für Schmerzsignale empfindlicher werden und sie mehr auf körperliche Symptome achten. Durch immer wiederkehrende Schmerzen kann das Nervensystem von Frauen in seiner Empfindlichkeit gesteigert werden und die Schmerzschwelle sinken. Auch der weibliche Hormonstatus spielt eine Rolle, denn im Verlauf des Zyklus variiert die Schmerzempfindlichkeit. Das liegt jedoch nicht am Östrogen, denn die Empfindlichkeit ist dann am höchsten, wenn die Östrogenspiegel am niedrigsten sind. Die folgende Aussage des Schmerzspezialisten scheint in diesem Licht betrachtet geradezu paradox:

Elisabeth Wenger, 63 Jahre alt, pensionierte Krankenschwester: «Ich war 40 Jahre lang Krankenschwester. In meinen ersten Berufsjahren stand ich oft am Bett von Patienten, die sehr starke Schmerzen hatten, denen wir aber strikt nur alle vier Stunden ein Schmerzmittel geben durften. Heute pflegt man einen ganz anderen Umgang mit Medikamenten und Schmerzäusserungen der Patienten. Das ist eine sehr grosse Erleichterung in unserer Arbeit.»


schmerz

  28 I 29


«Wenn Männer mit diesem weiblichen Sexualhormon behandelt werden, klagen sie über zunehmende Schmerzen.» Ein weiterer Grund, weshalb Männer weniger schmerzempfindlich sind, kann Testosteron sein. «Zumindest in Tierversuchen wirkt es schmerzlindernd», erklärt der Arzt. Untersuchungen belegen weiter, dass Frauen im gebärfähigen Alter generell eine niedrigere Schmerz- und eine geringere Toleranzschwelle auf unterschiedliche Schmerzreize wie Hitze, Dehnung oder Druck zeigen. Die gute Nachricht für Frauen: Nach der Menopause verwischen sich die Unterschiede in der Schmerzempfindlichkeit zwischen den Geschlechtern.

Frauen leiden häufiger an Migräne Unter Patienten mit chronischen Schmerzen finden sich 55 Prozent Frauen und 45 Prozent Männer. Frauen leiden deutlich mehr an Migräne und Spannungskopfschmerzen, Gesichts- und Unterleibsschmerzen als Männer. Dabei scheinen gewisse Lebensphasen das Auftreten bestimmter Schmerzarten zu begünstigen. Die Häufigkeit von Migräne zum Beispiel ist besonders nach der Pubertät bis zur Postmenopause, dem Lebensabschnitt nach der Menopause, erhöht. Gelenkbeschwerden kommen dagegen besonders häufig bei Frauen nach dem fünfzigsten Lebensjahr vor. Die Ursachen sind vielfältig und nur im Ansatz bekannt. Auch wie die Geschlechter auf Schmerztherapien reagieren, ist kaum erforscht, denn noch bis 1988 wurden in Studien praktisch nur Männer untersucht. «Auch heute noch», sagt Felleiter, «werden in den meisten Studien überdurchschnittlich viele Männer eingeschlossen.» Das könne an deren erhöhter Bereitschaft liegen, an einem Test teilzunehmen, oder am Blickwinkel der Untersu-

cher. Dadurch ist es praktisch unmöglich, unterschiedliche Effekte bei Männern und Frauen auszumachen.

Frauen sprechen über Schmerz Frauen reagieren auf Schmerzen nicht nur anders, sie gehen auch anders damit um als Männer. Eine Studie an Patientinnen und Patienten mit Arthritis ergab zum Beispiel, dass Frauen zwar über stärkere Schmerzen klagten, aber auch mehr Wege fanden, damit umzugehen. Negative, durch Schmerz verursachte emotionale Auswirkungen scheinen Frauen besser im Griff zu haben. Obwohl die Frauen unter stärkeren Schmerzen litten als die Männer, waren sie besser gelaunt. Sie suchen eher Unterstützung im sozialen Umfeld, reden etwa mit einer Freundin, während das andere Geschlecht eher dazu neigt, den Schmerz einfach zu ignorieren. Männer setzen laut dem Schmerzspezialisten Felleiter bei Schmerzen, wie bei anderen Sinneseindrücken auch, eher kognitive oder analytische Strategien ein. «Somit kann man bei Männern erreichen, dass sie Schmerzen weniger stark empfinden, wenn sie sich auf die reine Schmerzwahrnehmung konzentrieren und die dabei entstehenden Emotionen nicht beachten», weiss der Arzt. Bei Frauen führe das gleiche Verhalten – nicht verwunderlich – Claudia Merki ❰ zu keiner Veränderung.

Mehr Wissen vitagate24.ch/schmerzen_schmerzempfinden.aspx


Hemmungen sind fehl am Platz Die Gabe von Schmerzmitteln ist eine zentrale Aufgabe der Schmerztherapie. Dennoch glauben viele Menschen, dass «Zähne zusammen beissen» besser sei. Manchmal mit fatalen Folgen.

R

und acht Millionen Menschen leiden hierzulande unter chronischen Schmerzen. Gerade Patienten mit starken Schmerzen erhalten oft zu wenig Schmerzmittel. Ein Skandal!» In diesem Sinne rügte kürzlich eine auflagenstarke deutsche Frauenzeitschrift die ärztliche Schmerzpraxis in unserem Nachbarland. Acht Millionen, das sind rund 10 Prozent aller in Deutschland lebenden Menschen. Das sind hohe Zahlen. «Die Schmerzbehandlung ist insgesamt sicher noch verbesserungsbedürftig, und es ist noch viel Aufklärungsarbeit notwendig», sagt Dr. med. En-Chul Chang, Leitender Arzt am Schmerzzentrum in Nottwil (LU). Er betont aber gleichzeitig: «Die Schmerzforschung hat enorme Fortschritte gemacht.»

Medikamente gezielt nutzen In der Schmerzklinik bzw. beim Schmerzspezialisten werden die Beschwerden des Patienten auf mehreren Ebenen analysiert. Zum Beispiel wird bei unspezifischen Rückenschmerzen mithilfe der sogenannten

«Etagendiagnostik» erforscht, wo der Schmerz im Nervensystem lokalisiert ist und wie er ausgeschaltet werden kann. Auch die Schmerzursache wird genau untersucht. Entsprechend gestaltet sich die Wahl der Schmerzmittel (Analgetika). Da chronischer Schmerz das ganze Nervensystem beschäftigt, sind häufig mehrere Medikamentengruppen erforderlich, also beispielsweise Opiate, weitere Analgetikatypen, Antidepressiva oder Antiepileptika.

Die Zähne zusammenbeissen? Solche «Medikamentencocktails» haben unter medizinischen Laien einen zweifelhaften Ruf. Aus Furcht vor möglichen Nebenwirkungen scheren manche Schmerzpatientinnen und -patienten aus dem Therapieprogramm aus: «Sie kommen in die Sprechstunde und sagen: Ich nehme weniger Schmerzmittel und versuche stattdessen, den Schmerz auszuhalten», sagt Chang, «doch das ist eine kontraproduktive Strategie.» Denn chronische Schmerzen können sich aufgrund des körpereigenen Schmerzgedächtnisses leicht verselbstständigen und damit ausser Kontrolle geraten. So führt das «Zusammenbeissen der Zähne» auf Dauer häufig zu einer Steigerung des Schmerzmittelkonsums. Fazit: «Um Schmerzlinderung zu erlangen, ist es wichtig, dass schmerzstillende Medikamente regelmässig und in einer ausreichend hohen Dosierung eingenommen werden», empfiehlt En-Chul Chang.

schmerz

30 I 31


Dennoch: Bergen schmerzlindernde Medikamente nicht ein hohes Risiko von Abhängigkeit und Nebenwirkungen? «Diese Gefahr wird häufig überschätzt», meint Dr. med. Michael Gloger, Leitender Arzt an der Basler Schmerzklinik Kirschgarten. Denn jeder kompetente Arzt hält sich an die Devise: «So wenig wie möglich, so viel wie nötig.» Das heisst, es werden möglichst niedrige wirksame Dosierungen eingesetzt, die mit der Zeit und bei Bedarf gesteigert werden können. Ausserdem seien manche Schmerzmittel besser als ihr Ruf: «Die modernen Morphine beispielsweise sind sehr gute Schmerzmittel mit kontrollierbaren Nebenwirkungen», erklärt Gloger. Auch könne man über ein langsames Ein- und Ausdosieren oder über die Applikationsform – zum Beispiel ein Morphiumpflaster – verhindern,

dass der Patient einen «Kick» erlebe und in eine körperliche Abhängigkeit gerate. Morphinabhängigkeit ist laut dem Arzt heutzutage ein geringes Problem, vorausgesetzt der Patient wird von einem Arzt betreut, der die Medikamente richtig einsetzt.

Auf eigene Faust drauflos Trotzdem gibt es Patienten, die zu häufig oder zu hoch dosierte Schmerzmittel einnehmen. Zum Beispiel, weil sie versuchen, die Schmerzen auf eigene Faust in den Griff zu bekommen. Auf diese Weise entstehen mitunter medikamenteninduzierte Kopfschmerzen, also Schmerzen aufgrund eines Kopfwehmedikaments, das an mehr als 10 bis 15 Tagen im Monat eingenommen wird. «Zum Missbrauch von Schmerzmitteln kann es aber auch kommen, wenn ein Patient von einem Arzt zum andern wandert»,

Seit 9 Jahren führend in der ambulanten Schmerztherapie:

DAS SCHMERZ ZENTRUM ZOFINGEN • Akute und chronische Schmerzen besser behandeln • Spezialisierte Fachkompetenz • Langjährige Erfahrung • Interdisziplinäres Team • Individuelle Betreuung • Internationale Qualitätsstandards zertifiziert

Schmerz Zentrum Zofingen AG Hintere Hauptgasse 9, 4800 Zofingen Telefon 0041 (0)62 752 60 60 mail@schmerzzentrum.ch www.schmerzzentrum.ch www.sqpc.ch


gen

weiss En-Chul Chang. «Ist die Kommunikation zwischen diesen Ärzten mangelhaft, bekommt der Patient mitunter zu viele oder eine ungeeignete bis gefährliche Kombination von Schmerzmitteln.»

Von einem Arzt zum andern Ein besonders grosses Wissensdefizit verbirgt sich hinter der Tatsache, dass zahlreiche Menschen mit chronischen Schmerzen einen langjährigen «Ärztemarathon» absolvieren. Bringt die erste Behandlung – meist beim Hausarzt – nicht den erhofften Erfolg, folgt in der Regel der Gang zum Spezialisten, beispielsweise zum Orthopäden. Doch damit ist die Odyssee häufig nicht zu Ende. Viele Schmerzpatientinnen und -patienten eilen von einem Spezialisten zum nächsten, suchen bei Schul- und Komplementärmedizinern Rat. Das Problem dabei: «Jeder Spezialist betrachtet das Problem aus seiner Warte und versucht es mit seinen Mitteln zu lösen», erklärt der Schmerzspezialist Michael Gloger. «Das führt häufig nur zu Teilerfolgen oder verschlimmert die Situation sogar. Was die Patienten brauchen, ist eine vernetzte Analyse des Schmerzproblems und eine ganzheitliche, umfassende Therapie von Beginn weg.» Obendrein sollte diese rasch einsetzen, weil die Chronifizierung der Schmerzen früh beginnen kann: «Bringt die Behandlung nicht innerhalb von wenigen Monaten Schmerzfreiheit, ist der Besuch einer Schmerzklinik angezeigt», rät Schmerzspezialist En-Chul Chang.

patient hat eine individuelle Geschichte», unterstreicht Gloger, «diese ist mitunter schwer zu fassen. Es braucht Geduld, um die optimale Medikamentendosis und das beste Therapiepaket zu finden.» Besonders schwierig wird laut En-Chul Chang das Ganze, wenn ein Schmerzpatient mit mehreren «Baustellen» am Körper zu kämpfen hat. Obendrein seien chronische Schmerzen selten rein körperlich, gibt En-Chul Chang zu bedenken. Meist würden bei der Schmerzentstehung auch psychische Einflüsse mitspielen (siehe auch Text auf Seite 34). Für viele Schmerzpatienten ist diese Sicht der Dinge neu: «Manche Patienten fragen in der Sprechstunde: Warum muss ich denn zum Psychologen? Mir geht es doch gut! Wenn nur der Schmerz weg wäre!» Doch die Schmerzspezialisten sind sich einig: Das blosse Einnehmen von schmerzstillenden Medikamenten ist bei chronischen Schmerzen ein Fehler. Dauerhaft lindern oder gar kurieren lässt sich ein Schmerzproblem nur, wenn mehrere Therapiemassnahmen ineinandergreifen, also: Schmerzmittelgabe kombiniert mit Sozialberatung, Verhaltenstherapie, Physiotherapie, Psychotherapie, komplementärmedizinischen Massnahmen und bei Bedarf gezielten, minimalinvasiven (minimaler operativer Eingriff) Techniken.

Petra Gutmann ❰

Umdenken und dazulernen Damit es gar nicht so weit kommt, sollten die Schmerzen und die Krankheitsgeschichte des Patienten von Anfang an umfassend beurteilt und behandelt werden. «Eine zeitaufwendige Aufgabe, denn jeder Schmerz-

schmerz

32 I 33


Wenn die Seele spricht Ob Hitzereiz, Phantomschmerz oder psychische Verletzung – für das menschliche Gehirn sind alle Schmerzen gleichermassen real.

J

ahrelang nahm Jan Schaettinger ein starkes Opioid ein, nachdem er 2004 bei einem Motorradunfall seinen linken Arm verloren hatte. Das Schmerzmittel dämpfte die Phantomschmerzen am Stumpf des fehlenden Arms. Ohne Medikamente war das Leiden für ihn unerträglich, wie er in einem deutschen Magazin zitiert wurde. Das änderte sich erst, als er zur «Spiegeltherapie» fand: Nun musste er sich täglich vor einen Spiegel setzen, sodass der rechte Arm im Spiegelbild als vorhandener linker Arm erschien. Das ermöglichte dem Gehirn, den fehlenden Arm «zu sehen». Der Phantomschmerz ging zurück.

Schmerz als Ausdrucksmöglichkeit Das Erlebnis zeigt, was naturwissenschaftliche Studien bzw. Schichtaufnahmen des Gehirns belegen: Die Wahrnehmung von Schmerz entsteht praktisch nur im Gehirn. Ob Schmerzen aufgrund einer Schnittverletzung oder Phantomschmerz, die Muster der Hirnaktivierung sind die gleichen. Mehr noch: Das Gehirn kann Schmerz als «kreative Leistung» einsetzen, um eine seelische Notlage auszudrücken oder frühere schmerzhafte Erfahrungen aufleben zu lassen. Und selbst wenn körperliche Beschwerden ursprünglich Auslöser der Schmerzen wa-

ren, gilt die Regel, dass die Stärke und Dauer der Schmerzempfindung von psychosozialen Faktoren mitbestimmt wird. Nicht selten sind seelische Probleme sogar entscheidend für chronische Schmerzen verantwortlich, wie die am «Schmerz Zentrum Zofingen» (AG) tätige Psychologin FSP Luzia Koulouris weiss: «Es kommt vor, dass Patienten jahrelang Schmerzmittel einnehmen. Bei der Schmerztherapie stellt sich dann heraus, dass die Schmerzen mit einem unbearbeiteten Trauma zusammenhängen.» Auch sei es möglich, dass chronische Schmerzen dank einer Psychotherapie massiv reduziert werden könnten. Dank dem heute anerkannten und gängigen «multimodalen Konzept» der moder-

Mark Nolan, 28 Jahre alt, Gitarrist, Hodenkrebs: «Nach der Operation und während der Chemotherapie hatte ich nur selten Schmerzen. Schmerzhaft waren der gefühlte Schmerz und die Angst vor dem Sterben. Zu Beginn der Therapie sagte mir jemand, dass ich nicht über das ‹Warum?›, über das ‹Warum ich?› nachdenken sollte. Ich tat es trotzdem und bin froh darüber – denn heute antworte ich auf diese Frage: ‹Warum nicht ich?› Der Krebs hat mein Leben verändert, es ist aber nicht schlechter geworden. Sondern besser, viel besser. Heute machen mich viele, auch scheinbar unbedeutende Dinge glücklich.»


schmerz

  34 I 35


HÄUSCHEN! HÄUSCHEN!

Wenn draussen die Sonne scheint, will niemand den ganzen Wenn draussen die Sonne scheint, will niemand den ganzen Tag «besetzt» sein. vitagate24.ch weiss, wie Sie sich in den Ferien Tagunliebsamen «besetzt» sein. vitagate24.ch weiss,können wie Sie sich in den Ferien vor Überraschungen schützen und liefert vor unliebsamen Überraschungen schützen können und liefert praktische Tipps für einen erholsamen Urlaub. Jetzt reinklicken.

praktische Tipps für einen erholsamen Urlaub. Jetzt reinklicken.

vitagate24.ch ist ein Gemeinschaftsportal von

vitagate24.ch ist ein Gemeinschaftsportal von


nen Schmerztherapie wird die Krankengeschichte des Patienten auf körperliche, soziale und psychische Faktoren abgeklopft, die den Schmerz beeinflussen. «Multimodal bedeutet, das Leiden aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten», sagt Luzia Koulouris. «Die Patienten lernen unter anderem, sich die psychischen Aspekte als Begleitsymptom, Folge, Ursache oder Mitursache von chronischen Schmerzen bewusst zu machen.» Beispiel: Viele Patienten haben verlernt, Gefühle wie Ärger und Freude auszudrücken. Stattdessen empfinden sie Schmerzen. «Ärger, Wut, Angst und ein Gefühl der Hilflosigkeit sind vier grundlegende Emotionen, die Schmerzen auslösen oder verstärken», unterstreicht Luzia Koulouris.

Breite Therapiemöglichkeiten Das ist einer der Gründe, weshalb kreative Therapien, zum Beispiel Musiktherapie, bei chronischen Schmerzen oft geradezu befreiende Wirkungen haben. Darüber hinaus gibt es in der psychologischen Schmerztherapie zahlreiche Möglichkeiten, um Schmerzen zu lindern und den Verlauf einer Schmerzerkrankung positiv zu beeinflussen. Hier sind die wichtigsten, wie Luzia Koulouris erklärt: ❙  Die Selbstbeobachtung verbessern und schmerzfördernde Bedingungen bewusst machen. ❙  Entspannungstechniken, Selbsthypnose und Methoden zur Stressbewältigung erlernen. ❙  Die soziale Kompetenz fördern. Eine optimale Balance von Ruhe und Aktivität herstellen. ❙  Die Genussfähigkeit steigern, und die eigenen Ressourcen erweitern.

Petra Gutmann ❰

Die Nervenzellen des Mitgefühls Wie kommt es eigentlich, dass wir in der Lage sind, den Schmerz anderer Menschen mitzuempfinden? Oder dass uns die Verletzung einer nahestehenden Person genauso schmerzt wie eine eigene? Möglich machen dies die Spiegelneuronen, spezialisierte Zellen im Gehirn. Diese Spiegelzellen sind nicht nur aktiv, wenn Schmerz am eigenen Körper erlebt wird, sondern auch dann, wenn wir «nur» beobachten, wie anderen Menschen Schmerz zugefügt wird. Mehr noch: Auch wenn wir andere Menschen beobachten, werden im Gehirn ebendiese Spiegelnervenzellen aktiviert. Sie sind in der Lage, sich die beobachtete Handlung zu merken. Deshalb verleihen uns die Spiegelneuronen nicht nur die Fähigkeit zur Empathie, sie befähigen uns auch, durch Beobachten ein Leben lang zu lernen.

Mehr Wissen Joachim Bauer: «Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone», Hoffmann und Campe Verlag, 2006, ISBN 978-3-455-09511-1, ca. Fr. 37.– neurozentrum-pasing.de schmerz

36 I 37


Haltung bewahren Nicht nur Fehlhaltungen und einseitige Belastungen können Rückenschmerzen verursachen. Auch Stress und Sorgen lasten oft so schwer auf den Schultern, dass sich der ganze Nacken verkrampft.

W

ie ein alter Mann fühlt sich der 50-Jährige. Mit einer Hand stützt er sich auf dem Tisch ab, während er sich langsam und äusserst vorsichtig auf den Stuhl setzt. «Ja keine falsche Bewegung machen», sagt er. Stark darauf konzentriert, seinen Rücken zu schonen, bringt er seinen Körper in eine Haltung, die alles andere als entspannt ist. Er ist mit seinen Beschwerden in bester Gesellschaft. Laut Bundesamt für Gesundheit leiden rund 22 Prozent der berufstätigen Männer und 14 Prozent der Frauen an Rückenschmerzen. Meistens betrifft dies Leute im Alter von 30 bis 50. Die Altersgrenze sinkt allerdings zusehends. Bereits mehr als die Hälfte der Jugendlichen unter 18 Jahren haben Haltungsschäden unterschiedlicher Ausprägung. Das zeigt, dass Rückenschmerzen nicht etwa Schwerarbeitern und Möbel schleppenden Umzugshelfern «vorbehalten» sind. Immer öfter macht der Schmerz am Rückgrat vor allem all jenen zu schaffen, die den ganzen Tag am Bürotisch oder im Auto sitzen. Das ist nicht verwunderlich. Schliesslich ist die Anatomie des Menschen nicht dazu ge-

macht, acht Stunden und mehr pro Tag zu sitzen. Ergonomische Arbeitsplätze machen das stundenlange Sitzen zwar erträglicher, das Problem ist damit aber nicht gelöst. Die angewinkelten Beine verkürzen die Beinmuskeln, und die ewig gleiche Haltung führt zu einer starken Anspannung der gesamten Rücken- und Nackenmuskulatur. Wird der Körper in der Freizeit nicht regelmässig bewegt, durchgebogen und gestreckt, verkümmert die Muskulatur.

Was klein begann Oft sind es zunächst kaum wahrnehmbare Beschwerden, die unbehandelt zu einer

Michelle Zimmermann, 29 Jahre alt, Coach für Schmerzpatienten und Eventmanagerin, leidet an der genetisch bedingten Schmetterlingskrankheit (Epidermolysis bullosa dystrophica). Die blasenförmige Hautablösung hat immer wiederkehrende Wunden und starke Vernarbungen zur Folge: «Ich habe verschiedene Strategien, mit dem Schmerz umzugehen. Zwei Methoden wende ich besonders häufig an: Entweder gehe ich mit meinem Bewusstsein voll und ganz in jede Faser des Schmerzes hinein, oder ich gehe mit meinen Gedanken ganz weit weg und lasse den Schmerz wie ein 5. Rad am Wagen einfach mitlaufen.»


schmerz

  38 I 39


völlig verkrampften Rückenmuskulatur führen können. So weit soll es nicht kommen. Machen sich erste Verspannungen bemerkbar, dann gilt es nicht, den Rücken zu schonen, sondern die Muskulatur zum Entspannen zu bringen: ❙  Bewegung und Sport fördern die Durchblutung, wärmen die Muskeln und führen zu einer Lockerung der gesamten Rückenmuskulatur. Dabei geht es nicht um gezieltes Muskeltraining, sondern um lockere Bewegung auf dem Vitaparcours, dem Fahrrad, beim Armkreisen, Schwimmen oder Tanzen. ❙  Entspannungsübungen, wie autogenes Training, die progressive Muskelentspannung oder das bewusste Atmen, helfen, all das loszulassen, was uns psychisch belastet – mit dem positiven Effekt, dass sich auch die Muskulatur entspannt. ❙  Dehnen und Strecken hilft all jenen Muskeln, die im Sitzen ständig in gebeugter Haltung sind. So zum Beispiel die Muskeln im Lendenbereich, die Rumpf- und die Brustmuskulatur. ❙  Die Zeichen des Körpers sind meistens eindeutig. Wer der Frage nachgeht, zu welcher Tageszeit die Schmerzen kommen, wann sie zum ersten Mal auftraten, was sich seither sonst noch im Leben verändert hat und ob die Rückenschmerzen allenfalls mit psychischen Problemen einhergehen, kann der Ursache der Beschwerden meist auf den Grund gehen. ❙  Massagen, Atemtherapie, Yoga, Rückenturnen, Pilates und viele weitere körperorientierte Therapie- und Bewegungsmethoden können langfristig den Rücken stärken und vorbeugend dafür sorgen, dass die Schmerzen nicht wieder auftreten. ❙  Entspannende Bäder, wärmende Salben, Massageöle und warme Kleider tragen dazu bei, dass sich verspannte Muskeln

lösen. Gerade das Bad am Feierabend beruhigt weit mehr als nur die Muskulatur; es ist auch eine Wohltat für die Nerven und die Seele.

Das Leben als Balanceakt Angenommen, der Kopf wäre ein Ball, den es auf dem Hals zu balancieren gilt, dann wäre die Körperhaltung des Menschen aufrecht, fast würdevoll. Eine Haltung also, die Stolz, Präsenz, Klarheit und Zentriertheit ausdrückt. Die Realität sieht anders aus: Wir sitzen mit krummem Rücken vor dem Computer, die Schultern hängen entweder schlaff nach vorne oder sind verkrampft hochgezogen. Durch eine solche Körperhaltung gibt uns nicht nur der Körper Signale, sondern auch die Seele. Es lohnt sich, Körper und Seele immer wieder aufs Neue in Balance zu bringen. Sabine Hurni ❰

Mehr Wissen suva.ch forum-schmerz.de biokinematik.de Hans-Dieter Kempf: «Die Rückenschule», Rowohlt Taschenbuch, 2008, ISBN 978-3-499-62346-2, ca. Fr. 19.– Paul Th. Oldenkott und Wolf D. Scheiderer: «Bandscheiben-Leiden: Was tun?», Trias Verlag, 2005, ISBN 978-3-8304-3227-2, ca. Fr. 35.–


Die drei grossen Klassiker Eine Tablette einwerfen und schwups – verschwunden ist der Schmerz. Doch kann man klassische Schmerzmittel wirklich ohne Bedenken und Einschränkungen einnehmen?

J

ahr für Jahr werden weltweit 100 Milliarden Aspirintabletten konsumiert: Die wichtigsten OTC-Schmerzmittel (OTC: over the counter = rezeptfrei erhältliche Analgetika) sind zu einem alltäglichen «Gebrauchsartikel» geworden, wie die Beispiele Paracetamol, Aspirin und Ibuprofen (siehe Tabelle Seite 45) zeigen. «Man kann sie bedenkenlos einsetzen – vorausgesetzt, das Schmerzmittel wird nur dazu benutzt, um kurzfristig einen akuten Schmerz zu lindern», sagt Prof. Dr. med. Michele Curatolo, Leiter des Bereichs für Schmerztherapie am Inselspital Bern. Dauern die Schmerzen länger als eine Woche an, sollte man zum Arzt gehen. Kurzfristig eingenommen, seien freiverkäufliche Schmerzmittel meistens harmlos, auf Dauer könnten sie aber unerwünschte Nebenwirkungen haben.

Nicht erforscht Unglaublich, aber wahr: Obwohl schmerzstillende Medikamente seit langer Zeit ein integrierter Bestandteil unserer «Anti-Bobo-Kultur» sind, ist ihre genaue Wirkungsweise im Körper «noch nicht genau erforscht», wie Curatolo erklärt. Allgemein geht man davon aus, dass nichtsteroidale Entzündungshemmer (NSEH), also zum

Beispiel Aspirin und Ibuprofen, die Prostaglandin-Synthese hemmen. Diese Substanzen sind verantwortlich für die Übertragung schmerz-relevanter Botenstoffe bei entzündetem Gewebe. Gemäss aktuellen Studien wirkt Paracetamol dagegen direkt auf das zentrale Nervensystem ein, es entfaltet also keine entzündungshemmende Wirkung wie ein NSEH. «In der modernen Medizin weiss man, was diese Schmerzmittel bewirken, doch wie sie das tun, ist noch nicht genau geklärt», sagt der Schmerzspezialist. «Das gilt auch für Anästhetika. Es ist zwar exakt bekannt, wie diese Narkosemittel einzusetzen sind, um einen Patienten zu betäuben. Doch wie diese Mittel im Detail wirken, ist noch nicht vollumfänglich erforscht.» Kommt dazu: «Jeder Patient und jedes Schmerzproblem reagiert anders auf ein und dasselbe Medikament. Deshalb zeigt sich häufig erst in der Praxis, welches Mittel am besten geeignet ist, um einen Schmerz zu lindern», erklärt der Arzt. «Bei nicht entzündungsbedingten Schmerzen empfehle ich zuerst Paracetamol, das hat die geringsten Nebenwirkungen.» In der Tat können NSEH bei empfindlichen Patientinnen und Patienten oder in zu hoher Dosierung Magenbeschwerden verursachen. Nicht jedoch Paracetamol. Aus diesem Grund kann sehr schwach dosiertes Paracetamol sogar Säuglingen verabreicht werden.

Kombinationspräparate Seit der Bereinigung des Schmerzmittelangebots durch die Swissmedic im Jahr 2004 sind zahlreiche Kombinationspräparate vom Markt verschwunden – «mangels feh-

schmerz

40 I 41


lender Dokumentation eines offensichtlichen Nutzens verglichen mit Monosubstanzen». «Trotzdem kann es sinnvoll sein, mehrere Wirkstoffe zu kombinieren, wie beispielsweise bei einem NSEH oder bei Paracetamol», unterstreicht Michele Curatolo, «vor allem dann, wenn eine analgetische Monosubstanz nicht die erhoffte Wirkung bringt.» Tatsächlich kann zum Beispiel das Beimischen von Koffein die schmerzstillende Wirkung verstärken (siehe auch Seite 15). Das gilt auch bei der Einnahme eines Schmerzmittels auf nüchternen Magen. Da die schmerzstillenden Wirksubstanzen im Dünndarm aufgenommen werden, geht die «Reise» des Schmerzmittels so rascher vorwärts.

Rasch handeln Häufig taucht die Frage auf, ob ein Analgetikum schon bei den ersten Schmerzanzeichen eingenommen oder zugewartet werden soll? Moderne Schmerzspezialistinnen und spezialisten empfehlen, einen auftauchenden Schmerz rasch zu lindern. Lässt man es zu, dass sich der Schmerz «implantiert», kann sich das zentrale Nervensystem so verändern, dass der Schmerz nach Abheilung der Gewebeschädigung länger bestehen bleibt oder sogar chronisch wird. Andererseits ist nicht auszuschliessen, dass ein zu häufiges Einnehmen von Schmerzmitteln chronisches Kopfweh auslösen kann, wie mehrere aktuelle Studien zeigen. Stellt sich zum Schluss die Frage, ob in den nächsten Jahren tief greifende Veränderungen an der Schmerzmittelfront zu erwarten

Mehr Wissen vitagate24.ch/schmerzen_behandlung. aspx

sind? «Der Wissensstand hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm gebessert, die Konsequenzen für die Behandlung jedoch kaum», weiss Michele Curatolo. «So gibt es insbesondere keine Studien, welche die Wirkungen von Schmerzmitteln über einen längeren Zeitraum mit einem Placebo vergleichen.» Somit fehle der Beweis, dass diese Medikamente langfristig nützten. Hingegen richte sich das Interesse zurzeit verstärkt auf die analgetische Wirkung von Medikamenten, die ursprünglich gar nicht als Schmerzmittel entwickelt worden seien, unterstreicht der Berner Schmerzspezialist. Zum Beispiel auf Antiepileptika und bestimmte Antidepressiva. Auch CannabisPräparate könnten in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Michele Curatolo: «Vereinfacht ausgedrückt sucht man nach Mitteln und Wegen, um auf die schmerzleitenden Nervenfasern einzuwirken, ohne ihre sonstigen Funktionen zu beeinträchtigen, insbesondere nicht ihre motorischen. Doch das ist noch Zukunftsmusik!» Michel Schmid ❰ Siehe Tabelle Seite 45 ›

Ruth Kohler, 65 Jahre alt, pensionierte Kindergartenlehrkraft, Migränepatientin: «Die zahlreichen Migräneanfälle mit den hämmernden Kopfschmerzen, die mein Leben begleiten, schränken mich in meinen Aktivitäten stark ein. Sie durchkreuzen oft meine Pläne und mindern die Lebensqualität während der Anfälle enorm. Wenn dann die Medikamente zu wirken beginnen und die Kopfschmerzen verschwinden, fühle ich mich wie neu geboren und wieder ganz frei.»


schmerz

  42 I 43


Bei Verstauchungen, Zerrungen und Prellungen. Jetzt auch bei Kniearthrose.

• Schmerzlindernd • Tag und Nacht aktiv

• Kühl und anschmiegsam • Einfach in der Anwendung

Wirkstoff von Flector EP Tissugel ® : diclofenacum epolaminum. Dies ist ein Arzneimittel. Lassen Sie sich von einer Fachperson beraten und lesen Sie die Packungsbeilage. IBSA Institut Biochimique SA, Headquarters and Marketing Operations, Via del Piano, CH-6915 Pambio-Noranco, www.ibsa.ch

Bewegt Menschen.


.

schmerz

44 I 45

Die schmerzstillende und fiebersenkende Wirkung der Weidenrinde, aus der Aspirin gewonnen wird, ist seit dem Altertum bekannt. Aspirin wurde 1899 patentiert und die Marke angemeldet. Im 18. Jahrhundert wurden erstmals natürliche Extrakte aus der Chinarinde eingesetzt, um Fieber zu senken. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wird eine synthetisch hergestellte Arznei unter dem Namen Paracetamol vertrieben. Wie die meisten nichtsteroidalen Entzündungshemmer (NSEH) wurde auch Ibuprofen im 20. Jahrhundert entwickelt mit dem Ziel, ein Medikament herzustellen, das weniger Nebenwirkungen hat als Aspirin. 1969 wurde Ibuprofen patentiert und auf den Markt gebracht.

Aspirin (Acetylsalicylsäure)

Paracetamol

Ibuprofen

Geschichte

Schmerzlindernd Fiebersenkend Entzündungshemmend

Schmerzlindernd Fiebersenkend

Schmerzlindernd Fiebersenkend Entzündungshemmend

Wirkung

400 mg alle 3 bis 6 Std., max. 1,2 g/Tag

1000 mg (max. 4 g/Tag)

1000 mg (max. 3 g/Tag)

Dosierung

identisch Aspirin + längere Wirkungsdauer als Aspirin

+ keine Magenbeschwerden (im Gegensatz zu den NSEH) + erlaubt während Schwangerschaft und Stillzeit + einziges Schmerzmittel, das mit Blutgerinnungshemmern kombiniert werden darf (Operationen!)

+ kann das Risiko von Herz-KreislaufVorfällen reduzieren (macht das Blut flüssiger) + senkt womöglich das Risiko bestimmter Tumorerkrankungen

Vorteile

– Magenbeschwerden – I n der Stillzeit kontraindiziert

– bei zu hoher Dosierung toxisch für die Leber

– Magenbeschwerden – Kontrainidiziert in der Stillzeit

Mögliche Nebenwirkungen


Kulturelle Prägung Man könnte annehmen, dass Menschen rund um den Erdball ähnlich mit Schmerzen umgehen. Weit gefehlt: Die Kultur hat da auch noch ein Wörtchen mitzureden.

K

rankheitsbeschreibung sei kulturabhängig, schreibt die Wiener Expertin in Fragen der medizinischen Kommunikation Johanna Lalouschek in ihrer Arbeit «Medizinische und kulturelle Perspektiven von Schmerz». So klagen Franzosen in erster Linie über ihre Leber («crise de foie»), die Deutschen über das Herz. Entsprechend diagnostizieren deutsche Ärzte häufiger Herzinsuffizienz als ihre Kollegen in England oder Frankreich. Auch die Symptomdifferenzierung ist kulturspezifisch: In Japan unterscheiden Menschen zwischen starken «Bärenkopfschmerzen», leichten «Rehkopfschmerzen» und «Spechtkopfschmerzen», die sich anfühlen wie das Klopfen eines Spechtes. Oder Latinos unterscheiden zwischen «dolor de cabeza» (Kopfschmerzen) und «dolor del cerebro» (Gehirnschmerzen). Unterschiede lassen sich auch auf geschlechtsspezifischer Ebene feststellen: Aus der psychosomatischen Frauenforschung

Mehr Wissen univie.ac.at; vitagate24.ch/ schmerzen_schmerzempfinden.aspx

ist bekannt, dass etwa Kopfweh, Migräne und Depressivität als typische «Frauenleiden nach altbekanntem Schwächemuster» gelten und folglich häufig bei Frauen diagnostiziert werden. Umgekehrt gelten Herzund Kreislauferkrankungen wie Herzinfarkt als typische «Männerkrankheiten», sodass die entsprechenden Symptome bei Frauen häufig fehldiagnostiziert werden. Umgekehrt werden Depressionen bei Männern häufig fehlinterpretiert. In der Ethnopsychologie werden die kulturell unterschiedlichen Formen der Schmerzäusserung wiederum auf eine tief verwurzelte «traditionelle innere Zensur» zurückgeführt: So lehnen Patienten mit orientalischer Herkunft oft Hinweise auf mögliche «soziale» Ursachen von Krankheiten ab. Denn die starke Einbindung in soziale Gefüge fordert Achtung und Respekt vor Personen des eigenen Umfeldes und lässt Kritik beispielsweise an der Familie kaum zu.

Katharina Rederer ❰

Jonathan Geissbühler, 20 Jahre alt, studiert Maschineningenieurwissenschaften an der ETH Zürich, liess sich tätowieren: «Den Schmerz einer sechsstündigen Tätowierungsprozedur zu ertragen, um eine starke Bindung zu seinem Körper, der Tätowierung und deren Bedeutung zu bekommen, ist berauschend.»


schmerz

  46 I 47


Fast jeder kennt gelegentliche Kopf- und R端ckenschmerzen. Wenn Schmerzen aber permanent auftreten, werden sie zur belastenden Dauerqual. Die Lebensfreude, die Arbeit und das Private leiden darunter. Ausf端hrliche und gesicherte Zusatzinformationen 端ber Schmerzen, ihre Symptome und Therapiem旦glichkeiten bekommen Sie im Internet auf Ihrer Gesundheitsplattform vitagate24.ch.

Impressum September 2009 Herausgeber: Schweizerischer Drogistenverband, Nidaugasse 15, Postfach 3516, 2500 Biel 3 Telefon 032 328 50 30, Fax 032 328 50 41, info@drogistenverband.ch, www.drogerie.ch Redaktion: Heinrich Gasser, Chefredaktion, h.gasser@drogistenverband.ch Katharina Rederer, Redaktion; Michel Schmid; Didier Buchmann Verkauf und Sponsoring: Michael Severus, Leitung, m.severus@drogistenverband.ch; Nadia Bally, n.bally@drogistenverband.ch Layout: Stephan Oeschger, s.oeschger@drogistenverband.ch Fotos: Flavia Trachsel Druck: swissprinters, Zofingen


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.